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Erich von Moltke, der zum Abendessen an des Oberjägermeisters Tische saß, sagte, sich freundlich zu ihm und Ulrike wendend: »Der Herr Onkel könnten mir keine größere Ehre erzeigen, als so Sie mich in Gesellschaft des Cousinchens einmal besuchen und meine mitgebrachten chosen ansehen möchten.«
Der ältere Moltke wiegte den schweren Kopf. Die verbündeten Herren waren heute wieder bei ihm zur Beratung gewesen, man hatte den Wortlaut der Eingaben an die verschiedenen Höfe überlegt, die der gewandte Sekretär Blume aufgesetzt. Indes Prinz Maximilian, dem manches zu matt erschienen, hatte Änderungen gewünscht. Es war verabredet worden, sich morgen hier wieder zu treffen, um dann, nachdem man schlüssig über die Eingaben geworden sei, sich wegen der Personen zu einigen, die man mit Überbringung der Denkschrift an die auswärtigen Höfe betrauen wollte.
Nach der Beratung hatte der Oberjägermeister seinen jungen Verwandten zum Abendbrot bei sich behalten. Die große Sache, die sie gemeinsam betrieben, fesselte ihn augenblicklich besonders an Erich, es ließ sich wohl noch ein heimliches Wort austauschen, das zur Klärung der eigenen Gedanken dienen konnte.
Erich hatte von den Einkäufen von Raritäten erzählt, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte, er fügte jetzt hinzu: »Wollte ma chère cousine belieben, sich auszusuchen, was ihr genehm erscheint, so würde solche Huld mich sehr obligieren.«
»Macht doch nicht die Façons mit dem Kinde,« unterbrach der Vater den schüchternen Beginn einer Antwort, die Ulrike, von des Vetters gütigem Anerbieten überrascht, eben hervorstammeln wollte. »Sie soll von euch acceptieren, was ihr geneigt seid herzugeben. Wenn wir morgen Mittag von Herrenhausen kommen, wollen wir bei euch vorfahren.«
Am anderen Tage schritt Erich von Moltke erwartungsvoll in seinem Zimmer, das einem Ausstellungsraume glich, hin und her. Da lagen auf einem Tische feine venetianische Muschelarbeiten, Mosaiken, bunte Perlen und Seidenwirkereien. Über einen Stuhl war der Anzug einer vornehmen Moreatin gebreitet und daneben standen Kästchen und gestickte Pantöffelchen aus Wien.
Der Oberstlieutnant war sich nicht mehr bewußt, ob er alle diese für eine Frau passenden Dinge schon im Hinblick auf sein holdes Bäschen zusammen gekauft habe, jetzt aber wußte er, daß er sie keiner lieber geben würde als Ulriken. Er war teils aus Vergnügen an den hübschen Sächelchen, von denen die Prinzen einkauften, teils gelegentlich in Folge besonderer Anlässe zu diesen Erwerbungen gekommen und er konnte sich bei jedem Stücke, das er ansah, die Zeit und den Ort des Einkaufes vergegenwärtigen.
Endlich hörte er einen Wagen vorfahren und eilte die Treppe hinunter, um seine Verwandten zu begrüßen und herauf zu führen.
»Ah!« rief Ulrike und sah die bunte Herrlichkeit mit großen Augen an, »das ist ja eine wahre Pracht!«
»Kindskopf,« murrte der Oberjägermeister und ließ sich in einen Armstuhl fallen.
Erich ging, während ein freundliches Lächeln sein Gesicht erhellte, mit dem staunenden Mädchen von einem Stücke zum anderen und erzählte, wie er zu dem Kauf gekommen, wie der Händler ausgesehen, was dabei gesprochen worden und wie er an manchen Sachen, ohne es recht zu wollen, hängen geblieben sei.
»Seht, dies ist eine ganz neue Frauentoilette aus Morea,« sagte er und hob ein prächtig gesticktes Jäckchen mit geschlitzten, lang hängenden Ärmeln empor. »Ich saß mit den beiden Prinzen und einigen anderen Offizieren voriges Jahr im Feldzuge gegen die Türken in unserem Lager vor dem Kommandeurzelte, wir spielten und konversierten. Da kam einer von der Wache und rapportierte, eine alte Griechin, die ein Packet trage, habe sich durch die Vorposten schleichen wollen, sei arretiert worden und flehe nun, zu den Herren Offizieren geführt zu werden, sie habe eine herrliche Rarität zu verkaufen. Es war uns eine willkommene Variation in dem monotonen Lagerleben. Wir ließen die alte Moreatin herbeiführen. Sie hatte zwei ganz gleiche prächtige Frauenanzüge in ihrem Bündel und persuadierte uns, sie ihr abzunehmen. Nun fand es sich aber, daß wir alle unverheiratet waren und daß sich keiner zu der Emplette disponiert fühlte. Da fiel die Alte auf ihre Kniee, schrie, ihre Herrin sei en grande peine, en grand embarras, der Krieg habe die hohe Frau arm gemacht, wir sollten generös sein und ihr die Kleider abkaufen. Der Jüngste von uns resolvierte zuerst. Lustigen Humors, in kindlichem Gefallen am Bunten, acceptierte Prinz Christian eine der Toiletten und trieb seine Drôlerien damit. Und dann, als das Weib fortgesetzt bat und bettelte, acquirierte ich die andere.«
»Wie gut ihr seid!« rief Ulrike warm, »aber dies ist ja auch eine exquisite Broderie!«
»Wollt ihr das Kostüm von mir annehmen? Vielleicht mag es euch auf einer Redoute dienen?«
»O wie charmant! Ich danke euch, mon cousin, de tout mon coeur.«
Der Oberjägermeister lachte spöttisch auf: »Solcher Plunder delektiert der Weiber Herzen!«
Erich war so beglückt durch des Mädchens Freude, daß er ihr gern alles geschenkt hätte, was er an Frauensachen besaß. Als er aber Ulriken mehr anbot, wich sie bescheiden zurück und wollte weiter nichts annehmen.
