Daniel Defoe
Robinson Crusoe
Daniel Defoe

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Jetzt gelange ich in dem Berichte von meinem einsamen Leben zu einem neuen Abschnitt.

Eines Tages, als ich gegen Mittag nach dem Boote ging, begab es sich, daß ich zu meiner größten Ueberraschung den Eindruck eines nackten menschlichen Fußes ganz deutlich in dem Sande des Ufers wahrnahm. Wie vom Donner gerührt, oder als hätte ich ein Gespenst gesehen, stand ich davor. Ich horchte, ich sah mich um, aber es war Nichts zu hören, noch zu erblicken. Ich erstieg einen Hügel, um mich weiter umschauen zu können, dann ging ich an der Küste auf und ab, aber es blieb Alles ohne Erfolg. Keine weiteren Fußspuren waren zu finden als jene eine. Ich ging zu ihr zurück, um zu sehen, ob nicht noch andere in der Nähe seien, oder ob ich mich vielleicht geirrt hätte. Aber Beides war nicht der Fall. Ich fand nur genau denselben Eindruck der Zehen, Fersen und übrigen Fußtheile. Wie die Spur dahin gekommen, wußte ich nicht und konnte es durchaus nicht begreifen. Eine Flut von wirren Gedanken stürmte auf mich ein, und völlig verstört und außer mir kam ich in meiner Festung an, ohne daß ich unterwegs, wie man zu sagen pflegt, den Boden unter meinen Füßen gefühlt hätte.

Es ist nicht zu beschreiben, in was für verschiedene Gestalten auf dem Wege meine erhitzte Einbildungskraft die Dinge verwandelte, was für eine Menge wilder Vorstellungen die Phantasie mir vorspiegelte und welche sonderbaren unerklärlichen Einfälle mir in den Sinn kamen. Als ich zu meiner Burg (denn diesen Namen hatte ich meiner Behausung gegeben) gelangt war, flüchtete ich hinein wie ein Verfolgter. Ob ich mittels der Leiter hineinstieg, weil das schneller ging, oder durch das Loch im Felsen, das ich meine Thür nannte, kroch, weiß ich heute noch nicht. Nie floh ein gehetzter Hase oder Fuchs in größerer Seelenangst seinem Zufluchtsort zu, als ich in jenem Augenblick.

Kein Schlaf kam diese Nacht in meine Augen; je weiter ich von der Ursache meines Schreckens entfernt war, um so größer wurden meine Befürchtungen. Zwar widerspricht das eigentlich der Natur der Sache und weicht von den gewöhnlichen Aeußerungen des Schreckens ab, aber ich war dermaßen in meinen entsetzten Gedanken über die Erscheinung befangen, daß sich mir Nichts als schauerliche Vorstellungen aufdrängten, wiewohl ich jetzt ziemlich weit von dem Anlaß meiner Furcht entfernt war.

Zuweilen bildete ich mir ein, der Teufel müsse sein Spiel hier haben, und diese Annahme war nicht ohne allen Grund. Denn wie sollte irgend ein anderes Wesen in menschlicher Gestalt hierher gekommen sein? Wo war das Schiff, das es hergeführt hatte? Warum waren keine anderen Fußspuren zu sehen? Dann aber kam mir wieder der Gedanke: Warum sollte der Satan menschliche Gestalt angenommen haben, nur um seinen Fußtritt hier zurückzulassen? Bald schien mir meine abergläubische Furcht auch deshalb lächerlich, weil ich bedachte, daß der Teufel mich ja auf unendlich viele andere Arten hätte erschrecken können als durch diesen einzelnen Fußtapfen. Denn da ich auf einer ganz anderen Seite der Insel wohnte, würde er doch gewiß nicht so dumm gewesen sein, eine Spur an einer Stelle zurückzulassen, wo zehntausend gegen eins zu wetten war, daß ich sie nie sehen würde, und am wenigsten im Sande, wo die erste Flutwelle bei einigem Winde sie sofort vernichten mußte. Alles dieses ließ sich weder mit der Sache selbst, noch mit den Vorstellungen, die wir gewöhnlich von der Schlauheit des Satans haben, zusammenreimen.

Solche Erwägungen benahmen mir allmählich die Furcht vor dem Teufel. Nun vermuthete ich dagegen, daß ich es mit noch gefährlicheren Wesen zu thun habe, nämlich mit einem oder mehren der wilden Bewohner jenes gegenüberliegenden Festlandes. Ich bildete mir ein, sie wären in ihrem Canoe in See gegangen und von widrigen Winden oder der Strömung an diese Küste verschlagen worden, dann aber wieder abgefahren, da es ihnen vielleicht ebensowenig auf dieser öden Insel gefallen haben möchte, wie es mir behagt haben würde, sie hier zu haben.

Während diese Gedanken meine Seele beunruhigten, empfand ich es sehr dankbar, daß ich so glücklich gewesen war, um jene Zeit nicht gerade an der fraglichen Stelle zu sein, und daß die Fremden mein Boot nicht gesehen hatten, weil sie sonst auf Bewohner der Insel hätten schließen müssen und vielleicht weiter nach mir geforscht hätten. Dann aber stiegen mir wieder schreckliche Gedanken auf und meine Einbildungskraft malte mir aus, daß die Wilden das Boot gefunden hätten und nun wüßten, daß die Insel bewohnt sei, und wie sie dann gewiß in großer Anzahl wiederkommen und mich überfallen würden. Und wenn sie auch mich selbst nicht finden konnten, so glaubte ich doch, sie würden meine Anlagen finden, meine Felder verwüsten und meine zahme Ziegenheerde hinwegführen, so daß ich endlich durch Mangel umkommen müßte.

So überwältigte meine Furcht wieder alle meine gläubige Hoffnung. Mein ganzes bisheriges Vertrauen auf Gott, welches auf so wunderbare Erfahrungen seiner Güte gegründet war, fiel nun über den Haufen, als ob er, der mich bisher durch Wunder ernährt hatte, nicht auch Macht habe, die Nahrungsmittel, die seine Gnade mir gespendet hatte, zu beschützen. Ich machte mir Vorwürfe über meinen Leichtsinn, daß ich nicht mehr Getreide jedes Jahr gesäet hatte, als was gerade bis zur nächsten Ernte ausreichend war, wie wenn kein Unfall mich jemals verhindern könnte, das Korn, was noch auf dem Felde stand, einzuheimsen. Dieser Vorwurf erschien mir so gerechtfertigt, daß ich mir vornahm, künftig immer Sorge zu tragen, auf zwei bis drei Jahre im Voraus versorgt zu sein, damit ich, was auch sonst kommen möge, wenigstens nicht zu verhungern brauchte.

