Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eine Gruppe von Ärzten ist es, die auf physiologischer Grundlage des Weibes Freiheitsbestrebungen bekämpft. Ritter von der traurigen Gestalt, die an überlebte Zustände sich anklammern und noch immer die Küchenmagd für eine Dulcinea – für die Blüte des Frauentums – halten. Daß es vorzugsweise Ärzte sind, die zu einem Kreuzzug gegen die Frauenbewegung, der sie im voraus die Grabrede halten, rüsten, ist erklärlich. Hannibal ante portas. Die Ausübung der Medizin ist das erste Eroberungsgebiet, auf das die Frauen bereits ihren Fuß gesetzt haben.
Die Ärzte befleißigen sich dabei einer Beweisführung, die dem Diktum der mittelalterlichen Kirchenväter gleichkommt. Klipp und klar erklären sie: Einzig und allein die Fortpflanzungsvorgänge sind der Beruf des Weibes.
Daß wir Frauen damit nicht einverstanden sind, daß wir uns unserer Haut wehren, wenn diese Haut auch – nach Ansicht der Herren – eine total kranke sein soll, wird man uns nicht verargen.
Ich schalte hier ein, daß nichts mir ferner liegt, als den ärztlichen Stand als solchen anzugreifen. Es gibt keinen Stand, der mir höher, edler erscheint, als der des Arztes, und unter den Ärzten kenne ich nicht wenige, die den idealsten Anforderungen entsprechen. Nur gegen diejenige Kategorie von Ärzten lehne ich mich auf, die im Weibe nichts als ein Werkzeug sehen für – Herrenzwecke.
Drei viel gelesene und viel zitierte Schriften hervorragender Ärzte lege ich meinen Ausführungen zugrunde. Die eine hat einen Gynäkologen, Professor und Direktor einer Universitäts-Frauenklinik zum Verfasser, die zweite einen Berliner Nervenarzt, der zugleich Gerichtsarzt ist. Und die dritte Broschüre: »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« rührt von einem Leipziger Arzt her, der über die Grenzen von Sachsen hinaus berühmt sein soll.
Diese drei Ärzte haben den immensen Vorteil einer umfassenden Universitätsbildung vor mir voraus. Ich aber habe den Vorteil, eine Frau zu sein, also am eigenen Leibe die in Rede stehenden Vorgänge erfahren zu haben. Auch dürften die Mitteilungen kranker und gesunder Frauen an eine Geschlechtsgenossin, und meine Erfahrungen und Beobachtungen an ihnen intimer und ausgiebiger sich erweisen, als die Auslassungen nur kranker Frauen an die Ärzte.
Auf Grund ihrer Physis verbieten die Ärzte den Frauen das Studium.
Daß diese physische Beschaffenheit bei der Diskussion der sogenannten Frauenfrage ignoriert wird, meint der Gynäkologe, beruhe teils auf grober Unwissenheit, teils darauf, daß es sich nicht schicke davon zu reden.
Ja, warum soll es sich denn nicht schicken, wenn man ernste und anständige Leser voraussetzt? Schon vor dreißig Jahren habe ich in einer Schrift diesen Gegenstand ausführlich erörtert, und so sehr man meine Ansichten bespöttelt hat, der Vorwurf der Unschicklichkeit ist mir auch in den gehässigsten Angriffen nicht gemacht worden. Es wäre auch geradezu unehrlich, wenn die Frauen das Hauptargument ihrer Gegner unter dem Vorwand, daß es sich nicht schicke davon zu reden, unterschlagen wollten.
»Der Frauenarzt«, heißt es, »besitzt am meisten Gelegenheit, das Seelenleben des Weibes zu studieren.«
Das bestreite ich. Der Frauenarzt wird nur bei Geburten und bei Erkrankungen der weiblichen Sexualorgane zu Rate gezogen. Er ist mithin, im Gegensatz zum Hausarzt, seinen Patientinnen ein Fremder. Ich kenne unendlich viel Frauen, die in der Lage waren, einen Frauenarzt konsultieren zu müssen, und ich möchte darauf schwören, daß nicht eine einzige unter ihnen war, die dem fremden Arzt Aufschlüsse über ihr Seelenleben gegeben hat, noch daß der Frauenarzt je Neigung an den Tag gelegt hätte, darüber informiert zu werden. Ja, ich klage sogar die Frauenärzte an, daß sie viel zu sehr die lokale und nur die lokale Erkrankung im Auge haben und darüber häufig das Gesamtbefinden des Patienten außer acht lassen.
Ausnahmen sind selbstverständlich. Auch ein Frauenarzt kann die Gabe besitzen, Seelen zu erschließen. Daß der Herr zu diesen Ausnahmen gehört, ist möglich. Aber er frage doch seine Spezialkollegen nach dem Seelenleben ihrer Patientinnen. Von ihren physischen Reizen und Nichtreizen werden sie manches zu sagen wissen, von ihren psychischen – er frage sie doch!
Ich kannte einen ausgezeichneten Frauenarzt, er war zugleich ein schöner und stattlicher Mann, - der, entweder instinktiv oder in kluger Berechnung, seinen Patientinnen während der Konsultation niemals ins Auge sah; eine Gepflogenheit, die mir der Situation zu entsprechen scheint, und die dem Verkehr etwas unpersönliches gibt. Es ist ein instinktives Bedürfnis der Frau, dem Frauenarzt fern und fremd zu bleiben. Nur wenn es durchaus nicht zu umgehen ist, vertraut sie sich einem befreundeten oder näher verwandten Frauenarzt an.
Der Direktor der Frauenklinik gibt zu, daß sich den psychologischen Studien an der Frau Schwierigkeiten entgegenstellen. Einmal der »sexuelle Instinkt«, der eine nüchterne Beurteilung hemme, und zweitens: »Wir Männer, soweit wir wohlerzogen sind, haben uns gewöhnt, das Weib zu beurteilen durch die Maske der Galanterie.«
Ein galanter Frauenarzt! fürchterlich! undenkbar! unmöglich!
An einer andern Stelle meint er freilich, »daß der Mann neben und hinter der Galanterie auch brutal gegen das Weib sei.« ... »Um diese Brutalität in Schranken zu halten, hat die Gesellschaft bekanntlich einen geschlechtlichen Sittenkodex geschaffen und dem weiblichen Geschlechte gewisse Beschränkungen im Verkehr als Sicherungsmittel für die weibliche Tugend auferlegt, ... ich wiederhole, einzig und allein im Interesse und zum Schutze des Weibes.«
Naive Schlußfolgerung, die er aus der Brutalität des Mannes zieht! Weil der Mann brutal ist, sperre man das Weib ein, damit er ihr nichts tun kann! Und S. 24 sagt er wiederum: »Gegen wen wird Schutz gewährt?« Die Antwort lautet: »gegen die Brutalität des Mannes.«
Ja, wir brauchten also gar keinen Schutz, wenn der Mann nicht brutal wäre. Ließe sich denn nicht die Brutalität des Mannes abschaffen?
Der Nervenarzt hat das Wort: »In der für das weibliche Geschlecht wichtigsten Pubertätsperiode, in einer Periode, wo sorgsam jeder schädigende Faktor aus dem Wege geräumt werden muß, soll nicht die rauhe Wirklichkeit dem sensiblen Organismus unheilbare Wunden schlagen. In dieser Zeit soll das Weib das abstrakte Gymnasialwissen erwerben, in dieser Zeit soll es Jahr auf Jahr in dumpfer Schulstube dahinleben.« ...
Aber, aber, die Pubertätszeit der Mädchen fällt – wie die Ärzte ja wissen werden – zwischen das zwölfte und sechzehnte Lebensjahr. Und während dieser Zeit sitzen die Mädchen in den oft so dürftigen und schlecht gelüfteten Zimmerchen der Privat-Mädchenschulen, während die Gymnasiasten es sich in ihren saalartigen, gut ventilierten Räumen wohl sein lassen.
Um eine Wohnung zu besichtigen, kam ich einmal in die niedrigen Schulstuben einer der vornehmsten Mädchenschulen Berlins in dem Augenblick, als die Kinder die Klassen verlassen hatten und die Fenster noch nicht geöffnet waren. Eine fürchterliche Luft schlug mir entgegen. Mit wahrem Entsetzen dachte ich daran zurück, daß meine Töchter so viele Jahre in solcher Luft hatten atmen müssen. Aber weil diese Luft ihre giftigen Gase in Mädchenschulen ausströmt, schlägt sie den sensiblen Organen keine unheilbaren Wunden? Ich wurde als junges Mädchen in einem Seminarraum unterrichtet, der so dunkel war, daß während des ganzen Vormittags Gas gebrannt werden mußte.
Und wäre selbst die Luft in Gymnasien auch dumpf, - muß sie denn dumpf sein? Ein Naturgesetz? So wäre es doch Pflicht der Ärzte, im Verein mit Architekten für die Verbesserung der Luft Sorge zu tragen.
Aber das »abstrakte Gymnasialwissen«!
Darüber ernsthaft zu reden, kommt mir beinahe lächerlich vor. Von der Weisheit, die das simpelste Knabengehirn nicht sprengt, wird auch ein Mädchenkopf nicht aus den Fugen gehen.
Himmel, wie sauer muß den Ärzten das Gymnasialwissen geworden sein!
Auf Grund ihrer physischen Beschaffenheit, auf Grund der Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und ihren Folgeerscheinungen kann und darf die Frau nicht Medizin studieren!
Die Aussprüche der beiden Ärzte über die Menstruation stimmen fast wörtlich überein. Sie halten diesen Vorgang nicht nur für einen lokalen, sondern schreiben ihm eine seelische Beeinflussung des Weibes zu, die sie als reizbare Schwäche bezeichnen. Ihre Leistungsfähigkeit sei in diesen Tagen verringert, ihre Energie bei Aufgaben, die außerhalb ihrer geschlechtlichen Sphäre liegen, herabgesetzt, außerdem sollen sie während der Menstruation zu lokalen Erkrankungen disponieren.
Möglich, daß Erkrankungen, auf Grund der Menstruation vorkommen. Ich kenne keinen einzigen Fall.
Ich bin unter acht Schwestern aufgewachsen, bin im Besitz von vier Töchtern und habe Zeit meines Lebens fast ausschließlich mit Frauen verkehrt.
Wir Schwestern alle haben in jungen Jahren keine Ahnung davon gehabt, daß die Menstruation eine beachtenswerte Angelegenheit sei. Niemand sagte es uns, niemand fragte danach. Wir tanzten während dieser Zeit (was gewiß nicht richtig war), wir machten die weitesten Wege. Ich erinnere mich nicht, daß je eine von uns an bemerkbarer seelischer oder körperlicher Depression dabei litt. Möglich, daß kleine Abweichungen vom Normalbefinden stattfanden. Wenn die davon Betroffenen es aber selber nicht merken, oder wenn es bei anderen nur eines geringen Maßes von Selbstbeherrschung bedarf, um der Depression Herr zu werden, warum soviel Wesens davon machen!
