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»Zeugen, Geburt und Tod,
Wann wird es stille!
Wo glüht das Urgebot,
Wo wacht der Wille?«
Otto Julius Bierbaum.
Niemals sah ich die Nacht beglänzter,
diamantisch reizen die Fernen; durch mein staubiges Kellerfenster sticht der Schein der Gaslaternen, schielt auf meine frierenden Hände,
irrender Wille kann sich nicht mehr täuschen
An den hohen Häusern drüben glühen
Und die Sterne sind wie brennende Blicke,
Selbst in meiner kalten Zelle
über meinem dunklen Thale,
ruf'ich aus dem tiefen Turme
Sausend schaukelt eine Not mein Herz
ihrer Strahlen ferne starre Ruten
Sieh, es lichtet sich ein neues Fenster,
Ewige, lächle: Deine Kerzen bleiben,
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Das ist die alte Stimme wieder,
aus langen Träumen jung erwacht; sie sang die allerersten Lieder, trunken und schüchtern, – sie singt und lacht: »Ueber dem grünen Roggenmeere wiegte die Glut zwei Pfauenaugen, blühend roch die brütende Leere; tief im grünen Roggenmeere lag ein Knabe mit blauen Augen. Das war, als du noch Fehle hattest, noch alte Furcht und fremde Scham, als du noch keine Seele hattest, die nur aus Deinem Blute kam. Aber du sahst die Falter leuchten, mit flackernden Flügeln bunt sich greifen; träumte dir von zwei dunkelfeuchten Augen, und die sahst du leuchten unter bunten, flatternden Schleifen. 205 Das war die Zeit des Schaums der Säfte, die Aehren stäubten gelben Seim, vieltausendjährige Ueberkräfte erregten schwellend einen Keim; ahntest unterm andern Kleide andre nackte Glieder klopfen, deine Hände flackerten beide, in die einsam heiße Haide quoll ein erster Samentropfen. Das that die Sehnsucht dieser Erde, die opfernd um die Sonne schweift; sie sprach das allererste Werde, – beichte! die Sprache der Mannheit reift.« |
O daß der Kuß doch ewig dauern möchte,
– starr stand, wie Binsen starr, der Schwarm der Gäste; der Kuß doch ewig, den ich auf die Rechte, tanztaumelnd dir auf Hals und Brüste preßte! Nein, länger duld'ich nicht dies leere Sehnen,
Oh komm! noch fühlt dich zitternd jeder Sinn,
Gieß aus in mich die Schale deiner Glut!
Es schießt die Saat aus ihrem dunklen Schooß,
Satt werden will ich meiner scheuen Lust:
Auf Nelkendüften kommt die Nacht gezogen,
die ich dir streun will, an mich her zu betten,
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Und jenes letzte Mal. Im Nachtcafé
der Vorstadt wieder, müde vom Geruch der schwülen Sofaplüsche und des Punsches, der vor mir glühte, und vom Frauendunst der feuchten Winterkleider; müde, lüstern. 207 Die Tabakswolken schwankten vom Gelächter und feilschenden Gekreisch der bunten Dirnen und Derer, die drum warben; das Gerassel der Alfenidelöffel am Büffett ermunterte den Lärm des Liebesmarktes, ununterbrochen, wie ein Tamburin. Ich saß, den langen Mittelgang betrachtend, und lauschte, wie das Licht des Gaskronleuchters, der drüber hing, sich mühsam mit den Farben aus den Gesichtern um die Marmortische in seiner gelben Sprache unterhielt; wozu der schwarze Marmor blank auflachte. Ich war schon bei der Wahl. Da teilte sich die rote Thürgardine neben mir: ein neues Paar trat ein. Ein kalter Zug schnitt durch den heißen Raum, und Einer fluchte; die Beiden schritten ruhig durch den Schwarm. Mir grade gegenüber, quer am Ende des Ganges, als beherrschten sie den Saal, nahmen sie Platz; der broncene Kronleuchter hing über ihnen wie ein schwerer, alter Thronhimmel; Keiner schien das Paar zu kennen. Doch hört'ich rechts von mir ein heisres Stimmchen: »Bejejent muß ik Die woll schon wo sein!