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Zweiter Theil.


Erstes Capitel.

Adelaidens Lieblingsaufenthalt war jetzt Schloß De Moreland. Es enthielt die Asche ihrer verehrten Eltern, und des theuren Onkels Bild hing in der Bibliothek. Manche einsame Stunde brachte sie hier zu und fand unter vielen andern anziehenden Schriften eine deutsche Handschrift voll so schön geschriebener, unterhaltender und dabei so lehrreicher Erzählungen, daß sie dieselbe mit nach Hause nahm, in der Voraussetzung, Mstrß. Falkland würde Vergnügen daran finden, sie zu lesen. Und so war es auch ja, sie gewann dieser Lektüre so vielen Geschmack ab, daß sie bedauerte, nicht bewanderter in der deutschen Sprache zu sein, um sie ins Englische übersetzen, und Lady Beechbrook als ein Geschenk für ihre Töchter überreichen zu können.

Dieser ausgesprochene Wunsch war hinreichend, die dankbare Adelaide zur Uebersetzung des Manuscripts anzufeuern, und sie wartete nur eine Gelegenheit ab, ihren Vormund unbemerkt zu sprechen, um ihn zu fragen: ›Ob er sie fähig dazu halte?‹

Falkland erfreut, sie durch eine neue Beschäftigung von dem Gram über das erlittene Unglück abgezogen zu sehen, bestärkte sie in ihrem Vorhaben und erfüllte gern die Bitte, er möge die Arbeit geheim vor Mstrß. Falkland halten, weil Adelaide diese damit zu überraschen gedacht. Gerührt durch diesen neuen Beweis ihrer Güte, schloß Falkland sie an seine Brust und sagte: »Ich wünsche Dir glücklichen Erfolg zu Deinem Unternehmen, Du Stolz meiner reichlich belohnten Sorgfalt; und wisse, daß Du meinem Herzen nie theurer bist, als wenn Du, wie jetzt, meiner angebeteten Frau Beweise Deiner Zuneigung giebst.«

Mit diesen Worten verließ Falkland das Zimmer, um sich nicht von Rosalinden allein mit Adelaiden finden zu lassen. Daß diese unbemerkt im anstoßenden Gemach Zeuge der Scene gewesen, ahnete er nicht. So wohlthuend seine Worte in ihrem Herzen getönt, so konnte sie sich doch einiger bittern Gefühle nicht erwehren, und floh in ihr innerstes Zimmer, um den Eindruck, den seine Umarmung der Mündel auf sie gemacht, in der Einsamkeit zu verarbeiten.

Vierzehn Tage nachdem Adelaide, meistens in der Bibliothek von De Moreland, mit ihrer Uebersetzung beschäftigt gewesen, überraschte sie Falkland eines Morgens bei ihrer Arbeit. Er fand sie sehr sorgfältig und gut ausgeführt, und um sie mit Muße durchsehen zu können, bat er Adelaiden unterdessen einen Spaziergang in den Anlagen zu machen.

Kaum hatte sie den Saal verlassen, als Mstrß. Crow ohne vorhergegangene Meldung ungestüm hereinrauschte.

Erstaunt forschte Falkland nach der Veranlassung dieses unerwarteten Besuchs.

»Verzeihen Sie,« entgegnete jene mit einem sarkastischen Lächeln; »ich glaubte nicht, daß Sie allein zu sein wünschten, da ich gehört, daß ich Miß Bouverie hier finden würde, welche ich nach dem langweiligen goldnen Schlüssel fragen wollte. Wohin mag sie sich denn so schnell gewandt haben?«

»Sie werden sie auf der Terrasse finden; doch ist Ihr Bemühen vergeblich, Mstrß. Crow! Da Miß Bouverie, wie Mstrß. Falkland schon während ihrer Krankheit an Lady Leyburn geschrieben haben, keine Auskunft über diesen Schlüssel geben zu können.«

»Lady Leyburn hat wichtige Gründe, Miß Bouverie selbst über diesen Gegenstand zu hören,« sagte Mstrß. Crow, indem sie hinausging, Adelaiden aufzusuchen.

Falkland steckte die Uebersetzung in die Tasche, um sie zu Hause ungestört durchzulesen, verschloß dann die übrigen Papiere und eilte Mstrß. Crow nach.

Adelaide war bei ihrer einfachen Behauptung, daß sie nichts von dem Schlüssel wisse, geblieben; und als Falkland sah, daß sie ohne seine Hülfe fertig werden konnte, gab er ihr die Schlüssel zur Bibliothek, sagte, daß er eine deutsche Uebersetzung mitgenommen, und entfernte sich.

Jetzt verlangte Mstrß. Crow diese Schlüssel. »Ich bedarf ihrer,« sagte sie, »um Papiere aufzusuchen, welche Lady Leyburn nicht entbehren kann. Hätte ich gewußt, daß Sie im Besitz derselben wären, würde ich sie längst gefordert haben; aber Mylady glaubte, daß der Lord sie mitgenommen.«

»Verzeihen Sie, Madame. Ich kann mein Wort nicht brechen.«

»Warum geben Sie sie denn Herrn Falkland?«

»Weil mein Onkel sie ihm anvertraute; und jetzt sind sie mir nur übergeben, weil ich in Seaview bin und ihrer bedarf.«

»Wahrscheinlich, um Ihre Liebesbriefe dort aufzuheben!« rief Mstrß. Crow spöttisch.

»Ich habe keine Briefe, die ich zu verbergen hätte,« entgegnete Adelaide ruhig.

»Was! keine zärtlichen Billets von Ihrem geheiligten Vormund? Wir wissen recht gut, weshalb Sie alle Anträge abweisen.«

Ein edles Feuer beleidigter Unschuld glühte in Adelaidens Augen, als sie ausrief:

»Geheiligter Vormund! Mstrß. Crow, ist es möglich, daß, wenn Sie vergessen, welche Verbindlichkeiten ich Herrn Falkland schuldig bin, Sie je aufhören können, sich der Ihrigen zu erinnern? Aber mein Gedächtniß ist für uns Beide treu; und so gewiß ich nicht dulden werde, daß Sie seine fleckenlose Güte in meiner Gegenwart antasten, eben so gewiß werde ich ihn benachrichtigen, wie ehrenvoll Sie sich über Ihren Wohlthäter geäußert.«

Entsetzt über die Idee, das als Klage vor Falklands Ohren gebracht zu hören, was ihr unvorsichtiger Weise im Unmuth getäuschter Erwartung entschlüpft war, begann sie jetzt Adelaiden anzuflehen, nicht zu wiederholen, was sie nur im Scherz gesagt.

»Dann muß ich bitten, daß Sie sich künftig weder im Scherz noch im Ernst solche ungeziemende Reden gegen meinen vortrefflichen Vormund, meinen zweiten Vater, erlauben,« sagte Adelaide mit bestimmtem Ton, und eilte von ihr hinweg zu Mstrß. Aspenfield, in deren treuen Busen sie ihren Gram über das eben Gehörte ausschüttete, und ihr zugleich die Veranlassung zu dem längern Aufenthalt in der Bibliothek mittheilte.

Mstrß. Aspenfield hatte längst den Verdacht gehegt, daß die Ruhe ihrer Tochter durch Eifersucht getrübt würde; nun ward ihr Gewißheit hierüber, und sie zweifelte nicht, daß Mstrß. Crows häufige Besuche bei Rosalinden nur scheinbar den Zweck wohlthätiger Berathungen gehabt, und einzig und allein darauf berechnet gewesen, ihr argwöhnisches Herz mit dem Gift der Eifersucht anzufüllen. Sie beschloß, gleich den folgenden Morgen allein nach der Priorie zu fahren, und ihrer Tochter Vertrauen zu gewinnen zu suchen. Doch so sehr sie auch von diesem Gegenstand erfüllt war, so versäumte sie doch nicht, Adelaidens verwundetes Zartgefühl zu beruhigen, und ihre Sorge, daß die interessirte Lady Leyburn durch Aufbrechung geheimer Verwahrungsörter ihres verstorbenen Onkels, die Rechte des neuen Gebieters kränken könnte, zu theilen. Sie rieth ihr deshalb, eine Berathung mit Falkland zu halten, und beschied ihn zu diesem Zweck durch ein Paar Worte für den nächsten Morgen nach Seaview.

Nachdem Adelaide ihm ihre Besorgnisse mitgetheilt, überließ sie es Mstrß. Aspenfield, ihn von Mstrß. Crows boshaften Anspielungen in Kenntniß zu setzen.

Falkland war entsetzt über die Idee, das reine Kind der Unschuld durch einen giftigen Hauch entstellt zu sehen, und schwankte deshalb, ob er mit Adelaiden wieder ins Schloß gehen könne, so nothwendig es auch war, Lord De Morelands Papiere zu sichern. Mstrß. Aspenfield aber ordnete an, daß beide mit ihr in ihrem Wagen hinfahren sollten, um so der Verläumdung keine Nahrung zu geben. Falkland ertheilte dort dem Hausmeister und Verwalter den bestimmtesten Befehl, Miß Bouverie einstweilen als einzige, rechtmäßige Gebieterin des Schlosses zu betrachten, und Mstrß. Crow nie, selbst nicht auf Lady Leyburns Verlangen, den Eintritt in dasselbe zu gestatten, bis der neue Besitzer Miß Bouverie die ihr von seinem Vorgänger übertragene Macht wieder abgenommen. Hierauf begab er sich mit Adelaiden in die Bibliothek, um sie auf einige kleine Verbesserungen in ihrer Uebersetzung aufmerksam zu machen, und diese Zeit benutzte Mstrß. Aspenfield, sich im anstoßenden Gemach eine unterhaltende Lektüre auszusuchen. Kaum aber hatte Falkland neben seiner Mündel Platz genommen, als die Thür plötzlich aufgerissen wurde, und Rosalinde in schrecklicher Bewegung vor ihnen stand.

»So bin ich also doch nicht falsch berichtet worden!« rief sie im dumpfen Ton herzzerreißender Verzweiflung.

Adelaide, nur mit ihrer Uebersetzung beschäftigt, vergaß im ersten Erstaunen über diese unerwartete Störung Mstrß. Crow und deren verderblichen Einfluß auf Rosalindens argwöhnisches Gemüth, und rief daher unschuldig aus:

»O, wie ärgerlich! Wer kann Ihnen mein Geheimniß verrathen haben! nun sind alle meine Pläne zerstört.«

»Was! Sie gestehen es selbst? Sie rühmen sich dessen. O, schaamloses Geschöpf! treuloser Falkland!« schrie Rosalinde mit verstörtem Blick, einer Wahnsinnigen gleich; und nun erkannte Adelaide, welche Krankheit sie befallen. Aber sie sollte sie in noch gräßlicherer Gestalt kennen lernen; denn als Falkland auf diesen ersten Ausfall nichts erwiederte, brach sie in Beschuldigungen gegen ihres Gatten Treue und Adelaidens Unschuld aus, während diese im Gefühl ihrer Reinheit, zitternd und schluchzend, Schutz an Mstrß. Aspenfields Busen suchte, die durch Rosalindens heftigen Ton erschreckt, schnell herbeigeeilt war.

