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In Deutschland für die politischen Rechte der Frauen zu kämpfen, mag vorläufig eine Thorheit, eine radikale Anticipation der Zukunft sein. Neue Gedankensaaten, in einen Boden gestreut, der nicht vorbereitet ist, sie zu empfangen, tragen keine Frucht, und wer die Früchte seines Strebens und Kämpfens erndten will, der befolge den Grundsatz praktischer Leute: nur das Erreichbare zu wünschen.
Für die Anhänger des Frauen-Stimmrechts mag die Erkenntniß ein Trost sein, daß diejenigen Reformen, diejenigen socialen Umgestaltungen, welche die eine Generation mit Widerwillen von sich stößt, oft schon die nächste mit Begeisterung willkommen heißt.
Weil wir nun gern zu den praktischen Leuten zählen möchten, wollen wir heute nicht an die Pforten der Parlamente klopfen, sondern an ein anderes Thor: an das Thor des Tempels der Wissenschaft, der Universität.
In welchem Maße Deutschlands Männer der Vorstellung eines mit politischen Rechten bekleideten Volkes (die Frauen eingeschlossen) abgeneigt sind, mag folgendes Beispiel beweisen:
Kaum hatte meine letzte Schrift, die unter Anderem vom Stimmrecht der Frauen handelt, den Druck verlassen, so erschien in einer gelesenen Leipziger Zeitung, »Leipziger Tageblatt«, eine kurze Besprechung derselben von einem Herrn Wistling, in der folgender Passus vorkommt: »Im Anhange tritt die Schrift ein für das Stimmrecht der Frauen. Seit den Tagen, wo ein volksthümlich drastisches Räuberstück über Deutschlands Bühnen ging, das eine Hedwig zur Heldin hatte, dürfte keine Trägerin dieses Namens mit solchem Eclat in die Oeffentlichkeit getreten sein, wie unsere Berliner Pamphletistin.«
Aus dem Buch, das Herr Wistling bespricht, weiß er, daß im englischen Parlament, dem Aufenthalt ernster Staatsmänner, die Forderung des weiblichen Stimmrechtes von Jahr zu Jahr an Boden gewinnt und zwar vorzugsweise unter der conservativen Partei; er weiß, daß der Premierminister Gladstone dieser großen Reform zugeneigt ist; er weiß, daß in einigen Staaten Nord-Amerika’s die Frauen bereits Stimmrecht erlangt haben und daß in anderen Staaten, wie in Massachusets, z.B. die großen republikanischen Parteien das Stimmrecht der Frauen in ihr Programm aufgenommen haben. Ferner: sollte man nicht glauben, daß ein deutscher Journalist schon irgendwo einmal den Namen Stuart Mill’s gehört haben müsste? Und hat er diesen Namen gehört, so weiß er auch von einem Werke Mill’s, das rückhaltlos die politischen Rechte der Frauen vertritt.
Alle Kundgebungen englischer Zeitungen, welche nach Mill’s Tode, der ganz England erschütterte, erschienen sind, haben anerkannt, daß unter den englischen Zeitgenossen sich nicht Einer befunden habe, der auf die lebende Generation einen größeren Einfluß geübt habe, als er.
»Wenn ein Geschwornengericht«, sagt Buckle in einem seiner Essay’s, »der größten europäischen Denker ernannt und angewiesen würde, durch seinen Wahrspruch zu erklären, wer unter unsern lebenden Schriftstellern am meisten für den Fortschritt der Wissenschaft geleistet hat, so könnten sie kaum beanstanden, den Namen Stuart Mill auszusprechen.«
Eine ganze Nation, Mill’s politische Gegner nicht ausgeschlossen, errichtet in Ehrfurcht dem Todten ein Monument zum Gedächtniß aller Zeiten.
Indem ich mir die Größe Mill’s vergegenwärtige, bin ich weit entfernt, Herrn Wistling gegenüber etwa der Vorstellung Raum zu geben, daß der höhere Denker eher Recht habe als der kleine Literat; denn daraus, daß Herr Wistling bis jetzt der Nation unbekannt ist, folgt nicht, daß er von Natur zur Verborgenheit bestimmt sei. Nicht jeder gewaltigen Denkkraft ist es vergönnt, an der Oberfläche zu erscheinen. Doch, däucht mir, sollte die Denkweise eines Mannes wie Stuart Mill von Niemandem, auch nicht von einem deutschen Journalisten ignorirt werden, ja, ich möchte behaupten, daß, wo es sich um die reifen Anschauungen eines solchen Denkers handelt, diese Anschauungen von demjenigen, der sie zu bekämpfen unternimmt, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden müssten.
Indessen mag Herr Wistling wohl die Meinung derer theilen, die den Philosophen oder Stubengelehrten von vorn herein einen unpraktischen Kopf schelten, und Mill, in seiner Auffassung von der Hälfte des menschlichen Geschlechts, mag ihm und seinen Gesinnungsgenossen (und dazu gehören mit wenigen Ausnahmen alle Männer, die über die deutsche Männererde wandeln) als ein philosophischer Grillenfänger erscheinen, ein mathaphysischer Robinson Crusoe oder als ein enfant terrible in der schönen stationären Weltordnung.
Nun schließt sich aber unglücklicherweise für Herrn Wistling diesem Philosophen ein Mann an, der schwerlich bei irgend Jemandem den Verdacht, ein unpraktischer Philosoph zu sein, erregen kann. Ich meine den conservativen Premierminister Disraeli.
Dieser praktische Staatsmann hat stets die Bill Jacob Brigth’s unterstützt. Im Jahre 1866 sprach er im Hause der Gemeinen zu Gunsten des Frauenstimmrechts. Im vergangenen Jahre wurde ihm von Georg Langton eine von 11,000 Frauen unterzeichnete Denkschrift überreicht. Seine Antwort darauf lautet wörtlich: »Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, aus Ihren Händen eine von 11,000 Frauen (berühmte Namen finde ich darunter) unterzeichnete Denkschrift zu empfangen, in der mir der Dank ausgesprochen wird für die Dienste, die ich bei dem Versuch geleistet habe, die Ungesetzmäßigkeit auszutilgen, welche die Ausübung des Stimmrechtes, welches an Eigenthum und Haushalt gebunden ist, den Frauen, die diese Qualifikation besitzen, vorenthält, obwohl ihnen bei gleicher Qualifikation in allen Angelegenheiten lokalen Gouvernements die Ausübung dieses Rechtes gestattet ist. Da ich dafür halte, daß diese Ungesetzmäßigkeit die höchsten Interessen des Landes verletzt, so hoffe und erwarte ich, daß die Weisheit des Parlaments dieselbe entfernen werde.«
Aber noch mehr. Selbst ein conservativer deutscher Professor, ein in Bezug auf die Frauenfrage altgläubiger Herr, der Professor Sybel, giebt zu, daß, wer überhaupt das »suffrage universel« auf sein Programm schreibt, keinen vernünftigen Grund habe, die Frauen auszuschließen.
Und trotz aller dieser Zeichen der zeit erscheint dem deutschen Literaten die Erörterung des Frauenstimmrechts von so frappanter Lächerlichkeit, daß er sich dabei melodramatischer Schauergefühle und eines ästhetisch-moralischen Gruselns nicht erwehren kann.
Es fiel mir bei der Lecture des »Tageblattes« eine Stelle aus einer englischen Zeitung ein, die, wenn auch in herber Uebertreibung, ein Körnchen Wahrheit enthält: die Wahrheit, daß unter den Frauen aller civilisirten Nationen die deutschen Frauen die ungünstigste Stellung einnehmen. Die Stelle, die ich zur Schonung patriotischer Gemüther nicht übersetzen will, lautet: »Germany in spite of its military successes, and the splendour of its triumphs in the realms of science, stands lower in the scale of civilization than any other European country, exept Turkey; for in no other country does woman occupy so ignoble and servile a position. In England women are treated with respect. In France and America, so long as they are young and pretty, they are worshiped. In Germany they are simply utilized."
Die Frage, ob Weiber zum Studiren berechtigt seien, ist nicht neuen Datums. Nicht nur viele Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert discutiren diese Frage, sie findet noch öfter eine Illustration durch Thatsachen. In allen Zeiten, bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts haben Frauen Lehrstühle der Wissenschaft inne gehabt, vornehmlich in Italien. Wer diese Angaben bezweifeln sollte, blättere in der »Geschichte der Frauen von Klemm« nach, eines absoluten Gegners der Frauenemancipation, und er wird erstaunt sein über die große Zahl weiblicher Individuen, die in allen Ländern und in jedem Zweige der Wissenschaft Anerkennung und Ruhm unter ihren Zeitgenossen erworben haben.
In Bezug auf das Studiren der Frauen werde ich mir und meinen Lesern zur Beantwortung folgende drei Fragen vorlegen:
Mir persönlich erscheinen diese Untersuchungen ebenso müßig, als wollte Jemand fragen: darf der Mensch seine Kräfte entwickeln? soll er seine Beine zum Gehen gebrauchen? u.s.w. Da aber vorläufig die Majorität meiner deutschen Zeitgenossen das Recht der Frau an wissenschaftlichem Beruf leugnet, so dürfen wir kleine Minorität nicht müde werden, für unsere Ueberzeugung zu kämpfen, wenn es auch absolute Gewissheit für uns ist, daß dasjenige, was heut sonderbar und paradox erscheint, in Kurzem für eine der trivialsten Wahrheiten gelten wird.
Um mir nicht den Vorwurf der Willkür zuzuziehen, oder mich dem Verdacht auszusetzen, als unterschlüge ich kräftige und Hauptgründe gegen das wissenschaftliche Wirken der Frau und begnügte mich mit der Widerlegung leichten, oberflächlichen Geschwätzes, will ich die Meinungen geschätzter und bekannter Professoren gegen mich aufrufen, die Meinungen von Männern der Wissenschaft, von denen man annehmen muß, daß ihre Gründe wohl durchdacht und tiefsinnig seien. Sind dennoch ihre Argumente leicht zu widerlegen, so wird es nicht an der Schwäche der Deduktionskraft der Professoren liegen, sondern an der Stärke der Sache, gegen die sie ankämpfen.
Wenn ich in dieser Schrift dem Frauenstudium im Allgemeinen das Wort rede, so werde ich doch meine specielle Aufmerksamkeit dem medicinischen Studium zuwenden. Vielseitige Erfahrungen haben mir die Ueberzeugung aufgedrängt, daß die Gesundheit der Frau und somit des Menschengeschlechtes wesentlich von der Einführung der Frau in die ärztliche Praxis abhängt. Ich habe mir deshalb zu meinem Hauptgegner einen geschätzten Physiologen und Anatomen, den Professor Bischof von der Universität in München, ausersehn, und ich werde mich wiederholentlich auf seine kleine Schrift: »Das Studium und die Ausübung der Medicin durch Frauen« beziehen.
Ein namhafter Professor der Philosophie aus Bonn, ein milder und wohlwollender Mann, der für ein bekanntes Journal eine Reihe von Artikeln über Frauenbildung geliefert hat, wird Herrn von Bischof secundiren.
Einige einleitende Worte über Frauenarbeit im Allgemeinen gestatte man mir vorauszuschicken.
Die genannten Professoren, wie überhaupt alle Gegner der Frauenfreiheit, pflegen stets in aller Bestimmtheit und Schärfe männliche und weibliche Arbeit zu unterscheiden, gewissermaßen einen Sanitätscordon zwischen Mann und Frau auf dem Gebiete der Arbeit zu ziehen.
Herr v. Bischof sagt an einer Stelle: Jedes Geschlecht habe seine besonderen Funktionen, Frauen könnten nicht leisten, was Männer leisten, und umgekehrt, Männer nicht, was Frauen. – Ist das wahr? Nein!
Wer nennt mir eine einzige Hantierung (die an den Körper gebundenen Funktionen selbstverständlich ausgenommen), eine einzige Form der Arbeit, die sich auf Frauen beschränkt, und an denen zu participiren den Männern durch Sitte oder Gesetz verboten wäre?
Es giebt keine!
Männer nähen, kochen, waschen, bügeln, führen Wirthschaften u.s.w. In vornehmen Häusern findet man anstatt Köchin und Wirthschafterin Köche und Wirthschafter. Das sind unbestreitbare Thatsachen, die wegzuleugnen unmöglich ist. Es muß also heißen: Nur den Frauen sind bestimmte Beschäftigungen zugewiesen; die Männer aber leisten Alles, was Menschen überhaupt zu leisten im Stande sind und wozu sie Lust und Neigung haben.
Ich hoffe im Laufe meiner Abhandlung beweisen zu können, daß die Frauen zu Arbeiten gezwungen werden, für die sie nicht geeignet sind, und ausgeschlossen von solchen, die ihrer Natur zusagen.
Ich hoffe beweisen zu können, daß zwei Grundprincipien bei der Arbeitstheilung zwischen Mann und Frau klar und scharf hervortreten: die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte Arbeit für die Frauen; ich glaube beweisen zu können, daß der maßgebende Gesichtspunkt für die Theilung der Arbeit nicht das Recht der Frau, sondern der Vortheil der Männer ist, und daß der Kampf gegen die Berufsarbeit der Frau erst beginnt, wo ihr Tagelohn aufhört nach Groschen zu zählen.
Zuverlässige Schriften über deutsche Frauenarbeit aufzutreiben, ist mir nicht gelungen. Entweder fehlt es an solchen Schriften, oder sie herbeizuschaffen ist für eine Frau, die öffentliche Bibliotheken nur mit einem unverhältnißmäßigen Aufwand von Energie und Unbescheidenheit benutzen kann, allzu schwierig. Ich mußte mich mit französischen und vornehmlich englischen Schriften begnügen, die glücklicherweise ein ausreichendes und zuverlässiges Material liefern.
Die ökonomischen Verhältnisse, die Anschauungen über Frauenwesen und Frauennatur sind im civilisirten Europa ziemlich überall dieselben; so werden auch die daraus resultirenden Thatsachen keine wesentlichen Abweichungen zeigen, und was in England und Frankreich an der Tagesordnung ist, wird auch in Deutschland üblich sein.
Alle mir über diesen Gegenstand (die Frauenarbeit) vorliegenden Schriften lassen darüber keinen Zweifel: Nie und nirgend hat man die Frau von den mühsamsten und widerwärtigsten Beschäftigungen fern gehalten, etwa auf Grund ihrer zarten Constitution oder ihrer Schamhaftigkeit – Schranken, die aufzuführen man niemals versäumt, wo es sich um höhere und einträglichere Arbeitsgebiete handelt. Im Gegentheil, für die unteren Stände scheint der Grundsatz zu gelten: je gröber, je anstrengender die Arbeit, desto besser für die Frauen. Einige Stellen aus zuverlässigen Berichten bewährter englischer Schriftsteller über Frauenarbeit in England mögen das Gesagte bestätigen.
In einigen Distrikten in England finden wir die Frauen mit Bereitung der Ziegelsteine beschäftigt. Sie legen die gekneteten Steine zum Behuf des Trocknens auf dem Boden in Reihen aus, sie helfen bei dem Prozeß des Feststampfens und gehen mit nackten Füßen über den nassen Thon und zuweilen auch über heiße Röhren. Tausende von Frauen sind bei Fabrikarbeiten an der Tyne in chemischen und Schnurfabriken, in Glashütten, Papiermühlen, Leimsiedereien, in Geschirr- und Tabaksfabriken beschäftigt; sie arbeiten in Baumschulen und als Feldarbeiterinnen, und stets fallen ihnen die niedrigsten, schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten zu.
Im Distrikt um Vigan ist das Verfertigen der Nägel eine den Frauen sehr geläufige Beschäftigung. In jener Gegend sieht man auch Frauen an den Canalbooten bauen, die Schleusen öffnen, die Pferde treiben, ja man sieht sie mit den Schiffstauen über der Schulter.
In den glühenden Räumen der Baumwollenmühlen werden Frauen beschäftigt. Um die heiße Luft ertragen zu können, müssen sie halb entkleidet arbeiten. Das Schwingen der Mühlräder wirbelt eine so dichte Wolke von Staub und Schmutz auf, daß diese Frauen, um einer langsamen, aber sicheren Erstickung zu entgehen, sich gezwungen sehen, Mund und Nase mit Lumpen und Baumwolle zu verstopfen. Wenn sie ihre Arbeit verlassen, sind sie mit einer Lage fettigen Staubes und Schmutzes bedeckt.
In Liverpool und Dublin verdienen Frauen täglich 6 d dadurch, daß sie ungeheure Lasten von Sand durch die Straßen karren, bis sie dieselben verkauft haben. Ungefähr 50,000 Frauen hökern mit Fischen, Früchten und Eisenwaren durch die Straßen, ohne daß man ihre Lust am Handel zu erschüttern versuchte durch jenen bekannten Schrei sittlicher Entrüstung gegen das öffentliche Auftreten der Frau. Niemand findet sich, der ihr zuruft: Hebe dich weg von deinen Fischen und Radieschen, gehe heim und thue Buße, lege dich auf’s Stroh und verhungre! Eine große Zahl von Frauen graben und hacken Kartoffeln, jäten das Unkraut, stechen Steine aus dem Boden, breiten den Dünger über das Land, schneiden Getreide während der Erndte und beladen die Wagen in jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit. Nach dem letzten Census waren in jener Gegend 43,964 Frauen als Feldarbeiterinnen angemeldet.
Ehe die Bill für die Regulation der Bergwerke und Kohlengruben in Kraft trat, waren Tausende von Frauen und Mädchen an die Arbeiten in den Bergwerken dergestalt gewöhnt, daß sie diese Beschäftigung für den eigentlichen Zweck ihres Lebens hielten.
In den Flachsspinnereien sind die Verhältnisse von der traurigsten Art. Der Flachs wird bei einer sehr hohen Temperatur bereitet, und die Arbeit ist mit dem Verbrauch einer großen Quantität Wassers verbunden. Die Arbeiterinnen müssen den größten Theil ihrer Kleider ablegen und stehen oft bis zum Knöchel im Wasser. Die Unglücklichen, welche bei diesen Arbeiten beschäftigt werden, sterben größtentheils im Alter von 28 – 30 Jahren an langsamer Abzehrung oder auch wohl zwischen dem 18. und 20. Lebensjahre an der galoppirenden Schwindsucht, die sie oft in wenigen Tagen hinrafft. Viele kennen das Schicksal, das sie erwartet, und weihen sich dem Tode, um die fabelhafte Summe von 1 Fr. 50 Ct. pro Tag zu verdienen.
Es giebt Werkstätten und Fabriken, wo diejenigen Arbeiterinnen bevorzugt werden, welche Kinder zu versorgen haben. Der reiche Fabrikherr weiß, daß sie Brod schaffen müssen für ihre Kinder um jeden Preis, und darum vor keiner Arbeit zurückschrecken. Sie lassen sich eine Verlängerung der Arbeitszeit gefallen, die in kurzer Zeit ihre Kraft und ihr Leben aufreibt.
Ein Einblick in französische statistische Berichte bestätigt lediglich die Resultate der englischen Untersuchungen.
Die Durchschnittsziffer des Arbeitslohnes in Paris beträgt für Männer 4 Fr 41; für Frauen 2 Fr. 41. Der Hauptgrund ihrer Inferiorität liegt in ihrer mangelhaften professionellen Ausbildung.
Paris hat mehr als 14,000 Lehrjungen aufzuweisen und nur 5500 Mädchen, von denen der weitaus größte Theil sich mit einer Lehrzeit von kurzer Dauer begnügen muß. Mädchen, die eine dreijährige Lehrzeit durchmachen, gehören zu den Ausnahmen.
Weisen wir die Lohndifferenz aus der Statistik einzelner Gewerbe nach.
Beim Anfertigen der Kleider, eine Industrie, die mehr Männer als Frauen beschäftigt, beträgt der Arbeitslohn der Letzteren die Hälfte oder den dritten Theil desjenigen der Männer. Eine zu kurze Lehrzeit ist ein Hinderniß, ihre Geschicklichkeit zu entwickeln.
Nach der letzten Statistik der Posamentier-Industrie ist der tägliche Arbeitslohn für Männer 1 – 9 und 10 Fr. festgesetzt, der der Frauen in demselben Erwerbszweig auf 1 – 5 und 6.
Die Handschuhmacherei in Leder beschäftigt ungefähr ebenso viel Frauen wie Männer. Der Lohn der Arbeiter schwankt zwischen 3 – 10 Frs., der der Arbeiterinnen zwischen 1 – 4 Frs. Der Mangel professioneller Ausbildung macht sie unfähig für das Zuschneiden und Glätten der Handschuhe. Nur das Nähen, Steppen und Sticken bleibt ihnen überlassen. Seit 1845 ist der Lohn der guten Handschuhmacher um 35 Procent gestiegen, der der Handschuhmacherinnen ist stehen geblieben, so daß der Durchschnittslohn für sie sich nur auf 1 Fr. 90 Centimes beläuft.
Der Juwelenhandel und die Goldschmiedekunst in Paris, welche verschiedene Spezialitäten umfassen, beschäftigen mehr als 4000 Arbeiterinnen; aber die höheren Lohnsätze der Former, Ciseleure, Graveure und Emaillirer sind für die Frauen nicht vorhanden, die sich fast ausschließlich mit dem Poliren und Glätten beschäftigen. Die Lehrlingschaft dieser Industrie zählt 2000 Knaben und nur 100 und einige Mädchen.
Beim lithographischen Zeichnen kommt auf 36 männliche Lehrlinge 1 weiblicher. In den Buchbindereien verdienen die Männer täglich 3 – 8 Frs., die Frauen 1 – 3.
Verschiedene typographische Gesellschaften erlauben ihren Prinzipalen nicht, eine Setzerin in Arbeit zu nehmen, selbst dann nicht, wenn er ihr denselben Lohn wie dem Arbeiter bewilligen wollte.
Im Jahre 1860 autorisirte der Kaiser selbst eine Gesellschaft, deren Statuten jedem strikenden Setzer pro Tag 2 Frs. Schadenersatz zuerkannten, einzig und allein um die Einführung der Frauen in die Werkstätten zu verhindern.
Die französischen Steinschneider beschäftigen eine große Zahl von Menschen beim Schneiden der Krystalle, der Brillen, beim Schleifen der Diamanten u.s.w. Auch hier sehen wir die mühsamsten und schlechtest bezahlten Arbeiten einigen Polirerinnen und Einfasserinnen aufgebürdet. Tag für Tag drehen sie mit dem Fuß das Rad, auf dem sie das einzusetzende Glas schleifen. Die Krystallschleiferinnen arbeiten, über das Schleifrad gebeugt, mit den Händen im Wasser.
In allen Gewerben, welche Kenntnisse und eine gründliche Lehrzeit erfordern, sind die Frauen untergeordnet, in den ungesunden Gewerben dagegen, welche kurze Lehrzeit beanspruchen, herrschen sie vor. In Wollkämmereien und Strohflechtereien, in Garnfabriken und Wirkereien ziehen die Fabrikanten, um der billigeren Production willen, die Frauen vor. In und um Lyon arbeiten in den Fabriken tausende von Frauen täglich 14 Stunden lang gleichzeitig mit Händen und Füßen am Webestuhl. In den Kattundruckereien versehen die Männer diejenigen Arbeiten, welche Geschicklichkeit erfordern und einträglich sind. Die mit der Appretur beschäftigten Frauen arbeiten täglich 12 Stunden bei einer Temperatur von 26-40 Grad, und ihre Gesundheit wird durch die plötzlichen Uebergänge von Hitze zur Kälte untergraben.
Es giebt Fabriken, in denen die Frauen zu jeder Jahreszeit täglich 12 Stunden mit den Füßen im Wasser stehend arbeiten.
Wir wollen von weiteren Ausführungen auf diesen Gebieten der weiblichen Arbeiten Abstand nehmen; leicht ließe sich ein Buch damit füllen. Dieselben ökonomischen Erscheinungen wiederholen sich überall: die niedrigsten und schlechtest bezahlten Arbeiten für die Frau!
Nur noch einige Worte über die Näherin – einen Stand, zu dem nicht nur die unteren, sondern auch die mittleren Klassen ein nicht unbeträchtliches Contingent stellen.
Der Engländer James Clark berichtet, daß die Untersuchungen, die Lage der Näherinnen betreffend, viel erschreckendere Resultate geliefert haben, als selbst die der Manufaktur-Kommission.
Es stellte sich heraus, daß 18 Stunden täglich die für Näherinnen übliche Arbeitszeit sei, und daß nur starker Kaffee sie befähigte, ihre Nadeln so lange zu halten. Diese Frauen, meist im Alter von 16-30 Jahren, arbeiten sich buchstäblich zu Tode. Sie arbeiten Jahr ein, Jahr aus, fest auf ihren Stühlen angeschmiedet, vom Morgen bis in die Nacht, in der Kälte des frühen Wintermorgens, in der Mittagsglut des Sommers, rastlos, ohne Abwechselung, ohne Lebensfreude, um, wenn sie geschickt sind, täglich 2 Frcs. zu verdienen. Ihr Auge und ihre Brust leidet; ihr Leben ist ein langsames Sterben, ein allmäliges Verhungern – und wehe ihr, wenn sie krank wird! Die Näherinnen von London sind, zum größeren Theil, entweder mit unbeschäftigten oder kranken Ehemännern belastet oder sie sind Wittwen und die Ernährerinnen ihrer Kinder.
Der Bericht einer Vorsteherin der Nationalwerkstätten zu Paris giebt uns einen erschreckenden Einblick in das Elend dieser Arbeiterinnen. Als die Regierung 1848 einige Werkstätten eröffnete, drängten sich mehr als 12000 armer Frauen nach Paris. Unter andern nahm ein enges, nicht genügend ventilirtes Lokal ihrer 1200 – 2000 auf, die hier in der glühenden Hitze der Sommermonate fast erstickten. Viele von ihnen, krank und gebrechlich, hatten eine Familie zu erhalten und verdienten 6 Sous täglich; bei Andern, die Hemden nähten, betrug der Lohn 12 Sous.
Der Engländer Wakley, der für eine beachtenswerthe Autorität auf diesem Gebiete gilt, hält dafür, daß nicht weniger als 6000 Kinder alljährlich in Folge der schlechtbezahlten Frauenarbeit in’s Grab sinken.
Mit Fingern müde und dürr,
Mit Lidern schwer und roth,
In Lumpen saß und nähte ein Weib
Und nähte auf Leben und Tod.
Stich! stich! stich!
In Hunger, Schmutz und Noth.
Die Stimm’, die mit dem Schmerze rang,
Sang »von dem Hemde« den Gesang.
[»The song of the shirt« erregte bei seinem Erscheinen so großes Aufsehen, daß des Dichters Wunsche gemäß auf seinen Grabstein nur die Worte: »He sang the Song of the Shirt« (Er dichtete »das Lied von dem Hemde«) gesetzt worden sind.]
Wahrlich nicht seiner hohen poetischen Schönheit wegen ist das Lied »vom Hemde« weltberühmt geworden, nein, um der furchtbaren Wahrheit willen, mit der Thomas Hood den öden, hoffnungslosen Jammer einer Menschenklasse bloßlegt, - dieses »Lied vom Hemde«, die Marseillaise des Weibes von der Nadel. Aber nein, keine Hymne, ein Todtenlied, ein Grabgesang über dem Abgrund des Volksschmerzes!
Wenn Frauen der mittleren und höheren Stände als vermögenslose Wittwen oder Unverheirathete sich nach Existenzmitteln ausschauen, so bieten sich ihnen nur die Erwerbszweige dar, die bereits von Unglücklichen überfüllt sind. Diese Arbeitsgebiete werfen nur so viel Gewinn ab, als für ihre Lebensfristung unumgänglich nothwendig ist – wenn sie mit Fleiß und gutem Willen die Kunst erlernt haben, mit wenig Nahrung auszukommen.
Die weiblichen Zöglinge von St. Denis in Frankreich sind Töchter oder Waisen höherer Offiziere. Diese Anstalt ist vollständig in Verruf gekommen, ja man ist so weit gegangen, zu behaupten, daß sich unter den Gefangenen von St. Lazare 20 frühere Schülerinnen dieser Anstalt befunden. Das Unterrichts-Programm der Anstalt enthält alle für eine zukünftige Hausfrau nothwendigen Kenntnisse: die Küche, die Arbeiten des Waschhauses, das Kleidermachen u.s.w. Die Wäsche des Etablissements wird von den Schülerinnen selbst verfertigt. Gewiß schätzenswerthe Kenntnisse für die Frau, die am häuslichen Heerde leben kann. Man vergisst, daß ein großer Theil der Mädchen der mittleren und höheren Stände, die sich mit ihrem Vermögen keinen Mann kaufen können, für ihre Existenz auf ihre eigene Thätigkeit angewiesen ist. Wenn der männliche Freischüler die Anstalt verlässt, öffnet sich ihm eine ehrenvolle, auch wohl glänzende Laufbahn. Mit 18 Jahren muß die weibliche Freischülerin die Anstalt verlassen; sie wird in die Welt gestoßen mit ihren Näh- und Kochkenntnissen zu ihrem Unterhalt. Es verfertigt aber keine Frau ein Kleid, es sei denn, sie habe den Stoff dazu; es kocht keine Frau, es sei denn, man liefere ihr die Materialien zum Kochen. Erziehung und sociale Stellung verhindern sie, als Köchin oder Näherin ein Unterkommen zu suchen. Was bleibt ihr? Elend, Verzweiflung, Corruption. Die Frauen werden zur Abhängigkeit erzogen; ob sich aber in der Noth des Lebens Jemand findet, von dem sie abhängen, darum bekümmert man sich nicht! Die 20 Gefangenen von St. Lazare dürfen uns nicht wunder nehmen.
Ich möchte fast glauben, daß es eine nationalökonomische List war, die den indischen Frauen die Ueberzeugung in das Herz wachsen ließ, daß sie nach dem Tode ihrer Versorger sich aus dem Leben zu empfehlen hätten. Ein staatsmännischer Kniff war es, der diesen Opferlämmern den Scheiterhaufen als die Vorhalle zum Himmel pries. Unsere Wittwen verbrennen sich nicht mehr; nichtsdestoweniger verzehren sie sich in Kummer und Noth. Jules Simon, ein energischer Gegner der Frauenfreiheit, sagt: »Une course rapide à travers les professions exercées par les femmes, va nous donner la preuve irréfragible, que leur salair n’est presque jamais égal à leurs besoins.«
Geringgeschätzte und halbbezahlte Arbeit ist ein Sclaverei in milderer Form, und das ist die allgemeine Lage der Frauen auf all’ den Gebieten, die wir freie Arbeit nennen.
Ich verstehe von Staatswesen und Politik nicht allzu viel, das aber weiß ich: jegliche Gesetzgebung muß, oder müsste, auf einer sittlichen Basis ruhen, auf der Basis der Gerechtigkeit und Menschenliebe.
