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Zwölftes Kapitel

Der Kurfürst, früher ein leidenschaftlicher Jäger, war immer etwas mißgestimmt, wenn sein Sohn in der schlechten Jahreszeit eine Hofjagd befahl, er konnte und wollte Georg nicht hindern und mußte doch seine zweiundsechzig Jahre berücksichtigen, die ihm große Anstrengungen verboten.

Heute, am Nachmittage, nach erfolgter Heimkehr der Jagdgesellschaft, saß Ernst August im kleinen Spielsalon des hannoverschen Stadtschlosses mit einigen Herren des Hofes bei einer Partie L'hombre.

Man machte eben eine Pause, da trat Moltke ein und stellte sich als Kammerherr des Kurfürsten, eine Würde, die er gleichfalls bekleidete, hinter dem Stuhle seines Herrn auf.

»Jagd charmant ausgefallen? – Considerable Strecke?« fragte der Kurfürst scharfen Tons. Allein, bevor Moltke antworten konnte, rief Ernst August ungeduldig: »Er hat zu geben, Schloßhauptmann von Hardenberg. Worauf wartet er?« Und dann wurde das Spiel mit Eifer wieder aufgenommen.

»Durchlaucht ist ungnädig gelaunt,« dachte Moltke, »und ist doch gut weggekommen. Wäre wie ein Blitz zwischen euch gefahren – säßet schwerlich und spieltet Karten – ja – wie würde es aussehen, wenn ich's gethan hätte?«

In diesem Augenblicke trat ein Lakai heran, der ein silbernes Tellerchen trug, auf dem ein Brief lag. Bei der nächsten Spielpause präsentierte der Diener dem Kurfürsten den Brief mit den Worten: »Belieben Ew. Durchlaucht? Von Sr. Excellenz dem Herrn Grafen Platen.«

Ernst August überflog die Zeilen, dann erhob er sich. Vielleicht war's überflüssig, daß er Platens gehorsamster Bitte, ins Arbeitszimmer zu kommen, so rasch folgte. Die Sache mochte gar nicht so wichtig sein, wie sein Günstling annahm. Indes, an dem langweiligen Nachmittage, an dem der Verdruß um die nicht mitgenossene Jagd in ihm rumorte, war ihm jede Unterbrechung willkommen.

»Nehme er meine Karte, Monsieur Moltke,« sagte der Fürst zu dem seinen Stuhl rückenden Höfling. Der Oberjägermeister verbeugte sich dankend für den kleinen Gnadenbeweis. »Pah,« dachte er, »wird mir mal ein Brocken zugeworfen, das würde anders kommen, wenn Maximilian hier regierte.« Dann bemühte er sich eifrig das Spiel im Interesse seines hohen Auftraggebers günstig zu wenden.

Der Kurfürst durchschritt ein Vorzimmer, Lakaien öffneten ihm die Thüren, und er betrat sein sogenanntes Arbeitskabinet, ein großes, kostbar eingerichtetes Gemach.

Gewirkte, bunt mit Gestalten und Arabesken gemusterte Stoffe bedeckten die Wände, ein reich verzierter messingner Kronleuchter mit brennenden gelben Kerzen schwebte unter der niedrigen, holzgetäfelten Decke. Ein mächtiger Schreibtisch mit Büchern und Schreibgeräten stand in der Nähe der dicht aneinander gereihten Fenster mit kleinen Scheiben, durch die jetzt schon die Dunkelheit hereinsah. In dem von Steinfiguren getragenen Kamin brannten große Scheite Holz. Hochlehnige schwere Stühle mit Leder bezogen und ein Paar reich geschnitzte Schränke standen an der Wand. Kostbare Felle deckten an verschiedenen Orten die bunten Steinfliesen des Fußbodens. Waffen hingen hier und da; auf dem Schreibtische standen verschnörkelte, schwere Armleuchter mit brennenden Kerzen.

Ernst August gebot dem Lakaien, Sr. Exzellenz den Herrn Grafen zu benachrichtigen, daß er bereit sei, die gewünschte Audienz zu erteilen. Wartend setzte sich der Fürst in seinen Lehnsessel neben den Schreibtisch.

Nach kurzer Zeit trat der Minister ein, ihm folgte eine neugierig um sich blickende hübsche Frau; es war Minette Potthof.

