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Da mir bei dieser Arbeit der Mangel einer Sense oder Sichel sehr fühlbar wurde, blieb mir nichts Anderes übrig, als mir, so gut es ging, eine solche aus einem der breiten Säbel, die ich unter den Waffen aus dem Schiffe gerettet hatte, anzufertigen. Uebrigens war meine erste Ernte nur mäßig, und das Schneiden derselben machte mir daher keine große Mühe. Ich vollzog es auf meine besondere Weise, indem ich nur die Aehren abschnitt und sie in einem großen Korb, den ich mir geflochten, heimbrachte. Dann entkörnte ich sie mit den Händen und gewann dabei nach meinem Ueberschlag (denn ich mußte nach dem bloßen Auge schätzen, da ich kein Maß hatte) nur etwa zwei Scheffel Reis und über zwei und einen halben Scheffel Gerste.
Trotzdem diente diese Ernte mir zu großer Ermuthigung, da ich hoffte, mir nun mit Gottes Hülfe in Zukunft auch Brod verschaffen zu können. Dabei zeigten sich aber neue Schwierigkeiten. Ich wußte nämlich weder, wie ich das Korn zerquetschen und Mehl daraus bereiten, noch wie ich dieses von der Kleie reinigen solle, und ebensowenig wie ich dann aus dem Mehl Brodteig gewinnen und diesen backen könne. Diese Zweifel vereint mit dem Wunsche, einen reichlichen Vorrath zu besitzen, um für meinen künftigen Unterhalt Sorge zu tragen, veranlagten mich, die jetzige Ernte noch nicht anzugreifen, sondern sie abermals ganz zur Aussaat aufzubewahren. Inzwischen nahm ich mir vor, all mein Nachdenken und meine ganze Thätigkeit auf das große Werk der Brodbereitung zu verwenden.
Jetzt konnte ich mit Wahrheit sagen, daß ich für mein tägliches Brod arbeite. Es ist fast wundersam, und wenige Menschen haben wohl je darüber nachgedacht, wie viel Dinge nothwendig sind, um nur den einen Artikel Brod bis zur Vollendung zu bringen. Mir aber, der ich im nackten Zustand der Natur lebte, kam dies, seit ich die erste Handvoll Korn gewonnen, in entmutigender Weise zu täglich klarerem Bewußtsein.
Zunächst hatte ich weder einen Pflug, die Erde zu ackern, noch einen Spaten, sie umzugraben. Diesem Mangel half ich jedoch, wie erzählt, ab, indem ich mir einen hölzernen Spaten machte. Allein mit diesem ging die Arbeit eben auch nur in hölzerner Manier von Statten, und wiewohl seine Anfertigung mich manchen Tag gekostet hatte, nutzte er sich, weil er keinen eisernen Beschlag hatte, rasch ab, und ich brachte die Arbeit mit ihm auch nur ungenügend zu Stande. Indeß schickte ich mich auch hierein mit Geduld.
Sodann, als das Korn gesäet war, fehlte es mir an einer Egge. Ich half mir, indem ich, über das Land gehend, einen großen und schweren Baumzweig darüber schleifte und die Erde also mehr kratzte als eggte. Dann brauchte ich, sobald das Korn hervorgewachsen war, gleichfalls, wie schon erwähnt ist, eine Menge von Dingen, um es einzuzäunen, zu schneiden, zu trocknen, einzubringen, zu dreschen, von der Spreu zu trennen und es dann aufzubewahren Ferner hätte ich auch eine Mühle nöthig gehabt, es zu mahlen, Siebe, um das Mehl zu reinigen, Hefe und Salz, um Brod daraus zu machen, und einen Ofen, um es zu backen. Trotzdem ich alle diese Dinge entbehrte, war mir das Korn doch von unschätzbarem Vortheil. Die Mühsamkeit und Langwierigkeit der Arbeit hatte, abgesehen davon, daß sie eben nicht zu äudern war, insofern für mich keine Bedeutung, als ich ja mit meiner Zeit nicht so sparsam zu sein brauchte. Ich hatte einen Theil des Tages für jene Arbeiten ein und für allemal bestimmt, und da ich Willens war, vorläufig Nichts von dem Korn für Brod zu verwenden, so konnte ich während der nächsten sechs Monate meine ganze Thätigkeit und Erfindungsgabe zur Beschaffung von Gerätschaften benutzen, welche für die spätere Verwerthung meines Getreides nöthig waren.
Da ich jetzt Samen genug besaß, um mehr als einen Morgen Land damit zu bestellen, mußte ich mir zunächst ein größeres Stück Erde bearbeiten. Vorher brauchte ich über eine Woche zur Anfertigung eines Spatens, der aber, wie gesagt, doch nur ein trauriger Nothbehelf wurde und doppelte Anstrengung bei der Arbeit nöthig machte. Nachdem ich auch damit zu Stande gekommen, streute ich meinen Samen in zwei große, flache Landstücke, die meinem Hause zunächst gelegen waren und mir tauglich schienen. Ich umgab sie mit einer dichten Hecke von demselben Strauchwerk, das ich schon früher angepflanzt hatte, und das, wie ich wußte, von raschem Wachsthum war, so daß ich binnen Jahresfrist auf eine starke lebendige Hecke rechnen konnte, die nur geringer Ausbesserung bedurfte. Ich brauchte zu dieser Arbeit nicht weniger als drei volle Monate, weil der größte Theil dieser Zeit in die Regenperiode fiel, in der ich nicht oft ausgehen konnte.
Während des Regens unterhielt ich mich zu Hause bei der Arbeit damit, daß ich meinen Papagei sprechen lehrte. Es gelang mir bald, ihm seinen eigenen Namen beizubringen, so daß er ihn zuletzt ganz deutlich aussprach. Pol war das erste Wort, was ich auf der Insel aus einem andern als meinem eignen Munde hörte.
Daneben verwendete ich meine Hauptthätigkeit auf ein neues großes Unternehmen. Längst hatte ich nämlich auf Mittel und Wege gesonnen, mich mit einigen irdenen Gefäßen zu versehen, die ich schmerzlich entbehrte. Ich war überzeugt, daß ich, sobald sich nur eine einigermaßen geeignete Art Thon finden ließe, daraus Töpfe formen könnte, die, in der Sonne des heißen Klimas getrocknet, hart und stark genug zur Benutzung und namentlich zur Aufbewahrung trocken zu haltender Sachen sein würden. Da ich sie vor Allem um Korn, Mehl und dergleichen zu bereiten brauchte, so beschloß ich jetzt einige solche möglichst große Gefäße im Voraus anzufertigen, an die ich weiter keine Ansprüche machte, als daß sie wie Krüge aufrecht stehen und was ich hinein thäte wohl verwahren könnten.