Versagt Sitte und Gesetz den Frauen diejenige Arbeit, die sie in den Stand setzt, sich und ihre Kinder zu ernähren, so muß der Staat und die Gesellschaft nach den einfachsten Begriffen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit vermögenslose Wittwen und Unverheirathete standesgemäß erhalten. Erkennt er aber eine solche Verpflichtung nicht an und beschränkt er dennoch die Frauen auf ein kleines Gebiet unzureichender Arbeit, so zeigt eine solche Gesetzgebung Spuren von Barbarei, sie vergewaltigt die Frau und privilegirt die eine Hälfte der menschlichen Gesellschaft auf Kosten der andern.
Weist man wieder und wieder auf die ehe als die große Versorgungsanstalt der Frauen hin, so mögen statt meiner – Zahlen antworten, Zahlen, die unwiderleglich sind und die keine Phrase und keine Lüge dulden. Wo es sich um Millionen handelt, hören die Ausnahmen auf. Auf Preußen allein kommen mehr als 1¼ Millionen unverheiratheter Frauen.
Uebrigens könnte man ebenso gut behaupten, daß die Ehe eine Versorgungsanstalt für Männer sei; denn was für einen anderen Sinn hat dieses Wettrennen nach der Hand von Erbinnen, von dem wir täglich Zeuge sind?
Daß die Frage der Concurrenz, die Furcht vor Concurrenz bei der Einschränkung der Frau bewußt oder unbewusst eine große Rolle spielt, ist für mich zweifellos. Die Majorität der Menschen urtheilt nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Magen. Ein Beweis dafür ist der Umstand, daß jeder Mann das unermesslich wichtige Geschäft, das er gerade betreibt, für denjenigen Beruf hält, den auszufüllen Gott und die Natur der Frau versagt habe. Herr v. Bischof glaubt, daß die Frau alles Andere eher leisten könne, als die Ausübung der Medicin. Unter den schädlichen Folgen der medicinischen Studien der Frauen hebt er hervor: »die unausbleibliche Verdrängung männlicher Aerzte«. Er giebt aber den Frauen seinen Segen für irgend welche Beschäftigung beim Post- und Telegraphendienst, und die unausbleibliche Verdrängung männlicher Postbeamten vergisst er dabei. Der Herr General-Postdirektor Stephan dagegen ist der Ansicht, daß die Frau zu allem Anderen eher geeignet sei, als zum Postdienst. Wiederum Professor v. Sybel behauptet, sie könne eher Medicin studiren, als irgend eine andere Wissenschaft. Eine Empörung entstand unter den Schneidermeistern, als die ersten Schneiderinnen sich zeigten. Es gehöre nicht zum Beruf der Frauen, meinte man, Kleider für Ihresgleichen anzufertigen.
Der hochgebildete Philologe nickt freundlich und leutselig der dürftigen Seminaristin zu, die die kleinen Kinder in der Schule unterrichtet, an welcher er den großen Mädchen für ein angemessenes Honorar höhere Weisheit beibringt. Wollte die mit monatlich 20 Thalern begnadigte Seminaristin aber in der ersten Klasse als Physik- oder Geschichtslehrerin Gehalt und Ehre mit ihm theilen, er würde vielleicht vornehm, sehr vornehm die Achseln zucken über diese »unsittliche Neuerung«.
Arbeiten, die umsonst geleistet werden, lassen sich die Männer schon eher von den Frauen gefallen. Man ließ Miß Nightingale gewähren; hätte sie aber ein paar hundert Pfund Gehalt als Hospital-Direktorin verlangt, wer weiß – das massenhafte Hinsterben der Kranken hätte vielleicht mit Gottes und der männlichen Aerzte Hülfe seinen ungeschwächten Fortgang genommen!
Schlimm ist es, wenn, wie es gemeiniglich geschieht, die Leute ihre Vorurtheile für sittliche Gesinnung halten; wenn sie aber ehrlose Regungen und Triebe wie die Concurrenzfurcht als sittliches Gefühl anerkannt wissen wollen, so erwehren wir uns schwer des Zorns und der Verachtung.
Wie sonderbar diese Concurrenzfurcht ist! Sind die Männer wirklich das höhere Geschlecht, das heißt, mit höheren Kräften für alle die Fächer begabt, von denen sie die Frauen ausschließen, so brauchen sie doch die Concurrenz nicht zu fürchten, im Gegentheil, die Frauen werden ihnen zur Folie dienen; sind ihre Kräfte aber nicht höher, so setzen sie sich dem Verdacht aus, daß sie die Frauen einsperren, damit dieselben ihnen die Preise nicht verderben, und ihr Verhalten wird zur Gewaltthat, zur widerrechtlichen Aneignung eines Monopols.
Handel, Geschäft, Handwerk und Wissenschaft ist den Frauen verschlossen. Unterricht und Lehrlingschaft verweigert man ihnen theilweise oder ganz. »Sie qualificiren sich für diese Beschäftigungen nicht!«
Wofür qualificiren sie sich denn? Für den Hunger, für den Selbstmord, für die Prostitution?
Ich ziehe das Facit meines Berichtes und wiederhole: Der maßgebende Gesichtspunkt bei der Frauenarbeitsfrage ist nicht das Recht der Frauen, sondern der Vortheil der Männer. Man zwingt die Frauen zu Arbeiten, für die sie nicht geeignet sind und versagt ihnen diejenigen, für die sie sich ungleich besser qualificirten. Man raubt ihnen ein menschliches Anrecht, das Recht der Existenz.
Aber es wird ein Tag kommen, wo die Frau, der Nadel und des Kochlöffels überdrüssig, diese Geschlechtssymbole von sich wirft, wo sie, müde der abgedroschenen Phrasen, mit denen sie bisher betrogen worden, dem Despoten »Mann« den Gehorsam kündigen und Gehorsam fordern wird von denen, die ihr unterthan im Geiste.
Kommen wird der Tag, wo sie in die Tempel der Männer dringen, ihre Kanzeln besteigen und ein neues Evangelium predigen wird, die frohe Botschaft von der Menschwerdung des Weibes. Doch nicht braucht ihr zu erschrecken, ihr ehrsamen Familienhäupter und Männer, bis dahin ist’s noch lange Zeit. So lange ihr lebt und eure Söhne und eures Sohnes Söhne, wird das Weib fortfahren zu säumen und zu kochen und zu backen und zu vegetiren und sich auszulöschen als Individualität. Sie wird fortfahren Euch zu beglücken und sich zu degradiren durch ihre Magdseligkeit.
Meine Gegner bejahen diese Frage, ich verneine sie.
Die Professoren sind der Meinung, daß von jeher den Frauen Nichts im Wege gestanden, sich wissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben. Meine Meinung geht dahin, daß von jeher Vorurtheil und Gewohnheit, Gesetz und faktische Verhältnisse die Frauen am Studiren gehindert haben. Hören wir zuerst den Herrn Professor der Philosophie aus Bonn!
»Viele Beispiele«, sagt er »lehren uns, daß die geistige Entwickelung begabter Frauen unter dem herrschenden Einfluß der Männer selten gehemmt worden ist, sondern weit häufiger die größtmögliche Begünstigung erfahren hat. Die Culturgeschichte weiß Nichts davon, daß begabte wißbegierige Frauen von der rauen Männerwelt schon an den Pforten des Heiligthums zurückgewiesen sind. Die äußeren Verhältnisse also bieten keine Anhaltspunkte zur Erklärung der Thatsache, daß nur wenig schöpferische Leistungen der Frauen vorliegen.«
Und wüßte wirklich die »Culturgeschichte« Nichts davon – wenn ich nur davon weiß, das genügt mir vollkommen. Und in der That, ich spreche hier aus eigenster Erfahrung, die dem Herrn Professor nicht zur Seite stehen kann. Auch ich gehörte zu jenen wissensdurstigen Frauen, die an die Pforten des Heiligthums klopften, um – ausgelacht zu werden. Und ich war nicht die Einzige zu jener Zeit.
In einem für das spanische Collegium an der Universität Bologna aus dem Jahre 1377 herrührenden Statut heißt es (lateinisch): »Und weil das Weib das Haupt der Sünde, die Waffe des Teufels, die Ursache der Vertreibung aus dem Paradiese und das Verderbniß des alten Gesetzes ist, und weil deswegen jede Unterhaltung mit derselben eifrigst zu vermeiden, so verbieten und untersagen Wir ausdrücklich, daß irgend Einer sich unterfange, irgend ein Weib, und sei dasselbe auch noch so ehrbar, in das genannte Collegium einführe. Und wenn solches Einer dennoch thut, so soll er von dem Rektor schwer bestraft werden.«
Aber die »Culturgeschichte« weiß nichts davon, daß man Frauen an den Pforten des Heiligthumes zurückgewiesen hat!
Als im 16. Jahrhundert Françoise de Saintonge Mädchenschulen in Frankreich zu gründen versuchte, wurde sie öffentlich auf den Straßen verhöhnt und verspottet, und ihr Vater rief vier Doktoren herbei, in der Kunst erfahren, um zu entscheiden, ob seine Tochter vom Dämon besessen sei: »pur s’assurer, qu’instruire des femmes n’était pas un oeuvre du démon.«
Aber die »Culturgeschichte« weiß nichts davon!
Als Miß Garet im Jahre 1860 anfing, Medicin zu studiren, ging sie von einer Schule und Universität Englands zur andern, um Aufnahme bittend. Ueberall abgewiesen, fand sie schließlich, daß die Apothekerzunft die einzige Körperschaft war, welche ihrer Urkunde nach (indem anstatt des Wortes »vir«, Mann, »homo«, Mensch, gebraucht war), kein Recht hatte, die Prüfung irgend eines Kandidaten, der die vorgeschriebenen Bedingungen erfüllte, zurückzuweisen.
Sie studirte nun fünf Jahre und erhielt im Jahre 1865 ihr Diplom. Eine Reihe von Vorträgen hatte sie privatim gehört und bisweilen 50 Guineen für einen Cursus bezahlen müssen, für den die gewöhnlichen Gebühren in den Klassen, von welchen sie ausgeschlossen war, nur 2 Guineen betrugen.
Mit der Auflage dieser direkten enormen Geldsteuer waren indessen die Schwierigkeiten nicht beseitigt. Jetzt, nach Vollendung ihrer Studien, setzten die Autoritäten die junge Dame von einem Gesetz in Kenntniß, welches den Studenten verbot, sich irgend einen Theil ihres medicinischen Unterrichtes auf Privatwegen anzueignen. Dieser Einwand war öffentlich von einem leitenden medicinischen Journale angerathen worden, als ein sicherer Weg, den Verpflichtungen jener Statuten zu entgehen und den Frauen die einzige ihnen gebliebene Chance zu zerstören.
»Aber die Culturgeschichte weiß Nichts davon, daß jemals eine geistige Expropriation der Frau stattgefunden!«
Der Professor W..... in Berlin hatte vor einigen Jahren, - ob stillschweigend oder nach mündlicher Verabredung, weiß ich nicht – einem Dutzend Damen die Zuhörerschaft bei seinen Vorträgen über Shakespeare gestattet. Als aber eines Tages die Damen, nichts Böses ahnend, wie gewöhnlich vor dem Heilgthum erscheinen, siehe – da steht an der Pforte der treue Universitäts-Eckart, der Pedell, und jagt sie fort.
Der Professor hatte es nicht einmal der Mühe werth gehalten, die Damen zu benachrichtigen, daß er in Zukunft auf das Vergnügen verzichten müsse, sie zu sehen. Herr Professor in Bonn, wollen Sie nicht Ihre »Culturgeschichte«, die von der Zurückweisung wissensdurstiger Frauen an den Pforten des Heiligthums nichts weiß, mit diesem Dutzend Damen confrontiren? Die »Culturgeschichte«, die zu kennen Sie das zweifelhafte Vergnügen haben, scheint nicht nur, wie Amor, eine Binde vor den Augen, sondern auch Baumwolle in den Ohren zu tragen; denn sie sieht und hört nicht. Ich möchte Ihnen rathen, künftighin, wo es sich um Aufklärung der weiblichen Studienrechte handelt, nicht die »Culturgeschichte« zu fragen, sondern die – Pedelle.
Meines Wissens steht den Mädchen im Großen und Ganzen für ihre Ausbildung nur die »höhere Töchterschule« zur Verfügung. Vielleicht kennt aber der Herr Professor diese wundervollen Anstalten nicht und glaubt, daß hinter ihren Mauern geheimnißvolle wissenschaftliche Dinge vor sich gehen.
Wie systematisch das Denkvermögen in den Mädchenschulen untergraben wird, davon reden laut die Schulaufsätze der Kinder, denen ich gelegentlich eine besondere Besprechung widmen werde.
So z.B. lautete eines der neusten Themata meiner vierzehnjährigen Tochter: »Der culturhistorische Gegensatz zwischen China und Nordamerika« – ein Thema, welches wohl die jahrelange Arbeitskraft eines tüchtigen Gelehrten und Denkers in Anspruch nehmen dürfte.
»Die merkwürdige Raschheit, mit der Frauen denken,« sagt Buckle in einem seiner Essay’s, »wird durch das elende, verächtliche, abgeschmackte System, das man Mädchenerziehung nennt, bei welchem werthvolle Dinge sorgfältig vorenthalten und geringfügige sorgfältig beigebracht werden, abgestumpft, bis ihr feiner und lebhafter Geist nur zu oft unwiederherstellbar geschädigt ist.«
Viel energischer als der Bonner Professor stellt Professor v. Bischof seine Behauptungen auf.
»Es ist nicht im entferntesten möglich«, meint er, »nachzuweisen, daß das weibliche Geschlecht durch äußere Einflüsse, Gewalt oder List daran gehindert worden wäre, sich in gleichem Grade an diesen geistigen Arbeiten zu betheiligen, wie das männliche. Aber auch die Möglichkeit einer solchen Behinderung ist durchaus nicht vorhanden. Ich halte fest an der Ueberzeugung, wären die Frauen von der Natur befähigt, an der Cultur der Wissenschaften Theil zu nehmen, längst ständen sie den Männern gleich oder über ihnen.«
Das kommt mir vor, als sagte Jemand: wären die Proletarier von der Natur befähigt, Austern zu essen und Champagner zu trinken, so würden sie längst ebenso viel oder mehr Austern essen und mehr Champagner trinken als die Gründer.
Herr v. Bischof fährt fort: »Die Frauen sind nicht zur Pflege der Wissenschaft berufen, darüber kann kein Zweifel mehr herrschen. Jeder der Culturgeschichte nur einigermaßen Kundige weiß, daß diese angebliche Unterdrückung seit dem letzten Jahrtausend bei den Culturvölkern des christlichen Europa’s gar nicht vorhanden war. Nicht in äußeren Zuständen, im Wesen des weiblichen Geistes liegt diese Unfähigkeit.«
»Die Möglichkeit, die Frauen am Studiren zu hindern, ist durchaus nicht vorhanden,« meint Herr v. Bischof.
Wir trauen unseren Augen nicht, indem wir Solches lesen. Das schreibt ein Mann, der in demselben Athem ausspricht (Seite 41 seiner Broschüre): »Ich bin fest entschlossen, weiblichen Zuhörerinnen zu meinen Vorlesungen niemals den Zutritt zu gestatten,« und der noch hinzufügt, daß er nicht zum Unterricht von Mädchen genöthigt werden könne.
Er selbst beweist die Ausschließung durch sein Thun, stellt dieses Thun als das einzige normale und richtige hin, nährt Verachtung gegen diejenigen Professoren, die den Frauen die Theilnahme an ihren Vorlesungen gestatten, und knüpft daran die Schlußfolgerung, daß gar nicht die Möglichkeit einer Behinderung des Frauenstudiums existire! Solchen Aussprüchen haben wir Nichts entgegenzusetzen, als maßloses Staunen. Sind denn wirklich gesunder Menschenverstand und Gelehrten-Verstand etwas diametral Entgegengesetztes?
»Nicht durch äußere Einflüsse, nicht durch Gewalt oder List sind sie gehindert worden, sich in gleichem Grade an der geistigen Arbeit zu betheiligen wie der Mann.«
Wenn eine Frau Jura studiren wollte – nicht wahr, Herr v. Bischof, so stand ihr Nichts im Wege, später einmal als Geheimräthin oder Präsidentin eine ihren Leistungen entsprechende Stellung zu finden?
Nach Absolvirung diplomatischer Studien durfte sie auf einen Gesandtschaftsposten rechnen, als Anatomin war ihr etwa eine Professur in München sicher – nicht so?
Wissen Sie, wie die Gewalten oder die Listen oder die äußeren Einflüsse heißen, die von jeher die Frauen von den Studien ausgeschlossen haben und sie noch heut ausschließen und ausschließen würden, selbst wenn die Universitäten ihnen ihre Pforten öffnen wollten?
Es sind deren viele; nur der vornehmsten unter ihnen will ich gedenken.
Die eine Form der Gewalt lautet: Die Frau kann ihre wissenschaftlichen Kenntnisse für ihre materielle Existenz nicht verwerthen. (Ausnahmsfälle kommen nicht in Betracht). Der Ausübung dieser Gewalt leihen Gesetz und Staatseinrichtung ihre volle Mitwirkung.
»Nichts hindert die Frau am Studiren, keine List, keine Gewalt u.s.w.«
Das ist genau dieselbe Vorstellungsweise, wie sie in jenem Gesetz der alten Aegypter in
Bezug auf die Frauen zu Tage trat. Jenes Gesetz heißt:
Erster Artikel. Die Frau ist berechtigt, zu gehen und zu kommen, wohin sie will.
Zweiter Artikel. Ohne Schuhwerk darf sie aber nicht ausgehen.
Dritter Artikel. Jedwedem Schuhmacher wird verboten, Schuhwerk an eine Frau zu verkaufen.
Ein analoges Gesetz à la Bischof müßte folgendermaßen abgefaßt sein:
Erster Artikel. Frauen dürfen studiren, was sie wollen und so viel sie wollen.
Zweiter Artikel. Die Universitätspedelle aber sind angehalten, sie von den Thüren der Universitäten und Akademien fortzujagen.
Dritter Artikel. Auf eine ihren Kenntnissen entsprechende Anstellung im Staate haben sie keinen Anspruch, dürfen sich aber in ihren Mußestunden durch Nähen, Frisiren u.s.w. die Mittel zu ihrer Existenz verschaffen.
Eine zweite Form der Gewalt, welche die Frauen in ihr geistiges Ghetto bannt, heißt: die Sitte.
Sitte und Gewohnheit sind mächtiger selbst als das Gesetz. Leichter wird Letzteres übertreten, als Erstere. Stehlen gehört, trotz der strengen Gesetze, die es verpönen, zu den beliebtesten sittlichen Extravaganzen der »niederen Klassen«.
Wann aber hätte man je gehört, daß in unserm Jahrzehnt ein Mann mit einem leichten seidenen Rock, der doch in den Sommermonaten viel bequemer wäre als der tuchene, und dem an und für sich durchaus keine auffallende oder provocirende Eigenschaft innewohnt, über die Straße gegangen wäre?
Sitte und Tradition heißt die dämonische Kraft, die seit Jahrtausenden schon die Frau in jenen engen Kreis bannt, den heut erst die Muthigsten zu überschreiten wagen.
Die Gewohnheit oder die Tradition ist ein Vampyr, der an der Brust der Menschheit ruht und ihr das beste Lebensblut fortsaugt. Ihr zaubergewaltiger Bann ist ein narkotisches Gift, dem selbst die freiesten Geister erliegen.
Was ist öffentliche Meinung? Wer fabricirt sie? – Die Menge, die Majorität, die Mittelmäßigkeit.
Und hätte es nicht in jedem Zeitalter kühne Geister gegeben, die sich losgerungen von dem Despotismus der Tradition und neue Adern des Denkens geöffnet, wir würden heute noch in den Pfahlbauten hausen.
»So lange«, sagt Stuart Mill, »ein Land oder ein Zeitalter hartnäckig darauf bestehen will, alles menschliche Benehmen, welches mit der Sitte oder der Mode des Tages nicht übereinstimmt, zu verdammen, so lange werden Abweichungen von der geraden Linie selten gewagt werden. Wir werden daher daran verhindert, zu wissen, in wiefern solche Abweichungen nützlich sein würden. Dadurch, daß wir den Versuch missbilligen, halten wir das Wissen auf. Deshalb, wenn auch aus keinem anderen Grunde, ist es rathsam, daß ungewöhnlichen Handlungen der weiteste Spielraum vergönnt werde; denn sie sollten als Prüfsteine geschätzt werden, vermittelst welcher wir ermitteln können, ob gewisse Dinge zweckmäßig seien oder nicht.«
Bis zu welchem Grade Gewohnheit und Vorurtheil Vernunft und Menschenliebe zu beherrschen im Stande sind, davon erzählt uns eine Engländerin ein tragikomisches Beispiel: Die Gattin des Seefahrers Patten führte das Schiff, als ihr Gatte an Bord gestorben war, kundig und sicher um das Kap Horn nach Californien. Eine alte Engländerin, als die Kunde dieser Kühnheit zu ihr drang, rief voller Indignation aus: »Schande über Mrs. Patten! Besser, alles Lebendige am Bord wäre zu Grunde gegangen, als daß eine Frau in solcher Weise aus ihrer Sphäre treten konnte!«
»Die Möglichkeit, die Frauen am Studiren zu verhindern, ist nicht vorhanden«, meinen die Professoren.
Sie, Herr v. Bischof, sind gewiß ein eminenter Anatom. Nun stellen Sie Sich vor, Sie wären in einer Schule, dem Abbild einer gewöhnlichen Mädchenschule, erzogen worden. Mit kaum sechzehn Jahren hätte man Sie dieser Bildungsanstalt enthoben, an den Nähtisch gesetzt, hinter das Plättbrett gestellt und in die Küche geschoben.
Wie und wann, Herr v. Bischof, glauben Sie nun wohl, wäre Ihr anatomischer Genius zum Durchbruch gekommen? Ob mit dem Bereiten eines Puddings der Verdauungsprozeß dieses Puddings in Ihrem Körper sich Ihrem ahnungsvollen Geiste physiologisch und anatomisch dargestellt hätte?
Ob bei dem Häuten eines Hasen plötzlich der Geist der Anatomie über Sie gekommen wäre – und aus heiler Haut hätten Sie angefangen, der staunenden Köchin die Unterschiede weiblicher und männlicher Hasenskelette zu erläutern? Ich möchte es bezweifeln; ich möchte eher glauben, daß Sie eine ebenso tüchtige Nähmamsell geworden wären, als Sie jetzt ein hervorragender Anatom sind.
Nie und nimmermehr kommt wissenschaftliche Erkenntniß wie eine Offenbarung über uns; ihr muß tiefes und gründliches Studium vorausgehen.
Cousin in seiner Geschichte der Philosophie sagt Voltaire’s: Le vrai roi du 18 e siècle c’est Voltaire; mais Voltaire à son tour est l’écolier de l’Angleterre. Avant que Voltaire eût connu l’Angleterre, soit par ses voyages, soit par ses amitiés, il n’était pas Voltaire, et le 18 e siècle se cherchait encore. – Locke est le vrai maitre de Voltaire.
Rousseau, sagt Villmain, tira des ouvrages de Locke une grande partie de ses idées sur la politique et l’éducation.
Von Mirabeau berichten seine Biographen, daß er seine Kraft großentheils dem sorgfältigen Studium der englischen Constitution zu verdanken hatte.
Daß Helvetius einen Theil seiner Ideen Mondeville und Locke entlehnt hat, ist stets behauptet worden.
Ein anderes Beispiel: Denken Sie Sich, Herr von Bischof, unser Friedrich Schiller wäre in seiner Feldscheer-Familie als kleine Friederike zur Welt gekommen. Was würde wohl Großes in der kleinen Mädchenschule zu Marbach aus dieser Friederike geworden sein?
Ich kann es mir lebhaft vorstellen! Schillers Riekchen hätte in der Schule beim schläfrigen Lese- oder Rechen-Unterricht, anstatt aufzupassen, ihre Bücher mit Versen beschmiert, und ahnungslos würde der Lehrer die sappho’schen Kleckse mit Fingerklopfen gestraft haben.
Riekchen hätte man oft unter einem Lindenbaum gefunden – träumend.
Riekchen hätte frühzeitig ihren guten Ruf verloren wegen verprudelter Handarbeiten und Ungeschicklichkeit beim Aalschlachten. Ihr wäre auch kein Mann zu Theil geworden; denn der Verdacht zukünftiger Blaustrümpfigkeit hätte jeden soliden Marbacher abgeschreckt. Riekchen wäre frühzeitig gestorben – an einem Herzfehler.
Keine Nachwelt würde, o Riekchen, deinen Namen nennen; und dennoch, so gut Raphael (nach Lessing), auch ohne Hände geboren, der größte Maler aller Zeiten gewesen wäre, ebenso gut wärst auch du die größte Dichterin Deutschlands gewesen, wenn auch ungedruckt.
Wie viel große Unbekannte weiblichen Geschlechtes mögen in diesem, dem Lessing’schen Sinne, auf unserer Erde gewandelt haben, ohne eine Spur ihres Daseins zu hinterlassen! Mit verschlossenen Lippen steigen die meisten Frauen ins Grab.
Wiederum ist es Stuart Mill, der zu diesem Theil der Frauengeschichte einen kleinen Beitrag liefert. Die ganze civilisirte Welt kennt diesen Denker. Wer aber kennt seine Gattin? höchstens die ihr ganz nahestehenden Kreise; und doch sagt Stuart Mill, an dessen vollkommenster Aufrichtigkeit zu zweifeln eine Unverschämtheit wäre, von dieser Frau: »Was ich ihr selbst in rein intellectueller Hinsicht verdanke, ist in seinen Einzelnheiten fast endlos. Die geistigen Wohlthaten, welche sie mir erwies, waren weit größer, als alle, die ich ihr zu erweisen hoffen konnte...... In beiden Sphären des Denkens habe ich von meiner Frau mehr gelernt, als aus allen anderen Quellen zusammengenommen. Ihr Geist war in den höchsten Regionen der Spekulation das gleiche vollkommene Werkzeug, wie in den kleinen praktischen Angelegenheiten des täglichen Lebens: er drang stets mitten in’s Herz und Mark der Sache, ergriff allemal ihr Wesen. Die Genauigkeit und Schnelligkeit des Verfahrens, sowohl in ihrem Fühlen als in ihrem Denken, hätte sie bei ihrer mächtigen Phantasie zu einer vollendeten Künstlerin ausgerüstet; ihre feurige und zarte Seele und ihre kraftvolle Beredsamkeit sie zu einer großen Rednerin gemacht; ihre tiefe Kenntniß der menschlichen Natur endlich und ihre scharfe Unterscheidungsgabe im praktischen Leben ihr in Zeiten, wo solch eine Laufbahn für Frauen offen stand, einen hervorragenden Platz unter den Beherrschern der Menschheit verschafft. Ihre Geistesgaben waren indessen nur die Diener des edelsten und harmonischsten sittlichen Charakters, dem ich im Leben begegnet bin.«
Als Mill von Carlyle spricht, bemerkt er: Während er selbst sich nie getraut, über Carlyle’s intuitive Dichternatur ein Endurtheil zu fällen, habe er sein Wesen klar erkannt, nachdem es ihm enthüllt worden »durch Eine, die uns Beiden weit überlegen war, die ein größerer Dichter war als er und ein größerer Denker als ich, deren eigener Geist und Natur die seine und weit mehr einschloß.«
Tief eingewurzelt ist der Widerwille der Männer, die Frau auf geistigem Gebiet anzuerkennen. Unter den verschiedenen Schriftstellern verschiedener Nationen, die Mill’s Selbstbiographie besprochen haben, und die ich durchblättert, ist mir nicht Einer vorgekommen, der dieses Urtheil über Mrs. Mill schweigend hingenommen hätte. Die begeisterten Aussprüche des Philosophen über seinen Vater zweifelt Niemand an; aber selbst diejenigen Kritiker, die das Höchste und Beste von Mrs. Mill denken, können sich beim Lesen solcher Stellen des Eindrucks nicht erwehren, wie es in einem Aufsatz der »Neuen Zeit« heißt: daß der Dichtergeist einer leidenschaftlichen Liebe dem Philosophen die Feder führte.«
Eine leidenschaftliche Liebe! Mill’s Gattin war Jahre lang zuvor als eine ältliche Frau gestorben. Sonderbare Männer! Ehe sie einer Frau Geistes- und Charaktergröße zugestehen, eher glauben sie an das Wunder einer Liebesleidenschaft für eine ältliche Dame!
Ich will nun noch in der Kürze einiger Detailgründe gedenken, die auch heut noch (von früheren Zeiten gar nicht zu reden) dem Studiren der Frauen fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen.
Erstens. Ein Mädchen muß sich ihre wissenschaftliche Ausbildung durch Privatunterricht aneignen. Ein solcher Unterricht ist bekanntlich sehr theuer.
Schwerlich würden Sie, Herr v. Bischof, oder einer ihrer Collegen einem wißbegierigen Mädchen das Geld für ihre Privatissima vorschießen, oder den Unterricht umsonst ertheilen. Sie würden ihr auch das Geld nicht stunden, da die Frau keine Aussicht hat, durch spätere Anstellung ihre Schuld an die Herren abzutragen.
Ergo: die Aneignung wissenschaftlicher Kenntnisse ist nur reichen Mädchen gegönnt (vorausgesetzt, daß sich unter den vornehmen Herren der Wissenschaft solche finden, die sich überhaupt herablassen, Mädchen zu lehren). Reiche Mädchen sind in der Regel aber wenig geeignet (das »Warum« würde mich hier zu weit führen), die herrschende Tagesmeinung zu verlassen.
Zweitens. Ein Mädchen, das studiren will, muß den Nachweis außergewöhnlicher Begabung führen (da sie ein außergewöhnliches Recht beansprucht, verlangt man auch eine besondere Legitimation zu diesem Recht) – mit Unrecht, wie mir scheint. Auch einem Mädchen, das geringes Talent zeigt, muß die Universität, wie jedem unbegabten Jüngling, geöffnet sein, und jegliche Lehranstalt sobald sie studiren will.
So will es die Gerechtigkeit, so wollen wir es, die Frauen, kraft unsers Rechts auf individuelle Freiheit und kraft unsrer Menschenwürde.
Auch das einseitig begabte oder unbedeutende Mädchen ist veranlagt, wie wir es an der Mehrzahl der Männer sehen, durch tüchtige Kenntnisse und gewissenhaften Fleiß eine ehrenvolle und würdige Stellung in der menschlichen Gesellschaft zu erringen, anstatt mit Handarbeiten sich langsam aus dem Leben zu hungern.
Drittens. Eine außergewöhnliche Begabung hilft dem Mädchen zuvörderst sehr wenig, wenn sie nicht mit einem zugleich energischen und ungewöhnlich edlen Charakter verbunden ist.