»O, Rosalinde! Rosalinde!« rief Mstrß. Aspenfield endlich, in einen Strom von Thränen ausbrechend. »Ist es denn mein hartes Geschick, den ermordeten Gatten überleben zu müssen, um mein einziges Kind, mein Stolz und meine Freude, die glücklichste, reichgesegneteste Frau ihr Glück wie eine Wahnsinnige wegschleudern, auf einmal ungerecht und undankbar gegen den nachsichtigsten, treuesten Gatten – gegen das schuldloseste, reinste Geschöpf auf Erden werden zu sehen!«

»Ach, Madame!« sagte der tiefbewegte Falkland, »diese schreckliche Verwandlung von einem Engel zu der Gestalt, in welcher Ihre Rosalinde jetzt vor Ihnen steht, ist mir nichts neues mehr. Was Sie so eben von ihr gehört haben – diese Sprache hörte ich schon manchen Tag; und geduldig, wenn gleich nicht unempfindlich, ertrug ich dieß Elend im Stillen, immer noch hoffend, ihr besseres Gefühl zurückkehren zu sehen. Doch, nun sie gewagt hat, das unschuldige Kind zu verläumden, ihren Gatten als einen elenden Verführer dieser Unschuld zu bezeichnen, weil sie ihn im Beisein ihrer eigenen vortrefflichen Mutter mit seiner Mündel zusammen gefunden – nun würde es Schwäche von mir sein, solche Schmähreden länger geduldig anzuhören.«

»Und darf ich fragen, darf Ihre verabscheute, verschmähte Gattin fragen, zu welchem Zweck Sie sich hier versammelt hatten?« stieß Rosalinde mit abgebrochenen Worten heraus; »vermuthlich um mit Miß Bouverie zu entfliehen, und meine vortrefflichste Mutter als geheiligten Schutz mitzunehmen.«

»Diese Ausbrüche Ihrer Leidenschaft verdienen keine Beantwortung,« entgegnete Falkland mit würdevoller Ruhe; »ich will jetzt nur zu Ihrem bessern Selbst reden. Ich habe Sie von dem ersten Augenblick unserer Bekanntschaft bis zum gegenwärtigen Tage mit ungetheiltem Herzen geliebt, habe keine Gelegenheit versäumt, Ihnen dieses Gefühl zu bezeigen, und Ihnen durchaus keine Veranlassung gegeben, an meiner Treue zu zweifeln. Und dennoch werde ich auf eine dämonische Weise der Untreue beschuldigt, angeklagt und ohne Beweise verdammt.

Unser eheliches Glück ist zerstört, durch Sie zerstört, Rosalinde! Das Leben, welches ich in den letzteren Wochen geführt, ist schrecklich gewesen; aber was ist das ausgestandene Elend gegen das, was meiner in Zukunft wartet? Deshalb ist es unser Loos, und Sie haben es in das Buch des Schicksals eingeschrieben – wir scheiden für immer!«

»Scheiden!!!«; rief Adelaide entsetzt, indem sie sich aus Mstrß. Aspenfields Armen losriß und fast unbewußt zu Falklands Füßen fiel. »O, trennen Sie sich niemals von Ihrer Rosalinde – der Angebeteten Ihres Herzens Ihrer geliebten Gattin – der Mutter Ihrer Kinder; senden Sie mich, als die unschuldige Ursache dieser schrecklichen Uneinigkeit, von sich hinweg! Verbannen Sie mich in den fernsten Winkel der Erde, wo mein Name nicht zu Mstrß. Falklands Ohren dringt, um ihr keine Sorge zu verursachen; und freudig will ich gehen, wenn ich dadurch Ihr Glück, Ihren Frieden erkaufen kann.«

»Nein, Adelaide, mein Kind!« sagte Falkland, sie sanft aufhebend; »Du sollst mein Dach nicht verlassen, so lange ich noch selbst darunter verweile, als um in das Haus Deines Gatten zu gehen. Versprach ich nicht Deiner verstorbenen Mutter, der Busenfreundin dieser Rosalinde, die nun Deine fleckenlose Unschuld antastet, Dich unter meiner Vormundschaft zu behalten, bis ich Dich einem würdigen Gatten übergeben.«

»Und Sie sind so gewissenhaft in der Erfüllung Ihrer Pflichten gegen diese unverbesserliche Mündel,« rief Rosalinde, mehr erschreckt durch ihres Gatten Drohung, als ihr Stolz ihr zu verrathen erlaubte, »daß Sie keinem Mann die Sorge für sie anvertrauen; auch erlaubt Miß Bouveries Gehorsam gegen die verstorbene Mutter ihr nicht, irgend einem caro sposo ihre Hand zu reichen, so vortheilhafte Gelegenheiten sich ihr auch dazu boten.«

»O, Mstrß. Falkland,« sagte Adelaide im zitternden Ton verwundeten Gefühls; »war es meine Schuld, daß meine treulose Cousine mir, während ich Friedrich in seiner Krankheit wartete, die Liebe des Mannes entwendete, den ich zu heirathen gesonnen war?«

»Nein, nein, gewiß nicht,« stammelte Rosalinde, von einem leisen Gefühl der Reue bei Friedrichs Erwähnung ergriffen, »aber warum alle andern Bewerber verwerfen? warum wird Lord Aberavon so wenig aufgemuntert?«

»Wenn meine Heirath im Stande ist, die Ruhe und den Frieden meines vortrefflichen Vormunds wieder herzustellen, verspreche ich, den ersten Mann anzunehmen, der sich mir darbietet.«

»Nein, Kind! Kein solches Versprechen, kein Opfer Deines Glücks für meinen Frieden, der doch auf immer verloren ist,« sagte Falkland. Dann fuhr er zu Rosalinden gewendet fort: »Da dieß wahrscheinlich die letzte Unterhaltung ist, die wir je mit einander führen, will ich Ihnen jetzt auch die oft wiederholte Frage beantworten: ›weshalb ich mich so abgeneigt zeigte, Adelaiden für irgend einen ihrer Bewerber zu bestimmen?‹ Es geschah nicht, wie Sie, Madame! meinten, aus gesetzwidriger Leidenschaft, sondern in Uebereinstimmung mit dem geheimen Wunsch ihres Onkels, der ihr Herz wo möglich für Montagu Bouverie aufbewahrt haben wollte.«

Adelaidens Sinne drohten sie bei diesen Worten zu verlassen, und mit kaum hörbarer Stimme sagte sie:

»Und würden Sie denn zugegeben haben, dass ich seinen Bruder heirathete?«

»Nimmermehr, Adelaide! nimmermehr, wenn mich Montagu nicht leider in meinen Hoffnungen getäuscht hätte, durch den Vorschlag, Dich mit seinem Bruder zu verbinden. Doch ehe wir dieses Capitel beschließen, beschwöre ich Dich noch, Dich nicht durch Dein großmüthiges Gefühl zu dem unzeitigen Heldenmuth verleiten zu lassen, mein eheliches Glück durch Deine Annahme von Lord Aberavons oder eines andern Mannes Hand wieder herstellen zu wollen, bis sechs Monate nach Monatagus Zurückkunft verlaufen sind. Leider muß ich mich zur Rechtfertigung Deiner gekränkten Unschuld zu einer Trennung entschließen. So lange ich in meinem eigenen Hause geblieben wäre, würde ich Dich unter keiner Bedingung von mir gelassen haben; aber von der Heimath vertrieben, übergebe ich Dich dem Schutze Mstrß. Aspenfields, bis Rosalinde – welche einst an die Treue des von ihr geliebten Mannes glaubte, und mit ihm die Sorge für das anvertraute Pfand theilte – von dem bösen Feind befreit ist, der jetzt ihr Wesen beherrscht.

Was meine Zukunft betrifft, so werde ich, nachdem ich meinen geliebten Kindern Lebewohl gesagt, sogleich nach London abgehen, wo ich eine diplomatische Anstellung zu erhalten hoffe, die mich von meinem Vaterlande entfernt. Schon öfterer sind mir in der letztern Zeit solche Stellen angetragen worden, die ich aber nicht angenommen, weil mich häusliches Glück in der Heimath festhielt. Jetzt ist es anders. Nun werde ich mich darum bemühen, und hoffe dadurch einen schicklichen Vorwand, mich von Frau und Kinder zu trennen, gefunden zu haben.

Sie, Mstrß. Falkland, lasse ich im ungestörten Besitz meines Hauses und Vermögens, und hoffe, daß Sie an Ihren Kindern die Pflichten erfüllen werden, auf welche ich, der schändliche, treulose. Gatte, keine Ansprüche machen darf. In der Priorie von Mordaunt können Sie einen kleinen Hof um sich versammeln, und Mstrß. Crow die Freude gewähren, die Früchte ihrer Rache zu ernten.«

Falkland stand auf, und die Hände von Mstrß. Aspenfield und Adelaiden zitternd ergreifend, fuhr er fort:

»Ich werde nun, als Adelaidens Bevollmächtigter, Mstrß. Crow dieses Schloß verbieten, und ihr die Folgen künftiger Verläumdungen ankündigen. Dann die nöthigsten Vorkehrungen zu meiner Reise treffen, und wenn ich, nach dem Abschied von meinen geliebten Kindern, noch im Stande bin, einen zweiten von meinem theuren Zögling zu ertragen, Sie beide noch einmal vor meiner Verbannung sehen. Wenn nicht, bleibt Dir mein Segen, Adelaide. Mit Ihnen, beste Mstrß. Aspenfield, werde ich einen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten. Vergeben Sie Ihrem Kinde, und trösten Sie es Sie mit mütterlicher Zärtlichkeit in den Unglücksfällen, die es selbst über sich hereingezogen.«

Nach diesen Worten entfernte sich Falkland schnell. Adelaide weinte im bittern Schmerz, während Mstrß. Aspenfield, obgleich selbst sehr ergriffen, nicht glaubte, daß Falkland den Muth haben würde, sein Vorhaben auszuführen. Unglücklicherweise war Rosalinde in demselben Wahn befangen.

»O, Rosalinde!« rief ihre betrübte Mutter, »kannst Du ihn gehen lassen, ohne einen Versuch ihn zu versöhnen zu machen?«

»Gewiß, Madame,« entgegnete Mstrß. Falkland mit Stolz. »Herr Falkland ist nun im Begriff, als ächter Don Quixotte darauf auszugehen, Miß Bouveries Unschuld zu verfechten, obgleich ich sie eben Beide im zärtlichsten tête à tête, mit einander gefunden.«

Adelaidens Thränen strömten unaufhaltsamer, und nur mit Mühe vermochte sie die bewußte Uebersetzung aus dem Schreibtisch zu nehmen und die Geschichte derselben, den Beweis ihrer Unschuld, zu erzählen. Aber auch dieß vermochte jene eben so wenig zur Vernunft zurückzubringen, als Mstrß. Aspenfields ernstliche und mütterliche Zuredungen. Sie dankte ihr kalt für die weisen Rathschläge, bedauerte, sie jedoch nicht befolgen zu können, indem sie Miß Bouveries Freundin nur als ihre Feindin betrachten könne. Und somit eilte sie ihrem Wagen zu, und kehrte allein in die Priorie zurück.

Händeringend beschwor Adelaide Mstrß. Aspenfield, sie von sich zu schicken, und durch diesen Schritt Rosalinden von ihrer schrecklichen Eifersucht zu befreien; aber die Mutter blieb stark, versicherte, sich nie durch ihrer Tochter halben Wahnsinn zu solcher Grausamkeit verleiten zu lassen, und bemühte sich, das tiefgekränkte Mädchen durch sanfte Trostworte aufzurichten.

Gegen Abend erschien Falkland in Reisekleidern. Adelaide erblaßte, und Mstrß. Aspenfield fragte erschrocken: »Ob er die Heimath wirklich verlassen wolle?«

»Ich muß,« entgegnete er mit unsicherm Ton. »Heftige Krankheiten erfordern starke Mittel. Ich habe Rosalinden wiedergesehen; aber nicht, wie ich gehofft. Mit bittrer Ironie sah sie meinen Vorbereitungen zu, erbot sich, mir zu helfen, und selbst als sie Zeuge meines schweren Kampfs beim Abschied von meinen vielgeliebten Kindern war, blieb sie ungerührt und verharrte auf ihrem Sinn.«

Unfähig seinen Schmerz zu unterdrücken, brach Falkland bei diesen Worten in Thränen aus.

Noch einmal wagte Adelaide die dringende Bitte, sie zu entfernen, Rosalinden den Gatten, den Kindern ihren Vater zu erhalten.

»Adelaide,« sagte Falkland, »und wenn Du in Nova Zembla wärst, würde Rosalinde in ihrer eifersüchtigen Stimmung einen andern Gegenstand finden, uns unglücklich zu machen. Ich muß fort, um ihre Radicalcur zu bewirken. Sie muß meine Entfernung schmerzlich fühlen, so wie ihr Unrecht, ehe zu erwarten ist, daß ihre Vernunft die Oberherrschaft über diese tolle Leidenschaft erlangt. Auch ist mein Vorsatz kein übereilter, durch erlittene Beleidigung beschleunigter, sondern schon seit längerer Zeit mit Lord Beechbrook reiflich überlegt. Diesen Ehrenmann habe ich in meiner Abwesenheit zu Deinem Vormund ernannt; an ihn werde ich schreiben, wie an unsre gütige Freundin hier, und Ihnen regelmäßig Nachricht von mir ertheilen. Und nun ein kurzes, aber herzliches Lebewohl.«

Er umarmte Mstrß. Aspenfield und Adelaiden, bat Letztere noch dringend, für ihre Gesundheit zu sorgen, und sprang dann in den wartenden Wagen, der ihn schnell ihren Blicken entzog.