Natürlich weiß ich, daß es eine große Anzahl von weiblichen Individuen gibt, die während der Menstruation mehr oder minder leidend sind. Das größte Kontingent zu diesen Leidenden stellen die Blutarmen. Wir wollen doch aber nicht auf der Blutarmut oder sonstiger physischer Entartung eine Gesellschaftsordnung gründen! Nur möglichst normale physische Beschaffenheiten dürfen maßgebend dafür sein.
Auf die Schonung des Weibes kommen beide Ärzte in ihren Broschüren immer wieder, und zwar auf das energischste, zurück.
Ja, wenn sie durchaus geschont werden muß, warum schont man sie denn nicht jetzt schon?
»Monatlich sechs Tage,« sagt der Nervenarzt, »ist das Weib siech,« und an einer anderen Stelle: »Das Weib ist nur in Intervallen eines beständigen Krankseins gesund.«
Und der Direktor der Frauenklinik: »Die Scham gebietet dem Weibe die Verheimlichung der sexuellen Vorgänge, insbesondere die alle Monate wiederkehrende Menstruation wird so sorgfältig wie möglich verborgen, und allerhand Listen werden ersonnen, um das Bestehen dieses Vorganges der Umgebung, namentlich der Männerwelt, völlig zu entziehen.«
Aber, wenn die Scham ihr gebietet, den Vorgang zu verheimlichen, so weiß doch niemand etwas davon, und wer soll sie denn nun schonen, wenn niemand weiß, wann geschont werden muß?
Sollte diese Verheimlichung nicht den zur Schonung Verpflichteten sehr gelegen kommen?
Der Einwurf der Menstruation ist absolut hinfällig, so lange man nicht alle arbeitenden Frauen in den Menstruationstagen von der Arbeit suspendiert. Ob sich die Ärzte während der Leidenstage ihrer Köchinnen mit kalter Küche oder mit einer durch Gemütsdepression herabgesetzten Kochkunst begnügen würden? ob sie nicht vielmehr die Köchin, die allmonatlich ihr Menstruationsgeheimnis verrät, gern mit einer anderen, diskreteren vertauschten?
Und die Krankenwärterin! Wenn sie in der reizbaren Schwäche dieser fatalen Tage Ihnen einmal unwirsch antwortete, oder in ihrer natürlichen Gemütsdepression ein paar Medizinen ein bißchen verwechselte, würden Sie mit schonender Humanität diese kleinen Verstöße der armen Invalidin zu gute halten?
Von einer Krankenpflegerin ging mir folgendes Schreiben zu: »Ihre Aussprüche über die Menstruation kann ich nach jeder Richtung hin bestätigen. Ich möchte sie, was die Krankenpflegerinnen betrifft, noch ein wenig dahin ergänzen, daß ich gerade in der »reizbaren Schwäche dieser fatalen Tage« nicht nur nicht die Medizinen verwechseln darf oder unwirsche Antworten geben, vielmehr einen Schwerkranken volle 24 Stunden bedienen muß, womit meist noch schwere körperliche Anstrengung (besonders das Heben der Kranken) verbunden ist. Und während dieser wirklich schweren Stunden darf ich keinen Laut der Ermüdung von mir geben, denn Arzt, Patient und Familie verlangen immer meine frische Kraft. Schon zehn Jahre betreibe ich diesen Beruf ohne sechstägige monatliche Schonung, bin dabei frisch und gesund, wie meine Kolleginnen, die mit mir denselben Beruf ausüben, es gleichfalls sind.«
Einen anderen Brief erhielt ich von einer Münchener Dame. Sie schreibt:
»Meine Tochter, eine Lehrerin, gehört zu den Leidenden der Menstruationstage. Gerade in diese Tage fiel ihr Staatskonkurs-Examen. Trotz ihres leidenden Zustandes hat sie nicht nur über 60 Kolleginnen, sondern auch über 70 Lehramtskandidaten, die mit ihr geprüft wurden, den Sieg davon getragen, und außer meiner Tochter ist nur noch ein junges Mädchen mit der Note Nr. 1 aus dem Konkurs hervorgegangen.«
Da der Brief mit dem Namen der Schreiberin, unter Angabe der Wohnung versehen ist, liegt kein Grund vor, an seiner Authentizität zu zweifeln.
Ich meine, die Frauenwelt erscheint den Frauenärzten wie eine große Krankenstube, weil sie nur kranke Frauen zu Gesicht bekommen. Ärzte, die nur Männer in ihren Krankheiten behandelten, würden wahrscheinlich die Männer für kränker halten als die Frauen.
»Sonderbare Leute, diese Ärzte! Ein krankhafter, mit ihrem Geschlecht zusammenhängender Zustand soll die Frau vom Berufsleben ausschließen. Konsultiert aber so ein armes Wesen, bei quälenden hysterischen Leiden, einen Arzt oder ein Dutzend Ärzte, so wird sie, in merkwürdiger Übereinstimmung, stets dasselbe von ihnen hören: Unsinn! Ihnen fehlt gar nichts, werte Frau! Einbildungen! Beschäftigen Sie sich nützlich, das ist die beste Kur.«Aus meinem Buch: »Der Frauen Natur und Recht.«
In noch höherem Grade als bei der Menstruation wird nach Ansicht der Ärzte bei Schwangerschaften, Geburten und ihren Folgeerscheinungen die Leistungsfähigkeit des Weibes herabgedrückt.
Bei einigermaßen normalen Frauen pflegen die Fortpflanzungsvorgänge nicht allzu häufig Nebenerkrankungen zur Folge zu haben. Außerdem ist ein großer Teil dieser Erkrankungen auf irgend welche Verfehlungen, und – beim Proletariat – auf Mangel an Pflege zurückzuführen und darauf, daß die Frauen, in ihrem Widerwillen gegen die Untersuchung durch männliche Ärzte, vielfach zu spät ärztlichen Rat einholen.
An diesen, der Scham entspringenden Widerwillen glauben die Ärzte ein für allemal nicht. Woher wissen denn die Frauenärzte, daß nicht Scham und Zorn die Frau erfüllt, die gezwungen ist, bei Sexualleiden einen männlichen Arzt zu konsultieren? So dumm und taktlos ist keine Frau, um vor dem Arzte diese Gefühle zu affichieren. Ja, die Scham selbst verbietet ihr, Scham zu zeigen. Sie schreiben der Frau Schamgefühl vor, wenn es ihnen paßt, etwa als Vorwand um sie aus der ärztlichen Wissenschaft zu beseitigen. Sie leugnen oder verurteilen das weibliche Schamgefühl, wenn es ihnen unbequem ist, oder ihren Interessen zuwiderläuft.
Gegen eine Polizeiverfügung in Halle, die die Unzulässigkeit, männliche Kranke durch weibliches Personal baden zu lassen, beseitigen wollte, wendeten sich die Ärzte. Der Arzt eines Krankenhauses erklärt die Verfügung (abgesehen von der Unzuständigkeit der Polizeiverwaltung) auch inhaltlich ungerechtfertigt, mit der Begründung, daß die »bedeutendsten und angesehensten Krankenhäuser« dieses Verfahren übten. Er nennt als Beispiel die Universität Leipzig, wo sowohl auf der inneren Abteilung, als auch an der chirurgischen Abteilung, nur weibliche Pflegerinnen angestellt sind. Diesen liegt, wie er sich durch nochmalige Erkundigung vergewissert habe, auch das Baden der Männer ob.
Meine Mutter hatte achtzehn Kinder. Als meine jüngsten Geschwister geboren wurden, war ich erwachsen. Und ich kann versichern, daß meine Mutter nie über irgend etwas klagte, daß sie vielmehr während der Schwangerschaften ihren riesengroßen Haushalt in derselben Rüstigkeit fortführte, wie zu jeder anderen Zeit. Von Nervosität, Kränkeleien – keine Spur! Regelmäßig 14 Tage nach der Entbindung saß sie wieder am Tisch, und alles nahm seinen gewohnten Verlauf. Meine Mutter hat nie das geringste Unterleibsleiden gehabt. Ein Beweis, daß selbst bei den höchsten Leistungen der Fortpflanzungsgeschäfte die Gesundheit nicht zu leiden braucht.
Daß aber selbst ein hoher Grad von Übelbefinden während der Schwangerschaft mit geistiger oder körperlicher Arbeit sehr wohl vereinbar ist, weiß ich wirklich besser als irgend ein Arzt es wissen kann. Während meiner fünf Schwangerschaften litt ich, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, ein Martyrium, das mich zu Selbstmordgedanken brachte. So lange ich ruhelos und beschäftigungslos umherlief, war es am ärgsten. Da verfiel ich, um der Qual zu entgehen, darauf, spanische Verse (ich trieb damals gerade spanisch) ins Deutsche zu übersetzen. Und das waren die einzigen erträglichen Stunden am Tage, wo ich in erregter geistiger Spannung, nach Worten und Reimen suchend, mich selbst und mein Leiden vergaß. Freilich muß ich zugeben, daß von diesen Versübungen her meine Schriftstellerei datiert. So dürften nun die Herren Ärzte allerdings (wenn ihre Galanterie sie nicht hindert, sie wissen ja nicht, wie alt ich bin), diese Tatsache zu den fatalen Folgekrankheiten der Fortpflanzungsvorgänge zählen.
Mein Zustand war übrigens ein exzeptioneller.
Wenn ich unter zwölf meiner nächsten weiblichen Verwandten allein drei Frauen kenne, die während der Schwangerschaft nicht das leiseste Unbehagen fühlten, die vom ersten bis zum letzten Tage genau so lebten wie zu jeder anderen Zeit, ungeschwächt in ihrer physischen und seelischen Vitalität, so habe ich ein Recht, daraus zu schließen, daß die krankhaften Erscheinungen bei vielen Frauen während der Schwangerschaft nicht auf einem Naturgesetz beruhen, und daß sie bei rationeller und kraftvoller auferzogenen Geschlechtern der Zukunft zu den Ausnahmen gehören werden.
In einer, von einem Arzt redigierten Monatsschrift für Gesundheitspflege wird der Einfluß der Arbeit auf die Schwangere behandelt, und dabei durch Gewichtsmessung festgestellt, daß Ruhe während der Schwangerschaft das Kind und damit die Geburt schwerer mache, daß somit Arbeit, wenn sie sich in gewissen Grenzen hält, der Schwangeren heilsam ist.
Staunend sah ich, was in einem berühmten Sanatorium einer hochschwangeren, nicht mehr jungen Frau, die ihre erste Entbindung erwartete, zugemutet wurde. Eine energische Ganzmassage mit Kneten, Klopfen, Rückenschlägen, und eine Reihe anderer, täglich vorzunehmender Übungen gehörte zu der Behandlung. Ich sah sie im Luftbad Holz spalten, Kegel spielen u.s.w.
Sie war rosig und heiter und versicherte mir, daß sie sich außerordentlich wohl und so leicht fühle, daß sie oft ihren Zustand ganz vergäße. Die Ärzte mochten aus irgend einem Grunde gerade bei dieser Frau eine allzu schwere Entbindung fürchten und von ihrem Verfahren eine Erleichterung derselben erhoffen. In der Tat ging die Entbindung später glücklich, wenn auch ziemlich schwer von statten.