Der Leser würde mich bedauern, oder wahrscheinlicher auslachen, wenn ich ihm erzählte, wie viel ungeschickte Versuche ich hierbei unternahm, was für wunderliche, plumpe, häßliche Dinger ich zu Stande brachte, wie viele davon zusammen oder auseinander fielen, weil der Thon nicht steif genug war, die Form zu halten; wie viele ferner in der starken Sonnenhitze sprangen und wie viele vom bloßen Anfassen entzwei gingen. Nachdem ich mit großer Mühe den Thon gefunden, ihn ausgegraben, angefeuchtet nach Hause getragen und verarbeitet hatte, gelang es mir, binnen ungefähr zwei Monaten nicht mehr als zwei große häßliche Dinger (Krüge darf ich sie nicht nennen) fertig zu bringen.
Als die Sonne diese hart und trocken gebrannt hatte, flocht ich sie in Körbe, damit sie nicht zerbrechen sollten. Den kleinen Raum zwischen den Töpfen und dem Geflecht füllte ich mit Reis- und Gerstenstroh aus und hoffte nun, diese Gefäße würden Korn und Mehl aufbewahren können.
Während meine Arbeit in Bezug auf die großen Töpfe mangelhaft ausgefallen war, hatte ich bessern Erfolg bei der Verfertigung von allerlei kleinem Geschirr, z. B. runden Töpfchen, flachen Schüsseln, Krügen und Tiegeln und was mir sonst noch unter der Hand gerieth. Die Sonnenglut brannte diese Sachen außerordentlich fest.
Dies Alles aber erfüllte noch nicht meinen Zweck, ein irdenes Gefäß herzustellen, welches Flüssigkeiten halten und dem Feuer ausgesetzt werden könnte; dazu war keins von jenen Gefäßen zu brauchen. Da begegnete es mir einige Zeit später, als ich eines Tages ein ziemlich großes Feuer, das ich angezündet, um mir Fleisch daran zu braten, auslöschen wollte, daß ich darin einen Scherben von einem meiner irdenen Gesäße fand, steinhart gebrannt und ziegelroth. Ich war sehr angenehm überrascht durch diesen Anblick und sagte mir, daß, wenn ein solches Stück von meinem Geschirr sich brennen ließe, dies auch mit den ganzen Gefäßen möglich sein müsse.
Dies veranlaßte mich nachzudenken, wie ich mein Feuer einzurichten habe, um einige Töpfe daran zu brennen. Ich hatte keinen Begriff von einem Brennofen, wie die Töpfer sie benutzen, oder vom Glasiren mit Blei, von welchem letzteren ich ja eine Quantität besaß, die ich wohl dazu hätte verwenden können. Lediglich zum Versuche stellte ich drei große Tiegel und zwei oder drei Töpfe aufeinander und vertheilte mein Brennholz rings herum, mit einem großen Haufen Asche als Unterlage; dann versah ich das Feuer von Außen her und obenauf mit frischem Brennmaterial, bis ich die Töpfe innerhalb des Feuers durch und durch roth glühend werden sah, ohne daß sie zerplatzten. Als ihre Farbe hellroth geworden war, ließ ich sie in derselben Hitze noch etwa fünf bis sechs Stunden stehen, bis ich wahrnahm, daß einer von ihnen anfing zu schmelzen oder zu fließen, ohne jedoch entzwei zu springen. Denn der dem Thon beigemischte Sand schmolz durch die scharfe Hitze und würde zu Glas geworden sein, wenn ich so fortgefahren hätte. Ich milderte daher das Feuer nach und nach, bis die Töpfe die rothe Farbe verloren; nachdem ich die ganze Nacht dabei gewacht und dafür gesorgt hatte, daß das Feuer nicht zu schnell nachließ, hatte ich am andern Morgen drei sehr gute, ich will nicht sagen schöne, Tiegel und zwei andere irdene Gefäße, so hart gebrannt, als es nur zu wünschen war. Der eine davon erschien völlig glasirt durch den herausgeflossenen Sand.
Ich habe kaum nöthig zu sagen, daß ich nach diesem Experiment keinerlei irdenes Geschirr zu meinem Gebrauch mehr entbehrte; es fiel aber, wie ich nicht verhehlen will, hinsichtlich der Form sehr unvollkommen aus. Machte ich doch meine Gefäße ganz auf dieselbe Art, wie Kinder aus Sand Topfkuchen backen, oder wie eine Köchin, die nie gelernt hat mit Teig umzugehen, eine Pastete formen würde.
Niemals aber hat wohl Jemand größere Freude über einen unbedeutenden Gegenstand gehabt, als ich sie empfand, da es mir endlich gelungen war, einen irdenen Topf zu machen, der das Feuer zu ertragen vermochte. Ich konnte kaum die Zeit erwarten, bis mein Geschirr kalt geworden war und ich einen der Töpfe halb mit Wasser angefüllt wieder an das Feuer setzen und Fleisch darin kochen konnte, was ausgezeichnet gelang. Von einem Stück Fleisch einer jungen Ziege bereitete ich mir sehr gute Bouillon, hatte aber freilich weder Graupen, noch sonstige Zuthaten, um sie so schmackhaft zu machen, wie ich sie wohl gern gehabt hätte.
