Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Die Geistlichen versammelten sich einstweilen unter Leitung des Domesticus in dem bescheidenen königlichen Palatiolum der Stadt. Hier begrüßte Flavianus auch zuerst seinen Sohn. »Wie gewöhnlich, Herr Sohn,« sagte er, den Zeigefinger hebend, »muß ich mit einem Verweis beginnen. Der Graf von Poitiers konnte schon einen halben Tag früher hier sein.« »Zugestanden, Herr Vater, lächelte der Schalk. »Er wäre auch rechtzeitig eingetroffen. Aber er fand auf dem Wege hierher bei Quincy eine Sänfte: in dieser Sänfte saß ... –«

»Ein Mädchen! Wie gewöhnlich!« fuhr der Vater fort. »Und in dem Mädchen saß, wie gewöhnlich, der Teufel.« – »Letzteres thäte mir leid. Denn dann säße der Teufel in einer – Nonne.« »Was?« rief der Vater, »Nonnen und kein Ende! Mensch! Du wirst dich doch diesmal nicht in eine der Verbrecherinnen vergafft haben, die wir richten sollen?« – »Nein! Von denen ist sie nicht. – Aber diesmal, Vater, ist es Ernst. – Nein, lache nicht. Das ist die wahre Liebe.« – »So? O ja! Warum nicht? Das ist nun deine zweiundzwanzigste falsche und deine neunzehnte wahre Liebe.« – »Sie heißt ... –« »Ist mir sehr gleichgültig. – Ei, du trägst ja wieder den Verliebungsring? Er ist schon etwas schadhaft, abgetragen! Aber die roten Steine darin sind neu! Ach,« seufzte er, »was mögen sie wohl kosten? Das ist mir viel wichtiger zu wissen als jener Name.«

»Nichts! Sie hat sie mir geschenkt – samt ihrem Gürtel, daran sie ehemals saßen. Aber ... –« »Die muß viel Geld haben,« sprach der Vater erstaunt. »Nun, diese Abwechslung hat ihr Gutes.«

»Da die Wege unsicher sind durch die versprengten Räuber ... –«

»Hat der Graf von Poitiers die übrige Grafschaft von Sankt Hilarius bewachen lassen und selbst nur das hübsche Lärvchen bewacht. Sohn, Sohn, es ist höchste Zeit, daß du vernünftig wirst und heiratest.« – »Ich weiß zwar nicht, Herr Vater, ob dies dasselbe ist: – man kriegt dann oft so unvernünftige Töchter! – aber ich bin so bereit dazu wie noch nie.« – »Still, die Heiligen ordnen sich paarweise. Da schreitet Herr Felix von Nantes auf den guten Gregorius zu: – was wird das geben?«

»Herr Bruder,« sprach der zierliche Kelte, »grollst du mir wirklich noch immer? Wenig christlich! Daß von den vielen Wundern, die du fast wöchentlich erlebst, sich noch keines auf Erweichung deines Grolles geworfen hat! Gieb mir die Hand.« Gregor, eine breite, behäbige Gestalt, blies sich auf wie ein zürnender Hahn und bot dem feinen Herrlein die Linke: »Die Rechte, die Schreibhand, könnte Euch anstecken, Herr Felix, und Euch den schönen Stil verderben.« – »Sage mir nur, Dodo,« fragte der Bischof von Nantes den dicken Ökonom, der seinen Herrn begleitet hatte, »warum ist dein Herr, abgesehen von seiner herkömmlichen Erbosung gegen mich, heute so ganz besonders bedrückt, so sorgenschwer?« – »Hat seine guten Gründe.« – »Vertraue sie mir, guter Dodo. Vielleicht kann ich ihm helfen.« Dodo sah den Kelten groß an: »Ja, Ihr! Ihr könntet ihm freilich helfen! Gerade Ihr! – Aber doch auch wieder nicht. Das ist es ja eben, daß ihm kein Mensch dabei helfen soll.« – »Helfen? Wobei?«

»Ich weiß, Ihr meint es gut, – oft hab ich's ihm gesagt, – mit meinem lieben Herrn. Der Mensch müßte auch gar kein Mensch sein, der Herrn Gregorius, dem Mann ohne Falsch, gram sein könnte.«

