Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Sechzehntes Kapitel.

Eine Woche etwa nach dem Aufbruch der Mädchen von Paris hatte die Klausnerin zu Poitiers ihre Vorbereitungen beendet.

Der lästigen Gesellschaft der Edelfräulein war sie bald nach dem Eindringen in das Asyl entledigt; am Tage darauf war ein Geistlicher am Altar von einem Trunkenen verwundet worden: die Kirche war mit Blut befleckt und mußte neu geweiht werden. Die zahlreichen Kleriker, die das ganze umfangreiche Gebäude sonst erfüllten, waren in andern Kirchen untergebracht worden. Bischof Marovech war fern auf Visitationsreisen in seinem ausgedehnten Sprengel. Die zurückgebliebenen untersten Kirchendiener ließen gern die Mädchen auf deren Bitten aus dem Frauengemach des Asyls im Oratorium in das einstweilen unbenutzte Hauptschiff der Basilika übertreten.

Kaum war das geschehen, als Castula und Struzza den im Männerasyl nebenan gescharten Räubern, Dieben und Verbrechern jeder Art durch Klopfen und Rufen die in der Mauer befindliche Holzthüre bezeichneten. Die Spitzbuben, die, gegen das Asylrecht, die Geräte ihres Einbruchsgewerbes verborgen mit in das Weihtum geschmuggelt hatten, waren bald der Thüre Meister geworden: sie hatten sie aus den Angeln gehoben. Bei Nacht kamen sie zusammen mit den beiden Weibern, die auch noch Zulauf aus der Stadt erhielten. Bei Tage wurden die Backsteine, welche die Holzthür verkleideten, sorgfältig wieder aufgeschichtet und dann hing die Thüre geziemend in ihren Angeln.

Es war immer schwer, oft unmöglich, Mißbrauch des Asyls zu verhüten in größeren Kirchen. Jetzt, hier, da der Bischof fehlte, die Kirche entweiht und verlassen war von fast allen Klerikern, gebrach es vollends an Aufsicht. Die unfreien Knechte und Mägde des heiligen Hilarius, welche die Flüchtlinge bedienten, ihnen die – allerdings magre – Asylkost darreichten, waren leicht gewonnen oder eingeschüchtert. Eines Morgens fehlte Castula; und aus dem Männerraum waren vier Bursche entwichen.

Die Edelfräulein verbrachten eine bange Zeit. Jede Nachricht von der Außenwelt, von Chrodieldens Erfolgen bei den Königen blieb aus; Genoveva litt am meisten; aber auch Ulfia klagte, sogar im Wachen habe sie keine Ruhe vor bösen Träumen.

Zwei Tage vergingen. Am Abend des dritten kam Castula zurück; bei einbrechender Dunkelheit fanden sich auch die vier Männer wieder ein; sobald der Ostiarius die äußere Thüre des Asylbaus verschlossen hatte, wurden die Backsteine weggeräumt und die Zwischenpforte ausgehoben. Beim matten Schein eines ewigen Lichtes, das in dem Frauenraum in einer Ampel glimmte, kamen Weiber und Männer zusammen: sie sprachen heute noch leiser als sonst. »Habt ihr die Waffen, Gisbrand?« war Castulas erste Frage. »Wir haben sie,« antwortete ein riesiger Schmied, ein mächtig Beil erhebend; »der Waffenhändler auf dem Forum der heiligen Radegunde findet heute Morgen leere Truhen in seinem Keller. Hast du den Wein, schöne Arleserin?« fragte er dawider, »Hier ist er,« antwortete Castula, einen langen Schlauch, den sie unter dem Mantel eingeschleppt, aus der Ecke ziehend; »mein Freund hat mich nicht im Stich gelassen. Ich wußt' es wohl. – Halt, Struzza, Geduld! Nicht aufbeißen den Schlauch! Der ist doch stärker als dein Gebiß. Du sollst ja trinken, aber – erst muß alles besprochen sein. Also! Ich habe mit meinem Freund im Kloster alles verabredet. Er nimmt dem Pförtner die Schlüssel ab, sowie er ihn berauscht hat. Du, Gisbrand, du klopfst ans Hauptthor im Osten, sowie der Mond hinter den Glockenturm tritt: Doppelschlag: so! Dann wird dir aufgethan: und du dringst ein mit fünfzehn Männern, mit Struzza und allen Weibern. – Du, Waroch, geschmeidiger Britanne, – da hast du eine Strickleiter, sie paßt genau! – du kletterst mit dem Rest der Männer von Norden, vom Bach aus, wo die alte Weide steht, hinauf: ein Eisenhaken ragt dort aus der Zinne, der hält die Leiter, er ist stark; ihr besetzt das Pförtlein dort im Norden, durch das werden sie fliehen wollen, sehen sie das Hauptthor von Gisbrand besetzt. Laß alle laufen – nur die Äbtissin halte mir fest – hörst du? – falls ich sie nicht vor dir erreiche! Es sind nur zwölf Knechte im Kloster.«