Es bedarf eines durchaus edlen Sinnes, um dem bequemen und amusanten Schlendrian, wie ihn ein Mädchenleben zwischen dem 16. und 24. Jahre mit sich bringt, um eines idealen Zieles willen zu entsagen. Nur ein edler Sinn scheut nicht, um der reinen Liebe zur Arbeit willen, den Conflikt mit der Umgebung, scheut nicht Spott und Mißbilligung.
Es bedarf einer starken Energie, um den Kampf mit dem Vorurtheil und der Sitte aufzunehmen und zu bestehen.
Der Knabe bedarf der Energie und des edlen Sinnes keineswegs; er im Gegentheil setzt sich dem Staunen und der Geringschätzung aus, wenn er sich der Erwerbung von Kenntnissen, seien es nun mechanische oder wissenschaftliche, ohne außergewöhnlichen Grund entzieht. Der Ehrgeiz und die Eitelkeit der Eltern spornt manchen armen dummen Jungen nur zu oft über seine Kräfte an.
O heilige Einfalt! Ein Vater hat zwei Kinder, Peter und Else. Peter ist dumm, aber der Vater ist Geheimrath, und der dumme Peter muß studiren, er mag sich die Seele ausschwitzen und seine frische Jugend in einem jammervollen Gemisch von Thränen, Dinte und Katzenköpfen hinbringen, um später als reifer Mann und Staatsbeamter den Fortschritt der Civilisation nach Kräften zu hemmen.
Else ist klug wie der Tag. »Schade«, seufzt der Vater, »daß sie nicht ein Junge ist!« – und räumt sorglich alle Gegenstände fort, die zur Entwicklung dieses Luxus-Verstandes dienen könnten.
Hat Else Temperament, so wird sie in den meisten Fällen ihre Verstandsüberschüsse zur möglichsten Kräftigung ihrer Thorheiten anwenden.
Das Mädchen braucht noch mehr. Ihr muß zu Gebote stehen eine Originalität des Denkens, ich möchte fast sagen: eine Divination, vermöge welcher sie ihren Beruf für die Wissenschaft vorausahnt; denn die oberflächliche Mädchenschulbildung eröffnet ihr keinen Ausblick in das Land der Wissenschaft.
Erst in späteren Jahren pflegt durch Lektüre oder durch den Verkehr mit gescheiden Männern die Denkkraft des Weibes sich zu entwickeln, in den meisten Fällen natürlich viel zu spät, um die Grundsteine zu einer, für wissenschaftlichen Beruf nothwendigen Bildung herbeizutragen, - eine Arbeit, welche die Frische der Jugend erfordert.
Ferner ist zu beachten: die innere Entwicklung der Menschen ist eine sehr verschiedene. Selbst die höchst Begabten zeigen nicht immer in früher Jugend ihre genialen Anlagen.
Wir wissen aus der biographischen Literatur von berühmten Männern, die auf der Schule keineswegs unter ihren Mitschülern hervorragten. Newton z.B. wurde wegen seiner scheinbar geringen Fähigkeiten von seiner Mutter für die Landwirthschaft bestimmt.
Für manche Naturen ist das Studium selbst erst der Funke, an dem ihr schlummernder Geist sich entzündet.
Mädchen, deren Geistesblüthe in solcher Weise sich zu entfalten von der Natur bestimmt war, werden nie erblühen; niemals wird der Funke dem brennbaren Stoffe ihres Geistes nahe gebracht, und die Flamme des Genius kann nicht emporschlagen.
Unter den begabten Mädchen wird man höchstens auf die sogenannten Wunderkinder achten, die sich von früh an auszeichnen.
Besäße nun aber ein Mädchen alle die ausgezeichneten Charakter- und Geisteseigenschaften, die ihr zum Studiren nöthig sind: angeborene divinatorische Liebe zu den Wissenschaften, den Fleiß der Biene, Edelsinn, Energie, Geld u.s.w., so würde all dieser Luxus der Natur und des Glückes ihr gar nichts helfen, wenn das Geschick ihr nicht zugleich auch Eltern geschenkt hätte, einen Vater und eine Mutter, die jedes Vorurtheils bar, ungefesselt von der Sitte, die Tochter in ihren Bestrebungen unterstützten.
Die Tochter ist, einfach schon aus pekuniären Rücksichten, mehr noch durch Sitte und Gesetz durchaus von den Eltern abhängig.
Soll man nun dem Schicksal die scharfsinnige Combination zutrauen, daß es den begabtesten Mädchen auch immer die einsichtigsten und vorurtheilsfreiesten Eltern schenkt?
Nehmen wir aber an, daß eine göttergleiche Gunst des Geschickes dem Mädchen auch diese Bedingung für eine wissenschaftliche Laufbahn erfüllt hätte – dennoch, trotz alledem und alledem wird eine zärtliche und weltkluge Mutter, trotz ihrer richtigen Erkenntniß, davor zurückzuschrecken, ihre Tochter dem Studium zu widmen, sie etwa auf eine Universität zu schicken, und zwar aus guten Gründen.
Wir leben in einer Zeit des Ueberganges. Nur eine geringe Zahl von Frauen hat bis jetzt die Bahn der Emancipation beschritten (das Contingent, das Deutschland gestellt hat, ist verschwindend klein). Ein Theil dieser Frauen sind muthige Vorkämpferinnen, Pioniere, die in einen Riß springen, die eine Kluft füllen, auf daß folgende Generationen bequem darüber fortschreiten können.
Und eine zärtliche Mutter sollte nicht Scheu tragen, ihre Tochter auf einen Kampfplatz zu entsenden, und sie der Mißbilligung und dem Spott auszusetzen, den ungewöhnliches Thun hervorruft? dem Neide, wenn sie große Erfolge erringt? Wird sie nicht zweifeln, ob das Kind dem Kampf gewachsen sei?
So schwer sind diese Bedenken und die Last der Verantwortlichkeit, die auf der Mutter ruht, daß in den meisten Fällen wohl nur die leidenschaftliche Initiative der Tochter die Erlaubniß der Eltern erzwingen wird.
Manche der in Zürich studirenden Damen mögen solche heldenmüthige Mädchen von feuriger Initiative sein. Andere sind wohl familienlose Waisen, oder Frauen, denen der wissenschaftliche Beruf neben der geistigen Freiheit und Freude zugleich die Erlösung von unerträglichen äußerlichen Verhältnissen bedeutet.
Möglich, daß wenige Jahrzehente genügen werden, einen vollständigen Umschwung der öffentlichen Meinung herbeizuführen.
Ein anderer Grund, der die Billigung der Eltern bei den wissenschaftlichen Bestrebungen der Tochter, selbst wenn sie principiell mit ihr übereinstimmen, lähmen muß, ist der schon angeführte: die Tochter kann ihre Kenntnisse für ihre materielle Existenz nicht verwerthen.
Seite 41 hat zwar Herr v. Bischof seinen Entschluß verkündet, niemals eine weibliche Zuhörerin zu acceptiren; in einer anderen Abhandlung aber fühlt er ein menschlich Rühren und sagt wörtlich: »Warum sollte man nicht (wo es sich nicht um ein Princip handelt) da und dort einer interessanten, intelligenten, auch hübschen Frau gestatten, eine Vorlesung über irgend eine unverfängliche Disciplin zu besuchen?« Und der Bonner Professor: »Einzelne Männer sind selten im Stande gewesen, einer lernbegierigen und nicht unliebenswürdigen Schülerin ihre Theilnahme und Hülfe zu versagen.« (Wie sich der Herr Professor wohl eine Scene vorstellen mag, wo ein schüchternes junges Mädchen einzelne Herren um Hülfe und Theilnahme in ihren geistigen Nöthen anspricht?)
Durch solche harmlose Plaudereien lassen uns die gelehrten Herren einen Blick in die Tiefe ihrer Auffassung thun. Ich klage diese Herren an, daß sie durch solche Aussprüche die Würde der Wissenschaft verletzen – ich klage sie an der Frivolität; denn das Seelenheil eines Menschen, die Entwickelung seiner göttlichen Natur machen sie davon abhängig, ob für sie, die Lehrer, ein kleines Procent sinnlicher Annehmlichkeit dabei abfällt. Ich klage sie an und denuncire sie – nein, ich denuncire sie nicht, ihre lieblose, erzdespotische, schauderhaft egoistische Gesinnung spricht laut genug durch ihre eigenen Worte.
Gerade nach der Anschauungsweise dieser Männer müßte man den Häßlichsten und Unliebenswürdigsten am ehesten das Studium gestatten wegen ihrer geringeren Chancen, einen Ernährer zu finden.
Der Mangel an Vorbildung wird oft als triftiger Grund angeführt, um die Frauen von der Universität fern zu halten.
Daß dieser triftige Grund ein Vorwand ist, beweist folgende Thatsache: Vor einem halben Jahre hat man in Berlin eine Akademie für neuere Sprachen eröffnet, zu der Jedermann, selbst der unwissendste Elementarlehrer Zutritt hat. Das weibliche Geschlecht ist selbstverständlich ausgeschlossen worden, trotzdem man von jeher seine Begabung für moderne Sprachen betont hat.
»Aber Niemand hat die Frau am Studiren gehindert!« Der Professor sagt’s, und der Professor ist ein ehrenwerther Mann.
Der englische Gelehrte Newman berichtet: Wo Geldvermächtnisse angewiesen worden sind für erziehliche Zwecke ohne Unterschied des Geschlechtes, sind Mädchen durch männliche Anwälte ausgeschlossen worden; ja, das Parlament, indem es Gelder für Erziehung bewilligte, hat sehr oft vergessen, daß Mädchen überhaupt existiren.
Hildegundis im 12ten Jahrhundert, die werthvolle Schriften hinterließ, legte, weil sie keine Gelegenheit fand, etwas Tüchtiges zu lernen, Mannskleider an und ließ sich in einem Cisterzienserkloster als Mönch einkleiden.
»Niemand hat die Frauen am Studiren gehindert!«
Es geht die Rede, daß die Ausübung der Kunst den Frauen besser zu Gesicht stände, als die der Wissenschaft, und dennoch hat man ihnen auch den Eintritt in dieses Land genügend verbarrikadirt.
Im 17. und 18. Jahrhundert durften allerdings in Frankreich Malerinnen zu Mitgliedern der Akademie ernannt werden, und in den Akten der Akademie finden wir in der That eine große Zahl weiblicher Mitglieder verzeichnet.
Als das Consulat die durch die Revolution zerstörten Akademien wieder herstellte, forderten die alten Mitglieder das Recht der Ausschließung der Frauen, ohne selbst Mde. Lebrun auszunehmen. Diesem ebenso noblen wie gerechten Verlangen wurde natürlich gewillfahrt.
Sonderbar, daß man die Malerei für eine, dem weiblichen Geschlechte weniger zusagende Kunst hält, als die Musik.
Unsere Hochschule in Berlin z.B. ist jedem talentvollen Mädchen zugänglich, unsere Zeichen- und Maler-Akademie ist ihnen verschlossen.
Und doch – müßte es nicht umgekehrt sein?
Die Malerei ist eine Kunst, die im Hause geübt werden kann. In dieser Kunst wirken die Leistungen an und für sich, die Persönlichkeit des Künstlers bleibt völlig im Hintergrunde. Die Mädchen dagegen, die sich in der Musik ausbilden, verwerthen ihre Kenntnisse und Talente zum weitaus größten Theil als Opern- und Concertsängerinnen oder Virtuosinnen; sie bilden sich also für das verpönte öffentliche Auftreten aus. Vergebens habe ich mich besonnen, nach welchem Princip der Staat den Frauen die Zeichen- und Maler-Akademie verschließt und ihnen die Musikschule öffnet – denn von einem Staat läßt sich nicht annehmen, daß er gleich einem Privatunternehmer nach Willkür verfahre, und noch viel weniger dürfen wir ihn beschuldigen, daß, wo es sich um die Pflege der Kunst handelt, das Amusement des Publikums etwa einen Faktor in seinen Entschließungen bilde.
Ein Knabe wird fast unentgeltlich (ich glaube, der Preis beträgt 4 Thlr. halbjährlich) auf der einen Seite roh in die Akademie hineingeschoben, und gar kommt er auf der anderen Seite als fertiger Künstler wieder heraus.
Und die Mädchen? – Bis vor wenigen Jahren gab es für sie überhaupt keine Möglichkeit eines systematischen gründlichen Zeichenunterrichtes. Seit einiger Zeit hat nun allerdings ein Verein von Künstlerinnen in Berlin eine Zeichenschule gegründet, die aber von vornherein den Zweck, Künstlerinnen auszubilden, verfehlt, weil sie viel zu theuer ist. Für 12 Thlr. monatlich ist es den Mädchen gestattet, in den Vormittagsstunden von 10-1 Uhr sich mit Zeichnen zu beschäftigen.
Die Weimarische Malerin Louise Seidler erzählt in ihren Memoiren, mit welchen Schwierigkeiten ihre Freundin, die ihrer Zeit recht berühmte Malerin Maria Ellenrieder zu kämpfen gehabt. Der Direktor Langer in München hatte sich auf keine Weise herbeilassen wollen, Maria Ellenrieder aufzunehmen, bis endlich nach langer Zeit ihre Thränen, unter denen sie ihm vorstellte, wie ihre Taubheit sie zu jedem anderen Berufe unfähig mache, sein Herz erweichten.
Maria mit einem guten Gehör hätte verhungern können! Schade, daß man nicht auf den hübschen Pendant-Einfall gekommen, ein weiblicher Musiker müsse blind, eine Lehrerin lahm, eine Telegraphistin bucklig sein, um ihre Funktionen auszuüben.
Gleich den Bettlern scheinen die Frauen einiger Gebresten zu bedürfen, um das öffentliche Mitleid zu erregen und damit man ihnen Lehre und Unterricht als ein Almosen hinwerfe.
Louise Seidler erzählt ferner, daß ihr Vater, ein kluger Mann, die theuren Mal-Lektionen für sie nicht bezahlen wollte, und sie musste nähen, stricken, sticken, oft bei Nacht, zu jämmerlichen Preisen, und auf diese Weise erwarb sie sich das Geld für ihren Unterricht. Sobald aber ihr Lehrer eine Nebenbuhlerin auf dem Gebiete der Portraitmalerei in ihr argwöhnte, kündigte er ihr die Stunden auf, so daß sie, wie sie sagt, sich wieder auf ihren eigenen Instinkt angewiesen sah.
»Aber Niemand hat die Frauen am Studiren gehindert!«
Mit welchem Rechte unterfangen wir uns, wir, die wir die aktive Theilnahme der Frau an Kunst und Wissenschaft für eine moralische Unziemlichkeit halten, - geringschätzend auf die Orientalen herabzublicken, die die Europäerinnen der Frechheit beschuldigen, weil sie Besuche von Männern empfangen und unverschleiert einhergehen?
Mir erscheint die eine Anschauungsweise genau so absurd wie die andere.
Vom Studirendürfen kann in Bezug auf die Frauen bis jetzt nur in Amerika die Rede sein.
Dort, so berichtet C. Hippeau, hat im Jahre 1868 der Präsident der Universität von Michigan erklärt, die Legislatur des Staates habe entschieden, daß der hohe Zweck, um dessentwillen die Universität Michigan gegründet worden sei, nur erreicht werde, wenn die Frauen »an den Rechten und Privilegien der Universität participirten.«
Die Frau also darf und durfte bis jetzt nicht studiren, oder doch nur unter so erschwerenden Umständen, daß diese einem gesetzlichen Verbot gleich kamen.
Man ließ und läßt die armen Frauen schlafen. Sie unterrichten, hieße: sie wecken. Sollte das schöne Märchen vom Dornröschen eine Allegorie auf das Frauenthum sein? Der Stich einer Spindel versenkte Dornröschen in einen vielhundertjährigen Schlaf. Die Spindel aber ist ein Symbol des Hauses und der häuslichen Arbeiten.
Laßt sie nur immer wachsen, die dornigen Hecken! Der Prinz (die Wissenschaft) wird dennoch kommen, er wird kommen und sie wecken mit seinem Feuerkuß.
Die Herren Professoren mussten selbstverständlich die Frage, ob Frauen studiren dürfen, bejahen. Wie wären sie sonst im Stande gewesen, mit so unbedingter Sicherheit, mit so absoluter Gewißheit der Frau die Fähigkeit zum Studiren abzusprechen?
Hören wir zuerst, wie der Professor der Philosophie das geistige Unvermögen der Frau beweist.
Er thut zuvörderst wiederum einen tiefen Blick in die Culturgeschichte, und diese offenbart ihm als ersten Beweisgrund: Die Leistungen der Frauen sind bisher hinter denen der Männer zurückgeblieben, also müssen auch ihre Fähigkeiten beschränktere sein.
Daß diese Leistungen an und für sich, ohne gewissenhafte Erwägung der socialen, politischen und geschichtlichen Verhältnisse, unter denen sie entstanden sind, keine Beweiskraft haben, darin dürfte wohl die Majorität der Denkenden mit mir übereinstimmen.
Es ist den Frauen unaufhörlich eingeschärft worden: für Euch denken die Männer, - daß sie schließlich aufgehört haben zu denken. Lange Reihen von Frauengenerationen sind unter dem Drucke der Verachtung ihrer Intelligenz aufgewachsen, und natürlich haben sie Manches gethan um diese Verachtung zu rechtfertigen. Und wo eine auserwählte Frauenseele, voll glühender innrer Lebenskraft, dieser Verachtung entgegentretend, die Schwingen entfaltete, da hat sie der Ostracismus der Gesellschaft getroffen, und in vielen Fällen wäre der Schmetterling gern wieder als Puppe in sein stilles Gefängniß zurückgekrochen. Wahrlich das größte aller Wunder wäre es, wenn die Leistungen der Frauen nicht hinter denen der Männer zurückgeblieben wären.
Mit mehr Wahrscheinlichkeit ließe sich behaupten, daß die Neger, die seit Jahrtausenden die wüsten Steppen Afrika’s durchschwärmen, menschenfressend, aller Cultur baar, Thiermenschen seien, für Zeit und Ewigkeit zum Menschenfressen prädestinirt.
Und nun blicken wir nach Amerika!
Die Stammverwandten jener Kannibalen sind dort seit kaum zwanzig Jahren emancipirt, und die Resultate, die sich uns aufdrängen, grenzen ans Wunderbare.
Ich selbst habe in Rom die Tochter einer schwarzen Sclavin gekannt, die eine ausgezeichnete Bildhauerin ist, und die mir auch sonst in keiner Weise dummer erschienen ist als andere Menschenkinder.
Mit welchem Staunen erfüllt uns heute Japan, das aus einem tausendjährigen Schlummer zu erwachen scheint.
»Die Frau soll nicht studiren, weil ihre Fähigkeiten beschränkt sind.«
Schreiben Frauen schlechte Bücher und malen sie garstige Bilder, so ist das die Sache der Buch- und Kunsthändler und der Recensenten. Ihnen aber die literarischen und künstlerischen Mißgriffe Einzelner als ein Geschlechtsverbrechen anrechnen und sie auf Grund derselben zu ewiger geistiger Unmündigkeit verdammen zu wollen, ist eine – hochmännliche Absurdität.
Zweiter Beweisgrund. »Drei Frauen, von denen der Professor zuversichtlich weiß, daß sie die beste Förderung ihres geistigen Strebens fanden, die sie zu ihrer Zeit wünschen konnten: Olympia Morata, Frau Dacier und Anna Maria Schurrmann, haben dennoch, wie er sagt, der Wissenschaft keine wesentliche Förderung gebracht.« Immerhin aber müssen diese Frauen recht bedeutend gewesen sein; denn er selber theilt mit, daß Schriftsteller wie Bayle und Voltaire ihnen Bücher widmeten, daß die ersten Männer der Zeit sich den Umgang mit ihnen zur Ehre schätzten, daß berühmte Reisende sie aufsichten u.s.w.
Nehmen wir aber einmal an, der Professor hätte Recht und die Frauen wären außer Stande, der Wissenschaft eine wesentliche Förderung zu bringen, so müßten sie dennoch studiren. Die Grenzen der Wissenschaft zu erweitern, der Menschheit neue Gesichtskreise zu eröffnen, ist nur außergewöhnlichen Menschen gegönnt, die wir als Genies zu bezeichnen pflegen. In Geistern wie Newton, Keppler, Lamark, Darwin gipfelt nur die Schaffenskraft der Natur, und es erfordert die geistige Oekonomie eine große Zahl kluger und umsichtiger Arbeiter, um Jenen die Wege zu bahnen.
Die erhabene Lehre Christi wäre ohne seine Apostel untergegangen. So braucht jede Wissenschaft ihre verständnißvollen Jünger, um sie auszubreiten, zu lehren, zu erläutern und um sie im Einzelnen zu vermehren. Geister ersten Ranges findet man auch unter den Männern nur in einzelnen Exemplaren.
Untersagt man der Frau das Studium auf Grund ihrer ungenügenden Geisteskräfte, so müßte man auch allen mittelmäßig begabten und unbedeutenden Männern (von den Dümmerlingen gar nicht zu sprechen) die Universitätspforten vor der Nase zuschlagen.
Der gelehrte Herr spricht der Frau die Fähigkeit ab, auf dem Gebiete der Kunst, Wissenschaft und Politik etwas Bedeutsames und Epochemachendes zu leisten.
Sollte man nicht voraussetzen, daß ein Professor der Philosophie die Geschichte der Elisabeth von England, der Katharina von Rußland, der Isabella von Kastilien kenne? Was verlangt er denn von einer politischen Leistung?
Dasjenige Buch, das in unserm Jahrhundert den weitgreifendsten Einfluß auf die sociale Welt geübt hat, ist das Buch einer Frau gewesen: Onkel Tom. Die Präsidentschaft Lincolns ist aus »Onkel Toms Hütte« hervorgegangen. Der größte Prosaiker unseres Jahrhunderts vielleicht ist eine Frau: George Sand. Der größte Romanschriftsteller der Gegenwart ist, wenigstens meiner Meinung nach, George Elliot, eine Frau.
Solon wollte ein Lied der Sappho noch in seinem Alter lernen, um fröhlicher sterben zu können. Ein geistreicher Feuilletonist der Nationalzeitung nennt freilich diese Sappho »ein älteres blaustrümpfiges Frauenzimmer.« Schade, daß der Grieche von der Correktur des Berliners nicht mehr profitiren kann. Seltsam, daß man es Frauen stets so übel anrechnet, daß sie mit den Jahren älter werden. Ob es züchtige Gesinnung und edle Denkart ist, welche die »alte Frau« so gerne in den gesellschaftlichen Kehricht wirft?
Der Ausspruch des Professors könnte nur, wo es sich um deutsche Frauen handelt, eine bedingte Anwendung finden.
Aus der Naturverschiedenheit der Geschlechter leitet der Bonner Herr die Nothwendigkeit verschiedener Arbeitsgebiete für Mann und Frau ab.
Er gesteht der Frau nicht nur scharfes logisches Denkvermögen zu, sondern auch außergewöhnliche Willenskraft und schöpferischen Geist; er spricht ihr aber die andauernde Kraft ab, diese Fähigkeiten durch bedeutsame Leistungen zu bethätigen.
Ist das nicht gerade, als ob mir Jemand sagte: du hast die normalsten, kräftigsten Beine, die sich nur ein Mensch wünschen kann; sobald du dich aber ins Weite damit wagst, knicken sie dir um.
Ich danke für diese Kräftigkeit!
In einem alten Märchen haben die Feen einem jungen Prinzen alle möglichen herrlichen Eigenschaften verliehen. Eine war nicht eingeladen. Ich kann, sagte sie, die Gaben meiner Schwestern dem Prinzen nicht nehmen, aber ich will sie unnütz machen.
Eine allegorische Anspielung auf das Geschick der Frauen! Wir besitzen alle Seelenschätze der Welt; sie haben nur einen Fehler: sie nützen uns nichts.
Die Formel, in die der Professor wiederholentlich seine Ansicht von der Naturverschiedenheit der Geschlechter zusammenfasst, lautet: »Die Seelenkräfte bei beiden Geschlechtern sind gleich, nur in dem Verhältniß der Seelenkräfte zu einander liegt der Unterschied.« Wer versteht diesen Ausspruch des Philosophen? Ich nicht. Die Frau hat, nach ihm, ebensoviel Verstand, ebensoviel Willen, ebensoviel Gefühl, als der Mann, aber – die Ehe dieser Seelenkräfte, die bei dem Manne fröhliche Nachkommenschaft erzeugt, bleibt bei ihr kinderlos.
Vielleicht stellt sich der Professor das Arbeiten der weiblichen und männlichen Seelenkräfte in folgender Weise vor: Während bei dem Manne diese Kräfte, wie Räder einer festgefügten Maschine, immer zu rechter Zeit und zum rechten Zweck in einander greifen, haben die Kräfte der Frau etwas Kometenhaftes; plan- und regellos würden sie am Horizonte ihres Seelenlebens umhertreiben oder sich wohl gar auf revolutionäre Umtriebe einlassen, wenn der Mann, der weise, nicht mit seinem unfehlbaren Geiste in den wilden Tanz der Kohlen-, Stick-, und Sauerstoffe des weiblichen Gehirns Plan und Ordnung brächte.
Oder denkt er sich die praktische Anwendung dieser so verschieden gemischten Seelenkräfte etwa so:
Der Mann braucht zu einer Handlung 2/4 Verstand, 1 ½ Viertel Willen und als Zuthat oder Gewürz ½ Viertel Gefühl und – siehe da: die Mischung war richtig, und herrlich steht die vollendete Handlung vor ihm da.
Die Frau hingegen braucht zu derselben Handlung 1 Viertel Willen, ½ Viertel Verstand und 2 ½ Viertel Gefühl; eine so ungeschickte Mischung, als wollte sie zu einer Torte 3 Viertel Theile Rosinen und 1 Viertel Teig verwenden.
Natürlich geht die Handlung nicht auf, sondern mißräth vollständig.
Was verstehen wir unter Gesundheit der Seele?
Ich verstehe darunter ein annäherndes Gleichgewicht der Kräfte, aus dem die Harmonie erblüht. Allzugroßes Uebergewicht der einen Kraft erstört die Harmonie und erzeugt krankhafte Erscheinungen. Und so, in der That, erscheint die Frau dem Denker Michelet und seinen Anhängern als ein krankhaftes Exudat Gottes.
Im Verlauf seiner Abhandlung weist nun der Philosoph den herrlichen Seelenkräften der Frau diejenigen socialen Lokalitäten an, in denen er ihnen Bewegung und Wirksamkeit gestattet. Er sagt: »Die Frau ist willensstark in allen Fällen lebhafter Gemüthsbetheiligung. Sie besitzt diese Willensstärke aber nur, so lange sie sieht, daß von dem Bewahren dieser Kraft das Glück ihres Hauses abhängt. Dasselbe Gefühl giebt ihr Willenskraft genug, die Lasten und Schmerzen der Geburt zu ertragen.« (Nun, mein Herr Professor, und wenn sie nicht die Willenskraft hätte, diese Lasten und Schmerzen zu tragen, glauben Sie, daß der junge Weltbürger es sich würde gefallen lassen, nicht geboren zu werden?)
»Im Gedränge des Berufslebens aber ist es oftmals nothwendig, daß der Wille Kraft hat ohne Gemüthsbeteiligung, das von der kalten Pflicht oder dem nackten Bedürfniß Geforderte zu thun; es ist daher naturgemäß, daß ihre eigentliche Wirkungssphäre nicht in den Kreisen des öffentlichen Lebens gesucht werden kann, in denen die üblen Folgen eines durch Gefühlsrücksichten irregeleiteten Verstandes auch Andere leicht in Mitleidenschaft ziehen können und deshalb schwer wiegen müssen.«
»Die Frauen sind nur willensstark in allen Fällen lebhafter Gemüthsbetheiligung.«
Sollte das nicht annähernd von allen Menschen gelten?
Müßten wir nicht blödsinnig sein, wollten wir unsere ganze Willenskraft an die Erreichung eines Zieles setzen, das wir nicht inbrünstig wünschen?
Und wie sollen wir Etwas inbrünstig wünschen, ohne unser Gemüth dabei zu betheiligen?
Mit eiserner Willenskraft setzte Luther seine großen Reformen ins Werk. War sein Gemüth etwa unbeteiligt dabei?
Im Gegentheil, ich glaube, es war eine einzige lodernde Flamme.
Als Napoleon bei der Niederwerfung Europa’s einen fast übermenschlichen Willen entfaltete, da war es wiederum nicht eine abstrakte Verstandeskraft, die ihn über die Schlachtfelder jagte, sondern glühende, verzehrende Herrschsucht.
Pflegen gigantische Leidenschaften dem kalten Pflichtgefühl zu entspringen?
Ich glaube fast, es ist dasselbe unberechenbare Gemüth, das einen Menschen antreibt, den Kopf seines Kindes an seine Brust und die Köpfe seiner Feinde unter die Guillotine zu legen.
Die Anwendung einer starken Willenskraft ohne lebhafte Gemüthsbetheiligung erscheint brutal oder gespenstisch, ich muß dabei an das Schwert eines Scharfrichters denken. Nur reine Geister oder verthierte Menschen können sie üben.
»Wegen ihres durch Gefühlsrücksichten leicht irregeleiteten Verstandes ist die Wirkungssphäre der Frauen nicht in den Kreisen des öffentlichen Lebens zu suchen.«
Wodurch aber, wenn ich fragen darf, werden denn nun die Männer im öffentlichen Leben irregeleitet?
Nur durch Dummheit?
Wäre es nun nicht ganz gleichgültig für das Wohl des Staates und der Gesellschaft, ob die Fehler und Verbrechen der Männer im Berufsleben dem Gehirn oder dem Herzen, einem Gefühlsübermaß oder der Gefühllosigkeit ihren Ursprung verdankten?
Oder, Herr Professor, geht Ihre Meinung dahin, daß Männer als Staatsbürger im Allgemeinen nicht irregeleitet werden, und daß dieses starke Geschlecht aus reinen Geistern besteht, die in der Fabrik des Staatslebens nur Tugenden fabriciren und höchstens das Haus als eine Niederlage betrachten, wo sie ihre Sünden en gros und en détail um jeden Preis an Frau und Kinder losschlagen? (Bildlich gesprochen natürlich.)
Blicken Sie um sich, Herr Professor! Sie gewahren kein Gebiet männlicher Thätigkeit, auf dem nicht abwechselnd Haß und Parteileidenschaft, maßlose Eitelkeit, Ehrgeiz, Rache, Aberglauben und Genusssucht ihr wüstes Spiel treiben.
Man hat mir gesagt, daß ältere ernste Männer der Wissenschaft in Haß gegeneinander entbrennen und sich Marktweibern gleich mit Schimpfworten überhäufen, weil sie zufällig über die Entstehung des Nibelungenliedes nicht miteinander einverstanden sind.
