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Der Bergstrom braust, der Donner der Lawine
Hallt nach im Hochgebirg. Ein jeder Schritt
Dräut Tod. Die Schrecken der Natur betäuben
Den Menschengeist – wer wagt es, hier zu wandeln,
Wenn ihn nicht eine Himmelskraft belebt?
Indessen war aus dem Kreise der Bewohner des Pfarrhauses von Mora jene übereinstimmende Zufriedenheit gewichen, welche bisher in ihm waltete. Früher stand nur Lille allein wie eine fremdartige Erscheinung unter den übrigen, allein, wenn man sie still gehen ließ, wenn man den wunderlichen Geist in ihr nicht zur Sprache brachte, so fügte sich ihre Gutmüthigkeit, ihr freundlicher Wille leicht in die Weise der Andern und Alles blieb ungestört in seinem gewöhnlichen Geleise. Jetzt schien Roland, dessen unbefangener, fröhlicher Geist ein heitres Leben überall verbreitet hatte, gänzlich umgewandelt. Er war ernst, nachdenkend und eine geheime Sorge bewölkte seine Stirn. Vergebens bemühete sich Margaretha, ihn zu zerstreuen, ihn neu zu beleben. Freilich suchte er dann sich wieder heiter und sorglos, scherzhaft und muthwillig zu zeigen, wie früher, freilich strebte er seinem Bäschen den Gedanken auszureden, daß irgend eine Veränderung mit ihm vorgegangen sey; allein bald erlahmte er in dieser gewaltsamen Anstrengung, der Ernst kehrte wieder zurück, das Wölkchen trat wieder auf die Stirn. In demselben Maßstabe, wie Roland Doneldey, war auch der Jüngling Claudianus einsilbig und zurückhaltend geworden. Er dünkte sich in dem Mitwissen eines großen Geheimnisses sehr bedeutend; dieses zu hüten, daß es nicht unbedachtsam seinen Lippen entschlüpfe, schien ihm eine Aufgabe, die er immer vor Augen haben müsse und er hielt sie auch in der That fortwährend so fest in seinem Sinn, daß er für nichts andres, weder für Lille's wohlwollende Annäherungen, noch für die belehrende Unterhaltung des wackern Pfarrherrn empfänglich war. Das arme Mädchen grämte sich über diese Kälte des Claudianus, die, wie sie meinte, sie in's Besondre treffe, mächtiger trieben fest die wunderlichen Einbildungen denen sie nie gang widerstehn können, ihr Spiel mit ihr. Sie fühlte sich oft so beängstigt, so bedrängt, das sie in dem Raume des Hauses keine Ruhe hatte. Sie eilte hinaus an den beeisten See, an den starrgefrornen Strom, in den dürren, blätterlosen Wald. Aber der Strömkarl sang doch unter dem Eise, nur leiser, als sonst, aber wehmüthiger, hinter allen Baumstämmen schien ihr eine unheilbringende Sjöra zu lauschen, die Elfen summten in den Zweigen und es dünkte sie dann oft, unter diesen Geistern sey ihre eigentliche Heimath, unter den Menschen aber nicht. Selbst bei Margarethen fand sie jetzt keinen Trost mehr. Diese hatte zu viel mit den eigenen unangenehmen Empfindungen zu kämpfen, die Rolands Benehmen in ihr erzeugte, um sich so hingebend, wie sonst, der jungen Freundin zu widmen. Dem Pfarrer war dieses ganze Treiben unbehaglich, indem er dadurch manche Vernachläßigung erlitt, die ihn in seinen altherkömmlichen Gewohnheiten störte. Sonst fühlte er sich auch durch die Nachrichten, welche Bragi Ingemund, der seine Wohnung ganz im Pfarrhause genommen und von hier aus seine Wanderungen zu den Landleuten in der Nachbarschaft unternahm, mit heimbrachte, sehr aufgeregt und dem ehemaligen friedlichen Leben entrissen.