Während Erich mit ihr über eine schöne Spitze verhandelte, die Ulrike glänzenden Auges bewunderte, aber doch nicht behalten wollte, wurde rasch die Zimmerthür geöffnet und Prinz Maximilian trat ein.
»Ah,« rief er freudig, » quelle charmante surprise! Er ist ja beneidenswert, Monsieur Moltke! Ein so graziöser Besuch! Zu unserm guten Vergnügen werden wir uns auch dabei halten.«
»Viele Ehre, wenn prinzliche Gnaden geruhen wollen,« sagte Erich in steifer Haltung.
Der Oberjägermeister hatte sich erhoben und kam eifrig auf den jungen Fürsten zu, er wollte ihn gern für sich in Beschlag nehmen und fragte flüsternd nach seiner Meinung über das wichtige Memorial und dessen Versendung.
Der junge Prinz beachtete den Verbündeten heute aber wenig, zerstreut erwiderte er: »Geduld er sich – später,« und wandte sein ganzes Interesse dem jungen Mädchen zu: »Der Herr Vetter wollen sich vermutlich mit Präsenten insinuieren? O er listiger Filou! Willn Sie mir permitieren Mademoiselle, daß auch ich ihr einige Raritäten anbiete?«
»Besten Dank Ew. Durchlaucht,« erwiderte Ulrike schüchtern und mit niedergeschlagenen Augen. »Wenn es von der Etikette konsentirt wird, möchte ich lieber alle Präsente refüsieren.«
»Sie zeichnet den Oberstlieutenant aus, indem sie von ihm annimmt.«
»Unter Verwandten darf man nicht penible sein.«
»O er hat bei ihr einen Stein im Brett, aber ich werde versuchen, mit ihm zu konkurrieren.«
Der Prinz setzte seine Unterhaltung mit Ulrike noch eine Weile in derselben Weise fort, wobei sie freilich erregt und mit geröteten Wangen – doch besonnen seine Artigkeiten abzulehnen trachtete.
Erich stand mit finsterer Stirn, an der Unterlippe nagend, dabei.
Dem Oberjägermeister riß die Geduld. Welch ein Thor, der Maximilian, dachte er. Mochte seine Verliebtheit auch schmeichelhaft und schwer abzulehnen sein, so schickte sich doch solche Tändelei nicht für einen Mann, der eben jetzt sein ganzes Augenmerk auf die Erlangung einer Herzogskrone gerichtet hielt und mit ernsten Plänen sein Denken erfüllen mußte.
»Es wird Zeit zu returnieren,« sagte der Vater und nahm Ulrikens Hand, »der Wagen ist vorgefahren und wartet schon lange genug.«
»Darf ich Sie hinunterführen, ma belle!« rief der Prinz lebhaft. »Beweise sie sich nicht ungünstig! Ich thue mich auch höflich bedanken, daß sie meine Presence geduldet hat, und nehme es als eine Preference, ihr dienen zu dürfen.« Unter diesen mit warmen Blicken geflüsterten Worten geleitete Maximilian das befangene Mädchen die Treppe hinunter an den Wagen.
Die beiden anderen Herrn folgten wenig erfreut den Voranschreitenden; dann fuhren Vater und Tochter ab.
Die Hofgesellschaft sah sich in dieser Zeit täglich. Theatervorstellungen, Mittagessen, Spielpartieen, Konzerte und Bälle wechselten in einem sich stets gleich bleibenden Reigen. Ulrike fand dadurch oft Gelegenheit, mit den Prinzen zusammenzutreffen.
Der Erbprinz ließ nicht nach, sie in seiner trockenen und zugleich plumpen Weise zu verfolgen, und Maximilian verbarg immer weniger, daß er von ihrem Bilde erfüllt und ihr ritterlich ergeben sei. Er beherrschte seine Leidenschaft nur, um die Scheue und Zurückhaltende zu schonen, und fühlte sich doch von dieser mädchenhaften Zartheit in tiefster Seele bewegt.