Adelaide hatte versprochen, sich stark beim Abschied zu zeigen, obgleich Mstrß. Aspenfield ihn selbst noch nicht für möglich gehalten; und so wandte sie alle ihr zu Gebote stehende Kraft an, nicht dabei zu unterliegen.

 


Zweites Capitel.

Rosalinde hielt es nicht für möglich, daß Falkland sich von ihr, und von dem Gegenstand ihrer Eifersucht trennen konnte; und in diesem Wahn verspottete sie seine Drohung. Als aber die Nacht heranbrach, ohne ihn zu ihr zurückzuführen, regten sich Schaam und Reue in ihrem Innern. Doch strebte sie diese Gefühle zu verbergen; und mit anscheinender Ruhe begab sie sich in ihr Schlafzimmer; allein nicht um zu schlafen, sondern um am Fenster zu lauschen. Erst spät legte sie sich nieder, und schon nach wenigen Stunden stand sie wieder auf. Sie verschob den Besuch in der Kinderstube, fürchtend, in den Augen der Knaben, in den Blicken der Dienstboten einen Vorwurf zu lesen.

Das Frühstück blieb unberührt stehen; sie konnte keine Beschäftigung festhalten, und irrte wie ein ruheloser Geist in den weiten Gemächern umher. Nach Seaview zu gehen und sich vor ihrer Mutter und Adelaiden zu demüthigen, erlaubte ihr Stolz nicht; auch hoffte sie von der mütterlichen Zärtlichkeit, daß Mstrß. Aspenfield kommen würde. Aber diese kam nicht; und nur Lord Beechbrook ward gemeldet. Sie zitterte bei seinem Namen. Wußte er um das Geheimniß ihrer Eifersucht? Sein ernster Blick verrieth ihr seine Kenntniß derselben, und hierdurch ward ihr Gefühl noch mehr erbittert.

Nicht fähig, sich zu verstellen, bedauerte Se. Herrlichkeit sehr trocken, daß ihr Gatte durch die Krankheit eines Freundes so plötzlich von ihr gerufen, und fügte etwas freundlicher die Einladung hinzu, die Zeit seiner Abwesenheit bei Lady Beechbrook zuzubringen.

Sie dankte ihm mit kalter Apathie für sein Bedauern, wie für seine Einladung, welche sie höflichst ablehnte.

»Vielleicht bin ich glücklicher in meiner Bitte, daß Sie den heutigen Mittag bei uns zubringen, wo wir die Freude haben, Mstrß. Aspenfield und Miß Bouverie zu sehen?«

Auch diese Einladung schlug sie aus, weil sie wichtige Briefe zu schreiben habe.

In der Voraussetzung, daß diese Briefe an Falkland, ihre Mutter und Adelaiden waren, drang Lord Beechbrook nicht weiter in sie, und empfahl sich wieder …

»So bin ich denn in Beechbrook als eine eifersüchtige Närrin verdammt, und Miß Bouverie wird als die beleidigte Unschuld gefeiert!« rief Rosalinde im bittersten Gefühl. »Wohlan! es mag sein! Mein Gatte verläßt mich, meine Mutter beschützt das von mir angeklagte Mädchen, und meine treuesten Freunde begünstigen es. Von Allen, welche die Geschichte kennen, werde ich getadelt und verdammt werden; und von denen, die nichts von der Sache wissen, steht mir Verdacht und Argwohn bevor. Nun fehlt nur noch der Befehl, meine Kinder zu ihrer Großmutter zu bringen, so wäre alles verloren. Himmel! was soll ich thun?«

Was ihr zu thun oblag, unterblieb, weil Stolz und Eigensinn jedes bessere Gefühl in ihr überwältigten; und um sich selbst und der aufkeimenden Reue zu entgehen, faßte sie den unvernünftigen Entschluß, ihrer Cousine, Mstrß. Saville, welche sie seit Falklands bedeutendem Zuwachs des Vermögens aus Spekulation, um Adelaiden für einen von Savilles Brüdern zu erhalten, mit Einladungen bestürmt hatte, einen Besuch mit ihrem kleinen Danvers und seiner Wärterin zu machen.

»Nicht um Helenen zu meiner Vertrauten zu erwählen,« sagte sie zu sich selbst, »sondern nur, um üblen Gerüchten über Adelaidens Entfernung aus meinem Hause vorzubeugen, und Falklands Herz mit der Eifersucht zu erfüllen, von welcher ich so viel litt.«

Saville war lange ihr feuriger Liebhaber gewesen, und sein Haus diente zum Versammlungsort alles dessen, was auf seinen Ton Anspruch machte. Falkland sollte durch diesen Schritt die Unvorsichtigkeit, seine Frau in diesem Augenblick, wo sie Veranlassung zur Eifersucht gefunden, allein zu lassen, anschaulich gemacht werden.

Die Vorbereitungen zu dieser Reise wurden mit leidenschaftlicher Haft betrieben. Sie schrieb eine lakonische Epistel an ihren Gatten, ihm zu melden, wohin er seine Briefe zu richten, falls Geschäfte sein Schreiben erfordern sollten. Ein eben so kurzer Abschiedsbrief war für Lady Beechbrook bestimmt, und Mstrß. Aspenfield und ihre Freundin Miß Bouverie waren noch kärglicher bedacht; sie sollten nur eine Karte p. p. c. Abkürzung für: pour prendre congé (›um sich zu verabschieden‹), damals nicht nur in Frankreich übliche Formel in Briefen. erhalten.

Einen Augenblick schwankte sie noch in der Ausführung ihres gefährlichen Vorsatzes; da erschien Mstrß. Crow unter dem Vorwande, sich über Falklands Betragen am vorigen Tage zu beklagen, und goß frisches Oel auf die erlöschende Flamme ihres Zorns.

Sie flüchtete sich, nachdem Mstrß. Crow sie verlassen, in Adelaidens Zimmer, anfänglich mit dem Vorsatz, unter ihren Papieren nach neuen Beweisen ihrer Schuld zu suchen. Doch vor den Gedanken solcher Niedrigkeit zurückschreckend, warf sie sich weinend auf einen Stuhl. Da erblickten ihre Augen ein Blatt Papier, welches von Adelaidens Tisch herabgefallen, von dem aufräumenden Hausmädchen sorgfältig wieder hingelegt worden war. Ihre Hände griffen darnach. Es enthielt eine Zeichnung, Falklands Bild, sprechend ähnlich unfehlbar von Adelaiden, wie aus dem darunter stehenden Motto von ihrer Hand zu sehen. Das Bild war mit einem andern Portrait durch ein Herz verbunden gewesen, unter welchem das Motto stand: » Ich belebe Beide.« – Obgleich nun das andere Portrait davon abgeschnitten, war doch noch aus einem zurückgebliebenen Stück Schleier zu ersehen, daß es ein weibliches gewesen, also Adelaidens; und unter dem Schleier standen zur Bestätigung noch die Worte: A. H. Falkland, sculp.Er hatte sie gezeichnet, sie ihn; ein Herz belebte Beide.

Vergeblich waren nun alle Versuche der Vernunft, sich Gehör zu verschaffen. Von den fürchterlichsten Qualen der Eifersucht gefoltert, führte sie ihren Entschluß rasch aus; schickte die Briefe an Falkland, Lady Beechbrook und Friedrich ab, nebst einer Karte an ihre Mutter, und eilte dann nach Sussex zu Mstrß. Saville.

 

Wie Rosalinde beabsichtigt, verwundete sie das Gefühl ihres Gatten aufs Schmerzlichste durch ihre wenigen kalten Zeilen, erfüllte sein Herz jedoch nicht, wie sie gehofft, mit Eifersucht, da er von der Reinheit ihrer Grundsätze zu fest überzeugt war. Er sah nun, daß für den Augenblick keine Besserung zu erwarten sei, und nahm daher ungesäumt die sich ihm dargebotene Anstellung an. Alles war zur Abreise bereit; Falkland schiffte sich bald ein; doch erst im Augenblick der Abfahrt sandte er Rosalinden eine Antwort auf ihre lakonische Epistel zu, enthaltend in gleicher Kürze und mit gleicher Kälte, deren sie sich bedient, die Nachricht seiner Bestimmung, und des ungewissen Termins seiner Abwesenheit.

Der Gram, die Bestürzung und Verzweiflung Rosalindens, als sie diesen Brief erhielt, übertrafen alles früher Empfundene. Sie hätte zu Falklands Füßen fallen und ihn anflehen mögen, ihr seine Liebe und sein Vertrauen wieder zu schenken. Und doch beraubte sie sich selbst des einzigen Trosts, des ausführlichen Briefs ihres Gatten, der in Mstrß. Aspenfields Händen war; denn unfähig, zu ihrer Mutter zurückzukehren, in deren Nähe Adelaide lebte, ließ sie sich durch der schlauen Helene Schmeicheleien eine Woche nach der andern von ihrer Abreise nach Kent zurückhalten.

Herr Saville hatte seine Neigung zum Wohlleben ausgebildet, und alle Zärtlichkeit für Mstrß. Falkland war in seiner Neigung für die sinnlichen Freuden der Tafel untergegangen. Von ihm hatte sie also nichts zu befürchten, desto mehr aber von Andern; und sie stand blind an einem schrecklichen Abgrund, getäuscht durch die feinen Künste der listigen Helene.

Unterdessen verlebte die arme Adelaide ihre Tage in stiller Trauer, obgleich stets bemüht, Falklands Vorschriften zu befolgen, und ihre körperliche Schwäche durch Heiterkeit des Geistes aufzurichten. Des kleinen Friedrichs Erziehung war ihre liebste Beschäftigung, doch bedurfte es einer langen Zeit, bis sich seine Trauer über die Abwesenheit der Eltern verlor.

 

Zwei Monate waren jetzt seit Falklands Einschiffung verstrichen, als Adelaide einen Brief von Lady Ambrosia, von Lord Leyburns Hand überschrieben und aus Roscoville datirt, erhielt, welcher folgendermaßen lautete:

»Meine geliebte Adelaide!

Als einen schwachen Schatten der Vergütung meines Unrechts gegen Sie, ergreife ich freudig die Gelegenheit, Ihnen zuerst eine angenehme Nachricht zu verkünden.

Montagu, Graf von De Moreland, ist angekommen. Wie ärgerlich, daß er eine Grafschaft erlangt, während sein Bruder nicht einmal ein honorable zu seinem Namen bekömmt! –

Er kam viel früher hier an als er erwartet wurde, da er Malta auf Urlaub einige Wochen früher verlassen hatte, ehe der Brief mit der Nachricht von der Ermordung seines Onkels dorthin gelangte. So erfuhr er nichts, bis er gestern hier ankam, wo ihm die Schreckenskunde so unvorbereitet mitgetheilt wurde, daß er heftig erschrak und in einen beklagenswerthen Zustand gerieth. In Folge seiner zerrütteten Gesundheit hatte er Malta verlassen, und so war es wohl natürlich, daß er die Nachricht von der Ermordung seines Onkels nicht ertragen würde. Theodor rief gleich ärztliche Hülfe herbei, doch muß er immer noch das Bett hüten.

Das Testament des Onkels hat viel zu thun gegeben; denn das, was er kurz vor seiner Abreise den Händen seines Geschäftsführers, Herrn Coke, übergeben, ist diesem auf eine wunderbare Weise gestohlen worden. Mutter behauptet, es existire noch ein anderes Testament, welches sie gewiß in Kurzem finden würde; und hätte sie Montagus schnelle Ankunft ahnen können, würde sie schon eher darnach gesucht haben. Aber der Esel von Rechtsgelehrten sagt: es könne kein anderes Testament da sein, weil ihm der Lord versichert, das Verlorene sei das Einzige, das er seit seiner Erhebung in den Grafenstand gemacht; und deshalb falle, bis der letzte Wille gefunden, jeder Schilling des Nachlasses, den kleinen Theil ausgenommen, der zum Titel gehört, Ihnen zu.