Was für ein seltsames Gebilde der göttlichen Hand ist doch das Leben des Menschen! Durch wie verschiedene geheime Triebfedern werden seine Neigungen je nach den eben obwaltenden Umständen hin und her bewegt! Heute lieben wir das, was wir morgen vielleicht hassen; suchen das heute auf, was wir morgen vermeiden; wünschen jetzt, was wir gleich darauf fürchten, ja wovor wir beim bloßen Gedanken daran zittern. Das bewährte sich jetzt auch an mir auf das Alleraugenfälligste. Denn ich, dessen einziger Kummer darin bestanden hatte, daß ich aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen und verurtheilt schien, einsam und allein, nur umgeben von dem unermeßlichen Ocean zu leben, abgeschnitten von allem Verkehr und verdammt in einem sozusagen stummen Dasein zu existiren, als hätte der Himmel mich nicht für würdig gehalten, zu den Lebenden gezählt zu werden oder unter seinen übrigen Geschöpfen zu wandeln, ich, dem der Anblick eines Wesens meines Gleichen als eine Auferweckung vom Tode zum Leben hätte erscheinen müssen und als der größte Segen, den der Himmel, nächst der ewigen Erlösung selbst, mir hätte angedeihen lassen können, – ich erzitterte jetzt bei der bloßen Vorstellung, einen Menschen zu sehen, und hätte in die Erde sinken mögen bei der bloßen Vermuthung, bei dem stummen Zeichen, daß ein Mensch die Insel betreten hatte.

So wandelbar ist das Menschenherz. Als ich mich von meinem ersten Schrecken einigermaßen erholt hatte, stellte ich mancherlei merkwürdige Betrachtungen an. Ich bedachte, daß der allweise und allgütige Gott diese Lebenslage für mich ausersehen habe, und daß, da ich nicht voraussehen könne, welche Absichten die göttliche Weisheit mit allem diesem verfolge, es mir nicht zustehe, ihrer Anordnung zu widerstreben. Hatte denn Gott nicht über mich, als über sein Geschöpf, das unbestreitbare Recht unbedingter Verfügung, wie es ihm gefiel, und hatte ich ihn nicht überdies erzürnt und dadurch seine Gerechtigkeit herausgefordert, eine Strafe, wie er sie für angemessen hielt, über mich zu verhängen? War es nicht meine Schuldigkeit, mich seiner Ungnade zu unterwerfen, weil ich gegen ihn gesündigt hatte? Dann überdachte ich ferner, daß Gott, der ja nicht allein gerecht, sondern auch allmächtig ist, ebenso gut, wie er mich auf diese Weise strafte und heimsuchte, mich ja auch befreien könne, und daß, wenn er nicht für angemessen halte, das zu thun, es meine unzweifelhafte Pflicht sei, mich ganz unbedingt in seinen Willen zu ergeben; und wie es andererseits wieder meine Schuldigkeit sei, auf ihn zu hoffen, zu ihm zu beten und demüthig den täglichen Weisungen und Winken seiner Vorsehung zu gehorchen.

Diese Gedanken beschäftigten mich viele Stunden, Tage, ja, ich möchte sagen, Wochen und Monate. Auch noch eine besondere Wirkung solcher Betrachtungen auf mich will ich bei dieser Gelegenheit mittheilen. Als ich nämlich eines Morgens im Bette lag und durch meine Gedanken von der Gefahr, welche die Erscheinung von Wilden für mich mit sich brächte, sehr aufgeregt war, da fielen mir plötzlich wieder die Worte der heiligen Schrift ein: »Rufe mich an in der Noth und ich will dich erretten und du sollst mich preisen«. Da konnte ich nicht allein getrösteten Herzens fröhlich mein Lager verlassen, sondern ich fand auch Kraft und Muth, Gott inbrünstig um Errettung zu bitten. Als ich mein Gebet beendigt hatte, nahm ich meine Bibel zur Hand, und die ersten Worte, auf die meine Augen fielen, als ich sie aufschlug, waren: »Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt und harre des Herrn«.

Diese Worte gewährten mir unbeschreiblichen Trost. Ich legte mit dankbaren Gefühlen das Buch hin und war wenigstens für den Augenblick nicht mehr traurig.

Mitten in diesen Grübeleien, Aengsten und Betrachtungen fiel mir eines Tages ein, daß der Anlaß meiner Furcht möglicher Weise nichts weiter als eine meiner Einbildungen sein könnte. Die Spuren rührten ja vielleicht von meinen eigenen Füßen her; ich hatte sie vielleicht hervorgebracht, als ich aus meinem Boote ans Land gestiegen war. Dieser Gedanke trug auch ein wenig dazu bei, mich aufzuheitern, und ich fing an, mich selbst zu überreden, daß das Ganze nur eine Täuschung gewesen sei und kein anderer als mein eigener Fuß die Insel betreten habe. Warum sollte ich nicht auf jenem Wege von dem Boote hergekommen sein, da ich doch auf demselben nach dem Boote hingegangen war? Konnte ich doch keineswegs versichern, wohin ich getreten habe und wohin nicht. Am Ende, wenn es sich herausstellte, daß es wirklich mein eigner Fußtritt gewesen war, hatte ich die Rolle jener Narren gespielt, die Gespenster und Geistergeschichten erfinden und sich dann selbst am meisten davor entsetzen.