Einige Tage hatte sie überlegt und geschwankt, wie sie ihr Vorhaben angreifen, das Schriftstück, welches sich in ihrem Besitze befand, richtig verwerten sollte. Endlich war sie zu einem Entschluß gekommen. Sie ging zu dem Grafen Platen, bei dem sie leicht Einlaß fand, sagte ihm, sie habe ein Papier von großer Wichtigkeit für den durchlauchtigsten Kurfürsten gefunden, könne und wolle es aber nur in Sr. Gnaden eigne Hand legen. Zur Bekräftigung ihrer Worte zeigte sie dem Minister die Handschrift des Prinzen Maximilian, die Platen kannte, und die Überschrift »an Sr. glorreiche, venerable Majestät, Wilhelm III. von England.«

Dies genügte, den Geheimrat auf das Äußerste zu spannen und ihn zu veranlassen, den Kurfürsten um einen sofortigen Empfang für sich und eine Person zu bitten, die merkwürdige Kunde bringe. Er glaubte, es sei der Finderin um einen Lohn zu thun, der ihr seiner Meinung nach gebührte und den der Fürst ihr gewiß nicht verweigern würde, deshalb drang er nicht in sie, ihm das Dokument einzuhändigen, mochte sie selbst mitkommen, um Berichte zu geben und Erkenntlichkeit zu genießen.

Nun stand Minette vor dem Kurfürsten, überreichte mit tiefem Knix das Schriftstück und wartete neugierig spähend, wie der Herr die Sache aufnehmen werde.

Ohne die junge Frau zu beachten, rückte sich Ernst August nach dem Lichte, entfaltete das Papier und begann mit gerunzelter Stirn zu lesen. Je weiter er kam, je finsterer wurden seine Mienen, je drohender sein Ausdruck, er schlug verschiedene Male mit der geballten Faust auf den Tisch, einzelne zornige Ausrufe entfuhren seinem Munde. Minette wich unwillkürlich erschrocken zurück, während der Minister gespannt näher trat.

Endlich hatte der Kurfürst ausgelesen und fuhr, geröteten Gesichts, mit wild rollenden Augen, empor.

Dieser Anblick erschien Minetten so furchtbar, daß sie bis zur Thür floh und hier, halb verdeckt von einem Vorhänge, ängstlich erwartend, was geschehen werde, stehen blieb.

Ihre Anwesenheit wurde so wenig beachtet, wie die der Mücke, die um das Licht schwirrte.

»Eine Perfidie ohne Gleichen!« rief der Fürst, das Papier seinem Günstlinge hinschleudernd. »Das infamste Komplott! – Die Effronterie meiner jüngeren Prinzen geht zu Thaten über. Zu Thaten, Monsieur, die alle Höfe gegen mich irritieren sollen.«

»Ah – horrible, Durchlaucht!« Während Platen rasch und unter Kopfschütteln die Schrift durchflog, schritt der Kurfürst zornbebend und vor sich hin murmelnd im Zimmer auf und ab.

»Was sagt er?« fragte jetzt Ernst August vor dem Grafen stehen bleibend. Doch hastig, ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Hätte er sich solcher Trahison von meinen Herren Söhnen versehen? Von Sr. Liebden Herzog Anton Ulrich war nichts Besseres zu erwarten. Und mein Oberjägermeister – ein ganz niederträchtiger Halunke! Ein Koquin! Ein Fripon! – Aber sie sollen mir büßen, alle – alle! Sie sollen gewahr werden, wer hier der Herr ist! Mich bei meinen Standesgenossen zu diffamieren! Und jetzt, wo man ohnehin jaloux auf meine Rangerhöhung ist, fällt jedes Wort auf fruchtbaren Boden. Eine lâcheté sonder Gleichen!«

»Was belieben Ew. Durchlaucht zu thun?«

Der Kurfürst trat dicht an seinen Vertrauten heran, mit bösem Ausdruck zischte er: »Mögen es Prinzen sein oder Subjekte, auf Felonie steht der Tod – ich werde ihnen alle die Köpfe vor die Füße legen.«

Die Männer überhörten in ihrer gesteigerten Erregung den leisen Schrei, der von der Thür her ertönte, sie sahen auch nicht das totenblasse Frauengesicht, das hinter dem Vorhange heraus die glühenden Augen auf sie geheftet hielt.