Indessen ich will gestehen, daß ich nach der Lektüre der beiden Broschüren einen Augenblick der Niedergeschlagenheit hatte. Wie, wenn ich nun im Irrtum wäre, und wir Frauen wären in der Tat durch die Bank krank, krank, nichts als eine große Wunde im Weltall, und wir armen Kranken wider Willen täten wirklich am besten – wie das verwundete Tier sich ins Dickicht verkriecht – in Kinder-, Schlaf- und Wochenstuben, einzig und allein den Kultus unseres Geschlechts treibend, zu verschwinden?
Eine junge Frau, die bei mir eintrat, verscheuchte meinen Stimmungsnebel. Ihr Anblick würde den Direktor der Frauenklinik – ich bin überzeugt davon – nachdenklich gestimmt haben.
Diese junge, schon recht berühmte Frau war, um eines künstlerischen Zweckes willen, von Süddeutschland nach Berlin gekommen. Sie befand sich im siebenten Monat der Schwangerschaft. Nie hat ein Weib eine größere Kindersehnsucht empfunden, nie ein zweites Kind, gleich dem ersten, mit mehr Entzücken erwartet, als sie, und nie hat zugleich eine Frau mit heiligerem Eifer daneben ihren künstlerischen Beruf ausgeübt. Trotz der vier Treppen, die sie bis zu meiner Wohnung erklimmen mußte, trat sie frisch und strahlend bei mir ein. Ich erzählte ihr von den in Rede stehenden Broschüren. Sie lachte. Sie habe den ganzen Sommer über sechs bis sieben Stunden täglich gearbeitet, mit wahrer Passion, ohne die geringste Ermüdung.
Und diese Frau entstammt nicht etwa einer robusten Familie, sondern einer nervösen Künstlerfamilie, und sie selbst, eine zarte blonde Erscheinung, hatte jahrelang, vor der Verheiratung, mit einem schweren Leiden zu kämpfen gehabt, das sie auch jetzt noch nicht ganz überwunden hat. Die Bedingungen für die Gesundheit lagen hier also so ungünstig wie möglich.
Da die Frauen geschont werden müssen, und der ärztliche Beruf ihnen keine Schonung gewähren kann, sollen sie nicht Medizin studieren.
Und die Hebammen? Und die Krankenwärterinnen?
Ein anderer Gynäkologe, der ebenfalls der Meinung ist, daß jeder Versuch, den Frauen beizubringen, was über die Pflege von Mutter und Kind geht, vollständig scheitern würde (wie? und man vertraut ihnen die Pflege der Männer an?) betont, daß es an Hebammen fehle. »Man rede deshalb nicht von harter Beschränkung der Erwerbstätigkeit der Frauen, solange die vorhandenen Wege zur Erwerbung des Unterhalts noch von einer großen Mehrheit gemieden werden.«
Ja, warum ist denn der Herr Gynäkologe geworden und nicht Maler?
Weil er kein Talent zum malen hatte? Wer sagt ihm denn, daß alle des Erwerbs bedürftige Frauen Hebammentalent haben?
Der Direktor der Frauenklinik rühmt: »Die hervorragende, aber immer noch nicht genug gewürdigte Befähigung des Weibes – auch des geistig hochstehenden – für die Kranken-, Geburts- und Wochenpflege, in der es dem Manne weit überlegen ist u.s.w. (In der Wochenpflege sich schlecht zu bewähren, haben die Männer bis jetzt wenig Gelegenheit gehabt.) Der Nervenarzt singt den Krankenpflegerinnen dasselbe Lob. »Die Forderungen aber, die man der Ärztin stellen müßte, sind unerfüllbar für die Frau, denn der Arzt muß im Vollbesitz seiner Körperkräfte sein, soll er tagsüber, Trepp’ auf, Trepp’ ab, seine Besuche erledigen.«
So scheinen wenigstens die Zeitungsausträgerinnen, die in frühen Morgen- und späten Abendstunden – vor und nach ihrer schweren Tagesarbeit – Trepp’ auf, Trepp’ ab ihres Amtes walten, im Vollbesitz ihrer Körperkräfte zu sein.
Und wenn der männliche Arzt nun nicht im Vollbesitze seiner Körperkräfte ist, tut die Ärztekammer auch stets ihre Pflicht, indem sie ihn von der Praxis ausschließt?
»Zu jeder Nachtzeit muß der Arzt auf die Erquickung durch Schlaf verzichten und, trotz Wetter und Wind, auf holperigen Landwegen seiner Verpflichtung nachgehen.«
Die Hebammen etwa nicht? Oder verwandeln sich für sie die rauhen Winde in Zephyre? Und sind die holperigen Landstraßen mühevoller für den mit einer Equipage oder einem Pferd ausgerüsteten Arzt, als für die meist zu Fuß oder in einem primitiven Gefährt ihres Weges ziehende Hebamme? Und der kleine Weltbürger, der geboren werden soll, wird er für die zum siechen Geschlecht gehörende Hebamme soviel Rücksicht zeigen, sein Geborenwerden auf den hellen Tag zu verlegen, damit die Invalidin der Erquickung des Schlafes nicht beraubt werde?
Der deutsche Arzt weiß ganz genau, daß in Amerika seit vielen Jahren Hunderte (oder sind es Tausende?) von Frauen als Ärztinnen tätig sind.
Hätten diese Ärztinnen mehr Verfehlungen sich zuschulden kommen lassen, als man den Ärzten nachsagt, wären sie massenhaft unter den Anstrengungen ihres Berufs zusammengebrochen, hätten sie sich geweigert, bei Wetter und Wind hinaus, und Trepp’ auf, Trepp’ ab zu laufen, es wäre längst in die Öffentlichkeit gedrungen. Alles dringt an die Öffentlichkeit.
»Selbstaufopferung, außerordentliche Geistesgegenwart, dazu Pflichterfüllung, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort, das sind einige wenige Forderungen, die an den ärztlichen Praktiker gestellt werden.«
An der Krankenwärterin rühmen die Ärzte gerade ihre Aufopferungsfähigkeit. Merkwürdig! Als Ärztin geht sie derselben verlustig! Reine Taschenspielerei!
Außerordentliche Geistesgegenwart und Pflichterfüllung wird von dem Arzt gefordert.
Ist ein Versehen der Hebamme bei der Geburtshülfe weniger verhängnisvoll als das eines Arztes? Und stellt man an sie und die Krankenwärterin nicht die Forderung der Pflichterfüllung ohne Rücksicht auf Zeit und Ort?
»Die Ärztin,« klagt der Nervenarzt, »soll im steten Anblick menschlichen Leidens das angeborene Mitempfinden, die zarte Innigkeit, die feinschattierte Gemütserregbarkeit vernichten.«
Bei der Ärztin vernichtet der Anblick menschlichen Leidens die zarte Innigkeit u.s.w. Bei der Krankenwärterin aber scheint der Anblick von blutig eiternden Geschwüren, von Todeskrämpfen und Wimmern »die zarte Innigkeit, das angeborene Mitempfinden« u.s.w. zu verstärken. Und die sensiblen Organe des Weibes, denen die Luft in den gut ventilierten Gymnasialklassen unheilbare Wunden schlägt, in der Luft der Krankenstuben, die vom Atem der Kranken und Sterbenden erfüllt ist, gedeihen sie prachtvoll. Ja?
Und die Hebamme, die täglich die höchste Potenz des Schmerzes vor Augen und Ohren hat, ihre »feinschattierte Gemütserregbarkeit« wird dadurch nicht vernichtet? Das Geschrei der Gebärerinnen verwandelt sich für sie in Musik?
Schaffen Sie doch, meine Herren, die Hebammen der Gegenwart ab, ehe sie den Ärztinnen der Zukunft das Messer an die Kehle setzen!
Daß neben dem Mann, als Arzt, das Weib, in seinem Dienst als Krankenwärterin, funktioniere, darin sieht der Gynäkologe eine heilsame Ergänzung der Geschlechter.
Ja, glaub’s schon!
Die exquisiten, subtilen Befriedigungen, die wissenschaftliche Forschung gewährt, Ehre, Ansehen, Geld und nebenbei soviel Weltlust, wie der normale Mensch nötig hat, - für den Arzt.
Für die Krankenwärterin: unausgesetzte Verrichtung der niedrigsten, abstoßendsten, todtraurigsten Dinge. Für sie keine Ehre, kein Ansehen (außer etwa vor Gott) und gerade soviel Lohn (abgesehen von dem Lohn, der im eigenen Bewußtsein ruht oder im Himmel ausgezahlt wird), als sie zur Fristung ihrer Existenz braucht.
»Die Gewährung des Schutzes des Weibes bei seinen Fortpflanzungsvorgängen ist eins der vornehmsten Produkte der Zivilisation.«
Ist bereits ein Produkt? Besteht also schon? Und die ungeheure Majorität der proletarischen Frauen? Wirklich, sie werden während ihrer Fortpflanzungs-Vorgänge geschont? Denn ihre Schonung ist doch wohl nicht unwichtiger, als diejenige der Frauen aus den wohlhabenden Ständen?
Der Direktor hilft sich, indem er versichert, daß das Weib aus Kreisen mit vorwiegender Geistesbildung des Schutzes mehr bedarf, als die Arbeiterin.
Ich bin entgegengesetzter Meinung. Je geistig hochstehender, klüger und wissender eine Frau ist, je besser wird sie sich selbst zu schonen wissen und besonders sich schonen können. Die Not des Lebens verbietet der Arbeiterin die Schonung. Sollten wirklich die Proletarierinnen weniger Unterleibskranke in die Kliniken der Ärzte liefern, als die Frauen der höheren Stände? Die Entbindungs-Anstalten müssen die Wöchnerinnen neun Tage nach der Entbindung verlassen, oft noch viel zu kraftlos, um sich und, in den meisten Fällen, auch ihr Kind ernähren zu können. Hier der Ursprung so vieler Kindermorde!
Warum halten denn diese Ärzte die Frauen der höheren Stände für solche Arbeitsfanatikerinnen, die sich mit aller Gewalt zu Tode schinden wollen? Und wollen sich die Frauen wirklich zu Tode arbeiten, so müssen sie auch dieses Recht haben, und ob sie es im Seziersaal und in der Klinik oder hinter dem Waschfaß und in den Fabriken ausüben, ist dasselbe.
Nein, es ist nicht dasselbe, ob die Ärztin sich zu Tode arbeiten will, oder ob die Proletarierin sich zu Tode arbeiten muß.
Weiß sie, selbst als Ärztin, nicht, wie und wann sie sich zu schonen hat, nun Selbstmorde sind nicht aus der Welt zu schaffen, aber die Gesellschaftsmorde sind es.
Hier ist ein immenses Gebiet, auf dem echte Frauenfürsorge zu betätigen ist. Wozu diese kleinliche Nörgelei, einigen hundert deutschen Frauen das ärztliche Studium wehren zu wollen, während Hunderttausende in den Fabrikräumen zu Grunde gehen!
