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I.

Es war der erste Abschied zwischen ihnen für eine sehr lange Zeit, für eine sehr große Entfernung.

Yvette sah mit verhaltenem Schmerz in das sonderbar leuchtende Gesicht Lenorens. Es leuchtete wie von einem schwer errungenen Siege.

Ihre Hand hatte etwas Schweres und Müdes in der Bewegung, wenn sie immer wieder und wieder zu der ihren heruntergriff aus einem offenen Fenster des Zuges heraus, der jeden Augenblick nun plötzlich jenen furchtbaren Stoß machen sollte, der jäh und unwiderruflich den Abgrund der Trennung zwischen sie beide legen würde.

Es war nicht auszudenken. Und die beiden dachten auch nicht weiter als die eine wundervolle bange und schreckliche Sekunde, da sie sich noch mit den Augen sehen, die geliebte warme Stimme noch hören und den fast schmerzhaften Druck der bebenden Hand noch fühlen konnten.

Vor Lenore tat sich die Welt auf. Ein langes reiches Jahr sollte sie die Erde umkreisen, die Wunder neuer Meere und Zonen schauen, den fremden Reichtum alter Kulturstätten aufnehmen, den Rausch unbekannter Fernen auskosten.

Aber die Lockungen dieser Ferne wurden plötzlich etwas Entsetzliches und alle grausamen Möglichkeiten der langen Trennung kamen ihnen in diesem letzten Augenblicke gegenseitigen Besitzes erst voll zum Bewußtsein, wie eine schwere beängstigende Last lag diese letzte fliehende Minute der Gegenwart auf ihren Seelen und Gliedern.

Vollständig unbegreiflich und töricht schien es ihnen jetzt, sich zu trennen. Und wenn sie dem Drange ihrer tiefsten Empfindung nachgegeben hätten, würden sie jetzt noch im letzten Augenblicke alles rückgängig gemacht haben und wären zusammen zu dem warmen Glück ihres gemeinsamen Lebens zurückgekehrt.

Aber die Wirklichkeit zwingt uns, auszuführen, was unser Wille in kühler Stunde der Überlegung sich auferlegte, wenn auch das, was ihm zuvor Wunsch und Müssen schien, sich zu unerträglichem Schmerze gewandelt und wir kaum noch eine leise Empfindung von dem übrig haben, was unseren Willen zu diesem Punkte führte.

Zumeist aber hatte dieser Wille Recht und nur die Finsternis des augenblicklichen Schmerzes läßt es uns nicht mehr erkennen. –

Lenorens Augen leuchteten auf, hell und sieghaft, aber ihr Mund wurde zum Verräter ihres Schmerzes und die müde Hand konnte nur noch leise die traurige Bewegung des letzten Abschiedsgrußes machen, als der Zug sich endlich und doch viel zu früh mit grausamer Langsamkeit der Ferne zuzuwenden begann. Und obschon ihnen war, als hätten sie sich noch eine Welt zu sagen, als sei das beste überhaupt noch ungesagt geblieben, kamen ihnen doch keine Worte auf die Lippen.

Yvette stand starr und bewegungslos.

Wie schön sie ist. Wie ich sie liebe, warum lasse ich sie von mir gehen. Das Weh dieser Gedanken wühlte in ihrem Blute. Plötzlich streckte sie beide Arme nach der geliebten, ihr mit so furchtbarer Sicherheit entschwebenden Gestalt aus – ein Schrei, den zwar niemand hörte, der sich aber wie ein scharfer Schmerz in ihr Bewußtsein bohrte, löste sich aus ihrer gequälten Seele. Und dann war sie allein. –

Reue und Qual und Verlangen zerrissen ihr das Herz. Warum hatte sie sie gehen lassen. Warum war sie nicht mit ihr gegangen. Wenn sie sich nicht mehr wiedersahen, wenn diese furchtbare Ferne sie nicht wieder herausgab!

Mechanisch wendete sie ihre Schritte dem Ausgang zu und stieg in den Wagen des Hotels, der sie hergebracht hatte.

Sie versuchte zu lächeln, weil sie es einfach nicht aushielt, diese unerträglichen Gedanken, die wie eine Schar hungriger Raubvögel über ihre wehrlose Seele herfielen, weiterzuspinnen.

Und das wogende, brausende Getöse des Pariser Straßenlebens kam ihr zu Hilfe in ihrer Not. Die Unendlichkeit der Bewegung, die sie umdrängte, das Wogen der Menschenmassen, das sie umflutete, arbeitete gleichsam jener anderen Bewegung in ihrem Innern, die sie als Schmerz empfand, entgegen und schien ihr die Gewißheit der Erfahrung in Erinnerung zu bringen, daß der Rhythmus der Zeit zurückzuebben und Fortgeführtes zurückzubringen pflegte.

Und die heiße vorweggenommene Freude des Wiedersehens überstürzte sie. Ferne und Zeit und Raum verschwanden zwischen ihr und dem geliebten Menschen, und schon begann jede wandernde Minute, die scheinbare Unüberwindlichkeit der Zeit anzunagen und die Brücke zu bauen, die zum Wiedersehen führte. –

Über dem Rausch, der aus der ungeheuren Fülle des Lebens und der Grenzenlosigkeit der Bewegung ringsumher zu ihr aufstieg, spannte sich ein lichtblauer durchsichtiger Himmel aus.

Die grazile Schönheit eines Vorfrühlingstages, wie er zu so früher Zeit des Jahres nur in Paris denkbar ist, lag strahlend zwischen dem leuchtenden Himmel und dem dunkeln Getriebe der belebten Straßen und hatte den hohen Bäumen der großen Boulevards schon lichte grüne Knospen in die feinen aufragenden Äste gesetzt. Die Blumen der Provence dufteten an allen Ecken und Enden der Straßen und legten Lächeln und Hoffnungen in die Luft und ließen Tausende beladener Herzen schneller schlagen und müde Menschen fühlten es wie Tanz im Blut und in den Füßen.

Yvette empfand es in dieser von Freude erfüllten Luft plötzlich mit Dankbarkeit, daß Lenore ihr nicht gestattet hatte, sie bis Marseille, wo ihr Schiff sie erwartete, zu begleiten. Tausendfach schwerer hätte sie in der fremden Stadt die Angst der Trennung durchlitten. Paris aber kannte sie von vielfachem Aufenthalte und viele glückliche Erinnerungen gemeinsam hier verbrachter Zeiten ließen ihr die betäubende Illusion, als wäre die Freundin nur eben von ihr gegangen, um in einer kleinen Weile irgendwo wieder mit ihr zusammen zu treffen, wie dies früher oft geschehen war.

Sie kannte die Stadt so gut, daß sie nichts im einzelnen mehr auffaßte, und sie nur im ganzen als eine wundervolle Melodie empfand, welche die Härte ihres Schmerzes in ein traumhaftes Gefühl der Unwirklichkeit auflöste, und ihr Denken in gewichtloser Schwebe hielt.

In der leeren Einsamkeit der Hotelzimmer aber überkam sie eine unerträgliche Traurigkeit. All die Unordnung der letzten Stunden des Zusammenseins machten die Räume öde und verlassen und am liebsten wäre sie gleich wieder hinaus geflüchtet, um im Gewühle der Straßen unterzutauchen und Vergessenheit zu suchen.

Aber sie hätte ja doch wieder zurückkehren müssen.

Das Maß der Qual, das jede große Veränderung feststehender Lebenszustände, je nach der Tiefe des damit verknüpften Eingriffs in seelische Beziehungen, mit sich bringt, mußte ausgeschöpft werden.

Und so tat sie, was in solch wehrlosen Zuständen der Trostlosigkeit allein zu tun übrig bleibt. Sie gab sich den Erinnerungen hin und ließ sich von den Bildern der Vergangenheit in schmerzvoller Lust hinnehmen. Mit ihren Gedanken zwang sie die sich von ihr Entfernende immer näher zu sich heran, ganz nahe, bis ihr war, als fühle sie ihren Atem neben sich und brauche nur die Hand auszustrecken, um sie ergreifen zu können.

Das stolze Glück ihrer wundervollen Freundschaft stand rund und ganz, wie etwas körperliches vor ihr, und wie weit sie auch in die Zeit zurückschaute, so war es wie ein tiefer blühender Garten, so war es eine Fülle von lebendiger Schönheit gewesen zwischen ihnen.

Wie eine Ehe war es gewesen. Wenn man damit den Willen zur großen Treue bezeichnen will, die zwei Menschenleben, wie der Magnet seine Pole, zugleich fesselt und befreit. Eine Ehe auch darin, daß in ihrer Lebensgemeinschaft jede von ihnen eine besondere Eigenart einzusetzen hatte, die jenen Wechselstrom von geben und nehmen erzeugt, der das persönliche werden mit unaufhörlichem Wachstume zu befruchten vermag.