Erst jetzt fing ich an, wieder Muth zu fassen und mich hinaus zu wagen. Denn seit drei Tagen und Nächten hatte ich meine Festung keinen Augenblick verlassen, und schon begann ich Mangel zu leiden, da ich zu Hause wenig mehr als einige Gerstenkuchen und Wasser hatte. Ich wußte auch, daß es nöthig sei, meine Ziegen zu melken, welches Geschäft sonst gewöhnlich meine Abendunterhaltung bildete. Die armen Thiere empfanden die Vernachlässigung auch schon schmerzlich, und einigen war sie sogar so nachtheilig gewesen, daß ihre Milch fast versiegt war. So waffnete ich mich denn mit dem Glauben, jene Fußspuren rührten wirklich nur von einem meiner eigenen Füße her, und ich sei, wie man zu sagen pflegt, vor meinem eigenen Schatten erschrocken. Bei meinem ersten Ausgang begab ich mich zunächst nach meinem Landsitz, um die Heerde zu melken. Wer damals gesehen hätte, wie furchtsam ich vorwärts schritt, wie oft ich mich umsah, wie ich beständig auf dem Sprunge war, meinen Korb von mir zu werfen und davon zu laufen, der würde gedacht haben, ich sei von einem bösen Gewissen geplagt oder durch etwas Ungeheures erschreckt worden; und das Letzte war ja auch wirklich der Fall.

Nachdem ich jedoch zwei oder drei Tage denselben Weg gemacht hatte, ohne irgend etwas Außergewöhnliches zu sehen, wurde ich ein Bischen kühner und die Ueberzeugung befestigte sich in mir, die Einbildung sei in der That die einzige Ursache meines Entsetzens gewesen. Völlig sicher konnte ich trotzdem mich nicht eher fühlen, als bis ich aufs Neue an jener Stelle der Küste gewesen war, den Fußtritt noch einmal angesehen und ihn mit meinem eigenen verglichen hatte. Dort angekommen aber überzeugte ich mich erstens, daß ich unmöglich beim Anlegen meines Bootes auch nur in die Nähe des Platzes gekommen sein konnte. Sodann ergab sich, daß mein Fuß, als ich ihn gegen die Spur abmaß, bei weitem nicht so groß war. Diese beiden Beobachtungen erfüllten mich aufs Neue mit den schrecklichsten Vorstellungen und machten mich wieder so furchtsam, daß ich zitterte wie ein Fieberkranker. Ich trat den Rückweg in dem festen Glauben an, ein Mensch oder mehre seien an jenem Platz gelandet, oder die Insel sei bewohnt, und ich könne unversehens überfallen werden. Wie ich mich davor schützen sollte, sah ich nicht ab.

Was für lächerliche Vorsätze faßt man doch unter dem Eindruck der Furcht! Diese Empfindung raubt dem Menschen alle Vertheidigungsmittel, die ihm die Vernunft zu seiner Rettung bieten würde. Das Erste, was ich vornehmen wollte, war, meine Zäune niederzureißen und alle mein zahmes Vieh in die Wälder zu jagen, in der Besorgniß, der Feind möchte es finden und dann vielleicht in der Hoffnung auf gleiche oder ähnliche Beute öfter wiederkommen. Aus demselben Grunde gedachte ich meine beiden Kornfelder umzugraben und nicht einen Halm darauf zu lassen. Auch meine Hütte und mein Zelt beschloß ich zu zerstören, damit man durchaus keine Spur des Bewohntseins der Insel fände und Niemand versucht würde, den Bewohnern selbst nachzuforschen.

Mit solchen Gedanken beschäftigte ich mich während der ersten Nacht nach meiner Rückkehr, als die Befürchtungen, die mich so überwältigt hatten, mir noch frisch in der Seele lebten und meinen Kopf mit wirren Bildern füllten. So ist die Furcht vor einer Gefahr oft tausendmal schrecklicher als die gegenwärtige Gefahr selbst. Wir tragen viel schwerer an der Last der Angst als an dem Uebel, das uns ängstigt. Das Schlimmste aber bei der Sache war, daß ich in dieser Noth nicht den Trost und die Ergebung festhielt, die mich sonst gestärkt hatten. Es ging mir wie Saul, wenn er klagt, daß nicht nur die Philister über ihn gekommen seien, sondern auch daß Gott ihn verlassen habe. Auch ich that jetzt nicht, was ich hätte thun sollen, mein Gemüth zu beruhigen. Ich rief nicht zu Gott in meiner Noth und verließ mich nicht wie früher, hinsichtlich meiner Verteidigung und Errettung, auf seine Vorsehung. Hätte ich das gethan, so wäre ich wenigstens mit frischerem Muthe dieser neuen Anfechtung entgegen gegangen und hätte sie wahrscheinlich leichter überwunden.

Die Verwirrung meiner Gedanken hielt mich die ganze Nacht wach. Erst gegen Morgen, durch die Aufregung meiner Gefühle müde gemacht und erschöpft, fiel ich in einen festen Schlaf und erwachte dann in viel ruhigerer Stimmung, als in der ich vorher gewesen war. Ich begann jetzt vernünftig nachzudenken. Nach langer Erwägung kam ich zu dem Schluß: diese so gar liebliche und fruchtbare Insel, die, wie ich gesehen, nicht weit vom Festlande abliege, könne nicht so durchaus verödet sein, als ich bisher geglaubt habe. Zwar werde sie schwerlich ständige Bewohner herbergen, aber zuweilen würden wohl Boote von der gegenüberliegenden Küste herüber kommen, die entweder absichtlich oder auch nur durch widrige Winde gezwungen hier landeten.

Freilich hatte ich bereits fünfzehn Jahre hier zugebracht und noch nie den leisesten Schatten einer menschlichen Gestalt gesehen. Daraus folgerte ich, daß, wenn jemals Leute hierher verschlagen sein sollten, sie sich wahrscheinlich immer sobald wie möglich wieder entfernt und nie daran gedacht hätten, sich hier niederzulassen. Demnach bestehe, so sagte ich mir weiter, die einzige mir drohende Gefahr in der zufälligen Landung einzelner verirrter Bewohner des Festlandes, welche aller Wahrscheinlichkeit nach gegen ihren Willen hierher verschlagen worden seien und die darum auch ohne Aufenthalt weiter zu kommen suchen und nur selten einmal über Nacht hier verweilen, sondern die nächste Flut und das Tageslicht für ihren Rückweg als Beistand benutzen würden. Also hätte ich weiter Nichts zu thun, als für den Fall, daß ich die Landung solcher Wilden hier erleben sollte, für einen sicheren Schlupfwinkel zu sorgen.

