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Sechstes Kapitel.


Der Tod ist los, der Sturm erwacht,
Der eine trifft, des andern Macht
Droht lange mit Vernichtungsgraun –
Wo ist ein rettend Land zu schau'n?

Der Student Erasmus Fontanus schien nicht wenig erstaunt, als er am Morgen des nächsten Tages, bei seinem ersten Besuche auf dem Verdeck, den Knaben Claudianus erblickte, wie dieser von Roland Unterricht in der Führung des Schwertes erhielt. Er trat bei Seite und warf spöttische Blicke auf Lehrer und Schüler, die jedoch seine Anwesenheit gar nicht bemerkten. Die Seeleute, unter ihnen Capitän Harslö, hatten einen Kreis um die Fechtenden gebildet und erfreueten sich des jugendlichen Eifers, mit welchem der Knabe auf seinen Gegner eindrang, dessen hohe Ueberlegenheit der Unerfahrenheit des kecken Schülers schonte. Düster lehnte Ignotus an den Rand des Schiffes, aber die höhere Röthe seiner eingefallenen Wangen bekundete, daß dieses Spiel seine Theilnahme lebendig anrege und auch in seiner Seele ritterliche Empfindungen erwecke. Er erkannte in Roland einen Kämpfer von seltener Geschicklichkeit, in seinem Innern entstand der Wunsch, seine Kraft und Gewandtheit gegen die des jungen Deutschen zu prüfen. Als Claudianus vor Ermüdung das Schwert nicht mehr zu heben vermochte, trat Ignotus mit trübem Lächeln zu Roland und ersuchte ihn freundlich auf einen Gang mit stumpfen Schwertern. Nun begann ein Waffenspiel, in welchem von beiden Seiten Kraft und Geschicklichkeit auf das Glänzendste entwickelt wurden. Die Fertigkeit Beider mochte gleich seyn, wenn aber Roland durch die Stärke seines Arms manchen Vortheil gewann, so wurde dieser in den Augen der Zuschauenden durch die Anmuth der Bewegungen, welche Ignotus darlegte, wiederum ausgeglichen. Beide waren in guter Schule gereift, beide schienen in der Uebung des Waffenwerks die Aufgabe ihres Lebens erfüllt zu seyn. Endlich erklärte sich Ignotus, der an Ausdauer dem kräftigern Gegner nicht gewachsen war, für überwunden; sie legten die Waffen nieder und verließen Arm in Arm das Verdeck.

»So ist es keine Kunst zu fechten!« warf der Student Erasmus höhnisch gegen Capitän Harslö hin. »Wir Studenten treiben es anders. Schneide in die Rippen, Spitze auf die Brust! Die stumpfen Waffen überlassen wir den Schulbuben und Pennalen: bei uns spricht der Degen ein ernstes Wort, zum Spiel ist er für Jungen gut genug.«

»Richtet nur einmal eine solche ernste Frage an den Roland von Bremen,« antwortete kalt der Schiffsführer: »ich glaube nicht, daß er Euch die Antwort schuldig bleibt.«

Fontanus wollte eine neue Prahlerei erwiedern, allein er erinnerte sich seiner Niederlage vom gestrigen Abende und, seine Beschämung unter einer trotzigen Miene versteckend, ging er der flammländischen Dame entgegen, welche in diesem Augenblicke auf dem Verdeck erschien.

Indessen hatte das Beispiel, welches die Fechtenden gegeben, auf die gesammte Schiffsmannschaft fortgewirkt. Allenthalben sah man Gruppen von Kämpfenden, die mit leichten Stöcken bewaffnet, ihre Finten und Paraden nachzuahmen suchten. Jeden gelungenen Stoß oder Schlag begleitete ein lautes Gelächter, jeder verfehlte Angriff wurde von dem, der ihn zurückgewiesen, ruhmredig verkündigt. Seit langer Zeit hatte eine so frohe Regsamkeit nicht auf dem Schiffe geherrscht und Capitän Harslö gestattete sie gern, denn auch er fühlte sich von frohem Muth und heiterm Sinne belebt, da er bei dem günstigen Winde, der sich noch immer erhielt, hoffen durfte, das Ziel seiner Fahrt in wenigen Tagen zu erreichen. Er stand mit untergeschlagenen Armen auf dem Cajütendache und blickte lächelnd in das tolle Treiben seiner Nordländer, deren rohe Kraft in tausend freudigen Ausbrüchen hervortrat.