« – Er saß ganz still. Das laute Grau der Luft schrak fast zurück vor seiner krassen Stirne, die wachsbleich an die schwachen Haare stieß; die großen, blassen Augenlider waren tief zugeklappt, auf beiden Seiten lag ihr Schatten um die eingeknickte Nase, der dürre Vollbart ließ die Haut durchscheinen. Nur wenn die üppig kleinere Gefährtin ihm kichernd einen Satz zuzischelte, 208 sah man sein eines schwarzes Auge halb und drehte sich sein langer, dünner Hals langsam, und kroch der nackte Kehlkopf hoch, wie wenn ein Geier nach dem Aase ruckt. Es wurde immer stiller durch den Raum; sie sahen Alle auf den stummen Mann und auf das sonderbar geduckte Weib. »Sie ist ganz jung«, war um mich her ein Flüstern; auch trank sie Milch, und gierig wie ein Kind. Doch schien sie mir fast alt, so oft die Zunge durch eine Lücke ihrer trüben Zähne spitz aus dem zischelnden Munde zuckte, während ihr grauer Blick den Saal belauerte; das Gaslicht brannte drin wie giftiges Grün. Jetzt hob sie sich. Sein Glas stand unberührt; ein großes Geldstück glänzte auf dem Marmor. Sie ging; er folgte automatisch nach. Die rote Thürgardine that sich zu, der kalte Zug schnitt wieder durch die Hitze, doch fluchte keiner; und mir schauderte. Ich blieb für mich, – ich kannte sie auf einmal: es war die Liebesseuche und der Tod. |
– Kaffee, Branntwein, Bier –
im Spelunkenrevier, und ein Lied scholl rührend durch die Thür; und das sangen und spielten die traurigen Vier, ein Vater mit seinen drei Töchtern. Er stand am Ofen, die Geige am Kinn schief neben ihm hockte die Harfnerin, 209 und die Jüngste knixte, und aus das Lied, die Geige die machte ti-flieti-fliet: »War Eine, die nur Einen lieben kunnt« . . . Die dritte ging stumm
Sie sang's mit Glut,
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Ich träume oft von einer bleichen Rose.
Hell ragt ein Berg; sie blüht in seinem Schatten, zum fernen Lichte schmachtend, mit dem matten dem Blumenblick, aus ihrem dunklen Loose. 210 Dann bangt sie mich; tief stockt mein Fuß im Moose.
Denn wie sich auch mein Fuß bemüht zu kämpfen,
Da –: Flügel –: frei! und an der Brust die Blume!
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Kommst du, Grollender?
tief von Unten? Ueber Felsen und Wolken: suchst du mich, im dunkeln Mantel Du, schwarzgekrönter Wetterriese, mit der bleiernen Stirne? Höher doch! näher! herauf zu mir,
Ja, du suchst uns,
Ja, ich
Tobe nur, Kommender! nimm,
Auf, ihr schmetternden Lippen, jauchzt!
Sonne, meine Sonne!
Sonne, mein zitterndes Licht!
Greller doch, Blitze!
Oh, und trifft auch Uns,
Nein, wir fürchten dich
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Charfreitagsruhe. Fühlst du's auch:
dies bange Grün und diesen Hauch, der drüber träumt? Und fühlst du's, wie der Fliederstrauch von Knospen perlt und überschäumt? Und sehnen deine Brüste sich
Denn übermorgen graut der Tag
Viel Glocken läuten zu mir her;
Im Flieder hängt ein altes Laub;
Mir ist, daß meine Seele dich
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Aller Wunder wundersamstes,
länger trug's die Seele nicht. Ihre großen Thränen strömten über dein und mein Gesicht. »Nur für dich!« ein Flehn, ein Stammeln
Doch es wuchs, es hob die Blüte
Denn in meine Welt gehoben,
tranken wir mit unserm Munde
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Träume, träume, du mein süßes Leben,
von dem Himmel, der die Blüten bringt; Blumen winken da, die beben von dem Lied, das deine Mutter singt . . . Träume, träume, Knospe meiner Sorgen,
Träume, träume, Blüte meiner Liebe,
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Aus Mannesadel wächst des Weibes Tugend;
er träumt ein Ziel, sie soll es ihm gebären. Des Griechen Schönheitsinbrunst sah die Sphären beherrscht von Aphroditens Reiz und Jugend; 217 dem Christen aber ward die Reinheit Wesen,
Wann kommt die Zeit, daß Männer freier denken
bis Alle Allen die Erlösung schenken,
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Aber nicht wieder! nein, nie wieder!