Ich erinnere meine Leser an den tragischen Vorgang in der Bartholomäusnacht, wo ein sehr geachteter Philosoph seinen Collegen, den Hugenotten La Ramée, gegen den er, wegen Meinungsverschiedenheit über Aristoteles, in leidenschaftlichem Haß entbrannt war, in seinem Versteck aufsuchte und bezahlten Mördern überlieferte.
Ich frage jeden Vorurtheilsfreien: können Frauen in ihrer heftigsten Gemüthsbeirrung mehr thun, als sich gegenseitig meuchelmörderisch umbringen?
Wünschen Sie eine derartige, mit dem Gefühlsstempel versehene männliche Verwirrung im Großen, so blicken Sie nach Frankreich.
Welchen Umfang verlangen Sie denn von einer durch das Gefühl herbeigeführten Verstandesbeirrung bei dem starken Geschlecht, um einen Mann vom öffentlichen Leben auszuschließen?
Die Leidenschaften haben von jeher bei Männern wie bei Frauen vorzugsweise die Handlungen der Menschen bestimmt, und wer weiß, vielleicht werden sie es thun bis in alle Ewigkeit!
Das Gemüth, das Herz ist die Königin der Welt; es ist die Quelle aller größten und aller ärgsten Thaten der Menschheit; und ob sie ihren Purpur in Blut oder in die Morgenröthe lauterer Empfindung tauche, von jeher haben Verstand und Vernunft ihr Handlangerdienste geleistet.
Möglicherweise aber hat der Professor, indem er seine Bedenken über die Wirksamkeit der Frau im öffentlichen Leben aussprach, weniger die betrübsamen weltgeschichtlichen Consequenzen solcher Ungehörigkeiten im Sinne gehabt. Er hat vielleicht vorzugsweise an subalterne Professionen gedacht, wie Post- und Telegraphen- oder Lehr- und Kaufmannsberuf, zu deren Ausübung eine vorherrschende Gefühlsrichtung die Frau untauglich mache!
Wie denken Sie sich nun, Herr Professor, in welcher Weise die Irreleitung des Verstandes durch Gefühlsrücksichten bei einem derartigen Beruf der Frau vor sich gehen werde?
Vielleicht so:
Frau B. hat eine Professur der Geschichte inne. Sie soll von den Gräuelthaten der römischen Kaiserzeit berichten. Da erstickt der Schmerz um die Ermordeten ihre Stimme, der Abscheu raubt ihr den Athem, sie verliert den Faden der Gedanken und muß ohnmächtig hinausgetragen werden.
Oder an der Börse:
Sie ist eben im Begriff einen großen Coup zu machen. Sie kann in einer Stunde 30,000 Thlr. gewinnen; da erbebt ihr Gemüth. Wer verliert die 30,000? fragt sie sich; vielleicht Unbemittelte, Wittwen und Waisen! Gott im Himmel – eine Thräne der Gerechtigkeit schmückt ihr Auge, sie schnappt ab, die 30,000 sind dahin!
Oder als Telegraphistin:
Jemand läßt den Tod eines Kindes telegraphiren. Das Mitgefühl übermannt die Telegraphistin, die Buchstaben verschwimmen ihr vor den Augen, und anstatt »August ist todt«, telegraphirt sie »August lebt«.
Oder eine Postmeisterin:
Es wird ihr von einem Menschen ein Packet übergeben, dessen Gesicht ihr heftigen Widerwillen einflößt. Sie bringt das Packet um die Ecke, um ihrer Antipathie zu fröhnen.
Als Kriegerin geht es ihr wie der Jungfrau von Orleans: »Konnte sie den Jüngling tödten, da sie ihm ins Auge sah?«
So schreckliche Dinge sind zu befürchten, wenn die Frauen außerhalb des Hauses ins volle Menschenleben greifen wollen; nicht aber ist zu befürchten, daß innerhalb der vier Wände ihr Gefühl jemals mit dem Verstande in Collision gerathe – oder meinen Sie, Herr Professor, daß eine Irreleitung auf diesem Terrain keine unangenehmen Folgen für die menschliche Gesellschaft nach sich ziehen werde?
Wenn der durch Gefühlsrücksichten beirrte Verstand eine Mutter verleitet, ihr Kind zu verfuttern und zu verziehen und es an den Rand seelischen und leiblichen Verderbens zu bringen, so wird dadurch dem Staat in dem Verlust eines tüchtigen Bürgers ein unersetzlicher Schaden zugefügt.
»Es ist gut«, sagt der Philosoph, »wenn ihr in den schweren Kampf von Pflicht und Neigung keine allzu große Prüfung auferlegt wird.«
Wo, Herr Professor, spielen sich denn all’ die großen Frauentragödien ab, von denen wir schaudernd Jahr ein, Jahr aus, in den Zeitungen lesen? Tragödien von Gattenmord, Prostitution, Pistolenschüssen u.s.w.? Wo? – Im Hause!
Ich kann Ihnen versichern, mein Herr, daß die Frauen selbst in den bis jetzt ihnen zugewiesenen Berufskreisen oft das von der »kalten Pflicht« oder dem »nackten Bedürfniß« Geforderte thun müssen ohne jegliche Gemüthsbetheiligung, selbst im Gegensatz zu ihrem Gefühl. Und Sie selbst, Herr Professor, wenn Sie Hausherr sein sollten, und Ihre Köchin wäre verliebt und ließe in Folge dieser Stimmung die Suppe anbrennen, würden Sie ihr nicht diese Gemüthsbetheiligung beim Kochen durchaus nachtragen? Und von der Waschfrau, die zwei Nächte hintereinander in Ihrem feuchten Keller steht, und die vielleicht an ein todtkrankes Kind daheim zu denken hat, verlangen Sie Unmensch, daß sie Ihnen die Wäsche, der kalten Pflicht genügend, klar und rein abliefere?
Ach Gott, edler Herr, wer von uns Staubgebornen müsste nicht ab und zu der kalten Pflicht Genüge leisten! Und die Frauen wahrscheinlich noch ein paar Mal öfter als die Männer!
In Amerika funktioniren Frauen in allen möglichen öffentlichen Aemtern.
Ich verweise den Professor mit seinen Studien auf dieses Land, wenn es ihm ernstlich darum zu thun ist, in Erfahrung zu bringen, wie viel im Staatsdienst angestellte Frauen durchschnittlich in einem Jahre an Gemüthsbeirrungen zu Grunde zu gehen pflegen.
Die Statistik ist die beste Waffe, die bei derartigen Fragen einem Manne der Wissenschaft ziemt.
Alle diese abenteuerlichen und schnörkelhaften Widersprüche und Begriffsverwirrungen haben ihren alleinigen Ursprung in der Unehrlichkeit und Feigheit der Männer. Ein Gemisch von Schlauheit, von Verschämtheit über ihre eigene souveräne Herrlichkeit, und Leutseligkeit gegen uns, hindert sie einfach auszusprechen, was doch all’ der langen Rede kurzer Sinn ist: Uns Männern kommen auf Grund unserer geistigen und leiblichen Suprematie die höheren, euch Frauen die niederen Arbeitsgebiete zu.
Eine andere Auslegung ist für mich undenkbar. Dem einfachsten Verstande muß es doch klar sein, daß eine Willenskraft, die sich nur in untergeordneten Lebensverhältnissen bewährt, bei höheren Ansprüchen aber erlischt, eben keine außergewöhnliche, sondern eine geringe ist, daß ein schöpferischer Geist, der sich höchstens in hübschen Blumen und Landschaftsbildern und mittelmäßigen Versen manifestirt, nicht in vollen Zügen aus dem kastalischen Quell getrunken, sondern nur die Lippen daran genetzt hat.
Wenden wir uns jetzt Herrn v. Bischof zu. Während der Philosoph, schwankend und geschmeidig, in widerspruchsvollen Redewendungen, vielleicht geängstigt von seinem philosophischen Gewissen, sich windet, so daß es schwer ist, eine Handhabe für präcise Widerlegung zu gewinnen, stellt der Anatom klar und prägnant, mit der ganzen Autorität seines ordentlichen Professorenthums bekleidet, seine Sätze auf. Einverstanden mit dem Philosophen spricht er dem Weibe jeglichen inneren Beruf für die Wissenschaft ab und gründet seine Ablehnung, einmal auf den organischen Bau des weiblichen Körpers, und zweitens auf die Gemüths- und Charaktereigenschaften der Frau.
Beschäftigen wir uns zuerst mit dem zweiten Beweis.
Herr von Bischof macht sich denselben außerordentlich leicht, indem er uns mit einem Verzeichniß männlicher und weiblicher Eigenschaften erquickt, die er, nach seinem eigenen Geständniß, erfahrenen Menschenkennern und Psychologen entlehnt hat. Schiller, Kant und Jean Paul sind für solche Zwecke gern herbeigezogene Autoren.
Große Menschen werden darum nicht kleiner, weil sie über Dinge, die in ihrem Zeitalter keiner Forschung unterlagen, die herkömmlichen Gemeinplätze vorbrachten. Plato und Sokrates, die Weisesten ihrer Zeit, hielten die Sklaverei für einen völlig naturgemäßen Zustand, ohne um dessentwillen von Mit- oder Nachwelt getadelt zu werden, während ein moderner Philosoph, der die Sclaverei vertheidigen wollte, seinen Namen mit Schmach bedecken würde.
»Die Zeit«, sagt Heine, »ist eine Sphinx, die sich in den Abgrund stürzt, wenn ihre Räthsel gelöst sind.« Neue Räthsel aber sind nicht mit alten Formeln zu lösen.
Wie vorsichtig sich übrigens Herr v. Bischof vor jeder Annäherung an Originalität hütet, mögen folgende Sätze aus seiner Charakteristik beweisen: »Der Mann ist muthig, kühn, heftig, trotzig, rauh, verschlossen; das Weib furchtsam, nachgiebig, sanft, zärtlich, gutmüthig, geschwätzig, verschmitzt. Der Mann besitzt mehr Festigkeit, das Weib ist wandelbar und inconsequent. Der Mann handelt nach Ueberzeugungen, das Weib nach Gefühlen; die Vernunft beherrscht bei jenem das Gefühl, bei diesem umgekehrt das Gefühl die Vernunft. Das Weib ist schamhafter, und die Regungen des groben Genusses der Sinnlichkeit sind bei ihm in der Regel geringer als bei dem Manne. Seine Sittsamkeit, Demuth, Geduld, Gutmüthigkeit, Aufopferungsfähigkeit, theilnehmende Lebensstimmung, Frömmigkeit sind viel größer als beim männlichen Geschlechte« u.s.w.
Man sieht, Herr v. Bischof begnügt sich mit der Annahme hypothetischer Eigenschaften, die für seine Vorurtheile passen; nimmt als eine bewiesene Theorie an, was erst bewiesen werden müßte, nennt dieses naive Geplauder, dieses herzige auf Treu und Glauben Hinnehmen Beweisführung und knüpft daran unter anderen Folgerungen auch diese: »Der wahre Geist der exakten Naturwissenschaften wird dem Weibe stets verschlossen bleiben.«
Geben wir einmal zu, die Vertheilung der menschlichen Eigenschaften zwischen Mann und Frau, wie Herr v. Bischof sie beliebt, wäre richtig. Unbegreiflich, warum ein Mensch nur mit Erfolg dem Studium obliegen kann, der kühn, heftig, rauh, verschlossen ist, während derjenige, der eines zärtlichen, sanften gutmüthigen, demüthigen, sittsamen, aufopferungsfähigen Gemüthes sich erfreut, dieser Fähigkeit verlustig geht!
Wir finden unter den Männern ebenso viel milde wie trotzige, ebenso viel harte wie weich geartete Gemüther. Der eine Mann zeigt hohen Scharfsinn, der andere bodenlose Dummheit. Ich wüßte keinen Gegensatz der Charaktere, den man nicht unter den Männern selber fände.
Und solange man nicht alle milden, geduldigen, aufopferungsfähigen, keuschen Individuen des männlichen Geschlechtes, als des Studiums unwürdig, aus den Staatsämtern entfernt, aus den Tempeln der Wissenschaft vertreibt, so lange sehe ich keinen Grund, um dieser Eigenschaften willen die Frauen von den Segnungen der Wissenschaft auszuschließen.
Ja, sollte es einem Unbefangenen nicht fast scheinen, als ob es wenige Beschäftigungen des Friedens gäbe, bei denen nicht Geduld, Sanftmuth, Aufopferungsfähigkeit besser am Platze wären, als Rauhheit, Trotz und Heftigkeit?
Bei Charakterschildereien à la Bischof fehlt es niemals an ungereimten Widersprüchen. Man gestatte mir einige in die Augen springende Beispiele anzuführen, denen wir überall, wo von weiblichen Eigenschaften die Rede ist, begegnen.
Stets finden wir bei derartigen Charaktergemälden den Nachdruck auf die sinnliche Natur der Frau gelegt, vermöge welcher ihr jede Fähigkeit zur Abstraktion und zum Denken abgehen soll. Die Verfasser des allgemeinen Landrechts sagen (zur Rechtfertigung einer Gesetzgebung, die die Frauen als unmündig betrachtet): Es wird schwerlich geleugnet werden können, daß bei dem andern Geschlecht, im Ganzen genommen, ein höheres Uebergewicht von Sinnlichkeit obwaltet u.s.w.
Mit einem Mal aber, wo diese Eigenschaft den Männern für ihr Lebensglück nicht passend erscheint, und wo sie lieber selber sinnlich sind, da gebieten sie der Frau ein Halt und sprechen: Allerdings, du bist ein unvernünftig sinnliches Geschöpf; aber in geschlechtlicher Beziehung bist du es nicht, da sind wir die sinnlichen, so will es die Natur, merk’ es dir, du hast also keine Entschuldigung für irgend welche Abweichung vom Pfade der Tugend auf diesem Gebiet.
Ein andrer Widerspruch: »Die Frau ist sanft und geduldig, der Mann ist heftig.« Ist Heftigkeit ein Beweis davon, daß die Vernunft die Gefühle beherrscht? Oder sollte sie vielleicht umgekehrt das Resultat einer Mischung von Seelenkräften sein, bei welcher die Gefühle den Sieg über die Vernunft davon tragen? Die Antwort darauf überlasse ich meinen Lesern.
Ich rathe Jedermann, anstatt verstorbene Menschenkenner aus der Tiefe seines Gedächtnisses heraufzubeschwören, sich einfach auf das Zeugniß seiner Sinne zu verlassen.
Herr Professor, können Sie mit gutem Gewissen behaupten, daß Sie sich jemals in Ihrem Leben um das Geistesleben irgend einer Frau gekümmert haben? Ich muß sogar annehmen, daß Sie nicht einmal irgend einem Dienstmädchen in Ihrer Eigenschaft als Hausherr näher getreten sind, sonst wäre Ihnen sicher das Wort von der Sanftmuth, Demuth und Aufopferungsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes in der Kehle stecken geblieben, es müsste denn sein, daß München sich im Besitz eines ganz besonderen und mir unbekannten weiblichen Geschlechts befände. Ich wenigstens habe mich noch nie in meinem Leben – und leider ist von demselben schon mehr verflossen, als mir lieb ist – einer demüthigen, aufopfernden und milden Köchin erfreut.
Deutsche Männer bekümmern sich in der Regel um das, was Frauen thun und denken, nur einmal in ihrem Leben, in ihrer Jugend nämlich, wenn sie verliebt sind – welche Seelenstimmung nicht einmal zur Kenntniß dieses einen weiblichen Exemplars beizutragen pflegt. Und nun vollends ein deutscher Universitätsprofessor, der immer lernen muß, wo soll der Zeit und Lust zu dergleichen Beobachtungen hernehmen? Wenn ein Solcher bei einem opulenten Diner zu dem amusanten Geschwätz seiner Nachbarin lächelt, so hat er sich sehr leutselig gegen das andere Geschlecht betragen. Eine weitere Beachtung schenkt er dem »Frauenzimmer«, wie er es noch immer zu nennen liebt, nicht.
Unleugbar ist freilich, daß Beschäftigung, Erziehung und Lebensweise auf die Entwickelung von Charaktereigenschaften den allerwesentlichsten Einfluß üben. Die Frau, in ihrer jetzigen socialen Stellung, hat wenig Gelegenheit, gewisse Eigenschaften zu entwickeln und anzuwenden. Und ich glaube selber, daß die Salondame, die sich nie in das Getriebe der Menschen begeben hat, wenig Willen und wenig Thatkraft zeigen wird. Eine gewisse Sanftmuth oder Indolenz des äußeren Wesens wird sich häufig als Merkmal ihrer ausgepolsterten Existenz bei ihr einstellen, und der zarte Parfum ihres Charakters und ihres Schnupftuches wird nicht verfehlen, sie in den Augen erfahrener Menschenkenner und Psychologen mit der Aureole edler Weiblichkeit zu schmücken.
Können Sie sich aber, Herr v. Bischof, die Besitzerin eines Wirthshauses demüthig, zart, geduldig u.s.w. vorstellen? Oder wenn Ihre Solidät Ihnen verbietet, Wirthshäuser zu besuchen, so treten Sie sonst irgendwo hinaus aus Ihrer Studirstube auf den Markt des Lebens, oder auch nur auf den Markt am Schillerplatz oder auf dem Dönhofsplatz in Berlin, und unterfangen Sie sich, durch irgend eine stark ausgeprägte Eigenthümlichkeit, eine vornehm zerstreute Miene, einen alterthümelnde Neigung verrathenden Hut, einen originellen Paletot u.s.w. die Aufmerksamkeit der dort sitzenden Mitglieder des schönen Geschlechts auf sich zu ziehen – armer Herr Professor, ich vermuthe, das Spießruthenlaufen Ihrer werthen Persönlichkeit zwischen den Zungen dieser weiblichen Naturkinder würde Ihr liebes Urtheil über angeborne Frauenmilde wesentlich modificiren!
Die deutschen Männer thun immer, als kämen, wo es sich um Frauen handelt, überhaupt nur deutsche Frauen in Betracht. (Gerathen sie einmal ins Ausland, pflegen sie allerdings äußerst schnell ihre Meinung zu ändern.) Wer könnte nun behaupten, ohne sich lächerlich zu machen, daß Spanierinnen, Französinnen, Creolinnen und andere gluthaugige Südländerinnen sanften, geduldigen, nachgiebigen Temperaments seien? Und wahrlich, sie sind Frauen so gut wie die phlegmatischen Nordländerinnen. Tausende von Frauen sind klüger, heftiger, muthiger als Tausende von Männern, und Tausende von Männern sind sanfter, aufopferungsfähiger, gutmüthiger als Tausende von Frauen.
Aus gewissen Gemüthseigenschaften der Frau aber Barrikaden bauen zu wollen, um die Männer zu schützen vor einem etwaigen Einbruch dieser Frauenzimmer in das gelobte Land der Wissenschaft, wo der Honig der Weisheit nur für das starke Geschlecht fließt, das ist eine Lächerlichkeit, eine Ungeheuerlichkeit, die zu erkennen und zu beurtheilen späteren Jahrhunderten vorbehalten bleibt.
Nächst den Gemüthseigenschaften ist es, nach Herrn von Bischof, die physiologische Beschaffenheit der Frau, vornehmlich ihre Schädelbildung, durch welche sie ihre Unfähigkeit für höhere Geisteskultur dokumentirt.
Wer Lust hat, sich des Ausführlicheren über die defekten Schädelstellen des Weibes zu unterrichten, der mag die Broschüre (Seite 15) nachlesen. Er wird erfahren, daß die geringere Hirnmasse, die geringe Ausbildung aller Vorsprünge und Leisten der Knochenoberfläche, daß die allzusichtbaren Verknöcherungspunkte an den Stirn- und Scheitelflächen, daß die geringere Höhe des Hirnschädels u.s.w. die Frau als eine besondere und niedere Art der Species »Mensch« kennzeichnen.
Bei diesen Auslassungen verfährt Herr v. Bischof nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch nicht ganz redlich.
Unwissenschaftlich, denn er lässt sich zu einer phrenologischen Lokalisirung der Seelenkräfte verleiten, während unsere Unkenntniß der Naturgesetze in Bezug auf die Spezialverrichtungen des Gehirns und der Umstände, unter denen es sich entwickelt, zweifellos ist.
Willkürliche Hypothesen als wissenschaftliche Wahrheit zu affichiren mag wohl sehr »männlich, kühn, trotzig und energisch« sein, ein solches Verfahren mag einen Denkfaulen blenden oder einen Unwissenden amusiren, Anspruch auf wissenschaftlichen Werth hat es nicht.
Herr v. Bischof verfährt nicht redlich, indem er uns nur die Resultate derjenigen Untersuchungen vorlegt, die seinen Vorurtheilen entsprechen, die ihnen widersprechenden aber ignorirt.
Meine Kenntniß physiologischer Dinge ist gleich Null; dennoch weiß ich, was selbstverständlich der Herr Professor tausendmal besser wissen muß als ich, daß man aus anderen Verschiedenheiten des männlichen und weiblichen Organismus ganz andere entgegengesetzte Schlüsse ziehen kann und gezogen hat.
Der französische Physiologe Tussenel, dessen Buch ich mir leider nicht verschaffen konnte, hat versucht, auf physiologischer Grundlage die Superiorität der Frau zu beweisen.
Cuvier, dessen Bedeutung kein Anatom in Abrede stellen wird, hat, wie ich schon an anderer Stelle erwähnt, nach dem Verhältniß der Gesichtsknochen zur Schädelhöhle die höhere oder niedere Stufe in der Thierreihe bestimmt. Sömmering nimmt an, daß wie der Mensch in dieser Hinsicht über den Thieren, so das Weib hier über dem Manne stehe.
Herr v. Bischof selbst führt an, daß nach Quetelet sich für das absolute mittlere Hirngewicht bei beiden Geschlechtern ein gleiches relatives Hirngewicht herausstelle, und daß, nach Reid und Burdach, Kopf und Gehirn der Frauen zwar etwas kleiner als beim Manne, aber im Verhältniß zum übrigen Körper schwerer und größer gefunden worden sei. Professor Reclam in seinem Buch »Der Leib des Menschen« spricht sich klar und ganz entschieden folgendermaßen aus: »Während das Gehirn des Weibes seinem mittleren Gewichte nach an und für sich ein wenig kleiner ist, als das männliche Gehirn, hat es dagegen im Verhältniß zum allgemeinen Körpergewichte, oder verglichen zur Größe der sämmtlichen Körpernerven eine verhältnißmäßig größere Schwere, als das der Männer. Man kann also Mann und Frau in Bezug auf ihre Hirngewichte nicht mit einander vergleichen, da die Körperverhältnisse Beider zu bedeutende Abweichungen zeigen, als daß der Vergleich einzelner Theile der Organismen ohne Weiteres zu einem gesicherten Ergebniß führen könnte. Man muß vielmehr die Hirngewichte eines und desselben Geschlechtes mit einander vergleichen, was nur für Männergehirne ausführbar ist, da wir zu wenige Wägungen der Hirne geistig hochstehender begabter Frauen besitzen.
Hält man nun die Hirngewichte bekannter, geistig begabter Männer, welche auf wissenschaftlichem Gebiete gearbeitet haben, neben das mittlere Gewicht gesunder Männer ohne Auswahl, so findet man, daß die Masse des Gehirns der Geistesstreiter nur wenig schwerer ist, als das mittlere Gewicht bei kräftigen Männern überhaupt beträgt, ja, daß sie zum Theil noch unter demselben sich befindet. So wog das Gehirn des berühmten Naturforschers Cuvier 1861 Gramm – des Dichters Byron 1807 Gramm, des scharfsinnigen Mathematikers Dirichlet 1520 Gr. – des großen Vordenkers auf mathematischem Gebiete Gauß 1492 Gr. – das des geistreichen Chirurgen Dupuytren nur 1487 – das des bahnbrechenden Philologen Herrmann nur 1358, während das Gewicht des Gelehrten Hausmann, eines hochgewachsenen Mannes, sogar nur 1226 Gr. betrug, mithin nicht einmal den Mittelschlag des Hirngewichtes bei Weibern erreichte. Das Größenverhältniß der Masse bestimmt also die Leistungsfähigkeit des Gehirns nicht.« So schließt Reclam.
Entweder bezweifelt Herr v. Bischof dergleichen Angaben, oder er legt ihnen kein Gewicht bei – welchen subjectiven Velleitäten, so energisch sie immerhin sein mögen, doch keine Beweiskraft inne wohnt.
Er bleibt dabei: so gut die größeren und stärkeren Muskeln mehr Körperkraft bedingen, ebensowohl müsse »im Großen und Ganzen das größere Hirngewicht auch Träger einer bedeutenderen Geisteskraft sein.« Herr v. Bischof bemerkt, daß der Mann mit einer größeren Nase begabt sei, als die Frau. Riecht er darum besser und feiner?
Die Herren der Wissenschaft gehen in den Resultaten ihrer phrenologischen Studien weit aus einander. Nur ein paar Beispiele will ich anführen:
Verschiedene Forscher schreiben den Negern ein kleineres Gehirn zu als den Europäern, während ebenso namhafte Gelehrte zu dem Ergebniß gekommen sind, daß kein wesentlicher Unterschied bestehe. Andere Gelehrte halten die Malaienschädel für die kleinsten, dagegen hat Welker (Herr v. B. führt ihn verschiedene Male an) bei einem Malaienschädel den Innenraum fast so groß gefunden, wie bei den germanischen Schädeln.
Die physiologische Bedeutung der abweichenden Formen männlicher und weiblicher Schädel festzustellen, ist bis jetzt der Wissenschaft nicht gelungen, und nur einem Charlatan, einem Phantasten oder einem fanatischen Prinzipienreiter kann es einfallen, aus einer verschiedenartigen Schädelbildung der Geschlechter die Basis zu einer ernsten Argumentation gegen die geistige Befähigung der Frau machen zu wollen.
Uebrigens scheint die Ungleichartigkeit der männlichen und weiblichen Schädel nicht einmal so groß zu sein, wie im Allgemeinen angenommen wird.
Carl Vogt hebt als eine der größten Schwierigkeiten für anthropologische Untersuchungen hervor, daß es in den seltensten Fällen möglich sei, bei den Raceschädeln mit Sicherheit anzugeben, ob sie einem Weibe oder einem Manne angehört haben.
Und wenn wir nur von einer einzigen todten Frau wüssten, die tiefer zu denken im Stande war, als sämmtliche lebendige Münchener Professoren (ich denke z.B. an Sophie Germain, die Mathematikerin und Philosophin, welche Dühring in seiner Geschichte der Philosophie als eine der originellsten Denkerinnen unmittelbar neben August Comte stellt), so wäre das ein hinreichender Beweis, daß Beulen auf der Stirn und dem Gesichtskreis entrückte Verknöcherungspunkte an Stirn- und Scheitelflächen nicht nothwendige Faktoren des Denkvermögens sind.
Nehmen wir aber wieder einmal an (der Leser wird bemerkt haben, daß ich solche großmüthige Concessionen zu machen liebe), Herr v. Bischof hätte abermals Recht, und die Frau verriethe durch ihre Gehirnbildung ihre Inferiorität. Wir wissen, daß bei Thieren und Menschen körperliche Organe, die nicht benutzt und geübt werden, mit den Generationen verkümmern; »rudimentäre Organe« nennt die Wissenschaft solche Theile des Körpers, die für einen bestimmten Zweck eingerichtet, dennoch ohne Funktion sind, wie z.B. gewisse Muskeln der Ohren bei den Menschen. Zu den schlagendsten Beispielen von rudimentären Organen gehören die Augen, welche nicht sehen. Solche finden sich bei sehr vielen Thieren, welche im Dunkeln, z.B. in Höhlen, unter der Erde leben. Als diese Thiere sich nach und nach an unterirdische Lebensweise gewöhnten, sich dem Tageslicht entzogen und ihre Augen nicht mehr brauchten, wurden dieselben rückgebildet.
Ein anderes, ebenso anschauliches Beispiel rudimentärer Organe sind die Flügel von Thieren, welche nicht fliegen können.
Sollte vielleicht auch das Gehirn der Frau ein solches rudimentäres Organ sein?
Man hat ihre Denkfähigkeit niemals ausgebildet und behauptet nu, sie könne nicht denken. Sehr wohl könnte in Folge eines Mangels der Benutzung und Anwendung eine Rückbildung des weiblichen Gehirns vor sich gegangen sein.
Wäre es ein Wunder, wenn die geistigen Augen, denen man nie das Licht der Wissenschaft nahe brachte, das Sehen verlernt, wenn die Flügel des Geistes, die nur im engen Raum des Hauses sich entfalten und über Kochtöpfen flattern durften, der Schwungkraft entbehrten?
Ist es an dem – wohlan, so verbessern wir diese albernen Frauenschädel! Lichten wir die Urwälder in diesen lockigen Häuptern, wo noch die kindischnaturwüchsigen Gelüste hausen! Bevölkern wir die wüsten Strecken ihrer großen Hemisphären mit fruchttragenden Männergedanken! Vielleicht werden sich auch bei diesen Gehirnen im Lauf der Jahrtausende (ich glaube zwar nicht daran) imposante Beulen und ehrfurchtgebietende Vorsprünge herausarbeiten!
Gelehrte Forscher wollen wahrgenommen haben, daß bei den civilisirten Nationen die gebildeten Klassen im Allgemeinen größere Schädel haben als die ungebildeten.
Nach dem Forscher Broca haben die Schädel aus Privatgräbern ein größeres Volumen als die aus gemeinschaftlichen Gruben, in welchen nur die niedrigen Klassen beerdigt wurden.
Ave-Lallemant behauptet, daß der Schädel der Neger in Amerika sich verändere und nach kaukasischer Form strebe.
Nach Annahme dieser Gelehrten modificirt also Wissen und Bildung im Laufe der Jahrhunderte die Schädelform.
Sie ist so rührend, diese Besorgniß der gelehrten Herren, mit der sie unser schwaches Hirn vor Ueberanstrengung bewahren möchten! Die Gelehrsamkeit muß ihnen recht sauer geworden sein.
Meine unmaßgebliche Meinung geht dahin: was der dummste Jüngling in seinen Schädel hineinzwängen kann (unter den gelehrten Herren finden sich bekanntlich auffallend häufig Exemplare ausbündiger Unwissenheit und Beschränktheit), davon wird auch ein weiblicher Schädel nicht bersten; und will er durchaus bersten, so darf man ihm nach den Principien der freien Menschenbestimmung auch diese Erlaubniß nicht vorenthalten.
Noch eine Frage an Herrn v. Bischof erlaube ich mir:
Ist das Gehirn nur der Sitz der Gedanken?
So viel ich weiß, stimmen alle Anatomen, Physiologen, Aerzte u.s.w. darin überein: das Gehirn ist das Organ der Seele, es ist das Centrum für Empfindung und Gedanke. Ja, viele Gelehrte der neuesten Zeit nehmen an, daß die Hemisphären des großen Gehirns noch eine andere Rolle als die intellectuelle und gemüthliche auszufüllen haben.