Gegen Abend sah man wieder im Rosenlichte die Schneehäupter der Berge an der norwegischen Küste. Ein dichter Duft schwamm, gleich einem zarten Schleier, um die mittlern Höhen, während die glänzenden Spitzen sich in das Blau des Aethers verloren. Schwarze Felsenzacken, an deren steilen Wänden kein Schnee haftete, erhoben sich finster, wie Wächter eines wunderbaren Gebietes, indessen Reize die Seele mit einer süßen, unbestimmten Sehnsucht erfüllten. Waren diese rosigen Berggipfel nicht wie ungeheure Blüthenknospen des Weltalls, die sich aus einem weiten Liliengarten erheben, um das Irdische dem Himmlischen näher zu bringen? Deuteten sie nicht auf eine neue Morgenröthe, die einst anbrechen muß hinter dem finstern Wächter, der die Stunden des Lebens belauert und abzählt, bis ihm die Macht wird, ihre Kette zu zerreißen? In der Seele des Ignotus, der das wunderbare Schauspiel mit aller Hingebung eines wunden und reizbaren Gemüthes beobachtete, keimten solche Gedanken. Sie trösteten, sie ermuthigten ihn. Es war, als ziehe eine frische Lebenshoffnung, eine Ahnung künftiger Beruhigung, wieder erwachender Freude am Daseyn, von den Bergen zu ihm herüber.

Eine lange mondhelle Nacht, so verwandt dem Tageslichte, wie sie nur der hohe Norden erzeugt, folgte dem schönen Abende. Das Schiff setzte ruhig seine Fahrt fort, Alles blieb still ringsumher, bis auf das Rufen der Nachtwachen, die sich in bestimmten Zeiträumen ablös'ten.

Die lange Nacht verschwand und das erste Morgenlicht röthete wiederum die norwegischen Schneegipfel, als plötzlich ein lauter gellender Schrei aus einer der Cajüten drang, die Schläfer aus ihrer Ruhe emporriß und jedermann mit Bestürzung und Entsetzen erfüllte. Dem Schrei folgte das klägliche Jammergeheul einer weiblichen Stimme, Alles drängte sich nach dem Gemache, welches von dem niederländischen Ehepaar bewohnt wurde, indem hier der Ort war, an welchem Schreck und Trauer ihren Sitz aufgeschlagen zu haben schienen. Man fand die schöne Flammländerin jammernd am Boden, mit entstelltem, thränenbedecktem Antlitze, mit aufgelöstem Haare, in dem ihre Hände verzweiflungsvoll und krampfhaft wühlten.

»Er ist todt, er ist todt!« schrie sie den Eintretenden mit Zeterstimme entgegen, indem sie mit abgewandtem Antlitze nach dem Lager des Herrn Jonas Minderhout deutete. »Plötzlich, unerwartet hat ihn der Tod an meiner Seite getroffen. Seht nur hin! Eine Leiche ruht dort, kalt und starr – erdfahl, entsetzlich!«

Sie verbarg das Angesicht in ihre Hände, sie sank schluchzend nun auch mit dem Oberleibe zu Boden und schien sich ganz ihrer Verzweiflung überlassen zu wollen.

Ihr Geschrei hatte den größten Theil der Schiffsmannschaft herbeigeführt. Alle drängten sich zu dem Lager des Todten, der mit aufgedunsenem Angesichte, offnen starren Augen und hoch angeschwollenen Adern dalag. Seine Arme waren zu beiden Seiten ausgestreckt, ein Krampf schien noch die geschlossenen Hände zu fesseln. Nur der Student Erasmus und der Knabe Claudianus blieben in der Ferne stehen: jener bleich, verstört und regungslos, dieser, ein Bild des Entsetzens, bald die verwirrten Blicke auf seinen ehemaligen Meister, bald auf die am Boden liegende Virginia richtend.

»Da ist nicht mehr zu helfen,« sagte ein alter Matrose, der in Nothfällen den Schiffsarzt zu machen pflegte. »Der Tod ist im Sturme gekommen und hat das Lebensschiff mit Tau- und Takelwerk, mit Mast und Kiel auf einmal zusammengebrochen. Das zeigen die offnen Augen, das zeigt das geronnene Blut im Nacken, das zeigen die gekrampften Hände. Laßt den Zimmermann kommen, Capitän Harslö, und Maaß nehmen zu der letzten Cajüte, in der wir ihn in See versenken. Unsre Fahrt geht nun unter schwarzer Flagge, der Tod ist Steuermann, bis ihm seine Beute gegeben worden in das große Gebiet, wo er schon so viele unter seinem knöchernen Szepter versammelt hat.«

Roland fühlte Mitleid mit dem klagenden Weibe, das sich in seinem Schmerze, in dem plötzlich einbrechenden Unglücke gar nicht fassen zu können schien. Er trat zu ihr, um einige Trostesworte an sie zu richten, er bemühete sich, sie vom Boden zu erheben, um sie von dem Orte des Schreckens hinwegzuführen. Sie starrte ihn an, sie wies seine Hülfe zurück und stöhnte:

»Laßt mich, aber die Leiche bringt hinweg! Die Nähe des Todten ängstigt mich. Ich habe nie eine Leiche sehen können – und nun gar die seinige – hinweg, hinweg mit dem Todten!«

Sie verbarg wiederum ihr Angesicht und weinte und schluchzte laut.