Helft doch, Ihr Ärzte, der armseligen Physis des Weibes auf! Entdeckt, ersinnt neue Mittel und Wege, Methoden, Prophylaxen, um die weiblichen Sexual-Krankheiten zu reduzieren, die armen Siechen und Invaliden widerstandsfähiger zu machen und die beklagenswerte mater dolorosa aus der Wirklichkeit immer mehr in die Dichtung zu drängen! Aber beeilt Euch! Die Frauen sind Euch auf den Fersen. –
Mehr, viel mehr als den Ärzten mit ihren Millionen Eisenpillen, die – meiner Erfahrung nach – noch nie einem Mädchen von der Blutarmut geholfen haben, verdanken die Frauen gesundheitlich den Anregungen (ich sage Anregungen) eines Pfarrers Kneipp und etlicher Naturheilsanatorien, mit deren Ideen und Methoden die Ärzte sich bereichert haben.
Die hygienische Wohltat des Fahrrades haben die Frauen sich selbst verordnet. Die Abschaffung des Korsetts und die Einführung der Reformtracht (voraussichtlich die Tracht der Zukunft) ist das Werk von Frauen, die in der Frauenbewegung stehen.
Der Frauenarzt möchte in seinen Ausführungen (die Geschlechtssphäre sei der eigentliche und einzige Beruf der Frau) nicht mißverstanden werden, daß er etwa meinen könnte - - o nein – das nicht!
Denn: »Der Trieb zur geschlechtlichen Vereinigung ist beim Weibe keineswegs der Brennpunkt des geschlechtlichen Empfindens, sondern nur der Vorakt zu einer ganzen Reihe von geschlechtlichen Betätigungen, deren Hauptinstinkt die Kindersehnsucht ist.«
Behält man diese idealistisch seelenhafte Kindersehnsucht, als Brennpunkt des weiblichen Geschlechtsempfindens, auf immer im Auge? Ist diese Anschauung in Fleisch und Blut der Gesellschaft übergegangen?
»Das Weib darf nicht ohne Strafe gegen die Natur sündigen«, der Frauenarzt sagt’s. Findet sie aber – ohne ihre Schuld – keine legitime Mithilfe für die Erfüllung ihrer Kindersehnsucht, und trägt illegitim der Natur Rechnung, so trifft sie, umgekehrt, dafür, daß sie nicht gegen die Natur sündigte, die Strafe. Die Gesellschaft verdammt sie, während man dem männlichen Helfer in der Not, zu dessen Beruf doch die Kindersehnsucht bei Leibe nicht gehört, - kein Härchen krümmt, obwohl für den Mann der Weg zum Standesamt immer frei ist, und er bei derartigen regellosen Verbindungen, der Kindersehnsucht Gegenteil im verschwiegenen oder auch nicht verschwiegenen Busen tragend, nur Sinnestrieben folgt. Nicht merkwürdig? Sogar höchst merkwürdig!?
Vorahnend sehe ich ein neues Stichwort am Horizont der Litteratur heraufziehen: Kindersehnsucht! anstatt des leibhaftigen Kindes, das bis vor kurzem in die Gedankenrisse der um einen Schluß verlegenen Dichter springen mußte.
Als Beweisobjekt für die Strafe, die das gegen die Natur sündigende Weib ereilt, muß wieder die alte Jungfer herhalten, »mit ihrem frühzeitigen Prozeß des Verwelkens.« Wenn der Arzt sagt: »Die schlechteste Prognose (betreffs der Gesundheit) stellt die beschäftigungslose alte Jungfer,« so redet er doch damit seinen Gegnerinnen das Wort, die ja eben am Werk sind, die Beschäftigungslosigkeit und die Ehehindernisse für das vermögenslose Mädchen aus der Welt zu schaffen.
Reich verziert sind die Broschüren mit Citaten. Die des Nervenarztes besteht zum größeren Teil aus Citaten.
Michelet, der Dichter-Philosoph, ist einer ihrer Lieblinge. Wenn seine wissenschaftliche Qualifikation für die Entscheidung wissenschaftlich physiologischer Fragen den Ärzten genügt, - mir kann es recht sein.
Beide Ärzte bringen zur Stütze ihrer Ansichten ganze Seiten aus dem Lombroso-Ferrero’schen Buch: »Das Weib als Verbrecherin« zum Abdruck.
Nun, dieses Buch hat Ferrero fast allein geschrieben. Ferrero war, als er es schrieb, - ich weiß es aus seinem eigenen Munde – 19 Jahre alt. Wenn ich ihn in seinem gebrochenen Deutsch richtig verstanden habe, nimmt er gar kein Interesse an den Frauenbestrebungen. Lombroso hat dem Jüngling, der sein Schüler war, gewissermaßen eine litterarische Aufgabe gestellt, ihm die zu studierenden Bücher namhaft gemacht; Ferrero hat die Aufgabe mit gewissenhaftem Fleiß gelöst. Er hat mir einen sehr sympathischen Eindruck gemacht, den eines ernsten, hochbegabten Menschen, der sicher einmal hervorragendes leisten wird. Schwerlich auf dem Gebiete der Frauenfrage, die ihm Hekuba ist.
Da Lombroso Jude ist, mag bei seiner Ansicht vom Weibe jüdische Tradition mitgewirkt haben. Im täglichen Gebet des Juden war bekanntlich der Dank gegen Jehova enthalten, daß er als männliches, nicht als weibliches Geschöpf zur Welt gekommen.
Merkwürdig. Lombrosos Tochter ist nicht nur eine der fruchtbarsten italienischen Schriftstellerinnen, sie hat auch in dem letzten sozialistischen Aufstande eine bemerkenswerte politische Rolle gespielt.
Sollten die Herren Ärzte in reiferen Jahren sein, müßte es ihnen dann nicht eigentlich genant sein, in der Weisheit eines neunzehnjährigen Jünglings eine Bestätigung ihrer Ansichten zu suchen?
Braucht man überhaupt aus dem Lombroso-Ferreroschen Buch etwas anders zu wissen als den Ausspruch, den beide Ärzte für sich zitieren: »Der rechte Mann kann sich das Weib immer nur orientalisch denken«?
Schüttelt Euch nicht, Ihr Frauen, Zorn und Ekel bei dieser schimpflichen Vorstellung des Mannes vom Weibe? Vergeht Ihr dabei nicht in Scham vor Euren Söhnen, in Mitleid vor Euren Töchtern?
»Der rechte Mann kann sich das Weib nur orientalisch denken!« Ätzt euch diesen Satz ins Gedächtnis, brennt ihn Euch in die Seele! Und ruft mit einer Stimme von Erz, gleich einer Glocke, die Sturm läutet, in die Welt Euer »Nein!«
Der Direktor der Frauenklinik gibt zu, daß nicht nur die Stimme des Frauenarztes, sondern auch die des Weibes zu hören sei. Unter der Stimme des Weibes versteht er eine einzige Stimme, die von Laura Marholm.
Mit Entzücken zitieren beide Herren ganze Seiten aus ihrem Buche, in dem zwar kein Wort von der Kindersehnsucht geschrieben steht, in dem es aber vom Weibe heißt, daß »in allen Fällen der Mann der einzige Sinn ihres Lebens ist.« Der Nervenarzt nennt seine Zitate »einwandsfrei«. Beinah kindlich, Zitate einwandsfrei zu nennen, weil sie die Ansichten des Zitierenden wiederspiegeln! Warum sind die Schriftsteller, die entgegengesetzte Meinungen vertreten, nicht einwandsfrei? Sollte nicht z.B. Buckle gegen Laura Marholm in die Wagschale fallen? nicht Stuart Mill neben dem neunzehnjährigen Ferrero zu hören sein? nicht der Geheimrat Winkel, erster Frauenarzt in München, neben dem Frauenarzt von Göttingen? Und der Ausspruch Michelets (diesen Ausspruch hüten sich die Herren zu zitieren), daß nur die Französin das eigentliche Weib sei, und daß nur sie einen Mann wahrhaft und lebenslang beglücken könne, - auch einwandsfrei?!
Daß die heilkundigen Jeremiasse mit dem üblichen »Wehe« über die Vernichtung der Weibnatur (als Folge der Emanzipation) nicht zurückhalten würden, war zu erwarten. Der Nervenarzt prophezeit: »Die Vernichtung der Weibnatur, die Vernichtung all jener Charaktereigenschaften, die in ihrer Gegensätzlichkeit zu jenen des Mannes den Hauptgrund für die magnetische Attraktionskraft der Geschlechter bilden, die Vernichtung also des fortdauernd sich erneuernden Menschendaseins, sie ist der traurige Preis des Sieges.«
Nun – dann müßte man doch wenigstens, um dieser furchtbaren Eventualität – der Dezimierung der Menschheit zu entgehen, - so viel gehirn- und willensstarke Weiber – wenn sie nicht existierten – geradezu züchten, als es gehirn- und willensschwache Männer gibt, damit auch diese – vermöge der Attraktion der Gegensätzlichkeit – zur Menschenschaffung beizutragen, in der Lage wären.
Das ganze Menschengeschlecht stirbt aus, wenn die Frau Medizin studiert!
Ja, wenn die Herren nur immer wirklich – nicht nur in gedruckten und ungedruckten Worten, sondern auch im Leben und Handeln – den braven Hausmütterlein die Palme reichten, so könnte ich wenigstens an ihre ehrliche Überzeugung glauben. Aber sie denken gar nicht daran. Sie kümmern sich im Leben keinen Deut um die Frau, die still im Hause nur der »Keimpflege des künftigen Geschlechts« lebt, und giebt man ihnen etwa in einer Gesellschaft ein solches Musterbild, und wäre es noch so kinderreich, zur Tischnachbarin, so fühlen sie sich beleidigt.
Und wenn sie sich, behufs späterer Verheiratung, verlieben, so erkiesen sie nur in den seltensten Fällen das tugendsame Mägdlein, dem das künftige Hausmütterlein auf der Stirn geschrieben steht; viel öfter entscheidet sich ihr »sexueller Instinkt«, der ja eingestandenermaßen ihre Psychologie beirrt, - für das hübsche Gesicht, die schöne Gestalt oder das pikant-amüsante Gebahren der jungen Dame, die durchaus nicht die Nurgebärerin in der Ehe verspricht, ganz abgesehen von den zahllosen Fällen, wo das Geld der Mitgift über allen Zauber der Liebe und der Instinkte siegt.
Läßt das Weib nicht ab von der Emanzipation, so droht der Frauenarzt, nicht nur mit der Vernichtung der Ehe, sondern auch mit der Aufhebung des zur Schonung des Weibes geschaffenen Sexualkodexes.
Sind nach dieser Aufhebung noch mehr Todtgeburten unter den Arbeiterinnen denkbar, als bei dem Bestehen dieser famosen Schutzvorrichtung? noch mehr Prostituierte? Nicht einmal die Stühle für die Ladnerinnen kann die Aufhebung abschaffen, da der Kodex sie noch gar nicht angeschafft hat.