Es blieb immer neu und geheimnisvoll und doch so wundervoll vertraut zwischen ihnen, wie es einem die klammern der Heimat sind, die man so genau kennt und doch täglich wieder neu in Besitz nimmt. Die Nähe übersättigte sie nicht und die Ferne entfremdete sie einander nicht. Immer spannte sich der Bogen der Sehnsucht hinüber und herüber zwischen ihnen wie eine goldene Brücke, in deren Mitte sie sich trafen.

Waren auch Schmerzen und Leiden und Tränen zwischen ihnen gewesen? Ja – aber wie ein dunkler Hintergrund, von dem sich die Freuden und Beglückungen und zarten Liebkosungen festlicher Stunden abhoben, wie die frohen Farben blühender Blumen von der fruchtbaren Dunkelheit der Erde.

Und die starke Helle der großen Aufrichtigkeit war zwischen ihnen, daß die Melodie ihrer Wesensart rein und unverfälscht zueinander dringen konnte und sie sich ohne Schein bis zu ihren letzten Gründen gegenseitig gaben und jedes des andern Schatten und Untiefen mit seinem Lichte und seinen Höhen zusammen sah und erkannte, daß diese erst durch jene anderen ganz und rund und greifbar und wertvoll wurden. So hatten sie sich das köstlichste gegeben, was Menschen sich zu geben haben, indem sie sich gegenseitig von jener furchtbaren, weil unfreiwilligen Einsamkeit erlösten, die mit ihrer unfruchtbaren Enge das seelische Gleichgewicht aufhebt. Denn je stärker das persönliche in einem Menschen ausgeprägt ist, desto mehr bedarf er der Erlösung zu sich selbst durch ein Anderes, das seinen Reichtum zu nehmen vermag. Nicht selbstgewählte Einsamkeit ist ein ungesunder Zustand, der seelische Stoffwechsel ist gehemmt, zu viele Bewegungen der Güte und Wärme, zu viele erlösende Tränen und befreiendes Lachen bleiben unausgelöst und stauen sich hemmend vor den strömenden Quellen des Lebens. Denn Leben ist Wärme und Wärme will fortwährend neu erzeugt sein; Wärme ist Kraft, Umsatz unserer feinsten Lebenseinsätze und wo wäre Wärme ohne Liebe. Und deshalb ist Einsamkeit ein Gift, das die zarten Kostbarkeiten der Seele zerstört.

Aber die feine vornehme, weil gewollte Einsamkeit, die eine Nuance, eine Distanz, gleichsam eine Zäsur im Rhythmus der Liebe bedeutet – diese hatten sie sich genommen und gegeben mit vollen Händen. Fraglos und unbekümmert um Gründe und Ziele, hatten sie oft Zeit und Raum zwischen sich gelegt, mit der großen und verschwenderischen Geste des sicheren Reichtums, mit dem seinen Genießen des Lebenskünstlers, der sich neue Ebenen zu neuen Aufstiegen zu schaffen weiß. Und die Besonderheit ihrer Lebensarbeit, um die sie beide im täglichen Kampfe ihre Kräfte einsetzten und um welche ihre stärksten Freuden kreisten, gab ihrem Zusammensein die letzte Vollendung.

Über das ruhende Antlitz Yvettes glitt ein wundervolles Lächeln. Alle ihre im Reichtum der Erinnerungen versunkenen Gedanken erstrahlten in diesem Lächeln.

Und solch ein schönes, aus Glück und Dank erblühendes Lächeln ist die köstlichste Gabe, die das Königreich unserer Seele zu vergeben hat und demjenigen, dem es gilt, verleiht es den Adel tiefsten Menschenwertes.

So lächelte Yvette in Erinnerung an Lenore und wußte mit der seherischen Sicherheit des Empfindens, das lange Zeiten vollkommener Liebe zwischen zwei Menschen entstehen läßt, daß die Geliebte eben jetzt auf dem gleichen Wellenspiele der Gedanken mit ihr in Sehnsucht und Dankesglück vereinigt war.

Und doch, trotz dieser langen glücklichen Freude aneinander, wußten sie beide, daß sie im letzten Grunde arm geblieben waren. Etwas Unerlöstes und Darbendes war in ihnen. Die letzten und tiefsten Erkenntnisse hatten sie vom Leben noch nicht genommen. Und sie litten daran mit dem wissenden Leide, mit dem der reife Mensch an seiner Unvollkommenheit leidet.

Die Freundschaft hatte bei ihnen die Stelle der Liebe eingenommen und da sie ihnen alles gab, was auch die Liebe zu geben hatte, versuchten sie dessen zu vergessen, was aus der Liebe noch ein tausendfaches Mehr macht, weil sie das Leben selbst zu geben hat.

Aber es kamen Stunden, wo sie dessen inne wurden, denn der Wille zum Glück hatte in ihnen seine volle Kraft und Wachsamkeit behalten, wie dies das Vorrecht der an Leib und Seele Vollkommenen ist. – Und sie hatten in ihre Zeit geschaut mit schmerzhafter Sehnsucht, aber ihre Zeit hatte keine Antwort für sie gehabt, da sie die ungenügsame Sehnsucht der über ihre Zeit hinausgewachsenen Weibesseele war.

Und so – –

Die Uhr des Bahnhofs St. Lazare schlug plötzlich ihre kurzen harten Schläge mitten in ihr Denken hinein. Und jäh erwachte etwas in ihrer Erinnerung, das irgendwie mit diesen Tönen in Zusammenhang stand, dessen sie aber nicht habhaft werden konnte. Yvette erhob sich vom Divan. Es war völlig dunkel geworden, nur die Laternen von draußen ließen eine bläuliche Dämmerung in die Fenster scheinen.

Sie drehte das Licht an und sah nach der Uhr.

Es war acht. Und nun wußte sie auch plötzlich, was sie sollte. Lenore hatte ihr das Versprechen abgenommen, daß sie diesen letzten Abend in Paris nicht allein verbringen würde und so nahm sie die Einladung der Komtesse Trubetzky an, die heute ihren Abend im Atelier hatte.

Yvette läutete und ließ sich vom Zimmermädchen beim Ankleiden helfen.

Als sie wieder in den Salon trat, war sie schön und sie wußte, daß sie es war. Schön in dem individuellen Sinne einer Künstlerin, welche die Linien ihres Körpers kennt und liebt und sie zur vollendeten Wirkung ihrer Besonderheit zu bringen weiß.

Hochgewachsen, mit grazil gefügten Gliedern und einer gewissen herben Zurückhaltung in den Bewegungen, wirkte sie gleichsam wie ein Bild, das im Momente der Bewegung genommen, fortwährend die Erwartung gibt, als müsse es aus dem Rahmen heraustreten und sich vor uns in seiner letzten Wesenheit entfalten. Wie ein unsichtbarer, aber immer gefühlter Rahmen war es um sie; trotz des sprühenden sprechenden Reizes in Linie und Farbe, schien sie von einer fernhaltenden Unnahbarkeit umgeben, so daß niemand gewagt hätte, an den Zugang ihrer Innenwelt zu rühren, wenn sie sich nicht selbst auftat und hergab. Man konnte nicht eigentlich sagen, was ihr diesen seltsamen, gleichsam dunklen verhaltenen Reiz gab; man kam gar nicht dazu, das einzelne ihrer Erscheinung zu zergliedern und zu kritisieren, so ganz zur Persönlichkeit zusammengeschlossen war alles an ihr, man konnte sie nur ganz oder gar nicht annehmen. Wenn man sie zum erstenmal sah, war es schwer, an ihr vorüberzugehen, ohne jene plötzliche Schärfung des Blickes und Hemmung der Bewegung, die nur einen kurzen Augenblick ausfüllt, aber die berauschendste, weil absolut spontane Huldigung für die Frau bedeutet, die diesen Augenblick zu empfinden und zu genießen weiß.

Und Yvette verstand zu genießen. Solche Zeiten der Freiheit waren ihr überhaupt ein Fest. Da konnte sie das Leben in völliger Losgebundenheit von den Dingen auf sich wirken lassen, an welche ihre Kunst sie sonst so eng und hart zu fesseln pflegte. Nicht daß sie fort von ihnen strebte, denn sie liebte sie, aber sie wollte sie dann frei von Zweck und Absicht belauschen, um ihnen ihre letzten Heimlichkeiten zu entlocken. –

Eben jetzt umfing sie der drängende und hastende Rhythmus des abendlichen Straßenlebens, in dem eine ungeheure Menschenmenge sich wie eine große dunkle Welle zu den verschiedensten Zielen vorwärts wälzten, wobei jedoch der einzelne den eigenen Drang und Hast als eine besondere Lust zu empfinden schien. Die Körper federten gleichsam in dem Takte der Schritte und die Augen tanzten lichttrunken auf den breiten goldnen Strömen leuchtenden Elementes, die sich über die Straßen ergossen.