»Traue den Krokodillsthränen nicht!« flüsterte Ignotus dem jungen Deutschen in's Ohr. »Erinnere dich dessen, was ich dir vor einigen Abend sagte. Dieser Tod kommt zum Wenigsten unerlaubten Wünschen entgegen.«

Roland blickte ihn, auf eine schreckliche Vermuthung geleitet, entsetzt an. Sein Auge fiel dann auf Erasmus Fontanus, der noch immer regungslos in der Thüre lehnte, jetzt aber plötzlich aufgeregt sich dem Capitän näherte und diesen nun auch seinerseits auf den Zustand der Wittwe aufmerksam machte, auf die Nothwendigkeit, die Leiche zu entfernen, die Trauernde der Einsamkeit zu überlassen. Roland beobachtete ihn. Während er sprach, vermied er seine Blicke auf den Todten zu richten und, trafen sie durch Zufall auf diesen, so wandten sie sich sogleich mit einem seltsamen, scheuen Ausdrucke hinweg nach einer andern Seite. Die Aufforderung des Capitäns zerstreute diejenigen, welche das Zetergeschrei der Virginia in die Schreckenskunde herbeigerufen hatten. Die Leiche wurde in die Todtenkammer gebracht und nur der fahrende Schüler blieb als Freund und Tröster bei der schönen Wittwe zurück. Ein stiller dumpfer Ernst verdrängte die Heiterkeit, welche bisher die Mannschaft beseelt hatte, alle Geschäfte wurden in einer schweigsamen, feierlichen Weise abgemacht. Roland ging in nachdenkender Stellung auf dem Verdecke auf und nieder. Der Knabe Claudianus bot ihm, in einer gänzlichen Umwandlung seines Wesens und Benehmens ein neues Räthsel, das er nicht zu lösen vermochte. Todtenblässe hatte, statt der bisherigen blühenden Farbe, das Angesicht des Knaben heimgesucht, sein Blick war trübe und matt, nicht wie sonst erhob er ihn frei und offen, im Gegentheile richtete er ihn zu Boden und schien jede Begegnung eines andern Dinges vermeiden zu wollen. Roland bemerkte sehr wohl, daß Claudianus sich bemühete, ihm besonders aus dem Wege zu gehn. Dieser Umstand vermehrte sein Befremden. Hatte doch der Knabe am gestrigen Tage ihm eine Neigung, eine freundliche Ergebung gezeigt, die sich zu lebhaft verkündigte, um nur vorübergehend, auf die Dauer eines Tages beschränkt zu seyn!

In diesen Betrachtungen wurde er durch den Capitän Harslö unterbrochen, der mit bedenklicher Miene zu ihm trat und sprach:

»Es ist immer eine unangenehme Sache, einen Todten an Bord zu haben. Alles nimmt eine trübe Farbe an, Alles bewegt sich in einer schweren, traurigen Weise, das Gemüth wird zaghaft und ängstlich und der frische Seemannsmuth ist zu einem häßlichen Ballaste trüber Ahnungen, dunkler Befürchtungen geworden. Seht Ihr dort jenes felsigte Vorgebirge, das sich weit aus dem festen Lande vordrängt und dem wir entgegenfahren? Ich weiß, daß es ein gefährlicher Punkt ist, wo oft die aus den Gebirgen hervorströmenden Stürme ein Schiff weit aus seiner Bahn hinwegverschlagen, wo Muth und Entschlossenheit am Steuer sitzen müssen. Dennoch habe ich es wohl hundertmal umfahren, ohne von trüben Ahnungen, von einer wunderlichen Besorgniß befallen worden zu seyn, wie am heutigen Tage. Es dünkt mich, als gehe ich einem lauernden, schwer gerüsteten Feinde entgegen. Der dunkle Wolkenstreif, der über dem Vorgebirge schwebt, scheint mir von übler Bedeutung. Doch will ich noch nicht entscheiden. Wir können Schnee und Sturm haben noch vor Mitternacht oder die Gegenwinde aus den Gebirgen verjagen und zerstreuen jenes Gewölk.«

Roland konnte die Besorgniß des Capitäns nicht theilen. Noch segelte das Schiff mit günstigem Winde unter dem heitersten Himmel hin, die Wellen trugen es in leichten Schwingungen vorwärts, die Schneeberge erglänzten weit herüber im reinsten Sonnenlichte und nur das stille, düstre Treiben der Seeleute war eine Sache, welche der Fahrt des heutigen Tages einen andern Charakter, als der vorhergehenden verlieh. Der junge Deutsche gedachte mit einem Gefühle der Rührung des armen Jonas Minderhout. Von allen lieben Gewohnheiten der Ruhe und Behaglichkeit hatte sich der schwermüthige Holländer losgerissen, um eine beschwerliche, gegen alle seine Empfindungen streitende Reise anzutreten, um dem Gebote der strengen Ehehälfte zu gehorchen, um – wonach sich doch ein leises Gelüst in seiner Seele geregt – die Schätze des verstorbenen, reichen Schwagers in Besitz zu nehmen. Und nun war er, nahe am Ziele, nahe dem Ende seiner Müheseligkeiten und der Erfüllung seiner Hoffnungen, von dem Tode um den Lohn seines Duldens, seiner Entbehrungen beraubt worden! Jetzt wurde sein plötzlicher Austritt aus der Reihe der Lebenden noch von Manchem mit Theilnahme empfunden, wie bald aber mußte nicht sein Gedächtniß unter Fremden, denen er nur eine seltene, flüchtige Erscheinung gewesen, verschwinden, wie bald würde nicht die jugendliche, lebenslustige Wittwe sich trösten, wenn nicht vielleicht schon der übermäßige Schmerz, den sie gezeigt, ein bloßes Gaukelspiel gewesen, wenn nicht – Roland suchte diesen Gedanken ernst von sich zu entfernen – eine geheimnißvolle, schreckliche Verknüpfung zwischen dem leichtsinnigen Verhältnisse der Frau Virginia mit Erasmus Fontanus und dem plötzlichen Tode des unglücklichen Holländers obwaltete.

