Daniel Defoe
Robinson Crusoe
Daniel Defoe

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Das jetzt folgende Jahr war das angenehmste unter allen, die ich auf der Insel zugebracht habe. Freitag fing an, ganz gut sprechen zu lernen und verstand die Namen fast aller Gegenstände und aller Orte, nach denen ich ihn schickte. Er schwatzte ohne Unterlaß mit mir, und ich gebrauchte jetzt meine Zunge wieder sehr eifrig, nachdem ich so lange keine Gelegenheit sie zu benutzen gehabt hatte. Außer dem Vergnügen, mich mit ihm zu unterhalten, machte mir mein Gefährte auch in anderer Hinsicht viel Freude. Die einfache, unverstellte Redlichkeit seiner Seele offenbarte sich mir jeden Tag mehr, und ich begann, ihn von Herzen lieb zu gewinnen. Andrerseits faßte auch er eine solche Liebe zu mir, wie er sie früher wohl für kein anderes Wesen gefühlt haben mochte.

Einmal gelüstete es mich zu versuchen, ob er wohl ein starkes Verlangen nach der Rückkehr in seine Heimat habe. Da er jetzt genug Englisch verstand, um fast auf alle meine Fragen antworten zu können, fragte ich ihn, ob das Volk, zu dem er gehöre, nie eine Schlacht gewonnen habe. Lächelnd erwiederte er. »Ja, ja, wir immer fechten das Beste«, womit er sagen wollte, daß sein Volk immer siegreich kämpfe. Hierauf hatten wir folgendes Gespräch: »Wenn Ihr«, sagte ich, »immer das Beste fechtet, wie kommt es dann, Freitag, daß du gefangen genommen wurdest?«

Freitag: »Mein Volk trotzdem schlägt das Meiste«.

Ich: »Wie so schlagen? Wenn dein Volk sie schlägt, wie konntest du gefangen werden?«

Freitag: »Sie viel mehr waren als wir; sie eins, zwei, drei und mich gefangen haben. Mein Volk sie auch geschlagen haben, aber auf Platz, wo ich nicht war. Dort mein Volk gefangen haben eins, zwei, ein großes Tausend«.

Ich: »Aber weshalb haben die Deinigen dich nicht aus der Hand der Feinde befreit?«

Freitag: »Sie mit eins, zwei, drei und mir fortlaufen und in Canoe bringen. Mein Volk damals nicht hatten Canoe«.

Ich: »Nun, und was macht dein Volk mit den Gefangenen? Bringt es sie auch fort und frißt sie, wie Jene thun?«

Freitag: »Mein Volk ißt Mensch auch. Ißt sie Alle auf«.

Ich: »Wohin bringt Ihr sie denn?«

Freitag: »An andern Ort, wohin man will«.

Ich: »Kommt Ihr auch hierher?«

Freitag: »Ja, ja, hierher, auch an andern Platze«.

Ich: »Bist du denn auch schon mit hier gewesen?«

Freitag: »Ja, auch hier gewesen bin«. (Hierbei zeigte er nach der Nordwestseite der Insel, wo der gewöhnliche Landungsplatz seiner Landsleute zu sein schien.)

Hierdurch hatte ich also erfahren, daß Freitag unter jenen Wilden gewesen war, die früher auf den entfernteren Inseltheil zu kommen pflegten, und daß ihn ehedem ganz dieselbe Veranlassung, um derentwillen er selbst hierher gebracht war, dahin geführt hatte. Einige Zeit darauf, als ich Muth genug fühlte, mit ihm an jene Stelle zu gehen, erkannte er sie sofort wieder. Wie er mir sagte, war er einmal dort gewesen, als er und seine Leute zwanzig Männer, zwei Weiber und ein Kind verzehrt hatten. Die Zahl zwanzig verdeutlichte er mir, da er sie auf Englisch nicht aussprechen konnte, indem er die entsprechende Anzahl Steine in einer Reihe auf die Erde legte und mich aufforderte, sie zu zählen.

Das obige Gespräch habe ich hauptsächlich deshalb angeführt, weil es die Einleitung zu der folgenden Mittheilung Freitags abgab.

Nachdem ich ihn gefragt hatte, wie weit sein Land von unserer Insel sei und ob die Canoes nicht oft untergingen, erwiederte er, es sei keine Gefahr dabei, und nie sei eins verloren gegangen. Denn wenn man ein wenig nach der See hinkomme, so finde sich da eine Strömung, die sich Morgens immer in einer andern Richtung als des Nachmittags bewege. Damals glaubte ich, dies beziehe sich nur auf den Wechsel von Ebbe und Flut, später aber erfuhr ich, daß es von der Gewalt des Stromwechsels in dem mächtigen Orinokoflusse herrühre, in dessen Golf oder Mündung, wie mir nachmals bekannt wurde, unsre Insel lag. Jenes Land, das ich im Westen und Nordwesten bemerkt hatte, war nämlich die große Insel Trinidad, die nördlich vom Ausfluß des genannten Stromes liegt. Ich richtete von jetzt ab an Freitag tausenderlei Fragen über das Land, die Einwohner, die See, die Küsten und die benachbarten Nationen, und er sagte mir mit der größten Aufrichtigkeit Alles, was er darüber wußte. Durch meine Fragen nach den Namen der Nationen seines Stammes brachte ich jedoch nur den Namen »Caribs« aus ihm heraus. Hieraus entnahm ich leicht, daß es die Karaiben waren, deren Wohnsitze auf unsern Karten zwischen der Mündung des Orinoko bis nach Guyana und weiter bis St. Martin bezeichnet sind. Wie Freitag mir sagte, wohnten weit jenseits des Mondes, das heißt des Monduntergangs, was im Westen seines Landes sein mußte, weißbärtige Männer wie ich, wobei er auf meinen großen Backenbart zeigte. Dieselben hätten schon »viel Mensch« getödtet, wie er sich ausdrückte. Ich entnahm daraus, daß er die Spanier meinte, deren Grausamkeit in Amerika allerorten gewüthet hatte, und deren schlimmes Andenken sich bei allen jenen Nationen forterbte.

Ich fragte dann, wie ich es anfangen könne, von unsrer Insel zu jenen weißen Männern zu gelangen. »Ja ja«, antwortete er, »es gehen kann in zwei Canoes.« Ich verstand nicht, was er damit meinte, und brachte erst nach großen Anstrengungen heraus, daß er unter jener Bezeichnung ein großes Boot, das so umfangreich wie zwei Canoes sei, verstanden hatte.

Diese Unterredung erfreute mich sehr, und seitdem hielt ich die Hoffnung fest, früher oder später einmal die Gelegenheit zu finden, mit Hülfe dieses armen Wilden von meiner Insel zu entrinnen.

