Charles Dickens
Nikolas Nickleby
Charles Dickens

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27. Kapitel

Mrs. Nickleby wird mit den Herren Pyke und Rupfer bekannt, deren Ergebenheit und Zuneigung keine Grenzen kennt

Wie stolz und wichtig fühlte sich nicht Mrs. Nickleby als sie ihre Wohnung erreichte und sich ganz den schönen Träumen hingeben konnte, die sie auf ihrem Wege umgaukelt hatten. – Lady Mulberry Hawk! – Das war die vorwaltende Idee. Lady Mulberry Hawk! – ›Am verflossenen Dienstag wurde in der St.-Georgs-Kirche, Hanover Square, durch Seine Hochwürden, den Bischof von Llandaff, Sir Mulberry Hawk von Mulberry Castle in Nordwales mit Katharina, der einzigen Tochter des verstorbenen Nikolas Nickleby, Esquire, aus Devonshire, ehelich verbunden!‹ »Herrlich«, jubelte Mrs. Nickleby, »nein, wie das klingt.«

Nachdem die Trauungszeremonie mit den dazugehörigen Festlichkeiten abgetan war, vergegenwärtigte sich die sanguinische Mutter die lange Reihe von Ehren und Auszeichnungen, die notwendigerweise die Folge von Kates neuer und glänzender Laufbahn sein mußten. Natürlich wurde sie bei Hof vorgestellt. An ihrem Geburtstage, der auf den neunzehnten fiel (»zehn Minuten nach drei Uhr morgens«, erinnerte sich Mrs. Nickleby in Parenthese, »denn ich weiß noch recht gut, daß ich fragte, wieviel Uhr es wäre«), gab Sir Mulberry allen seinen Pächtern ein großes Fest und erließ ihnen drei und ein halbes Prozent von dem Ertrage des letzten halbjährigen Pachtes, was natürlich tags darauf in allen Blättern stand. Kates Porträt erschien wenigstens in einem halben Dutzend von Taschenbüchern, und auf der Rückseite stand jedesmal in den elegantesten Lettern zu lesen: »Verse bei Betrachtung eines Porträts der Lady Mulberry Hawk, von Sir Dingleby Dabber.« Vielleicht enthielt sogar ein nach einem umfassenderen Plane ausgearbeitetes Taschenbuch ein Porträt von Lady Mulberry Hawks Mutter mit Versen von Sir Dingleby Dabbers Vater. – »Es kommen ja jeden Tag noch viel unwahrscheinlichere Dinge vor; schon viel unbedeutendere Porträts sind erschienen.« Als der guten alten Dame dieser Gedanke auftauchte, nahm ihr Gesicht unwillkürlich jenen gemischten Ausdruck von Schmachten und Schläfrigkeit an, der allen derartigen Porträts eigen ist und in dem vielleicht der Grund liegt, daß sie immer einen so reizenden und liebenswürdigen Eindruck machen.

Mit solchen glorreichen Luftschlössern beschäftigte sich Mrs. Nickleby den ganzen Abend, und nicht weniger prophetische und verheißungsvolle Träume versüßten die Nacht über ihren Schlaf.

Sie bereitete am andern Tage eben ihr frugales Mittagessen – natürlich noch immer in denselben Ideen schwelgend, die nur durch das Licht der Sonne etwas nüchterner gestaltet wurden –, als das Mädchen, das ihr teils als Gesellschafterin, teils als »Stütze der Hausfrau« diente, mit ungewohnter Aufregung ins Zimmer stürzte und zwei Herren anmeldete, die im Hausflur stünden und um die Erlaubnis bäten, Mrs. Nickleby ihre Aufwartung zu machen.

»Allmächtiger!« rief Mrs. Nickleby hastig Haube und Locken ordnend; »wenn es am Ende gar die – du meine Güte! Müssen da die Herren die ganze Zeit im Hausflur stehen! Warum läufst du nicht und fragst sie, ob sie nicht heraufkommen wollen, du dummes Ding?«

Dann räumte sie hastig alles, was mit Essen und Trinken zu tun hatte, in den Schrank und setzte sich in möglichst gefaßter Haltung nieder. Im nächsten Augenblick traten zwei ihr völlig fremde Herren ins Zimmer.

»Wie befinden Sie sich?« fragte der eine Herr, einen starken Nachdruck auf das zweite Wort seiner Frage legend.

»Wie befinden Sie sich?« fragte der andere Herr und betonte das erste Wort stärker. Wahrscheinlich des Kontrastes wegen. Mrs. Nickleby knickste und lächelte, und knickste wieder und bemerkte verlegen, »daß sie – wirklich nicht – daß sie nicht die Ehre hätte –«

»Uns zu kennen«, ergänzte der erste Herr. »Der Nachteil liegt auf unserer Seite, Mrs. Nickleby. Ist der Nachteil nicht auf unserer Seite, Pyke?«

»Fraglos, Rupfer«, antwortete der andere Herr.

»Wir haben es, glaube ich, schon sehr oft bedauert.«

»Sehr oft.«

»Aber jetzt«, sagte der erste Herr, »jetzt erfreuen wir uns endlich des lange ersehnten Glückes. Haben lange nach diesem Glück geschmachtet – was, Pyke?«

»Sie können das doch unmöglich vergessen haben, Rupfer«, entgegnete Pyke vorwurfsvoll.