Schon am Abende desselben Tages wurde die Leiche unter den gewöhnlichen Feierlichkeiten in das Meer bestattet. Kein Geistlicher befand sich an Bord; der Capitän gab ihr einen Seemannssegen mit und die Mannschaft betete still, während der schlichte Sarg langsam niedergelassen wurde. Die Wittwe und ihr Freund, der fahrende Schüler, waren nicht zugegen. Ueber diesen Mangel an Theilnahme, über diese Versäumung der letzten Pflicht gegen den Verstorbenen von Seiten seiner Ehehälfte, ließ der größte Theil des Schiffsvolkes seine Mißbilligung laut werden. Einzelne Stimmen gaben zu verstehen, daß der Mynheer vielleicht noch lange gelebt haben würde, wenn Frau Virginia ihm Liebe und Treue gezeigt, wenn sie nicht seine Schwermuth und Kränklichkeit noch durch ihre strafbare Hinneigung zu dem Studenten vermehrt hätte. Einer völligen Trostlosigkeit ergab sich der Knabe Claudianus. Er lehnte sich über das Schiffsgeländer, sah dem Hinabsenken des Sarges in die Wellen mit starren Blicken zu und ließ dann einem Strome von Thränen, der seinen Augen entquoll, freien Lauf. Immer noch lag in seinem ganzen Wesen viel Seltsames und Unbegreifliches. Als die Seeleute, nach vollendeter Trauerfeierlichkeit, wieder an ihre Arbeiten gingen, zog er sich in einen entlegenen Winkel zurück, blickte träumerisch vor sich hin und gab auf die Anredenden Rolands, der ihn zu ermuthigen suchte, nur kurze einsilbige Antworten.

Indessen hatte schon, gleich nachdem die Leiche aus dem Schiff entfernt worden, sich wieder ein neuerwachender, heitrer Geist unter den Matrosen gezeigt. Mit dem Verstorbenen schienen sie auch ihren Ernst, ihre Trauer in das Meer gesenkt zu haben. Freilich ließ sich noch kein Scherz, keine muthwillige Rede vernehmen, allein Alles regte sich lebendiger, man schien eines drückendem unangenehmen Gefühles losgeworden zu seyn.

Das Vorgebirge, von dem Capitän Harslö am Morgen besorgnißvoll gesprochen, lag jetzt in der Dämmerung des Abends nahe vor den Augen der Seefahrenden. Man konnte die tiefen Schlünde, die in seine abschüßige Felsenwand eingegraben waren, deutlich erkennen, man sah einzelne Vorsprünge mit glänzenden Schneelagen, die aus dem dunkeln Grunde blendend hervortraten. Es erhob sich hinter einigen kleinen Inseln, die mit Eisschollen umgeben waren und deren höhern Stellen sich noch von Schnee bedeckt zeigten. Ein kalter, heftiger Gegenwind, aus den Gebirgsengen herandringend, machte sich fühlbar, die Segel mußten gewendet, einige der kleinern mußten eingezogen werden. Die Matrosen zeigten sich eifriger, des Capitäns Stimme ertönte vom Steuerruder her, in kurzen Zwischenräumen, zu neuen Befehlen. Auch die Wogen begannen jetzt höher zu gehn. Das bisherige leichte Schaukeln des Schiffes verwandelte sich in ein heftiges Schwanken, über mächtige Wassermassen, die sich in seine Bahn warfen, wurde es in gewaltigen Schwingungen getragen und unaufhörlich war das Steuer in Bewegung, um von niedern Klippen, die oft kaum bemerkbar aus den Wellen hervorragten, abzulenken.

Des Capitäns Blicke waren mehr auf den Himmel, als auf das Meer gerichtet.

»Seht Ihr nun,« raunte er seinem jungen Freunde Roland, der neben ihn trat, zu, »wie das Wolkenstreifchen vom heutigen Morgen zu einer schweren, dunkeln und drohenden Wolkenmasse geworden ist? Sie ist der Feind, der uns einen schweren Kampf, einen heftigen Widerstand kosten wird. Der Strömungen achte ich nicht, durch die Unzahl dieser Klippen winde ich mich mit meinem leichten Schiffe hindurch, wie ein Aal, aber wenn einmal diese Wolkenmasse sich lößt, wenn ihr Inhalt in Regen, Schnee und Hagel auf uns herabstürzt, wenn dann die Windsbraut frei wird und in ihrem wilden Sturme und in ihren tollen Wirbeln uns fortreißt, dann stehe ich für nichts, dann können wir verschlagen werden bis hinauf zwischen die Eisberge des Nordkaps oder früher schon unser Grab finden, wo es Herr Jonas heute gefunden hat.«