Ja, du wolltest mich beglücken: wie sie an dein Fleisch sich drücken, diese kleinen nackten Glieder. Aber mir diese Lust beschauen, ist mir ein Grauen. Zu tief sah ich unsrer zahmen Katze
Decke die Brust zu, wenn die Lippen
Bebt'ich doch selber, als ich ihn küßte,
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Ja, die heilige Familie . . .
Josef ◡ Maria ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ denn das Esulein freute sich eben an dem Heuduft einer trockenen Lilie. ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
Wenn man so von drei vier Kindeln
Blos, hm, weißt du, ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
Weine nicht, mein Herz! der gute
Und, trotz innersten Gelübden,
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Komm, Schatz; komm, Katz; laß das Wimmern!
Nein, das darf dich nicht bekümmern, ob ich auch »treu« bin; rück nur her! Komm: ich hab ein Dutzend Seelen, wer kann all die Kammern zählen, sechse stehen grade leer. 220 Sieh nicht auf den Ring an meinem Finger;
Viel geliebt, noch mehr getrunken,
Hast ja auch schon – Blut verspritzt,
Komm: sei gut, Kind! Gieb mir die Hand!
Sieh mich doch an, du: bin kein Dieb!
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Auch vorbei; und sieben Kreuze
hinter Jede! mein Gelüst ging irr. Aber – ich brauche tiefere Reize: Dich: komm, liebe dich vor mir. Dich nur, Dich nur: deine genossenen Blicke
Oh Du! wenn die Knospen deiner müden
ließ mir's: meine eigenen Freuden
wie du gleich verlassnen Bräuten
wühlst . . . stillst . . . Seele, bricht dein Blick?
Ekelt dich? Ah –: fühlst du nun
auch den reifen
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Ich und mein Freund, wir saßen einmal
in einem menschenheißen Weinlokal; zwei Tisch weit neben uns saßen ein Herr und eine Dame, offenbar – den Ringen nach – ein jüngeres Ehepaar, deren Blicke sich manchmal vergaßen. Mein Freund sah weg, wir lächelten eigen, wir schwiegen unser bestes Schweigen. Der Gatte nahm jetzt die Speisekarte,
Jetzt hob der Gatte das Genick;
Jetzt wurden sich die Beiden schlüssig,
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Bettle nicht vor mir mit deinen Brüsten,
deinen Brüsten bin ich kalt; tausend Jahre alt ist dein Blick mit seinen Lüsten. 225 Sieh mich an, wie Du als Braut gethan:
Willst du Gift aus meiner Wurzel saugen?
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Zwielicht . . . Sterbend hängt die scharfe
Zunge aus dem Lästermaul. Sieh, nun weint dein König Saul, und dein David singt zur Harfe. Alle Kleider sind zerrissen, die den alten König schmückten; brütend hört er den Entzückten nahen aus den Finsternissen. Goliath tot! den König schauert;
Traure nicht um den gebeugten
Und du sahst vor seinem Zelt
Jonathan, zu jeder Frist
Jonathan, wir sahn uns nackt!