»Hören Sie ihn, Madame?« fragte Mr. Rupfer und sah sich um. »Sie hören das unparteiische Zeugnis meines Freundes Pyke. Doch das erinnert mich – Förmlichkeiten, Madam – Förmlichkeiten dürfen nie in einer gebildeten Gesellschaft hintangesetzt werden. Mr. Pyke – Mrs. Nickleby.«

Mr. Pyke legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich tief.

»Ob ich mich selbst mit derselben Förmlichkeit einführen«, fuhr Mr. Rupfer fort, »oder meinen Freund Pyke bitten soll, das Amt zu versehen, mich Ihnen, Mrs. Nickleby, als Mr. Rupfer, einen Freund Sir Mulberry Hawks' vorzustellen – dies, Mrs. Nickleby, sind Erwägungen, die ich Ihrer geneigten Entscheidung überlassen möchte.«

»Ein Freund Sir Mulberry Hawks' bedarf bei mir keiner weiteren Einführung« bemerkte Mrs. Nickleby huldvoll.

»Ich bin entzückt, Sie so sprechen zu hören«, versetzte Mr. Rupfer, dicht neben Mrs. Nickleby Platz nehmend. »Es ist mir eine wahre Herzensfreude, zu erfahren, daß Sie meinen vortrefflichen Freund, Sir Mulberry, so hoch schätzen. Ein Wort im Vertrauen, Mrs. Nickleby. Wenn Sir Mulberry es erfährt, wird er sich überglücklich fühlen – ich sage Ihnen, Madam, überglücklich fühlen; Pyke, setzen Sie sich!«

»Meine gute Meinung«, entgegnete Mrs. Nickleby – die Ärmste frohlockte, daß sie ihr Sprüchlein so gut angebracht hatte –, »meine gute Meinung kann für einen Herrn, wie Sir Mulberry, nur von sehr geringem Belang sein.«

»Von geringem Belang?« rief Mr. Rupfer. »Pyke, von welchem Belang ist die Meinung Mrs. Nicklebys für Sir Mulberry?«

»Von welchem Belang?« wiederholte Pyke.

»Ja. Ist sie für ihn nicht von größtem Belang?«

»Von dem allergrößten Belang«, bestätigte Pyke.

»Es kann Mrs. Nickleby unmöglich entgangen sein«, fuhr Mr. Rupfer fort, »welchen überwältigenden Eindruck die süße junge Dame auf –«

»Rupfer!« verwies sein Freund. »Welche Worte gebrauchen Sie!«

»Pyke hat recht«, murmelte Mr. Rupfer nach einer kurzen Pause. »Ich hätte mir keine derartige Bemerkung erlauben sollen. Pyke hat vollkommen recht. Ich danke Ihnen, Pyke.«

»Wahrhaftig«, dachte Mrs. Nickleby; »ein solches Zartgefühl ist mir im Leben noch nicht vorgekommen.«

Mr. Rupfer tat einige Minuten, als hätte ihn seine Unbedachtsamkeit in große Verlegenheit gesetzt, und nahm dann die Unterhaltung wieder auf, indem er Mrs. Nickleby bat, gütigst zu vergessen, was ihm so unwillkürlich herausgerutscht sei, und ihn lieber für unklug, voreilig und gedankenlos zu halten, als seine gute Absicht zu verkennen.

»Aber wenn ich« – fuhr Mr. Rupfer fort – »wenn ich so viel Schönheit und Anmut auf der einen Seite und so viel Glut und heiße Liebe auf der anderen sehe, so – verzeihen Sie, Pyke, ich kam unabsichtlich wieder auf das Thema zurück. – Fangen Sie von etwas anderm an, Pyke.«

»Wir versprachen Sir Mulberry und Lord Frederic«, nahm Pyke das Wort, »Sie, Madam, heute morgen zu besuchen und uns zu erkundigen, ob Sie sich gestern abend bei der Heimfahrt nicht erkältet hätten.«

»Oh, gestern abend? – Nein, nicht im mindesten, Sir«, versetzte Mrs. Nickleby. »Darf ich bitten, Seiner Herrlichkeit und Sir Mulberry meinen untertänigsten Dank für diese gnädige Nachfrage ausrichten zu wollen? – O nein, nicht im mindesten. Es nimmt mich um so mehr wunder, als ich sonst sehr zu Erkältungen neige, ja gewiß und wahrhaftig, sehr neige. Ich habe mir einmal einen Schnupfen geholt. Ich glaube, es war im Jahr achtzehnhundertundsiebenzehn. Warten Sie einmal, vier und fünf ist neun, und – ja, achtzehnhundertundsiebenzehn – und ich glaubte schon, ich könne ihn überhaupt nicht mehr loswerden; gewiß und wahrhaftig – überhaupt nicht mehr loswerden. Ich wurde endlich nur durch ein Mittel kuriert, von dem Sie wahrscheinlich nie etwas gehört haben, Mr. Rupfer. Man nimmt eine Gallone Wasser, so heiß, wie man es nur kriegen kann, tut ein Pfund Salz und für sechs Pence feinste Kleie hinein und badet sich damit alle Abend vor dem Schlafengehen wenigstens zwanzig Minuten lang den Kopf – ach nein, nicht den Kopf – ich wollte sagen, die Füße. – Es ist ein ganz vorzügliches Mittel – gewiß ein ganz vorzügliches Mittel. Ich erinnere mich noch, daß ich es das erstemal an dem Tage nach dem Weihnachtsfeste anwendete, und Mitte April war der Schnupfen weg. Es scheint ein wahres Wunder zu sein, wenn man bedenkt, daß ich ihn von Anfang September an hatte.«

»Welch ein betrübendes Mißgeschick«, meinte Mr. Pyke.