Der Frauenüberschuß in Deutschland beträgt über eine Million. Verhielte sich nun wirklich eine Million von emanzipierten Frauen der Ehe gegenüber spröde, welche Chancen für die übrige Frauenwelt, deren Wunsch und Ziel die Ehe ist!
Der Direktor der Frauenklinik leitet aus der geschlechtlichen Sphäre der Frau ihre geistigen Eigenschaften ab. So erklärt er ihre Neigung zur Täuschung und zum Trug aus den durch den größten Teil des Lebens angewandten Mitteln der Täuschung und Verheimlichung der sexuellen Vorgänge. »Auszusprechen, daß das Weib weniger wahrheitsliebend ist, als der Mann, hindert uns für gewöhnlich die Galanterie.« (Gräßliche Galanterie!) »Die Tatsache besteht aber unzweifelhaft.«
Des Weibes Heuchelei und Verlogenheit eine Folge der Verheimlichung ihrer sexuellen Vorgänge!?
Der Mann pflegt doch auch seine animalischen Funktionen nicht an die große Glocke zu hängen!
Ich halte es auch für wahrscheinlich, daß Frauen mehr lügen und trügen, als Männer, einfach aus dem Grunde, weil sie in geistiger und wirtschaftlicher Abhängigkeit leben. Der Unfreie ist immer lügenhafter, als der Freie. Der dauernde Zwiespalt zwischen des Weibes eigenster Natur und der Konvenienz ist ein trefflicher Nährboden für Heuchelei und allerlei Hintertreppenpolitik.
Der Frauenarzt zieht das Fazit seiner Deduktionen: »So ist das Weib gebunden an ewige Gesetze, denen sie sich nicht entziehen kann.«
Sicher! wie jeder Mensch an ewige Gesetze gebunden ist. Bedurfte es der ärztlichen Broschüren, um das Weib am Brechen ewiger Gesetze zu hindern?
Nicht unter der Fahne Äsculaps kämpfen dieser Ritter der mater dolorosa, ihre Götter, - nein, Götter sind es nicht! Eine falsche Diagnose ist’s, für die sie kämpfen, die falsche, schmähliche Diagnose: » Tota mulier in utero.«
» Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes.«
Schon der Titel verspricht ein wenig Radau-Antifeminismus. Und der Inhalt? Vedremo.
Den Namen des Autors möchte ich hier nicht unterschlagen, der Herr Möbius könnte sonst denken, ich wollte ihm den Ruhm seiner fulminanten Entdeckung schmälern.
Die Schrift ist amüsant.
Die Gesinnungsgenossen des Verfassers mag sie weniger amüsiert haben. Man hat wiederholentlich im Reichstag von dem – die Parlamentarier gebrauchten den Ausdruck – Schweineglück gesprochen, das die Sozialdemokraten den lächerlichen Mißgriffen ihrer Feinde verdanken. Auch wir haben dem Herrn zu danken. Voll anzuerkennen in der Broschüre ist die Offenheit, die Ganzheit, mit der der Verfasser seine tapfere Lanze für den Schwachsinn des Weibes einlegt, der nötig und nützlich für das Geschöpf sei, das nur zur Gebärerin und Brutpflegerin taugt. Letzteren Ausdruck lieben die Ärzte, wahrscheinlich wegen seines animalischen Beigeschmacks. Der Herr Möbius teilt in der Vorrede mit, daß er auf seine Broschüre hin viele zustimmende Briefe erhalten habe. Eine Veröffentlichung dieser Briefe (Namensnennung unnötig) wäre ungemein interessant. Es läge dabei keine Indiskretion vor, da die Zuschriften sich ja nicht an den Privatmann, sondern den Verfasser der Schrift richten. Bei einer solchen Veröffentlichung würde sich die Geistesart der Briefsteller herausstellen und, ob gerade diese Leute so sehr berechtigt waren, sich für den Schwachsinn des Weibes zu begeistern.
Seine Beweise für des Weibes Schwachsinn. Erstens: Ihre geistige und moralische Beschaffenheit. Zweitens: Ihre Leistungen. Drittens: Die Notwendigkeit ihres Schwachsinnes um der Mütterlichkeit willen.
Nur einen einzigen wissenschaftlichen Beweis bringt er bei, und zwar einen anatomisch-wissenschaftlichen. Er verdankt ihn einem Kollegen. Der heißt Rüdiger und ist hinter eine ganz mangelhafte Gehirnrinde des Weibes gekommen. Ob andere mehr oder minder berühmte Physiologen auch dahinter gekommen sind, weiß ich nicht, daß sie dieselben Schlüsse wie Möbius daraus ziehen, bezweifle ich.
Früher legte man zur Begründung der weiblichen Inferiorität den Nachdruck auf die Kleinheit des Frauengehirns. Seitdem sich aber herausstellte, daß das Hirngewicht des Hauptvertreters dieser Ansicht (erst nach seinem Tode, bemerke ich, um Mißverständnissen vorzubeugen) hinter dem Durchschnittsgewicht weiblicher Gehirne zurückblieb, hat man diesen Beweis fallen lassen. Gott sei Dank, hat sich ja nun als Ersatz die mangelhafte Konstruktion des weiblichen Denkorganes eingestellt.
Nun, ich denke, wenn die dümmsten, männlichen Europäer über eine schöne Gehirnrinde, und die klügsten Frauen über eine verkümmerte verfügen, so können wir die Rüdiger und die Möbiusse auf den Lorbeeren ihrer Entdeckung ohne Aufregung ruhen lassen. Vor Jahren wandte ich mich einmal an einen berühmten Arzt, der auf dem Gebiet der Gehirnkunde für eine Autorität galt, mit der Frage, ob aus der verschiedenen Gehirnkonstruktion von Mann und Weib ein Schluß auf die Minderwertigkeit der Frau zu ziehen sei. Seine Antwort lautete: »Nein.«
Die Beschaffenheit des Weibes. »Es ist geradezu kindisch, die Beschaffenheit des Weibes, wie sie zu allen Zeiten und in allen Völkern vorhanden ist, für ein Ergebnis der Willkür (der Willkür?) zu halten. Die Sitte ist das Sekundäre, nicht sie hat das Weib an seinen Platz gestellt, sondern die Natur hat dieses dem Manne untergeordnet und deshalb wurde die Sitte.«
Zu allen Zeiten? Die unserm Wissen erschlossenen Zeiträume umfassen ein paar Jahrtausende, ein verschwindender Zeitpunkt im Vergleich zu den Milliarden von Jahren, die noch im Schoß der Ewigkeit ruhen. Aber selbst in diesem kurzen Zeitraum war der Frauen Stellung bedeutenden Schwankungen unterworfen, von den mythischen Amazonen, von der Epoche des Matriarchats bis zu den Frauen barbarischer Stämme, die als unreine Geschöpfe nicht mit dem Manne an einem Tische essen durften.
Der Herr Möbius proklamierte die Stabilität der Sitte. Wie? Die Sitte wäre immer der Ausdruck des von der Natur gewollten gewesen? Sind Sitten nicht ein Spiegel des Kulturzustandes der Zeit? und nicht einmal das, oft sind sie nur ein Spiegel vergangener Kulturzustände.
Die Philosophen führen den Ursprung der Sitte auf den Nutzen zurück, den einmal ein Gemeinwesen, oder eine herrschende Partei von ihrer Einführung sich versprach? Allmählich bürgerte sich die Sitte ein. Man vergaß ihren Ursprung, und im Laufe langer Zeiträume wurde sie der Gesinnung einverleibt, und je länger ihr Ursprung in der Vergangenheit zurücklag, mit um so größerer Autorität trat sie auf, und schließlich sprachen die Gläubigen der Sitte sie heilig.
Weil es bisher immer so gewesen, muß es auch in aller Zukunft so bleiben? Fast scheint das Umgekehrte wahr. Müßte man nicht, sich des Ursprunges der Sitte erinnernd, sie um so gründlicher auf ihre Daseinsberechtigung hin prüfen, je länger sie Bestand hat? Vorstellungen, Denkprozesse durchlaufen am liebsten die gewohnten Nervenbahnen, bis irgend ein großer Gewohnheitsbrecher erscheint, die alten Gesetzestafeln zerschmettert, und neue, oft mit Blut zusammengeschweißte, aufhängt.
Die Stabilität der Sitte erklären heißt: Die indischen Witwen müssen ewig verbrannt werden, und die Ketzer und die Hexen auch. Wie lange muß eine Sitte bestehen, um von dem Möbius heilig gesprochen zu werden? Die Hexenprozesse umfaßten drei Jahrhunderte (1400 – 1700). Langt das? Vergewaltigungen, die Jahrtausende andauern, tun um so weher. Die Tschandalas, die Parias, wurden durch Jahrtausende als tierische Geschöpfe von jedem Menschenrecht ausgeschlossen. Und die Sklaverei, die selbst dem edelsten Volke des Altertums als eine Naturnotwendigkeit galt, und deren beaux restes sich heute noch in Afrika erhalten? Und der Krieg? ewig, weil er an allen Orten und zu allen Zeiten die Menschheit grausam dezimierte?
Ja, seit wie lange gilt denn nach Sitte und Herkommen der Bürgerliche als ein dem Adel gleichberechtigter Staatsangehöriger? Sprach nicht noch Metternich das freche Wort: »Der Mensch fängt erst mit dem Baron an.« Und neulich hörte ich sogar von einem lieben, ehrwürdigen Professor der Mathematik, daß der zivilisierte Mensch erst mit dem Mathematiker anfinge. Der Herr Möbius – er sitzt, wie es scheint im Aufsichtsrat der Schöpfung – übertrumpft sie: Der Mensch fängt erst mit dem Manne an, und bei der Frau hört er auf.
In unserm Hause war ein Portier, der ab und zu seine Frau und seine erwachsene Tochter jämmerlich zerbläute. Von einem Hausbewohner energisch zur Rede gestellt, antwortete er: »Sie estimieren mir nich als Mann.«
Nicht ein Symbolikum dieser Portier?
Der Möbius korrigiert einen Schriftsteller, der sich über die Unwissenheit der eben schulentlassenen Mädchen wundert und diese Unwissenheit auf die Mangelhaftigkeit der Schulen zurückführt.
O, nein! Die Schule ist unschuldig. »Das rasche Verlernen ist bei den Mädchen eine Hilfe der Natur gegen die Schultyrannei. Das weibliche Gehirn stößt das aufgezwungene rasch wieder ab.« Eine Meinung, die ihn nicht hindert (S. 19) zuzugeben, daß sie, die Mädchen, das Gelernte ebenso gut wie die Männer merken, - und einige Sätze später seine Ansicht wieder dahin zu modifizieren, daß sie zwar sehr gut lernen, es wäre aber nur ein Auswendiglernen, und sie vergäßen das Gelernte so schnell, nicht weil sie es nicht behalten könnten, sondern weil sie es nicht behalten wollten. – Aber vorher vergaßen sie es doch, weil sie nicht anders konnten?
Schreiende Widersprüche sind geradezu ein Kennzeichen des Antifeministen. Sehr erklärlich. Weil die Thatsachen ihren Behauptungen ins Gesicht schlagen, verrenken sie sich nun das Gehirn, um beide in Einklang zu bringen.