Wenn man bei der Untersuchung von Raceschädeln nach ihrer entwickelteren oder mangelhafteren Form die höhere oder niedere Race bestimmt, so versteht man unter niederer Race selbstverständlich eine solche, bei der nicht einseitig das Denkvermögen, sondern gleichmäßig Denken und Fühlen, Gemüth und Verstand sich auf einer untergeordneten Stufe der Entwickelung befinden.
Die Inferiorität der Frau aber wird nur auf ihr geringes Denkvermögen zurückgeführt.
Was ihre Gefühle betrifft, so werden uns dieselben als tiefer, feiner, mannichfaltiger und erhabener geschildert als die der Männer, als diese übertreffend an Quantität und Qualität.
Der Unzulänglichkeit der Denkfunktionen würde also ein reicheres Gefühlsleben die Wage halten. Sollte man nun nicht meinen, daß im Laufe der Jahrtausende das tiefe und starke weibliche Fühlen sich ein ebenso kräftig und reich organisirtes Gehirn herangebildet haben müsste als das tiefe und starke männliche Denken?
Wie? Dieses Empfinden sollte den Schädel nicht ausdehnen, hätte keinen Einfluß auf seine Vervollkommnung? Wie geht das zu?
Zu den angreifendsten Gefühlen gehören ohne Zweifel Schmerz, Sorge, Kummer.
Wenn die Männer so besorgt um unser Gehirnleben sich zeigen, warum halten sie nicht mit derselben zarten Sorge, wie die Wissenschaft, so auch Kummer und Schmerz (so weit es in ihrer Macht steht) von uns fern?
Kummer zerrüttet auf die Dauer das beste und festeste Gehirn.
Wenn meine Seele Schmerz leidet, so fühle ich einen unerträglichen Druck im Hinterkopf; wenn ich eine Broschüre lese, wie die des Herrn v. Bischof, nehme ich ein Klopfen in den Schläfen wahr, nicht in Folge der geistigen Anstrengung, das kann ich versichern, sondern vor Grimm.
Die Herren der Wissenschaft verlangen im Interesse des Frauengehirns: Ausschließung der Frau von wissenschaftlichen Studien. Ich schlage Ihnen als Pendant, zum Schutz des weiblichen Gehirns, folgende, ebenso berechtigte Bestimmungen vor, mit denen man jedenfalls durchschlagendere Resultate erzielen würde: Jeder Mann, der seine Frau schlecht behandelt, wird, wegen Gehirnschwächung eines Weibes, des Landes verwiesen. Jeder Mann, der sein Weib lieblos im Stich lässt, soll wegen tödtlicher Gehirnerschütterung (man sagt fälschlich, ihr bricht das Herz) mit dem Tode bestraft werden. Jeder Mann, der durch eine lieblose Broschüre eine Frau ärgert, soll einige Tage bei Wasser und Brot angehalten werden, Reue zu empfinden u.s.w.
Wie können denn Sie, Herr v. Bischof, oder irgend ein Mann wissen, was die Frauen angreift oder nicht?
Mir z.B. fällt es schwer, die vierwöchentliche schmutzige Hauswäsche auszusuchen. Ich bin jedes Mal nach dieser schwarzen Pflichterfüllung todtmüde. Wenn ich einen halben Tag am Plättbrett gestanden habe, so brauche ich die andere Hälfte des Tages, um mich von dieser tödtlichen Strapaze zu erholen.
Wenn ich aber in derselben Zeit ein wissenschaftliches Buch lesen oder einen Aufsatz schreiben sollte, so würde mich eine solche Beschäftigung nicht nur nicht angreifen, sondern erfrischen und erfreuen.
Jeder Mensch hat sein eigenes geistiges Klima, in dem allein er gedeihen und sich wohl fühlen kann.
Im Anhang setzt Herr v. Bischof uns des Weiteren die Unterschiede des weiblichen und männlichen Körperbaues auseinander, wie wir sie in jedem Handbuch der Physiologie nachlesen können.
Indem er die Unterscheidungsmerkmale, vornehmlich die das Gehirn betreffenden, zusammenfasst mit den differierenden Gemüthseigenschaften der Geschlechter, schließt er: »Aus dieser Verschiedenart der Geschlechter in körperlicher und geistiger Hinsicht geht unwiderleglich hervor, daß das weibliche Geschlecht für das Studium und die Pflege der Wissenschaften, insbesondere der Medicin, nicht geeignet ist.«
Unwiderleglich doch nur, wenn der geehrte Herr, anstatt Herr v. Bischof, unfehlbarer Papst der Physiologie wäre!
Seltsam und unerklärlich! Kann man wirklich aus dem Umstand, daß der Mann sich eines schnelleren Stoffwechsels als die Frau befleißigt, folgern, er müsse alle einträglichen Beamtenstellen versehen, während Küche und Nähmaschine ihr Departement sei?
»Der Mann hat längere Beine als die Frau«, bemerkt sehr richtig Herr v. Bischof.
Ein Schlußsüchtiger könnte allenfalls daraus schließen, daß der Mann sich mehr zum Briefträger eigne, als die Frau, ihr aber aus diesem Grunde die Fähigkeit zum Erlernen des Griechischen und Lateinischen absprechen zu wollen, ist mehr kühn als logisch gedacht. Dazu helfen lange Beine ein für allemal nichts.
»Die Stimmritze der Frau ist enger und ihr Kehlkopf kleiner«, belehrt uns Herr v. Bischof. Ich würde daraus die Thatsache erklären, daß bei vorkommenden Duetten er Tenor und sie Sopran singt. Der causale Zusammenhang aber zwischen der Stimmritze und dem Stimmrecht erhellt daraus für mich nicht.
»Die Frau hat eine zartere Haut«, heißt es.
Wenn mein die Macht wäre, so würde ich wahrscheinlich auf Grund dieser Körpereigenthümlichkeit einen Passus des preußischen Gesetzbuches, der da lautet: »in den niederen Ständen ist dem Manne eine mäßige körperliche Züchtigung der Frau gestattet« dahin ändern: der Frau ist eine mäßige körperliche Züchtigung des Mannes gestattet. Eine dicke Haut verträgt entschieden leichter Prügel als eine zarte.
»Der Magen der Frau ist kleiner als der des Mannes.« Freilich, wenn die Studirfrage vom Magen herkommt, dann fällt sie mit der Concurrenzfrage zusammen.
Vielleicht zeigt sich die Ungleichheit der Magen auch so, daß der weibliche mehr zu alter Semmel und Wassermilch inclinirt, während der männliche Filet und Trüffeln vorzieht.
Bequemen wir uns abermals dem Standpunkte des Herrn v. Bischof an, und sprechen wir mit ihm der Frau alle Fähigkeiten für höhere Arbeitsgebiete ab.
Liegt wirklich in der geistigen und körperlichen Schwäche der Frau der Grund ihrer Zurücksetzung, wohlan, so überlasse man ihr diejenigen Gebiete menschlicher Tthätigkeit, auf denen mit wenig Arbeit und wenig Geist in kurzer Zeit große Reichthümer zu erwerben sind. Man überlasse ihr die Börse.
Ach, ich weiß, die Frauen werden vergebens auch an die Pforten des Börsentempels klopfen, wie an den der Wissenschaft.
Wäre die verschiedenartige Körperbildung entscheidend für ihr Thun, so hätte uns die Natur wohl schon in der Thierwelt einen Fingerzeig gegeben.
Die Löwin unterscheidet sich vom Löwen durch ihre Körperform annähernd wie das Weib vom Manne. Wer aber hat je gehört, daß der Löwe die Löwin füttert, daß Frau Tigerin sich vom Herrn Tiger ernähren läßt?
Gleich wild und furchtbar jagen Löwe und Löwin, Tiger und Tigerin ihrer Beute nach, und gleich unbarmherzig zerreißen sie ihre Opfer.
So wenig immer wir wissen mögen über das geheime Wirken der Naturkräfte, das Eine wissen wir, soweit Erfahrung und Forschung reichen: den Kräften des Menschen ist keine erkennbare Grenze gesetzt. Niemand, nicht einmal ein zünftiger Professor vermag dem menschlichen Verstande, und wäre es auch nur dem einer Frau, zuzurufen: Bis hierher und nicht weiter!
Millionen von Jahren sind der Entwickelung des menschlichen Verstandes noch vorbehalten. Nur kindische Vermessenheit möchte schon heute ihre Grenze bestimmen wollen.
Nachdem Herr v. Bischof im Allgemeinen gegen das Studiren der Frauen polemisirt hat, kommt er nun auf das besondere Studium der Medicin, von dem das weibliche Geschlecht zurückzuschrecken, die eigentliche Aufgabe seiner Broschüre ist. Für befremdlich müssen wir es halten, daß ein gelehrter Herr wie Herr v. Bischof nicht zu wissen scheint, daß die Frauen bereits in der Geschichte der Medicin eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Eine kurze historische Uebersicht mag hier am Platze sein.
So weit dürftige Nachrichten uns ein Urtheil gestatten, haben die Frauen von jeher eine ganz besondere Begabung für die Medicin gezeigt. Bei den alten nordischen Völkern zeichneten sich die Druidinnen dergestalt aus, daß die Druiden in der Regel ihnen die Sorge für die schwersten Krankheiten überließen und der Aberglaube ihnen die Macht zuschrieb, selbst unheilbare Krankheiten zu heilen.
Im elften Gesange der Iliade ist von Mulios die Rede, dessen Eidam Augeias war, »seiner ältesten Tochter vermählt, Apamede der blonden, die Heilkräuter verstand, so viel rings nähret das Erdreich«. Und im Hippolytos des Euripides bittet die Amme die kranke Phädra: »Und wenn’s ein heimlich Uebel ist, an dem du krankst, sind hier die Frau’n mit ihrer Hülfe dir bereit«, - woraus wir wohl schließen dürfen, daß in der alten Welt Frauenkrankheiten von Frauen behandelt wurden.
Unter den Griechinnen finden wir Olympias von Theben genannt die Plinius erwähnt und Aspasia, deren Schriften über Frauenkrankheiten, Aëtius, ein mesopotamischer Arzt, in seinen Werken aufbewahrt hat.
Auf Hygienus’ Autorität beruht die Geschichte eines atheniensischen Mädchens, Agnodice, deren Erfolge in der Medicin die staatliche Erlaubniß für die medicinischen Studien der Frau veranlasst haben sollen.
Als Curiosität sei hier einer Version dieser Geschichte erwähnt aus der Feder der Mrs. Celleor, einer Hebamme unter der Regierung Jakobs II., die im Jahre 1867 veröffentlicht wurde und sich jetzt in British Museum befindet. [Dieses Schriftstück, so wie einige der nachfolgenden historischen Notizen sind dem englischen Werk »Woman’s Work and Woman’s Culture, edited by Josephine Butler« entlehnt.]
Mrs. Celleor theilt mit, daß eine Zeit lang in Athen ein Gesetz bestanden, das den Frauen bei Todesstrafe verbot, Medicin und Wundarznei zu studiren oder auszuüben, und daß in Folge dieser Bestimmung viele Frauen umgekommen seien, sowohl im Kindbett als in anderen Krankheiten, indem ihre Schamhaftigkeit ihnen nicht gestattete, sich Männern anzuvertrauen. Darauf – fährt sie fort – erweckte Gott den Geist der Agnodice, einer edlen Jungfrau. Sie fühlte Mitleid mit dem Elend ihres Geschlechts und wagte ihr Leben, um den Frauen zu helfen. Sie kleidete sich wie ein Mann und wurde Schüler des Hierophilos, des gelehrtesten Arztes seiner Zeit, und nachdem sie seine Kunst erlernt hatte, fand sie eine Frau, die lange an geheimen Leiden siechte; sie bot ihr ihre Dienst an und versprach ihr, sie zu heilen. Die Kranke aber wies sie zurück, in dem Glauben, daß sie ein Mann sei. Als ihr aber Agnodice ihr Geschlecht entdeckte, gab sich die Frau in ihre Hände und genas. Und mit derselben Kunst und Sorgfalt stellte sie noch viele Andere her, so daß sie bald der vielgeliebte Arzt des ganzen weiblichen Geschlechtes wurde. Aber ihr Geschlecht ward ruchbar, und man verurtheilte sie zum Tode um der Uebertretung des Gesetzes willen. Als das den edlen Frauen Athens zu Ohren kam, liefen sie vor den Areopag und umschlossen das Haus, und Viele von ihnen traten vor die Richter und riefen ihnen zu, daß die Männer sich nicht betragen hätten wie ihre Freunde und Gatten, sondern wie ihre grausamsten Feinde; denn zum Tode verurtheilten sie diejenige, die ihnen Gesundheit und Leben geschenkt hätte, und sie betheuerten, sie Alle wollten lieber mit Agnodice sterben, als mit ansehen, wie man sie zum Tode schleppe. – Dieser Vorfall veranlaßte den hohen Rath, jenes Gesetz zu annuliren und ein neues zu machen, welches edlen Frauen das Studium und die Ausübung aller Zweige der Medicin gestattete, welche sich auf ihr eigenes Geschlecht beziehen, und denen, welche sich in ihrer Kunst auszeichneten, glänzende Stipendien bewilligte.
Selbst im griechischen Kaiserreich widmeten sich Frauen der Medicin. Der Historiker Amadée Thierry berichtet von einer reichen und ausgezeichneten Jungfrau, Namens Nikarete, die unter Chrysostomus und Eudoxia nach Constantinopel kam in der Voraussicht, dort, wo das tiefste Elend herrschte, ihr Erbtheil am besten verwenden zu können. Durch die Inspiration einer fast übermenschlichen Barmherzigkeit, heißt es, erlernte sie die Medicin und die Zubereitung von Arzneimitteln. Sie verwandelte ihr Haus in ein Laboratorium von Droguen, die sie unentgeltlich an die kranken Armen vertheilte. Bald wurde sie der Arzt alles Volkes von Constantinopel, welches mit naivem Vertrauen an ihr hing, und es ging die Rede im Volk: Nikarete’s Arzneien heilen immer.
Tausende von Jahren hindurch war die Hexe der einzige Arzt des Volkes. Die Kaiser, Könige, Päpste und reicheren Barone hielten sich einige Doktoren aus Salerno, Mauren und Juden; aber die Masse des Volkes, ja man könnte sagen die Welt, fragte nur die Saga oder kluge Frau um Rath. [Michelet: »Die Hexe.«] Als Paracelsus im Jahr 1524 sämmtliche Arzneien verbrannte, erklärte er, nichts weiter zu wissen, als was er von den Hexen gelernt habe.
Das Mittelalter kennt berühmte weibliche Aerzte.
Ein Cabinetsschreiben vom Jahre 1225 bewilligt einer Frau, welche unter dem Titel eines médecin royal Ludwig IX. und seine Familie auf dem Kreuzzuge begleite hatte, eine lebenslängliche Pension.
Vorzugsweise in den Feudalschlössern war das Studium der Medicin unter den Schloßherrinnen verbreitet, die bei der Behandlung ihrer Leibeigenen hingebende Sorgfalt bewiesen und geschickt die Wunden verbanden. Berühmt in der Heilkunde war die Baronin von Nabutin-Chantal. In der Dichtung des Mittelalters ist die Aerztin der Typus des vollkommenen Weibes. Als Aerztin schildern sie uns die bretonischen Gesänge; so wird sie in einem berühmten Roman des 13. Jahrhunderts dargestellt. (Vgl. Parthenopeus de Blois, dessen Heldin die sieben freien Künste übt, die Vorzüge der Heilmittel kennt und die Kunst, zu heilen, versteht.)
Als die Schule von Salerno im höchsten Glanze war, hatte eine Frau, deren Ruhm den ihrer Collegen verdunkelte, den meisten Zulauf.
Aus der großen Zahl von Aerztinnen, die Klemm und Andere anführen, will ich einige Namen hervorheben.
In Spanien lebte im 16. Jahrhundert zu Alcarez Olivia Sabuco de Nantes, die ausgebreitete Kenntnisse in der Medicin besaß, und deren Schriften 1580 in Madrid gedruckt wurden.
Auch wo das Studium der Medicin den Frauen verboten war, müssen sie vielfach heimlich ärztliche Praxis ausgeübt haben; denn im Jahre 1421 wurde Heinrich V. von England eine Petition überreicht, des Inhalts: man möge den Frauen unter Strafe schweren Gefängnisses die Ausübung der Medicin untersagen. [New-York. Medical Gazette, April 24. 1752.]
Englische Aerztinnen: Im 17. Jahrhundert die berühmte Aerztin Lady Ann Halket. [Ballards Memoirs of several Ladies of Great-Britain. Oxford 1752.]
Einige der ersten Aerzte des Königreichs, hieß es, fühlten sich nicht verletzt, wenn Personen vom höchsten Range diese Aerztin in ihren Krankheitszuständen consultirten, und viele Frauen, deren Leiden bis dahin aller ärztlichen Kuren gespottet hatten, wurden schließlich von den Aerzten selbst ihrer Behandlung anvertraut und gesundeten mit ihrer Hülfe.
Eine andere viel genannte Aerztin war Elisabeth Lawrence, ums Jahr 1644 geboren. In einer Geschichte ihres Lebens, von ihrem Gatten Samuel Bury erzählt [An account of the life and death of Mrs. Elizabeth Bury, Bristol 1721.], bezeugt dieser, daß nie ein zärtlicheres, sanfteres und mitleidigeres Weib gelebt habe als seine Gattin. Er berichtet, daß die ersten Männer der Fakultät in Staunen gerathen seien über ihre präcise und scharfsinnige Darlegung der schwierigsten Fälle der Medicin und über das große Misstrauen, das sie trotz ihrer umfassenden Kenntnisse und ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit in sich selber gesetzt habe. Die Fälle, fügt der Biograph hinzu, in denen sie durch ihre Kunst Menschen das Leben rettete, sind nicht zu zählen.
Französische Aerztinnen: Fräulein v. Rézé, eine vielgesuchte Aerztin ums Jahr 1719; Frau von Zoutelandt, als medicinische Schriftstellerin hoch geschätzt; Madame Souchard und Angelique Leboursier de Condray. Als Anatomin zeichnete sich Mad. Boivin aus, die 1814 zum besoldeten Mitdirektor (mit dem Marquis de Belloy) des General-Hospitals der Seine und Oise ernannt wurde und 1815 dem Ruf zur Leitung eines Militairlazareths folgte. Für die Dienste, die sie in dieser Stellung geleistet, wurde ihr ein öffentlicher Dank votirt. [Quérard »Litterature Française.]
Italienische Aerztinnen: 1400-1436 nahm Dorothea Lucca in Bologna einen Lehrstuhl der Heilkunde ein. Im 18. Jahrhundert lehrte Anna Mazzolini Morandi, die zugleich Malerin und Bildhauerin war, in ihrer Vaterstadt, Bologna, Anatomie und wurde fast von allen gelehrten Akademien Italiens zum Mitgliede ernannt. Berühmt waren ihre anatomischen Präparate in Wachs, jetzt eine Zierde des Museums zu Bologna. Joseph II. soll sie im Jahre 1769 aufgesucht und nach verschiedentlichen Unterredungen mit öffentlichen Ehren überhäuft haben.
Ihre Tochter Zaffini Feretti scheint das Talent der Mutter geerbt zu haben. Sie studirte in Bologna Medicin und erlangte dort den Doctorhut. Ferner: Maria della Donne, die nach ihrem Tode in einer Biographie des »Raccoglitore Medico« als eine der wissenschaftlichen Berühmtheiten Bologna’s angeführt wird. Als Aerztin zeichnete sich zu Florenz Maria Magdalena Petraccini, Gattin des Dr. Feretti aus, die ein Werk über die physische Erziehung der Kinder herausgab. Klemm hebt besonders hervor, daß sie eine vortreffliche Mutter und sehr liebenswürdig gewesen sei.
Maria Mastellari Collizzoli Sega erhielt 1799 den Doctorhut. Eine ausgezeichnete Hausfrau und Mutter, sagt Klemm. Ich wiederhole hier, daß dieser Schriftsteller der entschiedenste Gegner der heutigen Frauenbestrebungen ist, aber ein sehr gewissenhafter Gelehrter, der aufs Sorgfältigste seine Quellen studirt hat und diese Quellen auch stets angibt.
Als deutsche Aerztinnen werden gerühmt Frau von Siebold und Frau von Heidenreich, Frau Dorothea Leporin (1715-62), die bis zu ihrem Tode prakticirte; Anna, Gemahlin des Kurfürsten August von Sachsen, und manche Andere.
Daß die meisten dieser Frauen ihren Doctorgrad nur durch große persönliche Opfer an Geld und Kraft, die ihnen auf dem regelmäßigen Wege erspart worden wäre, erlangt haben, liegt auf der Hand.
Noch einige Worte über den Theil der Medicin, dessen Ausübung von Natur und Rechtswegen einzig und allein der Frau zukommt, gestatte man mir: die Geburtshülfe.
Im alten Frankreich verbot die Gesetzgebung den Aerzten die Geburtshülfe, und die Kirche bestrafte die Uebertretung dieser Verbote mit Exkommunikation.
Zur Befugniß der Hebammen, von denen gründliche Kenntnisse gefordert wurden, das Leichenseciren der Frauen und Kinder mit einbegriffen, gehörte auch die Behandlung der Frauen- und Kinderkrankheiten.
Vereidigte Hebammen examinirten die Kandidatinnen. Bei den öffentlichen Ceremonien, bei den Banketten der Corporation, nahmen die Hebammen neben den Aerzten Platz, mit den Insignien der Stadt geschmückt. Die Hebammen der Könige trugen den grünen Hut (chaperon vert). Sie hinterließen werthvolle Schriften und wurden in jeder Beziehung den Aerzten gleich geachtet.
Aehnliche Verhältnisse finden wir in England. Ein englischer Arzt berichtet, daß in früheren Jahrhunderten die Geburtshülfe sich ganz in den Händen der Frauen befunden, und daß ein Mann nur ausnahmsweise, um hier und da eine Frau zu unterstützen, die Geburtshülfe studirt habe. Der Thätigkeit dieser Aerzte haftete aber ein leiser Makel an, denn man nannte sie niemals anders als »Men midwives« (männliche Hebammen). In einem deutschen medicinischen Buche des 16. Jahrhunderts, das mir in die Hände fiel, ist, wo die Geburtshülfe abgehandelt wird, immer nur von Hebammen, niemals von Aerzten die Rede. So heißt es an einer Stelle: »Die unnatürliche Geburt müsse durch Gottes Gnad – und frommer erfarnen Hebeammenrath und Sorg gebessert werden.«
Indessen gewannen schon während des 17. Jahrhunderts die Geburtshelfer langsam an Terrain; aber erst gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts sanken die Hebammen zu der völlig untergeordneten Stellung herab, die sie heutigen Tages inne haben.
Unter Karls II. Regierung gehörten die Hebammen in London zu den wohlhabendsten und geachtetsten Ausübern der Medicin. Sie besaßen schöne Häuser in den besten Gegenden Londons und wurden für gentle women gehalten, nicht trotz, sondern wegen ihres Berufes.
In Frankreich wurden im 17. u. 18. Jahrhundert Geburtshelfer nur ausnahmsweise benutzt.
Als zum ersten Male ein Arzt bei der Niederkunft der Madame de la Vallière fungirte, suchte man diese Ungeheuerlichkeit vor dem Publikum geheim zu halten. Indessen wurde die Thatsache bald bekannt, und sofort beeiferte sich eine Anzahl vornehmer Leute, ihren Herrn und Meister nachzuäffen.
Wie geschah es nun, daß die Männer einen Zweig der Heilkunde an sich reißen konnten, von dem Gesetz, Kirche und Schamhaftigkeit in früheren Jahrhunderten sie fern gehalten hatte? Sehr einfach. Die Willkür der Gesetzgebung, an welcher Frauen keinen Antheil hatten, verbot eines Tages der Frau das Studium und die Ausübung der Medicin. Der Gesetzgeber rief den Geburtshelfer ins Leben und unterdrückte trotz Vernunft, Schamhaftigkeit und individueller Freiheit das gemeinsame Recht.
Ein Schriftsteller gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der noch nicht ahnen konnte, daß der Geburtshelfer im 19. Jahrhundert ein Gesetz sein würde, ruft ein prophetisches Wehe aus über diese abgeschmackte Neuerung und sieht sie als ein Zeichen des Dahinschwindens der weiblichen Schamhaftigkeit an. Er sah nicht voraus, daß man ein Jahrhundert später die Frau zwingen würde, einen Arzt zu nehmen, und daß gegenwärtig nicht die Frau für schamlos gilt, die sich eines männlichen Geburtshelfers bedient, sondern diejenige, welche sich dem wissenschaftlichen Studium der Geburtshülfe widmet.
In Folge des männlichen Monopols sind die heutigen Hebammen nur Handlangerinnen aus den untersten Ständen, Frauen von so geringer moralischer Bildung, daß, wie nur zu wohl bekannt ist, sie sich kein Gewissen daraus machen, ihr geringes Einkommen auf unehrenhafte, wenn nicht gar verbrecherische Weise zu vermehren.
Noch bis zum vorigen Jahrhundert hören wir von Frauen, die als Nachkommen der Hexen und Zauberinnen sich im Besitz trefflicher Heilmittel befanden. Voltaire, den Niemand im Verdacht des Aberglaubens haben wird, preist bei jeder Gelegenheit »les bonnes femmes«, und zu wiederholten Malen zieht er ihr praktisches Wissen den gelehrten Theorien des Doctors Tronchin vor. Er lobt sie, daß sie die Blattern impfen trotz des Verbotes des Parlaments, welches von der Impfung nichts wissen wollte, und daß sie die Krankheiten, über welche die Aerzte nur zu raisonniren pflegen, heilen. So heißt es in einem Briefe Voltaire’s an Madame du Deffant: »Meine Augen sind fast zwei Jahre lang zwei Wunden gewesen, eine bonne femme hat mich fast gänzlich geheilt.« Er schließt seinen Bericht: »C’était à Mr. Tronchin à m’enseigner ce qu’il fallait faire, et c’est une vieille ingnorante, qui m’a rendu le jour. Il faut à la gloire des bonnes femmes que je vous dise, que nous sommes fort sujets au ver solitaire, c’est encore une bonne femme qui en guérit, et le grand Tronchin en raisonne fort bien.«
Bis zur französischen Revolution macht sich diese natürliche medicinische Anlage der Frauen überall geltend.
Madame Roland, die medicinische Studien getrieben hatte, berichtet, daß sie dieselben zum großen Segen der Dorfbewohner angewandt habe.
Chateaubriand spricht von drei grauen Schwestern, die Tag und Nacht an den Krankenbetten thätig waren. Er rühmt ihre Sanftmuth, und wie sie besonders geschickt gewesen seien, zerbrochene Glieder wieder einzurenken.
Erst unser Jahrhundert hat den traurigen Ruhm, die Aerztin völlig verdrängt zu haben – in der alten Welt. Die neue Welt aber, Amerika, hat in demselben Jahrhundert die Frage endgültig gelöst. In den verschiedenen Theilen Amerika’s prakticiren gegenwärtig mehr als 300 Aerztinnen mit unbestrittenem und unbestreitbarem Erfolge. Elisabeth Blackwell ist der weibliche Pionier, der diese Bahn für das weibliche Geschlecht eröffnet und damit der menschlichen Gesellschaft eine unermessliche Wohlthat erwiesen, deren Tragweite heut noch gar nicht zu ermessen ist.
Lucy Abbott und Eliza Chapin, welche das Krankenhaus von New-York leiten, behandelten in einem Jahre 6887 Frauen und Kinder.
In Philadelphia verdienen 6 weibliche Aerzte zwischen 10 und 50,000 Frcs. jährlich. In Orange (New-Jersey) beläuft sich das Einkommen einer der Aerztinnen auf 75,000 Frcs., und in New-York verdient eine Andere 80,000 Frcs. Einige von ihnen wetteifern an Ruf mit den ausgezeichnetsten und berühmtesten Chirurgen.
Eigenthümlicher Art ist das Vorurtheil, das man in einigen der Cultur entlegenen Weltgegenden bis heut gegen männliche Aerzte bewahrt hat. Die Aerzte der Tscherkessen sind durchgängig alte Frauen. Nur die eigentliche Wundarznei wird von Männern geübt. [Klemms Geschichte.]
In Rußland besucht ein junges Mädchen medicinische Curse auf Kosten der Kosaken von Orenburg, welche hartnäckig männliche Aerzte zurückweisen.
Wir kehren zu Herrn von Bischof zurück. Fünf Gründe sind es, auf die er seine Abschreckungstheorie, das medicinische Studium der Frauen betreffen, stützt. Sie heißen: 1) Erregung von Ekel, 2) Verletzung der Schamhaftigkeit, 3) Kränklichkeit der Frau, 4) Rohheit der Studenten, 5) Autoritätlosigkeit der Frau.
Indem ich voll glühenden Verlangens, einer neuen socialen Weltordnung zu dienen, die Anschauungen des Herrn von Bischof bekämpfe, kann ich unmöglich von der Widerlegung seiner Hauptgründe, die sich auf das physische Leben der Frauen beziehen, Abstand nehmen. Ungern folge ich dem Herrn der Wissenschaft auf dieses Gebiet, denn ich bin mir vollkommen bewußt, daß ich damit jene bekannte sittliche Entrüstung gegen mich herausfordere, die sich bei einer großen Anzahl von Menschen, wenn von den natürlichen Funktionen des Körpers die Rede ist, einzustellen pflegt. Leicht könnte man sich dieser lästigen Tugendschnüffler erwehren durch die Androhung, ihre Worte und ihre Handlungen, ihre auswendige sittliche Exaltation und ihre wirkliche Lebensführung confrontiren zu wollen; denn ich bin der festen Ueberzeugung: ein kluger Mensch von reiner Gesinnung wird nie und nimmer etwas Anstößiges und Verletzendes in der Erörterung einfacher physischer Vorgänge finden, sobald diese Erörterungen den Zweck haben, über eine große Frage Licht zu verbreiten. Nicht braucht die Schminke der Tugend, wer die Tugend selbst besitzt.
Jene Parade-Tugendhelden aber sind moralische Tartuffes oder Narren und Lakaien der souveränen Herrscherrin: Gewohnheit.
1) Das medicinische Studium erregt Ekel.
»Wie mancher Mann«, sagt Herr von Bischof, »bedarf der stärksten Berücksichtigung des Zweckes und der höchsten Abstraktion von dem Mittel für den Zweck, um das Abschreckende der Leiche und der Beschäftigung mit ihr zu überwinden. Es ist die Pflicht und die Aufgabe des Mannes, das zu überwinden. Für das Weib ist das nicht möglich, oder es ist ein Zeichen der äußersten Rohheit des Gefühls und Charakters. Und das sollen die Wesen sein, welche wegen der Feinheit ihres Zartgefühls den Kranken zu empfehlen sind. Es ist eine Beleidigung und Sünde wider die Natur, in meinen Augen ebenso unverzeihlich, wie eine Sünde wider den heiligen Geist.«
An einer anderen Stelle dagegen bezeichnet Herr von Bischof den Beruf einer Krankenwärterin als einen unübertrefflich und naturgemäß für das weibliche Geschlecht geeigneten.