Während der langen Zeit, die Freitag jetzt bei mir verweilte, hatte ich, nachdem er mich völlig verstehen gelernt, auch nicht unterlassen, bei ihm den Grund einer religiösen Erkenntniß zu legen. Als ich ihn einst fragte, wer ihn geschaffen habe, mißverstand mich der arme Mensch gänzlich und glaubte, ich hätte gefragt, wer sein Vater sei. Nun griff ich die Sache anders an und fragte, wer die See, das Land, auf dem wir gingen, die Hügel und Wälder geschaffen habe. Er antwortete, das habe der alte Benamuckee gethan, der über alles Lebende herrsche. Von dieser großen Person aber vermochte er mir weiter Nichts zu sagen, als daß dieselbe sehr alt, wie er sich ausdrückte, viel älter als Wasser und Land, Mond und Sterne sei. Darauf fragte ich ihn, warum dieser alte Mann, wenn er alle Dinge geschaffen habe, nicht auch von allen angebetet werde. Mit sehr ernster Miene und mich unschuldig ansehend, entgegnete er: »Alle Dinge zu ihm sagen: »O!« Ich fragte ferner, wohin die Menschen, die in seinem Lande stürben, kämen. Er antwortete: »Sie alle kommen zu Benamuckee«. Auf meine Frage, ob die von ihnen Aufgefressenen auch dahin kämen, antwortete er mit Ja.

An diesem Punkte anknüpfend, begann ich nun, ihn in der Erkenntniß des wahrhaftigen Gottes zu unterweisen. Ich sagte ihm: »Der große Schöpfer aller Dinge wohnt da oben (wobei ich auf den Himmel zeigte). Er regiert die Welt kraft derselben Gewalt und Vorsehung, dadurch er sie geschaffen hat. Er ist allmächtig und kann uns Alles geben und Alles nehmen.«

Auf diese Weise öffnete ich allmählich meinem Gefährten die Augen. Er horchte mit großer Aufmerksamkeit und Freude auf meine Verkündigung, daß Jesus Christus gekommen sei, uns selig zu machen. Ich belehrte ihn, wie man zu Gott beten müsse, und daß er uns auch im Himmel erhöre. Eines Tages sagte mir Freitag: Wenn unser Gott uns sogar jenseits der Sonne verstünde, so müßte er ja größer sein als Benamuckee, denn der wohne nicht sehr weit und könne uns doch nicht hören, wenn wir nicht auf die hohen Berge stiegen, um mit ihm zu sprechen.

Meine Frage an Freitag, ob er denn selbst jemals dahin gegangen sei, um mit Benamuckee zu sprechen, verneinte er. Denn nie gingen junge Männer dahin, sondern nur die alten Leute, welche bei ihnen Oowokakee hießen. Dies waren, wie ich aus meinem Gefährten endlich herausbrachte, die Priester seines Volkes. Sie gingen, sagte er, dorthin, um »O« zu sagen (so bezeichnete er das Beten), und wenn sie zurückgekehrt seien, berichteten sie, was Benamuckee gesagt habe. Hierdurch erfuhr ich, daß sich sogar unter den unwissendsten Götzendienern der Welt eine Priesterkaste findet, und daß die kluge Politik, aus der Religion ein Geheimniß zu machen, um der Geistlichkeit die Verehrung des Volkes zu erhalten, sich nicht nur in der katholischen, sondern vielleicht in allen Religionen der Welt und sogar bei den rohesten und wildesten Barbaren findet.

Ich bemühte mich, Freitag über dieses Verhältniß aufzuklären, und sagte ihm, das Ersteigen der Berge durch die alten Männer unter dem Vorgeben, daß sie dort »O« zu ihrem Gotte Benamuckee sagen wollten, sei Betrug, noch mehr aber die Antwort, die sie angeblich von ihm zurückbrächten. Wenn sie überhaupt eine Antwort erhielten oder mit Jemandem dort oben sprächen, so könne das nur ein böser Geist sein. Hierauf vertiefte ich mich in ein langes Gespräch mit Freitag über den Teufel und seinen Ursprung, über seine Auflehnung gegen Gott und seine Feindschaft gegen den Menschen, sowie über die Ursache dieser Feindschaft. Ich theilte meinem Zögling mit, daß der Satan in den dunkeln Regionen der Welt hause, um sich statt Gottes anbeten zu lassen, mit wie vielfacher List er die Menschheit zu verderben suche, wie er geheime Wege zu unsern Leidenschaften und Vergnügungen habe, und daß er seine Schlingen gerade an diesen befestige, um uns durch unsere eigene Wahl zu vernichten.

Es ergab sich hierbei, daß Freitag weniger leicht die Mittheilungen über den Teufel als die früheren über Gott faßte. Die Natur selbst lieferte ihm die evidenten Beweise für die Nothwendigkeit einer großen ersten Ursache der Dinge, einer Alles lenkenden Gewalt, einer geheimen regierenden Vorsehung, und dafür, daß es billig und recht sei, diesem Wesen Verehrung zu zollen. Nichts dergleichen aber stand der Lehre von einem bösen Geiste zur Seite, von dessen Entstehung und Wesen, vor Allem aber von seiner Neigung zum Bösen selbst. Der arme Wilde trieb mich durch seine natürlichen und unschuldigen Fragen so in die Enge, daß ich ihm oft kaum zu antworten wußte.

Ich hatte ihm viel von Gottes Allmacht und seinem furchtbaren Widerwillen gegen die Sünde erzählt und mich darüber ausgelassen, wie Derjenige, welcher uns Alle geschaffen habe, uns und die ganze Welt auch in einem Augenblicke wieder zerstören könne, und dies Alles hatte Freitag mit großer Aufmerksamkeit und vollem Verständniß angehört. Hierauf sprach ich davon, daß der Teufel Gottes Feind im Menschenherzen sei, daß er seine ganze Bosheit und Geschicklichkeit anwende, um die guten Absichten der Vorsehung zu kreuzen und das Reich Christi auf Erden zu vernichten. »Wie?« unterbrach mich Freitag: »du doch sagst, Gott so stark, so groß sein, ist er denn nicht stärker viel und mächtiger als der Teufel?« – »Gewiß«, erwiederte ich, »Gott ist stärker als der Teufel, und deshalb beten wir zu Gott, daß er Jenen unter seine Füße trete, und uns stärke, seinen Versuchungen zu widerstehen, und daß seine fürchterlichen Pfeile von uns abprallen mögen.«

»Aber«, entgegnete Freitag, »wenn Gott ist so viel mächtiger als der Teufel, warum nicht todt ihn macht er, so daß er nicht kann schaden mehr?«

Diese Frage verdutzte mich ungemein. Zwar war ich ein Mann bei Jahren, aber nur ein sehr junger Doctor, schlecht befähigt zum Casuisten und zur Entwirrung verwickelter Fragen. Anfangs stellte ich mich, als ob ich Freitag nicht verstanden, und fragte ihn, was er eigentlich gesagt habe. Allein er war zu begierig auf eine Antwort, um sich seiner Frage nicht noch zu erinnern, und wiederholte sie alsbald in demselben gebrochenen Englisch. Inzwischen hatte ich mich ein wenig gesammelt und erwiederte: »Gott wird schließlich den Teufel schwer bestrafen, er hat ihn sich aufgespart für den jüngsten Tag, dann wird Satan in die Tiefe des Abgrundes geworfen werden, um immerdar im Feuer zu brennen«.