»Wirklich scheußlich«, rief Mr. Rupfer.

»Wenigstens wird die Pein, es zu hören, gemildert wenn man erfährt, daß Mrs. Nickleby wieder vollkommen genas, nicht wahr, Rupfer?«

»Ich bin wie von einem Alp befreit«, versetzte Mr. Rupfer.

»Aber wir dürfen über dem Vergnügen unseres Besuchs unsern Auftrag nicht vergessen«, ermahnte Mr. Pyke seinen Freund in einem Tone, als ob er sich plötzlich entsinne. »Wir haben nämlich einen Auftrag, Mrs. Nickleby.«

»Einen Auftrag?« rief die gute Dame, sofort an eine Werbung um Kates Hand denkend.

»Von Sir Mulberry. – Sie müssen hier ein sehr eintöniges Leben führen, Madam!«

»Ich gestehe, es ist ziemlich eintönig«, gab Mrs. Nickleby atemlos zu.

»Sir Mulberry Hawk läßt sein Kompliment vermelden und die Gnädige inständigst bitten, einen Sitz in seiner Privatloge für das heutige Stück von ihm anzunehmen«, fiel Mr. Rupfer ein.

»Ach, du mein Gott!« jammerte Mrs. Nickleby »Aber ich gehe doch nie aus.«

»Das ist doch gerade der allerzureichendste Grund, Mrs. Nickleby, heute abend auszugehen«, rief Mr. Rupfer. »Pyke, helfen Sie mir, Mrs. Nickleby zu überreden.«

»Ach, bitte«, flehte Mr. Pyke.

»Sie müssen durchaus, Madame!« drängte Mr. Rupfer.

»Sie sind allzu gütig«, zierte sich Mrs. Nickleby; »aber –«

»Wir lassen uns mit keinem Aber abspeisen, verehrteste Gnädige. Es gibt im ganzen Wörterbuch kein solches Wort. Ihr Schwager kommt, Lord Frederic kommt, Sir Mulberry kommt, Pyke kommt – Sie dürfen uns einfach keinen Korb geben. Sir Mulberry schickt Ihnen einen Wagen – genau fünfundzwanzig Minuten vor sieben. Sie werden gewiß nicht so grausam sein, der ganzen Gesellschaft die Freude zu verderben, Mrs. Nickleby?«

»Sie bedrängen mich so, daß ich kaum weiß, was ich sagen soll«, hauchte die würdige Dame.

»Sagen Sie nichts – bitte, bitte, kein Wort, keine Silbe, meine verehrteste Gnädige«, bettelte Mr. Rupfer. – »Mrs. Nickleby«, flüsterte er geheimnisvoll, »ich mißbrauche zwar ein mir geschenktes Vertrauen, wenn ich Ihnen eine Mitteilung mache, aber ich hoffe, die Situation entschuldigt mich. – Und doch, wenn mein Freund Pyke davon hören würde, er hat so ungemein heikle Ehrbegriffe, Madam, glaube ich, würde er mich noch vor dem Mittagessen fordern.«

Mrs. Nickleby warf einen besorgten Blick auf den duellsüchtigen Mr. Pyke, der ans Fenster getreten war und zum Glück nichts gehört hatte.

»Ihre Tochter hat eine Eroberung gemacht, eine Eroberung, zu der ich Ihnen nur Glück wünschen kann. Sir Mulberry, meine Gnädigste, Sir Mulberry schmachtet in den Fesseln Ihres Fräulein Tochter – hm.«

»Ha«, rief plötzlich Mr. Pyke und nahm mit theatralischer Gebärde einen Gegenstand vom Kamingesimse, »was ist das? Was sehe ich?«

»Was sehen Sie, mein lieber Freund?« fragte Mr. Rupfer.

»Das Gesicht, der Ausdruck, die Züge!« rief Mr. Pyke, mit einem Miniaturporträt in der Hand auf einen Sessel sinkend.

»Zwar nur ähnlich und unvollkommen erfaßt, aber doch das Gesicht, der Ausdruck, die Züge!«

»Ich erkenne es schon auf diese Entfernung«, rief Mr. Rupfer begeistert. »Ist es nicht, meine verehrte Gnädige, ist es nicht das unvollkommene Ebenbild von –?«

»Es ist das Porträt meiner Tochter«, bestätigte Mrs. Nickleby mit großem Stolz.

Und so war es. Die kleine Miss La Creevy hatte es vor ein paar Tagen zum Ansehen hergebracht.