»Er kann mir mit nächstem eine Sauhatz arrangieren, Oberjägermeister,« befahl der Erbprinz Georg. »Man braucht ein refraichissement nach alle den süßlichen fêten. Ich will ihm sagen, wem er invitieren soll, und dann geht es auf ein paar Tage in den Deister.«
»Zu Befehl, hochfürstliche Durchlaucht.«
»Ich verreise, Kind; du mußt dich kurze Zeit mit Jeannette einrichten,« sagte eines Abends Moltke zu seiner Tochter und fuhr am anderen Morgen in aller Frühe mit Buchholz und dem Kutscher davon.
Es erschien Ulriken unheimlich, in dem düsteren Hause allein zu sein. Ihr Vater, so hart er war, so wenig Liebe und Rücksichtnahme er für sie an den Tag legte, gab ihr doch, seinem ganzen Wesen nach, ein Gefühl der Sicherheit. Je mehr sie sich vor ihm fürchtete, je mehr war sie überzeugt, daß dies auch jeder andere thue, und daß kein besserer Schutz gefunden werden konnte als er. Sie ließ Jeannette mit sich speisen und suchte sie durch freundliches Geplauder in ihrer Nähe festzuhalten.
Die Französin befand sich hier in ihrem Lebenselemente, sie hatte Landsleute getroffen, refugiés und andere Franzosen, die als Hofköche, Perrückiers, Tanzmeister und in verschiedenen sonstigen Stellungen sich in Hannover aufhielten. Hofgeschichten, Toilettenfragen und Stadtneuigkeiten erregten Mademoiselle Lenoirs größtes Interesse. Sie nahm sich auch, wenn sie das böse Auge des Hausherrn nicht zu fürchten brauchte, alle Freiheit der Bewegung, lief zu ihren Freunden, intriguierte hier und da und that, was sie mochte.
Ulrike wagte nicht, die Ältere in ihren Wünschen zu beschränken. Jeannette hatte sie als Kind beaufsichtigt, wie hätte die zaghafte Ulrike den Mut finden können ihre einstige Gouvernante zu tadeln? Das aber fühlte sie klar, zuverlässig war Jeannette nicht, und der Schutz, den ihr Vater in der Französin Anwesenheit gesehen, war nur ein scheinbarer.
Heute gab es keinerlei Geselligkeit. Die beiden Gefährtinnen saßen nach dem Essen mit Handarbeiten beschäftigt im Erkerausbau des Wohnzimmers. Ein feines Schneegeriesel fiel aus grau bewölktem Himmel herab und führte eine frühe Dämmerung herbei. Die Unterhaltung erstarb zwischen ihnen, sie waren vielleicht beide zu sehr mit anderen, eigenen Gedanken, denen sie lieber nachhingen, beschäftigt, als mit den gleichgültigen Dingen, die sie besprachen. Sie merkten es auch nicht, daß sie schon lange geschwiegen hatten.
Die Französin hegte kein anderes Verlangen als das, sich unbemerkt und ungehindert entfernen zu können. Heute mußte sie fort, ein mit blankem Golde ihr abgekauftes Versprechen band und drängte sie. Ulrike sah ja auch so versunken aus, daß sie es gewiß wagen durfte, sich davon zu schleichen. Wollte sie sich verabschieden, so würde das ängstliche Mädchen sie gewiß nicht fortlassen, und gehen mußte sie durchaus. Für später hatte sie ja einen trefflichen, durch Zeugen zu belegenden Vorwand, daß sie auf ein Stündchen zu dem französischen Kammerdiener seiner Durchlaucht des Erbprinzen drüben ins Schloß ging, da die Frau des Monsieur Jean Batiste mit einer Nachmittagschokolade ihren Geburtstag feierte. Gefragt hatte sie ja nie wegen eines Ausganges, sie konnte also später dem Oberjägermeister gegenüber mit der harmlosesten Miene von der Welt ihr Verschwinden entschuldigen.
Ein wahres Labyrinth von Gedanken und unklaren hin und her wogenden Empfindungen verlockte Ulrike während dieser stillen Dämmerstunde in seine Irrgänge.
Das Leben rauschte hier ja in einem so ungewohnten Drange von Erscheinungen und Ansprüchen an ihr vorüber, daß sie zu einer ruhigen Stunde der Einkehr kaum gelangen konnte. Und wie wechselten die Eindrücke! Wie floß es in ihrem jungen Herzen von seltsamen und schwankenden Gefühlen ineinander.
Die Huldigungen der prinzlichen Brüder berührten sie ganz verschieden. Die einzelnen aber um so nachdrücklicheren Annäherungen des Älteren erfüllten sie mit Schrecken und Furcht. Wie durfte der verheiratete Erbprinz Georg sich ihr in dieser dreisten Weise nahen? Welche sonderbare Gesellschaft war es, die dies abscheuliche Gebühren als berechtigt und äußerst schmeichelhaft für sie ansah!