Nur der alte Huskurer, den man jetzt auch als ein Mitglied der Hausgenossenschaft ansah, blieb sich immer gleich. Er war eines Tages in Falun gewesen und erzählte nun Abends im Pfarrhofe von dunkeln Gerüchten, welche das Stockholmer Blutbad betrafen, von einer seltsamen Thätigkeit im Hause des Bergvogts Nils Westgöthe, von verkleideten Dänen, die als Späher das ganze Thalland durchstreiften, um den flüchtigen Edeln Gustav Wasa aufzufangen, von zwei wunderlichen Gästen, die der Bergvogt aufgenommen, einer jungen schönen Dame aus weiter Fremde und ihrem Begleiter, der wie einige sagten, mit einer Horde Lappländer als ihr Zaubrer aus der Fjälln herabgekommen sey, nach der Rede andrer aber dem Vogte in der Ausführung wichtiger geheimer Geschäfte dienen sollte. Roland erkannte, nach Bragi's Beschreibung, bald den fahrenden Schüler Fontanus und Frau Virginia Minderhout. Ihre Gegenwart, die gute Aufnahme, die sie bei Westgöthe gefunden, ließen Schlimmes ahnen, mehr noch für den edlen Flüchtling, dessen Geheimniß Erasmus belauscht, als für Roland selbst, der um seiner eignen Person willen keine Besorgniß kannte. Er selbst hatte in den letzten zwei Tagen mehrere fremde, verdächtig aussehende Männer in Mora bemerkt, die besonders den Pfarrhof zum Gegenstande ihrer Beobachtung gemacht und, wenn sie Rolands ansichtig geworden, schnell auf abgelegenen Pfaden entwichen waren. Diese trugen die Kleidung der Bewohner von Dalarne, allein ihre Gesichtszüge sprachen unverkennbar den dänischen Ursprung, ihre Haltung ihr kriegerisches Gewerbe aus. Man wagte nicht, die Unzufriedenheit der Dalekarlen durch eine offene Sendung von Kriegsleuten zu erregen, man hatte sie in frühern Kriegen als zu furchtbar kennen gelernt, um in dieser Zeit, wo man sich der Wiedereroberung des Reiches fest versichern wollte, sie zu reizen.
Roland Doneldey fühlte sich von der heftigsten Unruhe über das Schicksal seines fürstlichen Freundes ergriffen. Er hatte indessen nähere Erkundigungen über Arndt Ornflykt eingezogen. Niemand sprach Gutes von diesem, Aller Aussagen schilderten ihn als einen gewissenlosen, habsüchtigen und wankelmüthigen Menschen, der ebenso geneigt sey, um eines ansehnlichen Gewinnes willen der Gerechtigkeit, wie der Ungerechtigkeit zu dienen. Und ihm hatte sich Gustav Wasa arglos, ohne eine Bürgschaft zu haben, ohne einen Freund mit sich zu besitzen, auf Treue und Glauben in die Arme geworfen! Noch wußte der Verfolgte nicht, daß die Wachsamkeit seiner Feinde sich vermehre, daß diese immer tiefer in die Gebirge, immer näher seinen letzten Zufluchtsorten drangen. Er beschloß, ihn aufzusuchen, mit dem Laufe des nächsten Tages die Wandrung zu Rasmus Jute am Falle des Styggforsen anzutreten, um auch diesen Freund von der steigenden Gefahr, von der drohendern Lage der Dinge zu benachrichtigen.
In der Dämmerung des Morgens, lange bevor noch die Sonne aus dem Zwielichte der nordischen Nacht hervorging, verließ Roland das Pfarrhaus von Mora. Einzelne bleiche Sterne schimmerten vom klaren Himmel herab, ein scharfer, belebender Nordwind drang aus den Gebirgsschluchten. Der Boden war hart gefroren. Rolands mächtige Schritte trugen ihn rasch vorwärts in die geschlossenern Thäler, die zu den Bergen führten, wo der Styggforsen im Donnerrollen aus einer unabsehbaren Felsenhöhe herabstürzt. Der kühne Wandrer glich in seinem ganzen Aeußern einem ächten Nordlandsmanne. Er trug den Pelz eines Bären, mit dem Rauhen nach Innen gekehrt, eine Mütze von Wolfsfellen und Sandalen von Fichtenholz, an die er leicht die Skyen, mit denen für den Nothfall sein Rücken beladen war, befestigen konnte. Nur waren seine Waffen besser, als die, welche die Landleute dieser Gegenden in ihren Kriegen führten. Den langen Speer allein hatte er von diesen beibehalten; sonst zeigte sich an seiner Seite das gewichtige Schwert, das nicht leicht eines andern Mannes Hand so gewandt zu führen vermochte, als die seinige, und unter der Pelzkleidung verborgen trug er den kurzen Dolch, höchst zweckdienlich zu einem Kampfe, wo Mann gegen Mann stand, wo es zuletzt auf einen raschen, alles entscheidenden Streich ankam.