Mr. Pyke hatte sich kaum überzeugt, daß er mit seiner Vermutung recht hatte, als er sich in einer Lobeshymne auf das göttliche Original erging. In der Glut seiner Begeisterung küßte er das Bildchen wohl tausendmal, während Mr. Rupfer Mrs. Nicklebys Hand an sein Herz drückte und ihr mit so viel Feuer und Teilnahme zu dem Besitz einer solchen Tochter Glück wünschte, daß ihm die Tränen in den Augen standen. Oder doch zu stehen schienen. Die arme Mrs. Nickleby die schon anfangs in einem Zustande beneidenswerter Selbstgefälligkeit zugehört hatte, wurde durch so viele Beweise von Achtung und Zuneigung ganz und gar hingerissen, und selbst das Dienstmädchen hinter dem Schlüsselloch blieb vor Erstaunen über die Begeisterung der beiden freundlichen Herren wie angewurzelt stehen.

»Zwanzig Minuten vor sieben Uhr also« – schärfte Mr. Pyke, als sich seine Begeisterung ein wenig gelegt hatte, Mrs. Nickleby ein und stand auf – »wird der Wagen hier sein. Und jetzt nur noch einen Blick, nur noch einen einzigen kleinen Blick auf dieses holde Antlitz! Ach, da ist es – regungslos –, unverändert! Ach, Rupfer! – Rupfer!«

Mr. Rupfers Erwiderung bestand darin, daß er tief ergriffen Mrs. Nicklebys Hand küßte. Als Mr. Pyke ein Gleiches getan, entfernten sich beide Herren mit großer Eile.

Mrs. Nickleby tat sich von jeher gern etwas auf ihren Scharfsinn und ihre Menschenkenntnis zugut, aber nie war sie wohl so ganz und gar mit sich selbst zufrieden gewesen wie an diesem Tage. Sie hatte doch all das schon am gestrigen Abend gewußt. Sie hatte zwar Sir Mulberry und Kate nie beisammen gesehen, nicht einmal Sir Mulberrys Namen gehört, und doch, war nicht alles von ihr vorausgesagt worden?! Lag nicht alles schon vom ersten Augenblick an klar vor ihrer Seele? Welch ein Triumph für sie, denn wer hätte jetzt noch zweifeln können? Wenn man schon die schmeichelhaften Aufmerksamkeiten gegen sie nicht für einen hinreichenden Beweis gelten lassen wollte, hatte nicht Sir Mulberrys vertrauter Freund das Geheimnis deutlich verraten?!

»Ich bin ganz verliebt in diesen charmanten Mr. Rupfer«, jubilierte Mrs. Nickleby.

Aber bei all ihrem Glück fühlte sie sich doch nicht ganz zufrieden, hatte sie doch niemand, dem sie es hätte anvertrauen können. Fast war sie schon entschlossen, schnurstracks zu Miss La Creevy zu eilen und ihr alles zu erzählen. »Aber ich weiß nicht«, überlegte sie, »sie ist zwar eine sehr nette Person, aber ich fürchte, sie steht zu tief unter Sir Mulberrys Rang, als daß sie eine passende Gesellschaft für uns wäre. Das arme Ding!«

Demzufolge ließ sie den Gedanken, die kleine Porträtmalerin ins Vertrauen zu ziehen, wieder fallen und begnügte sich damit, das Dienstmädchen mit dunkeln und geheimnisvollen Hinweisen auf bevorstehende große Veränderungen und künftige Pracht und Herrlichkeit erstarren zu machen.

Pünktlich zur bestimmten Stunde erschien der versprochene Wagen, keine Droschke etwa, sondern eine Privatequipage mit einem Lakaien hinten, dessen Beine, obgleich etwas zu lang für seinen Körper, geradezu ideale Modelle für die königliche Akademie hätten abgeben können. Wie berauschend, den gedämpften Schlag zu hören, womit er den Kutschenschlag zuwarf, und zu sehen, als sie drin saß, wie er hinten hinaufsprang. Da sie in ihrer Arglosigkeit keine Ahnung davon hatte, daß er gleich darauf den goldenen Knopf seines langen Stocks an die Nase hielt und über ihr Haupt hinweg höchst respektwidrig dem Kutscher hämische telegraphische Zeichen machte, trübte nichts ihr Entzücken, und nicht wenig stolz saß sie steif und würdevoll mitten im Wagen da.

Am Theatereingang wurde der Kutschenschlag noch entzückender auf- und zugeworfen, und schon waren die Herren Pyke und Rupfer zugegen, ihrer harrend, um sie in die Loge zu führen. Sie waren dabei so die Zuvorkommenheit selbst, daß Mr. Pyke einem uralten Mann, der zufällig mit einer Laterne ihnen über den Weg stolperte, zuschwor, ihn »füsilieren« lassen zu wollen – zum großen Schrecken Mrs. Nicklebys, die mehr aus der Aufregung Mr. Pykes als aus einer nähern Vertrautheit mit der Etymologie des Wortes schloß, daß Füsilieren und Blutvergießen im Grunde wohl ein und dasselbe sein müsse.

Glücklicherweise ließ jedoch Mr. Pyke es nur bei seiner Drohung bewenden, und sie erreichten die Loge ohne ernsteren Zwischenfall, als daß Mr. Rupfer den Logenschließer »zu Pulver zermalmen« wollte, weil er sich in der Nummer geirrt hatte.