Jetzt bereuete ich bitter, die Höhle so groß gemacht zu haben, daß, wie ich erwähnte, noch eine Thür da, wo meine Befriedigung an den Felsen stieß, nach Außen führte. Nach reiflicher Ueberlegung beschloß ich, einen zweiten Wall zu errichten, in derselben Halbkreisform wie der erste, und zwar da, wo ich, wie seiner Zeit erwähnt ist, vor zwölf Jahren die doppelte Reihe Bäume gepflanzt hatte. Da diese ganz dicht zusammen standen, bedurfte es nur noch einiger Pfähle dazwischen, um sie noch enger zu verbinden. So war mein neuer Wall bald fertig. Ich hatte nun eine doppelte Mauer, und die äußere war überdies noch mit Holzscheiten, Schiffsketten und allen erdenklichen brauchbaren Dingen verwahrt. Ich hatte sieben kleine Löcher darin angebracht, ungefähr so groß, daß ich meinen Arm hindurchstecken konnte. An der inneren Seite verstärkte ich den Wall bis auf zehn Fuß Dicke, indem ich Erde aus meinem Keller holte, sie am Fuße der Wand ausschüttete und mit den Füßen fest trat. Durch jene Löcher steckte ich sodann die sieben, vom Schiff mitgebrachten Gewehre und legte sie wie Kanonen auf Lafetten, so daß ich alle sieben Geschütze in Zeit von zwei Minuten abzufeuern vermochte. Es bedurfte übrigens langer Monate, bis diese ganze Arbeit vollendet war, aber ich fühlte mich nicht eher sicher, als bis ich sie zu Stande gebracht hatte.

Hierauf besteckte ich den Boden außerhalb meiner Befestigung nach allen Richtungen mit Reisern und Schößlingen von dem weidenartigen schnellwachsenden Holze in einer solchen Ausdehnung, daß ich, glaub' ich, an zwanzigtausend Sprößlinge dazu verbrauchte. Unmittelbar um meine Festung ließ ich jedoch einen ziemlich großen Raum frei, damit ich etwaige Feinde kommen sehen könnte, und damit sie hinter den jungen Bäumen keinen Schutz fänden, wenn sie versuchen sollten, sich meiner Umfriedigung zu nähern.

Auf diese Weise war meine Wohnung innerhalb zweier Jahre von einem dichten Gehölz und nach fünf bis sechs Jahren von einem gewaltig dichten und starken Walde umgeben, der völlig undurchdringlich war. Niemand hätte dahinter jemals irgend etwas Besonderes, geschweige denn eine menschliche Wohnung vermuthet. Ich hatte keinen Zugang in meiner Einfriedigung freigelassen, sondern gelangte in dieselbe mittels zweier Leitern. Von diesen reichte die eine, die ich gegen eine niedrige Stelle des Felsens gelehnt hatte, bis an einen Vorsprung, auf dem Platz genug war, um eine zweite Leiter darauf anzubringen, so daß, wenn die beiden Leitern eingezogen waren, kein Mensch ohne die Gefahr einer Verletzung über den Wall gelangen konnte. Ueberdies hätte er dann auch erst noch die innere Umzäunung meiner Behausung zu passiren gehabt.

So hatte ich denn alle Vorkehrungen zu meiner Sicherheit, die menschliche Vorsicht ausdenken konnte, getroffen. Die Folge wird zeigen, daß sie nicht ganz unnütz gewesen waren, obgleich ich damals zu jenen Maßregeln lediglich durch die Vorspiegelungen meiner Furcht veranlaßt wurde.

Während der Beschäftigung mit diesen Arbeiten vernachlässigte ich meine andern Angelegenheiten auch nicht ganz. Besonders lag meine kleine Ziegenheerde mir sehr am Herzen. Die Thiere boten mir auf alle Fälle ein sehr schätzbares Hülfsmittel und lieferten mir schon jetzt ausreichenden Lebensunterhalt. Auch ersparten sie mir den Aufwand von Pulver und Blei, sowie die Anstrengung, die ich bei der Jagd auf die wilden Ziegen gehabt hatte. Ich wollte mir daher um jeden Preis diesen Vortheil wahren, um nicht genöthigt zu sein, noch einmal die Einzäunung aufs Neue zu beginnen.

Nach langer Ueberlegung sah ich für diese Sicherung nur zwei Möglichkeiten. Die eine bestand darin, daß ich an einer passenden Stelle eine unterirdische Höhle grub, um die Ziegen des Nachts da hineintreiben zu können; die zweite, daß ich einige Stückchen Land, weit auseinander und möglichst versteckt gelegen, mit Zäunen umgab und innerhalb jedes derselben etwa ein halbes Dutzend junger Ziegen hielt. Auf diese Weise konnte ich, wenn die Hauptheerde von irgend einem Unfall betroffen wurde, ohne viel Mühe und Zeitverlust mir wieder eine andere heranziehen. Der letztere Plan erschien mir der zweckmäßigste, wenngleich seine Ausführung viel Zeit und Mühe in Anspruch nehmen mußte.

Demgemäß suchte ich sorgfältig nach den verborgensten Plätzen auf der Insel und machte auch glücklich einen ausfindig, der so heimlich gelegen war, wie ich es nur wünschen konnte. Es war ein kleiner, feuchter Rasenfleck mitten im dichtesten Walde, da, wo ich mich einmal, wie früher erzählt ist, auf dem Rückweg von der Ostseite der Insel verirrt hatte. Hier fand ich einen freien Platz, etwa drei Morgen groß und dergestalt von Bäumen umgeben, daß dieser fast schon einen natürlichen Wildzaun bildete. Wenigstens erforderte die Anlegung des künstlichen dort bei weitem weniger Arbeit als an den Stellen, wo ich früher die Umfriedigungen angelegt hatte.

Ich machte mich unverzüglich an die Arbeit und hatte schon vor Ablauf eines Monats einen Zaun fertig gebracht, in welchem eine Heerde oder ein Rudel meiner Ziegen, die übrigens jetzt lange nicht mehr so wild waren als im Anfang, ganz sicher untergebracht werden konnte. Dahin versetzte ich nun zehn junge Ziegen und zwei Böcke und fuhr dann fort, den Zaun zu vervollkommnen, bis er ebenso fest war wie die andern. Doch nahm ich mir dabei die Zeit, und es dauerte daher lange, bis die Arbeit beendet war.

