Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Eine Stunde, nachdem die Richter die Basilika verlassen, erschien, durch Trompetenstoß verkündet, vor dem Gitter der Graf von Poitiers an der Spitze einer sehr starken Schar von Kriegern in vollen Waffen und mit sehr ernstem Angesicht. Und nachdem die Flüchtlinge hinter dem Gitter erschienen waren, verbeugte er sich vor den Königinnen und sprach:

»Im Namen König Guntchramns von Burgund! So lautet das Urteil des Domesticus und der Bischöfe: die Friedbruch-Sache ist in Gnaden niedergeschlagen, zumal sich ergeben hat, daß Gisbrand und Waroch, die beiden gefährlichen Führer der Räuber, nicht durch des Herrn Vicarius Schwert, wie dieser sich berühmte, sondern durch die beiden Herzogssöhne gefallen sind.

Die Klage Theophanos um ihre Tochter ist als voll begründet erkannt. Die Bischöfe werden der Mutter zu ihrem Rechte verhelfen: man ist dem Kind auf der Spur. Die Klage der Klausnerin gegen den Archidiakon aber hat Gott der Herr bereits gerichtet: jenseit des Clain, auf einer Wiese, ward er tot gefunden. Der Schlag hat ihn gerührt; daneben stand, die Leiche beschnuppernd, ein ledig Pferd.

Den vierzig Nonnen ist jede Strafe durch die Gnade der Kirche erlassen, sofern sie bekennen, daß sie gefehlt durch ihre Flucht. Die Frau Äbtissin aber hat, obwohl die Richter sie dazu dringend aufgefordert, abgelehnt, zu erklären, daß sie bezüglich ihrer Nichte im Irrtum und gegen euch im Unrecht war.

Die übrigen Räuber haben ihr Strafurteil bereits empfangen. Ihr aber habt die Klausnerin herauszugeben, auf daß auch sie für den Klosterbrand und Klosterraub bestraft werde. Endlich hat das Gericht erkannt, daß ihr alle Asylrecht gar nie gewonnen hattet, da ihr, offenkundig – da seh' ich sie vor meinen Augen blitzen! – mit vielen Waffen in das Gotteshaus gedrungen seid.

So gebt denn augenblicklich die Waffen ab, und die Klausnerin heraus. Sonst sollt ihr wissen, daß der Graf dieser Stadt, so schwer es ihm fällt, liebe Freunde zu bekämpfen, dies Gotteshaus stürmen wird, das euch keine Freistatt mehr bietet, und daß die Bischöfe morgen früh den großen Kirchenbann über alle verhängen werden, die nicht bis dahin freiwillig aus diesem Gitter getreten sind.

Endlich, – Trompeter, blase! blas in die Gassen, daß das Volk es hört: – verschwunden ist, geraubt und wahrscheinlich verkauft um der Juwelen der Fassung willen das kostbarste Kleinod des Klosters, das Stück vom heiligen Kreuz. Kund und zu wissen, daß, wer immer es den Bischöfen wieder einliefert, frei sein soll von jeder Strafe, die er wegen irgend welcher Schuld verwirkt hat und verdient.«

Kaum war der Trompetenruf verhallt, als Chrodieldis, die Klausnerin an der Hand, vortrat und sprach: »So ist Theophano von jeder Strafe frei.«

»Ja,« sprach diese, dicht an das Gitter tretend, »hier ist das Kreuz. Ich hab's in jener Nacht genommen als Pfand für mein Recht gegen den Verführer, gegen die Äbtissin, für mein Kind. Mein Recht ist mir geworden und soll mir noch werden: ich gebe das Pfand zurück. Es fehlt auch kein Stein an der Fassung.« Und sie reichte es durch das Gitter dem Grafen, der niederkniete, gebeugten Hauptes es in Empfang nahm und andächtig küßte.

Gleich darauf erhob er sich aber in einem fröhlichen Sprung: »Vortrefflich! So ist der letzte Anstand gehoben! Denn ich bangte sehr, ob Königin Chrodieldis die Genossin ausliefern werde. Kommt nun alle heraus aus eurer geistlichen Festung, die euch aber nicht mehr schützt, ihr holden Mädchen und ihr tapfern Freunde. Die Waffen könnt ihr getrost nun ablegen auf der glückstrahlenden Frau Genoveva Hochzeitfest, zu dem wir allesamt geladen sind: auch die schöne Leuba, die dort gar fröhlich tanzt und euch durch mich recht herzlich bitten läßt, ihr nicht zu zürnen um ihrer Muhme Dummheit willen. Also heraus mit euch und alles nimmt ein fröhlich Ende.«

Allein hoheitvoll blickend trat Chrodieldis vor und sprach: »Mitnichten, Herr Graf Macco von Poitiers! Erkennt nicht die Äbtissin an, daß sie bezüglich ihrer Nichte im Irrtum und gegen uns im Unrecht war, geb' ich nicht nach und wank' und weiche nicht, mag kommen, was da mag, Bann und Waffengewalt.« – »Aber Königin,« rief der Jüngling ungeduldig, »Ihr hört doch, daß die Alte nun einmal nicht will. Die Bischöfe haben sie aus dem Kloster geholt und haben ihr sehr scharf zugeredet und die liebe, holde Leuba hat sich ihr zu Füßen geworfen. Sie giebt nicht nach. Sie thut's nun einmal nicht. Also ... –«

Chrodieldis wandte ihm schweigend den Rücken.