Sie sind ausgezeichnete Schülerinnen, sagte er, aber »das Lernen ist ihnen widerwärtig, wenn es ihnen nicht in der nächsten Nähe einen persönlichen Vorteil bietet.« Ja, um Gottes Willen, warum drängen sie sich denn zum Lernen? der Knabe, der Jüngling wird dazu gezwungen, das Mädchen mit nichten. Und welche Vorteile in nächster Nähe bietet es ihnen denn? wenn wir vom ärztlichen Beruf absehen, nicht einmal Vorteile in der Ferne, da sie das Erlernte – vorläufig – für ihre Existenz nicht verwerten können. Aus Eitelkeit? Aber die studierten Frauenzimmer sollen doch den Männern ein Greuel sein. Übrigens, ich nehme die »Frauenzimmer« zurück, die Möbiusse pflegen neuerdings, wenn sie das Emanzipationsweib abtun wollen, »Damen« zu sagen.
»Ihr Instinkt macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher, heiter. Es macht sie bewundernswert und anziehend.«
Ja? Die Tierähnlichkeit macht sie bewundernswert? Wir nehmen Akt von diesem Bekenntnis. Wir wollen der Tierliebe des Herrn nicht zu nahe treten. Aber weil er das Weib tierähnlich liebt, ist sie doch nicht verpflichtet, das Tier in sich zu pflegen und zu entwickeln. Wer den Menschen – angenommen, die Frau sein ein Mensch – hindert, sich aufwärts zu entwickeln, vertritt ein kulturfeindliches Element. Er ist böse.
Nun ja, meinetwegen, wir sind ziemlich garstiges Gewürm – Raupen. Aber aus Raupen werden Schmetterlinge. Nur abwarten. Wir befinden uns vielleicht gerade jetzt in dem unangenehmen Stadium der Raupenpuppe.
Und weiter kritisiert der Möbius das Weib! »Mit des Weibes Tierähnlichkeit hängen zusammen: Der Mangel eigener Urteilskraft, sie haßt das neue, ausgenommen, wenn es ihr persönlichen Vorteil bringt« (Ordinäre Geschöpfe!). »Das Weib hängt wie ein Bleigewicht an dem Manne ... hemmt den Edlen, denn sie vermag das Gute von Bösen nicht zu unterscheiden ... was jenseits der Familie ist, interessiert sie nicht.«
Was? Das steht in ihrem Sündenregister? Komisch. Die Möbiusse setzen doch Himmel und Hölle in Bewegung, damit sie sich für anderes nicht interessieren soll.
Wenn heute noch ein deutscher Wissenschaftler mit aller Energie durch die zivilisierte Welt gellt: »Schützt das Weib vor Intellektualismus!« mit wie unerschöpflicher Großmut wird man ihr in zurückliegenden Zeitaltern diesen Schutz gewährt haben.
Der Herr Möbius fährt fort: »Gerechtigkeit ist ein leerer Begriff für sie, sie ist unfähig die Heftigkeit ihrer Affekte zu beherrschen« ... »Sie ist moralisch einseitig oder defekt, zanksüchtig, boshaft, schwatzhaft.« (O Herr, in welchem Frauenmilieu hast Du Dich bewegt! Die reine Schwiegermutter aus der Posse.)
Zu den Beweisen des physiologischen Schwachsinns zählt der Möbius auch den frühen Verfall des Weibes.
Als Mädchen zeigt sie oft einen glänzenden, feurigen Geist. Nach der Heirat »verliert sie thatsächlich Fähigkeiten, die sie vorher besaß... Der Verfall beginnt oft nach einigen Wochenbetten, die Geistesfähigkeiten gehen zurück, die Frauen versimpeln.«
In diesen Sätzen ist ein Kern von Wahrheit. Gewiß, manches muntere kecke Mädchen verliert in der Ehe nach einigen Wochenbetten (die Wochenbetten haben nichts damit zu tun, insoweit sie nicht Siechtum nach sich ziehen) ihre Frische und Munterkeit. Daß diese jungen Frauen vor der Versimplung besonders glänzenden Geistes gewesen sind, bezweifle ich. Die so schnell des Gehirnschwundes Bezichtigten werden in der Regel die Unbegabteren und Temperamentloseren gewesen sein, solche, die kaum je geistige Bedürfnisse hatten. Und der weltunkundige, gelehrte Herr Möbius verwechselt wohl hier Munterkeit und kokette Allüren mit glänzendem Geist; oder hat er von einem glänzenden Geist eine andere Vorstellung als andere Leute?
Zuzugeben ist, daß in dem heißen, drängenden Werben um den Mann sich die Kräfte des Mädchens steigern, weil sie sich auf einen Punkt konzentrieren. Nur teilweis entspringt dieses Werben einem exotischen Naturdrang, häufiger noch ist’s ein Kampf um die Existenz. Die mittellose, berufslose, unverheiratete Frau ist leiblicher und geistiger Verkümmerung ausgesetzt. Und nichts ist natürlicher und erklärlicher, als daß sie sich aus Leibeskräften gegen das graue Elend zur Wehr setzt. Das Weib von diesem entehrenden Kampfe zu befreien ist eines der Ziele der Emanzipation.
Übrigens, mit demselben Recht, wie Möbius von der Versimpelung der Frau nach einigen Wochenbetten spricht, könnte ein anderer von der geistigen Erweckung der Frau durch die Ehe sprechen. Es steht sehr dahin, ob in der Ehe die Zahl der Versimpelten oder die der Erweckten, Aufwärtskommenden größer ist, wobei ich freilich die Ehe (wenn es nicht eine im Himmel geschlossene ist) nicht für maßgebend halte, sondern einfach den Umstand, daß der normale Mensch, falls ungünstige Verhältnisse ihn nicht hindern, mit den Jahren im geistigen Wachstum fortschreitet.
Welche Frauen versimpeln nicht? Der gelehrte Herr halte Umschau. Es sind die Frauen der großen Welt, es sind die Künstlerinnen, überhaupt alle diejenigen, die auf irgend einem Gebiet in voller Aktivität bleiben.
Worauf der frühe Verfall der Frauen basiert, müßte er als Physiologe besser wissen als ich. Es gehört doch zum Abc seiner Wissenschaft, daß Organe, Kräfte, die außer Übung gesetzt werden, einrosten. Eine Schauspielerin bleibt oft bis in das 70. Jahr leistungsfähig. Ich erinnere mich, die fünfundsechzigjährige französische Schauspielerin Dejazet in der Hosenrolle des jungen Richelieu gesehen zu haben. Jeder kennt die Tatsache, daß alte Männer häufig zusammenbrechen, wenn man ihnen ihr Amt nimmt. Man gebe einer alten Frau, die anfängt in Marasmus zu versinken, eine Aufgabe, etwa ein verwaistes Enkelchen zu erziehen oder eine erkrankte geliebte Person zu pflegen, und sie wird wieder aufleben. Ich kenne eine mit allen möglichen Gebresten belastete achtzigjährige Greisin. Sie hat einen todkranken Sohn zu pflegen, sie pflegt ihn unausgesetzt Tag und Nacht seit länger als einem Jahr. An dem Tage, an dem ihr Sohn stirbt, wird auch sie sterben, nicht eher.
Vom Aufhören der Menstruen (das um das fünfzigste Lebensjahr herum, oft früher eintritt) datiert der Herr Möbius nach altem Brauch »Das alte Weib.« Und von diesem Zeitpunkt an geht dieses mißlungene Werk der Schöpfung absoluter Ekelhaftigkeit entgegen. »Man kann sich – sagt er – auf das verlassen, was das Gesicht sagt.« Häßlichkeit ist hassenswert und die alten Weiber sind häßlich. (Ah, ich merke, der Herr Möbius ist ein schöner alter Herr.)
Nun, sind die alten Weiber gar so wüst häßlich, so sollen sie versuchen die bessernde Hand an ihr gräuliches Aussehen zu legen und sich embellieren.
Wodurch? Gerade durch das, was der Möbius ihnen wehren will: Verfeinerung und Erhöhung der Intelligenz, Tätigkeiten, die Seele und Geist veredeln, denn »Es ist eine Gerechtigkeit auf Erden, daß die Gesichter wie die Menschen werden.«
»Der Spott über die alten Weiber kann nicht grundlos sein. Woher sollte dieser Spott kommen, wenn er nicht berechtigt wäre? ihre eigenen Eigenschaften müssen schuld daran sein, denn der Mann haßt das Weib nicht, es sei denn, daß er gezwungen ist mit ihm zu kämpfen.«
Wir nehmen Akt von diesem offenen Bekenntnis, daß der Mann das Weib als Konkurrentin haßt, obwohl auch das nicht recht verständlich ist, da der Mann mit der prachtvollen Gehirnrinde ja doch immer das triste Geschöpf, dem Gott sein Oberstübchen so armselig möbliert hat, schlagen würde.
»Ihre Boshaftigkeit hat man ihr nicht angekreidet, so lange sie körperliche Reize hatte. Durch den Schwachsinn des alten Weibes tritt diese Bosheit unverhüllt zutage und nimmt lächerliche Formen an« u.s.w. (Radau-Antifeminismus?)
Als ich diese Stellen las, dachte ich bei mir: Na, wo bleibt dabei die Ehrerbietung vor der alten Mutter? Noch aber hatte ich es nicht zu Ende gedacht, da stand es schon: »Aber ihre mütterliche Gesinnung bleibt mitsamt ihrem Schatz von Zärtlichkeit.«
Ich muß sagen, wenn ich der Sohn einer so gräßlichen alten Hexe wäre, ihre Zärtlichkeit würde mich anwidern.
Seine Merkmale des weiblichen Alterschwachsinns sind von mitleiderweckender Kleinlichkeit, so führt er z.B. ihre Sparsamkeit am unrechten Ort an. Der sprichwörtliche Geizkragen, der Harpagus, ist ein Mann. Vielleicht spart der aber am rechten Ort?
Nachdem der schöne alte Herr Möbius dem Weibe die lange Liste ihrer tierähnlichen Qualitäten entrollt hat, setzt er mit goldiger Naivität hinzu: »Sehen wir uns auch genötigt, das normale Weib für schwachsinnig zu erklären, so ist damit doch nichts zum Nachteil des Weibes gesagt.« Kleiner Schäker!
Bei keinem einzigen unserer Gegner fehlt der Ausspruch, daß die Frau zwar anderswertig, aber beileibe nicht minderwertiger als der Mann sei, man mag ihren Schwachsinn behaupten, oder dem lieben Gott nachsagen, daß er mit ihrem Körper Pfuscherarbeit geliefert habe. So wäre am Ende das Tier auch nicht minderwertiger als der Mensch, indem es seine Bestimmung als Tier bestens erfüllt.
Seine Vererbungstheorien sind mir ganz unklar geblieben. Ich habe nur so viel verstanden, daß das Weib von den Talenten des Mannes nichts erbt, er aber von dem künftigen Gehirnweib die Weibischkeit erben wird.