Mutter ist krank geworden über Herrn Cokes impertinente Anspielungen, und der unverschämten Erwähnung ihrer illegitimen Geburt, die sie hinderte, Ansprüche auf eine Erbschaft zu machen, welche nur durch das Recht gesetzlicher Nachfolge zu erlangen sei.

Montagu hofft morgen so weit hergestellt zu sein, Herrn Falkland über den Verlust des Testaments zu schreiben, damit er für Sie handeln könne; und Leyburn hat mir eben gesagt, daß er Sie heirathen würde, wenn Sie das Vermögen bekommen sollten. Aber, liebste Adelaide, so sehr der Schein auch gegen mich sein mag, habe ich doch zu viel Freundschaft für Sie, um diese Verbindung zu genehmigen. Heirathen Sie Cyrus, und mit Freuden würde ich mich dann unterschreiben

Ihre

Sie zärtlich liebende Schwester
Ambrosia Bouverie

Adelaidens erstes Gefühl bei Durchlesung dieses Briefes war Entsetzen über die unvorbereitete Mittheilung der Todesart ihres geliebten Onkels; und erst als sie ihren Schmerz durch Thränen Luft gemacht, konnte sie der andern Nachrichten gedenken. Montagu krank, und kein Falkland in England, ihn zu heilen! Ein fürchterlicher, trostloser Gedanke! Sie suchte Mstrß. Aspenfield auf, ihr Ambrosias Brief vorzulesen, als Lord Beechbrook gemeldet wurde.

Nachdem er seine Theilnahme über das unglückliche Geschick Lord De Morelands ausgesprochen, bat er die Damen, ihren Aufenthalt auf einige Tage in Beechbrook zu nehmen, da er nun als Miß Bouveries Vormund genöthigt sein würde, manche Schritte zu thun, bei welchen er ihres Raths bedürfe.

Mstrß. Aspenfield versprach, sich den folgenden Tag mit Adelaiden und dem kleinen Friedrich einzustellen, und mit dieser Zusicherung schied Lord Beechbrook.

Adelaide, nicht wissend, wenn sie von dort zurückkehren würde, beschloß vorher einen Besuch ins Schloß zu machen, und nochmals den Befehl einzuschärfen, Mstrß. Crow unter keiner Bedingung den Eintritt zu gestatten. Als sie an das hohe Portal kam, bedauerte sie, in der letztern Zeit so wenig dort gewesen zu sein, denn sie fand den Pförtner betrunken in seinem Armstuhl liegen, den Thorweg der Sorge eines Knaben, seines Enkels, überlassen, von welchem sie auf ihre Fragen nach der Haushälterin erfuhr, daß diese sowohl wie der Verwalter zu Thee und Spiel zu Mstrß. Crow gegangen wären.

Bestürzt über diese gefährliche Vertraulichkeit, sandte Adelaide ihre getreue Norah an die Gärtnersleute, Nachrichten einzuziehen, während sie sich selbst in die Bibliothek verfügte. Hier suchte ihr Blick gleich das Bild ihres Onkels, welches, vor Staub zu bewahren, mit einem Vorhang bedeckt war. Rasch zog sie eine Leiter hin und stieg hinauf; doch kaum hatte sie die verdeckende Hülle weggezogen, als die Erinnerung des schrecklichen Schicksals ihres theuren Verwandten sie zu mächtig erfaßte, und sie in einen Strom von Klagen und Thränen ausbrach.

Da rauschte etwas hinter ihr; sie sah sich um und erblickte einen Mann in ungarischer Uniform. Entsetzt über diese unerwartete Störung, stieg sie von der Leiter und wollte eben in das anstoßende Gemach entfliehen, als sich die Arme des Fremden öffneten, und sie mit einem lauten Schrei der Freude an die Brust ihres gerührten Onkels fiel.

»Mein liebes, theures Kind!« sagte der Lord, sie zärtlich an sein Herz drückend, »laß Dich durch meine geisterhafte Erscheinung nicht erschrecken, und bedenke, daß die Anstrengung und Angst meiner Flucht mich in diesen Zustand verseht. Aber ich baue auf die Hülfe Deines Vormunds, dessen Mittel so wohlthätig auf mich gewirkt, daß ich mich selbst im Gefängniß wohler befunden habe wie sonst. Jetzt aber bedarf ich nur einer erwärmenden Tasse Thee, und eines ruhigen Nachtschlafs, um morgen so weit gestärkt zu sein, nach Roscoville reisen zu können.«

Er erzählte nun, daß er, eben angekommen, Niemand gefunden als den betrunkenen Pförtner und dessen Enkel, weshalb er den Gärtner Donald aufgesucht. Aus den versiegelten Papieren hatte er geschlossen, daß die Treue des Verwalters und der Haushälterin in Zweifel gezogen; und um diesen Werkzeugen seiner habsüchtigen Schwester die Gelegenheit zu benehmen, seine Ankunft nach Roscoville zu melden, war dem Gärtner strenge Verschwiegenheit auferlegt worden.

»Morgen sollst Du mich nach Roscoville begleiten, da ich mich unmöglich dazu entschließen kann, Dich nach einer so langen Trennung gleich wieder zu verlassen,« sagte der Lord; »und wenn mich Mstrß. Aspenfield diese Nacht bei sich aufnehmen will, so möchte ich gern ihre Gastfreiheit in Anspruch nehmen. Von Donald erfuhr ich, daß Du jetzt bei ihr wohnst, und daß Falkland abwesend ist.«

Jetzt kam Norah Obearn mit dem Thee; ihr freudestrahlendes Gesicht verkündete, welchen Antheil sie an der Rückkehr des Lords genommen, über dessen vermeintlichen Tod sie Adelaidens Kummer gesehen.

»Finden Ew. Herrlichkeit nicht, daß Miß Bouverie sehr gewachsen ist?« sagte sie, innerlich triumphirend über ihres Pfleglings körperliches Gedeihen. »Und jetzt hat sie nicht einmal ihre guten Tage, was auch ganz natürlich ist nach dem, was sie seit dem August erlitten.«

»Was hat mein Kind erlitten?« rief der Lord voll Entsetzen.

»Nichts, durchaus nichts Wichtiges,« entgegnete Adelaide schnell. »Wenn wir einmal von nichts Anderem zu sprechen wissen, will ich Ihnen erzählen, was Norah meint. Jetzt aber werde ich sie, mit Ihrer Erlaubniß, zu Mstrß. Aspenfield schicken, unsere Ankunft zu melden.«

Da Lord De Moreland bemerkte, daß Adelaide ihm zu verbergen strebte, worauf Norah angespielt, enthielt er sich aller weitern Fragen, und hoffte durch Mstrß. Aspenfield das Nöthige zu erfahren. Diese ließ sogleich ihre Bereitwilligkeit, den unerwarteten Gast bei sich aufzunehmen, zurückmelden, und so begaben sich Onkel und Nichte in ihre Wohnung, wo ihnen die freundlichste, herzlichste Aufnahme zu Theil wurde.

Im Lauf des Abends theilte der Lord seinen aufmerksamen Zuhörerinnen die Begebenheiten seiner Flucht aus dem Gefängniß, Tags vor der Vollstreckung des Todesurtheils, mit. Dadurch, daß er den getreuen Baronello am Ort des Rendezvous verfehlte, entstand das Gerücht, daß er seinen Tod noch vor der Exekution gefunden. Mordaunts Agenten verdankte er allein seine wunderbare Rettung.

Ihre schnell abgelegte Trauer mit einer andern passenden Kleidung für Roscoville zu vertauschen, eilte Adelaide nun hinaus, ihre Einrichtung zur Reise zu treffen, und diese Zeit benutzte Lord De Moreland, sich von Mstrß. Aspenfield Erklärungen über Norahs Winke zu erbitten. Sie erzählte ihm alle Umstände in Betreff Theodors und Lady Ambrosias; konnte sich jedoch nicht entschließen, ihrer Tochter Vergehungen zu bekennen; und erwähnte daher nur, daß Falklands Annahme einer diplomatischen Anstellung und die Nachricht von Sr. Herrlichkeit Tod, Adelaiden viel Kummer verursacht habe.

Lord De Moreland äußerte seinen lebhaften Unwillen über das unredliche Benehmen Theodors und Lady Ambrosias, und tadelte auch Falkland, seine Beistimmung zu Adelaidens Verbindung mit Theodor gegeben zu haben, bis Mstrß. Aspenfield ihm gestand, daß Montagu die Haupttriebfeder dieser Verbindung gewesen.

Sobald der Lord erfahren, daß die verrätherische Ambrosia mit ihrem Gatten in Roscoville sei, wollte er Adelaiden das unangenehme Gefühl, diesem Paar dort zu begegnen, ersparen. Aber so sehr sie auch gewünscht hätte, einem Zusammentreffen mit Montagu zu entgehen, was ihr nach Falklands Geständniß des Wunsches ihres Onkels höchst peinlich war, überwand sie doch ihre Abneigung, weil er sich Freude von ihrer Begleitung versprochen hatte, und drang in ihn, sie mitzunehmen. Noch an demselben Abend schrieb Lord De Moreland an Lord Beechbrook, ihm als einstweiligen Vormund seiner Nichte für die ihr bewiesene Güte zu danken, und ihn zu bitten, sie von ihrem Besuch in Beechbrook zu dispensiren.

Als Adelaide sich mit Mstrß. Aspenfield allein sah, bat sie dieselbe, ihrem theuren Vormund die Wiederkehr des Onkels zu melden und beschwor sie dann mit Thränen, auch Mstrß. Falkland diese frohe Nachricht zu schreiben, über welche sie sich gewiß freuen würde.

Widerstrebend bewilligte Mstrß. Aspenfield endlich ihre Bitte, an die pflichtvergessene Tochter zu schreiben und gestand Adelaiden zugleich, daß ihr mütterliches Gefühl sie abgehalten, dem Lord Rosalindens Betragen mitzutheilen. »Jetzt aber fühle ich,« fuhr sie fort, »daß ich Ihrer Unschuld dieses Bekenntniß schuldig bin, und morgen früh will ich ihm alles entdecken.«

Adelaide flehte sie an, dieses Geständniß noch zurückzuhalten, da sich noch alles freundlich lösen könne, und die bekümmerte Mutter versprach dagegen zu sprechen, sobald es nöthig sein würde.

Früh am andern Morgen erschien Lord Beechbrook, des Lords Brief in Person zu beantworten; und da Sr. Herrlichkeit nicht wünschte, seine wunderbare Errettung vom Tode und aus einem französischen Gefängniß bekannt gemacht zu sehen, so lange noch in Kent verweilte, übernahm Lord Beechbrook das Geschäft, den Rechtsgelehrten Gabble, den Verwalter, die Haushälterin und alle diejenigen, welche der ehrliche Donald als einverstanden mit Mstrß. Crow bezeichnet, Ihrer Dienste zu entlassen, und die nöthigen Anstalten, getreuere Leute an ihre Stelle zu erwählen, zu treffen.

 


Drittes Capitel.

Als die Reisenden sich Roscoville näherten, wurden Adelaidens Besorgnisse, wie der arme kranke Montagu die freudige Ueberraschung, den Todtgeglaubten wieder zu sehen, ertragen würde so groß, daß sie sie ihrem Onkel mittheilte.

»Unsere Gedanken begegnen sich,« sagte Lord De Moreland; »ich war eben im Begriff, Dir den Vorschlag zu machen, in M. bei meinem Geschäftsführer anzuhalten, und durch diesen Montagu vorbereiten zu lassen.«

Herr Coke war nicht zu Hause; da er jedoch bald zurück erwartet wurde, traten sie hinein, und kaum hatten sie das Zimmer erreicht, als sie Montagu und Theodor Bouverie vorfahren sahen. Ersterer fragte nach Herrn Coke. Indem erblickte er Dennis, und rief ihn herbei.

»Ich glaubte mich zu irren,« sagte er, »weil ich den lahmen Dennis auf zwei schmucken Beinen gehen sah; aber Ihr seid es wirklich.«

»Ja, ich bin es,« erwiederte der treue Diener, »und dieses zweite Bein verdanke ich, wie alles Gute, meiner vielgeliebten Miß, die mich nicht wollte auslachen lassen von den Londoner Bedienten in Seaview.«

»Liebe Adelaide!« rief Montagu unwillkührlich aus; »wo ist sie?«

Dennis erzählte nun, daß sie sich in Herrn Cokes Hause befinde, mit wem aber? dürfe er nicht verrathen. Bouverie erröthete bei dieser Nachricht, und wollte eben wieder einsteigen; doch Dennis war schon hineingeeilt, ihn zu melden und führte ihn nun der zitternden Adelaide entgegen.