Meine Gedanken richteten sich nun zunächst auf Anfertigung eines steinernen Mörsers, um das Korn darin zu zerstampfen. Denn daß mein einziges Paar Hände es bis zum Kunstwerk einer Mühle bringen werde, daran war nicht zu denken. Für diese aber einen Ersatz zu finden, machte mir nicht geringe Schwierigkeit. Unter allen Handwerken der Welt war ich zu dem der Steinhauerei am wenigsten ausgerüstet. Es fehlten mir nicht weniger als alle Werkzeuge, um die Sache in Angriff zu nehmen. Manchen Tag wendete ich daran, einen Stein ausfindig zu machen, der groß genug zum Aushöhlen und zur Umgestaltung in einen Mörser wäre; aber ich fand durchaus nur solche, die in dem Felsen fest saßen und die ich auf keinerlei Weise ausgraben oder ausschneiden konnte. Auch waren die Felsen auf der Insel an sich nicht von hinreichender Härte. Sie bestanden vielmehr alle aus einer sandigen, bröckeligen Steinart, die weder die Wucht einer schweren Keule aushalten konnte, noch geeignet war, das Korn darin, ohne es mit Sand zu vermengen, klein zu stoßen. Nachdem ich sehr viel Zeit mit dem Suchen verloren hatte, gab ich es auf und beschloß, mich nach einem harten Holzklotz umzusehen, den ich auch in der That viel leichter fand. Als ich einen, den ich fortzubewegen vermochte, ausgesucht hatte, rundete ich ihn ab und formte ihn an der Außenseite mittels Axt und Hacke. Dann arbeitete ich mit unendlicher Mühe durch Feuer eine Höhlung hinein, wie die Indianer in Brasilien ihre Canoes auszuhöhlen pflegen. Hierauf fertigte ich mir eine große schwere Keule oder richtiger einen Schlägel von dem sogenannten Eisenholz an und verwahrte beides für die Zeit nach meiner nächsten Ernte, wo ich das Korn zu mahlen, oder vielmehr es zu Mehl zu stoßen und dann Brod daraus zu backen gedachte.
Die nächste schwere Aufgabe bestand in der Beschaffung eines Siebes oder Beutels, um das Korn darin zu reinigen und es von den Hülsen zu befreien. Denn ohne ein solches Ding Brod herzustellen hielt ich für unmöglich, wagte aber auch kaum auf ein Gelingen dieses Unternehmens zu hoffen. Ich hatte nicht das Mindeste, womit es allenfalls zu bewerkstelligen gewesen wäre, zum Beispiel Gaze oder ähnliches feines dünnes Zeug. Mehre Monate hindurch wußte ich nicht, wie ich die Sache angreifen sollte; besonders deshalb, weil, was ich noch an Leinwand besaß, aus bloßen Lumpen bestand. Zwar hatte ich Ziegenhaare, aber ich verstand sie nicht zu spinnen, und hätte ich es auch verstanden, so fehlte mir doch jedes nöthige Werkzeug dazu. Endlich fiel mir als einziges Auskunftsmittel ein, daß sich unter den Matrosenkleidungsstücken, die ich aus dem Schiff gerettet hatte, auch einige Halstücher von Kattun oder Mousselin befanden. Aus diesen verfertigte ich denn drei kleine Beutel, die ihren Zweck leidlich erfüllten, und behalf mich damit mehre Jahre hindurch. Wie ich es später anfing, werde ich seiner Zeit berichten.
Nun mußte auch die Art des Backens selbst überlegt werden und wie ich es anstellen sollte Brod zu bekommen, wenn ich erst das Korn haben würde. Erstens nämlich fehlte mir die Hefe; da es für diesen Mangel absolut keine Abhülfe gab, so machte ich mir darüber weiter kein Kopfzerbrechen. Aber auch um einen Ofen war ich sehr verlegen. Endlich verfiel ich auf folgenden Ausweg: ich verfertigte einige sehr breite, aber flache irdene Gefäße, etwa zwei Fuß im Durchmesser und nicht mehr als neun Zoll hoch. Diese brannte ich im Feuer, wie ich es mit den andern gemacht hatte, und stellte sie vorläufig bei Seite. Als ich dann später ans Backen ging, zündete ich ein großes Feuer auf einem Herd an, den ich mit einigen viereckigen Ziegeln, gleichfalls aus eigner Fabrik, gebaut hatte, bedeckte, sobald das Brennholz ziemlich zu Asche oder zu lebendigen Kohlen verbrannt war, damit den Herd gänzlich und ließ sie da liegen, bis die Platte ganz heiß war. Dann fegte ich alle Asche ab und legte die Brode darauf, stülpte die irdenen Schüsseln darüber und häufte dann die Asche wieder von Außen darum, um so die Hitze zusammenzuhalten und zu verstärken. Auf diese Weise buk ich mein Gerstenbrod so gut wie in dem besten Backofen der Welt und bildete mich nebenbei in ganz kurzer Zeit auch zum Conditor aus. Denn ich bereitete mir auch verschiedene Arten von Kuchen und Puddings aus Reis. Freilich Pasteten zu backen, mußte ich bleiben lassen, da ich ja doch Nichts gehabt hätte, um sie zu füllen, außer etwa Vögel und Ziegenfleisch.
Es kann nicht Wunder nehmen, daß über alle diese Dinge der größte Theil des dritten Jahres meines Aufenthalts auf der Insel verstrich: besonders wenn man bedenkt, daß ich zwischendurch auch meine erste Ernte und die Bestellung des Feldes zu besorgen hatte. Ich schnitt mein Korn zur rechten Zeit, brachte es so gut ich konnte ein und bewahrte es in den Aehren in meinen großen Körben auf, bis ich Zeit fand es auszureiben. Denn ich hatte ja weder Tenne, noch Flegel, um es regelrecht dreschen zu können.
Da jetzt meine Kornvorräthe zuzunehmen begannen, wurde es nöthig, auch die Scheunen größer zu bauen. Ich brauchte einen besondern Raum, um meinen Vorrath aufzuheben, denn das Korn hatte sich in dem Maße vervielfältigt, daß ich ungefähr zwanzig Scheffel Gerste und ebenso viel oder mehr Reis besaß. Von nun an beschloß ich, aus dem Vollen damit zu wirthschaften, besonders da mein Brod jetzt schon seit einer ganzen Weile völlig aufgezehrt ward. Ich nahm mir vor darauf zu achten, wie viel ich in Zeit von einem Jahr verbrauchen würde, um nur einmal jährlich säen zu müssen. Da sich hierbei ergab, daß die vierzig Scheffel Gerste und Reis viel mehr waren, als ich in einem Jahre verzehren konnte, beschloß ich, alle Jahre dieselbe Quantität wie das letzte Mal zu säen, in der Hoffnung, dies würde hinreichen, mich reichlich mit Brod und dergleichen zu versorgen.
