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Eine wichtige Entscheidung

Als wir im Herbst 1876 aus der Rosenthaler Straße verzogen, mußte ich mich in der 8. Gemeindeschule abmelden. Da ließ Rektor Bielefeld meinen Vater zu sich kommen. Er legte ihm nahe, mich trotz des Wohnungswechsels in der Schule zu lassen. Ich hätte noch 4 1/2 Jahre Schulpflicht vor mir. Es gäbe eine Bestimmung, nach der Schüler, die mit ihrem zwölften Jahre das Pensum der Gemeindeschule erreicht hätten, auf Kosten der Stadt eine höhere Schule besuchen könnten. Das wäre für mich das Gegebene. Ich hätte dann jede Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Meine Eltern überlegten. Sie dachten an den ältesten Sohn der ältesten Schwester meiner Mutter, die einen Förster geheiratet hatte. Man hatte den fähigen Jungen mit großen Opfern Offizier werden lassen. Er galt als begabt; er war beliebt – mußte aber bald wegen Schulden seinen Abschied nehmen. Das war etwa im Jahre 1865. In seiner Verzweiflung erbat er von meiner Mutter Geld, damit er sich einen Revolver kaufen könne, um sich zu erschießen. Mutter sah den hübschen, begabten Jungen, den sie lieb hatte, in ihrer ernsten Art an und sagte: »Das Geld für den Revolver täte mir leid; aber ein Stück Waschleine will ich dir borgen; damit schaffst du es ja auch, wenn du wirklich so feige sein willst.« Diese unerwartete Antwort brachte ihn zur Besinnung. Als der Krieg 1866 ausbrach, trat er als gemeiner Soldat ein, wurde auf dem Schlachtfeld von Königgrätz wegen seiner Tapferkeit wieder zum Offizier befördert, starb aber wenige Monate danach in Prag an der Cholera. Mutter erzählte manchmal von ihm und von seinen Vorwürfen gegen seine Eltern: »Ich weiß, sie haben gedarbt, damit ich Offizier werden könne; aber es war ein Unrecht. Man muß jemand nicht in Kreise hineinbringen, in denen er dann nicht als gleichberechtigt verkehren kann. Ich mußte natürlich Schulden machen – das war das jämmerliche, aber notwendige Ende.« Nun hatte mein armer Vetter gewiß nicht recht. Man kann in jeder Gesellschaft eigene Wege gehen. Aber ein Stück Wahrheit lag doch in der Anklage dieses zerbrochenen Lebens. Und dann – was war gewonnen, wenn selbst mein Unterricht frei war auf der höheren Schule! Bücher, Kleidung usw. mußten ja doch noch selbst aufgebracht werden. Entscheidend blieb die Gefahr der Straße. Ich hätte täglich den Schulweg vom Königstor durch die Neue Königstraße über den Alexanderplatz, durch die Münz-, Weinmeister- und Gipsstraße machen müssen. Das sind außerordentlich – auch von allerlei zweifelhaften Elementen – belebte Straßen, und die Eltern fürchteten wohl mit Recht, ihren zehnjährigen Jungen den Gefahren eines so weiten Weges auszusetzen! So ist es denn unterblieben, und ich habe nicht den gewöhnlichen Weg der »höheren« Bildung gehen können. Wie hätte sich mein Leben gestaltet, wenn die Eltern in jener Stunde dem Rate des Rektors Bielefeld gefolgt wären? In vieler Hinsicht wäre zweifellos der Weg meines Lebens ebener und leichter geworden, und es gab wohl Augenblicke, in denen ich mit einem gewissen Bedauern diese verlorenen Möglichkeiten erwog. Aber diese Augenblicke waren doch nur sehr kurz. Nein – ich wäre dann wohl auch der Gefahr unterlegen, unbewußt zu lernen, nur mit den Augen der Lehrer zu sehen. So kam ich an die großen Fragen heran, ohne die Weisheit der jeweiligen »Meister« zu kennen, und als ich sie kennenlernte, hatte ich in Leben und Arbeit mir schon ein eigenes Urteil erkämpft. Wer weiß, ob ich auf gewohnter Bahn Kraft und Mut gewonnen hätte, gegen fast alle Autoritäten des wissenschaftlichen und des öffentlichen Lebens den Gedanken der Bodenreform hochzuhalten und ihm die Bahn zu brechen.

Und so war es denn gut, daß ich von dieser Schule mit ihrem trefflichen, wohlmeinenden Rektor abgemeldet wurde.


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