Mrs. Nickleby hatte sich kaum in einem Fauteuil niedergelassen, als Sir Mulberry und Lord Frederic, vom Scheitel bis zu den Fingerspitzen ihrer Handschuhe aufs eleganteste und gewählteste gekleidet, anlangten. Sir Mulberry war noch ein wenig heiserer als tags zuvor, und Lord Frederic sah etwas schläfrig und verstört aus, wozu sich noch der weitere Umstand gesellte, daß beide etwas unsicher auf den Beinen waren, lauter Anzeichen, aus denen Mrs. Nickleby den richtigen Schluß zog, daß sie soeben vom Dinner kämen.

»Wir haben – Madam – wir haben – Ihre liebenswürdige Tochter hochleben lassen«, flüsterte Sir Mulberry Mrs. Nickleby hinter ihr Platz nehmend, zu.

»Aha –«, dachte die welterfahrene Dame, »der Wein geht hinein, die Wahrheit heraus. – Sie sind sehr gütig, Sir Mulberry«, sagte sie laut.

»Nein, nein. – Meiner Seel'!« wehrte Sir Mulberry ab. »Sie sind sehr gütig, meiner Seel'! Es war sehr gütig von Ihnen, daß Sie kamen.«

»Sie wollen sagen, daß es sehr gütig von Ihnen war, mich einzuladen, Sir Mulberry«, erwiderte Mrs. Nickleby, den Kopf mit einem wunderbar schlauen Blick in die Höhe werfend, das Kompliment.

»Ich brenne so sehr auf Ihre nähere Bekanntschaft, mir liegt so viel an Ihrer guten Meinung, und ich wünsche nichts sehnlicher als ein harmonisches gegenseitigem Einvernehmen«, schmeichelte Sir Mulberry mit verhaltenem Spott, »daß Sie ja nicht glauben dürfen, meinen Handlungen liege lediglich selbstloses Interesse zugrunde. Ich bin im Gegenteil verdammt selbstsüchtig – ja, das bin ich. Meiner Seel'.«

»Oh, Sie können nicht selbstsüchtig sein, Sir Mulberry«, girrte Mrs. Nickleby. »In Ihrem offenen, edlen Antlitz steht wenigstens nichts davon geschrieben.«

»Was für eine bewunderungswürdige Beobachterin Sie sind, Madam!« höhnte der Baronet.

»Ach nein, mein Blick ist nicht besonders scharf, Sir Mulberry«, zierte sich Mrs. Nickleby mit einem gewissen Ton in der Stimme, der andeuten sollte, daß sie ganz genau wisse, welch hervorragende Menschenkennerin sie sei.

»Man muß sich rein vor Ihnen fürchten«, lachte Sir Mulberry und warf seinen Freunden einen vielsagenden Blick zu, »man muß sich rein vor Mrs. Nickleby fürchten. – Nein, so ein wirklich durchdringender Verstand!«

Die Herren Pyke und Rupfer schüttelten geheimnisvoll ihre Köpfe und versicherten einander, daß sie das schon längst herausgefunden hätten, worauf Mrs. Nickleby kicherte, Sir Mulberry lachte und Pyke und Rupfer laut herausbrüllten.

»Aber wo bleibt denn mein Schwager, Sir Mulberry?« fragte Mrs. Nickleby plötzlich. »Es würde unschicklich sein, wenn ich ohne ihn hier wäre. Ich hoffe, er wird doch noch kommen?«

»Pyke«, sagte Sir Mulberry, holte einen Zahnstocher hervor und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als sei er zu träge, eine Antwort auf diese Frage zu ersinnen, »wo ist Ralph Nickleby?«

»Rupfer«, wendete sich Pyke, die Miene des Baronets nachahmend, an seinen Freund, ihm das Lügen überlassend, »wo ist Ralph Nickleby?«

Mr. Rupfer war gerade im Begriff, irgendeine ausweichende Antwort zu geben, als ein Geräusch, veranlaßt durch den Eintritt einiger Personen in die Loge nebenan, die Aufmerksamkeit aller vier Herren, die sich dabei vielsagende Blicke zuwarfen, in Anspruch nahm. Kaum hatten die neuen Ankömmlinge miteinander zu sprechen begonnen, da nahm Sir Mulberry plötzlich die Stellung gespannten Horchens an und beschwor seine Freunde, nicht zu atmen – »nein, nicht einmal zu atmen.«

»Warum nicht?« fragte Mrs. Nickleby. »Was gibt's denn?«

»Pst«, gebot ihr Sir Mulberry Schweigen und legte ihr die Hand auf den Arm. »Lord Frederic, erkennen Sie die Stimme?«

»Der Teufel soll mich holen – äh –, wenn es mir nicht vorkommt, als wäre es die Stimme von Miss Nickleby.«

»O Himmel, Mylord!« rief die Witwe und spähte um den Seitenvorhang herum. »Wirklich, du bist's, Kate. Mein liebes Kätchen!«

»Du hier, Mama? – Ist's denn möglich?«

»Möglich, mein Kind? Warum denn nicht?«

»Und wen – um Gottes willen – wen hast du da bei dir, Mama?« fragte Kate erstaunt und fuhr zurück, als sie eines Herrn ansichtig wurde, der ihr lächelnd Kußhändchen zuwarf.

