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Achtes Capitel.

Friedmuth verneinte. Aber Herr Hermann sprach nachsinnend: – »Böppele? Ich meine: ja: den »Böppele« nannten sie ihn. – Ja, den hab' ich wohl gekannt – bei Genua – nicht? Was ist mit dem drolligen Kauz?«

»Und was ist Boblingen?« fragte Friedmuth.

»Hei, Boblingen ist ein kleines Nest in Alamannien: ein Haufe von Hütten, der aber eine Mauer um sich gezogen und vom Kaiser eine »Marktfreiheit« erbettelt hat. Durstig müssen sie sein, die Boblinger. Denn ob zwar nur ein par hundert Männlein und Weiblein dort leben, haben sie einen eigenen zünftigen Weinschank von Rathswegen eingesetzt und verpachtet und ein lustiger Kumpan, der früher als Schuster eingegildet war – das ist ein durstig Handwerk! – der hat es gepachtet. Er war von den ehrsamen Schemelhockern ausgestoßen wegen Innungsschulden und loser, nicht schlechter Streiche, – mein Freund Böppele ist ein arger Schalk, aber kein allzuarger Schelm! – Und ist seit Jahren viel herumgezogen, billigen Wein einzukaufen, ihn, verdünnt und theuer, daheim seinen Boblingern zu verzapfen. So traf ich ihn früher auch manchmal im Eisackland. Aber gar viele Jahre war er ausgeblieben. Als ich nun auf der Fahrt hieher nach der reichen Hafenstadt Genua kam, war da in der Stadt auch ein Herr Egino vom Hohenbühl aus Schwabenland, ein Nachbar der Böblinger Burgensen. Der hatte nicht das Kreuz genommen, sondern nur einen Auftrag des Pfalzgrafen von Tübingen bei dem Kaiser und bei dem Rath von Genua auszurichten. Mit dem Hohenbühler ritt ich einmal an einem heißen, durstigen Sommertag zu den Thoren von Genua heraus und wir kamen an ein Fischerdorf, heißt Sestris. Da winkt an einer Schänke, nach deutscher Sitte, ein grüner Rebenzweig oben von der Thür, zum Zeichen, daß hier Wein geschänkt wird.

Wir treten beide in den kühlen Steinflur, wo es ganz erstaunlich sauber aussieht – gar nicht wälsch! – und rufen nach dem Schankwirth: »Gleich, gleich!« tönt es ganz gut schwäbisch, und aus dem Keller taucht empor – mein Böppele: – der Alte, nur viel runder an dem Bauch und röther an der Nase. Jedoch kaum erschaut er den Hohenbühler, als er hurtig entweichen will. Der aber schreit. »Was, der Böppele? So büßt der meine Sünden ab?« hascht ihn am Wamms und schlägt mit der Faust gar eilig und kräftig auf ihn los. »Du arger Unnütz, du Lügengauch! Da! das ist für das heilige Grab! und das für Bethlehem!«

»O weh, und immer mehr o weh!« schreit der. »Lasset, schonet! Schenkt mir die andern heiligen Örter! Ich will ja alles bekennen und das Geld herausgeben, sofern ich's noch haben sollte,« sagte er dann vorsichtig, als der Zornige losließ, und er sich, den Rücken reibend, erhob. Und nun – ich mach' es kurz – nun kam's heraus. Der vom hohen Bühl hatte mal im Heißzorn einen Pfaffen, der ihn öfter zu allerlei unbequemen Tugenden recht störend vermahnte, heftig verhauen: da das leider während eines Gottesfriedens geschehen, den der Bischof von Augsburg, die Reichsstadt Ulm und der Pfalzgraf von Tübingen mit einander beschworen hatten, konnte der Geschlagene – der Hohenbühler meint, es war gar nicht arg gewesen: kaum wie man einen zuchtlosen Braken haut – auch noch beim Bischof klagen vor geistlichem Gericht, nachdem der arme Herr Egino die weltliche Buße und Wette schon hatte bezahlen müssen. Der Augsburger Bischof, Herr Siboto, ist nun gerade so versessen auf die Kreuzfahrten, wie sein Amtsbruder zu Chur und legte dem wackern Ritter eine Kreuzfahrt auf, von Jahr und Tag, zwischen Jerusalem und Damiette zu verleben. Das taugte nun dem jungen Herrn Egino wenig: er konnte wirklich nicht fort damals: denn er warb um Jungfrau Zisa, des zweiten Bürgermeisters von Augsburg junge Tochter. Und die war nicht nur sehr schön, – auch sehr reich, und das alte, morsche Mauerwerk des Hohenbühls schrie aus vielen Mauerlöchern nach baldiger, gründlicher Flickung, sollte es nicht für Krähen und Eulen allein bewohnbar werden, die jetzt schon besser als Menschen darin Hausung fanden. Nun kurz: Herr Egino ritt, wohin? Rathet –: wohin?«