Der Weg, den er einschlug, zeigte nur wilde Szenen, in welchen die Natur ganz den starken, großartigen Charakter des Nordlandes entfaltete. Mächtige Felsen, so steil, daß der Schnee nicht an ihren Wänden haften konnte, thürmten sich zu beiden Seiten auf, glänzende Eiszapfen, in die einzelne Giesbäche erstarrt waren, hingen von den Gipfeln herab und aus der Ferne verkündete dumpfes Donnerrollen das Fallen von Schneestürzen, die oft ganze Thäler und entlegene Wohnungen unter ihre Massen begraben. Die Unebenheiten des Bodens wurden immer bedeutender, der Hindernisse, welche sich dem einsamen Wanderer entgegenstellten, immer mehrere. Er besaß nur eine sehr unvollkommne Kenntniß des Weges, den er zu nehmen hatte. Man müsse, um den Styggforsen zu erreichen, das Thal bis in seinen tiefsten Hintergrund verfolgen, war ihm gesagt worden; allein es zeigten sich so viele Nebenthäler, daß er oft schwankend an zwei Thalöffnungen stand, die sich trennten und dann nur aufs Geradewohl, auf sein gutes Glück hin weiterschritt. Der Weg wurde steiler, durch Schneelagen von einigen Fuß Tiefe mußte er ihn sich oft aufwärts bahnen. Die Skyen konnte er hier nicht gebrauchen, da sie nur auf Ebenen oder sanften Abhängen anwendbar waren. Manchmal stieß er auf Felsenspalten, aus deren Tiefe spitze Klippen hervorragten, an deren hervortretendem Gestein derjenige, der hier einen Fehltritt gethan, einen unvermeidlichen schrecklichen Tod finden mußte; allein mit Hülfe seines langen und starken dalekarlischen Speeres schwang er sich kühn hinüber und gelangte immer glücklich auf die jenseitige Felsenwand.
Mehrere Stunden schon hatte er auf diese Weise seine höchst mühselige Wandrung fortgesetzt, als er plötzlich ein fernes dumpfes Rauschen hörte, das ihm jeden Zweifel über das weiter zu verfolgende Ziel benahm, indem es ihm die Nähe des Styggforsen verkündigte. Er schlug die Augen empor und sah nun im Hintergrunde der Schlucht, weitauf die Felsen, welche vor ihm lagen, übersteigend, die Schneehäupter der Fjälln mit leichten Wölkchen umgürtet, im Sonnenglanze leuchtend spielen. Dieses Schauspiel erfüllte ihn mit Entzücken. Die Stelle, an der er sich befand, glich dem Eingange eines schmalen Thores, so eng schoben sich von beiden Seiten die Felsenwände zusammen, aber vor ihm öffnete es sich in einer immer weiter hindehnenden Ausbreitung, Felsen auf Felsen stiegen amphitheatralisch im Halbzirkel bis zum riesigen Hintergrunde der Fjälln, die, vom gleichfarbigen Mittagsstrahle getroffen, nur eine ungeheure Schneewand mit mächtigen Zacken zu bilden schienen, empor und aus dem Mittelpunkte des Ganzen drang ein leichter, loser Perlenschaum, ein duftiges magisches Schleierwölkchen aus dem ewig rastlosen Kessel des Styggforsen schwebend auf.
Der Wandrer war nun seiner Sache gewiß. Er sah auch den aufwärts führenden schmalen Fußpfad, von dem Rasmus Jute gesprochen, vor sich. Eine Verwegenheit, wie sie den Gebirgsbewohnern eigen ist und wie sie von Natur aus Roland von Bremen besaß, gehörte dazu, ihn zu betreten. An der einen Seite erhob sich die steile Felsenwand, selten nur einzelne Stellen zeigend, auf welchen eine leichte Schneelage zu haften vermochte; an der andern öffnete sich ein Abgrund, an dessen senkrechter Mauer kein Gesträuch, kein Vorsprung demjenigen einen Haltpunkt bot, der auf dem jetzt vom Glatteise schlüpfrigen Pfade seines Schrittes nicht mächtig blieb.