Hierdurch aber war Freitag keineswegs befriedigt. »Er sich ihn aufgespart für den jüngsten Tag« – wiederholte er kopfschüttelnd – »das ich nicht kann verstehen. Warum nicht todt macht er gleich Teufel? Warum so viel später?«

»Du kannst mich ebenso gut fragen«, antwortete ich, »warum Gott nicht dich und mich tödtet, wenn wir durch unsre Sünden ihn erzürnen. Wir werden eben erhalten, damit wir Buße thun und Gnade finden sollen.«

Freitag sann eine Weile nach. »Ah so!« entgegnete er sehr lebhaft, »also du, ich, Teufel, schlechte Alle aufbewahrt werden, Buße thun, Gott Allen verzeihen.«

Hier fühlte ich mich wiederum aus der Fassung gebracht. Ich erkannte jetzt deutlich, daß das natürliche Geistesvermögen vernünftige Geschöpfe zwar zu der Erkenntniß Gottes und der Verpflichtung, ihn als höchstes Wesen anzubeten, führen könne, daß aber nur göttliche Offenbarung uns zum Wissen von Jesu Christo, der durch ihn uns erkauften Erlösung und seiner Mittlerschaft zu bringen vermöge, sowie daß das Evangelium unsres Herrn und Heilands und der heilige Geist, der uns als ein Führer und Heiligmacher verheißen ist, die unumgänglich nöthigen Lehrer der Menschenseele über die Mittel zu unsrer Erlösung sind.

In dieser Ueberzeugung brach ich das damalige Gespräch zwischen mir und meinem Diener ab und entfernte mich eilig. Nachdem ich ihn zur Besorgung eines Auftrags an einen entlegenen Ort geschickt hatte, betete ich brünstig zu Gott, daß er mir die Kraft verleihen möge, diesen armen Wilden in der Heilslehre zu unterweisen, und daß er mit seinem Geiste mir beistehe, damit das Herz des armen unwissenden Menschen das Wissen von Gott und Christo aufnehme, und daß ich von Gottes Wort so reden könne, um den Wilden zu überzeugen, ihm die Augen zu öffnen und seine Seele zu retten.

Als Freitag zurückgekehrt war, hielt ich abermals ein langes Gespräch mit ihm. Ich sprach zu ihm von der Erlösung durch den Heiland der Welt und von dem himmlischen Evangelium, das uns Buße gegen Gott und Glauben an unsern Herrn Jesus Christus predige. Dann machte ich ihm so deutlich als möglich, warum unser Erlöser Knechtsgestalt angenommen und gekommen sei, die verirrten Schafe aus dem Hause Israel wiederzusuchen und dergleichen mehr.

Gott weiß, daß mehr guter Wille als Verstand in meiner Lehrmethode zum Vorschein kam. Ich muß eingestehen (und ein Gleiches werden wohl Alle, die in ähnliche Lage gerathen, von sich zu bekennen haben), daß ich erst durch das Lehren viele Dinge, die ich bisher entweder selbst nicht gewußt, oder wenigstens nicht genügend durchdacht hatte, lernte. Ich forschte jetzt mit mehr Eifer nach dem Wesen der Dinge als je zuvor, und so gab mir dieser arme Wilde, auch abgesehen von allen sonstigen Vortheilen, die ich durch ihn hatte, schon in dieser Hinsicht Anlaß zur Dankbarkeit. Mein Kummer lastete mir jetzt minder schwer auf dem Herzen und meine Behausung war mir jetzt über alle Maßen traulich geworden. Wenn ich bedachte, daß mein einsames Leben nicht nur mich selbst dazu gebracht hatte, zum Himmel aufblickend die Hand, die mich hierhergeführt, zu suchen, sondern daß ich jetzt auch das Werkzeug der Vorsehung geworden war zur Errettung des Lebens und der Seele eines armen Wilden und zu fernerer Unterweisung in der christlichen Wahrheit –, wenn ich an dieses Alles dachte, so erfüllte mir eine tiefinnerliche Freude die ganze Seele und ich jauchzte oft im Herzen darüber, daß ich auf diese Insel verschlagen worden war, während ich sonst in dieser Fügung die furchtbarste Trübsal, die mir hätte widerfahren können, erblicken zu müssen geglaubt hatte.

Diese dankbare Gemüthsstimmung dauerte von jetzt an in mir fort, und die Gespräche zwischen Freitag und mir machten die drei Jahre, die wir noch zusammenlebten, zu so vollkommen glücklichen, wie sie unter dem Monde überhaupt möglich sind. Mein Diener wurde ein guter Christ, ein besserer, als ich selbst war, obwohl ich, Gott sei Lob dafür, hoffen darf, daß wir Beide in gleichem Maße bußfertige und begnadigte Sünder waren. Wir hatten das Wort Gottes bei uns und waren von seinem Geiste, der uns unterwies, hier nicht weiter entfernt, als wenn wir in England selbst gelebt hätten. Ich gab mir Mühe, daß Freitag die heilige Schrift so gut verstehen lernte, als ich sie verstand, und er wiederum bewirkte durch seine bedeutsamen Fragen, daß ich viel besser in den Geist der Bibel eindrang, als es durch bloßes Lesen für mich möglich gewesen wäre.

An dieser Stelle kann ich nicht umhin, eine Erfahrung, die ich in jener einsamen Zeit meines Lebens machte, auszusprechen. Nämlich die: Es ist ein unaussprechlicher Segen darin gelegen, daß die Lehre von Gott und der Erlösung durch Jesum Christum, wie sie Gottes Wort enthält, so deutlich und klar ausgesprochen ist. Das bloße Lesen in der Schrift unterwies mich hinlänglich über meine Pflicht, das große Werk der aufrichtigen Buße zu beginnen, und dieselbe einfache Unterweisung reichte auch aus, um jene arme wilde Kreatur zu erleuchten und zu einem so wahrhaft christlich gesinnten Menschen zu machen, wie ich nur wenige im Leben gekannt habe.

