Hedwig Dohm
Die Antifeministen
Hedwig Dohm

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Zwei Altgläubige.

(Als Illustrationsprobe.)

1. Ein Amazonentöter.

Die Kampfesart unserer Gegner hat naturgemäß im Lauf der Jahrzehnte ihre Physiognomie geändert. Fern liegt die Zeit, wo die ersten Symptome der Bewegung mit gröbsten Späßen, gelegentlich auch mit Zoten – abgefertigt wurden. Ich will nicht auf Hans Sachs zurückgreifen, der empfiehlt, ungehorsame Weiber windelweich zu prügeln. Aber auch noch vor 25 Jahren deckten hervorragende Wissenschaftler ihren Bedarf an Gründen mit Harlekins-Einfällen. Man nahm eben die Sache noch nicht ernst.

Wie man damals argumentierte, möchte selbst unsern heutigen Gegnern ein Lächeln abgewinnen. Jene Amazonentöter, die vor 25 Jahren an der Spitze unserer Gegner standen, dürften heut kaum noch im Train mitmarschieren.

Ich kann mir nicht versagen, dem Leser eine kleine Blütenlese aus dem dicken, dicken Buch eines solchen altgläubigen Gelehrten zu bieten.

Der heitere Herr ist nicht der erste beste. Auf dem Titelblatt lesen wir: »Doktor der Medizin und Chirurgie, legaler Direktor der L. L. Akademie, Mitglied gelehrter Gesellschaften u.s.w.« Und wir lesen, daß dieses Mitglied in sechs Sprachen 284 Bücher studiert hat, um die Hinrichtung der weiblichen Revolutionshorde gründlich besorgen zu können.

Ich nenne seinen Namen nicht. Ich bin zwar nicht Spiritistin genug, um an die Rachegeister Verstorbener zu glauben, aber – man kann nicht wissen.

Jedenfalls muß der Anazonentöter in der litterarisch wissenschaftlichen Welt in hohem Ansehen gestanden haben. In den verschiedensten Büchern habe ich ihn als beweiskräftigen Gewährsmann citiert gefunden.

Ein Kapitel des Buches ist den Verbrechen der Frauen gewidmet. Er weiß ein Heilmittel gegen diese Kalamität: »Zur Verhütung des Verbrechens bei den Frauen gehört weiter nichts als die Schaffung natürlicher Lebensverhältnisse, die Beseitigung von Elend und Üppigkeit, von Emanzipation und Sklaverei, von Verwahrlosung und raffinierter Hyperzivilisation.«

Weiter nichts??

Könnte nicht auch die Männerwelt von diesem Heilmittel profitieren? Ja, täusche ich mich, oder wäre mit der Anwendung dieses Mittels (wo ist die Apotheke, in der es hergestellt wird?) nicht überhaupt die ganze, große soziale Frage mit einem Schlage gelöst?

Von der physischen Natur des Weibes.

Er führt die Phrenologie ins Gefecht. Absehend von der Gepflogenheit, Herz und Gehirn zu prüfen, prüft er nur Stirn, Augen, Nase, Haar der Frau.

»Es bekümmert ihn, daß bisweilen auch bei Frauen eine senkrechte Stirnfalte vorkommt, die bekanntlich Denkkraft und Energie bekundet.« Denkkraft und Energie! die Kainszeichen der Emanzipierten! Ihn überläuft eine Gänsehaut.

Gott sei Dank, kann die ominöse Stirnfalte beseitigt werden. »Solche Frauen können mit Liebe und Gemütsruhe leicht regiert, und es kann die Tiefe ihrer senkrechten Stirnfalten immer mehr vermindert werden.« Wir atmen auf.

Die Augen der Frau. »Feinfühlende, gemütvolle Frauen haben nicht einerlei Farbe der Augen (ach!) sondern es kommen deren Augen mehr in Form und Glanz überein.« Ja?

Die Nase. »Der Mann mit wohlgeformter Nase soll eine Frau mit gleicher oder ähnlicher Nasenform sich wählen, (wäre dem Mann mit mißgeformter Nase nicht erst recht eine Frau mit schöner Nase vonnöten, schon der armen Kinder wegen?) damit die gegenseitige Verständigung größer, das Leben somit glücklicher, gemütlicher werde.«

Die Ehefrage eine Nasenfrage! Der Herr hat Cyrano von Bergerac vorgeahnt, dem die Nase das Herz brach.

Die Sache ist aber wieder gar nicht so schlimm. Das Mitglied gelehrter Gesellschaften weiß das Heilmittel gegen weibliche Nasenentartung. Er weiß, wie »jene Konstitution des weiblichen Geschlechts sich erzielen läßt, die teilweise (vorsichtig dieses »teilweise«) durch eine gut oder schön geformte Nase sich ausdrückt, nicht nur durch passende Auswahl des Ehegatten, sondern auch durch Tilgung von Elend, Roheit, Sittenlosigkeit, durch Bannung der Üppigkeit, Schwelgerei und Ausartung.«

Ja, banne du nur!

Man sieht, es ist dasselbe Heilmittel wie gegen die Verbrechen der Frau.