»Aber die großen Hunde?« fragte Struzza. »Sie beißen furchtbar.« »Das weiß ich leider am besten. Aber sie beißen nur, solang sie leben,« erwiderte grimmig die Klausnerin. »Sie werden ihr Mittagsmahl heut' nicht gut verdauen, mein' ich! Von den zwölf Männern sind fünf gewonnen! Sieben ... –« »Ducken unter, wenn sie sich rühren,« grinste Gisbrand, das Beil lupfend. – »Jedoch die Hauptsache ist: die Äbtissin darf mir nicht entkommen.« – »Und uns nicht der Klosterschatz! Wo ist er?« – »Unten, in der Krypta, unter der kleinen Basilika der heiligen Agnes: – neben dem Sarkophag der heiligen Radegundis.«

»Da?« rief einer der Männer entsetzt, ganz weiß war schon sein Bart. »Da rühr' ich nicht dran! Die Heilige hat mir – als Äbtissin – wohlgethan.« »Glaubst du, es thut ihr wehe, nimmt man ihre Knochen aus dem Silberschrein?« lachte Struzza. »Da ist auch,« meinte Waroch, »das Stück vom heiligen Kreuz aus dem Morgenland. Wenn der Herr Christus nur nicht ... –« »Thor! Meinst du, der Herr Christus hat eine Freude an dem Holz, dran er so blutig litt?« meinte Gisbrand. »Gerade das Kreuzstücklein müssen wir haben.«

»Ja,« raunte der eine. »Es macht unsichtbar.« »Nein,« verbesserte der andere, »aber stichfest.« »Da ist mir eine Büffelbrünne sicherer,« höhnte Gisbrand. »Aber mit Rubinen und mit Perlen ist seine Kapsel ganz bedeckt,« schloß Waroch.