»Nun also?« – »Nun also! Ihr wißt: der junge König Childibert hat sich völlig gebessert, hat plötzlich seine bösen Ratgeber, Herzog Rauching und Bischof Egidius von Reims, entlassen, seine Mutter, die edle Frau Brunichildis, und seine Braut an den Hof nach Metz berufen, sich mit dieser gar fröhlich vermählt und unserm Herrn König Guntchramn einen recht warmen Brief geschrieben, in welchem er diesen um Aussöhnung, um seinen Rat und seine Hilfe in der Regierung von Austrasien bittet.« – »Gewiß Das kann doch aber Herrn Gregorius nicht grämen, der von jeher am meisten an Aussöhnung von Oheim und Neffe gearbeitet hat.« – »Freilich! Und deshalb hat ihm der Herr König Guntchramn das hohe Vertrauensamt übertragen: die Vermittelung zu übernehmen, einen Erbverbrüderungsvertragsentwurf – ein furchtbar Wort und Werk! – aufzusetzen.« – »Das ist ja alles sehr schön und ehrenvoll für ihn.« – »Jawohl! Aber –! Der König hat einen kleinen Zorn auf uns, weil wir uns die einundvierzig haben auskommen lassen.« – »War auch schlimm! Dadurch ward das Skandalon so arg. Ihr beiden, Gregor und du, ihr seid an allem schuld.« – Dodo wurde rot im Gesicht: »Herr Bischof, Ihr habt leicht reden. Und der Herr König erst! Der ist gleich gar vor ihnen davongelaufen! Habt Ihr schon einmal einundvierzig Heuschrecken, Maikäfer oder andere Hupf- und Fliegetierlein gehütet?« – »Die Sorge um meine Seele und um mein bißchen Latein, o trefflicher Dodo, hat bisher solche ergötzliche Nebenbeschäftigung mir noch nicht verstattet. Aber, wenn du meinst, will ich's einmal versuchen.«

»Bis dahin – redet nicht. Hüten! Mädchen hüten! Entlaufene Nonnen! Darunter zwei Königinnen! – Übrigens habe ich doch, soviel sie mich plagten und ängstigten, die Fratzen, eine solche Herzensfreude an ihnen gehabt, daß ich den Herrn ganz besonders bat, mich mitzunehmen, damit ich sie, zumal das braungelockte Basinelein, wieder sähe. – Nun also, der König hat noch einen kleinen Groll auf unsere Mädchenhütung. Und der Referendarius Marcus hat einen großen Zorn auf unser Latein.« – »Letzteres nicht ganz mit Unrecht, Dodo.« – »Und so hat der König – auf des Marcus Anstiftung! – Herrn Gregor anbefohlen, den Erbverbrüderungsvertragsentwurf ganz allein, ohne irgend eines Menschen, auch eines Schreibers, Hilfe aufzusetzen.« – »Kein Wunder! Höchstes Staatsgeheimnis. Immer ehrenvoller für Gregor; ich gönn' es ihm aber.« – »Ja, und das gönnt Ihr ihm aber wohl auch, daß der Referendarius mit Erlaubnis des Königs erklärt hat, es dürfe, bei Meidung königlicher Ungnade, kein einziger – nun, kein Böcklein wider die Grammatik darin enthalten sein, und der Referendarius werde es so lang und so oft zurückgeben, bis das Latein fehlerfrei. Bei den sieben Wunden Christi, es sind vierzehn langmächtige Seiten! Und der König drängt. Es eilt.« »Armer Gregor,« lachte der Herr von Nantes. »Da könnte er eines seiner kleinen Mirakelchen brauchen.«

»O Herr, nein, da brauchte er schon eines von den stärkeren!« –

»Ei sieh da,« sprach Felix, »gegrüßt, Bruder Truchtigisel mit dem Speere. Auch hier an dem Clain?« – »Leider.« – »Warum kamst du dann?« – »Königs Befehl.« – »Er hat groß Vertrauen in dich.« – »Ja. Aber ist mein letztes bischöfliches Geschäft.« – »Warum?«