Alle Streitigkeiten, Controversen und Zänkereien, welche in der Welt um die Religion gestritten sind, sei es in Bezug auf Spitzfindigkeiten der Lehre oder um das kirchliche Regiment, waren für uns unnütz, wie sie es überhaupt, so viel ich sehe, von je her für die ganze Welt gewesen sind. Wir hatten den einzigen sichern Führer zum Himmel, das Wort Gottes, und es fehlte uns, dem Herrn sei es gedankt, auch nicht der Beistand des heiligen Geistes, der in alle Wahrheit leitet und uns dem göttlichen Gesetz willig und gehorsam macht. Daher wüßte ich nicht zu sagen, was uns auch die gereifte Kenntniß über die strittigen Punkte in der Religion, die in der Welt so viel Verwirrung angerichtet haben, hätte nützen können. Doch ich habe jetzt den Faden meiner Geschichte wieder aufzunehmen.

Nachdem ich mit Freitag genau bekannt geworden war, und er fast Alles, was ich sagte, verstehen, auch geläufig, wenn auch nur in gebrochenem Englisch sprechen konnte, machte ich ihn mit meiner eigenen Geschichte bekannt, wenigstens mit dem, was sich auf meinen Aufenthalt auf der Insel bezog. Ich erzählte ihm, wie lange und in welcher Weise ich dort bisher gelebt hatte, weihte ihn in das Geheimniß der Anwendung von Pulver und Blei ein und lehrte ihn mit Schießwaffen umzugehen. Ich gab ihm auch ein Messer, worüber er sich ungemein freute, und fertigte ihm einen Gürtel an, an welchem ich eine Scheide befestigte, wie man sie in England für die Jagdmesser hat. An die Stelle eines solchen steckte ich ihm ein Beil hinein, das nicht nur eine gute Waffe, sondern auch für andere Gelegenheiten ein vortreffliches Werkzeug war.

Auch eine Beschreibung der europäischen Länder, besonders meiner Heimat England, gab ich ihm. Ich erzählte ihm, wie man dort lebt, Gott verehrt und gesellig mit einander verkehrt, schilderte ihm den englischen Welthandel und gab eine Beschreibung des zertrümmerten Schiffes, an dessen Bord ich gewesen war, und zeigte ihm auch die Stelle, wo es gelegen hatte. Ich wies ihm die Trümmer unsres Boots, in dem wir das Schiff verlassen, und das ich mit allen meinen Kräften nicht hatte von der Stelle bringen können. Jetzt war es ganz in Trümmer zerfallen. Bei dem Anblick der Ueberreste dieses Boots stand Freitag eine lange Weile schweigend und sinnend da. Auf meine Frage, worüber er nachdenke, antwortete er endlich: »Ich gesehen Boot, ein solches kommen an Ort meines Volkes«. Anfangs verstand ich ihn nicht. Endlich brachte ich durch weitere Fragen heraus, daß einst ein ähnliches Fahrzeug an die Küste seiner Heimat gelangt, das heißt durch den Sturm dahin getrieben sei. Wiewohl ich hieraus entnahm, daß ein europäisches Schiff an jenen Küsten gescheitert und ein davon losgerissenes Boot an den Strand geworfen sein müsse, fiel mir doch nicht ein zu fragen, ob denn auch Menschen von jenem Schiffe sich dorthin gerettet hätten und wohin sie gekommen seien. Vielmehr begnügte ich mich für jetzt damit, mir das Boot beschreiben zu lassen.

Freitag that dies verständlich genug. Mit einiger Wärme fügte er hinzu: »Wir weiße Männer vor Ertrinken gerettet haben«. Sofort fragte ich, ob sich denn in jenem Boote weiße Männer befunden hätten. »Ja«, erwiederte er, »Boot voll weiße Mann.« Als ich ihn nach der Anzahl derselben gefragt, zählte er an seinen Fingern siebzehn ab, und auf meine fernere Frage, was aus ihnen geworden, antwortete er: »Sie leben, wohnen bei mein Volk«.

Dies gab mir wiederum Mancherlei zu erwägen. Zunächst kam mir der Gedanke, diese Leute hätten zu dem Schiff gehört, welches im Angesicht meiner Insel (denn ich betrachtete sie jetzt als mein Eigenthum) gescheitert war. Ich dachte mir, sie hätten sich wohl, nachdem das Schiff am Felsen zertrümmert und von ihnen aufgegeben war, in dem Boot gerettet und seien an jener Insel unter den Wilden gelandet.

Als ich demzufolge eindringlicher danach gefragt hatte, was aus jenen Leuten geworden sei, versicherte Freitag, sie wären noch am Leben, hielten sich schon über vier Jahre bei seinen Landsleuten auf, und würden von diesen ganz in Frieden gelassen und mit Lebensmitteln versehen. Auf meine Frage, wie es denn geschehen sei, daß man sie nicht getödtet und gefressen habe, erwiederte er: »Nein, sie geworden Brüder von uns«. Ich verstand das so, daß man mit ihnen ein Bündniß geschlossen habe. Freitag fügte noch hinzu: »Mein Volk nicht essen Mensch, wenn nicht sie gefangen in Schlacht«.

Geraume Zeit nach diesem Gespräch befanden wir uns eines Tages auf dem Gipfel jenes Hügels an der Ostseite der Insel, von dem aus ich, wie früher erwähnt, an einem hellen Tage das Festland von Amerika entdeckt hatte. Das Wetter war sehr heiter. Freitag schaute aufmerksam nach dem Festlande hin, und plötzlich fing er an zu springen und zu tanzen und rief mich, da ich etwas entfernt von ihm stand, herbei. Ich fragte ihn, was es gäbe. »O Freude«, antwortete er, »dort ich sehe mein Land, dort wohnen mein Volk!«

Sein Gesicht glänzte dabei vor Lust, seine Augen funkelten und eine seltsame Begierde zeigte sich in seinen Mienen, als ob es ihn innig verlange, wieder in der Heimat zu sein. Diese Beobachtung machte mich nachdenklich und ließ mich nicht mehr so ruhig wie sonst in Bezug auf Freitag sein. Ich bezweifelte nicht, daß dieser, wenn er wieder zu seinem Volke zurückgekehrt sei, nicht nur seine ganze Religion, sondern auch alles Andere, was er mir dankte, vergessen und sogar sich so weit verirren würde, mit einer ganzen Menge seiner Landsleute hierher zurückzukehren, mich zu einer Mahlzeit zu verwenden und dabei vermutlich gerade so vergnügt zu sein als bei der Verschmausung der im Kriege gefangenen Feinde. Jedoch that ich mit solchem Verdacht dem armen Burschen großes Unrecht, wie ich später zu meinem Leidwesen eingesehen habe. Einige Wochen hindurch war ich in Folge meiner wachsenden Besorgniß vorsichtiger in Bezug auf ihn und nicht so freundlich und herzlich als früher, während doch die gute Seele in der That auch nicht einen Gedanken hegte, der sich nicht mit den strengsten Grundsätzen des Christentums und der Freundschaft und Dankbarkeit vertragen hätte.