»Gnädigster Herr!« rief Platen erschrocken. »Ew. Durchlaucht wollen das Blut höchstihrer Prinzen doch nicht vergießen?«

»Ich werde sie vor ein Gericht stellen, ich werde ihre Sache allen Juristen Europas vorlegen, und keiner kann anders als ein Todesurteil aussprechen, und ich – ich werde keine Gnade walten lassen – keine!«

Beide Männer erstarrten für einen Augenblick unter der Wucht dieses Vorsatzes, sie sahen sich erblassend in die Augen, in denen des Fürsten stand harte Entschlossenheit ausgedrückt, wie der Graf, der seinen Herrn genau kannte, mit Schrecken wahrnahm.

»Und jetzt – jetzt – was geruhen Durchlaucht zu belieben?« fragte Platen.

»Ich werde die Herren, die im Spielsalon versammelt sind, renvoyieren. Sowie der Moltke das Schloß verläßt, wird er verhaftet. Er soll nicht in sein Haus retournieren, um seine Komplizen zu warnen. Das Nest im Osnabrücker Hofe envelieren wir morgen. Ich will zuvor die Pflicht, die Loyalität üben, meiner Gemahlin, der Frau Kurfürstin, diese miserable Affaire delikat zu unterbreiten. Bis dahin Discretion! Morgen früh fahre ich nach Herrenhausen und am Nachmittage schließen wir die Hand und arretieren die Komplotteure.«

Der Kurfürst trat an den Tisch und schrieb den Verhaftsbefehl für Moltke. Des Ministers Auge fiel zufällig auf das zitternde Weib an der Thür: »Sie ist noch hier!« rief er. »Freilich, sie erwartet ein Douceur?

»O nein – nein, ich – ich wußte nicht, ob ich gehen – fortgehen dürfe!« Sie griff taumelnd nach der Thürklinke.

»Man reiche der Person einen Dukaten Finderlohn,« sagte der Fürst sich halb umwendend.

»Nein, nein – ich danke dem gnädigen Herrn,« mit diesen Worten verschwand Minette Potthof aus dem Zimmer des Kurfürsten. Dieser schellte einem Lakaien und befahl ihm, in den Salon zu gehen und den Herren zu sagen, er habe sich eines leichten Unwohlseins halber zurückgezogen und beurlaube seinen Hofstaat.

Ernst August sank in den Schreibsessel und beschäftigte sich noch einmal mit Maximilians Papier.

Platen ging, den Verhaftsbefehl für den Oberjägermeister dem Offizier der Wache selbst einzuhändigen und sodann Moltke so lange in einem Gespräche über die gestrige Jagd festzuhalten, bis die anderen Herren fort sein würden, damit man nicht vorzeitig erfahre, was mit ihm geschehen sollte.

Nichts ahnend schritt Moltke die große Freitreppe vor dem Schlosse hinunter, um nach seinem nahe gelegenen Hause hinüber zu gehen. Was mochte mit dem Kurfürsten geschehen sein? Platen hatte zwar gemeint, sein Unwohlsein habe nichts zu bedeuten, der Minister erschien aber verändert. Sollte doch etwas Ernstliches – das Besorgnisse erregte –

Da trat hinter einer der Säulen hervor eine Gestalt auf ihn zu und sagte: »Oberjägermeister von Moltke, ich bitte, im Namen unseres allergnädigsten Herrn, um Ihren Degen; Sie sind Arrestant!«

Tötlicher Schreck befiel den also Angeredeten. Er stand erstarrt da und stammelte, daß es ein Irrtum sein müsse. Der Offizier zog ein Papier hervor und zeigte Moltke beim Schein der Laterne den von der eignen Hand des Kurfürsten stammenden Haftbefehl.

Aber Moltke war nicht der Mann, bei einer harten Maßregel still zu halten, wilder Zorn flammte in ihm auf, er riß den Degen aus der Scheide und drang auf den Offizier ein, um sich mit Gewalt den Weg die Stufen hinunter zu bahnen. Da eilten aus dem Schatten mehrere Gardisten von der Wachtmannschaft herbei, entwaffneten den Wütenden und führten ihn vorläufig in die Schloßwache, von der aus er in einem geschlossenen Wagen in das Staatsgefängnis am Kleverthore gebracht wurde.

Die Bitte, zuvor in sein Haus zurückzukehren, Tochter und Gesinde von seinem Schicksale in Kenntnis setzen zu dürfen, wurde abschlägig beschieden. Es war auf strengen Befehl des Kurfürsten, daß man die ganze Angelegenheit in geheimnisvolles Schweigen hüllte.