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Und einen Feldweg, und um Morgengrauen,
die kahlen Bäume stehen da wie tot, ich aber wandre, ohne aufzuschauen. Ich fühle eine Furcht; und Regen droht. Ich höre den gedüngten Acker schweigen; und heute wird kein Morgenrot. Die Straße teilt sich. In den schwarzen Zweigen sagt keine Tafel mir die rechte Spur: soll ich hinunter, soll ich steigen. Da däucht mir, in der tiefen Flur rief mich mein Name; aus ersticktem Munde. Ich horche; Nichts. Im Osten nur enttaucht ein Licht dem fernen blassen Grunde. Es ist kein Stern, es schimmert warm und traut, mir dämmert eine längst vergangne Stunde, und wieder hör'ich fern und laut die bange Stimme meinen Namen rufen; und mir graut. Mir scheinen plötzlich diese Ackerhufen bekannt; ich bin so wandermatt; und dieser Pfad, und diese Wurzelstufen? hinab! – Schon wird der Abhang glatt; 228 auf Einmal, wie von einem Kinderwagen, springt mir ein Rad unter den Füßen auf. Ich seh es jagen, es springt und rollt den Kiesweg vor mir her, seh's Funken schlagen; mein Schreck, mein Zittern wird Begehr, ich muß ihm nach, es haben! bis zur Kehle hämmert mein Herz, das Rad rennt immer mehr, und immer ruft mich klagend jene Seele und winkt das Licht, das Rad – Ich – jetzt: ich greife, fehle, es ist ein Lichtrad! halt! nach, eh's zerbricht! ich fass'es, stürze – wach'ich? meine matten Finger umklammern es, – nein – nicht: in meiner Hand zerrann es wie ein Schatten . . . |
Eine rote Feuerlilie schreitet
riesig durch die Weltennacht. Von der Sonne bis zum Sirius breitet sich ihr Scharlachkelch. Der Schacht des gezähnten Schlundes kocht von Gluten, düster flammt des Rachens Zackenfirne; um die wirbelnden Gestirne schlingt sie hungrig ihre Samenruten. Gelb aufzüngelnd schlürft sie die getrennten
Taumelnd folgen, brodeln, glühen
Nur ein Brautpaar will noch fühlend enden,
Alles saugt der große Flammenschlund,
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Der Himmel gähnt, der Tag ist auferstanden,
ich habe nun genug geschaut nach Osten; die Seele will in ihren Abendlanden Vollendung kosten. An dem Thor des neuen Evagartens steht ein knöchernes Gerippe, mit dem Ausdruck des Erwartens, aber nicht mehr in der Faust die Hippe. Sein Scheitel schimmert; eine Pfauenfeder ragt aus der Rechten steil zum Himmelsrand, drin sonnt sich tausendfarbig, was ein Jeder war und empfand. In der Stunde einer neuen Frucht perlt ein Strahl aus diesem Spiegel, dann verglimmt die Wonnesucht, still empfängt der dunkle Keim sein Siegel. Schon dämmert Glanz; krystallne Ketten hängen klar her zu dir aus väterlichen Sphären. So sollst auch Du dich aus der Dämmrung drängen und dich verklären, Seele, bis dein starr Gehirn sich lichtet, wie die Sonne scheint durch Eis, und dir deine Brunst beschwichtet und im Traum selbst deinen Willen weiß. Noch flimmert's nur; tief lockt die alte Nacht mit ihrer Schaar verworrner Muttergluten. Doch du wirst wiederkehren! du bist Macht! sieh, rings sind Fluten. wenn zwei Liebende zusammensinken, die du Einmal nur erleuchtet, 231 und im Rausche blind ertrinken, wird die Frucht von Deinem Licht befeuchtet. So tagt es. Mit dem Ausdruck des Verächters sollst du dem alten Garten kalt entschreiten: dir weist die Pfauenfeder unsres Wächters Unsterblichkeiten. |
Nun verging der Stern der Frühe,
meine Augenlider brennen; und die Sonne kann mit Mühe die gefrornen Nebel trennen. Mich verdrießt mein nächtlich Brüten;
Dieser Keller: dumpfer Zwinger!
Denn ich weiß, du bist Astarte,
Aber Ich war weich wie glühend Eisen;
Nicht mehr will ich meine Brunst kasteien,
Nach der Nacht der blinden Süchte
Tagraubvögel, die zum Fliegen
Glitzernd winkt mein Horst, – Du Eine,
Schon errötet dort der Giebel;
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