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Im Wasser

Im Sommer badeten wir, wenn irgendmöglich, täglich in der Spree. In den Volksbadeanstalten kostete ein Bad fünf Pfennig, oder wie wir, die wir noch den alten Groschen zu zwölf Pfennig kannten, natürlich sagten: einen »Sechser«. Aber das war zu teuer. Und so bewarb man sich, meist mit Erfolg, um eine städtische Freikarte, unsere Sechser-Badeanstalt lag in der Burgstraße und hatte durch die Nähe des Mühlendammes verhältnismäßig guten Wellenschlag und reines Wasser. Ich weiß nicht, in welchem Jahre ich mit dem Baden in der Spree begann. Es war gewiß sehr früh. Ich weiß auch nicht, wie ich schwimmen lernte. Man hielt sich eben an den Gitterstäben fest, zog die Beine möglichst hoch, stieß sich ab und versuchte dann, sich möglichst lange gegen das Untergehen mit Händen und Füßen zu wehren. Jedenfalls, als ich acht Jahre alt war, war ich durchaus sicher im Wasser und konnte jede Art des Schwimmens. Es mußte eben sein; denn in diesen Badeanstalten, die von Berliner Jungens überfüllt waren, herrschte ein herzlicher, aber rauher Ton, und eher als das Dichterwort selbst lernte man seine Wahrheit kennen, nach dem sich ein Charakter nur im Strom der Welt bildet. Man mußte sich eben wehren: auf den Treppen, auf dem Sprungbrett, im Wasser – Schonung oder mildernde Umstände hatte niemand zu erwarten. Und das ist gut so.

Man setzte seinen Stolz darein, möglichst lange im Wasser zu bleiben, gewöhnlich bis die Fingerspitzen blau wurden. Und war man dann gerade mit dem Anziehen fertig und es kam ein guter Kamerad, dann zog man sich wohl wieder aus – »damit der andere nicht so allein wäre«.

Dieses Baden setzt in dem gefährlichen Alter der Geschlechtsreife viel überschüssige Kraft in gesunde Übung um. Und von allem Sport scheint mir der gesündeste das Schwimmen zu sein, weil es in völlig staubfreier Luft den Körper gleichmäßig auszubilden vermag. Doch von allen diesen Überlegungen hatten wir vor fünfzig Jahren natürlich keinen Begriff. Man traf sich, stieß sich, tauchte und wurde getaucht. Die Überlegung tritt in der Regel erst ein, wenn das natürliche Genießen nicht mehr möglich ist.


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