Während der ganzen Zeit, in welcher diese Angelegenheiten mich beschäftigten, schweiften, wie man sich denken kann, meine Gedanken auch oftmals nach dem fernen Lande hinüber, welches ich von der andern Seite der Insel aus erblickt hatte. Ich wünschte im Stillen an jener Küste zu sein, die ich für das feste Land und für eine bewohnte Gegend hielt, und von wo aus ich mich auf eine oder die andere Art weiter zu befördern und vielleicht endlich Mittel und Wege zur Flucht zu finden hoffte. An die Gefahren, die mir dabei drohen würden, dachte ich gar nicht. Wie leicht hätte ich den Wilden in die Hände fallen können, und zwar solchen, die ich Ursache hatte für schlimmer zu halten als die Löwen und Tiger in Afrika. Wäre ich einmal in ihre Gewalt gerathen, dann war tausend gegen eins zu wetten, daß sie mich tödten, vielleicht gar auffressen würden; denn ich hatte gehört, daß die Bewohner der karaibischen Küste Cannibalen oder Menschenfresser seien, und nach meiner Berechnung der Breitengrade wußte ich mich nicht weit von dieser Küste entfernt. Aber auch wenn keine Cannibalen dort lebten, mußte ich doch annehmen, die Bewohner jener Gegend würden mich wahrscheinlich tödten. Hatten sie es doch mit vielen Europäern, die in ihre Hände gefallen, so gemacht, sogar wenn diese in Menge zusammen gewesen waren. Wie viel mehr drohte das mir Einzelnem, der ich mich wenig oder gar nicht vertheidigen konnte. Alle diese ernstlich zu erwägenden Bedenken, die später auch wirklich in meiner Seele auftauchten, flößten mir anfangs gar keine Besorgniß ein, und mein Sinn stand sehnsüchtig danach, auf das andere Ufer hinüber zu gelangen.
Wie sehr wünschte ich jetzt meinen Knaben Xury und das Langboot mit dem dreieckigen Segel herbei, in welchem ich über tausend Meilen an der afrikanischen Küste entlang gefahren war. Doch das blieb eine vergebliche Sehnsucht. Da kam mir eines Tages der Einfall, mich einmal nach dem Boot von unserem Schiffe wieder umzusehen, das, wie ich seiner Zeit erzählt habe, vom Sturm weit auf das Ufer hinauf getrieben war, als wir Schiffbruch gelitten hatten. Es befand sich auch noch beinahe an derselben Stelle, aber nicht ganz in der früheren Lage; die Gewalt von Wind und Wellen hatte es fast völlig umgekehrt und gegen einen hohen sandigen Uferrand getrieben, wo es mit dem Boden nach oben gewandt, aber nicht mehr wie anfangs von Wasser umgeben, lag. Wenn ich Arbeitskräfte genug gehabt hätte, um es wieder in Stand zu setzen und es flott zu machen, so würde das Boot noch ganz brauchbar gewesen sein, und es wäre mir dann ein Leichtes gewesen, darin nach Brasilien zurückzukehren. Obgleich ich nun hätte voraussehen können, daß ich ebenso gut die Insel selbst fort zu bewegen vermocht hätte, als das Boot aufzurichten und es auf seinen Bauch zu stellen, so ging ich dennoch in den Wald, schnitt Hebel und Rollen und brachte sie an das Boot, um zu versuchen, was ich ausrichten könnte. Dabei meinte ich, wenn ich es nur umkehren könnte, sei der Schaden, den es erlitten, leicht auszubessern, und ich würde dann leicht damit in See gehen können.
Ich sparte keine Mühe an diesem fruchtlosen Stück Arbeit und verwendete, glaube ich, drei bis vier Wochen darauf. Als ich es endlich unmöglich fand, das Boot mit meinen geringen Kräften zu heben, verfiel ich darauf, den Sand wegzuschaufeln, um es zu unterminiren und dadurch zu Falle zu bringen, und stellte Holzklötze auf, um es zu stützen und seinem Fall die nöthige Richtung zu geben.
Nachdem ich aber damit zu Stande gekommen war, zeigte es sich mir unmöglich, das Fahrzeug wieder aufzurichten, oder darunter zu gelangen, und viel weniger noch, es vorwärts nach dem Wasser hinzubewegen. So sah ich mich denn gezwungen, die Sache aufzugeben. Trotzdem aber so die Hoffnung, die ich auf das Boot gesetzt hatte, vereitelt war, stieg mein Verlangen, mich auf das Meer zu wagen, je mehr die Möglichkeit dazu verschwand, statt daß es sich minderte. Mit der Zeit kam ich auf den Gedanken, ob es nicht möglich sei, mir selbst ein Canoe oder eine Pirogue zu fertigen, wie sie die Eingeborenen jener Gegenden, ohne Werkzeuge, ja ich möchte sagen fast ohne alle Arbeit aus großen Baumstämmen machen. Es schien mir das bei genauerer Ueberlegung auch nicht nur möglich, sondern sogar leicht, und ich freute mich sehr darauf, den Plan auszuführen. Hatte ich doch dazu weit mehr Hülfsmittel als die Neger oder Indianer. Dabei bedachte ich aber ganz und gar nicht den besondern anderen Umstand, mit dem ich zu kämpfen haben würde, den Mangel an Kräften, nämlich zum Transport des fertigen Canoe's ins Wasser. Das mußte mir viel größere Schwierigkeiten machen, als der Mangel an Werkzeugen den Indianern. Denn was konnte es mir helfen, wenn ich, nachdem ich im Walde einen dicken Baum aufgesucht und mit vieler Mühe gefällt, ihn hierauf mit Hülfe meines Handwerkszeugs behauen und an der Außenseite ihm die richtige Form gegeben, ihn auch inwendig ausgehöhlt und so in ein Boot verwandelt hätte, dieses nach aller Mühe an seiner Stelle liegen lassen mußte und nicht im Stande war, es flott zu machen! Ich hatte nicht im Mindesten, bevor ich an dem Boot zu arbeiten anfing, über dies Verhältniß nachgedacht; denn sonst würde sich mir ja sofort die Frage