Das Haar. »Im allgemeinen entscheidet die Farbe des Haupthaares noch nicht darüber, (also doch zuweilen?) ob man es mit einer guten oder bösen, nobel oder pöbelhaft angelegten Weibsperson zu thun habe, aber man kann immerhin annehmen, daß die Heftigkeit in Produktion von Gedanken, Gefühlen, Trieben, Leidenschaften (sind das gute oder pöbelhafte Qualitäten?) mit dem Dunklerwerden des Haares wachse, daß im großen und ganzen die dunklen mit rasch dahinbrausenden, die hellen mit langsam fließenden Gewässern verglichen werden können.«

Seite 126 aber desavoniert Seite 123: »Ein Weib mit schwarzem Haar pflegt mächtige Leidenschaften zu beherbergen. Man darf indessen nicht glauben, daß die Leidenschaften gerade mit dem Hellerwerden des Kopfhaares sich vermindern.«

Wo in aller Welt kommen denn nun all die weiblich sanften Frauen her, die doch ihren Geschlechtscharakter repräsentieren sollen!?

»Weichheit des Haares,« fährt er fort, »gehört entschieden zu den Zeichen der Weiblichkeit, und ein gefühlvoller, naturfrischer Mann wird zumeist instinktmäßig eine Frau mit weichem Kopfhaar sich erwählen.«

Wie aber kommt der Mann hinter die Beschaffenheit des Haares? Ein Spielen mit den Locken unbescholtener Jungfrauen ist für junge Männer nicht statthaft, und sich hinter den Friseur des Fräuleins zu stecken, ist teils wenig gentlemanlike, teils haben die Fräuleins gar keinen Friseur.

Fein zieht sich der Gelehrte aus der Klemme. »Instinktmäßig« erkennt der gefühlvolle, naturfrische Mann die Qualität des weiblichen Schopfes.

Ein Bedenken! Könnte es nicht vorkommen, daß ein lieblich Kind in all seiner Unschuld die strafbaren Borsten des Vaters ererbte? Müßte nicht mithin, um beglückende Ehen zu erzielen, den Männern mit struppigem Haarwuchs die Ehe verboten werden? und müßte nicht ein gleiches Verbot an alle melancholischen Väter ergehen? Der Autor nämlich hält es »für eine der wichtigsten Aufgaben der Nationalerziehung, das melancholische Temperament, insbesondere bei Frauen immer mehr und mehr auszutilgen.«

Wie wär’s, wenn dieser heitere Herr, bei dem das melancholische Temperament bereits ausgetilgt ist, mit einem Federstrich die Vererbung für null und nichtig erklärte? Es kostet ihm ja auch nur einen Federstrich, der Frau den Verstand fortzudekretieren.

Und hiermit wären wir von dem Exterieur zum Interieur der Frau gelangt, und können dem Sturmlauf des Akademie-Direktors gegen den Verstand der Frau beiwohnen.

»Das Weib urteilt nur auf Grund von Schein und Schale ... Bei denkkräftigen Männern werden die Ergebnisse ihres Nachdenkens weder durch das Gemüt beeinflußt noch erschüttert. (Diese Gletscher!) Frauen werden nie im stande sein, die Gedanken von der Herrschaft der Gefühle auch nur für Augenblicke zu befreien« u.s.w.

Als mildernder Umstand für das, was der Amazonentöter sagt und nicht sagen sollte, mag gelten, daß es einsichtslose Mütter gibt, die sich nicht scheuen ihre geistige Geringfügigkeit auf die Söhne zu vererben.

»Während in dem männlichen Gehirn das Wahrgenommene sich mehr seiner Innerlichkeit nach ausdrückt, beschäftigt sich das Weib fast ausschließlich mit dem äußeren Kern, mit Kleidungsstücken, Haartracht, Ringen, Uhrketten und anderen langweiligen Anhängseln.«

Ob der Herr seine Frauenkenntnis den Gefilden von Neuseeland und Zentralafrika verdankt? Nein, denn er fährt fort: »Alle gesitteten Länder zusammengenommen, kann man sagen, daß den Frauen aller Stände mit wenigen Ausnahmen, ein Mann mit großen, goldenen Achselstücken und großer Feldschärpe (die Portiers vor den Palästen z.B.) weit lieber und willkommener sei, als der beste und edelste Philosoph von Weltruf.«

Daß er eben erst die Innerlichkeit des Mannes auf den Schild erhoben, hindert ihn nicht, gleich darauf zu behaupten: »Zahllos sind die Jungfrauen und Weiber, welche guter Wahl von Kleidungsstücken und Putzsachen die Eroberung von Ehegatten verdanken, von Anbetern, deren Feuer manchmal in geradem Verhältnis steht zu dem Putz der Herzensdame.« Na, er muß es ja wissen als Mann.

Bildung der Frau. »Alle Geistesbildung der Frau muß auf Tugend hinauslaufen, und darf Weisheit nicht erzielen wollen.«

Weisheit als Gegensatz der Tugend! Heiliger Sokrates.

Auf eine Tugend, die goldene Achselstücke dem edelsten Menschen vorzieht, - mit Erlaubnis – pfeife ich.

Aus dem Kapitel der Liebe. »Frauen sind mehr unglücklicher Liebe zugänglich als der Mann.« Der heitere Herr hält das Universalmittel bereit.