Minette Potthof wankte, so tief in ihrer leichtsinnigen Seele erschüttert wie noch nie zuvor, aus dem Schlosse ihrem Hause zu. Die fürchterlichen Drohungen des Kurfürsten hallten wie die Posaunen des jüngsten Gerichts in ihren Ohren wieder.

Beim Schein eines Öllämpchens verkaufte eben der Altgesell einem Kunden Brot zur Abendmahlzeit, als die junge Frau ihr Haus betrat. Der Kunde ging, und Valentin kam Minetten auf der Diele entgegen, unter dem Lichtschein des Lämpchens trafen sie zusammen.

»Wie sieht sie aus, Meistersch!« rief er erschrocken. »Ist sie krank? Soll ich ihr einen Bittern holen?«

Sie stöhnte mit abwehrender Handbewegung: »lat mie man«, und tappte, sich am Geländer haltend, nach ihrem Stübchen hinauf.

Finsteren Gesichtes und kopfschüttelnd blickte Valentin ihr nach. Was mochte mit der Frau geschehen sein? Sonst vergnügt wie eine Meise, jetzt schon lange unwirsch und sonderbar. Das ehrliche Herz des Altgesellen zog sich in schmerzlichen Befürchtungen zusammen.

Ein schwacher Mondstrahl erhellte das bescheidene Gemach, als Minette eintrat. Sie schloß die Thür hinter sich ab; ein unabweisbares Bedürfnis allein zu sein, ihre Gedanken zu ordnen, alles Gehörte sich zu wiederholen, um es zu begreifen, bedrängte ihre Seele. Sie war auf die Ofenbank gesunken und saß hier, mit gefalteten Händen vor sich hinstarrend. Es summte und brummte in ihrem Kopfe und sie, die Kecke, Entschlossene, fühlte sich so schwach und ratlos, so über sich selbst verzweifelt, so grenzenlos verwirrt, daß sie nicht aus noch ein wußte.

»Wat hef ick dahn! O wat hef ick dahn!« rief sie halblaut mit schluchzenden Lauten und hob die ineinander gerungenen Hände hoch empor.

Das hatte sie ja nicht geahnt, nicht gewollt – das Furchtbare, was sie nicht ausdenken mochte, nicht! Wenn Maximilian von seinem gestrengen Herrn Vater hart angelassen, wenn er gestraft wurde, so war sie damit zufrieden. Er hatte ihre Rache verdient und es geschah ihm recht, wenn allerlei Widriges ihn traf, wußte er auch nicht, woher der Stachel kam, der ihn stach, er hatte doch seinen Teil weg. Aber dies – aber so – nein, das war über alles Maß, das war unerträglich!

Sie fuhr empor und irrte hin und her. Und Christian auch, das gute Kind – das arme Lamm –, das so unschuldig in sein Verderben gerannt war. Sie ertrug es nicht, wenn man ihm Schlimmes anthat. Ein mütterliches Gefühl für den Arglosen, kindlich Fröhlichen erwachte in ihr. Sie mußte ihm beistehen, ihn vertheidigen – ihn retten. Sie hatte sich in ihrem verletzten eifersüchtigen Gefühle für stärker gehalten, als sie war, und nun fand sie sich unter der Wucht ihres Thuns, dessen Schwere sie nicht zu beurteilen vermocht, hilflos zusammenbrechend.

Stilles weinendes Dulden lag nicht in ihrer Natur, Handeln, Eingreifen war ein Bedürfnis für sie. Noch einmal besann sie sich auf jedes Wort des mitangehörten Gesprächs; o, es war ihr tief ins Gedächtnis gebrannt! Sie wußte, daß vor morgen Nachmittag den Prinzen kein Unheil drohe. Wenn sie gleich ihren Bruder Just nach dem Osnabrücker Hof schickte, es war klüger, daß der gewandte Junge ging, als daß sie selbst sich aufmachte. Wenn sie Christian zu sich holen ließ, ihn warnte, ihn bat, auch Maximilian zu warnen, und den Prinzen beschwor, morgen in aller Frühe die Stadt zu verlassen. Ja, das wollte sie thun, einen anderen Weg zur Rettung gab es nicht. Es mochte eben sechs Uhr sein, Christian konnte also noch alle Vorbereitungen zu morgen treffen.