aufgedrängt haben, wie ich es ins Meer schaffen solle. Nein, meine Gedanken waren so eingenommen von der beabsichtigten Seereise, daß ich nicht einen Augenblick überlegte, in welcher Weise ich das Ding vom Lande weg bekommen könne. Und doch lag es in der Natur der Sache, daß es mir leichter sein mußte, das Boot fünfundvierzig Meilen weit im Wasser, als auch nur ebenso viel Schritte auf dem Land, nämlich von der Stelle, wo es lag, bis ans Ufer fortzubringen. Ich machte mich an die Anfertigung meines Fahrzeugs in so wahnwitzigem Eifer, als ob mir mein Bischen Menschenverstand abhanden gekommen wäre. Nicht als ob die Frage, wie ich es anfangen sollte, das Boot flott zu machen, mir nicht nachträglich oft durch den Kopf gegangen wäre. Aber ich schnitt dieselbe ein- für allemal durch die alberne Antwort ab: Mache nur erst das Boot fertig, das Uebrige wird sich dann finden. So begann ich denn in leichtsinniger Hast mein Werk. Zunächst fällte ich eine Ceder. Es ist sehr fraglich, ob Salomo zum Bau des Tempels in Jerusalem einen so prachtvollen Stamm, wie der meinige war, zu verwenden gehabt hat. Derselbe maß an seinem unteren Ende, dicht an der Wurzel, fünf Fuß zehn Zoll im Durchmesser und zweiundzwanzig Fuß weiter nach oben immer noch vier Fuß elf Zoll; am oberen, noch mehr verjüngten Theil gliederte er sich in Aeste. Mit unbeschreiblicher Mühsal hatte ich diesen Baum umgehauen; zwanzig Tage lang hieb und hackte ich dann an ihm herum, und vierzehn weitere Tage erforderte das Beseitigen der Aeste und Zweige und der ganzen ungeheuren Krone, was ich mit Axt und Beil bewerkstelligte. Dann verwendete ich einen ganzen Monat darauf, ihn so zu behauen, daß er Form und richtige Verhältnisse annahm und eine Art von Kiel bekam, damit er aufrecht, wie es sich gehört, schwimmen konnte. Weitere drei Monate kostete es mich, das Innere zu höhlen und zu einem richtigen Boote auszuarbeiten. Dies Letztere brachte ich ohne Feuer lediglich mit Hammer und Meißel, wenn auch nur mit großer Mühsal zu Stande, und so hatte ich denn endlich eine sehr hübsche Pirogue fertig, die sechsundzwanzig Personen fassen konnte, also auch hinlänglich groß genug war, mich und mein Hab und Gut aufzunehmen.
Als das Werk vollendet dastand, freute ich mich außerordentlich darüber. Das Boot war viel größer, als ich je ein aus einem Baumstamm gefertigtes Canoe gesehen hatte, und manchen sauern Hieb hatte es mich gekostet, das kann ich versichern. Hätte ich es nun auch in das Wasser zu schaffen vermocht, so bezweifle ich gar nicht, daß ich die wahnsinnigste und unausführbarste Reise, die je unternommen worden, darin angetreten haben würde. Alle meine Versuche aber, es an das Wasser zu bringen, schlugen fehl, obgleich ich auch hierauf Mühe genug verwendete. Das Boot lag nur etwa hundert Schritt vom Ufer entfernt, aber gleich die erste Schwierigkeit bestand darin, daß die Insel nach der Flußmündung hin eine Anhöhe bildete. Um dies Hinderniß zu beseitigen, entschloß ich mich, die Erde abzugraben und auf solche Weise einen Abhang herzustellen. Ich begann die unendlich mühselige Arbeit mit Feuereifer. Wer läßt sich auch eine Mühe verdrießen, wenn die Freiheit damit zu erwerben steht! Als jedoch diese Aufgabe gelöst und die erste Schwierigkeit gehoben war, befand ich mich um nichts weiter als vorher, denn ich konnte jetzt mein Canoe ebensowenig von der Stelle bewegen, wie früher das andere Boot. Nun maß ich die Entfernung aus und beschloß, einen Kanal zu graben, um, da ich mein Boot nicht nach dem Wasser zu schaffen vermochte, das Wasser nach dem Boote hinzuleiten. Auch dieses Werk fing ich muthig an, jedoch als ich näher darüber nachdachte und ausrechnete, wie tief und breit ich graben müßte und wie ich die ausgegrabene Erde fortschaffen sollte, fand ich, daß ich mit den beiden mir einzig zu Gebote stehenden Händen zehn bis zwölf Jahre nöthig haben würde, ehe ich damit fertig sein könnte. Denn die Küste lag so hoch, daß der Kanal am oberen Ende wenigstens zwanzig Fuß tief werden mußte. Endlich, wenn auch mit großem Widerstreben, gab ich auch diesen Versuch auf.
Ich war herzlich bekümmert darüber, und jetzt erst sah ich ein, wie thöricht es ist, ein Werk zu beginnen, ehe man die Kosten veranschlagt und seine Fähigkeit, es durchzuführen, gehörig geprüft hat.
Mitten in diesen Arbeiten ging das vierte Jahr meines Aufenthalts auf der Insel zu Ende. Ich feierte den Jahrestag mit derselben Andacht und in gleicher Sammlung des Gemüths als die frühern Male. Denn durch fortwährendes Studium und ernstliches Forschen in Gottes Wort und mit Hülfe seiner Gnade war ich zu einer viel tieferen religiösen Erkenntniß als früher gelangt. Ich sah jetzt alle Dinge anders an als sonst. Die Welt betrachtete ich jetzt als etwas mir Fernliegendes, das mich Nichts anging, davon ich Nichts zu erwarten hätte und danach mich nicht verlangte. Ich hatte jetzt Nichts mehr mit ihr zu schaffen, noch war es wahrscheinlich, daß ich es je wieder haben würde. Darum stellte ich sie mir vor, wie wir vielleicht im Jenseits thun werden, als einen Ort, an dem wir gelebt, den wir aber verlassen haben, und wohl konnte ich sagen, wie Vater Abraham zum reichen Manne: »Zwischen mir und Euch ist eine große Kluft befestiget«.