»Wen meinst du wohl, mein Kind?« versetzte Mrs. Nickleby stolz und wendete sich ein wenig zu Mrs. Wititterly hin, damit die Dame die Namen auch genau hören könne. »Es ist Mr. Pyke, Mr. Rupfer, Sir Mulberry Hawk und Lord Frederic.«

»Barmherziger Gott!« dachte Kate, »wie kommt sie in diese Gesellschaft?«

Eine Flut von bösen Ahnungen, die plötzliche Überraschung, die Erinnerung an das, was bei Ralphs Dinner vorgefallen war, alles das bewirkte, daß Kate totenblaß wurde. Mrs. Nickleby nahm es sofort wahr und deutete es vermöge ihres ungewöhnlichen Scharfsinns als die Anzeichen einer leidenschaftlichen Liebe. Nicht wenig entzückt bei dieser Entdeckung, verminderte das doch nicht ihre natürliche mütterliche Besorgnis, und eiligst verließ sie ihren Sitz, um in die Loge Mrs. Wititterlys zu eilen.

Mrs. Wititterly, aufgeregt die günstige Gelegenheit, einen wirklichen Lord und einen Baronet kennenzulernen, wahrnehmend, verlor keine Zeit, ihrem Gatten einen Wink zu geben, er möge die Türe öffnen. Und in weniger als dreißig Sekunden hatte Mrs. Nicklebys Gesellschaft einen Einfall in die Wittitterlysche Loge gemacht und sie dadurch so vollgepfropft, daß für die Herren Pyke und Rupfer kaum Raum genug blieb, die Köpfe und die Westen hereinzustecken.

»Mein liebes Kätchen«, rief Mrs. Nickleby besorgt und küßte ihre Tochter zärtlich, »wie schlecht hast du noch vor einem Augenblick ausgesehen! Ich versichere dir, ich bin förmlich erschrocken.«

»Es kam – dir nur so vor, Mama, – der – der – Widerschein der Lichter vielleicht«, stammelte Kate, sah sich ängstlich um und erkannte sofort die Unmöglichkeit, ihrer Mutter irgendeine Erklärung oder Warnung zuzuflüstern.

»Siehst du denn Sir Mulberry Hawk nicht, mein Kind?« Kate biß sich in die Lippen und wandte das Gesicht zur Bühne.

Aber Sir Mulberry Hawk ließ sich nicht so leicht abschütteln, trat mit ausgestreckter Hand näher und nötigte dadurch Kate, ihm die Fingerspitzen zu reichen. Sir Mulberry hielt sie fest und murmelte eine Flut von Schmeicheleien, die Kate nach alldem, was vorgefallen, natürlich nur als neuerliche Beleidigungen auffassen mußte. Dann folgte eine Erkennungsszene mit Lord Frederic, eine Begrüßung seitens Mr. Pykes, ein Kompliment von Mr. Rupfer, und, um das Maß vollzumachen, sah sich Kate durch Mrs. Wititterlys Geheiß genötigt, ihr alle diese Herren, die sie nur mit dem höchsten Unwillen und Abscheu betrachten konnte, in aller Form vorzustellen.

»Meine Gattin ist entzückt«, säuselte Mr. Wititterly, sich die Hände reibend, »– ich versichere, Mylord – ganz entzückt, eine Bekanntschaft zu machen, die, wie ich hoffe, Mylord, eine dauernde sein wird. Liebe Julia, ich bitte dich, laß dich nicht zu sehr aufregen, bedenke deine Nerven! – Mrs. Wititterly ist von äußerst sensibler Konstitution, Sir Mulberry, die Schnuppe einer Kerze – der Docht einer Lampe – der Duft eines Pfirsichs – der Flügelstaub eines Schmetterlings; Sie könnten sie wegblasen, Mylord, Sie könnten sie wegblasen.«

Sir Mulberry machte ein Gesicht, als ob es ihm sehr lieb wäre, wenn jemand die Dame wegbliese, versicherte aber, daß das Entzücken durchaus gegenseitig sei. Lord Frederic beteuerte dasselbe, und auch die Herren Pyke und Rupfer drängten sich murmelnd heran, um an der Wechselseitigkeit dieser Gefühle sich ihren Teil nicht nehmen zu lassen.

»Ich interessiere mich, Mylord« – flötete Mrs. Wititterly mit einem schmachtenden Lächeln – »ach, ich interessiere mich so ungemein für Schauspiel.«

»J-a – äh – es ist sehr interessant«, näselte Lord Frederic.

»Ich fühle mich nach Shakespeare stets krank. Ich bin am nächsten Tage sozusagen kaum mehr vorhanden. Die Reaktion nach einem Trauerspiel ist so gewaltig, Mylord, und Shakespeare ist so entzückend.«

»J-a – äh«, erwiderte Lord Frederic. »War ein talentierter Bursche.«

»Ich muß Ihnen gestehen, Mylord«, fing Mrs. Wititterly nach einer längeren Pause wieder an, »seit ich in dem allerliebsten armseligen Häuschen war, wo er auf die Welt kam, interessiere ich mich noch viel mehr für seine Stücke. – Sind Sie je dort gewesen, Mylord?«

»Nein – äh – nie.«

»Oh, dann müssen Sie hingehen, Mylord! Ich weiß nicht, wie es kommt, aber wenn man den Ort gesehen und seinen Namen in das kleine Fremdenbuch eingeschrieben hat, ist man wie inspiriert. Es entzündet förmlich ein Feuer in einem.«