»Wie soll ich das wissen!« lachte Friedmuth. »Hm,« überlegte der Hochmeister, »da – am Neckar? – Wenn er gut berathen war, ritt er zu dem Burgpfaffen von Tübingen. Der ist im Lande der Schwaben in Kreuzfahrt-Gelübden einer der Allergelehrtesten.«

»Richtig! Zu dem ritt er, zu dem »weisen Bruder« von Tübingen und versprach ihm gleich bei der Begrüßung – denn das ist das Hauptstück der Weisheit des Bruders, daß er nichts umsonst thut! – die Eichelmast für seine Schweine im Hag von Hohenbühl, wenn er ihm einen gottgefälligen kanonischen Ausweg finde. Der Weise von Tübingen besann sich nicht lang und sprach: »Erst setzt, ehe wir weiter reden, Euer Kreuz unter diese Eichelmast-Urkunde«. Und als das der Hohenbühler gethan, sagte der Mann Gottes bloß das eine Wort: »Kreuzfahrt durch Stellvertretung.« Dumm ist Herr Egino nun auch nicht: er verstand sofort, daß die Kirche Stellvertretung zuläßt. Der Burgpfaff machte auch den Böppele ausfindig: der war ganz willig für eine geringe – auffallend geringe! – Summe den Wein-Schank in der Winkelgaß zu Böblingen zu sperren und für des Hohenbühlers Seelenheil auf Jahr und Tag in's gelobte Land zu ziehen und am heiligen Grab zu beten, dabei auch mit einem leichten Fuchs-Sperlein, einer Armbrust und zwölf Pfeilen wider die Heiden zu streiten, falls ihn solche angriffen. Heiden aufzusuchen, um sie anzurennen, sollte er nicht gebunden sein, wenn er es nicht freiwillig aus Kampfgier thun wolle, was wenig wahrscheinlich. – Auch mußte der Ritter ihm die Trutz-Waffen liefern, eine mittelgute Mähre stellen und einen armslangen Reiterschild als Schutzgewaffen. All das empfing er von Herrn Egino und auch die Pfennige im voraus.

Freilich mußte der Ritter leider um die Letzteren erst einen Augsburger Juden werfen, der zur Jacobi-Messe nach Ulm zog; da es nicht im Gottesfrieden geschah, – auf Rath des Tübinger Gottesgelehrten hatte der Hohenbühler diesmal weislich gewartet, bis des Friedens Frist abgelaufen war! – nur im Augsburger Weichbildfrieden, war es nicht besonders sündhaft. Und da der Jude ihn in der Finsterniß nicht erkannte, hat es dem wackern Herrn auch weltlich nicht geschadet. Nur der Jude verlor drei Vorderzähne darüber, da er zuletzt, während ihm der Ritter beide Hände hielt, seinen Geldgurt mit dem Munde festhalten wollte in seinem schmutzigen und echt jüdisch-verstockten Geiz und Eigensinn und ihm daher – durch seine Schuld! – der Mund mit dem Schwertgriff ein wenig locker gemacht werden mußte.

