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Sechzehntes Kapitel

Der Aufenthalt der englischen Gesandtschaft am Hofe zu Weißenfels gab noch immer Anlaß zu üppigen Festen und einem regen geselligen Verkehr.

Als Rosa von Bünau zuerst wieder mit dem Oberstallmeister zusammentraf, wurde es ihr schwer, gleich den gesellschaftlich unbefangenen Ton zu treffen, er kam ihr aber mit so viel Offenheit entgegen, daß sie sich aufs neue über ihr damaliges Entsetzen wunderte.

»Mein Fräulein«, sagte er traurig, aber ohne Empfindlichkeit, »Sie haben mir eine peinliche réprimande von seiten seiner hochfürstlichen Durchlaucht zugezogen. Ich gebe ja gern zu, daß ich in keiner Weise an Ihre Liebenswürdigkeit hinanreiche, also durchaus des Glückes Ihres Besitzes nicht wert bin, aber mußte ich denn verklagt und als ein desperater sans façon hingestellt werden? Was erfüllte Sie an dem unglücklichen Nachmittage mit so viel hautainer froideur

Er drang wiederholt in sie, ihm diese Frage zu beantworten, und so gestand sie ihm endlich, daß sie zufällig sein hartes, sein abscheuliches Benehmen gegen den Invaliden mit angesehen habe. Ein Wiederschein seiner damaligen Gemütsbewegung fuhr, so gut er sich auch zu beherrschen vermochte, über sein ausdrucksvolles Gesicht.

»Ah, das war es!« rief er mit einem krampfhaften Bemühen zu lachen. »Ein miserabler Stallknecht, der mich bedrohte, weil ich ihn fortjagte, ein vaurin, nicht wert, daß sich seinetwegen Ihr gutes Herz rührt. Kann man sich Sottisen von einem Strolch sagen lassen? Jedem Manne von Ehre wallt dabei das Blut auf. Und dieser Infame hat mich um mein Glück betrogen?«

Sie blickte ihn erschrocken an.

»Ohne Sorge, Fräulein von Bünau«, fuhr er in bester Haltung fort, »ich werde gewiß nicht wieder in meinen alten Fehler zurückfallen, ich werde hinfort meine Passion, die Sie erschreckt hat, dominieren. Können, wollen Sie mir noch nicht mehr zugestehen, so lassen Sie uns wenigstens Freunde sein und bleiben.«

Und so ward wirklich, dank seiner außerordentlichen Selbstbeherrschung und Gewandtheit, ein Verkehr zwischen Daniel von Storke und dem schönen Kammerfräulein hergestellt, wie er ihn sich zur Täuschung der Außenwelt nicht besser wünschen konnte.

Nächst seinem Verhältnis zu Rosa beschäftigte den Oberstallmeister der Gedanke an Peter Mork, welcher sich so unliebsam in seine Erinnerung gedrängt. Also der Elende war seinen Wunden bei Kesselsdorf doch nicht erlegen! Welche Störungen oder gar Gefahren hatte er vielleicht noch von dem Unverschämten zu erwarten? Es mochte doch klug sein, mit ihm zu unterhandeln. Er beschloß also, nach der Domäne Wiedebach, die er bis jetzt in einem sonderbaren Gefühle von Scheu vermieden, hinauszureiten und sich womöglich gütlich mit dem Feindseligen auseinanderzusetzen.

Am nächsten Morgen schlug Daniel von Storke diese Richtung ein und erkundete bald die Hütte des Knechtes. Sie sah verfallen aus, und man sagte ihm auf sein Befragen, Mork sei infolge eines Aufbruchs seiner Wunden schwer erkrankt. Der Oberstallmeister gab sein Pferd ab und schritt mit einem peinlichen, sonst seinem kecken Sinn unbekannten Zagen dem Häuschen zu.

Ein jammervoller Anblick bot sich ihm bei seinem Eintritt dar. Peter Mork lag tot auf einem Bette, sein Weib, abgemagert und zerlumpt, saß, ein Bild der Verzweiflung, davor. Die blühende Amme war kaum wiederzuerkennen.

Das Oeffnen der Tür schreckte sie auf; als sie den Oberstallmeister gewahrte, überlief eine dunkle Glut des Zorns ihre eingefallenen Züge, sie stürzte ihm entgegen und überhäufte ihn mit einer Flut von Vorwürfen. An seinen Mißhandlungen neulich am Forsthause war ihr Mann gestorben. Sie wußte, daß er böse Gedanken in des armen Morks Kopf gesetzt, daß ihn große Schuld an ihrem Unglück, an Peters Tat treffe.