»J-a«, erwiderte Lord Frederic, »ich sollte wahrhaftig mal hinfahren.«

»Julia, mein Leben«, fiel Mr. Wititterly ein, »du leitest Seine Herrlichkeit irre – Mylord, sie leitet Sie irre, ohne es zu wollen. – Deine poetische Veranlagung, meine Liebe, dein ätherisches Wesen, deine glühende Einbildungskraft läßt dich das alles in berückenden Farben sehen. – Ich versichere, an dem Häuschen ist gar nichts – liebe Julia – gar nichts.«

»Ich sollte doch meinen, daß es damit so seine Bewandtnis hat«, mischte sich Mrs. Nickleby, die bisher schweigend zugehört hatte, ins Gespräch; »gleich nach meiner Hochzeit fuhr ich mit meinem armen seligen Manne von Birmingham aus in einer Postkutsche – war es nicht eine Postkutsche? Ja natürlich, es muß eine Postkutsche gewesen sein, denn ich erinnere mich noch ganz genau, wie es mir auffiel, daß der Postillion einen grünen Schirm über dem linken Auge trug; ich fuhr also in einer Postkutsche von Birmingham nach Stratford, und nachdem wir Shakespeares Grab und sein Geburtshaus gesehen hatten, gingen wir in das Wirtshaus zurück und blieben dort über Nacht. Ich erinnere mich ganz genau, daß mir die ganze Nacht über immerwährend von einem schwarzen Herrn aus Gips, in Lebensgröße, träumte, dessen umgeschlagener Kragen von zwei Troddeln zusammengehalten wurde. Er lehnte nachdenklich an einem Pfeiler, und als ich am Morgen aufwachte und die Gestalt meinem seligen Manne beschrieb, sagte dieser, es wäre fraglos Shakespeare gewesen. – Das war doch gewiß höchst sonderbar. – Nicht? – Stratford – Stratford«, fuhr Mrs. Nickleby nachsinnend fort, »ja, jetzt weiß ich es ganz gewiß, ich erinnere mich, ich war damals mit meinem Sohn Nikolas in der Hoffnung, und am Morgen hatte mich ein italienischer Gipsfigurenjunge sehr erschreckt. Es war wirklich ein Glück, Madam«, flüsterte sie Mrs. Wititterly ins Ohr, »daß ich mich nicht ›versehen‹ habe und mein Sohn nicht als Shakespeare auf die Welt kam. – Es wäre schrecklich gewesen.«

Als Mrs. Nickleby diese erquickliche Reminiszenz glücklich an den Mann gebracht hatte, machten Pyke und Rupfer – stets übereifrig, wenn es galt, die Interessen ihres Gönners zu fördern – den Vorschlag, ein Teil der Gesellschaft möge sich vielleicht in die nächste Loge verfügen; und die Maßnahmen dazu wurden mit solcher Gewandtheit getroffen, daß Kate trotz aller ihrer Widerrede keine andere Wahl blieb, als sich von Sir Mulberry Hawk hinüberführen zu lassen. Mrs. Nickleby und Mr. Rupfer gingen mit; aber die arglose Witwe vermied mit mütterlicher Diskretion sorgsam, den ganzen Abend auf ihre Tochter zu blicken, und tat, als wäre sie von Mr. Rupfer – der natürlich den Auftrag hatte, sie abzulenken – und seiner geistessprühenden Unterhaltung geradezu hingerissen.

Lord Frederic blieb bei Mrs. Wititterly, von Mr. Pyke unterstützt, der gelegentlich ein paar Worte einflickte. Ihr Gatte war inzwischen im ganzen Hause rastlos tätig, allen möglichen Freunden und Bekannten zu verraten, die beiden Herren in Mrs. Wititterlys Loge seien Seine Herrlichkeit Lord Frederic und dessen Busenfreund, der liebenswürdige Baronet Sir Mulberry Hawk – eine Eröffnung, die alles mit Neid und Eifersucht erfüllte und sechzehn unverheiratete Töchter fast an den Rand der Verzweiflung brachte.

Endlich war das Stück aus, aber Kate mußte es noch über sich ergehen lassen, daß Sir Mulberry sie die Treppen hinunterführte, wobei die Herren Pyke und Rupfer es geschickt einrichteten, daß sie und der Baronet die letzten im Zuge waren und ein wenig hinter der übrigen Gesellschaft zurückblieben.

»Warum so schnell? – Nur langsam, langsam«, sagte Sir Mulberry, als Kate vorwärts drängte und ihren Arm loszumachen suchte.

Sie erwiderte nichts und vermehrte nur ihre Bemühungen.

»Ich gebe das nicht zu«, bemerkte Sir Mulberry kaltblütig und zwang sie brüsk zum Stillstehen.

»Ich muß bitten, daß Sie mich loslassen, Sir«, fuhr Kate erzürnt auf.

»Und warum, wenn ich fragen darf? Immer noch stellen Sie sich ungnädig, Sie süßes Geschöpfchen?«

»Stellen?« wiederholte Kate mit Entrüstung. »Wie kommen Sie überhaupt zu der Frechheit, mit mir zu sprechen, Sir, mich anzureden, mir unter die Augen zu treten?«

»Wie hübsch Ihnen die Erregung steht, Miss Nickleby«, flüsterte Sir Mulberry Hawk heiß und beugte sich nieder, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können.