All diese Mühe wurde veranlaßt durch die Furcht, die mir die Spur eines einzigen menschlichen Fußtrittes eingeflößt hatte. Zwar hatte ich bis hierher noch kein Menschenkind außer mir auf der Insel wahrgenommen, aber dennoch befand ich mich seit zwei Jahren in einer solchen Aufregung, daß mein Leben sich bei weitem unbehaglicher als früher gestaltet hatte. Das wird Jedermann begreiflich finden, der jemals Furcht vor feindseligen Menschen empfunden hat.

Leider muß ich bekennen, daß die Unruhe meines Gemüthes auch nicht ohne Einfluß auf mein Leben im Glauben blieb. Denn die Angst und das Entsetzen bei dem Gedanken, den Wilden und Menschenfressern in die Hände zu fallen, drückte meinen Geist so nieder, daß ich selten in der Stimmung war, mich an Gott zu wenden. Wenigstens that ich es nicht mehr mit der andächtigen Sammlung und Ergebung der Seele wie sonst. Ich betete nur in großer Angst und Herzensunruhe, wie in beständiger Gefahr und in der fortwährenden Erwartung, im Laufe der Nacht ermordet zu werden und den Morgen nicht zu erleben. Aus Erfahrung kann ich bezeugen, daß Friede, Dankbarkeit, Liebe und Freundlichkeit viel mehr zum Gebet stimmen als Schrecken und Angst. In der Furcht vor drohendem Unheil ist der Mensch ebensowenig zu der tröstlichen Ausübung der Gebetspflicht fähig, als er es auf dem Krankenbett zur Reue ist. Denn in jener Verfassung ist der Geist ebenso gestört wie dort der Körper, und die geistige Störung bringt nothwendig eine gleiche Unfähigkeit hervor wie die körperliche. Ja sogar eine noch größere, denn das Gebet ist ja eine ausschließlich geistige Thätigkeit.

Nachdem ich, um hier meine Erzählung wieder aufzunehmen, in der erwähnten Weise einen Theil meines kleinen lebendigen Inventars in Sicherheit gebracht hatte, durchwanderte ich die ganze Insel nach einem zweiten verborgenen Platze, um noch ein anderes Depot gleicher Art anzulegen. Diesmal gerieth ich weiter nach der Westspitze der Insel als je vorher, und da geschah es, daß ich, als ich einmal auf das Meer hinaus schaute, in weiter Entfernung ein Boot wahrzunehmen glaubte. In den Matrosenkoffern, die ich aus dem Schiffe gerettet, hatte ich auch zwei Ferngläser gefunden, von denen ich jedoch damals gerade keins bei mir trug. Das vermeintliche Fahrzeug war so entfernt, daß ich es nicht genau erkennen konnte, obgleich ich danach schaute, bis mir die Augen übergingen. Als ich, von dem Hügel herabgestiegen, das Boot nicht mehr sah, beschloß ich, nicht mehr an die Sache zu denken, nahm mir aber vor, nie mehr ohne ein Fernrohr in der Tasche auszugehen. Nachdem ich unterhalb des Hügels an das Ende der Insel gelangte, wo ich früher noch nie gewesen war, überzeugte ich mich, daß der Anblick einer menschlichen Fußspur nicht etwas so Außerordentliches sei, als ich mir bisher eingebildet hatte. Wäre ich nicht durch eine besondere Fügung gerade auf jener Seite der Insel, wo die Wilden nie hinzukommen pflegten, ans Land geworfen worden, so hätte ich längst wissen können, daß die Canoes vom Festlande, wenn sie sich etwas zu weit in die See hinaus gewagt hatten, sehr häufig die der meinigen entgegengesetzte Seite der Insel als Hafen benutzten. Nach ihren Seegefechten in Canoes pflegten nämlich die Sieger ihre Gefangenen an jene Küste zu bringen und sie nach ihrer schrecklichen Sitte gemäß (denn sie waren sämmtlich Cannibalen) dort zu tödten und zu verzehren. Doch hiervon wird später ausführlicher die Rede sein.

Von dem Hügel herab ans Ufer gelangt, das, wie gesagt die Südwestspitze der Insel bildete, blieb ich plötzlich starr vor Schrecken und Entsetzen stehen. Mit unbeschreiblichem Grauen fand ich dort den Boden mit Schädeln, Händen, Füßen und anderen Gliedmaßen menschlicher Leiber übersäet. Am meisten entsetzte mich eine Stelle, wo offenbar ein Feuer angezündet gewesen war, um das sich ein kreisförmiger Graben zog. Hier hatten sich augenscheinlich jene wilden Scheusale zu ihrem unmenschlichen Mahle, das aus den Leichnamen ihrer Mitmenschen bestand, niedergelassen gehabt.

Ich war so durch diesen Anblick vernichtet, daß ich eine ganze Weile gar nicht an eine Gefahr für mich selbst dachte. Meine Befürchtungen gingen unter in dem Gedanken an diese unmenschliche teuflische Brutalität und in dem Abscheu vor solcher Entwürdigung der menschlichen Natur. Zwar hatte ich von dergleichen Scheußlichkeiten oft gehört, aber noch nie hatte ich so unmittelbare Beweise für dieselben gehabt. Ich wandte mich von dem grausigen Schauspiel ab, mir wurde ganz übel und ich war einer Ohnmacht nahe. Meine Natur half sich jedoch.

Nachdem ich mich heftig übergeben hatte, fühlte ich mich etwas wohler, konnte es aber keinen Augenblick länger an diesem Orte aushalten. Ich kletterte so schnell als möglich wieder den Hügel hinan und eilte meiner Wohnung zu. Nachdem ich eine Strecke Weges hinter mir hatte, stand ich einen Augenblick still, um mich zu sammeln. Ein wenig zu mir gekommen, blickte ich inbrünstig gen Himmel und dankte Gott unter einem Strom von Thränen dafür, daß er mich in einem Welttheil hatte geboren werden lassen, wo solche schreckliche Geschöpfe wie die, deren Spuren mir soeben vor die Augen getreten waren, nicht existirten. Vor Allem dankte ich meinem Schöpfer auch dafür, daß er mir in der elenden Lage, in der ich mich befand, doch wenigstens die Erkenntniß seines Wesens und die Hoffnung seiner Gnade gewährt hatte. Dies Geschenk wog ja alles Elend, das ich schon erduldet hatte und noch erdulden konnte, reichlich auf.