Also war nun Alles gut: der Jude verlor seine Zähne und Pfennige, der Böppele erhielt Pfennige, Gewaffen und Gaul. Der arme Herr Egino konnte im Lande bleiben und die schöne Zisa von Augsburg auf den Hohenbühl führen. Der Bischof selber traute sie im Dom: und die guten Burgensen von Augsburg verehrten ihr einen schönen Smaragd für ihren dritten Finger: nicht ahnend, daß der andere Smaragd, an ihrem vierten Finger, den ihr kürzlich Herr Egino geschenkt hatte, aus dem Schmuckladen des reichsten Juden von Augsburg, Jochai, gekauft, diesem Jochai mit seinem eigenen Golde war bezahlt worden und daß derselbe noch unwissentlich ein par Zähne als Zuwage gegeben hatte. So wäre also Alles ganz schön vertheilt gewesen.

Den Ritter hatte es nur gewundert, daß der Böppele, der gar nicht geldblöde ist, für so wenige Pfennige die weite, gefährliche Fahrt wagen wollte. Jedoch der hatte gesagt, er habe selbst ganz unaufhaltsame Sehnsucht nach dem gelobten Land: seine Nachbarn aber meinten, Frau Zahme – »Zahm-Muthe« war sie getauft, allein die Bürger von Boblingen und die Gauleute auf ein par Meilen im Umkreis hatten sie lange »Frau Zankmuthe« oder auch »Frau Zanke« umgetauft –, seine Ehehälfte, sei so bösartig, daß er lieber in der Heiden Hände fallen wolle – das seien doch noch unbekannte Schrecknisse – als die altbekannten Schrecknisse unter den Händen Frau Zahmes länger tragen.

Auch kamen bald, gelegentlich von heimkehrenden Pilgern mitgebracht, Briefe: – denn der kluge Böppele war als Gärtnerbursche in dem Kloster zu Maulbronn erzogen worden und hatte lesen und ein wenig schreiben gelernt, – wie er die Alpen überschritten, dann in Venedig sich eingeschifft habe. Dann folgten, stets in den angemessenen Zwischenräumen von Monaten, Schilderungen eines grauslichen Meersturmes bei dem Eiland Cypern, viele Durstbeschwer in der Wüste, ein Gefecht mit Saracenen, wobei er einen Pfeilschuß in den linken Fuß erhalten, – wofür er nochmals achtzig Pfennige berechnete, weil er die Heiden, über seinen Vertrag hinaus, bei einer Cisterne aufgesucht und angegriffen habe. – Dann, wie er am heiligen Grabe gebetet habe, sei er eingeschlafen und im Traum sei ihm der heilige Sebastian erschienen und habe ausdrücklich erklärt, dem Ritter vom hohen Bühl seien alle Sünden verziehen und es sei dem Heiligen sogar viel lieber gewesen, daß ein so frommer Pilger statt des leider etwas weltlichen Ritters gekommen sei. Er habe so bei dem lieben Gott den Sündenerlaß mit zweihundert Vaterunsern durchgesetzt, während er sonst leicht nochmal soviel gebraucht hätte. Und der Jordan und Bethlehem, Gethsemane und der Ölberg und Alles war ganz genau beschrieben. Und zuletzt kam gar die Nachricht, sie möchten Frau Zahme nur sagen, sie werde ihn nie mehr mit leiblichen Augen schauen, bis sie ein liebes Engelein geworden: denn er habe der Welt mit allen Freuden der Ehe entsagt und werde seine Tage als Mönch in einem stillen Thale bei Jerusalem beschließen, wo er täglich gegen ihr Gallenleiden bete, das sich oft so heftig geäußert. Er fragte zuletzt, ob sie nicht schon große Linderung verspüre, seit er so für sie bete. Ihm gehe es viel heiterer als daheim: ein süßer Friede, so rechte Fröhlichkeit im Herrn, wohne in ihm, seit er zwischen Jerusalem lebe und dem Jordan.«

Da hielt Herr Walther inne: Friedmuth schob ihm den Becher hin.


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