Ulrike fühlte deutlich, daß dem so sei. Man bemühte sich ja gleich eifriger um sie, wenn der Erbprinz sie ausgezeichnet hatte. Wie unrecht war dies gegen Sophie Dorothee! Sie konnte die hohe Frau nur mit Bedauern und Beschämung ansehen. Und die Erbprinzeß war so schön, so lebhaft, so glänzend durch Geist und Grazie, viel, viel mehr als sie selbst. Ob Georg das alles nicht sah?
Maximilian behandelte sie anders, das fühlte Ulrike deutlich. Er hatte etwas Ritterliches in seinem ganzen Wesen, war nicht so derb und anmaßend wie der Erbprinz. Wenn Maximilians Liebenswürdigkeit sie hinriß, wenn sie sich darauf ertappte, daß ihr Auge mit Bewunderung an den Linien seines edel geschnittenen Gesichtes hing und den Bewegungen seiner Gestalt mit Vergnügen folgte, so sagte sie sich doch stets, daß ihre treue Mutter sie gewiß vor diesen Empfindungen warnen würde.
Sie hatte Briefe mit der geliebten Mutter gewechselt, aber die Gelegenheit zur Beförderung derselben war so selten und ihre Scheu, dem Papiere gewisse Wahrnehmungen und Empfindungen anzuvertrauen, war so groß, daß die Korrespondenz den Getrennten wenig nützte. Allein klar und fest standen in Ulrikens Seele das Bild der fernen Mutter, ihr stilles, trauriges Wesen, ihre Lehren und Warnungen. Nein, sie durfte nie etwas thun, was die Leidende noch mehr bedrücken und bekümmern konnte.
In der letzten Zeit hatte sie Erich Moltke, ihren Vetter und Freund, in den Gesellschaften vermißt. War er krank oder verreist, oder hielt ihn gar Maximilian absichtlich fern? Die Blicke der beiden jungen Männer auf einander waren nicht freundlich gewesen, als sie mit dem Vater Erich besuchte und der Prinz dazu gekommen war.
Ulrike wagte nicht, nach Erich zu fragen. Es kam ihr vor, als ob sein Verschwinden mit einem über dem Hause lastenden Geheimnisse ihres Vaters im Zusammenhange stehe. Sein Name war lange nicht zwischen ihnen genannt worden; endlich hatte der Vater vor seiner Abreise gesagt: »Vetter Erich wird kommen, nach dem Hausstande zu sehen; du kannst ihn, wenn du magst, empfangen.« Ah, so war er also doch in Hannover! Diese Kunde gab ihr ein Gefühl der Zuversicht. Sie wußte, daß sie unter allen Umständen Trost und Hilfe bei ihm finden werde. Kam er nun wirklich morgen zu ihr, so wollte sie ihn selbst fragen, wo er so lange gewesen sei.
Der Diener, der im Hause geblieben war, brachte zwei brennende Kerzen herein, stellte sie auf den Tisch und schürte das Feuer in dem großen mit Sandsteinfiguren geschmückten Kamin, daß die Holzscheite hell aufloderten Jetzt erst gewahrte Ulrike, daß sie allein sei. »Hat er Mademoiselle nicht gesehen, Peters?« fragte sie erschrocken.
»Jungfer Lenoir ist ausgegangen, sie sagte in einer oder zwei Stunden werde sie wieder da sein.«
Der Bediente verschwand, und Ulrike schritt unruhig im Zimmer hin und her.
Wie unheimlich ihr zu Mute war; der Wind stieß gegen die Fenster, daß sie klirrten, und weckte in dem alten Hause seltsame Töne, es knackte und knisterte im Holze des Wandgetäfels und in den Dielen des Fußbodens und raschelte vor der Thür als nahten sich fremde Schritte. Wenn ein Windstoß im Kamin herab fegte, lohten die Flammen hell auf und warfen zuckende Lichtstreifen über die dunklen Wände, als rege sich's allerorten von sonderbaren Gestalten. Ob sie sich in ihrem Schlafzimmer einriegeln sollte? Aber es war kalt darin und noch lange nicht die Zeit, sich niederzulegen.
Sie hatte, während sie ängstlich auf und ab ging, der Eingangsthür den Rücken gewandt, plötzlich traf sie ein kalter Luftzug, kam da jemand? Sie fuhr herum und stand erstarrt, wie angewurzelt.
Der Erbprinz Georg erschien in der Thür. Ja er war es, keine Täuschung ihrer ängstlichen verwirrten Sinne. Auf seinem dunkeln Mantel lagen Spuren von Schnee, und jetzt zog er den Hut herunter und klopfte ihn ab. Er schloß die Thür und kam auf sie zu.
In zitternder Hast versuchte sie ein tiefes Kompliment, dann stammelte sie, daß ihr Vater nicht zu Hause sei und ob sie etwas von Durchlaucht ausrichten solle?
Als Georg ihren Schrecken sah, nahte er sich ihr nicht weiter, sondern blieb neben dem Tische stehen, auf dem die Lichter brannten.
»Ich suche gar nicht ihren Vater, ma petite, ich möchte nur das Pläsier haben, mit ihr zu plaudern.«
»Mit mir?« zitterte es über ihre erblaßten Lippen.