Ich frage nun die zartesten unter meinen Mitschwestern: wenn sie die Wahl hätten, was würden sie lieber thun, einen lebendigen verkommenen Proletarier seine eiternden eklen Geschwüre ausdrücken, während sein Stöhnen ihr Ohr zerreißt, seine blutigen Lappen waschen, oder von einem todten Körper die Sehnen, Muskeln und Knochen zu einem wissenschaftlichen Zweck untersuchen?
Ich würde das Letztere vorziehen; doch über den Geschmack ist nicht zu streiten. Das aber glaube ich behaupten zu dürfen, und der wärmste Anhänger des Herrn von Bischof wird mir zustimmen: der Grad des Ekels vor einem Leichnam kann unmöglich ein viel intensiverer sein, als der vor einem mit einer widrigen Krankheit behafteten Lebendigen.
Herr von Bischof wird vielleicht einwenden, vor dem Krankenbette überwinde die Frau vermöge ihrer Barmherzigkeit und allgemeinen Menschenliebe den Ekel.
Ich antworte darauf: Allgemeine Menschenliebe ist die abstrakteste und erhabenste aller Tugenden, und eine Frau, die im Stande ist, unter ihrem Einfluß zu handeln, wird auch wohl so viel Abstraktion haben, wie der erste beste einfältige Knabe (oder lauschen Ihren Worten in der Anatomie nur geistreiche Jünglinge?), der vor dem Leichname sich »durch die Höhe des angestrebten Zweckes« über so viel Abschreckendes hinwegzusetzen vermag.
Solange Herr von Bischof der Krankenwärterin nicht garantiren kann, daß der ihrer Pflege anvertraute Soldat das Anstandsgefühl haben wird, sich nur oberhalb des Uniformkragens verwunden zu lassen, solange nicht jeder Patient eines Hospitals, dessen Leiden irgend einen Sinn widerwärtig berühren, die Weisung erhält, seine Krankenwärterin zu fliehen, solange ihr nicht der tägliche Konsum von einem kleinen Eimer Eau de Cologne gütigst gestattet wird – so lange erlaube ich mir die Meinung, daß am Krankenbett ebenso viel Schamhaftigkeit verletzt und Ekel erregt wird, als vor dem Sektionstisch.
Und warum dürfen denn die Hebammen ihr Zartgefühl abstumpfen, und die Köchinnen und die Schlächterfrauen mit ihrem blutigen Fleisch, und jene Weiber, die an mißduftenden Orten struppige Besen handhaben?
Ich bin überzeugt, wenn das tägliche Honorar für eine Krankenwärterin zehn Goldstücke betrüge, so würde kein Beruf der Welt weniger für eine Frau geeignet sein, als dieser; keiner würde die Schamhaftigkeit mehr verletzen, den Ekel stärker erregen, und in gewohnter Huld würde man nimmer mehr der schwächlichen Frau die ungeheure Last der Krankenpflege aufgebürdet haben!
Hand aufs Herz, Herr von Bischof, was würden Sie mit Ihrer Köchin thun, die den Aal, den Sie so gern essen, abzuschlachten sich weigerte, und sich bei Ihnen mit ihrem Zartgefühl entschuldigen wollte? Würden Sie nicht vielleicht diese Köchin grade ihres Zartgefühls wegen entlassen, um sie durch eine Andere, frisch darauf losschlachtende zu ersetzen?
Wenn die Köchin, Herr von Bischof, vor ihrem zappelnden Huhn oder Fisch keiner Ohnmachtsanwandlungen sich zu unterziehen braucht, um ihre Weiblichkeit zu beweisen, wenn Sie die Hebammen, Schlächterfrauen, Krankenwärterinnen u.s.w. ruhig gewähren lassen, ohne gegen sie zu polemisiren – so verdammen Sie auch die Aerztin nicht, weil sie gesunde Nerven hat, weil sie vermöge ihrer Energie und sittlichen Kraft möglicherweise auch einfach durch die Macht der Gewohnheit, dahin gelangt ist, gewisse Gefühlserregungen zu überwinden, die weder ihr, noch irgend einem andern Menschen Nutzen bringen! Sie verwechseln nämlich zweierlei: schwache Nerven oder Zartgefühl für »die elegante Welt« mit dem wahren Zartgefühl, das allein auf der Gesinnung beruht und nicht im Auf- und Niederzucken von einem Paar Nerven besteht.
Angesichts dieses Aufsatzes werden Sie mich gewiß nicht für eine zartsinnige Frau halten, sondern viel eher für ein sogenanntes Mannweib; und doch kann ich Ihnen versichern, daß schon der Anblick einer todten Maus mich mit Schaudern erfüllt; ja, das Gefühl des Ekels ist bei mir so leicht erregbar, daß ich Uebelkeit empfinden kann, wenn ich ein Kind mit auffallend entwickelten Lichterchen am Näschen erblicke.
Sie haben aber in der That nicht nöthig, Herr von Bischof, mich deshalb für »eine schöne Seele« zu halten. Solche schleunige Gefühlseruptionen sind nichts als Symptome jammervoller Nerven, und diese Virtuosität im Ekeln, dieses physische Zartgefühl hat mir auch von verständigen Leuten nie etwas Anderes als Spott oder höchstens Mitleid eingetragen.
Es ist wahr, liebenswürdige Damen der Gesellschaft, angebleicht und angekränkelt von poudre de riz und tausend und einem Roman und versehen mit der ganzen üblichen Garderobe des Zartgefühls: Nervenzucken, Parfüm, Spitzen und Fächer u.s.w., werden meistentheils vor einem Secirtisch in Ohnmacht fallen. Diese Feinfühligkeit wird sie aber unter Umständen nicht hindern, durch raffinirte Koketterie ein treues Herz zu martern oder das Lebensglück einer ehrenwerthen Mitschwester durch niederträchtige Verleumdung zu zerstören.
Seien Sie unbesorgt, meine Damen, derartige kleine Salonscherze werden den Ruf Ihrer zarten Weiblichkeit nicht compromittiren, so lange die Männer dekretiren, was weiblich und was unweiblich zu thun und zu wissen ist!
Wenn es übrigens Herrn von Bischofs voller und heiliger Ernst ist, sich in große Unkosten zu stürzen für die Konservirung oder Herstellung des weiblichen Zartgefühls, so will ich seine Aufmerksamkeit auf ein Feld lenken, wo er diesem Ritterthum in großartiger und umfassender Weise fröhnen kann.
Die paar hundert Aerztinnen würde ja, schon ihrer geringen Zahl wegen, keine bemerkenswerthe Abnahme des weiblichen Zartsinnes herbeiführen.
Wollen Sie wissen, was das Zartgefühl bis auf die letzte Faser ausrottet, es unrettbar zerstört?
Das ist die Armuth!
Unter hundert Prostituirten haben sich 99 ihres Zartgefühls im Interesse ihres Magens begeben.
In einem elenden oberschlesischen Dörfchen kannte ich eine Frau, deren Mutter und ihren Mann, alle Drei rechtliche brave Leute. Aber sie waren arm, bitterlich arm. Die Frau starb. Da stürzte die Mutter über den Strohsack, auf dem der noch warme Leichnam der Tochter lag, und ein wüthendes Gezeter erhob sich zwischen ihr und dem Wittwer über ihr Eigenthumsrecht an dem Strohsack. Das war nicht zartfühlend von der Frau Mutter; aber die Nachbarn fanden es ganz in der Ordnung.
Selbst von Zahnärztinnen will Herr von Bischof Nichts wissen.
»Gesetzt«, sagt er, »eine Frau besäße so viel Kraft, Sicherheit und Ruhe in ihren Bewegungen, um Zahnoperationen auszuführen, so ist das nicht ohne eine gleichzeitige Rohheit und Gefühllosigkeit zu denken, welche man dem Manne verzeiht, bei ihm nichts anderes erwartet, bei einem Weibe aber den unangenehmsten und widerwärtigsten Eindruck machen muß«.
»Man« denkt nicht daran, Ihre Toleranz gegen männliche Rohheit und Gefühllosigkeit zu theilen, Herr von Bischof! Jeder Patient würde bei der geringsten Wahrnehmung dieser »natürlichen« männlichen Eigenschaften den Arzt zur Thür hinaus werfen. Ich verachte einen rohen und gefühllosen Mann ebenso gründlich wie eine dito Frau, und das thut, außer Ihnen, wohl so ziemlich ein Jeder.
Zu welchen Absurditäten und widersinnigen Verleumdungen gegen das ganze männliche Geschlecht einzelne Herren in ihrem Eifer, die Frauen in ihrer Sphäre zu erhalten, sich hinreißen lassen, grenzt ans Unglaubliche!
Uebrigens konnte ich die obige Stelle nicht ohne Lachen lesen. Ich musste dabei an unsere erste und einzige Berliner Zahnärztin denken, an die kleine, überaus zarte und schwächliche Frau Dr. Tiburtius, die mir erst kürzlich mit so großer Geschicklichkeit einen colossalen Backzahn mittels Gasbetäubung ausgezogen hat. Versäumen Sie ja nicht, Herr von Bischof, wenn Sie einmal nach Berlin kommen, diese liebenswürdige Dame und vortreffliche Zahnärztin zu besuchen. Sie brauchen doch Beispiele, um Ihre Theorien zu illustriren!
»Welches Mannweib«, sagt Herr von Bischof, »würde dazu gehören, um eine Operation zu vollführen«.
Herr Anatom, glauben Sie wirklich, daß eine Zahnärztin, um einen Zahn auszuziehen, mehr Kraft in ihren Armen nöthig hat, als eine Tänzerin Kraft in ihren Beinen braucht, um ihre Luftsprünge zu exekutiren?
Und Sie haben kein Anathema gegen diese Beine?
Auch die Waschfrau, die von Nachts drei Uhr bis zum andern Abend wäscht, consumirt mehr Armkraft als die Aerztin bei einer chirurgischen Operation. Warum gestatten Sie diesen Händen und Armen ihre brutale Kraftprobe? Wo bleibt Ihr Anathema gegen die Waschfrau?
Und die Seiltänzerinnen mit ihren Muskeln von Stahl?
Hervor mit Ihrem Bannstrahl gegen diese lebendige Sprungfeder, die mit ihrer Muskelkraft einem halben Dutzend ordentlicher Professoren aushelfen könnte.
Entzückend weiblich erscheinen diese Damen den Männern (das heißt: die Waschfrauen abgerechnet), und das: »Anathema sit« verwandelt sich bei ihrem Anblick in ein Wonneschmunzeln. Diese Frauen leisten das Höchste, was Männer von den Frauen fordern: sie amusiren!
Zweiter Grund gegen das medicinische Studium der Frau: »Verletzung der Schamhaftigkeit.«
»So gewiß«, sagt Herr von Bischof, »als das weibliche Geschlecht von Natur sittsamer, schamhafter und keuscher ist, als das männliche – so gewiß ist es, daß die nothwendige Mißachtung und Vernachlässigung dieser Eigenschaften, welche medicinische Studien mit sich führen, das absolute Verdammungsurtheil über dieses unsittliche Unternehmen unserer Zeit ausspricht«.
Ich kehre einfach den Satz um und sage: so gewiß als das weibliche Geschlecht von Natur sittsamer, schamhafter, keuscher ist, als das männliche, u.s.w., so gewiß müssen wir ein absolutes Verdammungsurtheil aussprechen über das unsittliche Unternehmen vieler Jahrhunderte, Frauen in Geschlechtskrankheiten von Männern behandeln zu lassen.
Die Daily News theilten im April 1860 folgendes Faktum mit:
In einer Stadt in Straffordshire bewarb sich vor einiger Zeit Miß Harriet Cordon um ein Amt für die Registratur der Geburten und Todesfälle. Was sie sagte, nahm dergestalt für sie ein, daß man sie auf die engere, aus drei Personen bestehende Wahlliste setzte. Ein Geistlicher aber sprach aufs hartnäckigste gegen ihre Ernennung, indem er darauf hinwies, daß bei Ausübung ihres Berufes sie nicht vermeiden könne, verletzende Worte zu hören. Ihre Fürsprecher erwiderten, daß sie ja hauptsächlich mit Müttern werde zu verhandeln haben. Des Geistlichen Meinung drang durch, und Miß Cordon wurde zurückgewiesen.
Der schamhaften Frau soll es unerträglich sein, mit anderen Frauen in amtlicher Weise über geschlechtliche Verhältnisse zu sprechen! Natürlich aber verletzt es ihre Schamhaftigkeit nicht im mindesten, wenn man sie zwingt, Männern gegenüber derartige Dinge zur Sprache zu bringen, vorausgesetzt, daß diese amtlichen Unterhaltungen dem Manne ein hübsches Einkommen abwerfen!
Herr von Bischof möchte es für ganz gewiß halten (Seite 35), »daß manche Frau ihre Heimlichkeiten, wie die alte Medicin es nannte, viel lieber einem männlichen als weiblichen Arzt offenbart«. (Die Voraussetzung, daß sie Beiden gleiche Geschicklichkeit zutraut, ist hier selbstverständlich, sonst hätte diese Auslassung des Herrn von Bischof überhaupt keinen Sinn.) Nur ein schamloses Weib könnte sich zu einer so erstaunlichen Mittheilung herbeigelassen haben. Ein Mann wie Herr von Bischof ist über den Verdacht eines Verkehrs mit einer solchen Frau unbedingt erhaben, und wir müssen mithin annehmen, daß der Professor, indem er das kühne Wort gelassen aussprach, nur seinem Genius gehorcht habe. Alle Achtung vor den zünftigen Inspirationen eines ordentlichen Professors; aber – mir fehlt der Glaube.
Ich kenne sehr viel Frauen und bin die Vertraute mancher Kranken gewesen, und ich weiß, wie viel Kummer und Thränen es selbst derbgearteten Frauen kostet, ehe sie, wo es sich um eine Frauenkrankheit handelt, zu dem Entschluß kommen, einen Arzt zu consultiren.
Der weitaus größere Theil unterleibskranker Frauen zieht ein lebenslanges Siechthum ärztlicher Untersuchung vor.
Eine Aerztin, die zu Boston in einem Hospital für Frauen und Kinder studirte, berichtet: Sehr oft habe ich mit angehört, daß roh geartete Frauen der niedersten Klassen, wenn man sie fragte, warum sie bei einem eingewurzelten Frauenleiden nicht früher ärztliche Hülfe nachgesucht, zur Antwort gaben: »Wie? Ich konnte doch mit meiner Krankheit nicht zu einem Manne gehen, und ich habe bis jetzt nicht gewußt, daß die Frauen solche Dinge thäten (did this work)«. Nur in akuten Fällen pflegen Frauen Aerzte zu Rathe zu ziehen. Isabella von Kastilien starb, weil die Scham sie verhinderte, sich einem Arzte anzuvertrauen.
Zugegeben wird Herrn von Bischof, daß eine Reihe von Vorlesungen besser den beiden Geschlechtern in gesonderten Cursen zu halten sind. Die Schwierigkeiten aber, die einem solchen Arrangement entgegenstehen, geben wohl kaum Stoff zu ernster Diskussion. Ein Urtheil darüber, ob besondere Universitäten für Frauen den Universitäten für beide Geschlechter vorzuziehen seien, erlaube ich mir vorläufig nicht.
Das sensitive Zurückbeben, dieses schamhafte Schaudern vor dem Bau des menschlichen Körpers und den natürlichen Verrichtungen desselben – Dinge, die doch nach frommem Glauben von Gott selbst eingesetzt sind – was ist es schließlich Anderes, als eine Anklage Gottes auf Unanständigkeit?
Nichts, scheint mir, corrumpirt mehr die Reinheit unserer Phantasie, als diese falsche Scham, diese Verleumdung der Natur, die das einfach Menschliche mit einem geheimnißvoll lüsternen Schleier verhüllt. Nicht immer sind die Frauen aus Schamhaftigkeit schamhaft. Jedenfalls wäre es wünschenswerth, wenn man bei der Erziehung der weiblichen Jugend mehr Gewicht darauf legte, jene edle Scham in ihr zu entwickeln über feile Gesinnung und nichtswürdige Denkungsart, die wir nur zu oft an den Frauen vermissen.
Man fürchtet die Befleckung der Frauenseele durch das Studium? Unsern Jünglingen giebt man getrost griechische und römische Schriftsteller in die Hände, Schriften des Aristophanes und Plato, die Dinge zur Sprache bringen, welche die obscönsten und kecksten Schriftsteller moderner Jahrhunderte niemals gewagt haben würden auszusprechen.
Man geht von dem Grundsatz aus, daß man nicht das Recht habe, der Jugend vorzuenthalten, was ihren Geist bereichern und ihren Horizont erweitern könne, und daß eine Tugend, die jeder verführerischen Anregung unterliege, werthlos sei.
Dieses »Noli me tangere« als Devise des Frauenthums, diese zarte Unwissenheit und Seelen-Unberührtheit, die man von der Frau fordert (ob mehr aus ästhetischen und sinnlichen, als aus sittlichen Motiven, lasse ich dahingestellt), läßt sich in keinem Fall, wenigstens nicht bei einem klugen Weibe bewahren, man müßte sie denn niemals allein bis zur nächsten Straßenecke gehen lassen, man müsste sie zeitlebens von der Luft ihrer Zeit, von Wissenschaft und Erkenntniß überhaupt absperren.
Solange die Unkenntniß der physischen Vorgänge für heilig gilt und als Schutz der weiblichen Tugend gepriesen wird, so lange stehen wir nicht über den Verehrern des Harems.
Aus allen Jahrhunderten lesen wir von schamlosen Weibern. Sie gehören fast ausnahmslos den höchsten Kreisen der Gesellschaft an, den Kreisen der eleganten, unbeschäftigten Damen, und sie erläutern auf das schlagendste die Anschauung, daß ein leeres Leben fast immer demoralisirt.
Unter den vielen Aerztinnen Amerika’s aber findet sich nicht ein einziges Beispiel einer verworfenen sittenlosen Kreatur, und diese Frauen begehen keine andere Schamlosigkeit, als bei diesem »unsittlichen Unternehmen unserer Zeit« wohlhabend zu werden – möglicher, sogar wahrscheinlicher Weise auf Kosten männlicher Aerzte.
Wer die Reinheit des häuslichen Herdes bewahren will, der lasse die Frau theilnehmen an den idealen Interessen der Zeit, der lasse sie trinken aus dem Quell lebendiger Erkenntniß, und lasse sie ausschauen in das Land der Kunst. Wer heimisch geworden im Reich der Kunst und Wissenschaft, der kann, davon bin ich überzeugt, niemals ganz schlecht werden.
Dritter Grund gegen medicinisches Frauenstudium: »Rohheit der Studenten«.
Herr von Bischof sagt (Seite 40): »Es unterliegt keinem Zweifel, daß der weibliche Theil der Zuhörerschaft beständigen Angriffen von Seiten des männlichen Theiles ausgesetzt sein wird ..... Die Studentinnen aber werden entweder dem fortwährenden Andrange von Seiten der männlichen Zuhörerschaft unterliegen, oder wenn sie ihm Widerstand leisten, so wird die unausbleibliche Folge Anfeindungen, Beleidigungen, Spott u.s.w. sein.«
Miß Putman, die erste Frau, die von der medicinischen Schule zu Paris als Studentin zugelassen worden ist, schreibt: »Nicht die leiseste Inconvenienz hat sich herausgestellt bei meinen Studien und meiner Gegenwart in den Hörsälen; nicht die geringste Schwierigkeit hat sich gegen mein Zusammensein mit den jungen Leuten erhoben, mit denen ich nicht nur in den Vorlesungen, sondern auch in den Hospitälern, in den Lesezimmern, Laboratorien u.s.w. gemeinsam studirte. Ich bin stets mit ebenso freimüthiger als achtungsvoller Courtoisie behandelt worden.«
Eine junge Dame, die gegenwärtig in Zürich studirt, schildert das Verhalten der Studenten den Damen gegenüber als durchaus freundlich, hülfreich und achtungsvoll.
Als Antwort auf eine offizielle Nachfrage schreibt der Dekan der medicinischen Fakultät in Zürich: »Seit 1867 sind Damen regelrecht als immatrikulirte Studentinnen in Zürich zugelassen worden und haben Theil gehabt an allen Privilegien der cives academici. So weit unsere Erfahrung reicht, hat diese neue Praxis in keiner Weise die Interessen der Universität geschädigt. Die weiblichen Studenten, die bis jetzt die Universität besucht, haben großen Takt bewiesen und sich als fleißige Studenten gezeigt.«
Man beachte: Früher hieß es, der Studirende der Medicin besitze die Abstraktion, wegen »der Höhe des angestrebten Zweckes jeden Ekel vor den Schrecknissen der Anatomie zu überwinden.«
Mit einem Male paßt Herrn Bischof »die Abstraktion und die Höhe des Zweckes« nicht, und schleunigst wird die Sache umgekehrt: ein paar hübsche Augen ziehen den Studenten von der abstrakten Höhe zur konkreten Sünde nieder!
Gehört Konsequenz zu den männlichen Tugenden?
So viel ich weiß, gibt es Universitätsgesetze und Universitätsrichter. Betragen die Studenten sich pöbelhaft gegen Damen, so jage man sie von der Universität weg (wegen mißliebiger politischer Aeußerungen hat man früher dasselbe gethan), oder man sperre sie, je nach dem Maß ihrer Rohheit, auf längere oder kürzere Zeit ins Karzer.
Das nennen die guten Männer noch nicht Unterdrückung der Frauen, wenn sie ihnen die Hörsäle der Universität verschließen, weil etliche Studenten in ihnen Objekte zur Bethätigung ihrer Rohheit sehen könnten.
In einem Aufsatz hebt Herr von Bischof verschiedentlich hervor, daß die Idealität der studirenden männlichen Jugend zu Grunde gehen müsse, sobald das andere Geschlecht in den Hörsälen sich zeige. Eine saubere Idealität, deren Besitzer sich nicht scheuen, wehrlose Geschöpfe zu verspotten und zu verleumden, weil sie ihre unzüchtige Gesinnung nicht theilen wollen!
Worin, o Jüngling, besteht denn deine Idealität, die Herr von Bischof besingt? Ist sie nur an das Universitätslokal gebunden, und dein Denken und Fühlen weiß nichts davon?
Daß die studirenden Herren gegen so schnöde Beleidigung, die der Professor ihnen mit seiner Seelendiagnose anthut, nicht reagiren, nimmt mich Wunder.
Und diese unberechenbaren Weiber, diese Sphinxe – nein, diese Medusen der Wissenschaft, vor denen alle Idealität erstarrt, sobald sie auf der Schwelle der Universität erscheinen! Daheim aber tritt (wie es nach den herkömmlichen Phrasen heißt) Idealität, Poesie und alles Schöne und Herrliche mit ihnen über die Schwelle des Hauses!
Armes Menschengeschlecht – gleich wie in jener mythologischen Dichtung Sonne und Mond sich ewig suchen und ewig fliehen, so kommen Mann und Weib in ihrem Seelenleben nie zusammen! Wo der Eine aufhört, ideal zu sein, fängt der Andere erst an. Armes Menschengeschlecht!
Vierter Grund: »Die Frau wird durch ihren Gesundheitszustand an der Ausübung ärztlicher Praxis gehindert.«
Selbstverständlich wird hier in erster Linie Schwangerschaft und Kindbett angeführt.
In Deutschland beträgt die Durchschnittszahl der Kinder in einer Familie, wenn ich recht berichtet bin, 3 – 4.
Die Frau der niederen Stände wird durch eine Entbindung höchstens eine Woche ihren gewöhnlichen Beschäftigungen entzogen.
Für die gut situirte Frau wollen wir die von den Aerzten festgesetzte Zeit von 6 Wochen auf je ein Kind an Anspruch nehmen – kommt auf ein ganzes Menschenleben ungefähr ein halbes Jahr der Abhaltung.
Daß die Frauen in solchen Fällen sich herzlich gern gegenseitig vertreten würden, ist selbstverständlich.
Dieses halbe Jahr der Abhaltung verträgt sich gerade so mit dem Beruf einer Frau, wie sich mit dem eines Mannes ein ab und zu wiederkehrender Rheumatismus verträgt – von jenen böswilligen, periodisch wiederkehrenden Uebeln, die oft ein halbes Leben hindurch Männer zeitweise arbeitsunfähig machen, gar nicht zu reden.
Es soll vortreffliche Minister gegeben haben, die alljährlich, Jahrzehnte hindurch, an Gicht litten und dabei ein ganzes Land regierten. Fürst Bismarck zieht sich um eines Nervenleidens willen in jedem Jahr auf einige Zeit nach Varzin zurück, und Niemand wird ihn um dessentwillen für ein im Staatsdienst untaugliches Subjekt halten.
Ich gestehe, daß mir dieser Einwand mehr komisch als ernsthaft erscheint; und von wie schaudererregender Lieblosigkeit ist er! Das weibliche Geschlecht leidet Schmerz und Krankheit für die Erhaltung des menschlichen Geschlechtes. Und sein Lohn? Die Leibeigenschaft!
Wollte man Auffassungen wie die des Herrn von Bischof bis zu den äußersten Konsequenzen verfolgen, so würde schließlich jede Erkältung, die sich ein Beamter etwa durch Leichtsinn zuzieht, als eine Pflichtversäumniß erscheinen. Ueber die alljährlichen Besucher von Karlsbad, Kissingen, Wiesbaden u.s.w. müßte das Damoklesschwert der Amtsentsetzung schweben, ja jeder hartnäckige Schnupfen wäre schließlich eine politische Heimtücke oder gar ein hochverrätherisches Unternehmen gegen den Staat. Aber, meine Beste – erinnert der Herr Professor – Sie haben die Zeit der Schwangerschaft vergessen!
Die Proletarierfrau arbeitet bis zum Augenblick ihrer Entbindung im Schweiße ihres Angesichtes, die Dame amusirt sich bis zum letzten Augenblick. Sie besucht und empfängt Gesellschaft, sie reist und pflegt überhaupt ihre gewohnte Lebensweise unverändert beizubehalten.
Bei besonders krankhaften Organisationen pflegt der Zustand der Schwangerschaft allerdings von den traurigsten Erscheinungen begleitet zu sein. Diese krankhaften Organisationen aber sind nichts von der Natur Gewolltes, sondern nur das Resultat unserer corrumpirten Gesellschaftszustände, die zu reformiren eben unser Zweck ist.
Aber selbst in den bedauerlichsten Zuständen einer solchen Leidenden gewährt eine ernste, geistig anregende Beschäftigung (ich weiß es aus Erfahrung) die einzige Linderung, sie ist mitunter das einzige Mittel, das bei der höchsten Steigerung des Leidens vor Verzweiflung schützt.
Mit dem Zustand der Schwangerschaft bringt Herr von Bischof einen Abschreckungsgrund in Verbindung, der einen jeden, der nicht ganz rohen Anschauungen fröhnt, in das höchste Erstaunen setzen muß. Er sagt (Seite 38): »Wie interessant, passend und würdevoll muß es nicht sein, die Frau Aerztin sich mit schwangerem Leibe am Krankenbette und Operationstisch umherbewegen zu sehen.« Und einige Zeilen weiter: »Alles dieses ist so sinnlos, so widerwärtig und naturwidrig, daß man glauben sollte, der entfernteste Gedanke daran müsse jeden Versuch auf einem solchen Wege unmöglich machen.«
Die Erscheinung einer schwangeren Frau im Krankenzimmer erfüllt Herrn von Bischof mit Hohn und Widerwillen.
Was ist dabei widerwärtig? Nur zweierlei kann Herr von Bischof meinen. Entweder wirkt die Erscheinung einer solchen Frau lächerlich und widerwärtig vermittelst der Vorstellung, daß sie in ihrem Schooß ein neues Leben trägt, das sie gebären soll.
Wem eine solche Vorstellung eine solche Wirkung erzeugt, der macht sich der Gotteslästerung schuldig. Im Allgemeinen erregt wohl bei allen Menschen (Herrn von Bischof ausgenommen), selbst bei roh gearteten, der Anblick einer schwangeren Frau ein Gefühl von Sympathie und Rücksicht.
Eine würdige Frau büßt nicht von ihrer Würde ein um ihrer Schwangerschaft willen; im Gegentheil, selbst einer würdelosen verleiht dieselbe einen Schimmer von Würde.
Oder – und das ist es wohl, was Herr von Bischof im Sinne gehabt hat – die Erscheinung einer Frau, die guter Hoffnung ist, verletzt das Schönheitsgefühl ihrer Umgebung, stört ihr ästhetisches Behagen.
Bei Gott, ich weiß nicht, was einer Patientin gleichgültiger wäre als die schönen Körperlinien ihres weiblichen Arztes. Der Herr Professor hat vergessen, daß die weiblichen Aerzte nur Frauen und Kinder behandeln wollen, nicht Männer.
Und dann, Herr von Bischof, müßten nicht von diesem ästhetischen Gesichtspunkt aus auch alle Männer, die sich von der Normalgestalt des Apollo von Belvedere um so und so viel Linien böswillig entfernt haben, aller öffentlichen Aemter beraubt und ihrer ärztlichen Funktionen enthoben werden?
Es gibt so und so viel würdige und tüchtige Männer, die durch ihren Umfang, den man mit einem Volksausdruck zu bezeichnen pflegt, das Schönheitsgefühl zu verletzen keine Scheu tragen.
Und sie haben für ihre harmonielose Erscheinung nicht einmal die schöne Entschuldigung, die jene Frauen für sich in Anspruch nehmen dürfen.
Herr von Bischof scheint die Schwangerschaft nicht für eine Gnade Gottes, sondern für eine Krankheit und ein Strafgericht Gottes zu halten, wie die Hindu früherer Zeiten den Aussätzigen ihre Kaste nahmen, weil sie Gegenstände des göttlichen Zornes seien.
Herr von Bischof weiß indessen unser Erstaunen noch zu steigern. Er thut es durch folgenden Ausspruch: »Wie wird es der Aerztin ergehen, wenn sie alle vier Wochen den ihrem Geschlecht schuldigen Tribut zu leisten hat, der ihren eigentlichsten Beruf in der menschlichen Gesellschaft bezeichnet. Selbst wenigstens 3 – 4 Tage meistens in ihrem gesunden Gefühl getrübt, soll sie anderen Leidenden helfen und sich körperlich und geistig frei am Krankenbette bewegen!«
»Warum sind die Frauen zu allen Zeiten und bei fast allen Nationen in dieser Periode für unrein gehalten worden, warum ziehen sie sich zu dieser Zeit selbst in den gebildetsten Kreisen zurück? Ist es nicht empörend, und im höchsten Grade verletzend, die Aerztin sich auch zu dieser Zeit bewegen zu sehen, oder ihr zuzumuthen, sich zu bewegen, als wenn gar Nichts los wäre?«
Diese Stelle las ich zweimal, denn ich traute meinen Augen nicht. Sie fragen: warum sind die Weiber zu allen Zeiten und bei fast allen Nationen in dieser Periode für unrein gehalten worden?