Aber wie soll das Gehirnweib – angenommen, man läßt sie überhaupt zum Gebären zu – die Weibischkeit vererben, die diese Männin doch gar nicht mehr hat?
Seite 23 sagt der Möbius ausdrücklich, daß »der weibliche Schwachsinn nicht nur vorhanden, sondern auch dem Weibe um des Mutterberufs willen notwendig sei.« Wahrscheinlich müßte man in ihr anzüchten, wenn der liebe Gott damit hinter dem Berge gehalten hätte.
»Die Natur gab ihr alles zu ihrem edlen Beruf Nötige.«
Es mutet etwas sonderbar an, sogar sehr sonderbar, daß Schwachsinn, Bosheit, Zanksucht, Lügenhaftigkeit, (mit denselben Worten wie Nietzsche sagt er: »Nichts wäre törichter, als den Frauen das Lügen verbieten zu wollen«) das Unvermögen, ihre heftigen Affekte zu beherrschen
das Weib zu dem edlen Beruf besonders befähigen sollen. Einen Augenblick scheint er das selbst gefühlt zu haben, denn unverhofft wird sie daneben auch kindähnlich, heiter, geduldig und schlichten Geistes, weil sie nämlich nicht bloß da ist, um Kinder zu gebären, sondern auch um sie zu pflegen.
Hier passiert dem Herrn eine Schlauheit, (die einzige wohl in der Schrift) er unterschlägt ihre Erziehungstätigkeit, auf die seine Gesinnungsgenossen den größten Wert zu legen pflegen. Das geht denn doch selbst bei dem »schönen alten Herrn« nicht an, das schwachsinnige Geschlecht mit der Erziehung der Kinder zu betrauen.
»Die modernen Närrinnen sind schlechte Gebärerinnen und Mütter.« Das denkt er sich aus. Er ist gewiß ein ehrenwerter Mann. Aber hier verleumdet er einfach, der »schöne alte Herr« Möbius. Wie wäre es, wenn die durch ihre Gehirntätigkeit herabgekommenen »Damen« zum Ausgleich sich Naturburschen, Männer von strotzender Kraftfülle, Nichtgehirnmänner zu Vätern ihrer Kinder wählten, nach dem Muster der berühmten pythagoräischen Philosophin Mysia, die dem stärksten Athleten ihres Landes die Hand zum Ehebunde reichte. Nebenbei bemerke ich, daß es für den Herrn Möbius sehr nützlich wäre, die Geschichte dieser alten Philosophinnen zu lesen. Er würde zu seinem Erstaunen erfahren, daß diese »Damen«, die oft viele Kinder hatten (Theana hatte deren neun) den Ruf ausgezeichneter Mütter und Gattinnen genossen.
Die Heiligkeit der Mutterschaft, daß der Wert des Weibes in seiner Mütterlichkeit ruhe, sind Sätze von erprobter ethischer Wirkung. Die Heiligkeit scheint aber im Standesamt, nicht in der Mutterschaft zu liegen. Fällt ersteres aus, so ist’s gleich der Mann mit dem Pferdefuß, der der Mutterschaft das Teufelszeichen aufdrückt.
Und wer hat je bemerkt, daß die verheiratete Frau, die nicht Mutter geworden ist, in der Schätzung der Gesellschaft auch nur um einen Schatten tiefer steht, als die mit Kindern gesegnete? Ob sie Mutter geworden oder kinderlos geblieben ist, darnach kräht kein Hahn. Den Männern ist sogar im allgemeinen die Nichtmutter unter den Verheirateten sympathischer als die Mutter.
Leistungen der Frau. Grundbeweis ihrer geistigen Sterilität sind die Leistungen des Weibes auf allen Gebieten, die Möbius für völlig wertlos, gleich Null erachtet. Es sei ein Kniff, daß es ihnen an Übung und Bildungsmöglichkeit gefehlt habe. Ein wirkliches weibliches Talent hält er für Hermaphroditismus.
Ich möchte hier kurz zusammenfassen, was über die bisherigen Leistungen der Frau zu sagen ist. Es mag nicht neu sein. In vielen Fällen aber sind Wiederholungen – wir haben das von unsern Feinden gelernt – zweckmäßig, zuweilen geboten.
Wenn die Antifeministen der Frau die Fähigkeit für höhere kulturelle Leistungen absprechen, so berufen sie sich dabei einmütig auf die Natur des Weibes. Sie nehmen an, daß Gott der Herr dem Weibe ganz bestimmte, für alle Ewigkeit unabänderliche Berufs-Qualitäten anerschaffen hat. Und so herrlich hat der liebe Gott es gedeichselt: alles, was sie soll und was sie darf, das ist ja eben ihr Glück, ihr alleiniges; und was sie nicht soll und nicht darf – täte sie es trotzdem, es wäre ihr Verderben. Und sieht das Weib das nicht ein, so ist das eben – ihr Pech.
Jeder Sekundaner weiß heutzutage, daß nach dem Gesetz der Anpassung durch fortgesetzte, andauernde Ausübung bestimmter Tätigkeiten, auch diesen Tätigkeiten entsprechende Eigenschaften erworben werden, während nicht geübte Fähigkeiten rudimentär werden.
Es ist eine naturwissenschaftliche Tatsache, daß Tierchen, die durch irgend einen Zufall in dunkle Höhlen geraten und dort Generationen hindurch verbleiben, ihre Augen verlieren. Sie verlieren sie, weil sie sie nicht mehr brauchen.
Man verwehrt den Frauen Gehirnarbeit, entzieht ihnen die Möglichkeit, Willens- und Tatkraft zu üben, und nähern sie sich dann in ihren schwächeren Exemplaren – auf dem Wege der Anpassung – dem Schafideal, so ruft man triumphierend: »Seht da – die Natur des Weibes!«
Und die Natur des Mannes? Ist der Mann von heut etwa ein natürliches Produkt der Schöpfung? Nicht ebenso wie die Frau ein durch bestimmte soziale Bedingungen historisch Gewordenes? Von ursprünglicher Natur kann etwa bei dem Wilden die Rede sein, der, wenn er Hunger hat, seinen Mitmenschen auffrißt, und der das Weib vergewaltigt, wenn ihn die Lust dazu anwandelt. Gott schütze uns vor der ursprünglichen Natur.
Nicht erstaunlich, daß, trotzdem die Frau seit Jahrtausenden nur zu häuslichen Verrichtungen verwendet und abgerichtet wurde, es immerhin noch eine beträchtliche Anzahl weiblicher Individuen gibt, die durch Intelligenz, Tatkraft, künstlerische oder wissenschaftliche Leistungen sich hervortun?
Und das hat sie in der Tat dem Manne zu verdanken, der, ebenfalls nach einem Naturgesetz, bei der Vererbung an seine Kinder – worunter auch die Mädchen zu verstehen sind – beteiligt ist. Andernfalls wären sie wahrscheinlich längst zu den zahmen oder auch bissigen Haustieren geworden, wie der Möbius sie schildert.
Einer der effektvollsten, weithin bekannten Einwürfe gegen das Frauenstudium lautet: Weil das Weibtum bisher keine Geistesgrößen, keinen Goethe, Kant, Humboldt hervorgebracht hat, ist das Weib unbefähigt höhere Kulturwerte zu schaffen. Wieder und wieder können die Frauen diesem Einwand mit dem Hinweis darauf begegnen, daß weder Goethe, noch Humboldt, noch Darwin in der Lage gewesen wären, ein einziges ihrer Werke zu schreiben, wenn ihre Bildung mit der Töchterschule abgeschlossen hätte. Man stellt sich taub, und nach wie vor wird in antifeministischen Schriften dieser Einwand als Kernschuß gegen die Emanzipation abgefeuert. Ja, hält man denn die Frauen für Genies, von denen zu erwarten ist, daß sie auch mit der notdürftigsten Bildung wissenschaftliche Probleme zu lösen imstande sein müßten?
In welcher Art und Weise die Tatsache ihrer unerheblichen Leistungen gegen die Emanzipation nutzbar gemacht wird, mag ein Beispiel erläutern: Ich hörte den Vortrag eines ausgesprochenen Feministen, in dem er auf das lebhafteste die grausamen Unterdrückungen schilderte, die das Weib seit Jahrtausenden erduldet. Er müsse aber doch – trotzdem ihr diese Unterdrückungen in hohem Grade anzurechnen wären – ihre Befähigung für epochemachende Kulturwerke bezweifeln, denn – selbst auf denjenigen Arbeitsfeldern wie Spinnen, Weben, Nähen, wo sie von jeher zu Hause gewesen, habe sie sich über maschinelle Handgeschicklichkeit nicht erhoben. »Nicht Frauen – Männer sind es, die Webe-, Spinn- und Nähmaschinen erfunden haben.«
Sollte diese Ansicht unseres Freundes nicht der Folgerichtigkeit entbehren? Diese unterdrückten, in der Enge des Hauses, ohne Kultur aufgewachsenen, immer webenden, spinnenden, nähenden Frauen, hätte er sie nicht etwa mit den schlesischen Webern oder mit Schneidergesellen (erfanden die je eine Maschine?) in eine Linie stellen müssen? nicht aber mit jenen großen Technikern und Ingenieuren, die auf der Höhe der Kultur ihrer Zeit standen?
Die Tatsache, daß Frauen noch nie beachtenswerte Maschinen erfanden, ist richtig. Ob sie nach einigen Jahrhunderten noch richtig sein wird, steht dahin.
Auch aus dem Proletariat sind nur ausnahmsweise Leuchten der Kunst und Wissenschaft hervorgegangen, und auch diese Ausnahmen verdankten glücklichen Zufällen eine Ausbildung, ohne die sie in ihrem Dunkel verblieben wären. Auffällig begabte Knaben finden zuweilen einen Mäcen, der sich ihrer annimmt. Wer achtet auf große Begabungen weiblicher Proletarierkinder!
Dieses Nichtbeachten gilt – wenn auch nicht so uneingeschränkt – für das weibliche Kind überhaupt. Und damit fehlt eine Vorbedingung für das künstlerische oder wissenschaftliche Eingreifen der Frau in die Kultur.
Keiner kann wissen, was aus ihm wird, ehe er die Wege gegangen, die zu seinem Ziel führen. Kein Handwerker weiß, ob er in seinem Fach Erhebliches leisten wird, ehe er an der Arbeit war. Ein Arzt muß erst studiert und dann praktiziert haben, ehe ein Urteil über seine Fähigkeiten zu fällen ist.
Den Kräften der Frau alle Gebiete menschlichen Schaffens zugänglich zu machen – dieser Versuch muß und wird gemacht werden. Die Naturforscher wissen es: nur über das Experiment geht der Weg zur Erkenntnis. Ich kann ein Genie des Könnens sein, ich muß doch aber erst lernen, wie ich können kann.
Wir lesen oder hören wieder und wieder, daß der private Bildungsgang den Frauen immer offen gestanden habe; ein namhafter Professor der Philosophie betont, daß man wenigstens zu keiner Zeit sie an philosophischen Studien gehindert habe, womit er nur meinen kann, daß man die Bücherschränke vor ihnen nicht verschlossen hat.