Sie hatte die Hand ausgestreckt, den Jugendfreund zu begrüßen, er die Arme geöffnet, sie wie sonst an sein Herz zu schließen. Beide blieben erstaunt vor einander stehen. Der Anblick des blassen, leidenden, sonst so blühenden Montagu betrübte sie, während er sich nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, das Mädchen, daß er als Kind verlassen, zur blühenden Jungfrau herangereift zu sehen, ganz anders wie sie ihm sein Bruder, wahrscheinlich zu seiner eigenen Entschuldigung, geschildert hatte.

»Ach, Herr Bouverie!« rief sie traurig, »wie krank sind Sie gewesen? Hat der Gram um meinen lieben Onkel Sie so sehr angegriffen?«

Ein hohes Roth überflog die blassen Wangen Montagus; er schloß sie wie ein zärtlicher Bruder in seine Arme, und strebte einen tiefen Seufzer zu unterdrücken.

Adelaide entzog sich verlegen seiner Umarmung, und wies ihm einen Platz neben sich an. Eben begann er nach Falklands zu fragen, als sie ihn ängstlich mit der Frage unterbrach: »Warum Herr Theodor Bouverie seiner neuen Cousine das Vergnügen versagte, ihm zu seiner Verheirathung und der glücklichen Rückkehr seines Bruders zu gratuliren?«

Montagu entschuldigte sein Nichterscheinen durch Dennis geheimnißvolles Verschweigen ihres Reisegefährten, versprach jedoch, ihn gleich herbeizurufen und wiederholte nun seine Frage nach Falkland, auf dessen ärztliche Kunst, so wie auf Adelaidens wohlthuenden Umgang in Seaview er seine ganze Hoffnung auf Wiederherstellung gesetzt hätte. Zögernd berichtete sie, daß ihr Vormund eine Anstellung angenommen, die ihn weit weggeführt; und da Bouverie Falklands Liebe zu Frau und Kind kannte, war es ihm nicht möglich, sein Erstaunen über dessen Entschluß zu verbergen. In diesem Augenblick trat Theodor herein, und befreite Adelaiden, wenigstens für den Augenblick, von der Pein seine fernern Fragen beantworten zu müssen.

Sie trat ihm mit möglichster Unbefangenheit entgegen, wünschte ihm mit vieler Anmuth zu der doppelten Veranlassung Glück, und erkundigte sich dann nach Ambrosia, die sie in den nächsten Tagen in Roscoville zu sehen hoffte.

»In Roscoville!« rief Montagu mit allen Zeichen der lebhaftesten Freude aufspringend. »Dann lebt auch mein theurer, unvergeßlicher Freund, Ihr Onkel, Lord De Moreland. O, geliebte Adelaide! erhalten Sie mich nicht länger in dieser peinlichen Ungewißheit.«

»Wir haben Hoffnung, daß er uns wiedergeschenkt ist,« sagte sie mit bewegter Stimme. Unterdessen war der Lord, welcher im Nebenzimmer alles mit angehört, in die Thüre getreten und empfing Montagu in seinen Armen.

Diese Spazierfahrt war der erste Versuch nach seiner Krankheit gewesen, sich zur Reise nach Seaview vorzubereiten.

»Und dorthin wollen wir so bald wie möglich gehen,« entgegnete Sr. Herrlichkeit. »Ich werde meine Geschäfte in Roscoville hoffentlich schnell beenden können, und dann hindert mich nichts, dem Orte zuzueilen, wo Sie Heil für Ihre Gesundheit erwarten.«

»Nein, Mylord, nein! übereilen Sie sich nicht. Bedenken Sie, daß Falkland abwesend ist; und mit Ihnen, Adelaiden und meinem Bruder werde ich den Aufenthalt in Roscoville auch sehr zuträglich für mich finden.«

Theodor Bouverie hatte den Lord vorher noch nie gesehen und befand sich jetzt, da Montagu im Uebermaaß seiner Freude vergessen, ihn vorzustellen, ihm gegenüber in großer Verlegenheit, da er im Gefühl seiner Schuld nicht wagte, sich bei dem Onkel seiner Frau selbst einzuführen. Die stets aufmerksame Adelaide bemerkte auch jetzt seine peinliche Lage und erinnerte Montagu an die unterlassene Pflicht, worauf er ihn Sr. Herrlichkeit vorstellte, von dem er höflich, aber kalt aufgenommen wurde. Theodor bat um Erlaubniß, vorauf eilen und seiner kranken Schwiegermutter die frohe Botschaft vorsichtig mittheilen zu dürfen, den Folgen der Ueberraschung vorzubeugen, wogegen Lord De Moreland nichts einzuwenden hatte, wenn ihm Montagus Gesellschaft bliebe.

Durch den Verlust des Schlüssels und Herrn Cokes bestimmter Versicherung der Nichtexistenz eines andern, als des verlornen Testaments in allen ihren Erwartungen betrogen, war die früher so ersehnte Nachricht des Todes ihres Bruders eine Schreckensbotschaft für Lady Leyburn geworden. Sie sah nun die goldne Ernte, nach welcher sie viele Jahre lang getrachtet, bedroht, von dem verhaßten Kinde des immer noch verhaßten Bruders und seiner Ellen in Beschlag genommen zu sehen, und diese Aussicht hatte sie aufs Krankenlager geworfen. Sehr natürlich also, daß Theodors Bericht vom Leben Lord De Morelands und seiner baldigen Ankunft sie mit neuen Hoffnungen erfüllte, und schnell gesund machte. Jetzt war es doch noch möglich, den goldnen Schlüssel zu erreichen und den geheimen Verschlag zu finden. Sie konnte nun hoffen, wenigstens die Hälfte des Ertrags der Schulden ihres verstorbenen Großvaters, die seinen Gläubigern als gewiß zugesagt waren, zu erhalten, und im Besitz der Abtei Roscoville zu bleiben, bis alle ihre Pläne und Entwürfe reif zur Ausführung geworden. Von diesen Gedanken beseelt, verließ sie das Bett, die nöthigen Vorkehrungen zum Empfang ihres Bruders zu machen, und sich mit dem feilen Genossen ihrer Laster, Herrn Blackthorn, zu berathen, der, vom Augenblick ihrer verlornen Aussicht auf Reichthum, die Maske der Zärtlichkeit abgeworfen und ein strenger Tyrann geworden war, jetzt aber dafür wieder sich als glühender Liebhaber zeigte.

Ihre erste Vorsichtsmaaßregel war nun, alle diejenigen aus Roscoville zu entfernen, deren Anblick ihrem Bruder Aergerniß geben könnte. Vor allen Herrn Daniel Blackthorn und dessen Freunde und Verwandte, indem Ersterer sich ein Betragen angemaßt, welches Lord De Moreland zu Erkundigungen verleiten könnte, die nicht zu Lady Seraphinens Ehre und Klugheit ausfallen würden. Doch so sehr auch der Vater selbst die Entfernung des Sohnes wünschte, hatte er nicht Einfluß genug, Ihrer Herrlichkeit Bitte zu unterstützen, und Herr Daniel blieb. Denn da sich aus dem gestohlenen, in seinen Händen befindlichen Testaments ergeben, daß Lady Seraphine keine Aussicht auf Vermögen zu erwarten hatte, er ihrer ohnehin auch überdrüßig geworden war, während die nun ankommende Miß Bouverie die Erbin des großen Reichthums werden würde, hatten sich neue Pläne in seinem Kopf gebildet, zu deren Ausführung er nothwendig das Feld behaupten mußte.

Lord De Moreland langte an, ehe Lady Leyburn noch ihre Toilette gemacht, so daß sie ihn nicht selbst empfangen konnte; aber ihre Kinder waren angewiesen, ihn mit den größten Freudensbezeigungen zu begrüßen, und Lady Ambrosia ging ihrer Cousine mit einer Unbefangenheit entgegen, die einen Jeden, der nicht mit der Schule, bekannt, worin sie aufgewachsen, in das höchste Erstaunen versetzen mußte; doch so freundlich und vergebend Adelaidens Sinn auch war, hatte sie indeß Festigkeit genug, einen Unterschied zu machen, und so fiel denn der Empfang von ihrer Seite nicht ganz Ambrosias Erwartungen gemäß aus.

Seraphine und Cölestine begrüßten ihre reizende Cousine, auf Befehl der Mutter, mit großer Herzlichkeit; und Lord Leyburn, dem sein Orakel, Daniel Blackthorn, mit einem Schwur versicherte, ›daß der Mann, dem Adelaide zu Theil fiele, in jeder Hinsicht zu beneiden sei,‹ mit zudringlicher Höflichkeit.

Da noch keine Zimmer für sie bereit waren, ließ sich Lady Ambrosia die Freude nicht nehmen, einstweilen die ihrigen mit ihrer liebenswürdigen Cousine zu theilen, und bezeigte sich überhaupt so freundschaftlich und zuvorkommend gegen sie, daß Niemand an der Wahrheit ihrer Gesinnungen zweifelte. Mancherlei geheime Gründe bestimmten sie zu diesem Benehmen. Erstlich hatten sich bei Adelaidens herrlich entwickelter Schönheit Besorgnisse wegen Theodors möglichem Wankelmuth in ihr geregt, die sie am besten dadurch zu zerstreuen dachte, daß sie der Nebenbuhlerin Verzeihung zu erlangen sich bestrebte; denn daß diese alsdann alles thun würde, Ambrosias Vorzüge ins rechte Licht zu setzen, und Theodors Neigung für sie fester zu begründen, konnte sie von Adelaidens Gutmüthigkeit erwarten. Zweitens liebte sie sie wirklich, so sehr es die Rivalität ihrer unbegränzten Eitelkeit gestattete und sie fühlte sich nicht glücklich, so lange Adelaide ihr ihre Achtung entzog.

»O, Adelaide!« rief sie aus, als sie sich allein sahen, »Ihr Brief gab mir die Versicherung, daß Sie mir vergeben hatten, Ihnen Theodors Herz entrissen zu haben, und nun sehe ich doch, daß ich Ihre Liebe und Achtung verloren.«

Adelaide suchte sie hierüber zu, beruhigen, versicherte, der frühern Schuld, nicht mehr zu gedenken, verhehlte ihr aber auch zugleich nicht, wie empört sie über ihren letzten Brief und ihr Benehmen gegen Walton gewesen, welches sie nothwendig in ihrer eigenen Achtung, so wie in Theodors Augen und Herzen herabsehen müsse.

Ambrosias leichter Sinn hatte keine Uebertretung der Pflicht in ihrer Vertraulichkeit mit dem elenden Walton gesehen, und sie rühmte sich, ihn von dem Augenblick an gemieden zu haben, wo Theodor Eifersucht gezeigt. »Und wie leicht er hierzu geneigt ist,« fuhr sie fort, »können Sie daraus ersehen, daß er sogar eifersüchtig auf meine Familie ist, jedes Mittel ergreift, die geheimen Unterredungen mit meiner Mutter zu unterbrechen, und täglich in mich dringt, Roscoville zu verlassen, und mich Zeit meines Lebens mit ihm in ein kleines Häuschen zu begraben, das er unglücklicherweise in New Forest besitzt. Ich bin überzeugt, er wird auch schrecklich eifersüchtig auf Sie sein. Und dabei ist er ein Geizhals, erzählt immer, wie wir uns in unserer Hütte einschränken wollen, und hat mir, seit wir verheirathet sind, nicht mehr als lumpige hundert Pfund geschenkt. Dazu haßt er London, phantasirt von den Freuden eines ländlichen Aufenthalts, von häuslichen Beschäftigungen (wahrscheinlich Buttern und Spinnen), von Vorlesen in den langen Winterabenden, und spricht mit Verachtung von Tanz und Kartenspiel! Hätte ich solche Eigenschaften in ihm voraussehen können, würde ich meine aufkeimende Neigung zu unterdrücken gesucht, und auf Lord Aberavons Antrag gewartet haben.«

Adelaide entsetzte sich über diese frühe Aussicht zerstörten Lebensglücks, beschwor ihre Cousine, Theodors Wunsch zu erfüllen, und sobald als möglich Roscoville mit ihm zu verlassen.