»Ist ihr das unglaublich? Weiß sie nicht lange, daß sie mir extrèmement gefällt, sie kleine timide Unschuld. Kein Wunder, daß meine Passion mich zu ihr führt.«
»O Durchlaucht! Verschonen Ew. Gnaden mich mit dieser Sprache,« sie hob flehend die Hände empor.
»Nun denn, so will ich ihr ernsthafte Propositionen machen. Sie muß mir angehören, Ulrike, ich will sie besitzen. Ich bin, seit ich sie zuerst gesehen habe, von ihr enchantiert, enflammiert. Es existiert eine komplete und vorteilhafte Differenz zwischen ihr und allen andern Weibern, die ich kenne. Wie ein Unikum erscheint sie mir. Sie gleicht einem weißen Lämmlein, einer Perle unter ihresgleichen, und diese Perle muß mein werden!«
»Geruhen doch Durchlaucht an die Frau Erbprinzessin zu denken –«
»Staatsraison – zuwidere Alliance –« murrte er.
»Sehe sie sich um in der Welt, an keinem Hofe geniert man sich derohalben.«
»Aber die Ehe ist doch heilig!«
»Die union d'amour, unsere Ehe soll es sein, ma belle,« lachte er. »Und nun nehmen Sie Raison an. Mon père, der Herzog ist ein alter Mann, in wenigen Jahren bin ich Herr zweier Herzogtümer, trage den Kurhut, werde vielleicht König von England. Wo findet sie einen Mann, der ihr eine bessere Offerte machen kann, als ich? Sie soll die erste an meinem Hofe sein. Mit Glanz und Ansehen will ich sie umgeben. Acceptiere sie mich, und ich arrangiere mit ihrem Vater die Sache zu allseitigem Kontentement.«
»Nie, nie!« rief Ulrike in Herzensangst.
Da schritt der junge Fürst ungeduldig auf sie zu und hob den Arm, um das bebende Mädchen zu umfassen. Ulrike aber schmiegte sich mit der Behendigkeit eines Rehs unter dem gehobenen Arme hinweg und entfloh; er folgte, da fiel ihr Blick auf die Thür in's nebenanliegende Speisezimmer, sie eilte darauf zu, öffnete und verschwand in dem dunkeln Raume.
Der Erbprinz enttäuscht, eifrig und mit aufloderndem Zorn rannte der Fliehenden nach. Er wußte aber nicht wie sie in dem Zimmer Bescheid, stolperte, griff zur Seite, erfaßte das Tischtuch und riß alles Geschirr, das der Diener – nachlässig in seines Herrn Abwesenheit – noch nicht abgeräumt hatte, über sich herunter.
Ulrike hörte mit Entsetzen ein großes Gepolter hinter sich. Kindische Furcht erfüllte sie. Namenlose Angst bemächtigte sich ihrer. Wohin – wohin? Sie glaubte auch unten auf der Diele fremde Stimmen zu vernehmen. Hatte ihr Verfolger gar noch Dienerschaft mitgebracht? Dachte er, sie zu zwingen? Ihr Blut erstarrte vor Schreck bei dieser entsetzlichen Vorstellung. Nein, sie ertrug es nicht, sie vermochte nicht allein und schutzlos in diesem unheimlichen Hause zu bleiben!
Auf dem Gange, in dem sie jetzt atemlos vor Herzklopfen stand, hing an einer Rehkrone ihr Regenlaken von dunklem Tuche, in das sie sich ganz einwickeln konnte. Hastig nahm sie es herab, warf es über den Kopf und hüllte sich hinein. Zu Erich! Zu ihm! nur bei dem Freunde und Bruder giebt es Schutz und Rettung! Das waren ihre einzigen Gedanken. – Horch, da meinte sie aufs neue, die tiefe, rauhe Stimme des Erbprinzen laut scheltend zu hören.
Neben ihres Vaters Stube ging eine Hintertreppe in den Hof hinunter, das Thor, das von hier auf die Straße zur Aus- und Einfahrt führte, war offen, hier hinaus konnte sie unbemerkt entschlüpfen.
Jetzt stand Ulrike vor Angst zitternd im Dämmerschein auf der Straße. Ein Paar Öllampen, die vor dem Schloßeingange brannten, warfen ihr schwaches Licht durch das Schneegestöber, das die Davoneilende umrieselte.
Der Weg bis zur Neustadt war weit, aber sie kannte ihn und sie wußte ja auch Erichs Zimmer zu finden. In thörichter Besinnungslosigkeit und ohne zu überlegen, strebte sie vorwärts.
Plötzlich stutzte ihr Fuß, Beklemmung befiel sie, das Bild Maximilians trat vor ihre Seele. Wenn nun er – statt Erich – aber warum dies annehmen?
Nein, sie konnte jetzt nicht mehr zurück; sie empfand einen unüberwindlichen Schauder, wenn sie daran dachte, allein nach Hause heimkehren zu müssen. Erich hatte ihr ja oft gesagt, sie solle sich nur in jeder Not an ihn wenden. Er würde ihr beistehen, er würde sie zurückbegleiten; er würde auch Fürsorge treffen, daß ihr etwas Ähnliches nicht wieder begegnen konnte, auf ihn verließ sie sich.