Dieser Privatweg hätte doch nur Früchte tragen können, wenn dem weiblichen Geschlecht dieselben Lehrkräfte wie dem männlichen zur Verfügung gestanden hätten. Schwerlich aber würden sich hervorragende Dozenten herbeigelassen haben, jungen Damen in Privatstunden die Wissenschaften beizubringen, und hätten sie es getan, so wären ihre Honorare nur für Millionärstöchter erschwingbar gewesen.
Abgesehen davon, daß es immerhin Frauen gibt und gegeben hat, denen Geistesgröße nicht abzusprechen ist, wieviel Geistesschätze weiblicher Individuen mögen mittelbar durch die Männer in den allgemeinen Geistesstrom übergegangen sein. Schreibt doch, beispielsweise, Stuart Mill: »In beiden Sphären des Denkens habe ich von meiner Frau mehr gelernt, als aus allen anderen Quellen zusammengenommen. Ihr Geist drang stets mitten ins Herz und Mark der Sache, ergriff allemal ihr Wesen.«
Als er von Carlyle spricht, sagt er: während er selbst sich nie getraut, über Carlyles intuitive Dichternatur ein Endurteil zu fällen, habe er sein Wesen klar erkannt, nachdem es ihm enthüllt worden »durch Eine, die uns Beiden weit überlegen war, die ein größerer Dichter war als er und ein größerer Denker als ich, deren eigener Geist und Natur die seine und weit mehr einschloß.«
Und wer kennt diese Frau! Nur die Kritiker, wie es scheint, die Mills Selbstbiographie besprochen haben, und die übereinstimmend die Aufrichtigkeit Mills in diesem Punkt bezweifeln und die Möglichkeit der Tatsache in Abrede stellen. Der gütigste dieser Kritiker meinte, »hier habe der Dichtergeist einer leidenschaftlichen Liebe dem Philosophen die Feder geführt.«
Mills Gattin war Jahre lang zuvor, ehe er das schrieb, als eine ältliche Frau gestorben. Eher als man einer Frau Geistes- und Charaktergröße zugesteht, glaubt man an das Wunder einer Liebesleidenschaft für eine ältliche Dame.
Der Litterarhistoriker Bernays schreibt gelegentlich einer Besprechung der Schlegel’schen Shakespeare-Übersetzung: »Die Manuskripte, welche zum Studium dieser Arbeit vorliegen, weisen eine sehr tätige Teilnahme von Schlegels Gattin Karoline nach. Oft finden wir bei einzelnen Versen, nach immer und immer wiederholten Versuchen die zweckmäßigste Form zu finden, den letzten und giltig gebliebenen Ausdruck von Karolinens Hand hineingeschrieben.«
Als Paracelsus im Jahre 1524 sämtliche Arzneien verbrannte, erklärte er, nichts weiter zu wissen, als was er von den Hexen gelernt habe.
Geschichtschreiber berichten, daß es im Mittelalter eine große Anzahl von Minnesängerinnen gab. Die Sitte aber erlaubte nicht ihre Namen zu nennen. Auch ein Teil der Volkspoesien rühre von Frauen her, was schon daraus erhelle, daß diese Volkslieder die Liebe des Weibes zum Manne zum Inhalt hatten.
Die Frauen sind niemals am Studium gehindert worden?
Ein berühmter Anatom schrieb: »Jeder der Kulturgeschichte nur einigermaßen Kundige weiß, daß diese angebliche Unterdrückung seit dem letzten Jahrtausend bei den Kulturvölkern des christlichen Europas gar nicht vorhanden war!«
Das schrieb ein Mann, der in demselben Atem aussprach: »Ich bin fest entschlossen, weiblichen Zuhörern zu meinen Vorlesungen niemals den Zutritt zu gestatten«, und der noch hinzufügt, »daß er nicht zum Unterricht von Mädchen genötigt werden könne.«
Er selbst beweist die Ausschließung durch sein Beispiel, stellt sein Tun als das einzig normale und richtige hin und knüpft daran die Schlußfolgerung, daß gar nicht die Möglichkeit einer Behinderung des Frauenstudiums existiere.
Tritt in dieser Vorstellungsweise nicht dieselbe blasse Ironie zu Tage wie in einem Gesetz der alten Egypter in bezug auf die Frauen?
Erster Artikel: Die Frau ist berechtigt zu gehen und zu kommen, wohin sie will. Zweiter Artikel: Ohne Schuhwerk darf sie aber nicht ausgehen. Dritter Artikel: Jedwedem Schuhmacher wird verboten, Schuhwerk an eine Frau zu verkaufen.Aus meinem Buch »Der Frauen Natur und Recht.«
Und wüßte die Kulturgeschichte nichts von den Unterdrückungen, ich weiß davon, und ich bin in diesem Fall kompetenter als die Kulturgeschichte.
Vor einige Jahren provozierten in der Sorbonne (Paris) Studenten einen Skandal. Sie forderten die Entfernung der Damen aus den Vorlesungen.
Die Radauszenen, die vor einigen Jahren zu demselben Zweck in Halle stattfanden, sind noch in aller Gedächtnis.
Hätten aber selbst Professoren und Studenten sich den Frauen willfährig erwiesen, es gibt etwas, das mächtiger ist als huldreiche Konzessionen, als Gesetzesvorschriften und Verbote: Sitte und Herkommen ist’s.
Stärkere Schranken als allgemein gültige Zeitanschauungen – die immer nur einzelne kühne Geister zu durchbrechen wagen – sind kaum denkbar. Ein Beweis ist Italien. Dort standen seit einer Reihe von Jahren die Universitäten bedingungslos den Frauen offen. Sie gingen an den offenen Türen vorüber, einzutreten war gegen die Sitte. Dazu kam freilich, daß die Mangelhaftigkeit der italienischen Mädchenschulen kaum angetan war, geistige Bedürfnisse zu wecken.Neuerdings ist die Sachlage eine völlig andere geworden.
Man nahm an, und die Majorität nimmt es heut noch an, daß die Entwickelung und Ausübung eines Talents den Mutter- und Hausfrauenberuf des Weibes schädige. Wie ja auch in Königshäusern etwaige künstlerische Talente in den seltensten Fällen zur Ausbildung gelangen, in der Annahme, daß z.B. Malen und Regieren nicht vereinbar seien.
Der Herr Möbius lese die Memoiren der in ihrer Zeit (der Goethezeit) berühmten Malerin Luise Seidler, er lese, welche unsagbare Mühe sie hatte, überhaupt nur einen Lehrer zu finden, und als es ihr endlich gelang, hatte sie es nur dem Mitleid zu danken – mit ihrer Taubheit.
Er lese in den Mendelssohn’schen Briefen, wie Abraham Mendelssohn, ein für seine Zeit ungemein intelligenter und vorurteilsloser Mann, sich energisch gegen den Musikberuf seiner Tochter, als durchaus unweiblich, wehrte. Ihre Lieder, von denen Felix Mendelssohn sagte: »daß sie schöner sind, als gesagt werden kann, sie seien, als ob es die Seele von der Musik wäre,« mußte sie unter dem Namen ihres Bruders drucken lassen.
Auf dem Berliner Frauenkongreß vor fünf Jahren berichtete die Bildhauerin Elisabeth Ney von den unendlichen Schwierigkeiten, die ihrer Ausbildung entgegenstanden, was umsomehr ins Gewicht fällt, da sie sehr schön war, und Schönheit – wo es gilt, Männer zu rühren und Sitten zu beugen – der Taubheit die Palme streitig machen dürfte.
In neuester Zeit fallen die Schranken langsam – langsam. Aber immer noch ist der Frau die Akademie verschlossen. Nur in Privat-Ateliers, die für Unbemittelte zu teuer sind, kann sie ihre Ausbildung gewinnen. Trotzdem giebt es heut schon einige Malerinnen, die es zur Meisterschaft gebracht haben.
Seite 15 heißt es: »Ja selbst als Schneider, Köche leisten die Männer mehr als ihre weiblichen Konkurrenten.« Gewiß, in vielen Fällen. Der Herr Möbius weiß, woran es liegt: »an der größeren Intelligenz der Männer, da ja die Geschicklichkeit eine Leistung der Gehirnrinde ist.« Auf ihre defekte Gehirnrinde führt er ihre schwachen Nadel- und Kochleistungen zurück, beileibe nicht auf den Umstand, daß den Söhnen einer Familie eine gründliche und jahrelange Lehrzeit zuteil wird, die den Mädchen in der Regel versagt bleibt. Unter Opfern bringen mehr oder weniger arme Eltern die Kosten für die lange Lehrzeit ihrer Söhne auf. Dasselbe für die Mädchen zu tun, übersteigt meistens ihre Kraft. Und nichts ist selbstverständlicher, als daß sie, wenn sie die Wahl zwischen Sohn und Tochter haben, den Sohn bevorzugen, da sie für die Tochter auf den ehelichen Versorger rechnen.
Außerdem ist nicht einmal wahr, was der Herr Möbius sagt. In Berlin wenigstens bedienen sich die vornehmen und eleganten Damen meist der Schneiderinnen. Wie es in Leipzig ist, weiß ich nicht.
Gehört zur Führung eines größeren Haushalts, zur Herrschaft und Disziplinierung der Dienstboten, der Aufziehung der Kinder nicht diejenige Geschicklichkeit, die eine Leistung der Gehirnrinde ist?
Bei der Betätigung, die man der Frau an der Kultur- und Berufswelt gestatten möchte, scheint auch heut noch das Ja oder Nein an ein bestimmtes Prinzip geknüpft. Ja, - wo die Frau zur Lust oder zum Nutzen der Gesamtheit unentbehrlich ist, bei der Bühne, als Krankenwärterin und in einigen anderen Erwerben. Nein – wenn sie durch den Mann ersetzt werden kann.
Mir scheint, nicht das ist die Frage: brauchen die Männer oder der Staat die Frauen, sondern: was brauchen die Frauen für ihre geistige und materielle Existenz.
Wäre ich rachsüchtig, so täte ich dem Herrn Radau-Antifeministen anwünschen: Sieben Töchter, alle in schönster Reinzucht mit seinem weiblichen Schwachsinn behaftet. Und alle Sieben sollten ohne Gatten und ohne Beruf (den er ihnen ja verbietet) vor den Augen ihres Rabenvaters elend verkümmern. Und eine alte Frau Gemahlin wünschte ich ihm, gespickt mit all den Charakterraritäten des in seinem Geist spukenden alten Weibes. (Wahrscheinlich ist er gar nicht verheiratet, oder er hat eine ungeheuer kluge Frau, was ihn fürchterlich ärgert, und seine Schrift ist eine Rache, die er an ihr nimmt). Und schließlich empfehle ich ihn dem Zorn der thracischen Weiber, denn diese sollen wirklich unfähig gewesen sein, ihre heftigen Affekte zu beherrschen.
Auch den »schönen« alten Herrn Möbius nehme ich zurück. Alt – vielleicht. Schön? nein. Denn: »Es ist eine Gerechtigkeit auf Erden, daß die Gesichter wie die Menschen werden.«