»Ich kenne Ihnen gegenüber kein anderes Gefühl als das der tiefsten Verachtung und des äußersten Abscheus, Sir«, erwiderte Kate. »Wenn Sie an Blicken, die solche Empfindungen ausdrücken, Gefallen finden, so – aber zurück jetzt! Lassen Sie mich augenblicklich zu meiner Gesellschaft. Ich müßte alle Rücksicht beiseite lassen und einen Weg einschlagen, der selbst Ihnen peinlich sein dürfte, wenn Sie mich nicht auf der Stelle loslassen.«

Sir Mulberry lächelte nur und ging – ihr noch immer ins Gesicht blickend und ihren Arm festhaltend – zur Ausgangstüre.

»Wenn Sie schon nicht die Achtung für mein Geschlecht oder meine hilflose Lage veranlassen kann, von Ihrer rohen und unritterlichen Verfolgung abzulassen«, sagte Kate, im Sturm ihrer Gefühle kaum wissend, was sie sprach, »so habe ich einen Bruder, der Sie eines Tages schwer zur Rechenschaft ziehen wird.«

»Meiner Seel'«, rief Sir Mulberry und legte frech seinen Arm um ihre Taille, »Sie werden immer schöner, je mehr Sie sich erregen, und gefallen mir womöglich noch besser, als wenn Sie die Augen niederschlagen.«

Kate gelangte zur Vorhalle, ohne selbst zu wissen wie, riß sich von ihrem Begleiter los und sprang in die Kutsche. Dort drückte sie sich in die hinterste Ecke und brach in Tränen aus. Um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft abzulenken, arrangierten die Herren Pyke und Rupfer sofort eine große Verwirrung, schrien nach den Equipagen und fingen mit einigen Umherstehenden einen heftigen Streit an. Mitten in diesem Tumult brachten sie die erschrockene Mrs. Nickleby in ihren Wagen. Als auch Mrs. Wititterly und ihr Gatte glücklich untergebracht waren, blieben sie mit Lord Frederic und Sir Mulberry in der Säulenhalle zurück und brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Na also!« wandte sich Sir Mulberry zu seinem hochgeborenen Freund, »sagte ich Ihnen nicht gestern abend, daß wir dieses alberne Pack übertölpeln würden, wenn wir durch Bestechung eines Bedienten ihre Loge ausfindig machten und mit der Mutter gerade nebenan Platz nähmen? Famos geglückt. – Alles in vierundzwanzig Stunden!«

»Ja«, maulte der adelige Gimpel, »aber ich habe den ga-anzen Abend mit der alten Schachtel aushalten müssen.«

»Da höre einer«, sagte Sir Mulberry entrüstet zu seinen zwei Trabanten, »da höre einer diesen unzufriedenen Brummer. Sollte man's da nicht verschwören, ihm je wieder bei seinen Plänen und Ränken Beistand zu leisten? Muß einen das nicht höllisch verdrießen?«

Pyke fragte Rupfer und Rupfer Pyke, ob so etwas einen nicht höllisch verdrießen müsse, ohne daß einer von beiden die Frage beantwortete.

»Äh – habe ich vielleicht nicht recht?« näselte Lord Frederic.

»War es nicht so?«

»Wa-ar es nicht so?« höhnte Sir Mulberry. »Wie haben Sie's denn haben wollen? Wären wir vielleicht bei der ersten Begegnung allesamt eingeladen worden, ›zu kommen, wenn es beliebt, zu gehen, wenn es beliebt, zu bleiben, solange es beliebt‹, wenn nicht Sie – der Lord – sich der dummen Gans von einer Frau vom Hause angenehm gemacht hätten? Kümmere ich mich vielleicht um das Mädchen aus einem anderen Grunde als um Ihretwillen? Habe ich nicht den ganzen Abend Ihr Loblied in ihr Ohr gesungen und um Ihretwillen ihre spitzigen und schnippischen Redensarten hingenommen? Wie dick, glauben Sie wohl, ist mein Fell? Da hört sich doch schon alles auf.«

»Sie sind ein verteufelt guter Kerl, ich seh's ja ein«, gab der arme junge Lord zu und ergriff den Arm seines treuen Freundes. »Meiner Seel', Sie sind ein verteufelt guter Kerl, Hawk.«

»Und habe ich's nicht gut gemacht – wie?« murrte Sir Mulberry.

»Sehr – äh – famos.«

»Na also, dann bin ich zufrieden«, brummte Sir Mulberry.

»Aber jetzt schauen wir, daß wir zum Spiel kommen und an dem deutschen Baron und dem Franzosen Revanche nehmen, die Ihnen gestern abend die Taschen ausgeleert haben.«

Mit diesen Worten nahm der opferwillige Baronet den jungen Lord beim Arm, führte ihn hinaus und warf dabei mit einem verächtlichen Lächeln den Herren Pyke und Rupfer einen verständnisinnigen Blick über die Schulter zu. – Die beiden Gentlemen steckten ihre Taschentücher in den Mund, um nicht laut herauszulachen, und folgten ihrem Gönner und seinem Opfer in einiger Entfernung.


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