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Die zweite von den beiden Begegnungen, deren ich im vorigen Kapitel erwähnte, fand etwa eine Woche nach der ersten statt. Ich hatte wieder, wie damals, mein Boot auf der Werst unterhalb der Brücke gelassen; die Zeit war Nachmittags, eine Stunde früher, und da ich unentschlossen darüber war, wo ich zu Mittag speisen sollte, war ich in Cheapside eingebogen und schlenderte diese Straße entlang – ganz gewiß der Unruhigste unter all den geschäftigen Leuten – als mir von Jemand, der mich einholte, eine schwere Hand auf die Schulter gelegt wurde. Es war dies Mr. Jaggers Hand, und er legte sie in meinen Arm.
»Da wir in derselben Richtung gehen, Pip, so können wir zusammen gehen. Wohin gehen Sie?«
»Nach dem Temple, denke ich,« sagte ich.
»Wissen Sie's nicht?« sagte Mr. Jaggers.
»Nun,« sagte ich, froh, wenigstens für diesmal im Kreuzverhöre über ihn den Vortheil zu haben, »ich weiß es allerdings nicht, denn ich habe noch nichts darüber bestimmt.«
»Sie gehen doch, um zu Mittag zu speisen?« sagte Mr. Jaggers. »Sie haben doch nichts dagegen, das zuzugeben, wie?«
»Nein,« sagte ich, »das will ich zugeben.«
»Und sind nicht eingeladen?«
»Auch das will ich noch zugeben.«
»Dann,« sagte Mr. Jaggers, »kommen Sie und speisen Sie bei mir.«
Ich war im Begriffe, mich zu entschuldigen, als er hinzufügte: »Wemmick kommt auch.« Deshalb veränderte ich meine Entschuldigung zu einer Annahme seiner Einladung – da die paar Worte, welche ich geäußert, für den Anfang von der einen sowohl, als von der andern gelten konnten – und so gingen wir denn Cheapside hinunter und bogen in Little Britain ein, wo die Lichter hell in den Schaufenstern der Kaufläden aufblitzten und die Lampenwärter, welche in dem Menschengedränge kaum Platz fanden, um ihre Leitern aufzustellen, dieselben hinauf und hinab eilten und in dem immer dichter werdenden Nebel mehr rothe Augen öffneten, als mein Nachtlichtthurm in den Hummums weiße auf die gespenstische Wand geworfen hatte.
In der Expedition in Little Britain gab es das gewöhnliche Briefschreiben, Händewaschen, Lichtputzen und Geldschrankverschließen, womit das Geschäft für den Tag geschlossen wurde. Während ich müssig vor Mr. Jaggers' Kaminfeuer stand, gab das Sinken und Flackern der Flammen desselben den beiden Gypsköpfen das Ansehen, als ob sie ein teuflisches Verstecken mit mir spielten, während die beiden dicken, fettigen Kerzen, welche Mr. Jaggers, der in einer Ecke schrieb, düster beleuchteten, wie zur Erinnerung an eine Schaar gehangener Clienten mit schmutzigen »Todtenhemden« decorirt schienen.
Wir fuhren alle Drei zusammen in einem Miethwagen nach der Gerard-Straße, und sobald wir dort angelangt waren, wurde das Mittagsmahl aufgetragen. Obgleich ich nicht daran gedacht haben würde, hier auch nur die entfernteste Andeutung auf Mr. Wemmicks Walworth-Ansichten zu machen, so hätte ich doch nichts dagegen gehabt, hin und wieder einen freundschaftlichen Blick von ihm aufzufangen. Aber es gelang mir nicht. Er richtete seine Augen, sowie er sie vom Tische erhob, nur auf Mr. Jaggers, und war so trocken und zurückhaltend gegen mich, wie wenn es Zwillinge von Wemmicks gegeben hätte, und er der verschlossene gewesen wäre.
»Haben Sie Mr. Pip jenes Billet von Miß Havisham zugeschickt, Wemmick?« fragte Mr. Jaggers, bald nachdem wir uns zu Tische gesetzt hatten.
»Nein, Sir,« entgegnete Wemmick; »ich wollte es eben auf die Post geben, als Sie Mr. Pip mit sich in die Expedition brachten. Hier ist es.« Er reichte dasselbe, anstatt es mir zu geben, seinem Principal hin.