So lange mein Verdacht gegen ihn währte, nahm ich ihn natürlich alle Tage scharf aufs Korn, um zu sehen, ob ihn wirklich die Gedanken, die ich bei ihm vermuthete, erfüllten. Da aber Alles, was er sagte, die treuherzigste Unschuld bezeugte, und da ich auch gar Nichts fand, was mein Mißtrauen hätte nähren können, gewann er mich endlich wieder ganz und gar. Er hatte übrigens nicht im Mindesten meine Unruhe bemerkt, und so konnte ich sicher sein, daß er mich nicht betrog.

Eines Tages, als wir bei nebeligem Wetter, welches unseren Blicken den Kontinent verhüllte, auf demselben Hügel standen, fragte ich Freitag: »Hast du nicht Lust wieder in deinem Lande und bei deinem Volke zu sein?« – »Ja«, erwiederte er, »ich viel froh sein würde, bei eigenem Volke zu sein.« – »Was würdest du dort machen?« fuhr ich fort; »wolltest du wieder ein Wilder werden, Menschenfleisch essen und als ein so wilder Mensch leben wie früher?« – Er sah nachdenklich vor sich hin, schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, nein, Freitag ihnen sagen würde, gut leben sollen, Gott anbeten, lehren ihnen essen Kornbrod, Fleisch von Ziegen, Milch, nicht essen Mensch wieder«.

»Aber«, entgegnete ich, »dann werden sie dich ja tödten!« Mit ernsthafter Miene erwiederte er: »Nein, sie nicht mich tödten, gern lernen wollen«. Er fügte hinzu, daß seine Landsleute auch schon Viel von den bärtigen Männern, die in jenem Boote gekommen seien, gelernt hätten. Als ich ihn hierauf fragte, ob er wieder zu den Seinigen zurückkehren wolle, antwortete er lächelnd, so weit könne er nicht schwimmen. »Ich will«, entgegnete ich, »dir ein Canoe anfertigen.« Ja, wenn ich mit ihm gehen würde, erwiederte er, dann wollte er heimkehren. Darauf ich: »Ich soll wirklich nach deinem Vaterlande gehen, um mich dort fressen zu lassen?« – »Nein, nein«, lautete seine Antwort, »ich nicht fressen lassen dich, ich machen werde, daß sie haben dich lieb.« Er meinte damit, daß er ihnen erzählen wollte, wie ich seine Feinde getödtet und ihm das Leben gerettet habe. Dann erzählte er, wie freundlich jene siebzehn weißen Männer, die Bartmänner, wie er sie nannte, bei seinem Volke behandelt wurden, nachdem sie durch Unglück an jenen Strand gerathen seien.

Seit dieser Zeit fühlte ich, wie ich nicht verhehlen will, Lust, die Ueberfahrt zu wagen, um mich wo möglich mit jenen bärtigen Männern, die, wie ich nicht zweifelte, Spanier oder Portugiesen waren, zu vereinigen. Es schien mir leicht, von dort aus, wenn ich erst auf dem Festlande und in civilisirter Gesellschaft sei, heimzukehren, wenigstens leichter als von hier aus, wo ich allein und hülflos auf einer vierzig Meilen vom Festland gelegenen Insel hauste.

Einige Tage später eröffnete ich mit Freitag wiederum ein auf denselben Plan bezügliches Gespräch. Ich versprach ihm ein Boot zu geben, damit er zu seinem Volke heimkehren könne. Dann führte ich ihn zu meinem Canoe, das auf der anderen Seite der Insel lag, zeigte es ihm, nachdem ich es vom Wasser befreit hatte (denn der Vorsicht wegen hatte ich es versenkt gehabt), und setzte mich mit ihm hinein. Freitag zeigte sich sofort sehr geschickt im Steuern und Rudern und brachte es fast so rasch von der Stelle wie ich.

Als wir uns in das Boot gesetzt hatten, sagte ich: »Nun, Freitag, wie ist's, wollen wir jetzt nach deinem Vaterland fahren?« Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht und schien das Fahrzeug für eine so weite Reise zu klein zu finden. Hierauf theilte ich ihm mit, daß ich noch ein größeres besitze, und begab mich am nächsten Tag mit ihm an den Ort, wo das von mir zuerst gebaute Boot lag, das ich nicht hatte ins Wasser bringen können. Dieses sei, sagte Freitag, groß genug. Es war aber, da ich mich fast dreiundzwanzig Jahre lang nicht darum bekümmert hatte, von der Sonne so ausgedörrt, daß es Sprünge bekommen hatte und beinahe verfault war. Freitag versicherte mich, mit solch einem Boot lasse sich die Ueberfahrt ausführen, es würde »viel genug Trunk und Brod tragen«, wie er sich ausdrückte.

Seit dieser Zeit war ich wirklich entschlossen, mit Freitag nach dem Kontinent zu schiffen. Ich theilte ihm mit, daß wir uns ein ebenso großes Boot bauen wollten, um darin in sein Vaterland reisen zu können. Er erwiederte kein Wort und schaute ernst und traurig vor sich hin. Auf meine Frage, was das bedeuten solle, erwiederte er: »Warum du böse sein Freitag? Was haben ich gethan?« – Ich versicherte ihm, daß ich ihm nicht böse sei. »Nicht böse? Nicht böse?« wiederholte er mehre Male;»warum dann schicken Freitag zu meinem Volke?« – »Wie«, sagte ich, »hast du nicht selbst gewünscht dort zu sein?« – »Ja, ja«, entgegnete er, »ich wünschen, da zu sein alle Beide, nicht wünschen, da zu sein Freitag allein, nicht wünschen, da zu sein Herr allein.«

Kurz, er wollte Nichts vom Alleingehn wissen. Als ich die Frage an ihn gerichtet: »Freitag, was soll denn ich dort thun?« versetzte er rasch: »Du dort thun viel Gutes. Du lehren wilde Männer gut sein, nüchtern und vernünftig, du sie lehren Gott kennen, zu ihm beten und ein neues Leben anfangen«. – »Ach«, erwiederte ich, »Freitag, du weißt nicht, was du sagst, ich bin selbst nur ein armer, unwissender Mensch.« »Nein, nein«, entgegnete er, »du mich gelehrt hast Gutes, du sie auch lehren Gutes.« – »Nein, Freitag«, erwiederte ich, »du sollst ohne mich reisen. Laß mich hier mein einsames Leben fortführen wie früher.«

Bei diesen Worten sah er mich betroffen an, rannte fort, ergriff eines der Beile, die er gewöhnlich bei sich trug, kam zurück und gab es mir. »Was soll ich damit?« fragte ich. »Du todt machen Freitag«, antwortete er. »Weshalb soll ich dich denn tödten?« – »Weil du fortschicken wollen Freitag. Besser todt machen Freitag als wegschicken.« Er sagte dies sehr ernsthaft und mit Thränen in den Augen. So wurde ich von seiner großen Liebe und Festigkeit aufs Neue überzeugt und versicherte ihn deshalb jetzt und später noch oft, daß ich ihn nie von mir lassen werde, wenn er bei mir bleiben wolle.