In solch dankbarer Gemüthsstimmung ging ich nach Hause und wurde nun viel ruhiger über meine Sicherheit, als ich seit langer Zeit gewesen war. Ich hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß jene Elenden niemals die Insel in der Absicht beträten, dort Beute zu machen. Entweder begehrten sie Nichts, oder sie vermutheten Nichts hier. Denn gewiß waren sie oft in dem bewachsenen waldigen Theile gewesen, ohne etwas für sie Brauchbares anzutreffen. Achtzehn Jahre hatte ich nun beinahe hier verweilt, ohne in der ganzen Zeit auch nur eine einige Spur von menschlichen Wesen wahrzunehmen, und ebenso gut konnte ich daher noch einmal achtzehn Jahre unbemerkt wie bisher hier zubringen, wenn ich mich nicht selbst verrieth. Davor vermochte ich mich jedoch leicht zu hüten. Ich brauchte mich nämlich nur ganz still zu Haus zu halten, bis sich eine bessere Art Menschen als jene Cannibalen zeigen würde, mit denen ich in Verkehr treten könnte.

Mein Abscheu vor den scheußlichen Wilden und ihren unmenschlichen Sitten war so groß, daß ich fast zwei Jahre lang nach dem erzählten Vorfall nicht mein nächstes Gebiet verließ. Hierunter verstehe ich meine drei Ansiedelungen: die Burg, den Landsitz (meine sogenannte Villa) und die Anlagen im Walde. Diese letzteren suchte ich indessen nur auf, wenn ich nach meinen Ziegen sehen wollte. Da mein Entsetzen vor den höllischen Gesellen so stark war, daß ich ihren Anblick wie den des Teufels fürchtete, ging ich auch die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal nach meinem Boot. Dagegen dachte ich daran, mir ein neues zu machen; denn ich konnte es nicht über mich gewinnen, jemals wieder einen Versuch zu wagen, das vorhandene um die Insel herum zu führen und mich so einer möglichen Begegnung zur See mit jenen Kreaturen auszusetzen. Wußte ich doch zu gut, was mein Loos sein würde,. wenn ich ihnen in die Hände fiele.

Mit der Zeit aber wuchs auch meine Zuversicht, daß mir keine Gefahr drohe, von diesen Unmenschen entdeckt zu werden. Nach und nach schwand meine Furcht vor ihnen und ich fing an, wieder in derselben Weise wie früher zu leben. Nur mit dem Unterschiede, daß ich jetzt vorsichtiger war und meine Augen besser offen hielt als sonst, damit ich nicht einmal unversehens ihnen ins Gesicht käme. Besonders nahm ich mich mit dem Schießen in Acht, um mich nicht durch den Knall zu verrathen. Es kam mir jetzt besonders zu Statten, daß ich mich mit zahmen Ziegen versehen hatte und nicht mehr in den Wäldern herum zu jagen und zu schießen brauchte. Ich bemächtigte mich von nun an des Wildes nur noch mit Fallen und Schlingen, und in einem Zeitraum von zwei Jahren feuerte ich, glaub' ich, meine Flinte nicht ein einziges Mal ab, obgleich ich nie ohne sie ausging und überdies immer wenigstens zwei von den drei aus dem Schiffe mitgebrachten Pistolen in meinem Gürtel von Ziegenleder bei mir führte. Auch eins von den großen Messern, die ich aus dem Schiffe gerettet, hing ich, nachdem ich es geputzt und geschliffen, an einem besonderen Riemen stets um, so daß ich bei meinen Ausgängen ganz gefährlich anzuschauen war.

Eine Zeitlang nahmen die Dinge ihren ruhigen Fortgang und ich kehrte daher, jene Vorsichtsmaßregeln abgerechnet, wieder zu meiner früheren geregelten Lebensweise zurück. Alles vereinigte sich, um mir mehr und mehr zu beweisen, wie gut ich es immer noch im Vergleich mit Andern hätte, und wie gut meine Lage im Vergleich zu schlimmeren, in die Gott mich ja ebenso gut hätte versetzen können, sei. Die Menschen würden sich überhaupt weit weniger über ihr Geschick beklagen, wenn sie dasselbe nur stets mit noch ungünstigerem vergleichen wollten, anstatt sich immer mit Denen, die es besser haben, zu messen und dann zu murren und zu jammern.

Da ich in meiner jetzigen Lage wirklich Weniges vermißte, so muß ich glauben, daß die Furcht, welche mir die Wilden eingejagt hatten, und die Sorge, die ich auf meine Selbsterhaltung verwendete, meine Erfindungskraft in Bezug auf meine Bequemlichkeit vermindert hatte. Wenigstens einen schönen Plan, mit dem ich mich früher sehr viel beschäftigt, hatte ich jetzt ganz fallen lassen. Ich hatte nämlich an den Versuch gedacht, aus einem Theil meiner Gerste Malz zu bereiten und mir daraus Bier zu brauen. Allerdings war das ein närrischer Einfall und ich zog mich darüber oft selbst auf, denn ich konnte ja nicht übersehen, daß zum Bierbrauen noch manche Dinge gehörten, die ich unmöglich herbeizuschaffen vermochte. Fürs Erste nämlich Fässer, um das Gebräu aufzubewahren. Der schwierigen Aufgabe, mir solche zu verfertigen, opferte ich Tage, Wochen und Monate, ohne jeden Erfolg. Sodann fehlte mir der Hopfen, um das Bier vor dem Verderben zu bewahren, Hefen, um die Gährung hervorzubringen, und ein kupferner Kessel, um es darin zu kochen. Und dennoch würde ich, wären nicht die vielen Aengste und Schrecken über die Wilden dazwischen gekommen, die Ausführung meines Planes unternommen und vielleicht auch bewerkstelligt haben. Denn selten gab ich Etwas als unausführbar auf, wenn ich es einmal so weit ausgedacht hatte, daß ich überhaupt bis zum Anfang kam.