Die bedenklichen Mienen, welche nun auch die Matrosen auf die schwarze Wolke richteten, bestätigten des Capitäns Worte. Selbst aus ihrem vermehrten Eifer, aus der Eil, mit der sie jeden Befehl ihres Obern in dem Augenblicke, wo er gegeben wurde, vollzogen, ließ sich erkennen, daß ihnen die herannahende Gefahr nicht verborgen bleibe. Alles zeigte jetzt die regste Thätigkeit auf dem Verdecke. Ballen und Fässer, die im Wege standen, wurden in den untern Raum geschafft; Roland und Ignotus, welche der Entwicklung des Ereignisses ihre Aufmerksamkeit widmeten, mußten vernehmen, es würde besser seyn, sie suchten ein ruhiges Plätzchen in der Cajüte, als daß sie hier auf dem Verdecke die freie Bewegung der Seeleute hinderten. Beide ließen sich aber durch diese Aeußerungen nicht verscheuchen. Ignotus sah, einem trüben Sinnen hingegeben, in das wilde Treiben der Wogen; Roland konnte sich nicht entschließen, einem wunderbaren Naturschauspiele zu entsagen, das ihn durch seine Neuheit, so wie durch seine Größe anzog.

Unter diesen Umständen erschien plötzlich zu Aller Befremden Frau Virginia Minderhout am Arme des Studenten Erasmus auf dem Verdecke. Sie trug ein Trauergewand, das ihre Reize noch erhöhete, sie trat schwach und langsam auf, allein ihr Angesicht zeigte den Ausdruck einer Fassung, welche, nach jenen frühern stürmischen Ausbrüchen der Verzweiflung, auffallen mußte. Als sie die Unruhe unter den Schiffsleuten bemerkte, als sie das Meer, dessen Wellen bisher nur in ihrer leichtern Bewegung ein anmuthiges Bild geboten, in einer Empörung erblickte, die ihre Unerfahrenheit in solchen Dingen sie noch weit drohender und gefährlicher, als es die Wirklichkeit mit sich brachte, glauben ließ, da entfärbte sie sich, da sah sie ängstlich zu Erasmus auf und lehnte sich fester in seinen Arm. Der Student selbst aber befand sich in einem plötzlich eintretenden Zustande der Muthlosigkeit, der ihn unfähig machte, an seine Dame einige Worte der Beruhigung zu richten. Er deutete auf das Meer und versuchte vergebens zu sprechen, er schien so tief erschüttert, daß ihn alle Besonnenheit verließ. Da erweckte ihn aus dieser Betäubung Ignotus, der, in seiner Nähe stehend, ihn anredete:

»Hörst du, was die Wellen sprechen in ihrem hohlen Rauschen? Vernimmst du die Geisterstimmen, die aus dem Abgrunde herauftönen? O, wie es klagt, wie es jammert in den Tiefen, wie die Seejungfrau aus ihrem Crystallpallaste herauf ein trauriges Lied singt von Buhlerei und geheimnisvollem Meuchelmorde! Ihr Herz ist tief verwundet, denn in ihrem schuldlosen Reiche kennt man das Verbrechen nicht. Von ihrem Schmerze, von ihrer Empörung werden alle Geister, welche die Wasser beleben, ergriffen und der Unwille der Herrscherin durchzuckt sie und sie drängen sich herauf, um das Laster zu züchtigen und das Verbrechen zu strafen. Wie viele Leichen birgt das Meer, wie viele hat die Seejungfrau aufgenommen zur Ruhe in ihr weites Reich! Sie schlafen um sie herum und sie singt ihnen schöne Wiegenlieder vor und erzählt ihnen süß betäubende Märchen, die sie, wenn sie erwachen wollen, immer wieder in Schlaf bringen. Wehe aber, wenn Einer, den eine Gewaltthat aus dem Leben gestoßen, zu ihr hinabsteigt! Er findet keine Ruhe bei ihr, er will wieder hinauf in das Leben, an sein Licht, und jammert um die Tage und Jahre, die ihm geraubt worden, und empört ihr stilles Reich, weil er sein Recht auf das Daseyn nicht aufgeben will. Höre nur, schöne Frau, wie es da unten summt und singt,« wandte er sich an Virginia:

»Wer Liebe täuscht und Treue brach,
Dem folgt die Schlange der Rache nach.«

Todtenbleich lenkte die junge Flammländerin ihre Schritte nach einer andern Richtung. Der Student Erasmus erzwang ein höhnisches Lächeln und sagte nach seiner Begleiterin hin:

»Es ist ein armer Verrückter, dessen Worte man nicht auf die Waage legen muß. Man sollte Leute dieser Art nicht aufnehmen oder sie wenigstens so fest und sicher verwahren, daß sie andern nicht zur Last fallen können.«