»Es ist ein Billet von zwei Zeilen, Pip,« sagte Mr. Jaggers, indem er es mir gab, »welches Miß Havisham zu mir hergeschickt hat, weil sie Ihre Adresse nicht genau wußte. Sie sagt mir, daß sie Sie in einer kleinen Geschäftsangelegenheit zu sprechen wünscht, von der Sie mit ihr gesprochen haben. Sie werden hinreisen?«
»Ja,« sagte ich, indem ich das Billet, welches genau in jenen Worten abgefaßt war, mit den Augen durchlief.
»Wann gedenken Sie hinzureisen?«
»Ich habe zunächst eine Geschäftssache vor mir,« sagte ich, mit einem Seitenblicke auf Wemmick, welcher Fisch in den Briefkasten that, »die mich in der Verfügung über meine Zeit etwas unsicher macht. Aber ich denke, sehr bald.«
»Falls Mr. Pip bald hinzureisen beabsichtigt,« sagte Wemmick zu Mr. Jaggers, »so wird er keine Antwort zu schreiben nöthig haben, wissen Sie.«
Da ich hierin einen Wink sah, daß es am besten sein würde, die Fahrt nicht zu verschieben, so beschloß ich, am folgenden Tage hinzureisen, und sagte dies. Wemmick trank ein Glas Wein und schaute mit grimmig zufriedener Miene Jaggers, nicht mich an.
»Also Pip,« sagte Mr. Jaggers, »unser Freund, die Spinne, hat sein Spiel gut gespielt. Er hat den Einsatz gewonnen.«
Es gelang mir mit Mühe, eine beistimmende Antwort zu geben.
»Ha! Er ist ein vielversprechender Bursche – auf seine Weise – aber er mag doch vielleicht nicht in Allem seinen Willen haben. Der Stärkste wird zuletzt gewinnen, aber es kommt noch erst darauf an, wer der Stärkste ist. Falls er sie schlagen sollte …«
»Sie glauben doch nimmermehr,« unterbrach ich ihn mit glühendem Antlitz und Herzen, »daß er Schurke genug wäre, um dies zu thun, Mr. Jaggers?«
»Ich habe das nicht gesagt, Pip. Ich sehe nur den Fall. Falls er sie schlagen sollte, so ist es möglich, daß die Stärke auf seiner Seite sein würde; wäre es dagegen eine Frage des Verstandes, so würde letzteres nicht der Fall sein. Es wäre schwer, eine Meinung darüber auszusprechen, wie ein derartiger Mensch sich unter solchen Umständen verhalten würde, denn es ist dies eine Frage, die zwischen zwei Resultaten liegt.«
»Darf ich fragen, welche dies sind?«
»Ein Bursche wie unser Freund, die Spinne,« antwortete Mr. Jaggers, »wird entweder schlagen, oder kriechen. Er mag vielleicht kriechen und brummen, oder kriechen und nicht brummen: aber er wird entweder schlagen, oder kriechen. Fragen Sie Wemmick um seine Meinung,«
»Wird entweder schlagen oder kriechen,« sagte Wemmick, durchaus nicht zu mir gewendet.
»Also auf das Wohl von Mrs. Bentley Drummle,« sagte Mr. Jaggers, indem er eine Caraffe vorzüglichen Weines von dem Nebentische nahm, und sowohl sein Glas als die unsrigen füllte; »und möge die Frage der Oberherrschaft zur Zufriedenheit der Dame ausfallen! Zur Zufriedenheit der Dame und des Herrn wird sie nimmer ausfallen. Nun, Molly, Molly, Molly, Molly, wie langsam Du heute bist!«
Sie stand neben ihm, als er zu ihr sprach, und setzte eine Schüssel vor ihn auf den Tisch. Als sie ihre Hände wieder zurückzog, trat sie einen oder zwei Schritte zurück, indem sie eine Entschuldigung murmelte, wobei eine gewisse Bewegung ihrer Finger meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Was giebts?« sagte Mr. Jaggers.
»Nichts,« sagte ich, »als daß der Gegenstand, von dem wir sprachen, ein ziemlich peinlicher für mich war.«
Die Bewegung ihrer Finger glich der des Strickens. Sie stand und schaute ihren Herrn an, indem sie nicht verstand, ob sie Erlaubniß habe zu gehen, oder ob er ihr noch etwas zu sagen habe und sie zurückrufen würde, falls sie ginge. Ihr Blick war sehr aufmerksam. Gewiß, ich hatte ganz kürzlich, bei einer denkwürdigen Gelegenheit, solche Augen und solche Hände gesehen!