Damals jedoch hatte mein Erfindungsgeist eine ganz andere Richtung genommen. Tag und Nacht dachte ich über nichts Anderes nach, als wie ich jene Ungeheuer in ihren blutigen Belustigungen überfallen und wo möglich die dem Verderben geweiheten Schlachtopfer retten könnte. Es würde den Umfang, den ich meiner Erzählung bestimmt habe, überschreiten heißen, wollte ich alle die Listen beschreiben, die ich ersann und in Gedanken ausbrütete, um diese Geschöpfe zu vernichten oder sie wenigstens so in Furcht zu versetzen, daß sie nie wieder hierher kämen. Meine ganze Absicht mußte jedoch erfolglos bleiben, wenn ich sie nicht in eigner Person ausführte. Was aber konnte. ein einzelner Mann gegen vielleicht zwanzig oder dreißig mit Lanzen oder Bogen und Pfeilen (mit welchen sie so sicher zielten wie ich mit meiner Flinte) Bewaffnete ausrichten?

Zuweilen dachte ich daran, eine Mine unter der Stelle, wo die Cannibalen ihr Feuer zu machen pflegten, anzulegen und mit einigen Pfunden Pulver zu füllen, welches beim Anzünden des Feuers explodiren und Alles rings umher in die Luft sprengen sollte. Aber theils wollte ich doch nicht gern so viel Pulver daran wenden, da mein Vorrath bereits sehr zusammengeschmolzen war, und andererseits konnte ich ja auch nicht berechnen, ob die Explosion gerade zu einer solchen Zeit stattfinden würde, in welcher die Wilden dadurch in Gefahr gebracht werden müßten. Im besten Falle hätte es auch weiter nichts bewirken können, als daß ihnen das Feuer um die Ohren gezischt und sie erschreckt hätte, ohne sie dadurch auf die Dauer zu vertreiben.

Ich gab mit Rücksicht hierauf diesen Plan auf und beschloß, mich anstatt dessen nun mit meinen drei doppelt geladenen Gewehren an geeigneter Stelle in einen Hinterhalt zu legen und wenn die Wilden mitten in ihrer blutigen Thätigkeit wären, auf sie zu feuern. Dabei glaubte ich sicher, mit jedem Schuß wenigstens zwei bis drei von ihnen zu tödten oder zu verwunden. Wenn ich alsdann mit meinen drei Pistolen und meinem Schwerte über sie herfiele, so könnte ich sie, davon war ich überzeugt, alle, und wären es ihrer zwanzig, tödten.

Diese Gedanken beschäftigten mich mehre Wochen lang. Ich war so voll davon, daß ich oft von meinen Plänen träumte. Manchmal war es mir im Schlaf, als ob ich eben auf die Feinde Feuer gäbe. Ich wendete mehre Tage daran, geeignete Plätze für einen solchen Hinterhalt ausfindig zu machen, und besuchte sogar häufig die Stelle, wo ich die Reste der cannibalischen Mahlzeit gefunden hatte. Seit ich mich mit solchen Rachegedanken trug und einen ganzen Haufen von Menschen dem Untergange geweiht hatte, schwand mein Abscheu vor jenem Platze und vor den Spuren Derer, die so barbarisch waren, daß sie sich unter einander aufzufressen pflegten. Endlich machte ich auch einen Ort ausfindig, von welchem aus ich in völliger Sicherheit ihre Boote ankommen sehen, und noch ehe sie landeten, unbemerkt in ein Dickicht entfliehen konnte. Dort wußte ich einen hohlen Baum, der groß genug war, um mich vollständig zu verbergen und von dem aus ich alle ihre blutigen Handlungen beobachten und in aller Ruhe auf ihre Köpfe zielen konnte. Wenn sie nahe genug beisammen waren, so mußte es mir fast unmöglich sein, mein Ziel zu verfehlen und nicht wenigstens drei bis vier auf den ersten Schuß zu verwunden. Diesen Platz beschloß ich nun zum Ausgangspunkt meiner Unternehmungen zu machen. Ich setzte zwei Musketen und meine gewöhnliche Vogelflinte in Stand, lud die ersteren beiden mit einem Paar großen und mit vier bis fünf kleineren Kugeln von der Größe einer Pistolenkugel und die Vogelflinte mit einer Handvoll Schrot von der größten Sorte, that auch in jede meiner Pistolen ungefähr vier Kugeln und in dieser Ausrüstung, wohl versehen mit Munition für einen zweiten und dritten Schuß, bereitete ich mich auf meine Expedition vor.

Nachdem ich so meinen Plan gehörig durchdacht und in meiner Phantasie gewissermaßen bereits ausgeführt hatte, richtete ich meine Schritte alle Tage nach dem Gipfel des Hügels, der ungefähr drei Meilen von meiner Festung entfernt war, um zu sehen, ob ich nicht ein Boot auf dem Meere erspähen würde, das sich der Insel nähere. Nach einigen Monaten jedoch wurde ich dieser Anstrengung überdrüssig, da in dieser ganzen Zeit mein Wachehalten ohne irgend ein Resultat geblieben war. Auch nicht das Geringste hatte sich, so weit meine Augen und Ferngläser reichten, blicken lassen, weder an der Küste, noch in ihrer Nähe, noch auch auf dem weiten Meere.