Indem das Paar diese Stelle verließ und dem Vordertheile des Schiffes zuschritt, streifte es an dem Knaben Claudianus hin, der, dem Sturme lauschend und das wüthende Treiben der Wellen beobachtend, ein Tau umschlungen hielt. Wie von einer Natter gestochen bebte er zurück. Mit Blicken des Abscheu's starrte er beide an, unwillkürlich zuckte seine Hand nach dem Degen, den er von Roland zum Geschenk erhalten. Dann aber wandte er sich finster ab und begab sich nach der entgegengesetzten Seite des Bords. Virginia hatte das wunderliche Benehmen des Knaben nicht bemerkt, wohl aber der fahrende Schüler. Er blickte ihm drohend nach und sprach verbissen in sich hinein:

»Dich muß ich stumm machen, undankbarer Bube! du bist ein gefährlicher Zeuge.«

Indessen ertönte ringsum, wo sie sich sehen ließen, unter den Seeleuten ein lautes Murmeln der Mißbilligung und des Unwillens. Vergebens suchte Capitän Harslö dieses durch Zeichen und Mahnungen zu unterdrücken. Die Matrosen sprachen unverhohlen die Meinung aus, daß der Sturm das Schiff heimsuche, weil an seinem Borde der Ehrbarkeit und Sitte gespottet werde, daß, wenn ein Unglück eintreffe, dieses niemand andrem zuzuschreiben sey als dem Studenten und der Wittwe. Der Aberglaube der Seeleute ist bekannt. Hat er einmal einen Anlaß gefunden, so wächst er bald zur Lawine an, die in ihrem Laufe nicht gehemmt, nicht zurückgehalten werden kann. Jenen Worten der Mißbilligung folgten bald ernstere Drohungen und das Paar sah, um nicht vielleicht noch unangenehmere Erfahrungen zu machen, sich genöthigt, seinen Rückzug unter das Verdeck anzutreten.

Die Nacht brach ein, freilich düstrer, als die vorige, wo vom unumwölkten Himmel ein helles Mondlicht die Fahrt begünstigte; aber doch immer von jenem Dämmerlichte erhellt, das den nordischen Nächten eigenthümlich ist. Bald befand man sich dem gefährlichen Vorgebirge gegenüber, dessen dunkle Felsenmasse drohend zum Himmel emporragte. In immer mächtigern Schwingungen erhoben sich die Wellen, das Geräusch, mit dem sie bisher an das Schiff angeschlagen, wurde zum Getöse, hohl brauste in dumpfen, langgehaltenen Tönen der Sturm heran. Gegen Mitternacht war das ganze Himmelsgewölbe mit schweren, finstern Wolken bedeckt, nur im Norden zeigte sich noch ein seltsamer, fahler Lichtstreif; doch als auch dieser endlich verschwand, als, nachdem das Vorgebirge umfahren war, der Sturm sich in einem wüthenden Angriffe vom Lande her auf die See stürzte, da wurde das Schiff ein Spiel der Wogen, die es, ohne daß der Wille des Menschen noch etwas über seine Leitung vermocht hatte, in gewaltigen Strömungen fortführten, so daß es pfeilschnell über ihre empörte Oberfläche weiter glitt.

Roland sah ein, daß seine Gegenwart auf dem Verdeck in der That die freien Bewegungen der Seeleute, die jeder Augenblick nach einer andern Seite hinrief, erschwerte. Er blickte noch einmal auf das stürmische empörte Meer. Wie eine dichte graue Mauer erhob sich in der Richtung, welche sie nahmen, eine düstre Nebelmasse, in der die See mit dem Horizonte in Eins verschwamm, die ihm, er wußte selbst nicht warum, drohend und widrig erschien. Dann begab er sich in die Cajüte des Capitäns, wo er den Dänen Ignotus und den Knaben Claudianus noch wach fand. Der Knabe saß düster vor sich hinblickend in einem Winkel; Ignotus hatte ein Pergament vor sich entfaltet, auf das er mit einer Kohle allerlei wunderliche Figuren einzeichnete.

»Auch die Elemente haben ihre Launen,« sagte Roland in dem heitern, ermuthigenden Tone, der ihn selten verließ, »und heute feiern sie ein tolles Fest, zu dem sie uns durchaus als Gäste besitzen wollen. Wir müssen uns schon in die Einladung fügen, obschon sie etwas rauh und barsch klingt, und den regellosen Tanz mitmachen, der ihnen gerade beliebt. Frisch auf, Claudianus! du hast dich munter zum Waffenwerke gezeigt, laß deinen Muth nun von Wind und Wellen nicht niederschlagen. Wo aber bleibt die gerühmte Wissenschaft deines ehemaligen Meisters? Er vermag ja durch seine Beschwörungen dem Sturm und den Wogen zu gebieten, es müßte ihm eine Kleinigkeit seyn, durch etwas schwarze oder weiße Magie plötzlich eine sonn- und mondhelle Nacht herauszuführen, alle Wolken vom Himmel hinwegzukehren und das Meer so friedlich und still zu machen, wie eine gute Landstraße auf festem Grunde und Boden.«

Der Knabe hob schwermüthig die Augen, in denen zwei große Thränen glänzten, empor und versetzte in einem traurigen Tone:

»Es mag leichter seyn, die Geister des Abgrunds herauf zu beschwören, als sie wieder hinabzubannen in ihr finstres Reich. Sprecht mir nicht mehr von Magie und übernatürlichen Künsten. Ich habe lange in einem dumpfen Traume gelegen, aber heute bin ich ganz und gar erwacht. Ein böses, ein schmerzliches Erwachen! Und doch ist es besser, als jener betrübende Schlaf, der dem Geiste seine Freiheit, dem Leben seine Wahrheit genommen. Erst wenn ich mich losgerungen habe von allen Banden, die mich noch aus der Vergangenheit herüber halten , wenn diese ganze düstre Nacht vergessen, begraben hinter mir liegt, dann werde auch ich frei und heiter in's Leben schau'n, fröhlich an seinem Wirken theilnehmen, die Menschen besser kennen und inniger lieben lernen.«

»Das sind Kindereien, Thorheiten!« rief erhitzt und seltsam erregt Ignotus zu Roland herüber. »Jetzt kommt es auf ganz andre Dinge an. Tretet her und sehet meine Arbeit. Da habe ich Norwegens Küsten aufgezeichnet hinab bis gegen Dänemark hin und nun möchte ich gern berechnen, wie lange Zeit dieser Sturm noch braucht, um die Hauptstadt Kopenhagen und das Schloß eines gekrönten Tyrannen zu erreichen, dieses in Trümmer zu stürzen und ihn, sammt seiner blutdürstigen Rathgeberin, unter Schutt und Steine zu begraben?«

Bei diesen Worten flogen seine Blicke irr umher, wie in jener Nacht, als Roland aus seinem Munde die Erzählung seines traurigen Geschicks vernommen. Ein wüstes Lächeln des Wahnsinns umschwebte seine Lippen, die Adern seiner Stirn traten dunkelroth hervor.

Da erhellte plötzlich ein zuckender Blitz mit falbem Lichte das Innere des kleinen Gemaches, wenige Augenblicke darauf rollte der Donner in langgehaltenen Tönen über die Wogen heran.

»Ein Gewitter im März!« rief Roland. »Das ist ein seltenes Ding unter diesem Himmelsstriche.«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als ein mächtiger Windstoß, von dem unwiderstehlichen Andrange der Wogen begleitet, das Schiff ganz auf eine Seite niederwarf, so daß Alles, was sich beweglich in der Cajüte vorfand, in wilder Verwirrung zu Boden stürzte, daß die drei Menschen nur mit Mühe sich an den Planken aufrecht erhielten und die herabfallenden Lichter am Boden verlöschten. Zugleich strömte eine gewaltige Woge durch die Cajütenfenster ein, die Alles durchnäßte und den untern Theil des Gemaches mit Wasser anfüllte.

»Verwünscht sey der Aufenthalt hier unten!« rief Roland, indem er nach dem Ausgange hintappte. »Ich muß meinem Feinde in das Angesicht sehen, ich kann es nicht ertragen, mich ohne Kenntniß der Gefahr, die auf mich einstürmt, ihr zu unterwerfen. Sie mögen mich an den Mast festbinden, wenn sonst kein Fleckchen oben ist, wo ich ihnen nicht im Wege stehe!«

Ignotus, aufgeschreckt und durch die Gewalt der Wirklichkeit seinen verwirrenden Träumen entrissen, folgte ihm; Claudianus schloß sich zagend den beiden Männern an. Auf dem Gange brannte noch die Laterne. Das Schiff hatte sich von dem mächtigen Stoße wieder aufgerichtet, sie konnten jetzt fester auftreten, sie erreichten die Treppe, die auf das Verdeck führte. Indem sie an der Cajüte der Frau Virginia vorüberschritten, vernahmen sie ein Angstgeschrei, dann die rauhe Stimme des Studenten, der mit einem Fluche auf das Mißgeschick, das über ihnen walte, dennoch zur Ruhe und zur Ergebung in das Unabänderliche ermahnte. Claudianus blickt scheu nach der Thüre des Gemachs und huschte rasch an Roland vorüber, die Treppe hinauf.

Auf dem Verdeck fanden sie eine Szene der schrecklichsten Verwirrung. Es war mit Schlamm, mit Muscheln und wunderlich gestalteten Seethieren bedeckt, welche die einbrechenden Wogen herangespült hatten. Wohin sie traten, glitt ihr Fuß; das Leuchten der Blitze, die jetzt im unaufhörlichen Wechsel mit dem Donner erfolgten, ließ sie alle Gegenstände, welche sie umgaben, deutlich erkennen. Fernher ragte noch immer das riesige Vorgebirge, aber es lag nun schon im Rücken der Seefahrer. Von wilden Strömungen ergriffen, wurde das Schiff bald nach dieser, bald nach jener Richtung geschleudert. Die ganze Himmelsdecke zeigte sich jetzt finster umzogen, aber allenthalben zuckten Blitze hernieder, und über dem Schiffe selbst schwebte drohend ein weit herabhängendes schwarzes Gewölk.