Yvette ließ den Wagen auf Umwegen fahren und genoß mit allen Sinnen diese merkwürdig bewegte Atmosphäre, wie sie einzig nur über Paris zu kreisen scheint. Eine Atmosphäre voll Fieber und Rausch, mit den Illusionen und Halluzinationen fliegender Pulse und heißer pochender Blutwellen.

Die großen Boulevards flogen an ihr vorüber, wie die fallenden Bilder eines Kaleidoskops einander überstürzend und verdeckend. Die blasierte Stille der champs élysées, die vornehme Architektur der Madelaine, die massige Silhouette des Invalidendomes, die vielen leichtbogigen Seinebrücken und endlich das Quartier latin, diese Stadt für sich, mit seinem ganz besonderen Leben, seinem eigenen Jargon und Bohèmeparfüm, in welchem die Jünger der Wissenschaft und der Kunst von jeher am liebsten ihre Nester suchten. –

Rue Vaugirard.

Oben im Atelier war es schon voll von Menschen. Durch den Jutevorhang, der den Saal vom Vorraum trennte, hörte man das Durcheinander von Stimmen und Lachen und eine schwere Luft, getränkt von dem heißen Atem erregter Menschen, strömte über den Vorhang herüber, der bis zur halben Höhe des Raumes reichte. Durch den grobfädigen Stoff des Vorhangs schimmerte das Licht vieler Kerzen und bewegten sich die Schatten der Leute in grotesken Silhouetten.

Yvette blieb einen Augenblick, von diesem eigenartigen malerischen Effekt gefesselt, im Vorraum zurück.

Da raffte eine weiße weiche Hand schnell den Stoff zusammen und eine vornehme üppige blonde Frau mit wiegenden Hüften kam rasch auf Yvette zu.

»Endlich Yvette, so spät – schon fast elf – wo bleiben Sie nur – Lenore versprach doch –«

»Da bin ich ja, Luba – wie geht es Ihnen –« sagte Yvette, indem sie sich nach russischer Weise auf beide Wangen küssen ließ.

»Nun, wie es uns Kunstmenschen geht – heute oben, morgen unten – aber Sie werden ja sehen, in zwei Jahren erlebt und verlebt sich viel bei uns hier in Paris – aber Sie – Sie selbst – Sie wachsen, Ihr letztes Bild der Gräfin Suschin – ah – aber –

Doch kommen Sie endlich, wir sind schon beim Champagner.«

Sie schlug den Vorhang mit raschem Griff zurück, daß die großen Holzringe aneinander klirrten und ließ Yvette eintreten.

Sie gingen an der Seitenwand entlang. Gruppen von Männern und Frauen standen umher, lehnten in den Divans, kauerten auf den Stufen eines zur Seite geschobenen Podiums. Ein schweres Arom von Zigaretten und Weindunst hing wie eine Wolke in dem weiten hohen Raum, der mehr durch das schwirrende Durcheinander verschiedenster Sprachfetzen, dem heißen Hin und Her der spielenden, suchenden und antwortenden Blicke und der flutenden Leidenschaften erdrückend voll erschien, als durch die wirkliche Menge der Menschen, deren wirkliche Bewegungen im Verhältnis zu dem ausgelösten Fluidum der allgemeinen Erregung gänzlich unwesentlich erschienen. Es mochten an fünfzig Gäste sein, die sich zu nationalen Gruppen zusammenschlossen, welche sich dann und wann plötzlich aufrollten und mit den Nachbargruppen mischten, je nach den Sprachmitteln, über die die einzelnen verfügten. Irgendwo in einer Ecke war ein Büffet aufgestellt. Zwei kleine Negerknaben liefen auf ihren dicken runden Sohlen geräuschlos zwischen durch und beeilten sich, die weiten Schalen umher zu reichen, ehe der steigende Schaum mit dem leisen knisternden Geräusch über den Rand gekommen war.

Wo Yvette vorüberkam, stockten für einen Augenblick Worte und Gesten. Die Männer verbeugten sich, etwas scheu in der Haltung, während ihnen schnelle zugreifende Blicke aus den Augen flogen, von den Frauen reckten einige neugierig die Hälse, andere wurden kalt in den Augen, andere warfen scharfe Blicke in die Gesichter der Männer und nur ganz wenige sahen lässig in den nächsten Spiegel und lächelten sich selbst dankbar und sicher zu.

»Soll ich vorstellen?«

»Später Luba, Sie sind mir noch ein Aber schuldig.«

»Einige Bekannte werden Sie schon finden – da kommt schon jemand.«

»Ah, charmant – Madame Yvette, wieder einmal hier – ich küsse die schöne Hand, die so viel kann.«

»Und ich reiche sie der andern, die noch mehr kann – Graf Palsky –«

»Nun man macht, was man muß. Aber wirklich Ihre letzte Porträtserie war famos. Gesehen und hingesetzt.«

Yvette lachte. – »Aber dazwischen liegt die große Qual.«

»Ganz wahr. Aber den Eindruck muß es zuletzt so machen. Mit den Männern verstehen Sie es jedenfalls am besten, da kommt Geist und Fleisch zu seinem Recht. Ihren Frauen aber – denen fehlt etwas. Scheinbar alles ist da, die Linie tadellos, die Farbe lebt, die Pose individuell, subtil, – aber wo ist das Blut – Sie geben den Stil der Persönlichkeit in höchster Vollendung – aber das eigentliche Leben, la passion, l'amour, la volupté – tout cela manque – et pourquoi cela –?«

Graf Palsky sah Yvette mit forschendem Blick ins Gesicht. Seine gutgepflegte Hand, die feste ausgearbeitete Hand des Bildhauers, spielte nervös mit dem grauen Spitzbart.

»Vielleicht, weil alles dies beim Manne schon im Vordergrunde, in der Linie gegeben ist – bei der Frau sich tiefer in die Psyche zurückzieht,« sagte Yvette kühl, während sie sich eigentlich selbst betroffen fragte – ja warum?

»Oder vielleicht, weil, um das bei Frauen zu sehen – eine Frau –«

Yvette fiel ihm ins Wort, sie kannte seine Indiskretionen in der Champagnerstimmung. Sie lauschte erlöst auf ein paar schwermütige Lautentöne, die wie einzelne Perlen in die Unruhe umher zu fallen schienen.

»Ach, ist Kolevsky auch hier?« sagte sie und wandte sich den Tönen zu.

Palsky nahm langsam ihre Hand und küßte sie vorsichtig mit heißen Lippen.

Yvette wendete sich der Ecke zu, wo die russisch-polnische Kolonie sich um den Maler Kolevsky gesammelt hatte. Er hatte die Balalaika auf dem Schoß, spielte darauf mit langen mageren, nicht ganz reinlichen Fingern und sang seine kleinen ukrainischen Volkslieder dazu, die Yvette noch von früher kannte. Sie setzte sich in den Schatten einer Nische und hörte zu.

Sie liebte diese einfachen starken Weisen, deren eintönige schwermütige Melodien sich ihrem Empfinden zu Bildern umsetzten.

Sie schloß die Augen. Ein dunkler Bergsee war es, von hängenden Tannen umschattet, auf dem ein goldbraunes Abendrot lastete – müde Hände greifen traurig in das wellenlose tiefe Wasser. –

Plötzlich sangen viele Stimmen das kleine melancholische Lied mit.

Und dann war es sehr still in der russischen Ecke.

Kolevsky erblickte Yvette und kam zu ihr heran.

»O, Sie Madame Yvette, auch einmal wieder hier. Und wo ist Ihre schöne Freundin?«

»Eben unterwegs nach Marseille, morgen geht das Schiff ab zur Weltreise.«

»Neuen Stoff sammeln? – sie ist unermüdlich, wie jung und stark war ihr letztes Buch.«

»Und was machen alle ihre kleinen Knaben und Mädchen, Kolevsky?«

Er lachte. »Ach Sie wissen noch. Nun die stehen und sitzen alle noch am See oder unter den lieben weißlichen Birken –«

»Und haben rote oder weiße Hemdchen an und stehen da, damit Wald und Ufer und der See nicht so ganz allein sind.«

Die kleinen Schwarzen kamen mit Champagner und süßen Dingen und sie nahmen und stießen mit den Gläsern an – »auf Ihre großen Damen und Herren und meine kleinen Buben und Mädchen –«

Und sie lachten beide und wußten, daß sie durch eine ganze Welt von Können und Wollen geschieden waren.