 


Viertes Capitel.

Obgleich Lady Leyburns Freude, ihren Bruder wieder zu sehen, dieses Mal unerkünstelt war, konnte er ihr doch nicht vertrauen; und Blackthorn und seines Sohnes Gegenwart empörte ihn so sehr, daß er beschloß, seine Angelegenheiten in Roscoville möglichst schnell zu ordnen. Vor seiner Abreise wollte er Lady Leyburn für ihre Lebenszeit mit einem ihm gehörenden Jagdsitz in Norfolk beschenken, welcher nach ihrem Tode Cyrus anheimfallen, und wohin sie sich augenblicklich begeben sollte. Diese Sachen schneller zu Stande zu bringen, sandte er einen Boten an Herrn Coke, und ließ dann den armen Baronello seine Existenz wissen.

Während des Mittagsessens und dem Rest des Tages hatte Adelaide viel von Herrn Daniel Blackthorns und Lord Leyburns zudringlichen Höflichkeiten zu erdulden, während Ambrosia sich mit Montagu Bouverie zu ihrer, Hülfe vereinigte, und Theodor nur selten wagte, sich ihr schüchtern zu nähern und Theil an der lebhaften Unterhaltung seiner Frau zu nehmen.

Am andern Morgen, ehe noch Adelaide zum Frühstück zu ihrem Onkel gegangen, kam Lady Ambrosia athemlos in ihr Zimmer gestürzt, eine Banknote von funfzig Pfund in der Hand.

»Sehen Sie!« rief sie, »was mir Theodor so eben gegeben hat, mich neu zu kleiden, nun ich die Trauer ablege; und statt eifersüchtig auf Sie zu sein, hat er gesagt, daß Ihre Freundschaft mir ehrenvoller wäre, als alle Titel der Welt, und mir größern Vortheil bringen würde, als alle Schätze Golkondas. Nachdem ich ihn lange vergebens um diese Summe geplagt, die er mir unter dem Vorwand nur über 800 Pfund disponiren zu können, seit er mit Clydes zerfallen, immer abgeschlagen, schenkt er mir sie jetzt ungefordert. Nun rathen Sie mir nur, liebe Adelaide, was ich mir dafür kaufen soll?«

»Was Sie so nöthig brauchen, daß Sie Ihren Mann quälten, Ihnen Geld dazu zu geben.«

»Ja, das ist nun eben nichts Bestimmtes, da ich nicht in der Stadt bin, wo man stets Bedürfnisse hat und was Neues sieht. Auch hat mich Ihre Güte vor meiner Verheirathung so reichlich ausgestattet, und Theodors hundert Pfund und der Mutter schöne Geschenke alle Lücken so gänzlich ausgefüllt, daß ich eigentlich nicht weiß, wozu ich das Geld anwenden soll, wenn es nicht wäre, mir solch ein Halsband zu kaufen, wie Sie eins trugen, als wir uns den letzten Tag in Beechbrook sahen. Aber ich möchte noch etwas Anderes, was mich in Theodors Augen noch liebenswürdiger machte. Rathen Sie mir, liebste Adelaide!«

»Wenn das wirklich Ihre Absicht ist, so kaufen Sie ihm das Pferd, was er gestern beklagte, sich nicht anschaffen zu können, weil der Besitzer es nicht unter funfzig Guineen ablassen will.«

Ambrosia zauderte, und entgegnete dann: »Aber es handelt sich um Guineen, und ich habe nur so viel Pfunde.«

»Schreiben Sie dem Officier, daß Sie Ihren Mann mit dem Geschenk zu überraschen wünschten, jedoch nicht mehr anzuwenden hätten; und ich wette, diese Kleinigkeit wird kein Hinderniß sein.«

»Wollen Sie den Brief für mich schreiben?«

»Wenn Sie ihn kopiren wollen, gern.«

So geschah es; und obgleich Lady Ambrosia sich sehr gehoben fühlte, durch die Idee in ihres Mannes Achtung zu steigen, bedauerte sie doch, die funfzig Pfund entbehren zu müssen, ihre schöne Person damit zu schmücken.

Adelaide frühstückte allein mit ihrem Onkel, da Montagu noch zu schwach war, an diesem frühen Mahl Theil zu nehmen; und Lord De Moreland sprach sich unverholen gegen sie über seinen Verdacht in Bezug auf Lady Leyburn aus und äußerte seinen Vorsatz, das geheimnißvoll verschwundene Testament sogleich wieder zu ersetzen.

Adelaide wagte bei dieser Gelegenheit eine Fürbitte für Ambrosia einzulegen, da Theodor Bouverie durch Lord Clydes verlorene Gunst auf ein geringeres jährliches Einkommen beschränkt wäre, und sie selbst nicht wüßte, dem jungen Paar auf eine delikate Weise eine reelle Unterstützung zukommen zu lassen.

»Desto besser, mein liebes, großmüthiges Kind!« rief der Lord. »Ich will auch nicht, daß solcher Leichtsinn durch Deinen Edelmuth befördert wird. Eingedenk, daß Ambrosia früher Dein Schützling war, will ich Dir eine Anweisung an meinen Banquier geben, die Dir gestattet, sie nachträglich mit einem Hochzeitsgeschenk zu überraschen, würdig der Erbin Lord De Morelands. Uebrigens aber verlange ich, daß Du sie sonst ihrem Schicksal überläßt.«

Ehe noch Adelaide ihrem Onkel für seine Güte danken konnte, trat Montagu herein und setzte sich neben sie.

Der Lord bemerkte, daß sich sein Ansehen seit gestern sehr verbessert habe, worauf Montagu mit einem unterdrückten Seufzer erwiederte: »O, ich befinde mich auch viel besser. Ich wußte, daß ich wohl sein würde, sobald ich die verderbliche Luft von Malta nicht mehr athmete.«

»Und nun wartete Ihrem guten Herzens bei Ihrer Zurückkunft in England die Nachricht, daß Sie die Pairswürde erlangt –«

»Worüber ich mich so erschrak und betrübte, daß mein Uebel zunahm,« entgegnete Bouverie. »Aber ich hoffe, Ihre Geschäfte werden Sie nicht gar zu lange hier festhalten, und dann gehen wir zusammen nach Schloß De Moreland – nicht wahr, Mylord! Adelaide wird Sie dorthin begleiten?«

Diese Frage jagte eine Purpurröthe auf Adelaidens Wangen, und der Wiederschein glänzte plötzlich auf Montagus Gesicht. In demselben Augenblick kam Dennis zornentbrannt hereingestürzt, ein schmutziges Blatt Papier in der Hand, über dessen Bestimmung oder Zusammenhang seine Zuhörer anfänglich nicht recht ins Reine kommen konnten. Endlich ergab sich, daß er, um sich bessere Schuhschwärze für den Liebling zu verschaffen, als man hier im Hause hatte, sich an den Kaufmann im nächsten Dorf gewendet, und sie daselbst in dieses Papier eingewickelt bekommen, welches die Hausmägde wahrscheinlich als Makulatur verkauft hatten. Dennis wollte Sr. Herrlichkeit nicht gestatten, das schmutzige Blatt selbst anzufassen, und hielt es ihm also in ehrerbietiger Entfernung hin. Es war ein Stückchen Brief von Mstrß. Crow an Lady Leyburn und lautete wie folgt:

»Mylady!

Es betrübt mich, Ihrer Herrlichkeit melden zu müssen, daß, nachdem es mir so wohl gelungen, die einfältige Mstrß. Falkland zur wüthendsten Eifersucht gegen ihren Mann und dessen Mündel anzufachen, Ihr Wunsch dennoch nicht erfüllt werden kann. Denn anstatt die verdächtig gemachte Miß Bouverie in Angst zu jagen, und sie so weit zu bringen, den ersten besten Antrag anzunehmen, ist Falkland im Zorn von seiner Frau geschieden, aus Furcht, seiner Mündel Ruf durch sein Bleiben zu schaden, und wie ich höre, um im Auslande als Arzt zu praktisiren. Obgleich Ihre Herrlichkeit nun den Mann auf eine gute Weise losgeworden sind, der Ihnen bei Ihren mütterlichen Absichten hinsichtlich ihrer Nichte stets im Wege gewesen sein würde, hat er uns doch ein neues Hinderniß entgegengestellt dadurch, daß er Lord Beechbrook an seiner Statt zum Vormund ernannt, der zu denen gehört, die man nicht leicht überlistet. Auch hat er verordnet, daß Miß Bouverie während seiner Abwesenheit bei Mstrß. Falklands Mutter wohnen soll, die eine so listige Ratte ist, und so geeignet, ihr Schutz zu gewähren, daß ich in Zukunft keinen Schaden mehr durch mein Gift anzurichten hoffen darf, und daß ich nicht im Stande sein werde, sie zu vermögen, Ihre Herrlichkeit – – –«

»Teuflisches Gesindel!« rief Montagu, im heftigsten Zorn.

»Adelaide,« sagte der Lord bewegt, »enthält dieses elende Fragment eine getreue Chronik der letzten Begebenheiten?«

»O, vergeben Sie mir, mein theurer Onkel, daß ich Ihnen einen Theil des kürzlich erlebten Leidens verhehlte,« rief sie in Thränen ausbrechend. »Aber, obgleich ich von Mstrß. Aspenfield aufgefordert wurde, Ihnen Alles zu erzählen, konnte ich es doch nicht über mich vermögen, Mstrß. Falkland in Ihrer Achtung herabzusetzen, und Lord Beechbrook mißbilligte mein Schweigen nicht.«

»Ich aber mißbillige es; solch einen Angriff auf Deine Ehre hättest Du mir nicht verheimlichen sollen, mein armes, gekränktes Kind,« sagte Se. Herrlichkeit, sie zärtlich an sein Herz drückend. Dann lobte er Dennis wegen seines klugen, vorsichtigen Benehmens, gab ihm einige Goldstücke, um sich wo möglich dafür die andre Hälfte des teuflischen Briefs mit Unterschrift und Aufschrift zu verschaffen, und empfahl ihm tiefes Stillschweigen über die Sache.

Der treue Diener versprach das Geheimniß des Lieblings mit sich sterben zu lassen, es selbst vor Norah geheim zu halten, wie seine seit 17 Jahren für sie empfundene Liebe, die erst laut werden sollte, wenn Miß Adelaide geheirathet.

Adelaide mußte nun, nachdem Dennis das Zimmer verlassen, einen ausführlichen Bericht alles dessen, worauf der Brief anspielte, geben.

»Himmlisches Geschöpf!« rief Montagu mit Begeisterung, »und nach solcher Behandlung, nach diesem barbarischen Versuch, Ihren Ruf, Ihre Ehre zu morden, konnten Sie noch so viel Rücksichten nehmen, eine so zarte Schonung für Mstrß. Falkland äußern?«

»Ich gedachte ihrer frühern Güte gegen mich; wie sie mich, gleich einer eigenen zärtlichen Mutter unterrichtete, in Krankheiten wartete und pflegte, meine Sorgen zu den ihrigen machte, mich wie ihr leibliches Kind liebte und behandelte,« entgegnete Adelaide mit zitternder Stimme.

»Nun begreife ich Norahs Verwunderung, daß Du noch so wohl aussähest nach allem, was Du seit dem August erlitten,« sagte Lord De Moreland seufzend.

»Ach, alles würde wieder gut sein,« erwiederte Adelaide, »wenn nicht die Trennung in meines theuren Vormunds Familie vorgefallen wäre. Sie, Herr Bouverie, wissen mit welcher väterlichen Zärtlichkeit dieser liebenswürdige, bedauerungswerthe Mann mich behandelte, und wie kindlich ich diese Liebe und Fürsorge erwiederte. Es wäre Undank gewesen, hätte ich ihm nicht mit Zärtlichkeit angehangen. Und wenn Sie und mein theurer Onkel mich nur für unschuldig erklären, und Mstrß. Falkland von ihrem Irrwahn zurückkehrte, würde ich auch nicht eine Thräne über Mstrß. Crows schändliche Bosheit vergießen.«

»Ich durchschaue meine Schwester,« sagte der Lord; »ihr Geiz gab ihr den schändlichen Plan ein, Dich alles Schutzes zu berauben, damit Du, die sie nach meinem Tode für reich hielt, in ihre Macht gegeben würdest. Und was Mstrß. Falkland in den Verdacht ihres Mannes Untreue bestärkte, war seine Abneigung gegen Deine Verbindung mit Theodor, und daß er nachher die Ansprüche eines andern von ihr begünstigten Mannes nicht unterstützte. Darf ich fragen, wer dieser Mann war?«

»Lord Aberavon,« sagte Adelaide erröthend.

