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Die Flucht aus Blagoweschtschensk im Jahre 1901

Ich lebte zu jener Zeit als Ansiedler in der Station Sretensk des sabaikalischen Gebiets. Von dort aus war es nicht schwer, meinen Plan auszuführen, denn der Bau der sibirischen Eisenbahn war schon fast vollendet, und man konnte leicht von dort verschwinden. Ich mußte aber auch damals noch damit rechnen, meine Kameraden, die als Ansiedler in dem genannten Gebiet lebten, nicht zu schädigen.

Der dortige Gouverneur erlaubte nämlich vielen von uns, welche ihre Zeit in Kara abgebüßt hatten und zur Ansiedlung im Jakutengebiet bestimmt waren, im Sabaikalgebiet zu verbleiben. Hier fanden wir alle sehr leicht ziemlich gute Beschäftigung und Verdienst an der Eisenbahn und in anderen Unternehmungen. Mit der Arbeit »der Politischen« waren alle sehr zufrieden, und man schätzte ihre Begabung und ihren Eifer sehr hoch. Der Gouverneur schilderte sie in seinen jährlichen Berichten an den Zaren als für das Gebiet sehr nützliche Leute. Die Politischen selbst schätzten ihren Aufenthaltsort sehr und bemühten sich, der Regierung keine Gelegenheit zur Unzufriedenheit und Repressalien zu geben.

Wie die Dinge lagen, hätte die Flucht eines Kameraden sicher zur Verbannung der übrigen ins Jakutengebiet geführt, wo die Lebensbedingungen entsetzliche waren, und das mußten wir sehr in Betracht ziehen. Als ich den Entschluß faßte, zu fliehen, wollte ich es nur dann tun, wenn ich die vollständige Überzeugung haben konnte, daß niemand darunter leiden würde.

Ich hatte damals eine Anstellung in einem Staatsunternehmen, welches »Verwaltung zur Verbesserung der Schiffbarkeit der Flüsse im Amurbassin« hieß. In diesem originellen Unternehmen, wie man ein gleiches wohl kaum in irgend einem anderen Staate finden kann, erhielten Tausende von Menschen große Gagen; eine Anzahl Dampfer und Baggermaschinen, die dem Staate viel Geld kosteten, schwammen auf dem Amur und seinen Nebenflüssen, aber dadurch wurde natürlich keine »Verbesserung der Schiffbarkeit« bewirkt. Vollständig nutzlos wurden jährlich viele Millionen Rubel verausgabt, während das riesige Gebiet ringsum ohne jegliche Landwege und auch selbstverständlich ohne Schulen blieb, zu deren Errichtung die Regierung merkwürdigerweise niemals die nötigen Mittel finden konnte. Wie in anderen ähnlichen Unternehmungen, so waren auch die Ingenieure und Beamten dieser vollkommen nutzlosen Verwaltung immer sehr beschäftigt, schrieben ganze Bücher mit ein- und auslaufenden Papieren voll, wurden abkommandiert und erhielten die üblichen »Fahrt- und Tagesspesen« und waren fest davon überzeugt, daß sie sehr viel vollbrachten und dem Vaterland großen Nutzen stifteten. Die Anstellung in diesem merkwürdigen Unternehmen half mir, ohne jemand von den Kameraden zu schädigen, meinen Plan auszuführen.

Die »Verwaltung der Wasserwege« erstreckte sich über das ganze Amurgebiet. Sie bestand aus drei Bezirken und wurde nach Kreisen und Entfernungen eingeteilt. Die Hauptverwaltung befand sich in der Stadt Blagoweschtschensk. Die Obrigkeit des Gebiets, der Generalgouverneur und die Gouverneure erwiesen den Vorstehern dieses Unternehmens große Achtung und erfüllten immer alle ihre Gesuche. Für mich war es daher nicht schwer, meine Überführung von der Station Sretensk nach Blagoweschtschensk zu erlangen.

Im Herbste 1899 kam ich in Blagoweschtschensk an, und laut Ordnung mußte ich mich sofort zum Polizeimeister begeben. Als ich bei ihm vorsprach, verlangte er, daß ich mich jeden Tag bei dem Pristaw jenes Stadtteils melde, wo ich eine Wohnung finden würde, damit die Polizei immer wisse, daß ich da sei. Ich bewies ihm aber, daß eine solche Forderung vollständig unvereinbar mit meiner Anstellung sei, und schließlich einigten wir uns dahin, daß der Pristaw jeden Tag per Telephon in der Verwaltung fragen sollte, ob ich dort wäre.

In den ersten Tagen rief man mich während meiner Beschäftigung in der Kanzlei zweimal zum Telephon. Doch bald erschien dem Pristaw solch eine Kontrolle wahrscheinlich unnötig, und als er dann zufällig versetzt wurde, vergaß er wohl, seinem Nachfolger den Auftrag, täglich nach mir zu fragen, zu übermitteln; ich lebte von jetzt an tatsächlich ohne Polizeiaufsicht.

In Blagoweschtschensk befanden sich noch einige »politische Verbannte«, die jedoch dem dortigen Gouverneur nicht verpflichtet waren. Deshalb konnte die Flucht irgend eines Politischen den anderen keinen Schaden zufügen.

Eigentlich war ich schon im Frühjahr 1900 zur Flucht bereit, aber der sogenannte »russisch-chinesische Krieg« und das »Bombardement von Blagoweschtschensk« verhinderten mich an der Ausführung bis zum Frühjahr 1901. Auf welche Weise ich Blagoweschtschensk verließ, habe ich ausführlich genug in meinem Buche »Sechzehn Jahre in Sibirien« geschildert. Ich erfuhr später noch, daß man mich in Blagoweschtschensk nicht gleich vermißte und daß niemand durch meine Flucht irgend etwas Unangenehmes widerfuhr.

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