Minette öffnete die Thür, lehnte sich über das Treppengeländer und rief ihren Bruder, der mit den Gesellen in der warmen Backstube beim Abendbrot saß. Eifrig kam Just angesprungen. Sie gab ihm ihren Auftrag und wartete dann ungeduldig auf Just's Rückkehr.

Bald nach ihm trat Prinz Christian, freudig überrascht von dem Ruf, den die bis dahin Spröde an ihn hatte ergehen lassen, bei ihr ein.

»Charmantes Weiblein!« lachte er und breitete ihr seine Arme entgegen, »bin ihr von Herzen erkenntlich für ihre Gutheit, aber wie steht sie denn da, kreideweiß und in eitel Abwehr? Wenn sie mich nicht lieb haben will, weshalb ruft sie mich denn?«

»Wegen anderen und viel nötigeren Thuns, Ew. Gnaden.«

»Mir ist nichts agreabler und nötiger als ihre Zärtlichkeit,« und wieder machte er einen Versuch sie zu umfassen.

»Laßt das, Prinz, und hört mich,« rief sie schroff. »So Ew. Durchlaucht auch übel zufrieden sind mit dem, was ich Großes zu vermelden habe, muß es doch geschehen. Ein nicht eben wohlgesinnter Bekannter von mir hat eure sonderbare Schrift, die ihr im Hinterstüblein der Mullberg's unter den Kleidern verloren hattet, aufgefunden und selbige ins Schloß geliefert. –«

»Ins Schloß, Potthofin!« schrie Christian auf.

»Dem Herrn Kurfürsten zu eignen Händen,« sagte die Frau tonlos.

»O weh – o weh! Wie wird's dem armen Maxel ergehen? O, und ich bin schuld daran! Warum habe ich das unglückliche Papier verloren? Was mag unser gestrenger Herr Vater sagen?«

»Ein Bekannter aus dem Schlosse hat mir anvertraut, Sr. Durchlaucht, unser Herr Kurfürst, habe sich hoch und teuer verschworen« – sie sprach es halblaut und mit Schaudern – »er wolle alle denen, so in der Schrift genannt sind, daß sie sich gegen ihn gesetzt – den Kopf vor die Füße legen, gleichviel ob es Prinzen oder andere Herren sein möchten.«

»Er wär's imstande,« murmelte Christian erblassend.

»Sr. Gnaden will's erst morgen Vormittag der Frau Kurfürstin vermelden, damit nichts mit ihren Herren Söhnen geschieht, was sie nicht weiß. Morgen Nachmittag aber sollen die Herrschaften aus dem Osnabrücker Hofe gefangen gesetzt werden.«

»O, Potthofin, was ist sie für eine Unke! Das sind ja schreckliche Mären. Was thun – was thun?«

»Prinzliche Gnaden müssen weg.«

»Ich glaube, sie hat recht. Bin ich über unsere Landesgrenze, finden sie keine Justiz mehr, mir etwas anzuhaben, und Sr. Majestät der Kaiser stellt mich gern als Offizier an. Aber Maximilian, mein armes Bruderherz, was sollen wir mit dem thun?«

»Nehmen Durchlaucht den Prinzen doch mit!«

»Ja, wenn das ginge. Er ist heimlich seit der Maskerade nach Braunschweig zu Herzog Anton Ulrich geritten. Sein Adjutant, der Moltke, ist heute von der Ambassade nach Kopenhagen angekommen –«

»Und der Prinz?«

»Er wollte erst morgen gegen Abend zurückkehren.«

»Dann läuft er just den Häschern in die Hände. Durch welches Thor kommt er?«

»Durch St. Aegidien, denk' ich. Ich werde ihm für hier eine Warnung aufschreiben, werde ihm entgegen reiten, ihn zu treffen suchen.«

Sie überlegten noch eine Weile, was sich thun lasse, dann nahm Christian Abschied von der Frau, die selbst bis ins Herz hinein betrübt und angstvoll sich seine Umarmungen gefallen ließ und ihm viele gute Wünsche zärtlich zuflüsterte.

Da es spät geworden war und Minette wußte, daß er noch viel zu seiner Abreise zu rüsten habe, drängte sie ihn fort. Sie standen zusammen auf dem Geländergange, das ganze Haus lag dunkel und ruhig da, ernster als es sonst ihre Art war, sagte sie: »Mit traurigem Herzen sehe ich euch gehen, lieber Herr, aber macht fort, daß ihr nicht in Henkers Küche kommt.«

Er zog sie an sich und küßte sie stürmisch. Sie schob ihn die Treppe hinunter und begleitete ihn über die Diele an die Hausthür, die sie für ihn wieder aufschloß.