Roland Doneldey setzte besonnen und in fester Haltung seinen Weg fort. Er erkannte auch hier wiederum den Nutzen des dalekarlischen Speeres, der auf der Jagd in diesen Gebirgen nicht allein als Waffe gegen Bär, Wolf, Fuchs und Vielfraß diente, sondern an solchen gefährlichen Stellen auch zum weitern Fortkommen half. Wie leicht hätte ihn nicht auf dem glatten Pfade, der oft in völlig schräger Lage sich an den Felsen anschmiegte, die Macht sich zu erhalten, das Gleichgewicht zu bewahren, verlassen können, wenn er nicht mit dem Spieße in eine Felsenspalte sich eingeklammert, wenn er nicht mit dessen Widerhacken in ein oberes Gestein sich eingefügt hätte! Glücklich erreichte er nach vielen Hindernissen, nach manchem Wagestück eine Stelle, auf der er nun zum erstenmale die Felsenwand, von der sich der Styggforsen mit wildem Gebrülle hinabstürzte, den Kessel, aus dem seine Wasser wieder aufschäumten, das Bette des Stromes, dessen Wellen nach und nach, je weiter sie sich von der rastlosen Stelle entfernten, zu Eis erstarrten, übersah. Es war ein großes, die schon durch so viele mächtige Naturerscheinungen aufgeregte Seele des Wandrers erhebendes Schauspiel. Alles ringsum in die unbewegliche Form des Winters erstarrt, nur der wüthende Strom in ungehemmter frischer Lebendigkeit, nimmer sich erschöpfend, nimmer seine furchtbare, über Berg und Thal schallende Rede unterbrechend, welche die Macht und Größe seines Elementes verkündete! Hoch über ihm in ungetrübter Klarheit die Krystallspitzen der Fjälln mit dem rosigen Widerschein, zu seinen Füßen in dem Perlenschleier seines Stäubens ein glänzender Regenbogen, dessen Farben sanft in einander schmolzen und zitternd auf dem beweglichen Hintergrunde schwebten!
»Bei Gott,« sagte er tief ergriffen von dem erhabenen Bilde, »Rasmus Jute bewohnt einen Pallast, wie ihn kein König besitzt! Seine Leibwache besteht aus den Bergriesen, statt der Trompeten und Pauken, die in den Sälen der Erdenherrscher erklingen, bedient ihn der Styggforsen mit seiner donnernden Musik, vor der alle Trommeln und Trommeten verstummen müssen, die Wände seines Pallastes sind für die Ewigkeit gegründet und mit Spiegeln geschmückt, wie sie die Kunst eines Sterblichen nimmer hervorzubringen vermag.«
Er stand auf einem Felsenvorsprunge, von dem sich ein schneebedeckter Abhang bis zu dem Boden des Styggforsen hinabneigte. Hier konnte er die Skyen trefflich benutzen, doch sah er ein, daß er bei der Annäherung an den schäumenden Wasserkessel auf der Huth seyn müsse, da sich, ehe man dessen Rand erreichte, der Abhang abschüssiger zeigte und man ohne vorsichtigen Widerstand in den Sturz hinabgerissen werden konnte, wo den Verunglückenden das Schicksal erwartete, von Felsen zu Felsen mit zerschelltem Gebein in die Tiefe geschleudert zu werden. Er verließ sich auf sein Glück, auf seine Kraft und seine Gewandtheit. Indem er den Speer mit beiden Händen ergriff und ihn zum augenblicklichen Widerstemmen in den Boden bereit hielt, stieß er, mit den Skyen bekleidet, von der Höhe ab und fuhr mit Pfeilschnelle den Schneehügel hinab. Mit jedem Augenblicke nahm die Geschwindigkeit seiner Fahrt zu. Er schwindelte, die Gegenstände flirrten unbestimmt vor seinen Augen, er besaß, als er am Rande des tosenden Abgrundes anlangte, grade noch so viel Besonnenheit, um mit einer so gewaltsamen Bewegung den Speer in den Boden zu stoßen, daß er selbst, von der Erschütterung überwältigt, zu Boden stürzte. Diesem Falle, bei dem er tief in den Schnee versank, dankte er seine Rettung. Noch wenige Schritte und der Sturz des Styggforsen hätte ihn verschlungen, vernichtet!