Er entließ sie, und sie glitt aus dem Zimmer. Aber ich hatte sie noch immer so klar vor Augen, wie wenn sie geblieben wäre. Ich sah diese Hände, diese Augen, dieses wallende Haar an, und ich verglich sie mit den Händen, den Augen, dem Haar einer andern Person, die ich kannte, und dachte, wie sie wohl nach zwanzig Jahren eines stürmischen Lebens mit einem rohen Manne aussehen würde. Ich sah abermals im Geiste die Hände und die Augen der Haushälterin an, und dachte an das unerklärliche Gefühl, das mich beschlichen, als ich das letzte Mal – nicht allein – in dem wüsten Warten und in der verlassenen Brauerei spazieren gegangen war. Ich dachte daran, wie mich dasselbe Gefühl beschlichen, als ich durch das Postwagenfenster ein Gesicht mich hatte anblicken und eine Hand mir hatte zuwinken sehen; und wie es abermals zurückgekehrt und mich wie ein Blitz durchfahren hatte, als ich in einem Wagen – nicht allein – in einer dunklen Straße durch eine plötzliche Helle dahinfuhr. Ich dachte daran, wie ein einziges Verbindungsglied zu jener Identification im Theater geführt, und wie ein solches Glied, das vorher gefehlt, jetzt für mich geschmiedet worden, indem ich durch Zufall blitzschnell von Estellas Namen zu der strickenden Bewegung jener Finger und zu den aufmerksamen Augen überging. Ich fühlte die vollkommenste Gewißheit, daß jene Frau Estellas Mutter sei.
Mr. Jaggers hatte mich in Estellas Gesellschaft gesehen, und es war nicht wahrscheinlich, daß er nicht die Gefühle erkannt, die ich zu verbergen mir keine Mühe gab. Er nickte, als ich sagte, der Gegenstand sei ein reinlicher für mich, klopfte mich auf die Schulter und fuhr zu essen fort.
Die Haushälterin ließ sich nur noch zwei Mal wieder sehen, und ihr Aufenthalt im Zimmer war jedes Mal nur kurz, und Mr. Jaggers' Benehmen gegen sie streng. Aber ihre Hände waren Estellas Hände und ihre Augen Estellas Augen, und wäre sie noch hundert Mal wieder hereingekommen, so hätte ich weder sicherer noch unsicherer darüber sein können, daß meine Ueberzeugung die rechte sei.
Es war ein langweiliger Abend, denn Wemmick bezog seinen Wein, wenn die Flasche zu ihm kam, als wenn es eine Geschäftssache gewesen wäre – ungefähr wie er seinen Gehalt bezogen haben würde, wenn die Zahlungszeit herangekommen – und saß dann, die Augen auf seinen Vorgesetzten gerichtet, in einem Zustande fortwährender Bereitschaft für ein Kreuzverhör da. Was die Quantität des Weines, den er trank, betraf, so zeigte sein Briefkasten sich für dieselbe ebenso bereit und gleichgültig, wie jeder andere Briefkasten dies in Bezug auf die von ihm zu verschlingende Quantität von Briefen sein würde. Von meinem Gesichtspunkte aus war er während der ganzen Zeit der verwechselte Zwillingsbruder, und hatte nur im Aeußern mit dem Wemmick in Walworth Aehnlichkeit.
Wir verabschiedeten uns früh und gingen dann zusammen fort. Schon als wir an Mr. Jaggers Kleiderhaken nach unseren Hüten suchten, fühlte ich, daß der rechte Zwillingsbruder auf dem Rückwege sei, und wir waren noch kein halbes Dutzend Ellen in der Richtung nach Walworth zu von der Gerard-Straße entfernt, als ich schon gewahr wurde, daß ich Arm in Arm mit dem rechten Zwillingsbruder gehe, und der untergeschobene Zwillingsbruder in der Abendluft verduftet sei.
»Nun!« sagte Wemmick, »damit wären wir fertig. Er ist ein erstaunlicher Mann und hat nicht Seinesgleichen; aber ich fühle, daß ich mich zusammenzuschrauben habe, wenn ich mit ihm speise – und ich speise ungeschroben gemüthlicher.«
Ich fand, daß dies eine gute Bezeichnung der Sache sei, und sagte ihm dies.