Vor allen Dingen war ich hier abgesondert von aller Bosheit der Welt. Für mich gab es weder Fleischeslust, noch Augenlust, noch Eitelkeit des Lebens. Ich begehrte Nichts, denn ich besaß Alles, was ich genießen konnte. Ich war Herr der ganzen Insel; wenn es mir beliebte, konnte ich mich König oder Kaiser des Landes nennen, das ich in Besitz genommen hatte. Es gab keinen Rivalen, keinen Prätendenten neben mir, Keinen, der meine Herrschaft angefochten oder getheilt hätte. Ich hätte ganze Schiffsladungen voll Korn produciren können, aber ich vermochte sie nicht nutzbar zu machen, und darum säete ich nur eben so viel aus, als mein eigener Bedarf erforderte. Auch Wasser- und Landschildkröten hatte ich in Menge, aber mehr als von Zeit zu Zeit eine einzige konnte ich nicht verwenden. Ich besaß Bauholz genug. um eine ganze Flotte von Schiffen damit bauen, und Trauben genug, um mit ihnen als Wein oder Rosinen diese Flotte vollständig befrachten zu können. Jedoch was half mir das, was ich nicht nützen konnte? Ich hatte genug zu essen und meine Lebensnothdurft zu befriedigen, was sollte ich mit dem Uebrigen machen? Wenn ich mehr Thiere tödtete, als ich aufessen konnte, so mußte das Fleisch von dem Hund oder den Würmern gefressen werden. Säete ich mehr Korn, als ich verbrauchen konnte, so verdarb es; die Bäume, die ich fällte, blieben liegen und verfaulten; ich konnte sie zu nichts Anderem als zu Brennholz verwenden, und auch das brauchte ich nur, um meine Speisen zu bereiten.
Kurz, Natur und Erfahrung lehrten mich, bei genauer Betrachtung, daß alle guten Dinge dieser Welt nicht mehr Werth für uns haben, als in so weit wir sie gebrauchen können. Wie viel wir auch immer anhäufen mögen, um es Anderen zu geben, wir genießen nur gerade so viel, als wir selbst nöthig haben, und nicht mehr. Der habgierigste, gewinnsüchtigste Geizhals in der Welt würde vom Laster der Begehrlichkeit geheilt worden sein wenn er an meiner Stelle gewesen wäre; denn ich besaß ja unendlich viel mehr, als ich je verwenden konnte. Es blieb mir Nichts zu wünschen übrig, außer einigen Kleinigkeiten, die mir allerdings sehr willkommen gewesen sein würden. Ich war, wie ich früher erwähnt habe, im Besitz eines Beutels voll Geld, das aus Silber und Gold ungefähr im Werth von sechsunddreißig Pfund Sterling bestand. Aber, du lieber Gott! da lag nun das schlechte, erbärmliche, unnütze Zeug; ich hatte keine Art von Verwendung dafür, und oft dachte ich bei mir, wie gern ich eine Handvoll davon für eine Anzahl Tabakspfeifen oder für eine Handmühle, um mein Korn damit zu mahlen, geben würde. Ja, das Ganze hätte ich mit Freuden hingegeben für ein wenig englischen Runkelrüben- und Mohrrübensamen oder für ein Häuflein Erbsen und Bohnen und eine Flasche voll Tinte.
Wie jetzt die Sachen standen, hatte ich nicht den geringsten Vortheil oder Gewinn von jenem Mammon. Er lag im Kasten und verrostete durch die Feuchtigkeit der Höhle in der nassen Jahreszeit. Und hätte ich den Kasten voller Diamanten gehabt, so wäre es nicht anders gewesen; sie hätten keinen Werth für mich gehabt, weil ich sie nicht brauchen konnte.
Mit der Zeit war mein Leben viel freudiger geworden als im Anfange, sowohl das leibliche als das geistige. Ich setzte mich oftmals mit Dankbarkeit zu Tische und bewunderte die göttliche Vorsehung, die mir so den Tisch in der Wüste gedeckt hatte. Ich lernte mehr die Lichtseite meiner Lage ansehen und weniger bei der Schattenseite verweilen, und das gewährte mir zuweilen so viel innere Freude, daß ich es gar nicht auszudrücken vermag. Diesen Umstand erwähne ich hier, um ihn unzufriedenen Leuten einzuprägen, die nicht behaglich genießen können, was Gott ihnen bescheert hat, weil sie immer Dinge ansehen und begehren, die er ihnen versagt hat. Alle Unzufriedenheit über das, was uns fehlt, scheint mir aus unserm Mangel an Dankbarkeit für das, was wir haben, zu entspringen.
Noch eine andere Betrachtung war mir von großem Nutzen und würde das unzweifelhaft einem Jeden sein, der in solche Trübsale wie die meinigen gerathen ist. Ich verglich oft meinen jetzigen Zustand mit den Erwartungen, die ich anfangs davon gehegt hatte, oder vielmehr mit der Lage, in die ich unfehlbar gerathen sein würde, wenn nicht Gottes gütige Vorsehung es wunderbar gefügt hätte, daß das Schiff so nahe an meine Küste angetrieben wurde, wo ich es nicht nur hatte erreichen können, sondern auch Alles, was ich daraus mitnehmen wollte, zu meiner Erleichterung und Bequemlichkeit sicher ans Land zu bringen vermocht hatte. Denn ohne dies hätte es mir ja an jedem Handwerkszeug zu meinen Arbeiten gefehlt, an jeder Waffe zu meiner Vertheidigung und an Pulver und Blei, um mir Nahrung zu verschaffen.
Ganze Stunden, ich möchte sagen ganze Tage verwendete ich darauf, mir in den lebhaftesten Farben auszumalen, was ich angefangen haben würde, wenn ich Nichts aus dem Schiffe gerettet hätte. Nichts als Fische und Schildkröten wären in diesem Falle zu meiner Nahrung vorhanden gewesen, und da ich diese erst nach längerer Zeit auffand, hätte ich wahrscheinlich schon früher verhungern oder, wäre das auch nicht geschehen, doch stets wie ein Wilder leben müssen. Wenn es mir z. B. gelungen wäre, durch List eine Ziege oder einen Vogel zu tödten, so hätte ich ja nicht gewußt, wie ich das Thier hätte aufschneiden oder abhäuten, oder das Fleisch von dem Fell und den Eingeweiden trennen, oder es zerlegen sollen. Es wäre mir nichts Anderes übrig geblieben, als es mit den Zähnen zu zernagen und mit den Nägeln zu zerreißen wie ein wildes Thier.