Er stand auf und blickte um sich. Die Szene hatte sich ganz und gar verändert. Er stand im engen Thalkessel, nur von Felsenwänden und schneebedeckten Abhängen umgeben. Die Gipfel der Fjälln waren verschwunden, das ganze Amphitheater der Berge mit ihnen. Vom Sturze des Styggforsen zitterte unter ihm der Boden, ein Regen, der unaufhörlich aus dem Felsenbecken heraufdrang, durchnäßte ihn in wenigen Augenblicken. Der Strom schien vom Himmel herabzustürzen. Sein Auge konnte dessen Anfang nicht erreichen, er fühlte sich betäubt durch das furchtbare Getöse, das in dieser Nähe kaum zu ertragen war. Er forschte nach den Zeichen, welche Rasmus Jute angegeben, vermittelst derer er den Aufenthalt des alten Waffengefährten aufzufinden hoffte. Er sah den Pfad, der dicht am Falle hinaufführte, er erklimmte ihn, und würde den Weg nun ganz und gar durch Felsenwände versperrt geglaubt haben, wenn ihn nicht der Felsenvorsprung mit dem herabhängenden Birkenbäumchen, dessen Jute gedacht, zum weitern Wegweiser gedient hätte. Ein kraftvoller Schwung trug ihn auf die Felsenplatte. Vor ihm eröffnete sich jetzt dunkel und unheimlich die schmale Schlucht, die nur einem Besucher den Eintritt gestattete. Roland sah zurück. Wirklich schien diese Stelle von der Natur ganz geschaffen, um einem einzelnen Verfolgten zum Zufluchtsorte zu dienen, da hier der Angegriffene die Hereindringenden, die nur Mann für Mann sich nähern konnten, mit Steinen und Felsstücken in den Abgrund niederzuschmettern vermochte. Er betrat die schauerliche Schlucht, die nur ein mattes Dämmerlicht, das durch eine enge Spalte von oben hereinfiel, erhellte. Er ging langsam und vorsichtig weiter. Mit jedem Augenblicke glaubte er aus irgend einem Winkel die Schildwache Jute's, jene schottische Dogge, hervorbrechen zu sehen, die an Größe und Stärke einem Bären gleichkommen sollte. Es blieb aber Alles still in der Schlucht. Immer schwächer drang der Donner des Styggforsen in diese, durch Felsenwälle abgeschiedene Einsamkeit. Oft konnte Rolands kräftige Gestalt sich nur mühsam durch die eng aneinanderrückenden Mauern durchwinden, oft mußte er unter dem herabneigenden Felsendache am Boden hinkriechen, um seinen Weg weiter fortzusetzen. So gelangte er endlich an eine Stelle, wo die Schlucht sich erweiterte. Hier blickte er in ein ödes mit Felsenblöcken besäetes Thälchen, das ringsum von mächtigen, himmelansteigenden Schneebergen umgeben war. Alles schien hier todt und einsam, dem Menschen gänzlich entfremdet. Weitausgreifende Gletscher streckten ihre Polypenarme aus den Gebirgen herab und schoben verwittertes Gestein und häßliches Gerüll vor sich her, dunkle überhängende Felsenwände verhinderten den Eingang der Sonnenstrahlen, eine düstre Dämmerung lag auf dem kleinen Raume.
Roland konnte sich eines Unbehagens bei diesem Anblicke nicht erwehren. Diese Starrheit, diese Oede, dieser gänzliche Tod der Natur war ihm noch nie so widrig und hart hervortretend, wie hier, erschienen. Welche traurige, bittre Erfahrungen gehörten dazu, einen Menschen zu dem Entschlusse zu bewegen, in dieser Wüste, von jedem freundlichen Anklange des Lebens fern, seinen Aufenthalt zu nehmen!
Ungefähr in dem Mittelpunkte dieser Einöde bemerkte Roland einen Rauch, der hinter einem kleinen Hügel aufeinandergehäufter, halb von Schnee bedeckter Felsenstücke emporstieg. Dort ist die Wohnung des Verfolgten, dachte er: dort hat er vielleicht den Thieren der Wildniß eine Höhle abgekämpft, in der er Sicherheit gegen die Tücke der Menschen findet! Indem er sich dieser Stelle zu nähern suchte, konnte er es nur auf einem Wege, der in mancherlei Krümmungen sich durch die verwitterten Felsentrümmer hinwand. Schwermüthige Gedanken bemächtigten sich seines sonst unbefangenen Gemüthes. Sie betrafen denjenigen, dem er seine Kräfte und sein Leben gewidmet hatte, sie betrafen Gustav Wasa. Wie schwach dämmerte noch der Stern, der dem Leben des edeln Helden glänzend leuchten mußte, wenn es in der Befreiung, in der Beglückung des Vaterlandes sein Ziel finden sollte! Dieser erstorbene, einer Wüste gleiche Raum schloß die beiden Männer in sich, auf deren Treue er bis jetzt noch allein fest rechnen konnte, von hier aus sollte Schwedens neue Freiheit geboren werden! Dem Feinde standen Heere zu Gebote; drei Herzen und drei Schwerter erhoben sich zur Vertheidigung des Rechts.