»Würde es aber keinem Menschen, außer Ihnen, sagen,« antwortete er. »Ich weiß, daß Das, was wir unter uns reden, nicht weiter geht.«
Ich fragte ihn, ob er jemals Miß Havishams Adoptivtochter, Mrs. Bentley Drummle, gesehen habe? Er sagte: nein. Um nichts Uebereiltes zu sagen, sprach ich dann von dem Alten und Miß Skiffins. Er machte ein ziemlich schlaues Gesicht, als ich Miß Skiffins nannte, und blieb auf der Straße stehen, um sich die Nase zu putzen, was er mit einem Wiegen des Kopfes und mit einem Schwenken des Armes that, die nicht ganz frei von einigem Großthun waren.
»Wemmick,« sagte ich dann, »erinnern Sie sich wohl, wie Sie mir, ehe ich Mr. Jaggers zum ersten Male in seinem Privathause besuchte, sagten, ich solle auf seine Haushälterin Acht geben?«
»So?« erwiederte er. »Ah – das ist wohl möglich. Hol mich der Henker,« fügte er plötzlich hinzu, »ich weiß, daß ich es that. Ich sehe, ich bin noch nicht ganz wieder aus dem geschraubten Zustande heraus.«
»Ein gezähmtes wildes Thier nannten Sie sie,« sagte ich.
»Und wie nennen Sie dieselbe?« sagte er.
»Eben so. Wie hat Mr. Jaggers sie gezähmt, Wemmick?«
»Das ist sein Geheimniß. Sie ist bereits seit vielen Jahren bei ihm.«
»Sie könnten mir ihre Geschichte erzählen. Ich fühle ein besonderes Interesse, dieselbe kennen zu lernen. Sie wissen, daß Das, was wir unter uns reden, nicht weiter geht.«
»Wohlan!« sagte Wemmick, »ich kenne ihre Geschichte nicht – das heißt, ich kenne sie nicht ganz. Doch so viel, wie ich weiß, will ich Ihnen erzählen. Natürlich sprechen wir in unseren Privatstellungen.«
»Natürlich.«
»Vor ungefähr zwanzig Jahren wurde jene Frau vor der Old Bailey des Mordes angeklagt und freigesprochen. Sie war eine sehr schöne junge Frau und hatte, wie ich glaube, Zigeunerblut in den Adern. Jedenfalls war dasselbe heiß genug, wenn es einmal aufgeregt wurde, wie Sie sich wohl denken können.«
»Aber sie wurde freigesprochen.«
»Mr. Jaggers war ihr Vertheidiger,« fuhr Wemmick mit einem Blicke voller Bedeutung fort, »und er vertheidigte sie auf eine wahrhaft erstaunliche Weise. Es war ein verzweifelter Fall, und ereignete sich zu einer Zeit, wo Jaggers vergleichsweise noch jung in der Praxis war, aber er erntete allgemeine Bewunderung; ja, man kann fast sagen, daß der Fall sein Glück machte. Er verfocht die Sache während vieler Tage, Tag für Tag selbst vor dem Polizeirichter, indem er sogar gegen das Verweisungserkenntniß kämpfte; und während der Verhandlung, da er nur Attorney war, saß er neben dem Advocaten und lieferte – wie alle Welt wußte – zu Allem Pfeffer und Salz. Die gemordete Person war eine Frau, die gute zehn Jahre älter als sie, sehr viel größer und sehr viel kräftiger war. Es war ein Eifersuchtsfall. Sie führten Beide eine vagabundirende Lebensweise, und diese Frau hier in der Gerard-Straße hatte sich sehr früh mit einem Vagabunden verheirathet – über den Kehrbesen, wie wir es nennen – und war in Bezug auf Eifersucht eine wahre Furie. Die gemordete Frau – die, was die Jahre betrifft, entschieden besser für den Mann gepaßt hätte – wurde in einer Scheune bei Hounslow Heath ermordet gefunden. Es hatte ein heftiger Kampf Statt gefunden. Sie war an dem ganzen Körper zerschlagen, zerkratzt und geschunden, und war zuletzt am Halse ergriffen und erdrosselt worden. Nun aber war kein vernünftiger Grund vorhanden, gegen Jemand anders als diese Frau Verdacht zu hegen, und auf die Unwahrscheinlichkeit, daß sie im Stande gewesen wäre, den Mord zu begehen, stützte Mr. Jaggers hauptsächlich seine Vertheidigung. Sie können versichert sein,« sagte Wemmick, meinen Arm berührend, »daß er damals nicht die Kraft ihrer Hände hervorhob, obgleich er es jetzt vielleicht zuweilen thun mag.«
Ich erzählte Wemmick, wie er uns am Tage der Mittagsgesellschaft ihre Handgelenke gezeigt hatte.