»Aber auf den gnädigen Herrn wird's heimkommen!« schrie sie und drohte dem Eindringling mit der Faust. »Der arme Kerl da ist mit einem Fluch auf Sie, auf den Anstifter seiner Missetat, die Ursache seiner Leiden, dahin gefahren!«

Storke stand entsetzt, angewidert. »Ich will Ihr den Unsinn nicht anrechnen, den Sie schwatzt«, sagte er so kühl er's sich vermochte. »Der Tote hat sich an mir vergangen, und ich mußte mich seiner erwehren. Es tut mir leid, wenn er Schaden davon genommen. Ich will Ihr ein Stück Geld geben und dann mag Frieden zwischen uns sein.«

»Ich will kein Geld nehmen für meines Mannes Leben und Seligkeit, die er durch den gnädigen Herrn verloren hat. Ich will auch keinen Frieden. Kann ich's, so tue ich Ihm so viel Herzleid an, als mein Peter erduldete. Ich will nicht den Schimpf auf den Toten bringen, zu sagen, was er getan, sonst gäb' ich den großen Herrn an, der's gewollt.«

»Ihr Verstand hat gelitten – ins Tollhaus mit Ihr«, murmelte Storke erschrocken. Er erkannte, daß mit dem Weibe jetzt nicht zu reden sei. Des Mannes Tod kam ihm ja äußerst gelegen, aber war Lotte, die sich plötzlich in eine Megäre verwandelte, nicht ebenso zu fürchten wie Peter?

Ein Schauder packte Storke, und er eilte von dannen.

Während er Weißenfels zuritt, überlegte er vergebens, was er tun könne, um das gereizte Weib unschädlich zu machen. Nur eine gewisse Rücksicht für den Toten hielt Lotte ab, ihn zu verderben, und wenn er auch alles leugnete, war doch bei der Herzogin steter Sorge, falls die Amme sprach, seines Bleibens nicht länger am Hofe. So langte er verstört wieder zu Hause an.

Der Herzog und seine Gemahlin waren zu edelsinnig, um den Mißerfolg Storkes bei Rosa von Bünau jemanden mitzuteilen. Daß der Oberstallmeister kein Zerwürfnis durchblicken ließ, gefiel ihnen.

»Er ist doch ein Kavalier«, sagte der Herzog zu seiner Gemahlin, erfreut, daß er seinen alten Liebling wieder zu Gnaden annehmen konnte. »Geht solchem feurigen, jungen Kerl nach dem Echauffement einer lustigen Fête die Zunge mit Bêtisen durch, so ist's kein Wunder. Ich habe ihm energisch den Kopf gewaschen, und siehe da, er findet einen ton comme il faut. Mit solchen Leuten läßt sich's leben!«

In des Herzogs offnem Gemüt gab es kein Nachtragen, und so mutmaßte er auch keine rachsüchtigen Hintergedanken bei andern.

Die Herzogin, welche alles Aufsehen Erregende, jeden Bruch, jede Schroffheit peinlich empfand, freute sich nicht minder, daß dieser Zwischenfall so ganz ohne Störung ablief. Auch daß Rosa sich mit Storkes Verhalten zufrieden erklärte, war ihr angenehm, so konnte denn alles glatt weiter gehen.

Der Einzige, welcher sich nicht ganz täuschen ließ, war Graf Luja. Er besaß von vornherein keine Sympathie für den Oberstallmeister; die beiden Männer waren grundverschieden, um sich verstehen und Geschmack aneinander finden zu können. Mit tiefem Schmerz hatte Luja früher gesehen, daß Rosa von Bünau oft vollständig von Storke eingenommen erschien. Er kämpfte ein paarmal mit sich, ob er sie warnen dürfe, wies sich dann aber selbst mit festem Entschluß zur Ruhe. Sollte seine treue Mutter doch damals recht gehabt haben, war er eifersüchtig auf Storkes blendende Vorzüge und die demgemäß ganz natürlichen Triumphe?