»Klippen, Klippen!« schrie in diesem Augenblicke der am Vordersteeven Wacht haltende Matrose. »Ringsum weißer Schaum! Dazwischen zahllose schwarz emportauchende Spitzen!«

Capitain Harslö, der bei diesem furchtbaren Ereignisse die ganze Kaltblütigkeit und rasche Handlungsweise eines erfahrenen Seemanns entwickelte, sprang selbst zum Vordersteeven und blickte hinab in die brandenden Wogen. Ein einziger Blick belehrte ihn, daß der Matrose Wahrheit gesprochen, daß die Strömung sie einem Klippenbette nahe führte, in welchem die Concordia ihren unvermeidlichen Untergang finden mußte. Noch immer blies der Sturm vom Lande, nur ein rascher, kühner Entschluß konnte hier retten.

»Wendet das Schiff!« erklang, das Brausen der Wogen und das Rollen des Donners übertönend, des Capitäns Stimme. »Dann alle Segel auf und dem Sturme Hand geboten, daß er uns herausschleudert aus dieser verwetterten Felsenenge!«

Niemand zögerte, den Befehlen des Capitäns, von deren genauer Befolgung in dieser Lage die Rettung des Schiffs und das Leben aller am Bord Befindlichen abhing, sich sogleich zu unterwerfen. Alle Hände waren in Thätigkeit. Das Steuer wurde gewendet, schwer erhob sich das Schiff gegen den Gang der Wogen, mit langen Haken bewaffnet suchten fünfzig kräftige Arme es von den verderblichen Klippen zu entfernen. Auch Roland hatte sich eines solchen Hakens bemächtigt. Er drängte, er schob mit aller Anstrengung seiner gewaltigen Kraft. Hoch oben stand er auf dem Rande des Schiffes, ein schönes Bild des männlichen Muthes, der entwickelten Kraft in ihrer Vollendung, die athletischen Glieder zu einer Kraftäußerung vereinigend. Das Schiff senkte sich und erhob sich wieder, von der mächtigen Erschütterung aus dem Gleichgewichte gebracht, sahen sich die Seeleute, indem ihre Haken von den Felsen abglitten, für einige Augenblicke in Unthätigkeit versetzt, nur Roland wankte nicht und seiner Geistesgegenwart, seiner außerordentlichen Körperkraft hatte man in diesem entscheidenden Augenblicke zu verdanken, daß die Seitenwand der Concordia nicht in eine gefährliche Berührung mit dem Riff gerieth. Sein Beispiel ermuthigte aufs Neue die Seeleute und nach wenigen, entscheidenden Anstrengungen war das schwierige Mannöver vollbracht, das Schiff von den Klippen entfernt, sein Vordertheil der offnen See zugekehrt.

»Hinauf in die Spieren!« ertönte wiederum des Capitäns Ruf. »Segel auf Segel! Das große Segel zuerst, die Bramsegel hintennach!«

Die Befehle des Capitäns wurden so rasch vollzogen, als es die Lage der Umstände erlaubte. Es war ein spannendes, alle Gefühle ergreifendes Schauspiel, als von dem falben Lichte der Blitze erhellt, die dunkeln Gestalten in den schwankenden Tauen schwebten, als unter dem eintönigen, taktmäßigen Rufe des Bootsmanns die Rahen gehißt wurden, das große Segel niederfiel und die Bramsegel sich entfalteten. Mit furchtbarer Kraft warf sich der Sturm in die entrollten Segel, die dunkeln Gestalten in der Takellage neigten sich mit dieser plötzlich weit vor über die schäumende See, der vordere Theil des Schiffes selbst, im ersten Augenblicke von der Last der Segel niedergedrückt, tauchte fast senkrecht in die Wellen, erhob sich aber sogleich wieder, um nun, da die Winde vollständige Macht über das Schiff gewonnen, von Woge zu Woge, mit der Eile des Sturmwindes selbst, in die offene See hinauszufliegen.

»Diesen Klippen sind wir entronnen;« raunte der Capitän seinem jungen Freunde, der neben ihn getreten war, in's Ohr, »allein der Sturm, fürcht' ich, wird eine Jagd auf uns anstellen, von der ich nicht voraus sagen kann, ob die Concordia sie aushält. Es gibt keinen schnellern Segler, keinen festern Bau in diesen Gewässern, als sie, aber die Winde aus den Gebirgen Norwegens sind eben so hartnäckig, als ungestüm, sie ermüden das beste Fahrzeug, das je auf salzigem Wasser schwebte, und brechen endlich seine Kraft.«

Der Capitän hatte kaum ausgesprochen, als der Sturm mit vermehrter Kraft das Schiff vorwärts schleuderte, als die Wetterwolke, die bisher drohend über ihm geschwebt hatte, sich plötzlich öffnete und unter zuckenden Blitzen und furchtbaren Donnerschlägen, ihren Inhalt niedersandte. Schneegestöber und Hagelwetter brachen von allen Seiten ein und machten den Aufenthalt auf dem Verdecke so unangenehm und lästig, daß jeder, den nicht seine Pflicht hier fesselte, ein schützendes Obdach im Innern des Schiffes suchte.



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