»Je schwerer der Kampf, desto größer der Sieg!« sprach Roland ermuthigend zu sich selbst. »Frisch auf,« rief er dann mit lautschallender Stimme in das Thal hinab, »frisch auf! wer gut schwedisch ist, für Gustav Wasa und Freiheit!«
Ein wüthendes Hundegebell antwortete ihm. Gleich darauf sah er ein Ungeheuer, das in der That mehr einem Tiger, wie Roland einen solchen einst in dem königlichen Thierhofe zu Paris gesehen, als einem Hunde glich, in mächtigen Sprüngen hinter dem Felsenhügel hervorkommen.
Als die Dogge ihn erblickte, stieg ihr Bellen zum gräßlichen Geheul. Ihre Augen glüheten, wie Feuerkugeln, ihr Rachen zeigte zwei Zahnreihen, gewaltig genug, um einen Bären in Stücke zu reißen. Mit den mächtigen Tatzen konnte sie beim ersten Angriffe gewiß einen Menschen, der sich ihrer nicht versah, zu Boden werfen, ihre ganze Gestalt zeigte ungeheure Kraft und geübte Gewandtheit.
Der junge Deutsche sah sich genöthigt, zum Empfange eines so furchtbaren Gegners sich in Vertheidigungszustand zu setzen. Er lehnte sich mit dem Rücken an einen Felsenblock, er lockerte den Dolch unter seinem Gewande, er streckte dem Thiere die Spitze des Speeres entgegen und beobachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen. Er hatte nicht die Absicht, diesen wackern Hüter seines alten Waffenfreundes zu tödten, er wollte ihn nur so lange von sich entfernt halten, bis Rasmus Jute, von dem Geheul der Dogge herbeigerufen, diese zur Ruhe verweisen würde. Freilich konnte er nicht dafür stehen, daß er, durch die wüthenden Angriffe des starken Thieres zum Aeußersten gebracht, zuletzt den Kampf durch einen tödtlichen Streich beendigen müsse, freilich durfte er die Schonung nicht so weit treiben, sein eignes Leben in Gefahr zu setzen. Aber dieser Nothwendigkeit wurde er, noch ehe der Hund ihm auf Speereslänge nahe kam, durch Rasmus Jute's Erscheinung überhoben. Dieser trat plötzlich mit hoch aufgeschürzten Aermeln, blutigen Händen und in diesen ein großes Waidmesser haltend hinter einem Felsblocke hervor und rief sogleich, als er Roland erkannte, sein gewaltiges Thier mit den Worten zurück:
»Heh, Tristan, willst du wohl Freund von Feind unterscheiden lernen! Ich muß dem Thiere noch eine eigene Witterung für meine Verfolger und eine andre für gute, treue Genossen, die es wohlmeinen, beibringen. Wir kommen eben selbander, Tristan und ich, von der Bärenjagd und damit mir der erlegte Großvater nicht in der Kälte gleich erstarre und das Auswaidungsgeschäft zu schwer mache, hatte ich ihn gleich vor das Messer genommen, ehe ich Tristan erst wieder an seine Kette gelegt. Das soll mir eine Warnung für ein andersmal seyn. Komm, Hund! Erst soll nun für die Sicherheit, dann für die Mahlzeit gesorgt werden.«
Das Thier hatte sich winselnd ihm zu Füßen gelegt. Jede Spur von Wildheit war aus seinem Benehmen verschwunden, doch warf es oft noch funkelnde, drohende Blicke auf den Fremdling, den es zum erstenmale in diesem Thalgrunde erblickte. Jute faßte die Dogge an einem eisernen Ringe, den sie um den Hals trug, und führte sie an Roland, der den kräftigen Bau des Thieres bewundernd betrachtete, vorüber. In seiner Nähe schien sich die Wildheit des Hundes wieder zu beleben. Er sträubte sich gegen die leitende Hand seines Herrn, er wieß Roland die Zähne, er grollte dumpf nach ihm hin.