Eine große dürftige Frauengestalt kam mit herabhängenden schlenkernden Armen quer durch den Saal auf sie zugesteuert. Alles an ihr war farblos bis auf das brandrote Haar, das sie in breiten Wülsten um den groblinigen Kopf gestülpt hatte. In den Winkeln ihres schmallippigen sinnlichen Mundes hing noch ein tückisches Lachen und ihre weißblauen Augen sprühten böse Funken.

»Du Kolevsky, komm doch schnell mit dorthin,« sie deutete mit dem Daumen über die Schulter, »diese Mrs. Lead sagt die unmöglichsten Dinge. Die Herren beißen sich fast die Zunge ab vor Lachen und die Damen haben rote Ohren vor Ärger – sie hat's mit der Ethik der Ehe. Das Höchste sei, daß Mann und Frau wie Bruder und Schwester zusammen leben – ich hab' sie gefragt, ob sie nicht zur Heilsarmee gehen und predigen wollte – komm, es ist wirklich amüsant.«

»So laß sie doch ihr Lied pfeifen, wenn es ihr gefällt – aber laß das Jule«, sagte Kolevsky mit einem verlegenen Blick auf Yvette und schob das Mädchen, das sehr nahe an ihn herangekommen war, beiseite. Dann stand er auf, verbeugte sich ungeschickt und ging fort. Jule folgte ihm.

Yvette sah ihnen nach. Sie gingen eine Treppe hinauf, die aus der Mitte des Saales zu einer Gallerie führte, die im zweiten Drittel der inneren Saalhöhe fast um den ganzen Raum lief und auf welche die Türen verschiedener Wohnräume ausmündeten. Diese Bauart gab dem Atelier etwas Besonderes und Interessantes. Oft hatte sie bei früheren Besuchen von dem oberen, fast dunklen Raum hinunter in das Gewirre und Treiben im hellen Saale geschaut.

»Ah sich da, Fräulein Yvette«, sagte eine warme Stimme neben ihr. Sie sah auf und mußte sich besinnen. Diese Augen, diese Stimme und Hände mußte sie kennen, aber das Ganze wollte sich zu keiner bestimmten Erinnerung fügen.

»Erkennen mich wohl nicht mehr – Rolf Konitz, Lyriker und Weltenbummler«.

»Ach Sie, Walther von der Vogelweide, jetzt kommen Sie mir allmählich wieder in die Augen zurück. Ja aber, wo haben Sie denn Ihre Romantik gelassen?«

»Sie meinen meine Apollomähne, meine götterschlanken Hüften und den blassen Niederschlag des üppigen Geistes aus hungrig schmalen Wangen?«

»Ja ganz so sahen Sie aus.«

»Jetzt aber bin ich verheiratet, da schlägt einem die Romantik nach innen, man kreist in Behaglichkeit um seine Sonne, dichtet sie an und schläft und verdaut gut, da drängt denn der so auf Händen getragene Körper in die weite und der Geist zieht sich rücksichtsvoll ein wenig zurück.«

»Ihr neues Liederbuch straft Ihren Materialismus Lügen, Rolf Konitz.«

»Sie irren sich, Verehrteste, meine Lieder wachsen direkt aus der Erde und fallen nicht aus dem Himmel.«

»Aber jedenfalls haben sie einen Himmel über sich.«

»Den Himmel, der auf der Erde liegt und die Liebe zeugt.«

»Wo haben Sie Ihre Frau – kann man sie ansehen?«

»Ansehen ist gut, echt Yvette. Ja man kann sie ansehen. Kommen Sie mit, oder soll ich sie herschaffen?«

Yvette lachte. »Herschaffen ist köstlich, so viel ist's?«

»Nun, ein ganz Teil mehr als ich selbst.«

»Dann ist's wohl die feine kleine Anda, nicht?«

»Nein nein, das war nur ein Stern der großen Milch- und Nebelstraße der vorgöttlichen Liebe – sie ist übrigens auch hier, die Anda nämlich, wie eine Mücke, die durchaus ins Licht muß, ist sie überall, wo ich bin.«

»Ich bin neugierig.«

»Also kommen Sie. Erinnern Sie noch Maruscha Pandova?«

»Die böhmische Nachtigall?«

»Gutes Gedächtnis für ein Malweib, muß ich sagen. Ja justement die ist's, und ihre Stimme, die hat es mir angetan.«

Sie kamen zu einer Ecke des Saales, wo auf niederen Sofas und hohen hartgepolsterten Lederkissen, die auf dem Boden verstreut waren, eine Gruppe von Männern und Frauen herum lag und saß. In der Mitte, direkt auf dem Teppich, auf gekreuzten Beinen, Maruscha. Sie saß gebückt und in sich versunken, als ob sie eine Last auf den Schultern trüge. Eine Masse weißblonden Haares lag ihr schwer auf Kopf und Nacken, grünschimmernde Augen unter weißen Brauen und Wimpern flammten mit unruhigem Feuer aus dem hellen Gesicht, dessen kleine unbedeutende Züge von dem eigentümlich schiefstehenden brutalen Munde beherrscht wurden. Ein graues Florkleid hing ihr weich und lässig um den schönen schlanken Körper, ließ die Linien des weißen Halses frei und fiel mit weiten schmal auslaufenden Ärmeln bis über die Hände hinab. Ihre Haltung hatte etwas schweres, sattes und schwüles, der ganze Körper strömte gleichsam ein heißes Liebesverlangen aus und sie genoß mit tiefem Behagen das Bewußtsein, hier so ziemlich die einzige zu sein, die ihr Liebesglück ehelich verbrieft und gesiegelt dem Neide der andern vor Augen halten konnte.

»Maruscha«, sagte Konitz, »das ist Fräulein Yvette.«

»Ah, die interessante Malerin, die dich gemalt hat, – freue mich so,« sagte sie, ohne sich zu erheben.

»Sie sind mir auch nicht unbekannt, ich hörte Sie in London und Wien.«

»Ja, das war einmal. Singen vor den Vielen, das gibt es nicht mehr, der Herr und Meister duldet das nicht. Aber setzen Sie sich doch zu mir – nicht? – ach, Rolf, schieb doch ein Kissen her. Ich sitze am liebsten so, das ist die weiblichste Stellung, so nahe der Erde, so dem Leben, dem Manne zu Füßen, so wartend auf alles –« Sie sah mit glimmenden Blicken zu den Männern hin.

»Posen Sie nicht so, Maruscha,« rief eine feine, harte Stimme vom Sofa her, »den meisten von uns ist wohl der Mann uns zu Füßen lieber.« Andas kleine zierliche Hand glitt bei diesen Worten in die krausen kurzen Haare einer ihr zu Füßen kauernden Gestalt, die in Linie, Haltung und Bewegung die eines jungen Mannes zu sein schien.

»Sie sind eben kein Vollweib,« entgegnete Maruscha mit bösen Augen und griff sich, wie sie in Augenblicken der Erregung zu tun pflegte, mit beiden Händen in die schwere Last ihrer Haare, die im Lichte wie mattes Silber glitzerten, dabei fielen die verhüllenden Spitzen zurück und ließen die grauen trockenen, merkwürdig welken Hände plötzlich sichtbar werden, Hände, die so böse aussahen, daß man sich vor ihnen fürchten konnte.

»Ich bedanke mich auch, diesem Typus unvermischten Weibtums zugerechnet zu werden, hat gerade nichts Hervorragendes aufzuweisen – siehe Weininger Geschlecht und Charakter –« rief Anda mit vor Ärger ganz spitz gewordener Stimme.

Die übrigen im Kreise horchten gespannt auf. Es schien wieder eine, für Dritte immer komisch wirkende Eifersuchtsszene zwischen den beiden ausbrechen zu wollen. Yvette wollte aufstehen und sich entfernen. Da kam Rolf Konitz mit seiner Laute, auf deren feintönenden Saiten er zu präludieren begann. Das gab den Horchenden plötzlich eine neue Richtung; man rückte zusammen und lauschte gespannt, denn Konitz verstand es wundervoll, auf einem seltsamen selbstkonstruiertem Instrument seine entzückenden kleinen Lieder vorzutragen.

Anda erhob sich brüsk vom Divan. Ihre feine zarte, entzückend ebenmäßige Gestalt, an der jede Fiber von verhaltener Leidenschaft bebte, reckte sich zornig auf, was ihr trotz ihrer zierlichen Kleinheit etwas Stolzes und Vornehmes gab. Sie sah hochmütig über die Schulter zu der jungen Frau zurück und sagte: »Komm Erich«.