Aus demselben Grunde, Herr Professor, aus dem man Jahrhunderte lang bei fast allen Nationen Frauen mit roth geränderten Augen als Hexen verbrannte – darum, weil jeder Aberglaube seine Zeit braucht, um überwunden zu werden; darum glaubte man auch Jahrtausende, daß die Sonne sich bewege und die Erde still stände. Einige Pastoren glauben noch daran. Wie es scheint, haben sie Mitgläubige!
Herr von Bischof hält die Frau um dieses körperlichen Vorgangs willen für unrein. Ein den modernen Frauenbestrebungen ebenso abgeneigter gelehrter Herr, der Philosoph und Historiker Michelet, ist entgegengesetzter Meinung: »Nous connaissons«, sagt er, »cet être sacre, qui justement en ce que le moyen âge taxait impureté, se trouve en réalité le saint des saints de la nature.«
Wir Frauen haben nun die Wahl zwischen Herrn von Bischof und Herrn Michelet: entweder wir sind Heilige oder eine Art Vice-Menschen mit einem starken animalischem Beigeschmack.
Wenn es empörend ist, eine Frau als Aerztin in diesen Tagen beschäftigt zu sehen, warum ist es nicht auch empörend und verletzend, die Arbeiterin und das Dienstmädchen arbeiten zu sehen? Glauben Sie wirklich, daß es für eine Aerztin viel angreifender ist, in einem kühlen Zimmer einen Krankheitsfall zu überdenken und Rezepte zu schreiben, als es für eine Krankenwärterin mühevoll ist, an einem schwülen Tage vom Morgen bis zum Abend Kranke zu pflegen, oder für eine Köchin, in einer brennend heißen Küche heiße Eierkuchen zu backen? Sie freilich, Herr von Bischof, davon bin ich überzeugt, begnügen sich in diesen Tagen mit kalter Küche, und ehe sie eine Waschfrau engagiren, stellen Sie ein Sanitäts-Verhör mit ihr an. Ich fürchte aber, Niemand wird Ihrem edlen Beispiel folgen!
Solange nicht jeder Arbeitgeber seine Arbeiterin während dieser drei bis vier Tage bezahlt, während er ihre Arbeit anzunehmen sich hartnäckig weigert, solange nicht der Staat allen Wittwen und Unverheiratheten während dieser Tage eine ihren sonstigen Einnahmen entsprechende Geldsumme gewährt, so lange können wir diese Frage unerörtert lassen; sie erledigt sich von selbst.
Eine gesunde Frau oder auch nur eine nicht ganz kränkliche Frau weiß Gott Lob nichts von einer merklichen Beeinträchtigung ihrer geistigen und körperlichen Kräfte während dieser Tage; ich bin unter sieben Schwestern aufgewachsen, und mir fehlt es demnach nicht an Erfahrung. Von einer leichten Nervenverstimmung aber, von einer kleinen Abspannung ein besonderes Aufheben machen zu wollen, würde zu einer abgeschmackten Verweichlichung führen. Niemand fragt den müden, abgehetzten, schwindsüchtigen Lehrer, ob er sich nicht ab und zu ein paar Ruhetage gönnen wolle.
Ist es »empörend und verletzend«, wenn eine Frau in diesen Tagen krankhaften Befindens ihre Pflichten als Aerztin erfüllt, warum ist es nicht ebenso empörend und verletzend, wenn z.B. ein Hämorrhoidarius (ich habe von Aerzten gehört, daß der größere Theil der Männer in mittleren Jahren zu dieser Kategorie zu rechnen ist) bei seinen periodisch wiederkehrenden Krankheitserscheinungen seine gewohnten Funktionen versieht?
Und wenn Sie mir antworten, daß ja von solchen Krankheitszuständen des Mannes Niemand etwas weiß, so scheinen Sie ganz unglaublicher Weise dieses Argument für die Frauen nicht gelten zu lassen, unbeschadet der Schamhaftigkeit, die Sie als specielle Tugend des Weibes preisen.
Uebrigens würde ja diese Behinderung, ebenso wie die des Wochenbettes, bald nach dem vierzigsten Jahre fortfallen, und so bliebe den Frauen immer noch eine halbe Lebenszeit für ärztliche Praxis.
Diesen körperlichen Vorgang, dem die Frau monatlich unterworfen ist, nennt Herr von Bischof ihren »eigentlichsten Beruf in der menschlichen Gesellschaft.« Nicht die Encyclopädisten in ihren verwegensten Ausschreitungen, nicht La Mettrie in seinem verrufenen Buch: »L’homme machine« ist so weit gegangen wie unser conservativer deutscher Professor. Die Materialisten des vorigen Jahrhunderts sind nur Zwerge im Vergleich zu diesem materialistischen Goliath, Herrn von Bischof, der den Daseinszweck der Hälfte des menschlichen Geschlechtes in einer animalischen Funktion sieht. Nur consequent, Herr Professor! Gehen Sie noch einen Schritt weiter und sprechen Sie es aus, das kühne Wort: der Zweck des ganzen Menschengeschlechtes ist der Stoffwechsel.
Sonderbare Leute, diese Aerzte, Anatomen und Physiologen. Ein krankhafter Zustand, als ein Attribut des weiblichen Geschlechtes, soll die Frauen von jeglichem Beruf fern halten; schickt aber so eine arme Frau bei den verzweiflungsvollsten hysterischen Leiden, bei andauerndem, unerträglichen Unbehagen, das mit ihrem Geschlechtsleben zusammenhängt, zu einem Arzt oder zu einem Dutzend Aerzten, so wird sie, in wunderbarer Uebereinstimmung, stets dasselbe von ihnen hören: Unsinn! Ihnen fehlt gar Nichts, werthe Frau; thun Sie, als wären Sie ganz gesund; nichts als Einbildung – beschäftigen Sie sich nützlich, das ist die beste Kur!
Herr von Bischof meint, die Frauen seien kränklich in Folge des mit großer Anstrengung von ihnen Erlernten. (Seite 22.)
»Man unternehme es nur«, fährt er fort, »dem jugendlichen weiblichen Organismus in noch weiterer und allgemeinerer Ausdehnung einen, seinem natürlichen entgegengesetzten Entwickelungsgang, die Gehirnentwicklung auf Kosten der Geschlechtsentwicklung zuzumuthen und die Strafe der Natur wird in großartigem Maße nicht ausbleiben.«
Aber die Strafe der Natur, Herr von Bischof, ist ja bereits erfolgt; nur umgekehrt als Sie denken, nicht dafür, daß die Frau zu viel denkt und lernt, sondern dafür, daß sie zu wenig lernt und denkt.
Fragen Sie irgend einen vielbeschäftigten Frauenarzt, und er wird Ihnen ein schreckenerregendes Bild von der Nervenzerrüttung der heutigen Frauenwelt entwerfen. Ein Gesinnungsgenosse von Ihnen behauptet sogar, wie ich an einer anderen Stelle schon angeführt habe, daß 75 % des weiblichen Geschlechtes in Folge von allzu vielem Lernen schief geworden sei.
Ich will Ihnen sage, was Sie als Mann gar nicht wissen können, aus welcher Quelle, zum Theil wenigstens, diese Nervenzerrüttung stammt.
In einem Alter, in welchem der erwachende Geist eine positive Nahrung braucht, bietet man dem Mädchen nichts als die nervenerregenden Zerstreuungen der Gesellschaft, Bälle, Musik, Theater und mechanische häusliche Verrichtungen. Alle überschüssigen Geisteskräfte des begaben Mädchens schießen in die Phantasie, und je nach ihrem Temperament wird sie sich in phantastische Träumereien, in sinnliche Vorstellungen oder religiöse Schwärmereien vertiefen und verlieren. Das massenhafte Lesen von Büchern, die nur das Gefühlsleben anregen, überfluten ihre unentwickelte Intelligenz mit vagen Ideen und führen sie in ein Land der Illusionen, das im herben Contrast zur Wirklichkeit steht. Eine krankhafte Unruhe zehrt an dem jungen Leben und zerrüttet den Körper.
Sie ahnen nicht, Herr von Bischof, daß man Jahrzehnte hindurch träumen kann, und immer träumen, und erwachen, wenn es zu spät ist. Viele Frauen kämpfen Jahre lang und ergeben sich endlich mit stumpfer Resignation in ihr Schicksal. Und die Leute sagen dann, sie seien zufrieden.
Dummheit oder auch nur Beschränktheit des Gesichtskreises ist wie ein dickes Fell, das gleichmäßig vor Ueberhitzung und Erstarrung schützt.
In derselben Weise wie das Turnen oder eine andere kräftigende körperliche Bewegung die Glieder stärkt, so kräftigt unausgesetzte Uebung und Anwendung der Hirnthätigkeit das Denkvermögen.
Wo die Ueberreizung beginnt, ist ganz individuell. Der Verständige muß seine geistige Verdauungskraft selber controliren können. Man kann ihm das Maß des zu Erlernenden nicht abwägen, ebenso wenig wie man einem Erwachsenen die Quantität und Qualität der Speisen, die er zu consumiren hat, vorschreiben wird.
Träge Ruhe ist für Geist und Körper gleich gefährlich. Der erschlaffte oder mit ungesunder Nahrung überfütterte Geist produzirt bei dem weiblichen Geschlecht entweder Pflanzenmenschen, wie sie uns der Orient in den Bewohnerinnen des Harems zeigt, oder nerven- und unterleibskranke Frauen, wie die höheren Stände Europa’s sie liefern.
Daß ein weiterer Grund der Kränklichkeit des weiblichen Geschlechtes in dem Mangel weiblicher Aerzte zu suchen ist, habe ich bereits erwähnt. Die Aerzte in der Komödie Milière’s erklären: »qu’il vaut mieux qu’un malade meure selon les règles que d’en échapper contre les règles.« Besser, die Frauen siechen hin oder sterben, als daß der weibliche Arzt auf dem Markt des Lebens erscheine!
Eigentlich hätte ich mir diese Abhandlung über die Kränklichkeit der Frau sparen können; denn – man staune – die Thatsache, daß die Frau kränklicher ist als der Mann, steht nichts weniger als fest. Ich gestehe, daß ich selber nie an der Richtigkeit dieser Thatsache gezweifelt habe, aus dem einfachen Grunde, weil von jeher und von Jedermann die schwache Gesundheit der Frau mit souveräner Sicherheit behauptet worden ist. Wie angemessen aber in diesem Falle der Zweifel gewesen wäre, beweisen nachfolgende Mittheilungen.
Aus den französischen Gesellschaften für gegenseitige Unterstützung (mutuell secours), die unter der vorigen Regierung gegründet wurden, waren die Frauen entweder ganz ausgeschlossen, oder sie mußten, wie z.B. in Rouen, einen höheren Beitrag zahlen und erhielten während ihrer Krankheiten keine Entschädigungsgelder.
Als diese Associationen (nachdem sie eine Zeitlang außer Wirksamkeit gewesen) durch ein Dekret vom 26. März 1852 wieder hergestellt und vom Staate mit Geldmitteln unterstützt wurden, versuchten die Mitglieder der Kommission ihnen eine vernünftigere und humanere Basis zu geben, indem sie darzuthun sich bemühten, daß ein gleicher Beitrag auch die gleichen Rechte der Frauen bedinge; sie machten sich anheischig, zu beweisen, daß die Frauen der Gesellschaft weniger zur Last fielen als die Männer, und daß ihre Krankheiten von kürzerer Dauer seien.
»Die Zulassung der Frauen,« heißt es in dem Referat, »vermehrt unsere Hilfsquellen eher, als daß sie dieselben verminderte (l’admission des femmes ajoute aux ressources plutôt, qu’elle ne les diminue).
Da die Frauen bei der Vertheilung der Gelder keine berathende Stimme hatten, blieben sie trotz dieser Argumentation im Nachtheil.
Der Bericht der Gesellschaft von 1865 lautet: »Die Zahl der im Laufe des Jahres zugelassenen Frauen ist verhältnißmäßig größer als die der Männer; aber die Wohlthaten der Gesellschaft gleichmäßig unter die Geschlechter zu vertheilen, ist bis jetzt nicht gelungen, und die Kommission muß ihr Bedauern ausdrücken, in den Statuten verschiedener Gesellschaften noch immer jenen Vorurtheilen zu begegnen, die sie im Namen der Erfahrung und der Menschenliebe so oft bekämpft hat, und die dabei beharren, auf Kosten der Frau eine ungerechte Ungleichheit festzuhalten.«
Ich lasse hier wörtlich die statistische Tabelle dieser Gesellschaft, die Krankheiten der Männer und Frauen betreffend, folgen:
»Selons les rapports triennaux, la moyenne des journées de maladie des sociétaires a été de:
Pour les hommes 18 jours en l’année 1857; pour les femmes 14 jours.
Pour les hommes 21 jours en l’année 1861; pour les femmes 18 jours.
Pour les hommes 5 jours en l’année 1864; pour les femmes 4 jours.
Pour les hommes 5,58 jours en l’année 1867; pour les femmes 4,37 jours.
Le rapport adressé à l’Empereur (Moniteur du 26. janviers 1869) sur la situation de ces sociétés dit: »La moyenne des journées payées par malade a été de 21,03. La moyenne des hommes a été de 21,85 , celles des femmes de 16,83.«
La moyenne des journées de maladie pour chaque sociétaire est la même en 1867 qu’en 1866, mais elle est encore plus favorable aux femmes.«
So wäre nach diesen Berichten die größere Kränklichkeit der Frau nur ein Märchen, zum Zweck ihrer Unterdrückung erfunden.
Die Statistik ist eine schneidende Waffe, eine unanfechtbare, die allen leeren Behauptungen ein jähes Ende macht, vor welcher die schnöde Phrase wie Spreu im Winde verweht.
Nicht allzu schwer dürfte es sein, nach dem Vorgang dieser französischen Gesellschaften in allen Ländern statistisches Material zur Vergleichung des Gesundheitszustandes von Mann und Frau zu sammeln.
Bestätigen sich dann die Angaben der französischen Hülfsgesellschaft, so fiele damit nicht nur ein Hauptargument unserer Widersacher gegen das amtliche und wissenschaftliche Wirken der Frau fort – wir dürften sogar, wenn wir consequent denken wollten wie die Männer, den Spieß umkehren und von den Männern die Niederlegung sämmtlicher Aemter auf Grund ihrer größeren Kränklichkeit verlangen.
Diese statistischen Angaben mögen uns wiederum eine Warnung sein, nimmer mehr auf Treu und Glauben hinzunehmen, was auf dem Wege der Tradition, und möge sie Jahrtausende alt sein, an uns gelangt ist. Verwerfen sollen wir alle Behauptungen, solange nicht die genaueste wissenschaftliche Prüfung und die eigene Vernunft sie bestätigt haben.
Man redet der Frau ein, daß sie kränklich sei und schwach und daher des männlichen Schutzes bedürfe; denn ahnte sie die ihr angeborne Kraft und Gesundheit, so könnte der souveräne Mensch in ihr erwachen, und es könnte geschehen, daß eines Tages die Männererde der alten Germanen zur Menschenerde würde, gleichermaßen für Mann und Weib.
Man wird einwenden, daß die mitgetheilten statistischen Berichte aus Frankreich nur auf die niederen Stände Bezug haben. Das ist wahr. Sie beweisen aber nichts destoweniger, daß die in den höheren Klassen herrschende Kränklichkeit der Frau mit ihrer Originalnatur nichts zu thun hat.
Ich vermuthe sogar: käme es dem Weibe darauf an, ihre Körperkomplexion bis zur brutalen Kraft auszuarbeiten, so würde die Natur gegen die Befriedigung dieses ehrgeizigen Wunsches keinen Einspruch erheben.
Um junge Atlethinnen zu erzielen, wäre nichts erforderlich als eine, in früher Jugend begonnene, unausgesetzte Uebung und Stählung der Muskeln. Für Liebhaber von Beispielen sei angeführt, daß 1722 und 1728 in England Frauen öffentlich als Boxerinnen auftraten.
Limburga, Gemahlin des Erzherzogs Ernst des Eisernen von Oesterreich, eine geborene Prinzessin von Masovien, war so stark, daß sie einen Nagel mit der bloßen Hand in die Wand schlagen konnte und wälsche Nüsse mit den Fingern knackte.
Elisabeth, Tochter des Herzogs Boguslav von Pommern, letzte Gemahlin Karls II. und Mutter von Sigismund und Johann, zerbrach Eisenstäbe wie Holz. Eiserne Kettenpanzer riß sie wie Leinwand auseinander, und als der Kaiser 1371 zu Prag ein Turnier hielt, ließ sie sich ein neues, großes und dickes Hufeisen reichen und brach es mit Leichtigkeit in Stücke. Ein englischer Reisender berichtet, daß in Arabien alle Arbeiten außerhalb des Hauses (out-door-work) von den Frauen verrichtet werden, und daß diese starkgliedriger seien als die Männer.
Daß diese Ausarbeitung der Muskelkraft begehrenswerth erscheine, möchte ich nicht behaupten. Geringere physische Kraft ist kein Beweis für intellektuelle Inferiorität. Die ausgestorbenen Racen gigantischer Bildungen waren von geringerer Organisation als irgend eine jetzt existirende Race. –
Fünfter Grund gegen das Studium der Frauen: »Die Frau kann keine Autorität ausüben.«
»Man denke sich,« sagt Herr von Bischof, »eine Frau als ärztliche Dirigentin eines Hospitals oder als Gerichtsärztin. Muß nicht Jeder bei dem Gedanken lachen, oder aber auch weinen, daß eine Frau den hohen Grad von Autorität ausüben soll, welcher dem Dirigenten eines Spitals unentbehrlich ist?« u.s.w. Und an einer anderen Stelle: »Ich kann mir unmöglich denken, daß das frisirte Haar und die rauschenden Röcke einer Frau dem Kranken diese Hoffnung und diesen Trost (die der Patient erwartet) bringen werden.«
Die Antwort darauf ist außerordentlich einfach.
Vorläufig aber möchte ich bemerken, daß verschiedenen Menschen sehr verschiedene Dinge lächerlich erscheinen. Lächerlich werden der großen Menge immer erscheinen alle Dinge, die den hergebrachten Sitten und der Tradition widersprechen. Ich erinnere mich z.B., in der Zeit, als große Crinoline getragen wurden, wagte ich mich eines Tages ohne Crinoline auf die Straße. Ich erregte einen wahren Jubel unter dem Volk und der Schuljugend und wurde derartig ausgespottet und gehöhnt, daß ich mich nie wieder zu der maßlosen Lächerlichkeit, ohne den Umfang eines respektablen Tonnengewölbes auszugehen, hinreißen ließ.
Welcher Dirigent oder welche Dirigentin eines Hospitals sollte aber nun wohl einem denkenden Europäer lächerlich erscheinen?
Zweifellos eine jegliche Persönlichkeit, deren Anspruch auf Autorität in einem ausgesprochenen Contrast zu ihren Leistungen steht.
Wodurch kann oder müßte von einem Dirigenten Autorität erworben werden?
Herr von Bischof kann dabei nur zweierlei im Auge haben: eine mehr äußerliche Bedingung, die kräftig auftretende Persönlichkeit des Dirigenten, und die innere wesentliche Bedingung, die auf der Tüchtigkeit der Leistung beruht.
Nun wird Herr von Bischof gewiß nicht bezweifeln (daß er es durchaus nicht bezweifelt, geht aus einem seiner Aussprüche hervor, von dem sogleich die Rede sein wird), daß es Dirigenten irgend welcher Anstalten gibt, die zu Hause unter dem Pantoffel ihrer Frau stehen.
Die Frau, sollte ich meinen, die Energie und Kraft genug hat, den Dirigenten selbst zu dirigiren und außerdem möglicher Weise noch eine Anzahl widerhaariger Dienstboten, eine solche Frau wird auch verstehen, sich in einem Hospital Gehorsam zu verschaffen.
Finden Sie aber, Herr Professor, daß Autorität vorzugsweise erworben wird durch tüchtige Leistungen – nun so würden eben die Tüchtigkeit und die Leistung und nicht das Geschlecht für den Grad des Respekts entscheidend sein, und die Beamten und Patienten eines Hospitals würden eben so wenig Respekt empfinden vor einem untüchtigen Arzt als vor einer untüchtigen Aerztin.
Ich bin überzeugt, wenn Miß Nigthingale im Krimkriege die Hospitäler betrat, so erschien sie dem Auge der Kranken wie ein Erzengel, und jedes Haupt beugte sich in Demuth vor dieser Frau. Nur ein Haupt hätte sich nicht gebeugt, nur ein Mann würde sich beim Anblick dieser Dirigentin vieler Hospitäler vor Lachen geschüttelt haben – Herr von Bischof!
Der Herr Professor können sich nicht denken, daß frisirtes Haar und rauschende Röcke dem Kranken Trost und Hoffnung bringen.
Das glaube ich auch nicht; ich glaube aber auch nicht, daß knarrende Stiefel, hohe Cylinderhüte oder Kahlköpfe Trost und Hoffnung zu bringen im Stande sind. Auch daß die Anmuth einer wohlfrisirten Perrücke Trost und Hoffnung bringe, muß ich bezweifeln.
Und woher beziehen denn nun die männlichen Personen, die, wenn auch nicht krank, so doch unglücklich sind, und die man vorzugsweise auf das weibliche Geschlecht zu verweisen die Gewohnheit hat, ihren Trost und ihre Hoffnung? – Du armer, unglücklicher Mann, der du vielleicht an unheilbarem Bankerott leidest, dich kann dein Weib nicht trösten! – Wehe! Ihre Kleider rauschen! Keine Hoffnung kann die Mutter in die liebeskranke umnachtete Seele der Tochter hauchen! Wehe! sie lässt sich frisiren!
Die armen Chinesen! Sie alle tragen Zöpfe – bei ihnen gibt’s überhaupt keine Hoffnung und keinen Trost!
Mein Respekt, offen gesagt, würde eher durch einen Pickel auf der Nase oder eine Warze auf der Stirn beeinträchtigt werden, als durch hübsch frisirtes Haar.
Als Randbemerkung erlauben Sie mir wohl noch, als einer Sachverständigen, die Berichtigung, daß wollene Kleider nicht rauschen; seidene Kleider dienen im Allgemeinen nur zur Gesellschaftstoilette.
Nach des Herrn Professors Erfahrung bedürfen selbst Männer der vollen Concentration ihrer Geisteskräfte, um bei einer unvorhergesehenen Schwierigkeit während einer Operation nicht zu verzagen. Die Frau liegt natürlich gleich auf der Nase.
Die schwierigste Operation, von der man Zeuge sein kann, ist wohl die, bei welcher Einem selber die Glieder bei langsamem Feuer abgeschmort werden; Solches ist Männern und Frauen zu verschiedenen Zeiten und oftmals geschehen; und wer hätte je gehört, daß auf dem Scheiterhaufen oder unter der Guillotine die Frauen an Heldenmuth und Geistesgegenwart hinter den Männern zurückgeblieben wären?
Die Mutter aus dem Hause der Makkabäer ließ, weil Antiochius sie und ihre sieben Söhne zwingen wollte, Schweinefleisch zu essen, sich und ihre sieben Söhne martern und hinrichten, und sie starb, die Söhne tröstend, mit unglaublichem Heroismus. Leicht wäre es, mit den Beweisen von physischem und sittlichem Heldenmuth der Frauen ganze Bände zu füllen.
Nachdem Herr von Bischof weitläufig die Inferiorität der Frauen bewiesen zu haben glaubt, knüpft er daran folgenden Ausspruch: »Wären die Weiber im Besitz der größeren Geisteskräfte, so hätten sie die Männer längst noch mehr zu ihren Sklaven gemacht, als dieses schon so in fast allen Gebieten des Lebens offner und versteckter der Fall ist, mit Ausnahme der Wissenschaften.«
Wollen Sie mit diesem Ausspruch, Herr Professor, die Frauen verhöhnen?
Wie? Diese untergeordneten Geschöpfe machen heimlich und offen die Männer zu Sklaven?
Wodurch?
Bei den Männern beherrscht die Vernunft die Gefühle – so haben Sie uns belehrt; aus Gefühlen kann das Narrenseil also nicht gedreht sein, an dem die Frauen die Männer leiten. Von größerer Intelligenz kann selbstverständlich nicht die Rede sein, wie Sie wissen. Ueber mehr Muskelstärke als der Mann gebietet die Frau ebenso wenig; es kann also nicht die Furcht vor Handgreiflichkeiten sein, die ihn zu ihrem Sklaven macht.
Aber so helfen Sie mir doch, Herr Professor! Was ist es denn? Bleibt doch nur thierischer Magnetismus, oder das Wunder. Wissen Sie etwas Anderes?
Wenn ein Volk das andere, eine Klasse die andere, ein Mensch seinen Nebenmenschen beherrscht, so kann ich mir als Bedingung der Herrschaft nur denken: entweder eine größere geistige oder physische Kraft, die geistige Kraft als Intelligenz oder als Charakterenergie gedacht – oder zweitens: der Besitz der Macht, diese mag nun eine ererbte oder eine durch Gesetz oder Tradition festgestellte sein.
Klingt nicht aus dem seltsamen Ausspruch des Herrn von Bischof etwas wie Eifersucht? Fürchtet er vielleicht die Rivalität derjenigen, die zu verachten er sich den Anschein giebt? Und erinnern seine Worte nicht an ein Bekenntniß Laboulaye’s: »Je me suis demandé tout bas,« sagt dieser geistreiche Schriftsteller, »si la femme n’était pas naturellement supérieure à l’homme. Elle a des passions moints violentes et une plus grande facilité d’éducation. Tandis qu’Adam s’en dormait dans son innocence, Eve était déjà curieuse de savoir. – Je crois, avec Molière, qu’il est prudent de ne pas trop instruire ce sexe malicieux est inquiet; à tenir les femmes dans une honnète ignorance, nous leur donnons touts les vices, mais aussi toutes les faiblesses de l’esclave; notre règne est assuré. Mais si nous élévions ces âmes ardentes et naives, si nous les enflammions de l’amour de la vérité, qui sait, si bientôt elle ne rougiraient pas de la sottise et de la brutalité de leurs maitres? Gardons le savoir pour nous seuls; c’est lui qui nous divinise: Notre empîre est détruit si l’homme est reconnu.«
An die Darlegung seiner Gründe gegen das medicinische Studium der Frauen knüpft Herr von Bischof noch einige culturhistorische Betrachtungen.
»Auf die Dauer,« sagt er, »siegt zuletzt immer der Stärkere und beweist sich dadurch als der Stärkere. Der Sieg, den das männliche Geschlecht überall, unter allen Umständen und in allen Beziehungen, wo es sich um Wissenschaft und Fortschritt handelt, zuletzt über das weibliche davongetragen, beweist die schwächere, natürliche Anlage des letzteren ... Eine dauernde Unterdrückung eines Theils bei natürlicher Gleichartigkeit der Kräfte ist nicht möglich. Die Unterdrückung müßte auch irgendwie einmal angefangen haben, und man sieht gar nicht ein, weshalb sie grade den weiblichen Theil überall getroffen haben sollte.«
Die Unterdrückung hätte nur die Weiber getroffen? Welch ein ungeheurer Irrthum! Sie vergessen die Sklaverei und die Leibeigenschaft! Die Unterdrückung hat nicht nur getroffen, sondern sie trifft auch heut noch einen Theil des männlichen Geschlechtes. In Asien lebt noch heut, wie seit Jahrtausenden schon, das niedere Volk in einem Zustand absoluter Sklaverei. Haben Sie nie von den Gesetzesbestimmungen dieses Volkes gehört, die noch heut zu Recht bestehen? Darf ich mir erlauben, Ihnen einige dieser dämonisch spaßhaften Bestimmungen in Erinnerung zu bringen: »Wenn ein Sudra (Mann aus dem Volke, heißt es in dem indischen Gesetzbuch des Menu) sich herausnahm, denselben Sitz einzunehmen, wie seine Oberen, so sollte er entweder verbrannt werden, oder der König sollte ihm einen Schlitz in den Hintern machen lassen. Wenn er aus Lernbegierde auch nur ein heiliges Buch vorlesen hörte, so sollte siedendes Oel in seine Ohren gegossen werden; wenn er es aber gar auswendig lernte, so sollte er getödtet werden.«
Begreifen Sie nun, Herr Professor, daß die Unterdrückung, die Männer erduldet haben und erdulden, kein Hirngespinst ist, sondern furchtbare Wirklichkeit? Liest bei uns eine Frau wissenschaftliche Bücher, so schütteln sich höchstens ein Paar Professoren vor Lachen, was dem menschlichen Ohr sicher weniger Schmerz bereitet, als wenn man es in Oel siedet.
Sollten Sie noch nicht überzeugt sein, so hören Sie einige weiteren Stellen: »Wurde ein Sudra ermordet, so war die Strafe die nämliche, wie für die Tödtung eines Hundes, einer Katze oder einer Krähe.« Ja, das Gesetz verordnete, daß der bloße Name eines Arbeiters verächtlich sein solle, damit die ihm gebührende Stellung unmittelbar anerkannt sei.
Wenn Jemand aus der arbeitenden Klasse sein gewöhnliches Gewerbe änderte, oder es bekannt werden ließ, daß er sich um Politik kümmerte, so wurde er schwer bestraft. Wenn sie ihre Arbeit versäumten, wurden sie gepeitscht; dies war auch die gewöhnliche Strafe des Hausgesindes und sogar der Frauen.
Wir hätten indessen nicht bis nach Asien zu wandern brauchen, um Belege für die Unterdrückung der Männer zu gewinnen. Der Historiker Giraud in seinem »Précis de l’ancien droit« sagt: »Jusqu’ à la révolution (1789) une division fondamentale partageait les personnes libres et les personnes sujettes à condition servile«: und Cassagnac in seiner »Cause de la révolution«
»Chose surprenante, il-y-avait encore au 4. Août 1789 15,000 serfs de corps (Leibeigene) en France.«
In Deutschland kam zur Zeit des Wiener Congresses das freche Wort in die Mode : »Der Mensch fängt erst beim Baron an«.
Und was bezweckt die große Bewegung der Sozialisten in unseren Tagen? Die Befreiung der Lohnsklaven. »Eine dauernde Unterdrückung ist nicht denkbar« – sagten Sie, Herr von Bischof.