Sehr nachdenklich hatte Castula zugehört. Sie wollte etwas einwenden, aber sie besann sich anders. »Merkt auf,« mahnte sie nun; »die Pechkränze für das Johannisfeuer hangen in der Kelterstube, zwanzig Stück ... –« – »Die müssen alle brennen!« »Das ganze Nest soll diesmal in Flammen aufgehen,« drohte Gisbrand. – »Ich werfe den ersten, sobald ihr an das Hauptthor klopft, in die Schlafstube der Pröpstin.« – »Ei, wie kommst du hinein, Castula? – vor uns – ohne uns?« – »Meine Sorge.« – »Nein, unsere Sorge! Wenn du uns vorher das Beste wegnimmst ...–« – »Haltet sie hier fest! Bindet sie hier an! Wir wissen nun, was wir wissen müssen. Sie soll nichts Besonderes haben,« ging es durcheinander. – »Ich will nichts Besonderes! Gar nichts will ich als mein Recht. Das heißt: eine Frage an die Äbtissin! Euch der Wein und das Gold und die Perlen; – mir nur: diese Frage!« »Nun wartet,« drohte Waroch, »ihr Priester und Gewaltigen dieser Welt, die ihr uns zertretet.« »Das ist doch nicht wahr,« sagte der Weißbart. »Die Edeln, ja! Aber wer allein nimmt sich der Elenden an auf Erden als die Kirche?« »O ja! Man füttert uns vom Überfluß, aber,« sprach Castula bitter, »stoßen wir irgendwo an das Netz, das unsichtbare, ihrer tausend Lehrsätze oder Zwecke – dann wehe uns! Viele hundert, viele zehnhundert Herzen brechen sie, ehe sie Einen Faden jenes Netzes zerreißen lassen. Doch das versteht nur, wer's erfahren hat.« »Aber, die Flammen! Werden sie uns nicht gar geschwind den Grafen aus der Stadt auf den Nacken locken?« fragte der Alte. »Es giebt gar keinen Grafen von Poitiers zur Zeit,« lachte Struzza. »Das ist der Spaß,« frohlockte Gisbrand. »Der alte ist tot, der neue noch nicht ernannt. Und alle Krieger in der Stadt hat der Bischof mitgenommen, ihn zu begleiten, weil die Straßen wenig sicher waren, solang ich und Waroch draußen in dem Flachland walteten! Nicht zwanzig Bewaffnete sind zur Zeit in der Stadt. Drum ist jetzt der rechte Augenblick! – Die Bürger? Bah! Diese Feiglinge, wagen sie sich wirklich in die Nähe des Klosters und auf die große Straße, – da weiß ich einen Fleck, der ist vom lieben Gott zum Hinterhalt eingerichtet, so trefflich wie eine Kirche zum Beten!« »Still!« mahnte Castula, »bohrt den Schlauch jetzt an. Trinkt euch Mut; aber nicht Sinnlosigkeit. – Ich habe noch andere Geschäfte.« Und sie verschwand in dem Gang, der in die Hauptkirche führte, tastete nach der Pforte und klopfte – in verabredeter Weise. Anstrudis ließ sie ein und schob rasch den Riegel wieder vor. »Nun gebt acht, ihr vier. Ja so, Ulfia schläft. Laßt sie nur. – In zwei Stunden wird das Kloster gestürmt.«

Entsetzt standen die drei Mädchen.

»Unmöglich! Wer ...–« – »Tapfre Freunde! Die Äbtissin soll Abbitte thun.« »Ich glaub' es nicht,« rief Anstrudis. – »So wart' es ab! Doch, brennt in einer Stunde das Kloster, willst du dann, Anstrudis, zeigen, daß du Chrodieldis ersetzen, vertreten kannst? Soll die Äbtissin dann nicht vor dich geführt werden, dir Abbitte zu thun?« – »Ja, das soll sie!«

»Gut! So eile an das Kloster, sobald die Lohe steigt. – Und deine Kleider, Richauda, deine Kleinodien, sollen sie verbrennen? Sollen andre sich drein teilen?« – »Nein, o nein! Eh' sie verbrennt, rett' ich meine Habe.« »So folge Anstrudis. Du, Genoveva – du bleibe nur hier und hüte Ulfias Schlaf.« – Mit Erbarmen ruhte ihr Blick auf dem schönen, blonden Mädchen. »Sie ist ihr so ähnlich! Und ich habe der Geiseln, der Mitschuldigen an zweien genug,« raunte sie mit sich selbst. »Genoveva,« flüsterte sie ihr nun ins Ohr: »sei wachsam! Bleibe hier! Es wird vielleicht recht ernst da draußen. – Er – Er ist drüben: in seiner Eltern Haus! Er suchte dich Tag für Tag – im Klostergarten – auch diese Nacht will er dorthin kommen.« – »O Gott!« – »Still, ich werd' ihn warnen. Er soll dich finden, holen: – hier! Und wann alles zu Ende, und wann sie alle lästern werden, die Klausnerin habe Stein und Feuer in der Brust, aber kein Herz: – dann denke du dieser Stunde! – O Desiderata! – Nein, nein! ich weiß es! Du trägst nur ihre Züge, nicht ihren Namen! – Still! – Schweige! – Ich muß fort. – Jetzt will ich die Äbtissin fragen! Und diesmal – diesmal: soll sie mir Rede stehen!«


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