Er wollte ernstlich jede Regung des Neides in seinem Gemüte überwachen. Wie gering, wie jämmerlich erschien ihm selbst die mißgünstige Eifersucht, welche sich an die Fersen eines Mitstrebenden heftet und seine Vorzüge zu verkleinern trachtet. Hatte die liebenswürdige Rosa nicht die volle Freiheit, ihr Herz, ihre Neigung ohne Beschränkung dem zu geben, dem beides sich zuwandte? Ganz gewiß! Und in welchem falschen Lichte erschien er vor ihr, vor sich, wenn er es wagte, solch eine zarte Angelegenheit zu berühren. War er doch selbst noch nie als ihr Bewerber aufgetreten. Er wußte, der ganze Hofkreis wäre in das lebhafteste Erstaunen geraten, wenn man gesagt hätte: »Graf Luja liebt die Bünau.«

Als seine Mutter vor ein paar Jahren zu ihm zog, hieß es, er werde nun gewiß ledig bleiben. Auch war ihm selbst nie der Wunsch oder der Plan sich zu verheiraten aufgestiegen. Aber jetzt, nach der neulichen Unterhaltung mit Rosa in der Kirche, hatte er sich zu bekennen gewagt, wie teuer ihm das holde Geschöpf sei. Es war ihm gelungen, einen tiefen Blick in ihre warme pietätvolle Seele zu werfen, und diese Erkenntnis hatte sein Verlangen: »Sie oder keine« zur Reife gebracht. Er mußte aber seiner ganzen Natur nach bedächtig vorgehen, konnte sein Glück nicht auf eine Karte setzen.

Nach jener Begegnung in der Kirche und der kurzen Trauerzeit, während welcher er mit dem Herzoge in Weißenfels geblieben, hatte Graf Luja das Kammerfräulein nur einige Male in Gegenwart der Herzogin und seiner Mutter im Krankenzimmer und dann zuerst öffentlich bei der Schlittenpartie getroffen. Vom Schlitten des Herzogs aus hatte er sie beobachtet. Ihm waren manchmal ihre strahlenden Züge, ihre lebhafte Erregung zu Gesicht gekommen, und er hielt sein Schicksal für besiegelt. Hatte Rosa doch nur Augen und Ohren für Daniel von Storke gehabt.

Daß diese Schlittenfahrt eine Krise in das Verhältnis des Oberstallmeisters zu dem schönen Fräulein gebracht, war das laute Geheimnis des ganzen Hofes. Wie konnte man zweifeln, daß dieses Paar, welches sich so lange für einander interessiert hatte, endlich einig geworden sei, daß also einer Veröffentlichung der Verlobung nur die Einwilligung der Herrschaften fehle. Und wenn diese mancherlei Bedenken geltend machten, so fand man das begreiflich.

»Ist dem wirklich so?« fragte sich Luja. Wie gern rief er sich Rosas Herzlichkeit während seiner Krankheit zurück. Wie verlangend hatten ihre Augen an seinen Lippen gehangen, wenn er gesprochen! Sollten ihn diese freundlichen Blicke getäuscht haben? Sollte er ihren Ausdruck nicht zu deuten verstehen?

Zu diesem kam noch der unangenehme Eindruck, welchen Storkes Härte gegen den Einbeinigen in Lujas Gemüt nachgelassen. Aber noch mehr und anderes als die rohe Handlungsweise des Oberstallmeisters erregte ihn. Sonderbare, abgerissene Worte und Beschuldigungen, deren eigentlichen Sinn Luja nicht zu deuten vermochte, hatte der Elende dem Kavalier entgegengeschrien. Nahm dieser »Mork« Partei für eine alte Geliebte Daniel von Storkes, deren Kinde er nicht gerecht werden wollte? Die Worte »Kind« – »Ihre Schuld« – waren gefallen.

Jedenfalls lag hier ein dunkler Punkt, der eine unsaubere Vergangenheit ahnen ließ. Und diesem Roue wollte Rosa von Bünau, das reine, süße Wesen angehören! Aber nein, es konnte nicht sein! Alle diese ernsten Gedanken bewegten Lujas Seele, während er nach einem Herrendiner im Schlosse Ende März durch den Park seiner Wohnung zuschritt.

Es dunkelte bereits, Geschäfte hatten den Grafen im Schlosse festgehalten. Ein starker Regenschauer, mit Schnee und Schloßen gemischt, brach plötzlich über den rüstig Zuschreitenden herein. Er sah sich nach einem schirmenden Dache um, wo er untertreten konnte. Das Schieferhäuschen lag nicht weit ab vom Wege, dorthin richtete er also seine Schritte, war es auch verschlossen, so gab doch eine vorgebaute Veranda Schutz gegen das Unwetter.

Der Pavillon war bald erreicht, und Luja trat stampfend und sich schüttelnd unter Dach. Die Tür fand er, wie vorauszusehen, abgeschlossen, schon wandte er sich wieder zum Fortgehen, als ein schwacher Lichtschein aus einer Spalte der von innen vorgelegten Fensterladen ihm auffiel. Die Gartengehilfen konnten um diese Zeit nicht mit den Pflanzen beschäftigt sein.