»Hab Dank,« flüsterte er, »ich will immer des lieben Minetteleins gedenken!«

»Gott erbarme sich eurer, gnädiger Herr, und lasse euch wohl entkommen!« Hinter ihm riegelte sie wieder zu und schlich dann langsam, in schwerem Sinnen, die Treppe hinauf. Die Gefahr, in der Maximilian schwebte, bedrückte ihre Seele über die Maßen.

Als sie oben vor ihrer Stube ankam, schrak sie zurück, eine Gestalt, deren Gesicht noch weißer war als die mehlbestaubten Kleider, trat ihr plötzlich entgegen.

»Mit der Prinzenbuhle will ich nichts zu teilen haben,« sagte eine rauhe Stimme, die Minette nur schwer als die ihres freundlichen Altgesellen erkannte. »Gebe sie mir morgen früh meinen Lohn, Meistersche, ich gehe jetzt gleich und schnüre das Bündel; keinen Tag bleibe ich mehr in dem Hause, wo das Weib nicht Zucht und Sitte hält!«

»Valentin!« es war ein Schrei, mit dem sie zurückfuhr. Sie wollte sich entschuldigen, wollte sagen, der Prinz sei nicht ihr Liebster, aber sie dachte an das frühere Verhältnis zu Maximilian und vermochte sich nicht zu verteidigen. Stumm lehnte sie an der Wand, während der gereizte Ankläger vor ihr sie mit Schimpf und Schande überhäufte.

»Ich glaubte –« stammelte sie endlich, »er – er wolle mein Mann – wolle Meister – hier im – im Hause werden.« – Sie hätte ihm, wenn er ihr verziehen, in diesem Augenblicke, wo sie sich hilflos, elend fühlte, das Jawort gegeben, nach dem er schon lange getrachtet.

Er aber war mit ihr fertig; je mehr er sie geliebt und in seiner schlichten Weise über sich gesehen hatte, je tiefer fühlte er sich in seinem bürgerlich rechtschaffenen Sinne jetzt ergriffen, sie unter dem zu finden, was ihm unerschütterlich fest stand. Ihm blieb nichts übrig, als den Staub von seinen Füßen zu schütteln und dies Haus je eher je lieber zu verlassen.

Sie demütigte sich noch weiter; sie sagte ihm, daß sie ihn nicht entbehren könne, daß er an das Geschäft denken möge, daß er doch, was er gesehen, nicht als etwas Schlimmes nehmen solle.

Da spie der Mann aus und schrie, daß es durchs stille Haus schallte: »Sie nennt das nichts Schlimmes, sie liederliches Weibsbild? Gott soll mich behüten, das ebenso anzusehen! Und wäre all ihr Brot Gold und wär' sie noch zehnmal feiner und sauberer, als sie ist, ich bliebe doch eine rechtschaffene Mannesperson, ließe von ihr und zöge weiter.« Damit wandte er sich um und stapfte seiner Kammer zu.

Verstört kehrte sie in ihr Stübchen zurück, sie hatte den schlichten, tüchtigen Menschen eigentlich immer gern gehabt und oft gedacht, wenn sie ihre Jugend genossen habe, sei es ihr eine Zuflucht für das Alter, Valentin zu freien, und nun war sie ihm nicht mehr gut genug.

Aber so tief sie auch von dem eben Erlebten verletzt war, es nahm nicht den ersten Raum in ihrer Seele ein. Der gehörte nach wie vor dem Ungetreuen. Prinz Maximilian blieb ihr Held, ihr Abgott, und mit Schaudern dachte sie daran, ihn in eine wirkliche Gefahr gestürzt zu haben. O, wäre er doch hier gewesen und mit Christian morgen in aller Herrgottsfrühe auf und davon gezogen, damit sie nicht den fürchterlichen Alp auf der Brust zu tragen brauchte: Ich habe Verderben und Tod über ihn gebracht! – –

Prinz Christian hatte sogleich in der Stille die nötigen Vorbereitungen zur morgenden Abreise getroffen. Er wollte zu Pferde, von zwei Dienern begleitet, die Stadt verlassen und nur mit sich nehmen, was ein Saumroß tragen konnte. Zum Glück hatte er noch Geld genug, um damit nach Wien zu reiten.