Dr. Erika Weber stand mit hastigen knabenhaften Bewegungen auf, nahm Andas Arm und ging mit ihr zu einer andern Gruppe im Saal.

»Um die tiefe süße Stunde
War's, in einer Maiennacht,
Da du mir die rote Freude
In mein dunkles Haus gebracht – –«

sang Rolf Konitz mit schwacher, aber sympathischer Stimme.

Maruscha versank förmlich mit ihrem ganzen Wesen in den Gesang, kehrte Yvette den Rücken zu und war überhaupt nicht mehr da.

Yvette fühlte plötzlich eine warme Hand auf ihrer Schulter. Sie sah auf. Luba stand neben ihr und winkte ihr mit den Augen. Leise erhob sie sich. Luba legte den Arm in den ihren.

»Geschmacklos ist diese Maruscha, ihren Eherausch so öffentlich auszuleben – mais chacun à son goût

Sie führte Yvette in ein kleines Seitengemach und ließ die Portiere zufallen, dann zog sie sie auf eine kleine Causeuse.

»Endlich habe ich Sie ein wenig für mich. Man kommt an solchem Abend nicht zu sich selbst. So viele haben einem etwas zu sagen.

Nun, Liebste, lassen Sie uns noch zusammen plaudern, da Sie doch schon morgen wieder fort wollen. Muß es sein?«

»Ja. Eine Arbeit, die drängt, das Modell muß abreisen und das Bild soll fort.«

»So fleißig, so ganz in Arbeit, so weit vom Leben? –«

»Arbeit ist Leben –«

Luba lachte ein warmes tiefes seltsames Lachen.

»Aber sprechen Sie von sich, Luba.«

»Von mir ist sehr wenig und sehr viel zu sagen. Ich tue eben so gut wie nichts. Ich lasse mich vom Leben tragen – ich träume, ich genieße.«

»Sie haben sich verändert, Luba – der Klang Ihrer Stimme – der Blick – die Bewegungen –«

»Ja nicht wahr, man sieht und fühlt es.« Sie richtete sich zu ihrer vollen Höhe auf, hob beide Arme über den Kopf und dehnte sich in üppigem Behagen. Der schwere gelbliche Wollstoff ihres Gewandes floß in einfachen Linien an ihrer geschmeidigen Gestalt herab, ließ den weißen, vollen Nacken frei, von den weichen Armen fielen die weiten, losen Ärmel zurück, jede ihrer gleichsam üppig-glücklichen Bewegungen war von dem leisen diskreten Geräusch verborgener Seide begleitet. Diese fast bachantische Pose ließ die runden schwingenden Linien, wie sie der slavischen Frau eigen sind, in so völliger Gelöstheit und berauscht von einer tiefen Freude, die Blut und Nerven zu ihrer höchsten Spannung brachte, erscheinen, daß Yvette plötzlich ohne Worte verstand.

»Luba,« sagte sie, »so glücklich sind Sie?»

»So glücklich – endlich. Kennen Sie Schedovsky?»

»Schedovsky? Warten Sie – der Zyniker mit der Nietzschepose?«

»Ja, er. Daß er Nietzsche ähnelt, ist mehr ein Verhängnis als eine Pose, und was das Zynische betrifft – nun, das bedeutet Kraft und Würze und beides kann die Liebe vertragen, sonst wird sie leicht fad – wenigstens nach meinem Geschmack. Sie wissen, wie lange er um mich herumgegangen ist. Ich liebte meine Freiheit zu sehr, ich wußte nicht, daß man sie dann doppelt zurück bekommt. Und sehen Sie, Yvette – deshalb sagte ich ein Aber vorher zu Ihrer Arbeit. Es fehlt etwas darin. Wissen Sie jetzt, was das ist? – La veine d'amour, Sie sehen die Liebe nicht, die überall und überall in und um und bei den Menschen ist und in der Kunst muß man sie greifen, fühlen und riechen können. Der Erdgeruch ist es, der Ihren Menschen fehlt, sie gehen erhabenen Hauptes umher und vergessen, daß sie Menschen sind, das heißt vielmehr Sie, die Sie diese Menschen unsterblich machen, Sie horchen nicht auf den Tiefenklang des Lebens, der es erst zu einer Melodie macht. Es bleibt allerdings Ihr wundervolles Können – aber schließlich ist Können nur die Form, in die wir das Leben füllen – unser Leben. Sehen Sie umher, hier ist Leben – das Leben. Da steigt der Wein der Liebe über den Rand und jede der Frauen nimmt sich den göttlichen Tropfen in ihrer Art. Jede hat ihre Geschichte. Glauben Sie mir, es ist schrecklich, keine Geschichte zu haben, mit leeren Händen in all diese wogenden Flammen zu schauen. Für uns Künstlerinnen ist sie besonders nötig. Eine solche Geschichte nimmt uns die Unruhe der Neugierde dem Manne gegenüber und gibt uns damit die letzte Freiheit zur Arbeit, zur Kunst, zu uns selbst.

Kommen Sie, ich will Ihnen einige solcher Geschichten zeigen. Wir von der Kunst müssen Augen dafür haben, aber jeder reife Mensch überhaupt, ob Mann, ob Weib, sollte Augen und Ohren für sie offen haben.«

Sie gingen über eine Seitentreppe hinaus zur Gallerie.

An der Brüstung der Mittelrampe blieben sie stehen und sahen aus dem Halbdunkel in den hellen Raum hinab, in dem die drängende Menge sich in fortwährender Bewegung zusammenschloß und wieder auseinander strebte.

Yvette fühlte sich eigentümlich erregt. War es diese zweifache Frage, die ihr innerstes Leben berührte oder die Nachwirkung des schmerzhaften Abschieds, was sie mit solch unruhiger Spannung erfüllte, die wie eine Erwartung, eine Furcht und Hoffnung zugleich ihr Wesen durchsetzte und bewegte. Ihr war, als ob sie heute deutlicher und näher das Leben fühlte, das im Blute der Menschen um sie her kreiste und in den Wellen der Leidenschaft sich hoch aufreckte und die scheinbar so festgefügten Dämme persönlicher Abwehr und Geschlossenheit spielend zerstörte.

»Sehen Sie, da ist Anda Sardeck mit der jungen Ärztin, sie sucht sich zu trösten für Konitz Abfall – wenn Sie Erika Weber in Männerkleidern sehen könnten, würden Sie ihre Linien und ihre Bewegungen plötzlich verstehen.

Und hier diese kleine, dünne unscheinbare Puppe mit der frommen Haube aus dem flachen puritanischen Schädel ist Mrs. Lead. Sehen Sie sie nur an, kein Lot Fleisch am winzigen Körper, da muß man zuletzt metaphysisch werden; dafür sind ihre Augen um so größer und sie starrt strahlend in die Dimensionen und fischt nach unsinnlich-sinnvollen Visionen, mit denen sie nachher nichts anzufangen weiß. Was den heißblütigen Mr. Lead, dem die unheilige Glut aus beiden Augen sprüht, an dieses blutleere Schemen gefesselt hat, wissen die Götter und wie er sich schadlos hält, das wissen all die kleinen Göttinnen, mit denen er sich über die Stunden himmelstürmender Erdlosigkeit, die er neben ihr zu erdulden hat, sanft und heimlich zu trösten weiß.

Und dort Camille Hubert, der mit sehnsüchtigen Augen nach Jeanne Lebille auslugt, die dort in der Ecke den pastoralen Leduc festzuhalten sucht, den sie leidenschaftlich liebt, während er dem ersten Tenor der großen Oper seine Liebe darbietet, welcher selbst aber eine Fürstin anbetet. Alles das gehört zum großen Wirrwarr der Liebe, die nicht so einfach ist als sie scheint.

Und diese beiden schönen Frauen, sehen Sie –

»Die gleich Gekleideten?«

»Ja, diese. So Arm in Arm sieht man sie überall, man nennt sie Sappho und Phaon –. O festin d'amour, dont je ne voudrais pas être le Lazare.«

»Ah Luba, der Zyniker hat schon stark abgefärbt an Ihnen.«

»Weiß ich. Und soll er auch. Es gibt nichts Wundervolleres, als so plötzlich über dem Leben und seinen letzten Geheimnissen zu stehen; mit dem lieben durchschauten Leben, das sich mit so pompöser Geste gab, nun auf du und du zu sein, sich nichts mehr von ihm vormachen lassen zu brauchen.«

»Und sollte das die letzte Schönheit sein, die das Leben zu geben hätte,« sagte Yvette mit trauriger Stimme.

