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Das Auftauchen der Frauenfrage in unserer Zeit hat durchaus nichts Befremdendes. Dieselbe Quelle, aus der alle Freiheitsbestrebungen der modernen Zeit geflossen – ihr entsprang auch die Frauenfrage. Die Bestrebungen der Frau fallen zusammen mit dem Siege der Idee über Vorurtheil, Tradition und Gewohnheit, mit dem Lebensprincip aller sittlichen Entwickelung überhaupt: der Sehnsucht nach Freiheit.
Nicht Hunger, nicht socialistischer Schwindel, nicht Entweihung der Ehe, nicht Frau von Staël oder Georges Sand haben die Frage lebensfähig gemacht – die Culturentwicklung selbst in ihrem normalen Verlauf hat sie mit Naturnothwendigkeit emporgerufen aus der Tiefe der Menschenbrust.
Wenn die Frau frei sein will, so will sie es nicht um des Bösen, sondern um des Guten willen. Je weniger man der Frau Stellung und Unabhängigkeit gewährt, je mehr steigt die Courtisane. Das beweist Griechenland zur Zeit seines Glanzes.
Ich erlaube mir folgende Schlußbemerkung: Wenn ein Mann über die Frauenfrage schreiben will, so bedarf er dazu Zweierlei: erstens eines Herzens voll reinster Menschenliebe. Ohne ein solches Herz wird er nimmermehr im Stande sein, die Uebel und Leiden einer Menschenklasse, vor denen er und sein Geschlecht absolut sicher ist, zu verstehen und zu ergründen. Gewohnheit hat eine Eiskruste um unser Rechtsbewußtsein gebildet, die nur an dem Feuer reiner und glühender Menschenliebe schmelzen kann.
Und zweitens bedarf er einer tiefen und originellen Denkkraft, denn es gilt bei dieser Frage ein Seelen-Palimpsest zu entziffern, das von Jahrtausenden und von allen Völkern der Erde überschrieben worden ist. Es gilt zu entziffern die ursprüngliche Schrift des Palimpsestes – die Urschrift der Natur.