Er brachte sein Auge an die Spalte und fuhr erschrocken zurück. Welch ein Bild bot sich ihm dar!

Auf der Rohrbank, die inmitten der im Hintergrunde aufgestellten grünen Gewächse stand, saß Daniel von Storke, mit lauschendem Ausdruck und Blick auf die Tür gerichtet, an der eben von außen gerüttelt worden; in seinen Armen aber, das Gesicht an seiner Schulter verborgen, lag eine schlanke, weibliche Gestalt, den Kopf in einen schwarzen Spitzenschleier gehüllt, aus dem eine dunkle Locke über das helle Kleid herabfiel. Es schwindelte Martin Luja bei diesem Anblick, glaubte er doch die schwarze Locke zu erkennen.

Als er sein Auge zum zweiten Male an die Spalte legte, war alles dunkel, man hatte die kleine Blendlaterne, die vor dem Paar auf dem Tisch gestanden, ausgelöscht.

Luja mußte sich an die Wand lehnen, um sich zu sammeln. Was er gesehen, bedurfte keiner Bestätigung, es hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt, aber er brauchte Zeit, sich von seinem Entsetzen zu erholen. Es gab für ihn nur die eine Frage: War dies wirklich Rosa von Bünau, die da in Storkes Armen lag? Der Augenschein sprach dafür, und doch rief eine Stimme in seinem Herzen: Es ist unmöglich!

Noch gestern hatte er gesehen, mit welch' scheuer Freundlichkeit, mit welcher Miene des Einverständnisses Rosa des Oberstallmeisters Huldigungen entgegengenommen, hatte gehört, wie man die beiden als heimliches Brautpaar bezeichnete. Selbst Zscheplitz begann sich von Rosa zurückzuziehen, um sich Jakobine von Wolfhart mehr und mehr zuzuwenden.

Wenn Rosa sich als Storkes Verlobte betrachtete und im Schlosse nicht die Möglichkeit fand, ihn allein zu sehen, so war dieses Rendezvous hier eine Aushilfe, die Luja doch der empfindenden Rosa nimmermehr zugetraut hätte.

Ein Irrtum, ein jammervoller Irrtum war seine Liebe gewesen! Rosa war nicht das, was er so fest geglaubt – ach, nun hatte er sie ja auch für immer verloren!

Aber sollte er sich nicht erst Gewißheit verschaffen? Wenn er die Tür besetzt hielt, mußte ja das Paar an ihm vorübergehen. Es war aber fast Nacht, wenn die Dame sich verschleierte, konnte er sie wieder nicht mit Bestimmtheit erkennen. Und sich verstecken, wegelagern, lauschen? – »Pfui, Martin, eine Dame ängstigen, sich selbst in eine miserable Situation bringen, nimmermehr!« Stand auch das Glück seines Lebens auf dem Spiele, er konnte es nicht. Wie um der Versuchung zu entfliehen, stürzte er sich in das Unwetter hinaus und eilte schwer bedrückten Herzens seiner Wohnung zu.

»Er ist fort; ich höre sich entfernende Schritte«, flüsterte Daniel von Storke dem erschreckten Mädchen zu, das sich zitternd an seine Brust schmiegte. » Soyez tranquille, chère Clémence. die Gefahr ist vorüber.«

»Wer es nur gewesen sein mag?« fragte die Bonne ängstlich.

»Das kann uns indifferent sein«, lachte Storke, »er hatte keine Idee von unserm süßen tete-à-tete, die Laden schließen dicht und zu aller Vorsicht verlöschte ich Dein Laternchen, meine arme ausgeflogene Taube! Wäre es ein Herr vom Hofe gewesen, der hier ein Schäferstündchen geahnt, er würde, um das Gaudium unseres Rückzugs zu genießen, den Pavillon für die ganze Nacht blockiert haben.«

Mit erneuertem Gefühl der Sicherheit überließen sie sich ihrer abgebrochenen Unterhaltung. Storke gab dem Mädchen eine nochmalige Schilderung seiner abhängigen und beschränkten Lage. »Wäre ich wohlsituiert, müßtest Du meine Gemahlin werden, Geliebte«, flüsterte er. »Clémence Baronne de Storke. Wollen wir vereint dieses Ziel zu erreichen streben?«