»Nicht für Sie, Yvette. Jeder trägt seine besondere Schönheit in sich, nach dem sein Glück sich bilden muß. Sie sind eine von den Seltenen. Ihr Glück muß von jener Schönheit sein, die nur die Seltenen erfahren. Ich bin derberer Art, Rubens wissen Sie – Sie Botticelli.

Aber sehen Sie dort drüben im Dunkeln. Nehmen Sie Ihr Glas, es lohnt sich. Dort steht Mr. Lead und starrt mit glühenden Augen zu Ihnen her, er möchte wohl auch einmal eine wirkliche Göttin haben. Ich könnte ihn ja herholen, aber das ist nichts für Sie – er –« Sie verstummte jäh. Yvette fühlte, wie sie in den Knieen zusammenbrach und eine heiße Blutwelle ließ die Hand, die auf der ihren lag, erbeben.

Hinter ihnen, ganz nahe an Luba gelehnt, stand Schedovsky.

»Wie hast du mich erschreckt, ich hörte dich nicht.«

»Das wollte ich auch. So plötzliches Erschrecken verrät mehr als tausend Worte.« Er legte seine beiden Hände mit festem Griff auf ihre weichen Schultern, daß sie wie unter einem Schlage zusammenzuckte.

In dem halben Lichte hier oben trat die Ähnlichkeit Schedovskys mit dem großen Denker fast erschreckend hervor, da alles bei ihm ins Massige und Brutale gerückt und dadurch in seinen psychischen Werten so umgesetzt war, daß da, wo des einen vornehme Stärke in den Linien hervortraten, des andern Schwäche zutage lag, und alles, was in des andern Zügen fein zurückwich, hier ins Grobe verzerrt erschien. Lubas Augen brannten wie Fackeln. Der Ausdruck ihres Gesichtes hatte etwas Scharfgespanntes, als sähe und horche sie gleichsam mit lauschendem Erwarten auf ein kommendes Geschehen. Sie versuchte vergeblich, sich von dem Druck seiner Hände loszumachen. Endlich gab er sie frei, sie zugleich bei den Schultern fassend und sich zuwendend. Ihre Blicke glühten ineinander.

»Ich habe dir etwas zu sagen,« flüsterte er ihr ins Ohr.

Und willenlos, ganz ihm hingegeben, alles umher vergessend, legte sie den Arm in den seinen und ging den Weg, den er sie führte.

Wie die schweren Wellen glühender Scirroccoluft kam es von ihnen her.

Verwirrt, fast hülflos lehnte Yvette an der Rampe. Ihr war, als ob irgendwo in ihren Tiefen heiße Quellen aufbrächen; als ob es aus allen Winkeln ihr zurief, sie lockte, ihr etwas sagen wollte. Das Kommen und Gehen um sie her beengte sie. Mit schweren Füßen ging sie zum dunklen Hintergrunde der Gallerie und sank in einen Sessel. Sie legte die Hände auf die brennenden Augen und suchte die Stille ihrer Seele, um für einen Augenblick aus diesem äußeren und inneren Aufruhr herauszufinden.

Was war das heute? war das dasselbe Paris, das sie so oft erlebt und genossen hatte? Dasselbe Leben, das sie so oft in seiner ungebändigten Bewegung um sich her branden gefühlt, durch das sie bislang kühl und sicher hindurchgegangen war? – Es war, als ob ihre Sinne plötzlich einfach geworden wären. Alles was sie sonst nur mit dem Auge der Künstlerin, in dem sich bei ihr gleichsam alle Sinne konzentrierten, angeschaut und wobei sie auf eine besondere Linie, eine neue Farbenmischung, eine überraschende Lichtwirkung, eine charakteristische Geste oder Mimik geachtet hatte, nahm sie heute mit allen Sinnen auf und es erschreckte sie fast, wie warm und nah ihr das Leben dadurch wurde. Und sie empfand plötzlich, wie fern vom Leben sie bisher gelebt hatte.

Neben der Freundin und inmitten ihrer Kunst hatte sie die Wärme und die Kraft ihres Wesens gebunden und verbraucht empfunden. Und was zuzeiten an Wollen und Drang sich in ihr regte, was in manchen Stunden in ihr sich lösen wollte groß, stark und drohend fast – was hatte sie damit gemacht? war sie feige gewesen dem Leben gegenüber? Und wollte dieses sich jetzt rächen in dem Augenblick, da sie sich für lange Zeit ferne wußte von dem Menschen, der zwischen ihr und dem letzten Erkennen des Lebens gestanden hatte?

Sie atmete schwer und erhob sich.

Wieder blickte sie in die immer höher flutenden Wellen der Lust, die sie umtosten. Reif und wissend stand sie scheinbar mitten im Leben und doch lag noch eine letzte verschlossene Türe zwischen ihr und ihm. Mochte sie es auch durch alle Erfahrungen des Erlebens, durch alle Erkenntnisse der Kunst und Wissenschaft zu ergründen und zu nehmen geglaubt haben, unerbittlich hielt es seine letzten Mysterien vor ihr verborgen. Nur der Mutige, der sein Leben an das Leben wagte, konnte es besiegen und erkennen. –

» J'aime, j'aime et je veux qu'on m'envie,
Ne me plaignez pas, si j'en meurs –
«

Hinter ihr aus einem der kleinen Gemächer, die aus die Galerie mündeten, tönten diese Worte, von einer tiefen leidenschaftlichen Männerstimme leise und traumverloren, so als ob sie nahe am lauschenden Ohre, an dem pochenden Herzen der Geliebten gesungen wurden.

Ach das war es wohl, dieser Mut zum Tode, der an der Schwelle der Liebe stand – dieses Mutes bedurfte es.

Aus einem andern Gemache hörte man ein Kichern und Küssen, Seufzen und irres Lachen, wie gefangene flatternde Vögel, die den Ausgang nicht finden.

Yvette lauschte. Alles das war das Leben. Schauer der Lust und Sehnsucht, der Scham und des Schreckens fieberten in ihrem Blut.

Mit dem rätselvollen Haupte der Sphinx schien das Leben über diesen Sturm und Rausch zu schweben. Seine Augen blickten mit erbarmungsloser Kühle in die lodernden Flammen, die es entfesselte; es gab allen, die nach ihm schrien und riefen und es umdrängten. Es schien allen das Gleiche zu geben und in eines jeden Hand wurde es doch ein anderes. Ströme der Liebe ließ es aufbrechen, lodernde Feuer zündete es auf Erden an, und die Menschen drängten sich und nahmen mit gierigen unheiligen Händen ihren Teil an des Lebens Flammen.

In ihrer Erinnerung sah sie plötzlich jenes wundervolle Bild eines der großen Meister, wo im stillen Haine Menschen mit ehrfürchtigen Schritten dem heiligen Feuer nahten, um es anbetend in sich aufzunehmen.

Und sie empfand, daß diese Menschen umher in fremden Zungen zu dem gewaltigen Gotte der Liebe beteten, daß sie selbst in einer andern Sprache anbeten mußte. Diesen Schwärmern der Lust, denen jede Blume zum Feste wurde, konnte sie ihren Honig nicht neiden. Der ihre mußte den reinen Duft der seltenen Blüten der Höhe haben, wie ein Tempel mußte ihre Liebe sein und wie ein blühender Garten zugleich und eine starke Flamme, in der Himmel und Erde zusammenschmolzen.

So sollte es für sie sein oder gar nicht, sagte sie zu sich selbst. Aber auf ihren Lippen lag der bittere Geschmack unerfüllter Sehnsucht. –

»Madame Yvette, wo stecken Sie nur, ich habe Sie gesucht wie, wie – nun, wie die bekannte Stecknadel,« sagte Kolevsky, die Treppe heraufpolternd, »hier bringe ich Ihnen einen Landsmann, der die Freundin von Lenore kennen möchte.«

Eine hohe, schlanke Männergestalt verbeugte sich vor ihr und eine warme dunkle Stimme sagte einfach und schlicht: »Darf ich ein wenig plaudern mit Ihnen?«

»Gerne,« entgegnete Yvette, »Sie kennen Lenore?«

»Nicht persönlich. Aber kennt man einen Menschen nicht fast noch besser, wenn man alle seine Bücher kennt. Da kommt das letzte der Persönlichkeit zu uns und man hat ihr Tiefstes in der Hand. Bücher sollten mit ehrfürchtigen Händen angefaßt werden, denn es ist eine nackte Seele, die sich uns darin gibt.«

»Aber nicht vor allen solchen Seelen kann man Ehrfurcht haben.«

»Solche Bücher fallen einem von selbst aus der Hand. Was aber die Hand in Glück und Erschauern festhält, von dem sie sich kaum lösen mag, das soll uns Ehrfurcht sein und Dank.«