»Lord Aberavon!« rief Montagu. »Derselbe hübsche Geck, der vor vier Jahren um Ambrosia herumschwirrte?«

»Er ist kein Geck mehr,« entgegnete Adelaide, »und hat sich so zu seinem Vortheil verändert, daß er alle Vorurtheile überwunden, die ich nach Ambrosias Beschreibung gegen ihn gefaßt hatte. Im Gegentheil halte ich ihn jetzt für einen sehr einnehmenden, liebenswürdigen jungen Mann.«

Der ruhige Ton, womit diese Worte gesprochen wurden, überzeugte ihre Zuhörer, daß ihr Herz noch frei war; doch glaubten Beide, daß ein Mann, der solche Vorurtheile zu besiegen im Stande sei, bald Eindruck auf dieses Herz machen würde.

»In einer Viertelstunde wird Herr Coke hier sein,« sagte der Lord, »und ich müßte die Arbeiten eines Herkules verrichten können, wenn ich glaubte, in so kurzer Zeit die, wie es scheint, vorsätzlich in Unordnung gebrachten Papiere zu arrangiren.«

Montagu erbot sich, sie alphabetisch zu ordnen, und meinte, daß Adelaide gewiß die erforderliche Geduld haben würde, ihm bei diesem Geschäft zu unterstützen. Sie willigte freundlich ein, und es ward festgesetzt, daß sie Beide täglich einige Stunden zusammen arbeiten sollten. Um Lord De Moreland jedoch Muße zu gewähren, sich vorher mit seinem Sachwalter über alles Erforderliche zu besprechen, erbat sich Montagu Adelaidens Gesellschaft auf einem Spaziergange. Während sie hinausging, sich dazu anzuschicken, kehrte Dennis mit der Rückseite von Mstrß. Crows Brief zurück, die das Fehlende enthielt – nämlich Unterschrift und Aufschrift.

So sehr Montagu gewünscht hatte, mit Adelaiden über vergangene Zeiten zu sprechen, fühlte er sich jetzt doch, als er mit ihr allein war, so befangen und verlegen, daß er keinen Eingang finden konnte, daher sie sich endlich genöthigt sah, dem Schweigen ein Ende zu machen und einige Fragen über Malta an ihn zu richten.

»O, Adelaide!« rief er, vor innerer Bewegung zitternd, »nennen Sie Malta nicht, wenn Sie mich lieb haben!«

»Niemals, gewiß nicht, wenn Sie nicht gern davon hören,« entgegnete Adelaide voll Erstaunen; »aber ich dachte – ich glaubte von meinem Vormund und von Herrn Mellifort gehört zu haben, daß Sie dort sehr glücklich gewesen – daß Malta Ihnen wie ein irdisches Paradies erschienen wäre.«

»Ich Thor, der ich es dachte,« erwiederte er mit einem tiefen Seufzer; »aber der Mensch ist zu oft ein Opfer der Täuschung, der selbst bereiteten, selbst geschaffenen Täuschung. Ich glaubte – ich hielt Malta für einen Himmel auf Erden für mich; aber ich sah nicht voraus, daß es sich als das Grab meiner – –« er schwieg, zauderte, und fügte endlich zaghaft hinzu: »meiner Gesundheit bewähren würde.«

Mit erblassenden Wangen und zitternden Tönen rief sie: »Ach, Herr Bouverie! das Grab Ihrer Gesundheit! Das kann unmöglich sein! Mein Vormund ist abwesend und kein anderer Arzt gerufen, Ihnen –«

»O, Adelaide!« rief er, im Enthusiasmus der Dankbarkeit ihre Hand ergreifend und sie mit Wärme an seine Lippen, an sein Herz drückend, »diese süße Theilnahme an meinen Leiden ist hinreichend, mich ohne ärztliche Hülfe herzustellen.«

In diesem Augenblick traten ihnen Theodor und Lady Ambrosia aus einem Seitenweg entgegen; und Letztere, froh dem langweiligen Alleinsein mit ihrem schweigsamen Gatten zu entgehen, flog auf ihre Cousine zu, faßte sie am Arm, ergriff Bouveries Arm und sagte: »So diene ich als Ring, diese Freundschaftskette zusammen zu binden. Adelaide, geben Sie Theodor Ihren andern Arm, sie vollständig zu machen; Sie haben meine Erlaubniß dazu, und obgleich Sie dann buchstäblich Mann und Frau trennen, fürchte ich Sie doch nicht.«

Adelaide und die beiden Brüder fühlten sich durch diese unzarten Worte unangenehm berührt, und Theodor murmelte vor sich hin: »Eitle Schwägerin! fordre ihre Macht nicht heraus, sondern hüte Dich vielmehr vor derselben.« Aber sein Herz sollte bald andern, noch nicht gekannten Empfindungen Raum geben; denn kaum waren die Spaziergänger, auf Ambrosias Wunsch, in dem Park angelangt, als sie den tapfern Oberst Westenra auf sich zueilen sahen, das Pferd (schön mit Blumen und Bändern geschmückt) am Zügel führend, welches Theodor sich gewünscht hatte.

»Was soll dieß bedeuten?« rief Theodor im Ton der Betrübniß. »Oberst Westenra, ich sagte Ihnen ja, daß ich das schöne Thier nicht kaufen könnte.«

Indem war der Oberst herangekommen und sagte, Ambrosia die Zügel überreichend: »Ich fühle mich sehr glücklich, durch keine Dienstpflicht verhindert worden zu sein, Ihrer Herrlichkeit Befehl zu erfüllen und Ihnen Ihren Einkauf zu überbringen. Dieses Pferd ist jetzt Ihr Eigenthum.«

Lady Ambrosia dankte ihm verbindlichst für seine Artigkeit, ihr das Thier selbst zu übergeben, und sagte dann, sich mit zärtlichen Blicken an ihren Gatten wendend, fast ganz mit denselben Worten, die ihr Adelaide angegeben:

»Lieber Theodor, nimm hier die erste Gabe, die ich im Stande gewesen bin, Dir anzubieten. Ich hatte keine Bedürfnisse, keinen Wunsch, außer diesen, als ich heute Morgen Dein großmüthiges Geschenk erhielt. Möchte das schöne Thier Dich immer sicher tragen, aber nie, nie zu weit von der Heimath und von mir.«

Anstatt den dargebotenen Zügel zu ergreifen, schloß der entzückte Theodor Ambrosia an sein dankbares Herz, und überließ es dem galanten Obersten, dem nach Freiheit strebenden Thier nachzujagen. Montagu ergötzte sich an Adelaidens Freude über diese eheliches Glück verheißende Scene, und flüsterte ihr leise ins Ohr:

»Dieß war Ihre Eingebung, Adelaide. Ambrosias Seele ist keines solchen Gedankens fähig.«

Erröthend über Montagus wohlverdientes Lob, wollte sie eben versuchen, ihm diesen Wahn zu benehmen, als der Oberst mit dem Flüchtling zurückkehrte. Theodor entschuldigte sich, ihm neue Mühe verursacht zu haben, und Lady Ambrosia lud ihn höflichst ein, den Tag in Roscoville zuzubringen. Während die beiden Männer sich nach den Ställen begaben, dem neuen Ankömmling ein gutes Quartier zu bereiten, schlug Ambrosia einen weitern Spaziergang vor, den Adelaide jedoch verweigerte, um ihren kranken Freund nicht zu sehr zu ermüden.

»Sie denken doch an Alles, und werden nie etwas vergessen,« sagte Ambrosia.

»Nie,« wiederholte Montagu mit Nachdruck.

»Wie traurig, liebster Major,« sagte Lady Ambrosia, ihm scherzend die Wangen streichelnd, »daß Sie geschworen haben, als mürrischer Junggesell zu sterben; denn sie scheinen meine erröthende Cousine in einem so glänzenden Licht zu betrachten, daß ich wirklich glaube, es könnte ihr gelingen, wenn sie es darauf anlegte, das Eis um Ihr Herz aufzuthauen.«

»Das Eis um mein Herz!« wiederholte Montagu mit einem so angstvollen Ton, daß Adelaide von der beunruhigenden Ahnung erfaßt wurde, Montagu sei unglücklich, und unglücklich durch Liebe.

»Allerdings,« fuhr Bouverie fort, bemüht, heiter zu scheinen, »allerdings würde Adelaide, der alle Unternehmungen gelingen, auch hierin glücklich sein, falls sie sich herablassen wollte, einen Versuch zu machen, wenn ich mich nicht leider dem heiligen Orden der Maltheser-Ritter gewidmet hätte.«

»Und die Menschlichkeit verbietet jeden Angriff auf das Herz eines solchen Ritters,« entgegnete Adelaide, ihre innere Bewegung bekämpfend. »Sie sollten ihr Kreuz als unverwundbaren Schild stets äußerlich an sich tragen, sowohl als eigenen Talisman, als auch zur Warnung für solche, die sich zu einem Angriff veranlaßt fühlten.«

»O,« rief Montagu, Adelaidens Hand ergreifend, »wem das seltene Glück beschieden wäre, Ihre Liebe zu gewinnen – für diesen beneidenswerthen Sterblichen gäbe es keinen Orden. Gelübde würden aufgelös't sein, und jeder Ritter, dem solche Hoffnung blühte, entsagte gern dem nun zu schweren Kreuz.«

»Sehr schön!« sagte Lady Ambrosia lachend, »ich muß gestehen, die Maltheser Damen haben Sie weit gebracht; hörte ich doch früher niemals so schöne Worte aus Ihrem Munde, so viel Mühe meine Schwestern sich auch gaben, Sie zu galanten Redensarten zu veranlassen. Aber was brachten Sie außer dieser Kunst noch aus Malta mit? welche Geschenke für uns? Ich hoffe, Sie werden mir, als Ihrer Schwägerin, die Auswahl lassen?«

Bouverie versicherte für alle seine lieben Verwandten ein Andenken mitgebracht zu haben, wollte jedoch Ihrer Herrlichkeit die erste Wahl nicht gestatten, indem Adelaide, als die Schwester seines Herzens, größere Ansprüche darauf habe. Hierüber erzürnte sich Ambrosia. Adelaide suchte die Erzürnte zu beruhigen durch die Erklärung, daß sie nicht selbst wählen würde, indem jede Gabe, die Herr Bouverie für sie bestimmte, ihr als die schönste erscheine.

Unter diesen Gesprächen hatten sie Ambrosias Toilettenzimmer erreicht, welches, als das sicherste vor dem Ueberfall der Schwestern, zur Austheilung der Geschenke erwählt worden war. Montagu holte seine Schätze, die, wie er mit einem tiefen Seufzer sagte, von einer wegen ihres Geschmacks berühmten Dame ausgesucht worden, und legte sie Ambrosia vor.

»Haben Sie die Güte, sich auszuwählen,« sagte er; »Adelaidens Geschenke sind in dieser kleinern Schachtel enthalten. Da ich voraussah, daß sie sich weigern würde, zuerst etwas auszusuchen, that ich es für sie, und bin so eitel, ihr zu Füßen zu legen, was ich nach meinem eigenen Geschmack erwählte.«

Die erröthende Adelaide öffnete das Kästchen mit zitternden Händen und versicherte, dieser Umstand erhöhe den Werth der Gabe, nur fürchte sie, er habe sie zu reichlich versehen.

»Gewiß nicht, theuerste Adelaide,« entgegnete Montagu, das Kästchen wieder verschließend, »nichts als eine Kette, und einige Kleinigkeiten für Mstrß. Falkland. Nun aber bitte ich, daß Sie mir beistehen, etwas für Lady Leyburn und ihre unverheiratheten Töchter auszusuchen. Das Uebrige bestimme ich für die armen Birchs.«

Ein Blick unaussprechlichen Danks belohnte ihn für diese zarte Aufmerksamkeit. Er eilte nun fort, den andern Damen die mitgebrachten Geschenke zu überreichen, und bat Adelaiden, ihm bald in Lord De Morelands Studirzimmer zu folgen, um ihr gemeinschaftliches Geschäft dort zu beginnen.