»Nun, Sir!« fuhr Wemmick fort; »diese Frau war zufälligerweise – zufälligerweise, bemerken Sie wohl? – von dem Tage ihrer Verhaftung an, in so schlauer Weise gekleidet, daß sie weit schmächtiger aussah, als sie in Wirklichkeit war; namentlich erinnert man sich, daß ihre Aermel so geschickt arrangirt waren, daß ihre Arme förmlich ein zartes Aussehen dadurch erhielten. Sie hatte nur eine oder zwei Quetschungen an ihrem Körper, was bei einer Vagabundin nichts sagen will; aber die Rückseiten ihrer Hände waren zerfleischt, und die Frage war, ob dies mit Fingernägeln geschehen. Mr. Jaggers nun bewies, daß sie sich durch ein Dorngebüsch gedrängt, das nicht bis an ihr Gesicht heraufgereicht, durch das sie sich aber nicht, ohne ihre Hände zu gebrauchen, durcharbeiten konnte; und kleine Dornen wurden in der That in ihrer Haut gefunden und als Beweisstücke vorgebracht, ebenso die Thatsache, welche eine Untersuchung ergab, daß Jemand durch jene Dorngebüsche gebrochen war, und daß sich in denselben kleine Fetzen von ihren Kleidern und hier und dort kleine Blutflecken zeigten.
Aber sein kühnster Streich war folgender: Als Beweis ihrer Eifersucht führte man an, daß sie stark im Verdachte sei, ungefähr zur Zeit, wo dieser Mord Statt gefunden, in wahnsinniger Wuth ihr Kind von diesem Manne, etwa drei Jahre alt, umgebracht zu haben, um sich an ihm zu rächen. Mr. Jaggers benutzte dies auf folgende Weise: ›Wir sagen, diese Stellen rühren nicht von Fingernägeln, sondern von Dornen her, und wir zeigen Ihnen die Dornen. Sie dagegen sagen, daß dieselben von Fingernägeln herrühren, und stellen die Hypothese auf, daß sie ihr Kind umbrachte. Sie müssen jetzt alle Folgen dieser Hypothese annehmen. So viel wir von der Sache wissen, ist es immerhin möglich, daß sie ihr Kind umgebracht hat, und das Kind kann, indem es sich an sie anklammerte, ihre Hände zerkratzt haben. Was dann? Sie klagen sie nicht des Mordes ihres Kindes an; warum nicht? Was nun diesen Fall betrifft, so sagen wir, wenn Sie auf Kratzwunden bestehen, daß sich dieselben auf diese Weise erklären lassen, wenn wir des Argumentes wegen annehmen, daß Sie dieselben nicht erfunden haben.‹ Um es kurz zu machen, Sir,« sagte Wemmick, »Mr. Jaggers war den Geschworenen zu stark, und sie ergaben sich.«
»Ist sie von jener Zeit an immer in seinem Dienste gewesen?«
»Ja, aber nicht das allein,« sagte Wemmick. »Sie trat gleich nach ihrer Freisprechung, gezähmt, wie sie es jetzt ist, in seinen Dienst. Sie hat seitdem dieses und jenes in Bezug auf ihre Haushaltungspflichten erlernen müssen, aber gezähmt war sie von Anfange an.«
»Entsinnen Sie sich, welches Geschlechts das Kind war?«
»Man sagt, es war ein Mädchen.«
»Sie haben mir sonst heute Abend nichts weiter mitzutheilen?«
»Nichts. Ich erhielt Ihren Brief und vernichtete ihn. Nichts.
Wir wechselten eine herzliche Gute Nacht und ich ging nach Hause – voll neuen Stoffes für meine Gedanken, doch ohne Erleichterung für den alten.
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