»Bin's müde.« – »Ja, was willst du beginnen?« – »Gehen.« – »Wohin?« – »Heim. Stracks von hier nach Haus, ins Land der Bajuvaren, in den Chiemgau.« – »Allein?« – »Behüte! Mit meiner lieben Frau.« – »Was willst du fortan thun?« – »Ausruhn. – Und fischen.« – »Was?« – »Asch.« – »Was ist das? Asch?« – »Asch? Aschen, – nun eben: Asch! Seid Ihr so gelehrt, und wißt nicht einmal, was Asch sind! Ein feines Tier von einem Fisch, sag ich Euch, Herr Felix. – Wann abends im Erntemond die Sonne in den Chiemsee sinkt und die Mücken tanzen auf der Alz, wo sie, an ein paar Fischerhäusern vorbei, ausfließt, dann mit der Angel die Alz hinabgehen an dem Uferschilf und sehn, wie die Asch aufspringen und, eifrig schnappend, anbeißen und sie flugs herausschnellen weit auf die Wiese: – natürlich muß Frau Irmentraut danebenstehn und die Fische in das Lägel stecken – und dann im Abenddämmerschein nach Truchtilinga heimwandern, wo meines Hauses uralter Stammhof steht unter hohen Linden, und an dem Herde stehn und Frau Irmentraut zuschauen, wie sie die Mägde die Fischlein braten lehrt, – das, hochweiser Herr Bruder, das ist die höchste Glückseligkeit auf Erden, viel schöner als zu Soissons; und auch als zu Rom, wo ich aber nicht gewesen bin. – Und so mein Leben beschließen zu dürfen, das hab' ich mir von meinem gnädigen König als letzte Ehrengunst erbeten.« – »Bruder Gregorius,« sagte Felix, »hier ist ein Mirakel, größer als das Pfingstwunder.« – »Was meint Ihr?« fragte der Bischof von Tours mißtrauisch. »Truchtigisel mit dem Speere hat eine Rede geredet. – Aber es ist nicht das erste Mal. Ich erlebte es schon einmal. Damals galt es nur seiner Frau. Jetzt sind noch hinzugekommen die A–As– Ask–? wie sagt man? Um diese Fische auszusprechen, muß man entweder einen bajuvarischen Mund oder ein doppelflüglich Scheunenthor zur Aufsperrung zur Verfügung haben. – Und nun, da er von der Heimat redet, und ihren Fischen, kommt gar niemand mehr zu Wort neben dem zungengewaltigen Bayern. Hör' einmal, Bruder Truchtigisel,« sprach Herr Felix, schmunzelnd mit den feinen Lippen, »eine Frage an dich als Sohn des Bajuvarenstammes. Da ist mir heute in dem Verhör mit den Räubern, das mir der Domesticus übertrug, eine merkwürdige Antwort geworden von Struzza. Das ist nämlich eine Landsmännin von dir.« »Kann nichts dafür,« sagte Truchtigisel, ziemlich grob. »Wird wohl auch in Nantes Spitzbübinnen geben.« – »Viele!« – »Meine liebe Gattin, Frau Irmentraut, hat gleich gesagt, sie tauge nichts. Aber sie that so fromm. Als ich dann merkte, sie trinke, da wollt' ich sie bessern: – mit der Rute. Aber sie lief davon und ward lieber eine Heilige, eine Klausnerin.« – »Nun, also: ich frage die Bayerin um ihren Status. ›Ehefrau?‹« frag' ich. Denn sie sah so aus. ›Jungfrau‹, sagt sie. Da springt mein Schreiber auf, der Armenpfleger Bischof Marovechs, und ruft: ›Das ist aber stark! Glaubt's nicht, Herr Bischof. Wir füttern schon drei Jahre ihr Kind.‹ ›Das ist nur ein Mädchen‹, sprach die Bajuvarin unerschüttert. Dieses machte mir großen Eindruck! Sprich, o Truchtigisel, habt Ihr daheim bei Euch diese Begriffsbestimmung, diese subtile Unterscheidung?« Truchtigisel zuckte etwas verlegen die breiten Achseln: »Manche halten es so bei uns. Was freilich die Strengeren sind, die nehmen's wieder anders. Ich kann nicht viel Latein, aber ich meine: man nennt das eine: benigna interpretatio, eine milde Auslegung.« »So? Es ist nur, bis man's weiß,« sagte Herr Felix. »Ländlich, schändlich. – Aber horch! Das Psallieren beginnt schon unten auf der Straße. Gehen wir.« »Arme Mädchen,« sprach Truchtigisel und erhob schwer stapfend den Speer.


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