Wie dunkel und naß die Straßen waren, nie hatte sie um diese Zeit die Stadt betreten, immer war sie von ihrem Vater begleitet im Wagen gefahren, wenn sie, zu Gesellschaften geladen, sich noch hinaus begeben hatten. Hier und da fiel ein Lichtschein aus den Fenstern, meistens waren sie aber mit Läden geschlossen, die einen herzförmigen Ausschnitt hatten, der dann als Lichtherz auf ihrem Pfade im Schnee sich abzeichnete. Aus einigen Häusern schallte wüster Lärm, es mochten Trinkstuben sein. Hier bellte ein Hund, dort schrie ein Kind, nebenan wurde eines in den Schlaf gesungen.
Endlich war sie da, hoch ragte der stattliche Bau der prinzlichen Wohnung in das Flockengewirbel empor; die dunkeln Steinkanten trugen vom Schnee weiße Streifen und hell schimmerte es aus verschiedenen Fenstern.
Das Thor des Hofes und die Hausthür stand offen, einladender Lichtschein drang aus dem Innern hervor.
O, nun war sie gleich in Sicherheit! Ohne sich zu besinnen, eilte Ulrike in den Flur und auf die Treppe zu.
Da trat ihr ein großer Mann in Mantel und Hut entgegen, der, wie es schien, ausgehen wollte – Prinz Maximilian!
Ulrikens Fuß stockte, sie fühlte plötzlich, daß sie etwas Unerhörtes gethan habe. Rasch entschlossen indes und mit plötzlich aufwallendem Vertrauen lüftete sie etwas ihr schneebedecktes Regenlaken und flüsterte: »O, Durchlauchtigster Herr, helft mir! Ich muß zu meinem Vetter Erich Moltke.«
»Ulrike,« stammelte der Prinz, von Schrecken und Staunen ergriffen. »Ist es möglich – sie kommt hierher?«
»Ja, ich bin's, Herr, und in großer Not.«
Er sah an der zitternden Erregung, die sie beherrschte, hörte es an ihrer Stimme, daß etwas Außerordentliches ihr begegnet sein müsse, das sie aus dem Geleise geworfen habe. Der abscheuliche Argwohn, der ihn anfänglich durchzuckte, sie wolle Erich zu einem Liebesgetändel besuchen, fiel als ein unwürdiger Gedanke von ihm ab.
»Daß nur niemand von der Dienerschaft euch hier sieht,« flüsterte er hastig. »Zieht den Mantel fest über den Kopf, ich will euch in des Oberstlieutenants Logement bringen, er muß jeden Augenblick von einer Reise heimkehren. Seine Relaisstaffette ist angekommen, ich wollte ihm bis zum Thore, wo es immer einen kleinen Aufenthalt giebt, entgegengehen.
Ulrike that, wie er befohlen, und ohne jemandem zu begegnen, gelangten sie in Moltke's Zimmer, das warm und erleuchtet war. Hier verschloß der Prinz vorsichtig die Thür hinter ihnen, nahm dann Ulrike das naße Regenlaken ab und rückte der vor Kälte und Erregung Schlotternden einen Stuhl an den Ofen.
Wie bleich sie war, die sonst so strahlenden Augen blickten erloschen und ihr Köpfchen sank müde an die Lehne zurück. Was mochte ihr geschehen sein? Ein wilder Zorn stieg in ihm auf gegen den, der es gewagt hatte, dies zarte Geschöpf zu ängstigen und zu verletzen. Ihr Vater? Der Oberjägermeister war als herrisch und roh bekannt. Indes zufällig wußte Maximilian, daß er zu einer Dienstreise vom Erbprinzen in den Deister geschickt sei. Also mit dem konnte es nichts gegeben haben. Wie würde er auch so weit gehen, die Tochter aus dem Hause zu treiben? Alle diese Gedanken bedrängten des Prinzen Seele, er wagte aber noch keine Frage an die Erschöpfte zu richten.
Nach den ersten Augenblicken eines traumhaften Schwindels, der sich, als Ulrike geborgen und warm im Stuhle lehnte, mit Bleigewichten über sie senkte, begann sie sich zu sammeln. Sie richtete sich auf, strich sich wie zum Besinnen über die Stirn und empfand plötzlich die Notwendigkeit, dem Prinzen anzuvertrauen, was sie aus dem Hause getrieben habe. Welchen Gedanken mochte er sich sonst über sie und ihr Thun hingeben, wenn sie nicht sprach und ihm das abscheuliche Begegnis mitteilte, das sie zu diesem unüberlegten Herkommen verleitete? Aber wie sollte sie die peinliche Sache berühren und wie durfte sie es wagen, seinen eignen hochgestellten Bruder anzuklagen?
»Fühlt sie sich erholt, Fräulein von Moltke?« fragte der Prinz teilnehmend.