»Das Weib muß so erzogen werden, daß unglückliche Liebe verhängnisvolle Wirkungen nicht auszuüben vermag ... Hierzu gehören feste Grundsätze, es gehört dazu jene wahre Moral der Selbstlosigkeit, der Einsicht, der Verzeihung und der Herzensgröße, welche allein imstande ist, Schmerzen zu stillen und den Verstand vor Verwirrung zu bewahren.«

Wie wär’s, wenn man die Erreger der unglücklichen Liebe in den Zivilstand versetzte, sie der goldenen Achselstücke und der großen Feldschärpe beraubte, womit ihnen der Boden für das Brechen weiblicher Herzen entzogen würde.

»Um mehr legitime Ehen zu erzielen, muß man den Geschlechtstrieb eng an den Heiratstrieb knüpfen.«

Ja, knüpfe Du nur!

Gibt’s überhaupt einen Heiratstrieb?

Er bleibt uns diesmal das Heilmittel schuldig. Da wüßte ich nun wieder eins: eine solide Mitgift und die Knüpfung der beiden Triebe ginge glatt von statten.

Vom Sterben der Frau. Er führt einen Schriftsteller (Sauvergne) an, der da sagt: daß die Frauen im allgemeinen besser zu sterben wissen, als die Männer.

»Ohne Zweifel, weil ihre geistigen Fähigkeiten insofern unvollständiger sind, als ihnen das Vermögen abgeht, so wie wir trostlose Theorieen über die Zerstörungen des Organismus auszuspinnen.«

Ein schöner Gedanke des Mannes, der in sechs Sprachen 284 Bücher studieren mußte, um ihn zu fassen, während die Sache sich doch so einfach mit einem Witz – ich greife ihm damit unter die Arme – erledigen ließe: Sie geben eben ihren Geist so leicht auf, weil sie nur ein Minimum davon haben.

Sollte man nicht meinen, daß umgekehrt die Herren Sterbenden vom starkgeistigen Geschlecht dem Tod gegenüber mehr Fassung zeigen müßten, als die ganz von Gefühlen beherrschten Weiber, die »jenes Nachdenkens, das beruhigend auf das Gemüt wirkt, nicht fähig sind?«

Er fühlt wohl selbst die Schwäche seiner Begründung, denn er setzt hinzu, daß das Sterben den Frauen leichter wird, weil »eine Menge von Genüssen, die den Frauen versagt sind, es mit sich bringen, daß wir (die Männer) einen größeren Wert auf das Leben legen.«

Ist dieser Mann materiell! Und hat er da nicht ein wenig aus der Schule geplaudert? Den Frauen einreden, daß im Vergleich zu dem schweren Los der Männer das ihrige wonnig sei, wäre schlauer gewesen.

Übrigens an die Menge der Genüsse, die den Millionen sterbender Proletarier das Ableben erschweren sollen, glaube ich nicht.

Überhaupt, warum glaubt er denn dem Herrn Sauvergne? vielleicht ist die ganze Sache nicht wahr.

Einmal aber schwillt dem Akademie-Direktor die Zornesader. Er geht ordentlich ins Geschirr. »Wollten die Weiber der Gegenwart doch ihre Kinder lieber mit Idealen erfüllen, anstatt blödsinnig nach Emancipation zu schreien.«

Wenn er uns nur sagen möchte, wo die Frauen, denen Männer mit goldenen Achselstücken und großer Feldschärpe weit lieber und willkommener sind, als die besten und edelsten Philosophen von Weltruf, die Ideale zur Füllung ihrer Kinder herbekommen sollen? besonders, wenn die Väter der Kinder so materiell sind, daß sie wegen der vielen Genüsse, die ihnen das Leben bietet, nicht sterben wollen.

Die Ideal-Füllung wird wohl erst zu bewerkstelligen sein, wenn die Emanzipation das Entzücken des Weibes an goldenen Achselstücken, Uhrketten u.s.w. gedämpft haben wird.

Ich habe nie begreifen können, warum gerade diejenigen Männer, die der Frau am energischsten den Verstand absprechen, ihr am eifrigsten die Erziehung der Kinder aufhalsen.

Jedoch, der Charakter des Weibes ist der Aufbesserung fähig.

»Vortrefflich wird der Charakter der Frauen, wenn eine schöne und beglückende Religion die Keime der Nächstenliebe in alle Herzen legt, wenn die Hervorragenden und Mächtigen die edlen Triebe des Gemüts entwickeln, und alles pflegen, was das Leben verschönt, verbessert und versüßt.«

Weiter nichts? Mehr könnte auch die radikalste Emanzipierte nicht verlangen, als daß man alles in ihr pflege und entwickle, was ihr Leben verschönt, verbessert und versüßt.

Ob nun aber auch wirklich die Hervorragenden und Mächtigen den Anzapfungen des heiteren Herrn folgegebend, alle edlen Triebe der Gemüter entwickeln werden? Leider haben die hervorragenden und Mächtigen so viel anderes zu tun, und ich fürchte, seine Heilmittel, die er aus Arkadien und Umgegend bezogen, - dürften in absehbarer Zeit nicht nur keinen Hund vom Ofen locken, sondern auch nicht die kleinste Emanzipierte in den Schoß der allein seligmachenden Küche zurücklocken.

Ich grolle dem heiteren Amazonentöter nicht. Ich wünsche ihm nicht einmal, daß er sich im Grabe umdrehen möge, angesichts der bedeutenden Fortschritte, die die Frauenfrage in den letzten Dezennien gemacht hat.