»Tristan,« sprach scherzend sein Gebieter, »du irrst, wenn du hier einen leicht zu besiegenden Gegner vor dir zu haben glaubst! Er heißt nicht umsonst Roland, er hat auch die Kraft des alten Helden vom Kaiser Carolus Hof ererbt. Ein Schlag seiner gewaltigen Faust und du würdest dich nie wieder zum Schutze deines Herrn gegen seine Feinde erheben, dein Mund würde verstummen, wie der von Loth's Frau, als ihre Neugierde sie zur Salzsäule machte, dein Rachen würde nie weder dem Großvater noch dem Goldfuße mehr gefährlich werden! Sey still, Tristan! Hab Achtung vor deinem Meister.«
Er brachte den Hund in die Schlucht, wo er ihn an seinen gewohnten Posten ankettete. Dann kam er zurück und ladete Roland ein, ihn in sein Feldlager, wie er seine Zufluchtsstätte nannte, zu begleiten.
»Es ist mir lieb, daß Ihr heute kommt;« sprach er: »gestern hätte ich Euch nur mit hartem Brode von Birkenrinde bewirthen können, heute morgen aber habe ich schon eine glückliche Jagd gemacht und einige Schnitte aus der Hüfte des Großvaters, mit Kunst und Verstand geröstet, werden Euch wohl behagen nach der beschwerlichen Morgenwandrung.«
Das »Feldlager« des wackern Kriegers zeigte sich jetzt in der Nähe. Es bestand aus zwei Felsenstücken, welche die Natur oder eine Empörung in ihr, einander gegenübergestellt hatte. Sie waren von gleicher Breite und Höhe und dienten zu den Seitenwänden der Wohnung. Das Dach bildeten einige dicht zusammengefügte Baumstämme, eine Lage ebensolcher Baumstämme schloß den Hintergrund des Raumes, der immer groß genug war, ein halbes Dutzend Menschen zu beherbergen. Ein schlecht zusammengenageltes Brett, das neben dem Eingange lehnte, mochte, wenn Jute dieses armselige Asyl verließ, als Thüre gebraucht werden, um dem Regen und Schnee, vielleicht auch wilden Thieren, den Eintritt zu verwehren.
Ein Feuer, dessen Rauch durch eine Oeffnung im Dache ausströmte, brannte in dieser seltsamen Behausung. Der röthliche Schein, den es um sich warf, beleuchtete die Leiche eines ungemein großen abgehäuteten Bären, der in einem Winkel des Gemachs lag. Sein blutiges Fell hing an der Wand, neben diesem lehnte der kurze finnländische Spieß, mit dem Queerholze, dessen sich Rasmus Jute zu der verwegenen Jagd bedient. Der glückliche Jäger deutete lächelnd auf das Thier und sagte:
»Habt ich mir nicht einen tüchtigen Großvater ins Haus geschlachtet, so einen recht ehrenwerthen, der den Enkel nicht im Stiche läßt für den Winter, sondern sich sogar selbst zum Opfer bringt, damit jener nicht vom Fleisch falle oder gar verhungere. Doch,« fuhr er, wieder in seine gewöhnliche Düsternheit verfallend und neben dem Wilde niederknieend, um einige Stücke zur Mahlzeit für sich und seinen Gast auszuschneiden, in einem ernsten Tone fort, »was bringt Ihr Neues, was hat sich Wichtiges ereignen können, das Euch bewegen mochte, die traurige Wohnung des Einsiedlers am Styggforsen aufzusuchen. Habt Ihr Nachricht von unserm Helden? Gedeiht seine Sache, regt sich endlich in den Dalekarlen der alte Geist des Muthes wieder?«
Roland berichtete, was er im Thallande beobachtet und erfahren, während Rasmus Jute, immer jedoch seine Aufmerksamkeit diesen Mittheilungen zuwendend, beschäftigt war, Bärenschnitte am Feuer zu rüsten und Rindenbrod in einem Gefäße mit Wasser zu erweichen. Als der junge Deutsche geendigt hatte, trat eine Stille von einigen Minuten ein. Jute knieete nachdenkend am Feuer. Er blickte in die Flamme, er schien Alles einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen, was er aus Rolands Mund erfahren. Dann richtete er sich plötzlich auf und sprach in einem ruhigen Tone:
»Ich kann in Allem, was Ihr mir mitgetheilt, nicht die große Gefahr erkennen, die Ihr für Gustav Wasa und die Sache des Schwedenlandes zu fürchten scheint. Die Ankunft dieser dänischen Späher ist mir lieb, sie wird in Dalarne Aufsehn erregen. Ihr werdet erfahren, daß man es dabei nicht läßt. Bald werden den Spähern bewaffnete Krieger folgen, mit ihnen wird Gewalt und Unterdrückung in das Thalland einziehn. Das ertragen die Dalekarlen nicht, sie erwachen aus ihrer Schlaffheit, sie regen sich zum Widerstande. Dann muß Gustav Wasa unter ihnen erscheinen. Glaubt mir, sein königliches Wesen, seine ritterliche Kraft, seine begeistrungsvolle Beredsamkeit gewinnen ihm in einer solchen Stunde alle Herzen. Die Thäler senden ihre Bewohner aus, von den Bergen kommen die Hirten hernieder und Alles ruft nach Waffen, um sie für die Freiheit zu erheben.«
»Aber bis dahin?« versetzte zweifelhaft Roland. »Kann nicht jetzt schon sein rücksichtsloses Vertrauen auf jenen Ornflykt ihn in die Hände der spähenden Feinde geführt haben? Ihr selbst warntet ihn vergebens. Sein edler Sinn konnte keinen Argwohn gegen den alten Waffenbruder in sich aufnehmen. Und dann der Vogt von Falun, Nils Westgöthe? Seine Habsucht, seine Bosheit, seine völlige Ergebenheit an den Dänenkönig sind zu bekannt, als daß sich nicht von ihm fortgesetzte Verfolgungen, jedes mögliche Unternehmen, seinen Geiz zu befriedigen und dem Tyrannen wohlzugefallen, erwarten ließe. Dabei fehlt es ihm nicht an List und seine Gewissenlosigkeit bebt vor keinem Verbrechen zurück. Die zwei Gäste, die er bei sich beherbergt, gehören zu dem Auswurfe der Menschheit. Ich kenne den Mann, ich sah ihn einst, wegen eines kaum zweifelhaften Meuchelmordes, von norwegischen Seeleuten mit seiner Gefährtin, an eine öde Küste aussetzen. Ein seltsames Verhängniß hat ihn gerettet und hierhergeführt. Nils Westgöthe wird gleich ein brauchbares Werkzeug seiner boshaften Absichten in ihm erkannt haben. Daher seine Gastfreundschaft, sein inniges Anschließen an diese Fremdlinge!«
»Arndt Ornflykt,« entgegnete noch immer im Tone des Nachsinnens Rasmus Jute, »besitzt ein schlechtes Herz und Liebe zu Niemanden, als zu sich selbst. Ich weiß, daß der Prinz bei ihm nicht sicher ist vor Verrath, aber es steht ihm auch in Frau Barbara ein Schutzengel zur Seite, der ihn nicht verderben läßt. Sie durchschaut den Ornflykt, ob sich dieser gleich schlauer dünkt, als die ganze Welt. Ueberlaßt dort Gustav Wasa seinem guten Glücke und der Tugend der Edelfrau: beide werden ihn nicht täuschen. Aber Ihr nanntet noch einen Namen, der blutigroth im Buche meines Lebens eingeschrieben steht, auf dem der Fluch eines verabscheuungswürdigen Verbrechens ruht. Nils Westgöthe! Wenn Ihr mich fändet im Röcheln des Todes, schon nahe der Lösung von den Banden, welche das Leben halten, so ruft mir diesen Namen zu. Dann werde ich den Tod zurückzuweisen vermögen, dann wird die Kraft zu Leben wiederkehren, dann wird mein Wille sie so lange fesseln können, bis das blutige Werk der Rache vollbracht ist, das ich in unglücklicher schrecklicher Stunde zu üben geschworen. Setzt Euch zum Feuer nieder, Roland Doneldey! Während wir unser einfaches Mahl halten, will ich Euch eine Geschichte erzählen, traurig und gräßlich, rührend und entsetzlich. Wenn der Satan jemals die Gestalt eines Menschen angenommen hat und im Triumphe höllischer Thaten über die Erde schreitet, so kann er in keiner andern Hülle wandeln, als in der dieses schurkischen Westgöthe, dem kein teuflisches Werk fremd ist.«
Rasmus Jute hatte unter diesen Worten einige Thierfelle, deren sich mehrere in dem Gemache aufbewahrt fanden, am Boden hingebreitet und ließ sich jetzt selbst gemächlich auf diese weiche Decke nieder. Roland von Bremen folgte seinem Beispiele. Die Wandrung in der frischen Morgenluft hatte seine Eßlust erregt und die gerösteten Bärenschnitte fand er so trefflich, daß er ihnen alle Ehre anthat, welche ein so gastfreier Wirth, wie sein alter Waffengefährte, nur wünschen konnte.