»Schade, daß Lenore nicht selbst hier ist, es würde ihr gut tun, Sie zu hören; es gibt wenige Ehrfürchtige vor dem Leben, noch weniger vor Büchern.«

»Vielleicht doch mehr, als wir glauben, sie sind nur durch die Wüsten der allzu vielen getrennt und können nicht zueinander finden.«

»Leben Sie in Paris?«

»Nein, ich bin zum erstenmal und nur für kurz hier.«

»Dann sind Sie gewiß ganz entzückt und berauscht?«

»Ja, es gibt nur eine Stadt und das ist Paris.«

Yvette lächelte. »So denken wir alle das erstemal, später schränkt man sich mit seinem Urteil etwas ein. Aber ein Charme bleibt, ein gewisses Ungreifbares, das nur über Paris liegt und das uns immer wieder überwältigt, vielleicht ist es das Tempo seiner Bewegung, dieses ununterbrochene Fortströmen des Lebens ohne jede Hast und doch so voll pochender Unruhe.«

»Das Leben scheint hier seine Schwere zu verlieren. Die Grazie der Frauen und die Musik der Sprache lösen gleichsam alle harten Linien auf. Die Frauen hier können viel wagen, ohne die Schönheitsgeste zu verlieren, und welche andere Sprache dürfte sich erdreisten, das Leben so bis in seine letzten Blößen auszudecken, ohne damit brutal und unsauber zu werden.«

»Ja es ist eine wundervolle Sprache, durchsichtig wie Kristall, biegsam wie eine Tänzerin und voll berauschenden Wohlklangs, sie trägt spielend die Lasten der Wissenschaft und der Kunst gibt sie den rhythmischen Schwung ihrer Musik.«

»Ah – wie gut Sie sie kennen müssen, um sie so zu lieben.

Und über dieser Sprache, diesen Frauen die Atmosphäre von lockender Sinnlichkeit, dieses parfum d'amour, das alles zu durchdringen, in allem zu vibrieren scheint und einem mit wohligem Reiz über die Nerven geht. Paris wirkt wie Champagner auf mich.«

Yvette sah mit einem raschen Blick zu dem Sprechenden hin. Nein, in den Augen lag nichts Unfreies, Schwüles; sie blickten klar, hell und interessiert in das heiße Treiben umher.

»Hier ist es etwas zu stark dieses Parfüm,« sagte sie.

»Wenn man ins einzelne geht, vielleicht; aber im Ganzen gesehen, hat dieser lachende Mut zur Liebe etwas Schönes, Befreiendes an sich. Oder ist sie etwa nicht der Schwerpunkt alles Seins, warum sie in dunkle Winkel stecken, als ob sie uns nichts anginge?«

So sprachen sie mit leiser Stimme, fast Schulter an Schulter ganz nahe nebeneinander, nicht wie zwei Fremde, die der Zufall eben erst zusammen geführt.

In dem Halbdunkel der Galerie konnten sie sich nur undeutlich erkennen und es war wie ein gegenseitiges allmähliges Entdecken, wenn durch eine Wendung zum Licht hin sich ein Teil des Gesichts oder Körpers aus der Dämmerung löste. – Eben sah sie einen jungen blühenden Mund mit vollen schöngeformten Lippen, über tadellosen im Lichte aufleuchtenden Zähnen, der von einem in den Winkeln kurzgehaltenen dunklem Barte leicht beschattet war. Dann und wann sah sie die Augen, wenn der Sprechende sich ihr plötzlich zuwendete. Junge braune strahlende Augen waren es, die ihren Blick wie ein weiter Horizont anlockten und in sich hineinnahmen; die Brauen zogen eine feine geistvolle Linie in die runde Stirne, die eher die eines Künstlers als des abstrakten Denkers zu sein schien. Und dann die Hand, die auf der Brüstung lag, eine große, etwas eckige Hand, die den Sport verriet, mit intelligenten Fingern, die aussahen, als faßten sie zart an und wüßten von keiner Brutalität. Jede neue Entdeckung gab ihr eine angenehme Befriedigung, jene glückliche Ruhe wohliger Versunkenheit, in welche wir durch die Nähe eines sympathischen Körpers versetzt werden; und die sie doppelt stark genoß, da sie mit der Feinfühligkeit ihres Empfindens jedes Unharmonische einer Körperlichkeit sofort als eine starke Irritation empfand und ihr nur in ganz seltenen Fällen diese Irritation ausblieb.

Und vor allem war es die Stimme, die so recht eigentlich der feinste Verräter der Persönlichkeit ist, die sie fesselte und beglückte, die so voll und warm und bewegt war und beladen schien von den kostbaren Geheimnissen eines starken persönlichen Lebens. Die Unbekümmertheit eines Menschen sprach aus ihr, der das Leben kannte, sich ihm ganz gegeben und trotz aller Erfahrungen sich gleichsam die Unschuld des Willens bewahrt hatte.

Yvette nahm das Gespräch wieder auf. »Ja überall ist die Liebe und immer ist sie eine Gefahr, man ist nie ganz sicher, was sie aus einem machen wird.«

»Alles Große muß eine Gefahr sein, daß es uns zu unserem Mute verlocke.«

»Gehört dazu viel Mut,« sagte Yvette und wies mit der Hand nach unten.

On n'a que le bonheur qu'on peut compendre. Die unendliche Melodie der Liebe umströmt das Leben. Einer macht ein kleines süßes Lied daraus. Dem anderen wird sie das Hohelied seines Seins, und andern nur ein lüsternes Satirspiel.«

»Und wem wird wohl der große Sieg?«

»Vielleicht nur dem, welcher der ewigen Melodie der Liebe eine eigene entgegen zu setzen hat und sie mit ihr verschmilzt zu etwas Neuem.«

Leuchtend traf sie sein Blick. Er aber schien sich gar nicht der tiefen Weisheit bewußt, die aus seiner jungen Seele kam, wie jungen Blüten Ströme von Düften entströmen, die aus einer Unendlichkeit der Zeiten zu kommen scheinen.

Und süß war es, mitten in dieser erstickenden Schwüle abgründiger Leidenschaften, junger blühender Weisheit zu lauschen, der das rote Blut heiß in den Adern rollte, das sie sieghaft und fruchtbar machte und eine Welt von Schönheit zwischen sie und die kühle Weisheit des Alters legte. –

Unten machte sich eben eine besondere Unruhe und Bewegung bemerkbar. Die in verschiedenen Gruppen angesammelten Menschen drängten von der Mitte des Saales zu den Wänden hin. von den beiden Mohrenknaben wurde eine rote Decke auf dem Boden ausgebreitet.

Maruscha Konitz, von einem Troß Herren begleitet, kam langsam zur Mitte des Saales daher. Ihr Haar hing ihr lose wie ein seidner Mantel über den Rücken, das lange Gewand hatte sie ringsum aufgesteckt, daß ihre nackten in Sandalen steckenden Füße sichtbar wurden. Sie betrat die rote Decke, öffnete zwei Knöpfe in der Mitte des Gewandes und ließ die Arme schlaff an den Seiten herabhängen. Mit leiser Stimme begann sie die einförmige, unheimlich wollüstige Melodie des arabischen Magentanzes zu singen, indem sie sich mit schiebenden Schritten und den, für diesen Tanz charakteristischen zuckenden Bewegungen des Oberkörpers langsam um sich selbst und im Kreise drehte. Die Männer bildeten einen Ring um sie und ihre Blicke blieben wie hypnotisiert auf diesen schönen Frauenkörper gerichtet, der sich ihnen in seltsamen rhythmischen Windungen bis in seine geheimsten Linien völlig preisgab.

»Was kann wohl eine Frau, die liebt und sich geliebt weiß, dazu treiben, sich vor fremden Männern so herzugeben?« Yvette war es, als wenn sie nicht spräche, sondern nur laut dachte, mit dem reizvollen Gefühl, die Antwort einer fremden Seele zu erwarten, die sich hier in Dunkel und Nacht wie ein Traum zu ihr verloren, von der ein Strom von Jugend und Wärme zu ihr kam und deren Wesenselemente mit den ihren zu geheimnisvoller Harmonie zusammenfielen, und jenen unirdischen Rausch in ihr auslösten, wie ihn Tanzende empfinden, deren Rhythmus der Körper so aufeinander abgestimmt ist, daß sie Raum und Zeit in sich verschwinden fühlen und in der Ekstase dieses absoluten Gleichmaßes für eine selige Minute sich als ein unauflösbarer Mittelpunkt der ewigen Bewegung des Lebens empfinden.

Und morgen, wenn der Tag kam, würde alles wie ein Traum, etwas deutlicher wie andere Träume vielleicht, vorüber sein.