Solche Erwägungen machten mich sehr erkenntlich für die Güte der Vorsehung und sehr dankbar in meiner gegenwärtigen Lage, trotz all ihren Entbehrungen und all ihren Mißlichkeiten. Ich möchte das auch besonders Denen zur Nachachtung empfehlen, die geneigt sind, in ihrem Elend zu sagen: »Gibt es denn noch andere Leiden, die so groß sind wie die meinigen?« Mögen sie einsehen, wie viel schlimmer es Andere haben und sie selbst es haben könnten, wenn der Himmel es für gut befunden hätte. Wieder ein anderer Gedanke, der auch dazu beitrug, mein Herz mit Trost zu erfüllen, war der, daß ich meine Lage mit jener verglich, die ich verdient hatte, und in die von der Hand Gottes versetzt zu werden, ich sonach hätte erwarten müssen. Ich hatte ein schreckliches Leben geführt, völlig ohne Gotteserkenntniß und ohne Gottesfurcht. Von Vater und Mutter war ich zwar gut unterwiesen worden, auch hatten sie nicht unterlassen, mir schon frühzeitig eine heilige Scheu vor Gott und einen Begriff von meinen Pflichten und von dem, was der Zweck meines Daseins von mir forderte, beizubringen. Aber ach! ich war so früh in das Leben und Treiben der Seeleute gerathen, das vor allen anderen ein gottloses zu sein pflegt (obgleich ja gerade der Seemann immerfort die Allmacht Gottes in den Schrecken der Natur unmittelbar vor Augen hat), daß das Bischen Religion, was ich bisher noch gehabt hatte, von meinen Genossen vollends aus mir herausgelacht war. Dazu hatte sich die mir zur Gewohnheit gewordene Verachtung der Gefahr und des Todes gesellt und später der gänzliche Mangel an Gelegenheit, mit irgend einem anderen Wesen meines Gleichen zu verkehren und irgend etwas Gutes oder zum Guten Führendes zu hören.
So weit entfernt von allem Guten war ich gewesen, so ohne jeden Begriff von dem, was ich war und was ich sein sollte, daß ich bei den wunderbarsten Errettungen, die ich erfahren, wie z. B. bei meiner Flucht von Saleh, bei meiner Aufnahme auf dem portugiesischen Schiffe, bei dem Gelingen meiner Unternehmungen in Brasilien, bei dem Eintreffen meiner Ladung aus England u. s. w., nicht ein einziges Mal ein »Gott sei Dank!« auch nur gedacht, geschweige denn ausgesprochen hatte. Auch in der allergrößten Noth war es mir nie eingefallen, ihn anzurufen oder auch nur zu sagen: »Herr erbarme dich meiner!« Nein, nicht einmal den Namen Gottes hatte ich in den Mund genommen, es sei denn, um dabei zu fluchen oder ihn zu lästern.
Viele Monate hindurch war meine Seele schwer bekümmert gewesen, wenn ich über mein früheres böses und verstocktes Leben nachgedacht, wenn ich um mich geblickt und die besondere Fügung betrachtet hatte, die seit meiner Ankunft an diesem Orte über mir waltete, und wenn ich erwog, wie reich mich Gott mit Wohlthaten überschüttet hatte. Hatte er mich doch nicht nur gelinder gestraft, als meine Sünden verdienten, sondern auch noch überreichlich für mich gesorgt. Dieser Umstand bestärkte mich auch in der Hoffnung, daß meine Reue angenommen sei, und daß Gott mir Gnade geschenkt habe.
Solche Betrachtungen führten mich nicht allein zu einer völligen Ergebung in den Willen Gottes und alle seine Schickungen, sondern sogar zu einer aufrichtigen Dankbarkeit für meine gegenwärtige Lage. Ich erkannte nun klar, daß ich mich nicht beklagen dürfte, da mir ja das Leben geschenkt und ich nicht einmal nach Verhältniß meiner Sünden gestraft worden sei, daß ich so viele Wohlthaten genieße, die ich an diesem Orte nicht erwarten durfte. Ich sagte mir, ich müsse allen Kummer fahrenlassen und mich vielmehr freuen und alle Tage für mein tägliches Brod danken, welches mir nur durch eine Menge von Wundern bereitet werden konnte. War denn nicht das Wunder, durch welches ich gesättigt wurde, ebenso groß als das, durch welches Elias von den Raben gespeist wurde, ja, gehörte zu jenem nicht vielmehr eine ganze Reihenfolge von Wundern? Gab es im ganzen Bereich der unbewohnten Erde einen Ort, wohin verschlagen ich mich besser befunden haben würde als auf meiner Insel, wo ich zwar – und das war allerdings ein rechter Kummer – keine menschliche Gesellschaft, aber auch keine reißenden Thiere, keine gierigen Wölfe und Tiger gefunden, keine ungesunden oder giftigen Geschöpfe, deren Genuß mir schädlich werden konnte, keine Wilden, die mich umgebracht haben würden, angetroffen hatte? Wie ich hier einerseits ein Leben des Elendes führte, so war es andererseits doch auch wieder ein Leben der Gnade. Um es zu einem ganz glücklichen Leben zumachen, brauchte ich mich nur täglich durch die Erkenntniß der Güte Gottes und seiner Fürsorge für meine Bedürfnisse trösten zu lassen. Aber wirklich hörte ich, als ich in dieser Uebung erst einige Fortschritte gemacht hatte, auf, traurig zu sein.
Während der langen Zeit, die ich jetzt schon auf der Insel weilte, waren viele von den Sachen, die ich zu meinem Gebrauche mit ans Land genommen hatte, entweder ganz, oder wenigstens zum größten Theil aufgebraucht.
Meine Tinte hatte, wie ich früher bemerkte, schon seit einiger Zeit bis auf einen kleinen Rest, welchen ich nach und nach immer mehr mit Wasser verdünnte, bis man auf dem Papier kaum noch einen Schein von Schwärze wahrnehmen konnte, abgenommen. So lange sie vorhielt, benutzte ich sie, um die Tage des Monats, an welchen irgend mir etwas Bemerkenswertes begegnete, aufzunotiren. Als ich diese Daten mit meiner Vergangenheit verglich, bemerkte ich ein merkwürdiges Zusammentreffen der Tage in Bezug auf die verschiedenen Schicksale, die mich betroffen hatten. Wäre ich zu abergläubischer Beobachtung besonderer glück- oder unglückbringender Tage geneigter gewesen, so hätte sich hier Anlaß zu großer Verstärkung dieser Neigung geboten. Zuerst hatte ich ausgerechnet, daß ich an demselben Monatstage, an dem ich meinem Vater und meinen Verwandten durchgegangen und nach Hull entlaufen war, um mich dort einzuschiffen, später von dem türkischen Piratenschiff gefangen und zum Sklaven gemacht worden war. An dem Monatstage, wo ich aus dem Wrack des Schiffes auf der Rhede von Yarmouth gerettet worden, hatte ich später meine Flucht in dem Boote von Saleh ausgeführt. Ferner war mir an meinem Geburtstage, dem 30. September, das Leben, nach sechsundzwanzig Jahren, von Neuem auf so wunderbare Weise geschenkt worden, indem ich an die Insel getrieben war; und so hatte mein Leben der Sünde und mein Leben der Einsamkeit an demselben Tage seinen Anfang genommen.