Wie mir diese ganze Unterredung seine innige Liebe zu mir und seinen Entschluß, sich nie von mir zu trennen, bewiesen hatte, so erkannte ich jetzt auch, daß sein Verlangen ins Vaterland heimzukehren lediglich in der heißen Liebe zu seinem Volk und seiner Hoffnung, daß ich diesem Gutes thun werde, begründet war. Da nun meine Fluchtgedanken in den Unterredungen mit Freitag durch das, was er mir von den siebzehn weißen Männern erzählte, immer mehr genährt waren, machte ich mich mit ihm ohne Verzug ans Werk und spähte nach einem starken Baum, den ich fällen wollte, um daraus ein großes Canoe für unsre Reise zu bauen.

Es gab Bäume genug auf der Insel, um daraus eine kleine Flotte, und zwar nicht nur von Kähnen, sondern sogar von ziemlich großen Fahrzeugen erbauen zu können. Mein Hauptaugenmerk aber war darauf gerichtet, einen Baum in möglichster Nähe des Wassers zu finden, damit wir das Boot leicht flott zu machen vermöchten und nicht den früher begangenen Fehler wiederholten.

Endlich entdeckte Freitag, der viel mehr Holzkenntniß als ich besaß, einen geeigneten Baum; wie er hieß, weiß ich bis auf diesen Tag nicht anzugeben. Das Holz glich dem, welches wir Gelbholz nennen, und ähnelte dem Nicaraguaholz in Farbe und Geruch. Freitag schlug vor, den Baum durch Ausbrennen auszuhöhlen, ich zeigte ihm aber, wie das besser mit Werkzeugen zu bewerkstelligen sei, mit denen er dann auch sehr geschickt hantierte. Nach Ablauf eines Monats harter Arbeit war das Werk vollendet. Das Ding nahm sich sehr hübsch aus, besonders nachdem wir mit den Aexten, deren Gebrauch ich Freitag gelehrt hatte, die Außenseite des Baumes in wirkliche Bootsgestalt gebracht hatten. Hierauf brauchten wir jedoch noch vierzehn Tage, um es, so zu sagen, Zoll für Zoll, auf großen Walzen ins Wasser zu bringen. Als es flott war, erkannten wir, daß das Boot mit Leichtigkeit zwanzig Mann zu tragen vermochte.

Nicht wenig überraschte es mich zu sehen, wie geschickt und rasch Freitag das große Fahrzeug im Wasser zu bewegen und zu lenken verstand. Auf meine Frage, ob wir wohl darin die Ueberfahrt wagen dürften, sagte er: »Ja, wir können wagen recht gut, wenn auch weht großer Wind«. Meine weitere Absicht ging nun darauf, einen Mastbaum und ein Segel anzufertigen und das Boot mit Anker und Tau zu versehen. Ein Mast war leicht genug zu bekommen. Ich wählte mir eine schlanke junge Ceder, die sich in der Nähe befand, aus, denn an solchen Bäumen war auf der Insel Ueberfluß. Freitag mußte sich daran machen, sie zu fällen, und ich beschied ihn, welche Gestalt sie haben müsse. Die Sorge für das Segel mußte ich selbst übernehmen. Ich wußte, daß ich alte Segel oder wenigstens Segelstücke in Menge hatte. Da sie aber jetzt bereits sechsundzwanzig Jahre unbenutzt gelegen, und ich sie nicht sehr sorgsam aufbewahrt hatte, weil mir nie der Gedanke gekommen war, sie je gebrauchen zu können, glaubte ich, sie seien sämmtlich verfault. Mit den meisten war dies auch der Fall. Jedoch fand ich zwei noch leidlich aussehende Stücke, machte mich an die Arbeit und brachte mit großer Mühe und durch natürlich sehr langsame und plumpe Näherei (denn ich hatte ja keine Nadeln) endlich ein dreieckiges mißförmiges Ding heraus, das der Gestalt nach der Art ähnelte, die wir in England ein Hammelsbugsegel nennen. Man benutzt diese mit einem Segelbaum am unteren Ende und einem kleinen kurzen Spriet am oberen. Mit einem solchen Segel wußte ich am besten umzugehen, weil sich ein derartiges, wie ich früher erzählte, in dem Schiffe befunden hatte, in welchem ich von der afrikanischen Küste geflohen war.

Die letztere Arbeit (nämlich die Anfertigung des Mastes und der Segel) nahm noch fast zwei weitere Monate in Anspruch. Ich vervollständigte mein Werk, indem ich noch ein kleines Fock und ein Besansegel hinzufügte, für den Fall, daß wir gegen den Wind gingen. Vor Allem aber brachte ich ein Steuerruder am Sterne des Schiffes an. Ich war zwar nur ein Dilettant in Schiffsbauangelegenheiten, aber da ich den Nutzen und sogar die Nothwendigkeit eines solchen Dinges kannte, gab ich mir die größte Mühe und brachte es endlich auch leidlich zu Stande. In Folge der vielen fehlgeschlagenen Versuche aber kostete mich diese Arbeit, glaube ich, fast ebenso viel Anstrengung als die Erbauung des Boots selbst.

Nachdem dies Alles vollbracht war, hatte ich zunächst noch Freitag in der Lenkung des Boots zu unterweisen. Denn obwohl er sehr gut mit einem Canoe umzugehen verstand, wußte er doch Nichts von allem, was zum Segeln und Steuern gehört. Er staunte nicht wenig, als er mich das Boot hier- und dahin mit dem Steuer lenken und das Segel, je nach der Richtung, die wir einschlugen, sich blähen sah, und stand ganz verdutzt und überrascht dabei. Jedoch durch ein wenig Uebung machte ich ihn mit all diesen Dingen vertraut, und er wurde bald ein ganz geschickter Matrose, nur daß er vom Gebrauch des Kompasses keinen rechten Begriff erlangen konnte. Uebrigens war auch, da der Himmel in diesem Klima selten umnebelt und das Wetter nicht oft trübe ist, der Gebrauch jenes Hülfsmittels nur selten geboten. Man konnte sich des Nachts immer nach den Sternen richten, und des Tags sah man ja stets die Küste, ausgenommen während der Regenzeit, in welcher aber auch Niemand Lust haben konnte, sich auf das Meer zu wagen.