Gewiß nicht, und die Unterdrückung wird auch nicht dauernd sein. Ein Paar Jahrtausende sind in der Entwickelung der Welt nur eine kurze Spanne Zeit.
»Die Unterdrückung müßte auch irgend einmal angefangen haben!«
Und wer sagt Ihnen, daß sie nicht in der That einmal einen Anfang genommen hat?
Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden sogar in grauer Vorzeit die ersten Versuche, die Frau zu unterdrücken, mit aller Kraft und Energie zurückgewiesen.
Durch das ganze Alterthum ziehen sich die Sagen von den Amazonen. Es giebt kaum ein Land, das nicht dergleichen Mythen nachzuweisen hätte. Selbst bei den Chinesen finden wir Amazonensagen. Was lehren uns Männer der Wissenschaft aus solchen Sagen zu schließen?
Daß ihnen eine dunkle historische Wahrheit zu Grunde liege.
Nach der Analogie anderer Sagenauffassungen wären wir also wohl berechtigt, an einen Kampf der Geschlechter zu glauben, der einmal stattgefunden, und in welchem schließlich die Frauen besiegt wurden.
Theseus und Herkules, heißt es in der mythischen Dichtung, besiegten die berühmten Amazonen, Hippolyta und Menalippe, nach großen Schwierigkeiten und mit Aufwand aller ihrer Kräfte. Herkules, berichtet die Sage weiter, hielt es für seine Pflicht, die Männer von der Weiberherrschaft zu befreien. Herkules aber ist das Symbol der brutalen Kraft.
Die Deutung des Mythus ergiebt sich von selbst.
In der Frauenfrage, wie in allen großen socialen Fragen, gilt es nicht, festzustellen, was war und was ist, sondern was sein wird.
Meine und der Professoren Antwort ergiebt sich aus dem Vorangegangenen von selbst.
Wodurch motiviren die Männer ihr kategorisches: »Sie soll nicht«!?
Eins ihrer Hauptargumente ist bereits weitläufig abgehandelt worden. Sie soll nicht studiren, weil sie nicht studiren kann. Und dieses »nicht kann«, dieser Glaube an die geistige Inferiorität der Frau war und ist meiner Meinung nach das einzig ehrlich gemeinte Argument der Männer, das fast von allen bedeutenden Schriftstellern aller Zeiten abwechselnd mit Witz, Bosheit und treuherziger Ueberzeugung hervorgehoben und vertheidigt worden ist.
»Die Frau, die denkt,« sagt Lessing, »ist gleich dem Manne, der Roth auflegt – lächerlich!« Und Voltaire: »Ideen sind den Bärten gleich: die Jugend und die Frauen haben keine« u.s.w.
Alle übrigen Einwände gegen das wissenschaftliche Wirken der Frau, vor Allem die Piedestal-Theorien, nach denen die Frauen zu heilig und zu rein sein sollen, um die Berührung mit der Wissenschaft zu riskiren, sind nur Reservegründe, gewissermaßen der Landsturm eines abgenutzten Gedankenreiches, den man erst dann in’s Treffen schickte, als der Hauptpfeiler der Argumentation morsch zu werden begann und ins Schwanken gerieth.
Werfen wir indessen noch einen flüchtigen Blick auf diese Nebengründe.
Getrost käuen unsere Gegner stets die nämlichen Gemeinplätze wieder, ohne jemals die geringste Notiz von irgend welcher Widerlegung zu nehmen, sie mag noch so schlagend und scharfsinnig sein. Ihre Argumentation, selbstverständlich jeder wissenschaftlichen Begründung, jeder logischen Gedankenkraft entbehrend, beruht einzig und allein auf der Behauptung.
»Selbstverständlich« – sagte ich; denn nie und nimmer wird des Menschen Gehirn, und sollte es von Weisheit triefen, einen logisch starken Beweisgrund gegen die wissenschaftliche Emancipation der Frauen zu entdecken im Stande sein. Das Resultat der tiefsinnigsten Enthüllungen über die Mysterien des höchsten Weltwillens in Bezug auf die Frauen, die Quintessenz der raffinirtesten männlichen Gedankendestillation wird und kann in alle Ewigkeit nicht Anderes zu Tage fördern als den Kernspruch: »Wir sind Männer, und ihr seid Frauen!« Eine unantastbare Wahrheit, die selten verfehlt, eine erschütternde Wirkung auf die Männer auszuüben und sie von der Inferiorität der Frauen endgültig zu überzeugen.
Ihr seid Männer, und wir sind Frauen. Ja wohl! Aber die Geschlechtszwecke sind nur untergeordnete und physische, und wie der Geist Gottes über den Wassern, so ist die Seele des Menschen über dem Geschlecht.
Die Scheingründe, welche den Frauen das Studium wehren sollen, heißen:
Hausfrauenthum! Es ist eine alte ehrwürdig bemooste Anschauung, daß eine wissenschaftlich gebildete Frau eine schlechte Gattin und Mutter sein müsse. Ernsthafte Männer geben sich der excentrischen Vorstellung hin, daß Mutterliebe am Erlernen des Griechischen oder am Schwefeldunst physikalischer Experimente crepiren müsse. Auf dem Mittagstisch einer Frau, die es versteht, Kubikwurzeln auszuziehen, wittern sie unmoralisches Sauerkraut und Erbsen und Tischreden mit dem Beigeschmack von Tinte.
Und doch hat das Griechische und das Wurzelausziehen schwerlich mehr mit der Mutterliebe zu schaffen als die Farbe des Kleides, das die Mutter trägt. Pallas Athene war den Griechen nicht nur Erfinderin des Spinnens und Webens und der Frauenkünste, sondern auch die Gottheit des ernsten strengen Forschens durch den Verstand.
Am Schluß des sechszehnten Jahrhunderts stellte Duplessis Mornay den Satz auf »que ce n’était pas chose incompatible d’être bon Huguenot et bon Français tout ensemble«, und seinen Zeitgenossen schien dieser Satz ein unglaublicher Widersinn, grade wie den Männern von heut die Vorstellung einer wissenschaftlich wirkenden Frau, die zugleich eine liebende Mutter ist, als ein Widersinn erscheint. Man sieht, jedes Zeitalter hat sein Aberglaubens-Gift, an dem es sich berauscht.
Ueber Mutterpflichten und Küche habe ich bereits an einer andern Stelle eingehend gesprochen und nachzuweisen mich bemüht, daß eine vernunftgemäße Erziehung der Kinder, an welcher der Vater ebenso viel Theil haben muß als die Mutter, die Thätigkeit der Frau nicht absorbirt. In ihren Memoiren erzählt Madame Roland: »Wir brachten vier Jahr in Amiens zu. Ich wurde dort Mutter und nährte mein Kind, ohne aufzuhören, die Arbeiten meines Mannes zu theilen, der die Ausarbeitung eines beträchtlichen Theils der Encyclopädie übernommen hatte.«
Mutterliebe ist ein unaustilgbarer Trieb der menschlichen Natur, und sein instinktives und bewußtes Wirken wird immer auf das Wohl des Kindes gerichtet sein, solange nicht ein revolutionärer Sturm der Atome im menschlichen Körper das Unterste zu Oberst kehrt, etwa das Herz in den Magen verschlägt, oder einige Gehirnfibern, die der Liebe dienen, sprengt.
Uebrigens würde ich erst dann glauben, daß dieser Vorwand von Seiten der Männer ernsthaft gemeint sei, wenn sie Anstalten träfen, den Müttern aus dem Volke, 2/3 aller Mütter, ein Einkommen und eine Lebensstellung zu sichern, welche diesen Frauen die Sorge für ihre Kinder als einzige Lebensaufgabe zu betrachten gestattet. Was dem einen Kinde recht ist, ist dem andern billig.
Was nun die Küche betrifft, so ist die Lösung dieser hochherrschaftlichen Frage die ureinfachste von der Welt.
Man lasse die Köchinnen kochen lernen, und das Problem ist in vollendetster Weise gelöst. Was hätte die Frau in der Küche zu thun neben einer »Kochköchin«, die wirklich kochen kann?
Letztere würde wahrscheinlich Erstere, wenn diese sich auf ihrem Gebiete betreten ließe, als lästige Topfschnüfflerin zur Küchenthür hinaus complimentiren.
Hoffen wir zu Gott und zu thatkräftigeren Generationen, daß dieser Riesenfortschritt in der Civilisation sich dermaleinst, wenn auch in ferner Zukunft, vermittelst Kochlehranstalten für Köchinnen vollziehen werde! Und trösten wir uns über das Mißgeschick der Gegenwart mit den Tafelfreuden unserer Urenkel, welche schauen werden das Wunder einer Köchin die kochen kann!
Zweiter Einwand. Gleiche Rechte, gleiche Pflichten.
Unter diesen »Pflichten« verstehen die Männer den Kriegsdienst, welchen Frauen zu leisten im Allgemeinen nicht fähig sind.
Darauf habe ich zu erwidern: Erstens, wo es sich um Aufstellung von Prinzipien handelt, da darf die Zulässigkeit dieser Prinzipien nicht an einem Rest barbarischer Gesittung gemessen werden, auf den zukünftige Jahrhunderte mit Staunen und mit Abscheu blicken werden.
Wahrlich, man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, daß, sind den Frauen erst politische Rechte gewährt, die Lebensdauer dieses Mord-Patriotismus um einige Jahrhunderte gekürzt werden wird.
Zweitens: Nach dem erwähnten Grundsatz müßte jeder Mann, der aus irgend einem Grunde keinen Kriegsdienst geleistet hat, seiner politischen Rechte verlustig gehen; und in der That wurden bekanntlich nach der Solonischen Gesetzgebung jedem Athener, der nicht Kriegsdienste leistete, die bürgerlichen Rechte entzogen.
Man darf nicht vergessen, daß die allgemeine Wehrpflicht durchaus nicht eine Institution aller civilisirten Länder ist, und daß auch bei uns, trotz dieser Pflicht, eine nicht unbedeutende Zahl von Männern außer Stande ist, Kriegsdienste zu leisten.
Drittens: Der Mann muß bereit sein, für das Vaterland sein Leben zu lassen. Könnte man es nicht für ein Aequivalent gelten lassen, daß die Frau bestrebt ist, die Lücken, welche Schwert und Kugel des Mannes in die Reihen der Menschen reißen, durch Geburten auszufüllen?
Und muß es denn durchaus fürs Vaterland gestorben sein, so ließe sich vielleicht durch die Statistik nachweisen, daß annähernd so viel Frauen ihr Leben einbüßen, indem sie sich der Aufgabe unterziehen, dem Staate neue Bürger zu schenken, als Männer auf dem Schlachtfelde draufgehen bei der blutigen Arbeit, Ihresgleichen aus der Welt zu schaffen.
Viertens: Es bedürfte nur der Erfindung eines leichten eleganten Mordinstruments, dessen Handhabung der Frau keine allzu große Kraftanstrengung zumuthete, und einiger anderer Erfindungen zur Vermehrung der Bequemlichkeit im Felde, etwa eines kleinen tragbaren Canapees und eines Taschen-Velocipedes, und die Frau könnte Kriegsdienste leisten, so gut wie der Mann.
Schließlich ließe sich noch anführen, daß die Krankenpflege in den Militairlazarethen, wenn man sie ganz den Frauen anheimgäbe, für eine den Leistungen der Männer im Kriegsdienst ebenbürtige patriotische That angesehen werden könnte. Freilich würde sich nur eine viel geringere Anzahl von Frauen an solchen Werken der Barmherzigkeit betheiligen können, als Männer im Felde Dienste leisten.
Dritter Einwand: Studiren, ein ästhetisches Malheur für die Frau.
Mit dem Begriff einer starkgeistigen, d.h. denkenden und wissenden Frau verbindet man gern die Vorstellung von harten Zügen, einer langen Nase, Stiefeln mit Randsohlen, Charakterkanten und einer, wenn auch unverschuldeten, so doch unerfreulichen Aeltlichkeit. Besonders phantasiereiche männliche Gemüther neigen auch zur Annahme eines kleinen Schnauzbartes und einer Rabenstimme.
Prüfen wir nun die Richtigkeit dieser männlichen Vorstellungen an der Wirklichkeit.
Italien und Frankreich haben uns die größte Zahl von Frauen geliefert, die in Kunst und Wissenschaft sich einen Namen erworben. Ich verweise wieder auf Klemm, den Feind der Frauenfreiheit, der aus authentischen Quellen seine Biographien entnehmend, uns wider seinen Willen die Schönheit, Liebenswürdigkeit und selbst die Hausfrauentugenden der meisten jener gelehrten Damen, deren Geschichte er schreibt, rühmen muß. Ich erwähne aus seinem Abschnitt über Italien nur der »göttlichen Isotta«, der Novella d’Andrea, die, wenn sie ihre Vorträge über Rechtswissenschaft hielt, ihr Gesicht mit einem Schleier bedeckte, um die Zuhörer nicht durch ihre Schönheit zu verwirren; der Gaëtana Agnesi von Mailand (1718-1799), die umfassende Kenntnisse in der Physik, Algebra und Mathematik besaß, und bescheiden und fromm nur ihren Arbeiten lebte. Dabei war sie (nach Klemm) den 22 Söhnen, die ihr Vater aus drei Ehen hatte, eine vortreffliche Mutter und gewissenhafteste Vorsteherin eines bedeutenden Hauswesens. Die verführerischsten und liebreizendsten Frauen Frankreichs waren fast immer zugleich die starkgeistigen. Das weiß ein Jeder, den seine Lecture einmal durch die berühmten französischen Salons geführt hat, vom Hotel Nambouillet bis zum Salon der Mad. Recamier. Und die bezaubernden intriganten und geistreichen Damen der Fronde, die Herzoginnen von Longueville, Choiseuil und wie sie Alle heißen mögen. Sollten sich wirklich goldene und dunkle Locken lieblicher um leere Köpfe gekräuselt haben als über den Stirnen dieser politischen Sirenen? Ich kann nicht daran glauben, daß dem gemüthreichen Hindämmern über Kochtöpfen, den Sorgen über Wirthschaftsgeld, der großen und der kleinen Wäsche die kosmetische Kraft inne wohnt, den Teint zu heben, die Runzeln zu verklären oder die Grazien herbeizulocken. Wenn Abälard’s Heloise lächelte, so hat sicher ihr Lächeln nicht weniger holdselig die Lippen geschwellt, die vom Wohllaut griechischer und lateinischer Verse überflossen, als es die Lippen einer Berliner Hausfrau zieren wird, die nur auf »jut Berlinisch« sich zu äußern durch Bildungs-Umstände genöthigt ist.
Daß Grazie, edle Weiblichkeit und wissenschaftliche Erkenntniß einander ausschließen, ist einer der burleskesten Einfälle, die je ein männlicher Denkerkopf ersonnen.
Es mag jetzt mitunter vorkommen, daß eine sehr gelehrte Dame ein wenig auf ihre Gelehrsamkeit pocht, weil sie als Gelehrte eben eine Ausnahme ihres Geschlechtes bildet. Hört die Ausnahme auf, so fällt die Anmaßung von selbst fort.
Wäre es aber wahr, daß die geistige Korpulenz der Frau gleichen Schritt hielte mit ihrer körperlichen Abmagerung, daß die Zunahme des Wissens bei ihr eine Abnahme weiblicher Anmuth bedingte, so würde diese schadhafte Grazie doch nur ein Verlust sein für die Augen der Männer und nicht für ihre Seele. An tugendhaften und moralischen Emotionen würden diese souveränen Geister keine Einbuße leiden, und darauf kommt es ihnen doch zumeist an! Nicht wahr, meine Herren?
Wenn eine studirte Dame, eine Aerztin z.B., nicht nach dem Geschmack der Männer ist, so zwingt Sie ja Niemand in der Welt Gottes, dieses medicinische Frauenzimmer, ihr Einkommen mag noch so beträchtlich sein, zu lieben und zu heirathen!
In einem New-Yorker Frauenverein sprach ein deutscher Arzt energisch gegen Frauengelehrsamkeit und unter dem jubelnden Zuruf seiner Anhänger und dem lebhaften Beifall seiner eigenen besseren Hälfte rief er aus: »Die Hand auf’s Herz, meine Herrn, möchten Sie eine gescheidte Frau haben? Ich wenigstens nicht!«
Gott sei Dank, daß die Natur in ihrer weisen Oekonomie für jeden gelehrten dummen Hans eine ungelehrte dumme Grete in Bereitschaft hält!
Ebenso wenig wie alle Männer werden auch in Zukunft alle Weiber studiren, und es wird für unsere Professoren und ihre Gesinnungsgenossen immer noch eine große Anzahl naiver Naturkinder, guter Köchinnen, harmloser Hausmütterchen und ästhetischer Echo’s übrig bleiben.
Aber »Männer und Frauen müssen von einander verschieden sein, um sich gegenseitig anzuziehen.«
Die Männer scheinen anzunehmen, daß nicht die schöpferische Kraft der Natur den Geschlechtern die Verschiedenheit eingebildet habe (in diesem Falle wäre sie ja unaustilgbar), sondern daß dieselbe erst künstlich entwickelt werden müßte, und darum lautet ihr Verdict: »Lasset die Knäblein Griechisch lernen und Lateinisch und Mathematik u.s.w. Die Mägdlein aber lasset nicht Griechisch, nicht Lateinisch und nicht Mathematik lernen, damit die Verschiedenheit der Geschlechter herrlich wachse und gedeihe!« Ein consequenter Denker dürfte getrost hinzufügen: »Lasset die Knäblein Beafsteak essen und Rothwein trinken; die Mägdlein aber lasset nicht Rothwein trinken und nicht Beafsteak essen, und die Verschiedenheit der Geschlechter wird immer weitere und erfreulichere Dimensionen annehmen.« Die Männer, die im Interesse der Geschlechtsverschiedenheit so energisch gegen die geistige Emancipation der Frau protestiren, sie leisten Vorschub der Herabwürdigung der Frau zu einer niederen Art von Mann. Der Beweis ist sehr einfach. Der Mann verlangt von der guten Gattin, daß sie seine Gesinnung, seine Anschauungen, seine Interessen theile, und ihm Gehorsam leiste. Seine Gesinnungen aber, sein Wille, seine Interessen sind männliche. Wer bestreitet es? Folglich ist das Frauenideal des Mannes: Ein schwacher Abklatsch seiner selbst.
Ich meine: die Frau soll studiren.
1. Sie soll studiren, weil jeglicher Mensch Anspruch hat auf die individuelle Freiheit, ein seiner Neigung entsprechendes Geschäft zu treiben. Jede Thätigkeit, wenn sie einen Menschen befriedigen soll, muß gewissermaßen ein »in Scene setzen« seiner inneren Vorgänge sein. Freiheit in der Berufswahl ist die unerläßlichste Bedingung für individuelles Glück.
2. Sie soll studiren, weil sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, eine vom Manne verschiedene geistige Organisation besitzt, (verschieden, aber nicht von geringerer Qualität) und deshalb voraussichtlich neue Formen der Erkenntniß, neue Gedankenrichtungen der Wissenschaft zuzuführen im Stande sein wird. Wenn Buckle annimmt, daß die Frau in der Wissenschaft eine deduktive und ideale Methode vorziehen und dadurch ein Gegengewicht bilden würde gegen die induktive Methode der Männer, deren Einseitigkeit die Fortschritte unserer Erkenntniß aufzuhalten geeignet sei, so hüte ich mich wohl, ihm hierin beizustimmen. Die Ansicht Buckle’s kann selbstverständlich nur den Werth einer scharfsinnigen Hypothese haben.
3. Medicin aber soll die Frau studiren, einmal im Interesse der Moral, und zweitens, um dem weiblichen Geschlecht die verlorene Gesundheit wiederzugewinnen. Die Frau kennt das physische Wirken ihres eigenen Körpers besser als der Mann, und niemals wird Dieser das tiefe Mitgefühl, das die Forschung anspornt, und die scharfe und feine Beobachtung haben für die Leiden, die das Leben der Frau zerstören, und die er in ihren Ursachen und Folgen aus Gründen, auf deren Erörterungen ich mich hier nicht einlassen will, nicht durchschaut.
4. Die Frau soll studiren, um ihrer Subsistenz willen. Niemand hat das Recht, eine Menschenklasse in ihren Subsistenzmitteln zu beschränken, es sei denn, Staat und Gesellschaft übernähmen die Verantwortung für die angemessene Versorgung dieser Klasse.
5. Die Frau soll studiren, weil Wissen und Erkenntniß das höchste und begehrenswertheste Gut der Erde ist, und weil die geeignetste Sphäre für jeden Menschen die höchste Sphäre ist, die zu erreichen der Menschheit überhaupt vergönnt ist.
Wenn die geistigen und physischen Fähigkeiten der Frau den Aufgaben der Wissenschaft nicht gewachsen wären, so würde das große Gesetz der politischen Oekonomie in Kraft treten: die Bevölkerung würde von ihren unzureichenden Diensten keinen Gebrauch machen. Ehe aber diese Zurückweisung erfolgt ist, darf nicht das Vorurtheil diese unermeßlich wichtige Frage entscheiden. »Jahrhunderte und Jahrtausende haben bewiesen,« sagt Herr von Bischof, »daß die Frauennatur nicht angelegt ist zu diesem Studium der Wissenschaft.«
Wenn die Jahrtausende ein Beweis wären, dann müßten die Männer ebenso wenig zum Studiren taugen; denn wer zählt die Jahrtausende, in denen sie, aller Kunst und Wissenschaft bar, in Höhlen und Pfahlbauten ein grammatikloses Dasein führten!
Ist die Haushaltung wirklich die Naturbestimmung des Weibes, so wird keine Macht der Erde diesen Naturtrieb in ihr ausrotten können. »Ein revolutionärer Frosch,« sagt Heine, »welcher sich gern aus dem dicken Heimathgewässer erhübe, und die Existenz des Vogels in der Luft für das Ideal der Freiheit ansieht, wird es dennoch im Trocknen, in der sogenannten freien Luft nicht lange aushalten können, und sehnt sich gewiß bald zurück nach dem schweren soliden Geburtssumpf.«
Immer sollen wir uns aus der »Culturgeschichte« Belehrung über den weiblichen Beruf schöpfen! Mit dieser Culturgeschichte hat es eine eigene Bewandtniß: sie hält so geduldig still, man kann so Vieles aus ihr heraus und in sie hineinlesen! So lesen die Herren der Wissenschaft in sie hinein, daß das Haus die Sphäre der Frauen ist, war, und sein wird bis in alle Ewigkeit.
Ich aber lese aus der Culturgeschichte, daß seit Anbeginn aller Zeiten der Stärkere, mag seine Kraft auf seinen Fäusten, auf den Gewehren seiner Soldaten oder auf Privilegien beruht haben, den Schwächeren unterdrückt und ihm seine Lebensstellung angewiesen hat nach seinem Willen und zu seinem Nutzen, nimmermehr fragend nach den Naturgesetzen des Unterdrückten.
Ich lese heraus, wie die Stellung der Frau in der menschlichen Gesellschaft von Jahrhundert zu Jahrhundert eine andere geworden ist, wie sie aus tiefster Schmach und Schande sich allmälig empor gerungen zu einem annähernd menschenwürdigen Dasein. Ich lese aus der Culturgeschichte, wie die Frau vor Beginn der Civilisation die Beute des gierigen Mannes war; wie man sie später raubte, dann, sobald der zärtliche Vater inne ward, daß er in seiner Tochter einen lucrativen Consumtionsartikel besitze, sie verkaufte und verschacherte; wie man sie darauf, gleich einer Heerde Schafe, in das Serail trieb. Ich sehe sie geprügelt, geknechtet, gemästet, als Lastthier benutzt, als Preis des Wettkampfes ausgesetzt wie eine Gans oder ein Kalb.
Ich sehe sie als »Unreine« aus dem Tempel gestoßen; ich sehe sie als Magd an der Seite des Mannes.
Aber nicht das allein lese ich aus der Culturgeschichte. Ich höre auch den Athemzug der Geschichte darin, der die Frau vorwärts getrieben hat aus dem dumpfen vegetirenden Pflanzenleben zum bewußten Fühlen und Denken. Und der Athemzug der Geschichte und die unbewußt wirkende Kraft der Natur wird sie vorwärts treiben, unaufhaltsam, bis auch ihre Stirn strahlen wird in der Glorie des Gottmenschen.
Sie glauben, und mit Ihnen die Majorität der Männer, daß Gott und die Naturgesetze in der Frauenfrage längst entschieden haben; ich aber meine, daß der bewußte Kampf erst beginnt, und daß er nur enden wird, wenn die Frau das allen menschlichen Wesen angeborene Recht erobert hat: Mensch zu sein. Ich denke mit Fichte: »Der Mensch soll ein eigenes, für sich bestehendes Ganzes bilden. Nur unter dieser Bedingung ist er ein Mensch.«
»Die Naturgesetze haben entschieden!«
Jene Asiaten aber, jene Mongolen, Chinesen und Türken, wenn sie ihre Frauen heerdenweise ins Serail trieben, glaubten auch mit bester Einsicht nach einem »Naturgesetz« zu handeln.
Wenn der Inder die zuckende lebendige Frau mit dem Leichnam ihres Mannes verbrannte – er handelte ebenfalls nach einem »Naturgesetz«.
Wenn der nordische Wilde die Geräthe, welche seine Frau, die »Unreine«, berührt hatte, durch brennende Rennthierhaare reinigte – er handelte nach einem »Naturgesetze«.
Woher nehmen unsere gelehrten und studirten Herren die sonderbare Anmaßung, jene Männer, welche durch Jahrtausende geheiligte Sitten übten, eines Verstoßes gegen die Naturgesetze zu bezüchtigen?
Woher die Anmaßung der Behauptung, daß nur der Europäer in den letzten Jahrhunderten die Naturgesetze der Frauen richtig interpretirte?
Die behaupteten (nicht zu verwechseln mit den begründeten) Naturgesetze haben eine verzweifelte Aehnlichkeit mit den Religionen: Jeder glaubt die richtige zu haben.
»Gott und die Natur haben der Frau ihre Sphäre bestimmt.« So wird Gott sie auch durch seine Gesetze darin erhalten ohne Zuthun der Herren Professoren! Warum mischen Sie sich in des lieben Gottes Angelegenheiten?
Seite 45 bemerkt Herr von Bischof ausdrücklich: daß nach göttlicher und natürlicher Anordnung – und nach der deutschen Professoren Verdict, hätte er hinzufügen müssen – dem weiblichen Geschlechte die Befähigung zur Pflege und Ausübung der Wissenschaften fehle.
Wenn diese Herren Professoren die Macht besäßen, sie würden im Namen Gottes und der Natur alle wissenschaftlichen Vorstellungen im Kopfe einer Frau als Contrebande, und alle ihre politischen Gedanken als landstreicherisches Gesindel arretiren! Sie würden verordnen, daß solches Fühlen und solches Denken als geistige Mißgeburt und moralische Abnormität in Schmortöpfen zu ersticken und in Waschzubern zu ersäufen sei!
In Indien giebt es ein Gesetz, welches einem Arbeiter verbietet, Reichthümer zu erwerben, während eine andere Clausel erklärt, selbst wenn ihm sein Herr die Freiheit geben sollte, so bliebe er in Wahrheit doch ein Sklave; »denn«, heißt es im Gesetzbuch des Menu, »ein Sudra, wenn auch von seinem Herrn freigelassen, wird dadurch seinem Knechtstande nicht enthoben, denn durch wen könnte er seines natürlichen Standes entkleidet werden?«
Nicht um eine Linie, nicht um den kleinsten Gedanken stehen die Auffassungen à la Bischof in Bezug auf die Frauen höher als die Weisheit, die wir in dem großen indischen Gesetzbuch niedergelegt finden.
Schaut nur zurück, weit in die Jahrtausende, ihr Leibeigenen der Sitte und Tradition, und seht die Zeit wie eine felsenfeste Pyramide an, in der ihr eure schönen Gedanken-Mumien für alle Ewigkeit glaubt conserviren zu können! Es hilft euch doch nichts! Das Zeitalter der Ruinen- und Alterthümer-Sentimentalität ist vorüber; die urältesten Pyramiden werden erbrochen, und die morschen, vergilbten Gedanken, die fossilen Vorstellungen müssen heraus ans Licht der sonnigen Wahrheit, um als Curiositäten die Verwunderung der Menschen zu erregen; und über dem bankerotten Alterthümler sitzt eine neue Zeit zu Gericht und spricht ihr: »Schuldig!«
Ich fasse, was ich fordere, noch einmal zusammen: Völlige Gleichberechtigung der Geschlechter auf dem Gebiete der Wissenschaft, in Bezug auf Bildungsmittel und Verwerthung der erworbenen Kenntnisse. Und ich schreibe auf meine Fahne den Spruch, den die Könige von Granada in ihrem Banner trugen: »No puedo desear mas, ni contentarme con menos« – nicht mehr kann ich fordern und nicht mit weniger mich begnügen. -
Das Auftauchen der Frauenfrage in unserer Zeit hat durchaus nichts Befremdendes. Dieselbe Quelle, aus der alle Freiheitsbestrebungen der modernen Zeit geflossen – ihr entsprang auch die Frauenfrage. Die Bestrebungen der Frau fallen zusammen mit dem Siege der Idee über Vorurtheil, Tradition und Gewohnheit, mit dem Lebensprincip aller sittlichen Entwickelung überhaupt: der Sehnsucht nach Freiheit.
Nicht Hunger, nicht socialistischer Schwindel, nicht Entweihung der Ehe, nicht Frau von Staël oder Georges Sand haben die Frage lebensfähig gemacht – die Culturentwicklung selbst in ihrem normalen Verlauf hat sie mit Naturnothwendigkeit emporgerufen aus der Tiefe der Menschenbrust.
Wenn die Frau frei sein will, so will sie es nicht um des Bösen, sondern um des Guten willen. Je weniger man der Frau Stellung und Unabhängigkeit gewährt, je mehr steigt die Courtisane. Das beweist Griechenland zur Zeit seines Glanzes.
Ich erlaube mir folgende Schlußbemerkung: Wenn ein Mann über die Frauenfrage schreiben will, so bedarf er dazu Zweierlei: erstens eines Herzens voll reinster Menschenliebe. Ohne ein solches Herz wird er nimmermehr im Stande sein, die Uebel und Leiden einer Menschenklasse, vor denen er und sein Geschlecht absolut sicher ist, zu verstehen und zu ergründen. Gewohnheit hat eine Eiskruste um unser Rechtsbewußtsein gebildet, die nur an dem Feuer reiner und glühender Menschenliebe schmelzen kann.
Und zweitens bedarf er einer tiefen und originellen Denkkraft, denn es gilt bei dieser Frage ein Seelen-Palimpsest zu entziffern, das von Jahrtausenden und von allen Völkern der Erde überschrieben worden ist. Es gilt zu entziffern die ursprüngliche Schrift des Palimpsestes – die Urschrift der Natur.