»Oh, mon dieu, ob ich will! Frag, ob ich mir die Seligkeit ersehne!«

»Und Du würdest auch etwas dafür tun?«

»Alles! Welch ein Zweifel!«

Storke ging unter Liebkosungen vorsichtig weiter. Er sprach von der Gönnerschaft Brühls, von den ihm eröffneten Aussichten. Ein herrlicher Grundbesitz, eine einträgliche Hofstellung in Dresden lockten als Belohnung, wenn –

Um dieses »wenn« mußte Clemence lange schmeicheln. Er sagte, er wisse nicht, ob sie Verständnis für Politik, für den Gang der Welt und der Geschäfte besitze. Lebhaft schilderte er ihr die Opfer, welche ein Krieg fordere, und die dem Lenker eines Staates auferlegte Notwendigkeit, Besitz und Machtsphäre auszubreiten, wußte er doch noch genau, was Hennicke ihm gesagt hatte.

Ganz allmählich zog er seine Kreise enger. Er ließ sich immer wieder abfragen, abbetteln, was er denn tun müsse, um jene Herrlichkeiten von Brühl zu erlangen, deren Besitz ihm eine Heirat mit ihr ermöglichen würde. Endlich wagte er's, ihr unter heißen Küssen ins Ohr zu flüstern, um was es sich handle.

Clemence fuhr entsetzt zurück. »Mein Prinzchen,« stöhnte sie, » mon joli Auguste?«

Der Versucher stellte ihr noch einmal die Lage der Dinge vor. Er beschwor sie, ihm anzugehören, und wurde immer kühner in seiner Zärtlichkeit.

Clemence eilte heute später ins Schloß zurück als je, sie rechnete auf Babett, welche ihre Abwesenheit verbergen oder entschuldigen würde. Der Kleine war vor ihrem Fortgehen zu Bett gebracht, die Herzogin wohnte einer Soiree bei.

Die alte Wärterin drückte gern ein Auge zu, wenn Mademoiselle abends auf ein Stündchen fortging. Ihr tat das junge Blut leid, welches immer an das Kind und die Kinderstube gefesselt war, sie meinte, eine Unterhaltung könne man ihr gönnen, besonders, da sich ein ehrbarer und zweckmäßiger Nebengedanke damit verband. Der Kellermeister, ein behäbiger Junggeselle mittleren Alters, hatte sein Auge auf die hübsche Französin geworfen und sich auch bereits durch den Hofmarschall an die Herzogin gewandt, worauf diese erklärt, falls Mademoiselle Bernard so lange ihren Platz zur Zufriedenheit ausfülle, bis der Prinz einem Hofmeister und Kammerdiener übergeben werde, wolle sie selbst der Bonne die Hochzeit ausrichten und sie nach Bedarf aussteuern. Clemence küßte, als die Fürstin ihr diese großmütige Absicht mitteilte, der gnädigen Gebieterin schweigend die Hände, und jedermann fand es selbstverständlich, daß die mittellose Fremde eine Sicherung ihrer Zukunft als das Ziel ihrer Wünsche ansehe. Nun nahm Babett an, daß Mademoiselle, wenn sie abends ausging, eine Zusammenkunft mit dem Kellermeister suche, und verdachte ihr diese Verfolgung ihrer Zukunftspläne durchaus nicht. War das schlummernde Prinzchen doch auch unter ihrer Obhut wohl geborgen.

So hatten die Umstände sich Clemence für ihre Liebesintrige günstig gefügt.

Heute tappte sie mit ihrem verlöschten Laternchen in der Hand, bebend vor innerer Aufregung, durch die langen Gänge des Schlosses ihren Gemächern zu. Sie war kaum ihrer Sinne mächtig; was sie gehört, was sie erlebt, es brauste in einem Wirbel von Entsetzen und Wonne durch ihre ringende Seele. Als sie durchs Vorzimmer huschte, tat die gutmütige Babett, als schliefe sie.

Clemence wagte heute nicht mehr, wie sonst immer beim Schimmer des Nachtlichts getan, nach dem ruhig schlafenden Kinde zu sehen, es mit einem Nachtgebet auf den Lippen, zu küssen. Ja, als sie dem Atem der Kleinen hörte und sein rundes Händchen bei einem scheuen Seitenblick auf der Decke gewahrte, stürzte sie mit einem gewaltsam unterdrückten Aufschrei vor ihrem Bette auf die Kniee. barg ihr glühendes Gesicht in die Kissen und schluchzte:

»O, nun bin ich ganz sein – mit Leib und Seele ihm angehörig – es ist nicht mein Wollen, wonach ich handle, sondern seins!«


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