Das Zweite, was außer der Tinte zu Ende ging, war mein Brod. Ich meine die Schiffszwiebacke, die ich aus dem Schiffe gerettet. Mit diesen hatte ich auf das allersparsamste gewirthschaftet und mir über ein Jahr lang nur Einen Zwieback täglich gestattet. Trotzdem mußte ich noch beinahe ein Jahr mich ohne Brod behelfen, bis ich solches aus selbst gebautem Korn bekam.
Auch meine Kleidungsstücke fingen an gewaltig in die Krümpe zu gehen. Von Wäsche besaß ich schon seit einer ganzen Weile nichts als eine Anzahl gewürfelter Hemden, die ich in den Kästen meiner Schiffsgenossen gefunden und sorgsam geschont hatte. Da ich oft wegen der Hitze nichts weiter als ein Hemd auf dem Leibe haben konnte, kam es mir sehr zu Statten, daß ich unter den Sachen der Schiffsmannschaft beinahe drei Dutzend von diesen Kleidungsstücken gefunden hatte. Auch einige dicke Wachtröcke der Matrosen waren noch vorhanden, aber die waren zu warm, um sie hier zu tragen. Allerdings glühete die Sonne oft so heiß, daß man meinen sollte, ich hätte überhaupt keine Kleidung nöthig gehabt. Jedoch hätte ich nicht ganz nackend gehen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Abgesehen davon, daß mir der Gedanke daran, obgleich ich allein lebte, unerträglich war, bestand auch noch der andere Grund, daß ich die Sonnenhitze viel besser vertragen konnte, wenn ich Etwas angezogen hatte. Die unmittelbare Hitze brannte mir die Haut wund, wenn ich hingegen ein Hemd trug, so brachte die Luft selbst darunter einige Bewegung hervor, und mir war unter demselben noch einmal so kühl, als ohne es. Ebensowenig durfte ich jemals wagen, ohne Hut oder Mütze in die Sonnenhitze hinauszugehen; denn diese brannte mit solcher Heftigkeit, daß sie mir sofort Kopfschmerzen verursachte, wenn sie mir direkt auf den Kopf schien. Dagegen verschwanden die Schmerzen gleich wieder, sobald ich meinen Hut aufsetzte.
Unter diesen Umständen hielt ich es für nöthig, die wenigen Lumpen, welche ich Kleider nannte, einigermaßen wieder in Stand zu setzen. Meine Westen hatte ich alle aufgetragen, daher beschloß ich zu versuchen, ob ich nicht aus den dicken Ueberröcken und aus dem, was ich sonst noch an Material besaß, mir Jacken anfertigen könnte. So machte ich mich nun ans Schneidern oder vielmehr ans Flicken. Ungeschickt genug stellte ich mich dazu an, das muß wahr sein. Indessen brachte ich doch zwei oder drei neue Westen ganz leidlich zu Stande und hoffte damit eine geraume Weile auszukommen. Was dagegen die Beinkleider betraf, so mußte ich mich damit fürs Erste auf das Allerdürftigste behelfen.
Ich habe früher erwähnt, daß ich die Felle aller vierfüßigen Thiere aufzubewahren pflegte. Ich hatte sie an Stangen aufgespannt in die Sonne gestellt. Hierdurch waren einige so trocken und hart geworden, daß sie nur wenig zu brauchen waren, andere aber schienen verwendbar zu sein. Das Erste, was ich mir daraus machte, war eine große Mütze. Ich kehrte die rauhe Seite des Felles nach Außen, zum Schutz gegen den Regen, und das Ding gelang mir so gut, daß ich mir später einen ganzen Anzug aus Thierfellen anfertigte; das heißt eine Weste und kurze Hosen. Die letzteren waren an den Knieen offen und gehörig weit, denn es kam mir mehr darauf an, kühl als warm dadurch gehalten zu werden. Ich darf nicht verschweigen, daß sie sich abscheulich ausnahmen. Denn war ich schon ein schlechter Zimmermann, so war ich doch ein noch schlechterer Schneider. Trotzdem konnte ich mich sehr gut damit behelfen. Ging ich aus und es fing an zu regnen, so ließ die rauhe Außenseite meiner Weste und Mütze das Wasser nicht eindringen, und ich blieb darin ganz trocken.
Ferner verwendete ich sehr viel Zeit und Mühe darauf, mir einen Sonnenschirm zu machen. Einen solchen wünschte und brauchte ich in der That sehr. In Brasilien hatte ich auch dergleichen verfertigen sehen, dort dienen sie zum Schutze gegen die große Hitze, und hier kam mir die Hitze mindestens ebenso groß, wenn nicht größer vor als dort, und die Insel lag ja auch dem Aequator näher. Da ich genöthigt war viel auszugehen, mußte mir ein Schirm nicht nur gegen die Sonne, sondern auch gegen den Regen von großem Nutzen sein. Ich gab mir die erdenklichste Mühe, und doch dauerte es sehr lange, bis ich ein solches Ding fertig gebracht hatte, was zusammenzuhalten versprach. Nachdem ich schon glaubte das richtige Verfahren entdeckt zu haben, mißglückten noch zwei oder drei Versuche, bis einer gelang, der mich zufrieden stellte. Die größte Schwierigkeit hatte die Einrichtung, durch die ich den Schirm zusammenlegen konnte, mir gemacht. Denn wenn ich ihn nur aufzuspannen, nicht aber auch zusammenzulegen und einzuziehen vermocht hätte, so würde ich ihn nicht anders als immer über dem Kopfe haben tragen können, und das ging doch nicht. Endlich gelang mir, wie gesagt, ein ziemlich zweckmäßiges Gestell, das ich mit Fellen, die Haare nach Außen gewendet, überzog, so daß der Regen wie von einem schrägen Dache ablief. Auch gegen die Sonne gewährte dieser Schirm so hinreichenden Schutz, daß ich jetzt in dem heißesten Wetter mit mehr Annehmlichkeit im Freien sein konnte als sonst bei kühlster Temperatur. Hatte ich ihn nicht nöthig, so legte ich ihn zusammen und trug ihn unter dem Arme.