Seinen Eltern schrieb er unterthänig und demütig, die Rast gefalle ihm nicht mehr, und er wolle sein Glück in der Welt versuchen; kein Wort von der gefährlichen Sache und daß er den Zorn seines Vaters kenne. Er bat zu entschuldigen, daß er ohne Urlaub aufbreche, aber die Wanderlust habe ihn mächtig ergriffen.

Dies alles war in kurzer Zeit abgethan, dann hielt er es noch für seine Pflicht, zu dem jüngst heimgekehrten Oberstlieutenant von Moltke zu gehen und auch den zu warnen.

Erich Moltke war von der Abwesenheit des Prinzen bei seiner Heimkehr unangenehm betroffen worden. Er hatte Wichtiges aus Dänemark mitgebracht. Man hatte ihm angedeutet, daß man sich verpflichtet erachte, dem Kurfürsten von Hannover über seiner Prinzen Beschwerden und ihre Umtriebe Kunde zugehen zu lassen; es sei das, wenn man im Interesse der jüngeren Söhne wirken wolle, ja auch gar nicht zu umgehen. Daß der Kurfürst diese Mitteilungen erregt und zornig aufnehmen werde, war dem Oberstlieutenant klar. Er wollte bei seiner Heimkehr den Prinzen beschwören, sich schleunig in Sicherheit zu bringen, und nun fand er ihn nicht vor.

Auch seinen Verwandten, den Oberjägermeister, hatte er, als er an diesem Morgen in dessen Wohnung gewesen war, noch nicht von der Jagd im Deister zurückgekehrt gefunden und nicht gewagt, ohne des Vaters Erlaubnis Ulrike aufzusuchen; so saß er mißmutig in seinem Zimmer beim Abendessen, als Prinz Christian hastig zu ihm eintrat.

Der Prinz berichtete, manchmal sich setzend, dann wieder ungeduldig aufspringend, in wenig zusammenhängender Rede und ohne seine Quelle zu nennen, alles, was er von Minette erfahren und was er für sich beschlossen hatte.

»Ich war lange überzeugt,« sagte Moltke ernst, »daß wir uns hier auf einen Vulkan situirt befänden. Es ist Ew. Durchlaucht sehr zu raten, sich bald möglichst aus dem Staube zu machen. Indes auf dero Proposition gleichfalls abzureisen, bedauere ich nicht eingehen zu können.«

»Halt er sich nicht für gefährdet?«

»Doch, positiv, ebenso wie alle in diese Intrigue Verstrickten. Von Anfang an sah ich, daß man viel riskiere. Allein ich bin gebunden und habe Ordre zu parieren. Sr. Durchlaucht, mein Prinz, wollte sich nicht verhindern lassen, so müssen wir denn jetzo daran und die Konsequenzen tragen.«

»Aber so resolviere er sich doch,« rief Christian ungeduldig, »und bringe seine Haut in Sicherheit. Helfen kann sein Hierbleiben Maximilian nichts. Meint er nicht, daß ich auch schwer unglücklich bin, meinen Bruder in der Gefahr zu wissen und hier in die Falle gehen zu sehen? Stecke ich aber neben ihm darin, wird's ihn wenig freuen.«

»So ich Sr. Gnaden hier erwarte, kann ich ihn vielleicht noch rechtzeitig warnen und ihm zur Flucht verhelfen.«

»Ich will auf Braunschweig reiten und Maximilian zu treffen suchen, aber Gott mag wissen, welche Straße er zieht, er liebt Seiten- und Richtewege.«

»Lasse er seinem Herrn ein paar Worte nach und reise er mit mir ab. Der Kaiser kann treue Offiziere gebrauchen.«

»Treu würde ich nicht sein, Ew. Gnaden,« erwiderte Erich Moltke, sich groß erhebend, »so ich jetzt hier fahnenflüchtig würde. Ich bin meines Prinzen zugeschworener Mann und habe auf dem Flecke konstant auszuharren, auf den mein Herr mich placiert hat.«

Mit Achselzucken verließ Prinz Christian den Eigensinnigen, den sein junges lebensfrohes Herz nicht begriff. Weshalb sich unnütz opfern? Er wollte früh genug den Kopf aus der Schlinge ziehen, das allein war vernünftig.


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