»Ja diese Rätsel um uns her,« sagte die Stimme neben ihr, »ohne sie wäre das Leben wohl zu einfach. Diese Art Naturen, ich möchte sie die panerotischen nennen, sind wohl von dem eigenen Sinnengenuß nicht zu befriedigen. Das so veranlagte Weib hat das unersättliche Begehren, alles was in ihre Nähe kommt, sei es Mann oder Weib, zu reizen, zu erhitzen, auf alle Weise ihre Umgebung in einen Sinnenrausch zu versetzen, vielleicht um dann am tiefsten die volle Befriedigung ihres eigenen Auslebens zu genießen, ihre Macht zu fühlen, in dem sie sie fühlen läßt, dieses ist wohl der Keim zum Messalinentyp. Bei dem Manne ist diese Seelenrichtung im letzten Grunde wohl nur die überwache Bewußtheit der Unendlichkeit der Glücksmöglichkeiten, deren er sich Herr weiß, die er wie ein Gott auf die Sehnsucht Tausender ausstrahlen möchte; wohl nur so ist der Don Juan in seiner symbolischen Bedeutung zu erfassen.

Ein Tausendfältiges ist es, was wir so kurzweg Liebe nennen. Ein Gorgonenhaupt voll Grauen und Schrecken und eine tiefe Stille und Güte kann sie sein. Aber immer das Grenzenlose, die Allmacht des Seins, die uns nimmt und überwältigt, hebt oder stürzt, je nachdem wir Kraft oder Schwäche sind. Und nur sie löst die sieben Siegel vom Buche des Lebens; sie allein lehrt das große befreiende Lachen, das uns plötzlich eines Tages zum König über das Leben macht, dem wir als furchtsame Träumer gegenüber standen.«

Irgendwo schlug eine Uhr.

Yvette fühlte es wie ein schmerzhaftes Erwachen zur Wirklichkeit.

»Zwei Uhr. Mein Wagen wartet, ich muß gehen,« sagte sie mit mühsamer Stimme, wie man sie zwischen Traum und Wachen hat.

»Ich darf Sie begleiten?«

»Wenn Sie nicht noch bleiben wollen, man geht hier nicht vor der Morgenröte auseinander.«

»Ich bin fertig hier.«

»Dann lassen Sie uns gehen.«

Sie führte Dr. Böhme den Weg durch Lubas Boudoir, da sie unten im Getriebe keine Begrüßungen mehr austauschen wollte. Auf der Treppe hörte sie eine Stimme im halbdunklen Zimmer »Es ist schamlos, einfach schamlos, so die Männer an sich zu locken –«

»Wo sie diesen Tanz nur her hat?«

»Ach sie wird es im Kinematographen gesehen haben,« sagte Anda verächtlich.

Der Vorraum war leer. Dr. Böhme legte Yvette die Hüllen um und seine Hände hatten dabei die zarten gütigen Bewegungen, die sie von ihnen erwartet hatte.

Als sie zum Ausgang kamen, fielen sie fast über die beiden kleinen Schwarzen, die sinnlos betrunken am Boden lagen, einander eng umarmend, lachend und lallend; sie hatten wohl die Weinreste in zu persönliche Verwahrung genommen.

Yvettes Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Ekels.

»Lachen Sie, Fräulein Yvette,« sagte Dr. Böhme, »lachen Sie, das Leben darf sich schon solchen Witz erlauben.«

Sie mußte nun plötzlich wirklich lachen und so stiegen sie beide fröhlich zusammen in den Wagen.

»Wie das wohltut,« sagte Yvette und atmete tief die milde reine Nachtluft ein.

Die Straße lag still im feinen Schein des Mondes.

Zwischen den noch winterlich lichten Bäumen des Luxembourg schimmerte gespensterhaft das steinerne Volk der Bildwerke. Die bizarre Front der St. Sulpice warf ihren schweren Schatten auf das mondweiße Pflaster des Platzes, vom bal Bullier her strömten Scharen junger Männer und Frauen den Boulevards zu; ganze Reihen junger Leute, Studenten mit ihren Mädchen, marschierten über die ganze Breite des Trottoirs, sie hielten sich bei den Händen und sangen mit hellen lachenden Stimmen jene reizenden süßen Chansons, die wie bunte Schmetterlinge in die Luft flattern. Die zierlichen Mädchengestalten tanzten dahin, wie singende Blumen, glücklich und unschuldig das Leben liebend u. die Liebe lebend und ihre weißen Sünden wie goldnen Honig in ihren jungen pochenden Herzen tragend –

... tout ça n'vaut pas l'amour –
la bonn'amour la bell'amour
l'amour gui chante nuit et jour –
l'amour, l'amour – l'amour.

Böhme beugte sich aus dem Wagen und sah den lachenden singenden Reihen nach. »Sehen Sie, hören Sie, fühlen Sie, das schöne Fieber der Liebe hier überall. Wie ehrlich sind sie in ihrer Lust, und sie können es sein, da sie es mit Anmut sind, wo diese fehlt, muß viel verschwiegen bleiben. Bei uns hat man noch die mittelalterliche Schwere im Blute und das Wort Sinnlichkeit geht uns noch immer nicht ohne Scham über die Lippen, und doch ist sie nichts anderes als die Intelligenz der Sinne. Sollte man nicht endlich aufhören, das Geschlechtliche vom ärmlichen Standpunkt der bloßen Lüsternheit aufzufassen und es vielmehr als den Brennpunkt der großen Bewegung, als die sich das Leben darstellt, verstehen lernen?«

»Intelligenz der Sinne ist ein feines Wort und auf dieser Stätte langer Kultur haben wohl die Sinne die höchste Intelligenz erreicht. Aber dieser spielenden Grazie der Oberfläche stehen wohl grauenvolle Schatten der verborgenen Tiefe entgegen.«

»Wie Zola sie uns zeigt, ein Koloß wie Paris muß schon feine Abgründe haben, aber wo sonst wären die nicht.«

Wie wundervoll unpersönlich wir sind, dachte Yvette. Wir sprechen über die subtilsten Dinge des Lebens, die kaum ein Berühren zwischen den beiden Geschlechtern vertragen zu können scheinen, und es bleibt kühl und still zwischen uns. – Keine schwülen Blicke und Andeutungen waren zwischen ihnen, keine von jenen, wenn noch so leise versuchten körperlichen Annäherungen in diesem nahen einsamen Beieinander, wie sie es oft und oft von Männern erfahren, die es nie gewagt hätten, auch nur eine dieser starken und einfachen Lebensanschauungen auszusprechen. Das wird das Glück der neuen Generation sein, daß Mann und Weib die gleichen Erkenntnisvoraussetzungen für das Leben werden erwerben können, das der Sieg des neuen Weibes, daß es den Mut und die Kraft findet, sich neben den Mann zu stellen. So sprechen sie nun beide endlich dieselbe Sprache und werden finden, daß dadurch das Leben reicher, größer und reiner geworden; daß durch die Möglichkeit gemeinsamer sachlicher Erörterung der Gesamtheit aller Lebensvorgänge eine wundervolle Sphäre geistiger Begegnungen gegeben ist, in welcher sich die Seelen grüßen und mischen und der Sehnsucht des Blutes eine langsamere und edlere Wahl vorbereiten, als es je der Fall sein konnte, da die Geschlechter nur die Sprache der Sinne für einander hatten.

O jetzt seine Jugend haben für den quellenden Reichtum der sieghaften kommenden Zeit, dachte Yvette.

Sie waren wieder mitten im Gewühle der großen Boulevards. Dichter noch als am Tage schob sich die Menschenmenge an den blendenden Lichtströmen der unzähligen eleganten Cafés entlang. Straßenmusik und Blumendüfte und Liebesblicke durchschwirrten die Luft und machten sie schwer und leicht zugleich. An den Straßenecken warfen grelle bunte Flammenschriften die Namen bekannter Vergnügungslokale wie schreiende Lockrufe in die Nacht, die tief und feierlich wie das uferlose Meer die drängenden Menschen umschloß und ihnen nach des Tages Last und Enge den Rausch der Freiheit zu sich selber gab. –

»Ich darf Sie doch wiedersehen,« fragte Dr. Böhme.

»Leider ist es unmöglich, ich muß morgen vormittag abreisen.«

»O – ich glaubte so sicher –«

Der Wagen hielt an der taghell erleuchteten Fassade des Terminushotels.

Sie stiegen aus und endlich sahen sie sich ganz. Gespannt und suchend nahmen ihre Blicke gegenseitig von einander, soviel der kurze Augenblick zu nehmen gestattete. Und in der Bestürzung und Überraschung der Freude, die er ihnen gab, fanden sie keine Worte. Stumm reichten sie sich die Hände und gingen auseinander.

*


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