 

2. Nietzsche und die Frauen.

Von dem heiteren Herrn zu Nietzsche ist zwar mehr als ein Schritt, es ist sogar ein ungeheurer Sprung; ich thue ihn, obwohl ich ihn nicht thun sollte. Sich kritisierend an flüchtige Schatten zu heften, die über ein Sonnenbild huschen, erscheint grobsinnig, engherzig.

Würde es aber auf der anderen Seite nicht wie eine unredliche Taktik zugunsten der Frauenbewegung erscheinen, wollte ich die absolute Gegnerschaft erlauchter Geister verschweigen? Und Nietzsche gehört zu den Orthodoxen in der Frauenfrage.

Daß mittelmäßige oder untergeordnete Köpfe über Frauen Urteile ohne Weisheit und Tiefe abgeben, ist nicht wunderbar. Woher aber die phänomenale Erscheinung, daß selbst vornehme, kühnste Denker, sobald sie die Feder zur Frauenfrage ergreifen (warum thun sie es nur?), eine Pause für den Kopf machen und mit Gefühlen, Instinkten, Intuitionen, ewigen Wahrheiten jonglieren? Aller Logik, Wissenschaftlichkeit und Gewissenhaftigkeit bar, bummeln sie fahrlässig auf einem Gedanken-Trödelmarkt umher und bieten alten Plunder, den sie irgendwo billig aufgelesen, feil, obwohl sich das nicht im geringsten für sie ziemt, sogar äußerst unvorsichtig ist. Denn, begegnen wir ihnen dann wieder auf ihrer Sonnenhöhe, so mißtrauen wir der Weisheit Derer, die uns einmal Schundware verkauft haben, und wir sind unsicher: hatte sich Zeus damals als Trödler verkleidet oder tront nun der Trödler, als Zeus verkleidet, im Olymp?

Man sagt, jeder Mensch berge in seinem tiefsten Innern eine Gespensterkammer. Wie es scheint, machen auch die Genialsten davon keine Ausnahme; und nicht in der Geisterstunde, nein, in ihren nüchternsten Stunden öffnen sie diese Schreckenskammern und hinaus schlüpft allerhand Spuk: die Bodensätze und Niederschläge alter Denkbarbareien, die verkrochen in Gehirnfalten, nun gelegentlich zum Vorschein kommen.

Von den beiden modernen Dichtern, die sich in der Weibverachtung besonders leistungsfähig erwiesen, halte ich Guy de Maupassant für ein Genie, Strindberg beinah auch. Ihr Gespenst ist ein Rachegeist. Diese, ganz der Erotik verfallenen Dichter nehmen ihre Rache an den Teufelinnen, von denen sie zugrunde gerichtet wurden. Wie solche Gespensteransiedelungen in den geistvollsten Köpfen Platz haben, ist auch an Maupassants Preußenhaß ersichtlich. In einigen seiner Novellen schildert er die preußischen Offiziere als sittlich und geistig dem Kaliban ähnliche Bestien. Die Preußen haben ihm etwas gethan. Sie haben sein Vaterland zerstückelt. In die Hölle mit ihnen. Die Frauen haben ihm auch Etwas gethan. Sie haben ihm Seele und Leib verdorben. In die Zoologie mit ihnen! (Nietzsche nennt die Frauen wunderlich wilde, oft angenehme Haustiere.)

In der Geschichte »Toll« verflucht Maupassant das Weib. Sie ist treulos, viehisch, schmutzig. Sie ist die Bestie im Menschen. Aber er, der Held, er keucht wie ein Sklave unter dem Zwang, den ihr Anblick auf ihn übt, und er muß ihr gehören, ihr immerdar, der Viehischen, Schmutzigen. Schließlich erschießt er sie, nicht, weil sie eine Bestie ist, sondern weil die Bestie ihn nicht mehr liebt. Giebt es nur eine Bestie in der Novelle?

Ebenso schilt, verabscheut, verflucht Strindberg das Weib. Er gibt ihm alle erdenklichen Ekelnamen; aber alle seine Schriften triefen von Erotik und seine interessanten Helden sind gänzlich diesen ekelhaften Geschöpfen verfallen, - in voller Erkenntnis ihrer Ekelhaftigkeit. Strindberg unterscheidet sich aber dadurch von Maupassant, daß seine Bestien die Männer töten, während Maupassants Bestien von ihren Liebhabern getötet werden. Sie fluchen der Teufelin »Weib«; macht die Teufelin aber Anstalt, sich in eine Bürgerin zu verwandeln, so rufen sie schleunigst und inbrünstig die Teufelin zurück.

In der »Fröhlichen Wissenschaft« sagt Nietzsche: »Der Mann macht sich das Bild des Weibes und das Weib bildet sich nach diesem Bilde.«

Wie wahr! Wie wahr!

Ihre Erfahrungen berechtigen Männer wie Strindberg und Maupassant zu ihren Urteilen? Aber uns berechtigen ihre Erfahrungen, ihnen Schweigen anzuraten, - um ihretwillen. Sie sehen vor lauter Dirnen das Weib nicht. Ich wittere immer, wenn Männer, die mit normalen, guten Frauen nicht verkehren, sich so feindselig dem Geschlecht gegenüber verhalten, etwas widrig Unkeusches, krankhaft Sexuelles hinter ihren Flüchen, - besonders, wenn es Dichterflüche sind.