Ich hatte jetzt das siebenundzwanzigste Jahr meiner Gefangenschaft angetreten. Unter dieser Benennung darf ich freilich die letzten drei Jahre, in denen ich ein menschliches Wesen zur Gesellschaft gehabt hatte, eigentlich nicht mitbegreifen, denn während dieser Zeit war meine ganze Lebensweise eine völlig andere gewesen als sonst. Ich feierte den Jahrestag meiner Landung mit demselben Dankgefühl gegen Gott wie die früheren, ja die Empfindung der Dankbarkeit war jetzt in mir noch um Vieles höher als ehedem, da mir ja so viel neue Zeugnisse der göttlichen Fürsorge für mich zu Theil geworden waren, und ich sogar große Hoffnung auf wirkliche und baldige Erlösung gefaßt hatte. Denn es hatte sich jetzt in mir der unbewegliche Glaube festgesetzt, daß meine Befreiung nahe sei, und daß ich kein ganzes Jahr mehr an diesem Ort verbringen werde. Trotzdem aber versäumte ich mein Hauswesen darum keineswegs. Ich fuhr fort zu graben, zu pflanzen, meine Einzäunung zu pflegen, sammelte meine Trauben und that alles Nothwendige wie früher. Während der Regenzeit war ich natürlich gezwungen, mich mehr in meiner Wohnung zu halten. Unser Fahrzeug hatten wir so sicher als möglich in jener Bucht geborgen, die mir früher zum Landungsplatz für meine Flöße gedient hatte. Ich ließ das Boot bei der Flut auf das Land treiben und befahl Freitag ein kleines Dock zu graben, das groß genug war, um es zu fassen, und tief genug, daß es darin in Wasser schwimmen konnte. Dann zog ich während der Ebbe am Eingang des Docks einen festen Damm, um das Wasser abzuhalten, und so lag das Boot auch zur Flutzeit außerhalb der See. Um den Regen abzuhalten, legten wir eine Menge Zweige darüber, bis es so dicht wie ein Haus gedeckt war. Hierauf harrten wir ruhig dem November und Dezember entgegen, für welche Zeit ich die Ausführung unseres Planes beschlossen hatte.

Sobald die gute Jahreszeit wiedergekehrt war, betrieben wir täglich die Vorbereitungen zur Reise, und vor Allem legte ich eine Anzahl Lebensmittel als Proviant für die Fahrt zurück. Es war meine Absicht, nach ein oder zwei Wochen das Dock zu öffnen und das Boot auslaufen zu lassen.

Eines Morgens war ich gerade wieder mit jenen Vorkehrungen beschäftigt und hatte Freitag an den Strand geschickt, um eine Schildkröte zu suchen, denn eine solche verschafften wir uns jede Woche, um sowohl die Eier als auch das Fleisch zu genießen. Da auf einmal kehrte mein Gefährte, nachdem er sich noch nicht lange entfernt hatte, schleunigst zurück und kletterte so schnell über meine äußere Palissadenwand, als hätten seine Füße nicht die Erde berührt. Noch ehe ich ein Wort sprechen konnte, rief er mir zu: »O Herr, o Herr, o weh, o weh!«

Ich fragte: »Was gibt's denn?« – »O, dort, dort«, erwiederte er, »eins, zwei, drei Canoe, eins, zwei, drei.« Ich schloß daraus, es wären sechs, brachte aber durch erneuerte Fragen heraus, daß es nur drei seien. »Ruhig Blut, Freitag«, sagte ich und ermuthigte ihn, so gut ich vermochte. Der arme Bursch aber verharrte in seinem Entsetzen, denn er hatte sich fest in den Kopf gesetzt, die Wilden seien nur deshalb gekommen, um ihn zu suchen, zu schlachten und aufzufressen. Er zitterte so, daß ich nicht wußte, was ich mit ihm anfangen sollte.

Ich suchte ihn durch die Bemerkung zu trösten, daß ich ja in gleicher Gefahr wie er sei, und daß sie mich gerade so fressen würden wie ihn, daß wir aber uns muthig unserer Haut wehren wollten. »Bist du dazu Willens, Freitag?« fragte ich. – »Ich sie schießen werde«, antwortete er. »Aber dann wird kommen große Menge.« – »Das thut Nichts«, entgegnete ich. »Unsere Flinten werden die, welche wir nicht tödten, erschrecken.« Hierauf fragte ich, ob er, wenn ich ihm beistehen wolle, auch mich vertheidigen und Alles thun werde, was ich ihn heiße. Er antwortete: »Ich sterben, wenn du gebietest es, Herr«.

Darauf holte ich ihm einen tüchtigen Schluck Rum; denn ich hatte mit meinen Getränken so gut hausgehalten, daß mir noch ein hübsch Theil davon übrig geblieben war. Als er getrunken, befahl ich ihm, die zwei Vogelflinten, die wir gewöhnlich bei uns trugen, mit grobem Schrot (es war etwa so stark wie kleine Pistolenkugeln) zu laden. Ich selbst lud vier Musketen, jede mit fünf großen und zwei kleinen Kugeln, und jede meiner zwei Pistolen mit zwei Kugeln. An meine Seite hing ich wie gewöhnlich meinen großen Säbel ohne Scheide, und Freitag erhielt noch sein Beil zur Ausrüstung. Nachdem wir uns so bewaffnet, ergriff ich mein Fernglas und ging den Hügel hinauf, um zu sehen, ob ich von dort aus eine Wahrnehmung machen könnte. Da sah ich denn bald, daß sich nicht weniger als neunundzwanzig Wilde, drei Gefangene und drei Canoes eingefunden hatten. Ein Triumphfest über diese drei armen Geschöpfe schien der einzige Zweck der Gäste zu sein. Die Wilden waren, wie ich bemerkte, diesmal nicht an jener Stelle, von der aus Freitag die Flucht ergriffen hatte, sondern näher an meiner Bucht gelandet, wo die Küste niedrig war und von wo aus sich ein dichtes Gehölz fast bis unmittelbar an die See erstreckte. Der Schauder vor der unmenschlichen Absicht, in welcher die Elenden gekommen waren, erfüllte mich mit solcher Entrüstung, daß ich zu Freitag herabstieg und ihm ankündigte, ich sei entschlossen, die Wilden zu überfallen und sie sämmtlich zu tödten. Nachdem ich meinen Gefährten gefragt, ob er mir dabei Hülfe leisten wolle, versicherte er, der jetzt wieder einigermaßen zu sich gekommen und durch den Rum gestärkt war, mit heiterer Miene, er würde sofort in den Tod gehen, wenn ich es gebiete.