»Aber so hört doch!« schrie er ihr nach. »Soll daran das ganze Versöhnungswerk scheitern, bei dem Ihr so glimpflich fortkommt, daß es eine Freude ist? Soll deshalb das Blut dieser wackern Knaben fließen ... –?« Chrodieldis zuckte zusammen: »Ich halte keine – und keinen! Geht, ihr Mädchen, ich erlaß euch allen euer Wort! Geht auch ihr, tapfere, treue Freunde: – der Weg ist frei.« Sie stieß die Gitterthür weit auf. Aber Basina rief: »Alle für eine, eine für alle. Recht hat Chrodieldis und wir stehen zu ihr.« »Recht hat Chrodieldis und wir stehen zu ihr!« wiederholte der Chor.

»Komm nur, Freund Macco,« rief Sigvalt, »und hole dir ... –« »Nicht unsere Waffen, aber unsere Hiebe,« schloß Sigbert. »Verrückte, kampftolle Schwaben!« schalt Macco. »Und ich müßte so notwendig auf Genovevas Hochzeit!« brummte er. »Bah, in einer halben Stunde sitz' ich doch neben der schönen Leuba. Schickt die Mädchen in Sicherheit! Wir machen's hier rasch aus.«

Auf Chrodieldens Befehl – sie brauchte ihn nicht zu wiederholen! – wichen die Mädchen in das Innere des Bischofshofes zurück; sie geleitete sie bis an die Thüre. Nur Hukberta war nicht vom Fleck zu bringen. »Geh hinein,« mahnte Chrodieldis, ein Schwert aus dem Mantel ziehend, »Hier werden gleich Speere fliegen.« »Jawohl,« sprach das Sachsenkind. »Herein. Und hinaus!« Damit nahm sie einem der Gefolgen den Wurfspeer aus der Hand und hob ihn drohend.

Macco wartete nicht länger: es eilte ihm zu sehr, an Leubas Seite zu kommen. Er zog das Schwert, ordnete seine Schar und stürmte mit lautem Waffenschrei den Seinigen voran die Stufen hinauf. Der Schlag einer Streitaxt sprengte sofort das Gitterthor. Schon stand er auf der Schwelle. Sigvalt sprang ihm entgegen, den ganzen Eingang sperrend. Sie kreuzten die Klingen, einmal – zweimal –: helle Funken stoben – hui, da flog des Grafen Schwert zur Erde und hellauf spritzte gleich darauf sein Blut aus seinem rechten Arm. Er wankte zurück; die Seinen stockten. »Siehst du, Maccolein! Ich sagte dir's ja immer, du kannst meinem Doppelhieb noch immer nicht begegnen,« rief Sigvalt, »Und die Herausschlagung des Schwertgriffs aus der Hand nicht hindern,« fügte Sigbert hinzu,

Macco rieb sich einen Augenblick den Arm. Die Wunde war nur ganz geringfügig; er überlegte, daß er leichter mit seiner Übermacht die Ummauerung des Bischofshofes an verschiedenen Seiten zugleich überklettern lassen als hier den Eingang stürmen könne.

Aus dem Hochzeitshaus klangen so süß die Flöten, so lockend! Aber er blieb fest. »Zurück!« gebot er seiner Schar. »Zurück: hier! Schwenkt links und rechts um das Haus! – Wartet nur, Freundchen, wir haben euch doch gar bald. Zum Nachtisch komme ich doch noch recht.«

Aber er sollte sogar noch zum ersten Gange recht kommen. Zu seinem lebhaften Erstaunen sandte in diesem Augenblick sein Vater einen Boten, der den Eingeschlossenen Waffenruhe bis zum nächsten Mittag verkündete und Macco zu sich beschied. Der Vater befahl dem immer mehr staunenden Sohne die Waffen abzulegen, die leichte Hautwunde zu verbinden, seine schönsten Festkleider anzuthun und sich sofort zu dem Hochzeitsfest des Frontinus zu begeben, wo er seine ganze Liebenswürdigkeit zu entfalten habe. »Die ganze?« fragte der Jüngling ernsthaft. »Väterchen, dann hast du morgen eine Schwiegertochter.«


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