Den Grund aller Gründe aber für die erwähnte Geistesabnormität liefert uns Nietzsche selbst. Er, der so geistlos über die Frauen redet, begründet seine Geistlosigkeit mit so viel Geist. In der »Morgenröte« heißt es: »Auch große Geister haben nur ihre fünffingerbreite Erfahrung; gleich daneben hört ihr Nachdenken auf und es beginnt ihr unendlich leerer Raum und ihre Dummheit.« Wie wahr! Wie wahr!

Schopenhauer und Nietzsche sind die vornehmsten, tiefsinnigsten unter unseren Gegnern. Aus der Biographie seiner Schwester (an deren absoluter Gewissenhaftigkeit nicht zu zweifeln ist) dürfen wir schließen, daß Nietzsche niemals intime Beziehungen zu Frauen gehabt hat. Nur in den Briefen, die er an Lou Andreas-Salomé richtet, klingt etwas von einer Seelengemeinschaft mit einer fast zärtlichen Gemütsbeteiligung durch. Aber auch diese Beziehungen haben, wie Elisabet Förster berichtet, nur wenige Monate gedauert. Sein Freundschaftsverhältnis zu Malvida von Meysenburg (ich habe nicht den Eindruck, daß es tief in seinem Gemüt wurzelte) trug den Charakter der verehrungsvollen Sympathie eines jungen Mannes für eine mütterlich um ihn sorgende Greisin. Seine Berührungen mit anderen weiblichen Wesen waren so flüchtiger, oberflächlicher Art, daß davon zu sprechen keine Veranlassung vorliegt. Trotzdem fällt er mit apodiktischer Sicherheit seine Urteile über »das Weib an sich«.

Ich las, was er über die Frauen geschrieben, mit Bestürzung, tiefem Erstaunen. Verhüllten Hauptes hätte ich aufweinen mögen: »Auch Du, mein Sohn Brutus!« Ein Schauder faßte mich, wie wenn plötzlich aus der erhabenen Schönheit des Ozeans ein Mißgebilde sich reckt.

Nietzsche, der geniale, erschütternde Dichter, ist zugleich ein glühender Denker. Seine Gedanken, die so oft mit haarscharfen, goldenen Pfeilen ins Herz der Dinge treffen, die sonnengleich Welten erleuchten oder sturmartig wie Donner des Zeus dahinrauschen, - die Gedanken dieses Genius bewaffnen sich gelegentlich mit Keulen zur Abwehr gegen die Frauen. War es »Schopenhauer als Erzieher«, dessen Suggestion er noch unterlag, als er über »Das Weib an sich« schrieb? Oder widerte ihn die Frauenbewegung an, weil sie allzu zeitgemäß war und er nur das »Unzeitgemäße« schätzte und überschätzte? Fast scheint es so. »Nichts«, sagt Lou Salomé, »ist ihm pöbelhafter, unvornehmer als das werdende und die Bringer des werdenden und neuen: der moderne Mensch und der moderne Geist.« Möglich auch, daß dieser große Dichter, dieser Seelenproteus, wenn sein psychisches Leiden nicht verhältnismäßig früh seiner Denkkraft ein Ziel gesetzt hätte, noch zu ganz anderen Resultaten in der Frauenfrage gekommen wäre. Denn er war immer ein großer Widerrufer im Streit.

Damit man mir nicht vorwerfe, daß ich in den Fehler unserer Gegner verfalle, die behaupten, ohne zu beweisen, will ich kurz die Kernsätze zitieren, in denen Nietzsche zusammenfaßt, was das Weib will und was es soll. Die Quintessenz findet man in »Jenseits von Gut und Böse« auf den Seiten 181 bis 189. Da liest man: »Ihr erster und letzter Beruf soll sein, Kinder zu gebären« (nicht ganz neu); und weiter: »Ein Mann, der Tiefe hat, kann über das Weib nur orientalisch denken, ... er muß das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorherbestimmtes auffassen ... Er muß sich hierin auf die ungeheure Vernunft Asiens stellen.« Und an einer anderen Stelle: »Die asiatischen Denker haben die allein richtige Auffassung des Weibes.«

Nietzsche plaidiert für den Harem! Diese knabbernde, schmatzende, klatschende, wie mit dem Mauerpinsel angestrichene, glitzernd aufgeschirrte Haremsware – Resultate der männlichen Erziehung und der »ungeheuren Vernunft Asiens« – das Ideal des Frauentumes!? Glaubt Nietzsche wirklich, daß das Haremsweib »der Bogen ist, dessen Pfeile auf den Übermenschen zielen?« einfach ausgedrückt: daß sie die geeignetste Gebärerin für den Übermenschen ist? Und die Vererbung?

Vielleicht aber ersinnt ein anstelliger Kopf (ein männlicher natürlich) ein physiologisches Gesetz, kraft dessen die der Schaffung des Übermenschen widerstrebenden Eigenschaften der Frau sich nur auf die Töchter vererben. Eine solche Behauptung wäre nicht überraschender als viele andere Spaßhaftigkeiten, die unsere Gegner aushecken.

»Entweiblichung« nennt Nietzsche das »Täppische und entrüstete Zusammensuchen des Sklavenhaften und Leibeigenen, das die Stellung des Weibes in der bisherigen Ordnung der Gesellschaft an sich gehabt hat und noch hat. »Als ob Sklaven ein Gegenargument und nicht vielmehr eine Bedingung jeder höheren Kultur sei.«

Möglich. Vom Standpunkt des Sklavenhalters gewiß. Aber die Sklaven? Kann man es ihnen verargen, wenn sie anders darüber denken?