So lange ich täglich den Weg nach dem Hügel machte, hielt auch mein Eifer für meinen Anschlag vor. Ich befand mich während der ganzen Zeit in einer durchaus geeigneten Stimmung zu einer so unverantwortlichen Schlächterei, wie es das Erschießen eines Haufens nackter Wilden gewesen sein würde. Die Natur ihrer Handlung hatte ich ganz und gar nicht weiter in meinen Gedanken erwogen, war vielmehr einzig meiner aufgeregten Leidenschaft und dem Abscheu gefolgt, den ich bei der Erinnerung an die unnatürlichen Sitten dieser Menschen empfand. Und doch hatte ja die Vorsehung selbst in weiser Anordnung sie ihren abscheulichen und verderblichen Begierden überlassen. Vielleicht waren sie schon seit Menschenaltern solchen grausamen und entsetzlichen Gebräuchen ergeben, wie sie nur völlig gottlose Naturen ersinnen können. Aber jetzt, wo ich, wie gesagt, meiner fruchtlosen Wege, die ich so lange und weithin alle Morgen gemacht hatte, müde war, änderte sich auch meine Ansicht von der Sache selbst. Ich fing an, mit ruhigerem und kühlerem Blute darüber nachzudenken. Welches Recht und welchen Beruf hatte ich denn, mich zum Richter und Henker dieser Menschen aufzuwerfen, welche der Himmel so lange Zeit hindurch ungestraft gelassen und sie gleichsam zu Vollziehern seiner Strafgerichte unter einander gemacht hatte? Was hatten diese Leute mir gethan? Was berechtigte mich, in ihre Streitigkeiten mich zu mischen und die Metzeleien zu rächen, die sie an einander verübten? So fragte ich mich oft. Das aber war sicher: die Wilden sahen die Sache nicht als ein Verbrechen an. Sie war nicht gegen ihr besseres Wissen und Gewissen. Sie selbst hatten keine Ahnung davon, daß sie dadurch ein Unrecht begingen und gegen Gottes Gebote sündigten. Ihnen war es ebensowenig eine Sünde, einen Kriegsgefangenen zu tödten, als uns, einen Ochsen zu schlachten, und Menschenfleisch schien ihnen ebenso eine naturgemäße Speise wie uns Hammelfleisch.

Nach einigem Nachdenken kam ich zu dem Schluß, daß ich Unrecht gehabt habe, diese Leute als Mörder in unserm Sinne anzusehen. Sie waren es ebensowenig wie die Christen, welche die in der Schlacht gemachten Gefangenen zum Tode verurtheilen, oder Schaaren von Kriegern ohne Gnade niedermetzeln, wenn sie auch ihre Waffen von sich geworfen und sich ergeben haben. Ferner sagte ich mir: Wenn auch der Gebrauch, den diese Cannibalen unter einander üben, noch so roh und unmenschlich sei, so gehe das mich doch gar Nichts an, da sie mir ja Nichts gethan hätten. Hätten sie mich überfallen und wäre es zu meiner Selbstvertheidigung nöthig, sie zu überfallen, so ließe sich das rechtfertigen. Aber da ich jetzt nicht in ihrer Gewalt sei und sie nicht einmal von meiner Existenz wüßten, folglich auch keinen Anschlag gegen mich zu machen vermöchten, so könnte ich auch nicht zu einem Ueberfall berechtigt sein. Ich würde mich durch einen solchen auf eine Stufe mit jenen Spaniern gestellt haben, die in ihrer Grausamkeit in Amerika Millionen von Wilden hinmordeten, welche zwar Götzendiener und Barbaren und in ihren Sitten zum Theil blutig und roh waren (wie sie denn z. B. ihren Götzen Menschenopfer brachten), die aber den Spaniern gegenüber doch als ganz unschuldige Leute erschienen. Ueber ihre Ausrottung wird jetzt nur mit größtem Abscheu und heftiger Entrüstung von den Spaniern selbst und von allen andern christlichen Nationen Europa's geurtheilt, als von einer Schlächterei, einer blutigen und unnatürlichen Grausamkeit, die unverantwortlich vor Gott und Menschen ist. Hat doch seitdem der bloße Name jenes Volkes bei allen Leuten von christlichem Mitgefühl einen schrecklichen Klang, und betrachtet man doch das Königreich Spanien als dadurch besonders ausgezeichnet, daß es von einer Menschenrace bewohnt wird, die jenes Mitleidsgefühl entbehrt, welches allgemein für das gewöhnlichste Zeichen einer edlen Gesinnung gilt.

Diese Erwägungen brachten mich zum Einhalt in meinen Vorkehrungen. Nach und nach sah ich das Unrechtmäßige meiner Absichten gegen die Wilden ein und erkannte, daß ich nur dann mich mit denselben befassen dürfe, wenn sie mich zuerst angriffen, und daß dem wo möglich vorzubeugen jetzt meine einzige Aufgabe sei. Zugleich machte ich mir klar, wie ich durch mein früheres Vorhaben, statt mich zu befreien, nur mein eigenes Verderben herbeigeführt haben würde. Denn falls es mir nicht gelang, sämmtliche Wilde, sowohl die, welche das nächste Mal, als auch die, welche jemals später auf die Insel kamen, zu tödten, und sobald nur ein Einziger entrann und seinen Landsleuten berichtete, was geschehen sei, so war es sicher, daß diese zu Tausenden kommen und den Tod ihrer Gefährten rächen würden. Mit Rücksicht auf dies Alles beschloß ich, da es weder vernünftig, noch klug sei, mich in die Angelegenheiten der Wilden zu mischen, nichts Anderes zu thun, als mich in jeder Weise vor diesen verborgen zu halten und ihnen nicht den mindesten Anlaß zu der Vermuthung zu geben, daß irgend ein Wesen in Menschengestalt auf der Insel hause.

Auch meine religiöse Weltanschauung unterstützte diesen Vorsatz der Klugheit, und so war ich auf die mannichfachste Weise davon überzeugt, daß ich nur pflichtmäßig handelte, wenn ich meine blutigen Pläne gegen die unschuldigen Menschen fallen ließe. Unschuldig nämlich in Bezug auf mich. Ihre Verbrechen richteten sie ja nur gegen einander. Es waren Nationalsünden, deren Bestrafung ich der Gerechtigkeit Gottes zu überlassen hatte, welcher die Vergehen der Völker richtet und am besten weiß, wie sie durch Strafen zu rächen und zu sühnen sind. Dies war mir jetzt so klar, daß ich mit größter Genugthuung darüber erfüllt wurde, Nichts von dem ausgeführt zu haben, was ich nun aus vielen Gründen als einen absichtlichen Mord ansah. Ich dankte Gott auf den Knien dafür, daß er mich vor Blutschuld bewahrt hatte. Ich flehete ihn inbrünstig an, mich nicht in die Hände der Wilden fallen und mich nur dann selbst Hand an sie legen zu lassen, wenn ich durch die Nothwendigkeit der Selbstvertheidigung einen entschiedenen Beruf dazu haben würde.


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