»Euer Durchlaucht sehen mich in einer schlimmen Verlegenheit,« stammelte sie. »Ich beschwöre Sie in Gottes Namen, nichts Arges von mir zu denken! O, wollen Euer Gnaden mich dieser Visite halber nicht geringer estimieren!«
»Ich kann nicht anders, als sie für eine perfekte Person halten!« rief er warm. »Möchte sie aber das Vertrauen in mich setzen, ihre Motive mir mitteilen – so würde das mein Herz, das ihr sehr ergeben ist, in jeder Weise soulagiren.«
»Ja, ich muß sprechen,« seufzte sie, während Thränen über ihre Wangen rollten. »Ihr dürft keine schlechte Meinung von mir hegen!« Sie rang nach Worten und brachte endlich mühsam in abgerissenen Sätzen eine Erzählung ihres Erlebnisses über die Lippen. Ihre Verlassenheit in dem öden Hause, der sie überraschende und erschreckende Besuch, die beschämenden Anträge des Erbprinzen, endlich sein Näherkommen und ihre Flucht. Sie schilderte jetzt mit gerungenen Händen ihre grenzenlose Angst, ihr Grauen, ihr Vertrauen zu Vetter Erich und ihr besinnungsloses Davonstürzen.
Maximilian hatte wenig mehr gehört als den Namen seines verhaßten Bruders. Der Gedanke an den Einbruch Georgs in das herrenlose Haus, an seine Belästigung des holden, unschuldigen Geschöpfes brachte sein Blut derart in Wallung, daß er kaum an sich halten, Ulrike kaum ausreden lassen konnte. Zornig und leidenschaftlich erregt, schritt er auf und ab.
Georg streckte ja nach allem Begehrenswerten seine plumpe Hand aus. Er glaubte, alle Schätze der Welt an sich reißen zu können! Alle Kronen, alle Herzen, alle Genüsse sollten sein werden, nur sein! Gleichviel was für andere übrig blieb. Egards kannte er nicht. Er besaß auch kein Verständnis für Unschuld und Reinheit. Seine Pflichten für die schöne Frau an seiner Seite ließen ihn kalt. Schonung eines edlen Hauses lag ihm fern; er hatte wohl gar den Oberjägermeister absichtlich fortgeschickt, um freie Hand bei der Tochter zu haben. Wie ihm danach verlangte Rechenschaft zu fordern für die heutige freche That. O, wie er diesen Mann, diesen Georg – mochte er ihm sein, wer er wollte – verabscheute! Ihm nachstehen, ihm alles Gute mit scheinbarer Devotion überlassen, das war eine Forderung, gegen die sein ganzes Wesen sich sträubte. –
Während Maximilian wild durchflutet wurde von diesen Empfindungen und Ulrike mutlos und erschüttert vor sich hin weinte, überhörten beide Schritte und Stimmen auf dem Gange. Jetzt wurde an der Thür gerüttelt und Erich Moltke rief: »Mein Zimmer ist verschlossen, was geht hier vor?«
Der Prinz bezwang seine Erregung und eilte zur Thür. Er winkte Ulriken hinter den großen Kachelofen zu schlüpfen, öffnete und sagte: »Ich bitte ihn vorläufig allein einzutreten, entferne er die Dienerschaft, Oberstlieutenant, ich habe mit ihm zu sprechen.«
Erich gehorchte und kam mit dem Ausdruck des Erstaunens ins Zimmer. Weshalb sollten die Leute das Gepäck nicht rasch hereintragen dürfen? Mit fragendem Blick sah er sich um, während der Prinz wieder hinter ihm abschloß.
»Erich – Vetter Erich!« rief da mit bebenden Lippen eine weiche Stimme.
»Ulrike!« Der starke Mann erblaßte und trat zurück.
»O, seid nicht böse, in meiner höchsten Angst flüchtete ich zu euch!«
»Wie ist das möglich – hier – hier – mit Sr. Durchlaucht?« Eine tiefe Falte lag zwischen Erichs Brauen, seine Stimme zitterte und klang vorwurfsvoll und seine Mundwinkel zuckten.
»Daß ich die Ehre dieser Dame sorglich schone, sollte ihm aus meiner jetzigen Konduite resultieren.«
»Wie habe ich mich nach eurem Schutz, eurem Beistande gesehnt, lieber Vetter,« flüsterte Ulrike dicht zu ihm herantretend und legte die Hand auf seinen Arm.
»Was ist Euch arrivirt, ma cousine?« es lag noch viel Kühle und Mißtrauen in dem Ton.
Mit fliegenden Worten erzählte sie noch einmal und wiederum tief erschüttert die Ereignisse dieses Nachmittags.