Die Frau soll verschließbares Eigentum sein. Sie will nicht. Ich kann nicht finden, daß sie – wie Nietzsche meint – sich dieser ungeheuren Dummheit so sehr zu schämen hätte. Die Männer möchten auch nicht gern Eunuchen sein und doch gehört zum Harem (wahrscheinlich infolge der ungeheuren Vernunft Asiens) auch der Eunuche.

Es gibt auch bei uns viele Frauen, die eingeschlossener Besitz nicht für einen, sondern für alle Männer sind. Den Namen für diesen Harem unterdrücke ich.

Nachdem Nietzsche festgestellt hat, wohin die Natur das Weib weist, ergibt sich alles andere von selbst. Ihrem: »ich will, ich will nicht«, stellt er sein: »sie soll, sie soll nicht« entgegen. Sie will sich kultivieren, selbständig werden. Sie soll sich nicht kultivieren, soll nicht selbständig werden. Die Gründe? Weil sie dabei »entartet, zurückgeht«, ihre reizvoll weiblichen Eigenschaften verliert (auch nicht ganz neu) und die »Verhäßlichung Europas« verschulden würde. Und diese reizvollen Eigenschaften? »Im Weib ist so viel Pedantisches, Oberflächliches, Schulmeisterliches, Kleinlich-Anmaßendes, Kleinlich-Zügelloses und Unbescheidenes versteckt« ... »Wehe, wenn es seine Klugheit und Kunst, die der Anmut, des Spielens, Sorge-Wegscheuchens, (wer verscheucht denn der Frau die Sorge? Oder hat sie keine?), wenn es seine feine Anstelligkeit zu angenehmen Begierden zu verlernen beginnt!« ... »Das, was am Weibe Respekt und oft genug Furcht einflößt, ist seine Natur ... seine echte, raubtierhafte, listige Geschmeidigkeit, seine Tigerkralle unter dem Handschuh, seine Naivetät im Egoismus, seine Unerziehbarkeit und innerliche Wildheit, das Unfaßliche, Weite, Schweifende seiner Begierden und Tugenden.« (Diese Weiber sind wenigstens vielseitig.) »Wie? Und damit soll es nun zu Ende sein?« (infolge der Emanzipation.) »Und die Entzauberung des Weibes ist im Werke? Die Verlangweiligung des Weibes kommt langsam herauf?«

Womit ist’s zu Ende? Mit den Tigerkrallen, den weiten, schweifenden Begierden, der innerlichen Wildheit, dem Egoismus? Würde es Europa wirklich so sehr verhäßlichen, wenn einige dieser reizenden Eigenschaften zum Teufel gingen?

Und all diese entzückenden Qualitäten sind ja nicht einmal Original-Verdienste der Frauen. Lob und Preis dafür gebührt dem Manne. »Der Mann macht sich das Bild des Weibes und das Weib bildet sich nach diesem Bilde«. Wie wahr! Wie wahr!

Die Männer, die sie dabei (bei ihren Freiheitsbestrebungen) unterstützen, sind Flachköpfe, »Esel männlichen Geschlechtes, die das Weib bis zur allgemeinen Bildung, wohl gar zum Zeitunglesen und Politisieren (sogar bis zum Buch, heißt es an einer anderen Stelle) herunterbringen möchten. Hier und da will man selbst Freigeister und Litteraten aus den Frauen machen, als ob ein Weib ohne Frömmigkeit für einen tiefen und gottlosen Mann nicht etwas vollkommen Widriges oder Lächerliches wäre.«

Warum soll denn die Frau durchaus fromm sein, wenn der Mann unfromm ist? Nur um des Kontrastes willen? Ich möchte wissen, welches Vergnügen der Mann sich von ihrer Frömmigkeit verspricht; es müßte denn sein, daß, an ihrer geistigen Rückständigkeit seine eigene Riesenfortschrittlichkeit zu messen, ihm so viel Spaß macht; denn auf ihren Charakter scheint ja die Religiosität einen Einfluß nicht zu üben.

»Würde uns ein Weib festhalten können, dem wir nicht zutrauen, daß es unter Umständen den Dolch (darf es auch Vitriol sein?) gegen uns gut zu handhaben wüßte?

In der einen Hand Dolch oder Vitriol, in der anderen das Gebetbuch: so will Nietzsche das Weib. Und ihre wilden, schweifenden Begierden, die Tigerkrallen u.s.w. kann ich mir auch mit echter Religiosität nicht zusammenreimen. Muß es sich denn aber reimen? Es reimt sich sogar sehr oft nicht. Es reimt sich auch nicht, daß die Natur der Frau zuerst die unerziehbare innerliche Wildheit verlieh und dieselbe Natur sie dann zu einem verschließbaren Eigentum des Mannes bestimmte. Nicht Explosionen zu befürchten?

Es reimt sich auch nicht, daß Nietzsche »Wehe« über das Weib ruft, das das »Fürchten« vor dem Manne verlernt. »Was am Weibe Respekt und oft genug Furcht einflößt, ist seine Natur« ... Und gleich darauf: »Mit Furcht und Mitleid stand bisher der Mann vor dem Weib, immer mit dem Fuß schon in der Tragödie, die zerreißt, indem sie entzückt.« Das Weib soll sich vor dem Manne, der Mann sich aber auch vor dem Weibe fürchten. Wäre es da nicht bequemer, wenn Beide abrüsteten, Mann und Weib, und versuchten, ohne Furcht, in Frieden und Freundschaft mit einander auszukommen?