In dieser erbitterten Stimmung theilte ich nun die geladenen Waffen mit meinem Gefährten. Freitag erhielt eine Pistole, um sie in den Gürtel zu stecken, und drei Flinten, die er über die Schulter nehmen sollte. Ich nahm gleichfalls eine Pistole und die andern drei Gewehre, und so gerüstet zogen wir aus. Ich hatte eine kleine Flasche mit Rum zu mir gesteckt und Freitag einen großen Beutel mit Pulver und Kugeln eingehändigt. Er wurde angewiesen, sich dicht hinter mir zu halten, keine Bewegung zu machen und nicht eher zu schießen, bis ich es ihn geheißen, auch kein Wort laut werden zu lassen. Hierauf begaben wir uns in einem Umweg von ungefähr einer Meile nach der rechten Seite der Insel, um innerhalb des Gehölzes die Bucht zu überschreiten und auf Schußweite zu den Cannibalen heranzukommen, ehe sie uns entdeckten. Mein Fernglas hatte mir nämlich gezeigt, daß das leicht zu bewerkstelligen sei.

Unterwegs kehrten meine früheren Bedenken zurück, so daß meine Entschlossenheit einigermaßen gedämpft wurde. Nicht als ob ich mich vor der Ueberzahl gefürchtet hätte; den nackten, waffenlosen Menschen war ich, obwohl nur ein Einzelner, jedenfalls überlegen. Aber ich fragte mich, woher ich den Beruf, den Anlaß, oder gar die Verpflichtung habe, meine Hände in Blut zu tauchen und Menschen anzugreifen, die mir nie etwas zu Leide gethan hätten und vielleicht gar nicht daran dächten, mir Böses zu thun. Gegen mich hatten sie ja Nichts verbrochen, ihre barbarischen Gebräuche waren Unglück genug für sie selbst. Gott hatte sie mit den übrigen Bewohnern dieser Weltgegend in solcher Unvernunft und in so unmenschlichen Sitten gelassen, und ich war nicht zum Richter über ihre Handlungen und noch weniger zum Vollstrecker des Urtheils berufen. Wenn Gott es an der Zeit halte, sagte ich mir, würde er die Sache schon selbst in die Hand nehmen und sie durch eine allgemeine Züchtigung für ihre Nationalsünden strafen. Mich gehe das Nichts an, während freilich Freitag, als der erklärte Feind der Wilden, der mit ihnen auf dem Kriegsfuß lebte, berechtigt sei, sie anzugreifen. Von mir aber könne das nicht gelten.

Diese Gedanken machten mir während des ganzen Wegs so viel zu schaffen, daß ich endlich beschloß, mich vorläufig nur in die Nähe der Wilden zu begeben, um ihr barbarisches Fest zu beobachten und dann zu handeln, wie Gott mir es eingeben würde. Wenn sich Nichts ereignete, das mir einen entschiedneren Beruf, als ich ihn jetzt hätte, verleihe, wollte ich Nichts mit ihnen zu thun haben.

Mit diesem Entschluß betrat ich in möglichster Stille und mit aller Vorsicht das Gehölz. Freitag folgte mir dicht auf den Fersen. Ich ging bis an den Saum des Waldes auf der den Wilden zunächst gelegenen Seite. Nur ein einziges schmales Stück des Gebüsches trennte mich jetzt noch von ihnen. Ich rief leise Freitag an und gebot ihm, auf einen Baum an der Ecke des Waldes zu steigen und mir zu melden, ob er von dort aus deutlich wahrnehmen könne, was vorgehe. Er kam augenblicklich zurück mit der Nachricht, daß die Wilden von dort sehr gut beobachtet werden könnten; sie säßen alle um ihr Feuer herum und verzehrten das Fleisch eines ihrer Gefangenen; der andere liege in einiger Entfernung gebunden auf dem Sand und würde demnächst an die Reihe des Geschlachtetwerdens kommen.

Diese Nachricht brachte meine ganze Seele aufs Neue in Aufregung. Freitag sagte ferner, der Unglückliche sei keiner seiner Landsleute, sondern einer von den weißen bärtigen Männern, die, wie er mir erzählt, in dem Boote zu ihnen gekommen seien. Die bloßen Worte »weißer bärtiger Mann« machten mich schaudern. Ich erstieg den Baum und bemerkte durch mein Fernglas deutlich einen Mann von weißer Farbe, der auf dem Boden an Händen und Füßen mit Schlinggewächsen gefesselt lag und seiner Kleidung nach ein Europäer sein mußte.

Es befand sich noch ein anderer Baum und ein kleines Gebüsch jenseits desselben, etwa fünfzig Ellen näher bei den Wilden, und es schien möglich, dahin unbemerkt und auf einem kleinen Umweg bis auf halbe Schußweite von den Cannibalen zu gelangen. Wiewohl ich in höchstem Grade aufgeregt war, bezwang ich doch meine Leidenschaftlichkeit, ging einige zwanzig Schritt zurück und gelangte dann hinter fortlaufendem Gebüsch her zu jenem andern Baum. Von hier aus erreichte ich eine kleine Anhöhe, die mir auf ungefähr achtzig Ellen Entfernung völligen Ueberblick gewährte.

Ich hatte jetzt keinen Augenblick mehr zu verlieren. Neunzehn von den furchtbaren Unmenschen saßen dicht gedrängt neben einander und hatten eben zwei andere abgeschickt, um den armen Christen zu schlachten und wahrscheinlich seinen Leib Stück für Stück an das Feuer zu bringen.

Sie beugten sich just nieder, um ihm die Fesseln an den Füßen zu lösen. In diesem Augenblick wandte ich mich zu Freitag. »Jetzt«, rief ich ihm zu, »thue, wie ich dir sage.« Er antwortete, daß er bereit sei. »Mache es genau so«, rief ich ihm zu, »wie ich es dir angebe, und versäume Nichts.« Dann legte ich eine der Musketen und die Vogelflinte auf die Erde, und Freitag that dasselbe mit seinen Schußwaffen; hierauf zielte ich mit der anderen Muskete nach den Wilden, gebot meinem Gefährten dasselbe mit seinem Gewehre zu thun, kommandirte Feuer und drückte zu gleicher Zeit selbst ab.


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