Der Prinz blickte düster und mit untergeschlagenen Armen auf die Beiden. Standen sie sich doch näher, als er gedacht hatte? Herrschte hier doch mehr als ein nur geschwisterliches Einvernehmen? Er sah, daß sein Adjutant trotz aller Lieblichkeit, die das süße Geschöpf an ihn verschwendete, finster blickte und daß Eifersucht sich in ihm regte. Und sie, war es nötig, daß sie sich entschuldigte, daß sie so viel erklärte und sich um seinen Beifall für ihr Thun mühte? Ein steifer Pedant war er, nicht wert ihrer Liebe! Ho, ho – Liebe? Wer dachte daran? Sie sollte, sie durfte ihn nicht lieben! Es überlief Maximilian siedend heiß, und er sagte schroff:
»Er thäte gut, Monsieur Moltke, seine Cousine baldmöglichst zu enlevieren. Er wird es selbst kaum für convenable erachten, das Fräulein lange hier festzuhalten.«
Mit finsterer Stirn verneigte sich Erich Moltke zustimmend vor seinem Herrn, nahm das zur Seite geworfene Regenlaken und legte es Ulriken, die trübe verstummt war, um die Schultern.
Jetzt erst fiel es dem Prinzen wieder ein, daß er mit Spannung auf Moltkes Nachrichten aus Kopenhagen, wohin er ihn mit seiner Beschwerdeschrift entsandt gehabt, gewartet habe, er zog also seinen Adjutanten zur Seite und fragte halblaut und hastig:
»Was bringt er aus Dänemark? Hat er ma tante, die Königin gesehen? Geht man auf unsere Intentionen ein?«
»König Christian scheint für unsern allergnädigsten Herzog und dessen Erbverfügung nicht günstig gesinnt. Die allmächtigen Räte der Krone, Güldenlow und Reventlow, sind jedoch vorläufig noch nicht disponiert einzugreifen. Sie verlangten noch andere Papiere und Erklärungen.«
»So wird er bald noch einmal nach Kopenhagen fahren müssen!« rief der Prinz eigentümlich frohen Ton's.
Ein Blick der Trauer und des Verständnisses streifte ihn aus Moltkes Auge, dann wandte er sich wieder Ulriken zu, forderte sie auf, ihre Hülle fest über den Kopf zu ziehen und ihm zu folgen.
» Un moment!« befahl der Prinz, »Gimpe soll mir erst alle gaffende Dienerschaft aus dem Wege räumen!«
»O, wie gütig und vorsorglich Ew. Gnaden sind!« rief Ulrike gerührt, »wie dankbar bin ich, daß Durchlaucht meine Thorheit zu bemänteln suchen.«
Einige Minuten später verließ der Oberstlieutenant mit seiner Cousine den Osnabrücker Hof. Sie legten den langen Weg bis zur Leinestraße fast schweigend zurück, beschäftigten sich aber beide innerlich miteinander. Allein ihre Gedanken waren nicht so freundlich, wie dies sonst der Fall zu sein pflegte.
Es ist klar, sagte Erich zu sich selbst, sie nimmt die Huldigungen Maximilians mit Freuden entgegen; wie sollte sie auch nicht, ein so ritterlicher Herr und ein Prinz so schön, so feurig und galant, wie könnte ich mit dem konkurrieren? Aber was mag daraus werden? Sie hat es abgelehnt des älteren Bruders Maitresse zu sein, wird sie dem Zweiten gegenüber ebenso standhaft bleiben? Welche Konflicte! Wie vermag ich das geliebte Wesen zu schützen? Ich darf doch nichts gegen meinen Herrn sagen oder gar thun. Der Prinz wird mich auch baldmöglichst wieder nach Dänemark schicken, dann hat er freie Hand. Ob ich mit dem Oberjägermeister spreche? So derb und hart er ist, hält er doch auf Sitte und läßt der Ehre seines Hauses nicht zu nahe treten. Ulrike ist von einer kindlichen Arglosigkeit, die sie in die übelsten Lagen bringen kann, aber es ist schwer, sie aufzuklären.
Ulrike dachte: Erich, der mir oft gesagt hat, ich solle mich in jeder Not oder Verlegenheit an ihn wenden, hat mich nicht freundlich aufgenommen, und einen größeren Beweis von Vertrauen konnte ich ihm doch nicht geben, als daß ich in meiner Not zu ihm flüchtete. Daß ich nur zu ihm wollte, sah er doch daran, daß ich in seinem Zimmer war. Wie gütig hat der Prinz mich dagegen behandelt, wie rasch hat er mich verstanden, wie zart hat er mich vor fremden Blicken geschützt, o er ist ein trefflicher Herr, und Vetter Erich sollte sich ein Beispiel an ihm nehmen.
Nun war man vor Moltkes Hause angekommen. Das Thor stand noch offen, und Ulrike kehrte auf demselben Wege, auf dem sie fortgegangen war, mit ihrem Begleiter zurück. Im Hause war alles ruhig, ein Öllämpchen, das in der Hauslaterne auf der Diele hing, verbreitete mattes Dämmerlicht.
Erich bat seine Gefährtin sich zurückzuziehen und von allem Erlebten auszuruhen, er wollte sich nach der Dienerschaft umsehen und für ihre Sicherheit sorgen, dann sagten sie sich kühler und gezwungener Lebewohl, als es je zuvor geschehen war.