Die flüchtigste Umschau in der gegenwärtigen Gesellschaft oder in der Kultur- und Litteraturgeschichte lehrt, daß es zu keiner Zeit die als Eigentum eingeschlossenen Frauen, die Frommen, die Unwissenden waren, denen die Männer huldigten. Im Altertum waren es die Hetären, die geistvollen, in Litteratur und Politik wohlbewanderten, denen die Männer ihre Gunst zuwandten. Ebenso geschah es in der Zeit der Fronde, im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert (ich erinnere an die berühmten Salons des vorigen Jahrhunderts) und in der Zeit der deutschen Romantik. Die Erotik kam nicht zu kurz dabei. Und das sonderbarste: derselbe Mann, der jede Freidenkerin perhorresziert, der vor der »bis zum Buch heruntergekommenen Frau« drei Kreuze macht: die einzige Frau, die seinem Gemüts- und Geistesleben nahe gestanden hat, Lou Andreas-Salomé, ist eine der tiefsinnigsten und vornehmsten Schriftstellerinnen. Und auch seine alte Freundin Malvida von Meysenburg ist eine geist- und kenntnisreiche Schriftstellerin.

Es zwingt uns fast ein Lächeln ab, wenn Friedrich Nietzsche so überzeugt von den Tigerkrallen, von der »gefährlichen, schönen Katze Weib«, von ihrer unbezähmbaren Wildheit redet, - dieser keusche, frauenfremde Mann, der sicher nie die kleinste weibliche Tigerkralle an seinem eigenen Leibe gespürt, nie erfahren hat, wie diese raubtierartigen Kreaturen, gleich der Tragödie, »entzücken, indem sie zerreißen«. Vielleicht hat er gerade deshalb von ihnen geträumt, wie der Heilige Antonius von den verführerischen Teufelinnen: Halluzinationen einer zu großen Enthaltsamkeit.

Wo hat er seine Frauenstudien gemacht? Etwa in den Hospitälern auf dem Kriegsschauplatz im Jahre 1871, wo er als Krankenwärter neben so vielen Krankenwärterinnen tätig war? Hat er da der Frauen innerliche Wildheit, ihre raubtierhafte List, ihren Egoismus entdeckt? Oder hat er vor Paris die schöne Gelegenheit, das »Weib an sich« kennen zu lernen, versäumt?

»Das Weib will die Männer über ›das Weib an sich‹ aufklären. Was müssen diese plumpen Versuche alles ans Licht bringen ... Das Weib soll nicht fortfahren, sich durch Aufklärung zu kompromittieren ... Mulier taceat de muliere.« Gott sei Dank, dürften diese Selbstentblößungen keinen bedrohlichen Charakter annehmen, denn »das Weib will nicht Wahrheit. Was liegt dem Weib an Wahrheit! Nichts ist von Anbeginn dem Weibe fremder, widriger, feindlicher, als Wahrheit.« Da wird sie ja ihre Häßlichkeit nicht an die große Glocke hängen, vielmehr, was da unten in ihrer Seele fürchterlich ist, mit Verlogenheiten gnädig bedecken, und dadurch wäre der Verhäßlichung Europas eine Schranke gesetzt.

Nietzsche-Macchiavelli gibt der Frau Ratschläge, wie sie es machen muß. »Wehe der Frau, die nicht lügt!« Darauf läuft es hinaus. Frisch und fröhlich dem Mann ein X für ein U machen, den Mantel nach dem Winde hängen. »Die große Kunst des Weibes ist die Lüge, seine höchste Angelegenheit ist der Schein und die Schönheit. Gestehen wir es: wir Männer ehren und lieben gerade diese Kunst und diesen Instinkt am Weibe.« Sehr ethisch kann ich das von dem Manne gerade nicht finden; auch deckt sich wohl kaum die Frömmigkeit, ohne die das Weib widrig und lächerlich sein soll, mit Lug und Trug. »Der Mann macht sich das Bild des Weibes und das Weib bildet sich nach diesem Bilde.« Wie? So, wie Nietzsche es charakterisiert, sollte das Weib von Natur und nach Gottes Ratschluß beschaffen sein. Voll Lug und Trug, Feindin jeder Wahrheit, voll listiger Demut, raubtierartig u.s.w.? Ist ein stärkeres Argument für die moderne Frauenbewegung denkbar als diese Meinung Nietzsches?

Nein, das Weib soll nicht lügen und trügen, der schöne Schein soll ihm nicht Lebenszweck sein. Im Gegenteil, die Frau soll sich die von Nietzsche gelobten Laster abgewöhnen.

In seinen Aphorismen bietet er zahlreiche Glühlichter, die dem Album jedes Anti-Frauenrechtlers zur Zierde gereichen würden. Das bekannteste: »Gehst Du zum Weibe, so vergiß die Peitsche nicht«. Übrigens nicht einmal original, dieser Witzfunke. Nietzsche selbst zitiert aus einer alten florentinischen Novelle den Spruch: » Buona femina e mala femina vuol bastone«. (Dem guten wie dem bösen Weibe gehört der Stock.)

»Das Weib lernt hassen in dem Maße, in dem es zu bezaubern verlernt.« Frau A und Frau B. vielleicht; aber »das Weib«? Mögen sich die Circen, deren Metier im Bezaubern besteht, durch dieses Glühlicht getroffen fühlen. Die verstehen, sich dadurch zu rächen, daß sie die Bezauberten in ... sagen wir: in Vierfüßler verwandeln.

»Allen rechten Frauen geht Wissenschaft gegen die Scham.« Wie? Und die Helotendienste der Liebe, die das Weib in dem von ihm gewollten Harem zu leisten hat, gehen ihr nicht gegen die Scham?

Zuweilen steigern sich Nietzsches Widersprüche ins Große. Aber es sind dann eigentlich gar keine Widersprüche mehr, vielmehr Blitze der Erkenntnis, mit denen er uns überrascht. Im Schein dieser Blitze verwandelt sich die Peitsche, mit der jeder Mann zum Weibe gehen soll, in ein Szepter, das er ihr huldigend reicht, die Hinterstube wird zum Heiligen Hain, der Küchenherd zum Dreifuß. In der fröhlichen Wissenschaft heißt es: »Eine tiefe, mächtige Altstimme zieht uns plötzlich den Vorhang vor Möglichkeiten auf, an die wir für gewöhnlich nicht glauben: wir glauben mit einem Mal daran, daß es irgendwo in der Welt Frauen mit hohen, heldenhaften, königlichen Seelen geben könne, fähig und bereit zu grandiosen Entgegnungen, Entschließungen und Aufopferungen, fähig und bereit zur Herrschaft über Männer, weil in ihnen das Beste vom Manne über das Geschlecht hinaus zum leibhaften Ideal geworden ist.« Und vorher: »Die Tiere denken anders über die Weiber als die Menschen: ihnen gilt das Weibchen als das produktive Wesen. Die geistige Schwangerschaft erzeugt den Charakter des Kontemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist: es sind die männlichen Mütter!«

O Nietzsche, Du hoher, priesterlicher Geist, tiefer Geheimnisse Wisser und doch der einfachsten Wahrheiten Nichtwisser! Mit Gott und Göttern kannst Du reden, mit den Gestirnen, mit dem Meer, mit Geistern und Gespenstern. Nur mit und über Frauen kannst du nicht reden.

Der Glaube scheint unsterblich. Kommt da einer daher von hohen Bergen, wo er mit Adler und Schlange gehaust, einer, der Staaten und Parlamente, der Kaiser und Könige über die Klinge seines Geistes hat springen lassen, ja, der geholfen hat, Gott selbst zu töten. Und dieser Taucher, der Meere der Erkenntnis ausgeschöpft hat, der nichts zu glauben meint, was er nicht in seiner Tiefe erforschte: einen Glauben, einen Fetisch hat er sich bewahrt. Er glaubt an ein Naturgesetz, das die Frau in den Harem verweist, sie zu einem verschließbaren Eigentum des Mannes bestimmt hat.

Er ruft so oft »Wehe«. Ich möchte auch einmal, - nein: dreimal möchte ich Wehe rufen über Friedrich Nietzsche: ein purpurrotes Wehe, weil es mit Herzblut getränkt ist, denn ich liebe ihn, den erschütternden Dichter, den Künstler, der alle Künste in das bewegliche Material der Sprache hineinzubannen verstand. Als ein Maler des Wortes schrieb er; er malte das Alpenglühen, die Mitternachtsonnen, gelbe unermeßliche Wüsten mit heißem lodernden Himmel darüber, er malte das Meer in rasender Sturmflut und das schmeichelnd gleitende malte er auch. Er ist Bildhauer. Aus gewaltigen Steinquadern haut er Göttergestalten heraus und den Übermenschen. Er ist Architekt. Aus seinen Gedanken bauen sich Kirchen auf mit strahlenden Orgeln, bauen sich Burgen mit kühnen Zinnen, mit schlanken, hoch in den Äther ragenden Aussichtstürmen, in neuen Sonnen funkelnde. Vor allem aber ist er der Musiker der Sprache. Er umschmeichelt unsere Sinne mit zarten Klängen wie aus Hirtenflöten, er rüttelt aber auch mit Posaunenstößen an den Grundpfeilern unseres Denkens, daß sie stürzen. Und dann wieder sind es Gebet-Dithyramben wie aus den Tuben von Erzengeln, die uns auf transzendentale Gipfel tragen. Die Erzengel aber verwandeln sich in Dämonen, die transzendentalen Himmelsklänge in gelles, wahnwitziges Lachen aus Abgründen herauf, - Gedanken wie feurige Schwerter, die uns das Brandmal Kains in die Stirn brennen. Und zuletzt ist es ein Abschied voll unermeßlichen Wehs und schaudernder Wonne, ein Lied, wie von sterbenden, wilden Schwänen, »das entzückt, indem es zerreißt.« Friedrich Nietzsche! Du mein größter Dichter des Jahrhunderts, warum schriebst Du über die Frauen so ganz jenseits von Gut? Ein tiefes, tiefes Herzeleid für mich. Es macht mich noch einsamer, noch älter, noch abseitiger. Ach, ich weiß es ja: »Auch große Geister haben nur ihre fünffingerbreite Erfahrung. Gleich daneben hört ihr Nachdenken auf und es beginnt ihr unendlicher leerer Raum und ihre Dummheit.«

Also sprach Zarathustra.


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