»Wahrscheinlich den Heirathscontrakt mit Montagu aufzusetzen,« rief Ihre Herrlichkeit lachend.

»Ambrosia,« sagte Adelaide ernst, »ich habe andere Dinge, außer dem Heirathscontrakt mit irgend einem Mann, mit meinem Onkel abzumachen; eins dieser Arrangements von heute morgen hat mich so glücklich gemacht, Ihnen noch nachträglich ein kleines Hochzeitsgeschenk bieten zu können. Diese Anweisung wird Sie in den Stand setzen, sich ein solches Halsband zu kaufen, wie das meinige, welches Sie zu besitzen wünschten.«

Lady Ambrosia fiel ihrer edelmüthigen Cousine um den Hals, dankte ihr für ihre Güte, und bat um Verzeihung, wegen ihrer mannigfachen Vergehungen.

Adelaide ging zu ihrem Onkel. Herr Coke war fort, und so zeigte sie ihm die schönen Geschenke von Bouverie.

»Ketten und Kreuze!« rief der Lord lächelnd; »welche böse Zeichen würden diese Geschenke sein, wäre Montagu Dein Bewerber!«

»Sie beunruhigen mich nicht,« sagte Adelaide, »da sie von so vielen Amulets begleitet sind. Sehen Sie hier eine Flasche Rosenöl und andre Herrlichkeiten.«

Lord De Moreland blickte in ihr lieblich erröthendes Angesicht, und gewahrte Montagu hinter ihr stehend.

»Nehmen Sie, theuerste Adelaide,« sagte er, »den Rest der für Sie bestimmten Kleinigkeiten. Ambrosia schien solches Wohlgefallen daran zu finden, daß ich sie Ihnen nicht früher anzubieten wagte.«

Adelaide war so erschrocken bei dem Gedanken, daß Montagu ihres Onkels Scherz gehört haben könnte, daß sie kaum so viel Fassung hatte, ihm für diesen neuen Beweis seiner Güte zu danken.

Lord De Moreland berichtete nun, daß Herr Coke fest überzeugt von Lady Leyburns Einverständniß mit ihres Großvaters zahllosen Gläubigern sei, weshalb er sich entschlossen, der Sache dadurch ein schnelles Ende zu machen, daß er Coke in die Stadt schickte, um einige der berühmtesten Rechtsgelehrten Londons mitzubringen, deren Händen er die Sache übergeben wollte, während er sich selbst nach Kent zu begeben gedachte, um Coke und dessen geschickten Brüdern freies Spiel zu lassen, um die Abtei von diesen alles verzehrenden Heuschrecken zu säubern.

 


Fünftes Capitel.

Als Seraphine und Cölestine wie gewöhnlich mit verschlungenen Armen in das Speisezimmer traten, rief Letztere schmachtend aus:

»Sehen Sie Bouverie, wie Sie mich angekettet haben.«

»Wenn die Leiden Deiner Mitmenschen Deine Bürde leichter machen können,« sagte Lady Ambrosia lachend, »wirst Du hinlänglichen Trost finden, da unser Freund so grausam gewesen ist, alle weiblichen Glieder dieser Gesellschaft gleich Dir in Ketten zu legen.«

»Ich beschuldige ihn nicht der Grausamkeit, indem ich die meinigen freiwillig trage,« sagte die schöne Cölestine.

Oberst Westenra näherte sich jetzt Ambrosia und machte ihr scherzend Vorwürfe, sich nebst ihrer Cousine den ganzen Vormittag der Gesellschaft entzogen zu haben. In diesem Augenblick ward gemeldet, daß angerichtet sei, und Ihre Herrlichkeit trug Sorge, den neuen Bekannten zwischen sich und Adelaiden seinen Sitz zu verschaffen, während Montagu seinen gewohnten Platz neben Letzterer einnahm.

Lord De Moreland war ein so vollkommener Hofmann, hatte so viel Gewalt über seine Haltung und den Ausdruck seiner Gesichtszüge, daß selbst Lady Leyburn sich durch die ungetrübte Heiterkeit derselben täuschen ließ, und nicht mehr wie am vorigen Tage voll Angst und Zittern ihre Pläne im Geist scheitern sah, sondern vielmehr den schönsten Hoffnungen Raum gab.

Die schmeichelhaften Beweise ihrer Vorliebe für Theodor und ihre Tochter Ambrosia traten unverholen hervor, während es ihr nicht immer gelang, ihre Abneigung gegen Montagu und Adelaiden zu verbergen. Sie sprach ihren Entschluß, die glückliche Befreiung aus dem Kerker und Errettung vom Tode ihres theuren Edwins durch einen Ball zu feiern, mit vieler schwesterlichen Liebe aus, und äußerte sich überhaupt so zutrauungsvoll gegen ihn, als ob das freundschaftlichste Verhältniß zwischen ihnen Statt gefunden.

Gegen Ende der Mahlzeit, als die Bedienten sich entfernt hatten, kam das Gespräch zufällig auf weibliche Briefstellerei, und Oberst Westenra betheuerte, nie einen elegantern, schön geschriebenern Brief gelesen zu haben, als er so glücklich gewesen, von Lady Ambrosia Bouverie zu erhalten. Er überreichte ihn Lord De Moreland zur Ansicht, welcher ihn im freudigen Erstaunen durchlas und nicht umhin konnte, seiner Nichte ein schmeichelhaftes Lob über ihren eleganten Styl, und nicht minder zierliche Handschrift zu spenden.

Der entzückte Theodor konnte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, seiner Begeisterung Worte zu leihen und zu berichten, welchen großmüthigen Gebrauch Ambrosia von einer Summe gemacht, die er ihr zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gegeben.

Unterdessen hatte Lady Seraphine den gepriesenen Brief ebenfalls durchgesehen, und rief nun: »Wahrhaftig, so schön und richtig, liebe Ambrosia, daß ich mein Erstaunen nicht völlig verbergen kann. Als Du von unsrer Mutter wegliefst, kanntest Du die Grammatik nicht einmal dem Namen nach; und was die Rechtschreibung betraf, wußtest Du die gewöhnlichsten Worte nicht ordentlich zu schreiben.«

»Wer unterrichtete Dich in dieser schönen Kunst, meine liebe Schwester?« fragte Lady Cölestine mit sanfter, einschmeichelnder Stimme.

»Adelaide!« rief Lady Ambrosia mit Nachdruck, da sie sich aus Zorn über die Bosheit ihrer Schwestern zur wärmsten Dankbarkeit gegen ihre Cousine verpflichtet fühlte.

»Unsere so hoch gebildete Cousine war gewiß vollkommen geeignet für diese schwierige Aufgabe,« entgegnete Lady Cölestine, mit Anstrengung ihren Verdruß unterdrückend und den angenommenen Silberton der Stimme beibehaltend, »da sie von dem berühmten Mann erzogen worden, von dem wundervollen Apotheker, welcher gebrochene Hundebeine heilte und Geduld bei seinen Patienten lernte. Er unterrichtete sie auch in der Medicin, und wenn ich nicht irre, fand sie hier einmal Gelegenheit ihre Kunst auszuüben; doch weiß ich nicht bei welcher Veranlassung.«

»Ich aber weiß es, und werde es nie vergessen!« rief Lord De Moreland mit strengem Blick und Ton; »denn sie rettete mein Leben durch ihre Kenntniß eines heilsamen Mittels.«

Lady Leyburn erschrack über diesen Ausbruch der Dankbarkeit gegen Adelaiden, und, um die Nichte so viel wie möglich in des Onkels Augen herabzusetzen, wandte sie sich an diese und sagte:

»Bei Erwähnung der Familie Falkland muß ich Sie, liebste Adelaide, doch fragen, was denn eigentlich der Grund dieser geheimnißvollen Trennung ist?«

Lord De Moreland verstand den boshaften Sinn dieser Frage und antwortete schnell:

»Von Ihnen, Lady Leyburn, konnte Adelaide diese, auf gänzliche Unwissenheit schließende Frage nicht erwarten, da wir völlig berechtigt sind, von Ihnen eine Erklärung des Geheimnisses zu fordern. Eine Person, Namens Alice Crow, hat uns schriftlich, durch einen an Ihre Herrlichkeit gerichteten Brief, benachrichtigt, daß Sie am besten im Stande wären, Adelaidens und meine Neugier über diese Sache zu befriedigen.«

»Alice Crow! ich kenne die Person kaum,« stammelte Lady Leyburn in höchster Bestürzung; »und wie kann sie wagen, zu behaupten, daß ich etwas von der Trennung dieser Leute wüßte?«

»Ihretwegen, Isabelle, will ich hoffen, daß sie nur mit Ihrer Freundschaft prahlt,« entgegnete Lord De Moreland, »da sie mir eine gefährliche Vertraute zu sein scheint; doch werde ich diesen Gegenstand bei einer passendern Gelegenheit mit Ihnen verhandeln.«

Lady Leyburn fühlte sich nicht sehr behaglich, und zog sich daher so früh wie möglich mit den übrigen Damen ins Gesellschaftszimmer zurück, wo Lord De Moreland Adelaiden nicht lange den heimtückischen Angriffen seiner Schwester ohne seine schützende Gegenwart überließ.

Montagu war kein bon vivant, erschien deshalb auch sehr bald wieder bei den Damen, und wich den Stürmen auf sein Herz von Seiten der beiden Schwestern, mit einer Festigkeit aus, die ihnen wenig Hoffnung ließ; während Adelaide den offenen und versteckten Angriffen Lord Leyburns und Herrn Daniel Blackthorns die größte Kälte entgegensetzte.

Am späten Abend endlich ihren eigenen Gedanken überlassen, mußte die Erinnerung an Montagus Benehmen im Laufe des Tages sie verwirren und beunruhigen. Er hatte ihr die ausgezeichnetste Aufmerksamkeit bewiesen, keine Gelegenheit unbenutzt gelassen, ihr Lobsprüche über ihre körperlichen und geistigen Vorzüge zu zollen; während sein Herz, wie sie fest glaubte, einer Andern in hoffnungsloser Liebe ergeben war, welcher Umstand ihr ganzes Mitleid erregte, und sie nur desto empfänglicher für tiefere Eindrücke machte.

Ach! und jetzt gerade mußte sie den Rath ihres theuren Vormunds entbehren!

Am folgenden Morgen erschien Montagu zwar beim Frühstück des Lords, doch nicht minder schwach oder heiterer wie am vorigen Tage. Mit Adelaiden zu sprechen, schien sein einziges Vergnügen, und wenn nicht auf diese Weise beschäftigt, verfiel er in Trübsinn und stilles Brüten. Lord De Moreland, ein aufmerksamer und ruhiger Beobachter seiner beiden Lieblinge, konnte keine Veränderung an ihnen bemerken, und Adelaide, obgleich voll Mitleid mit seinem Zustand, bemühte sich doch, jeden Anflug von Zärtlichkeit zu unterdrücken.

Der sechste Tag nach ihrer Ankunft in Roscoville war ein Sonntag, und gleich nachdem sie mit ihrem Onkel und Bouverie gefrühstückt, sagte sie:

»Ich muß meine lieben Freunde nun verlassen, um in die Kirche zu gehen, wohin mich Norah und Dennis begleiten werden.«

»Aber Du wirst doch nichts dagegen haben, in die Kirche zu fahren, und in unserer Gesellschaft?« fragte der Lord lächelnd. »In diesem Fall würde ich für mich und Montagu um die Erlaubniß bitten, Dich begleiten zu dürfen. Ich war sehr lange nicht in der Kirche, und trage großes Verlangen, mit Euch vereint meinem Schöpfer für die glückliche Errettung von Gefangenschaft und Tod zu danken.«

Gerührt ergriffen Montagu und Adelaide die Hände des Lords, sie an ihre Lippen zu drücken, und bald darauf fuhren sie alle drei zur Kirche.

Bei ihrem festen Vorsatz, sich von Adelaiden in keiner liebenswürdigen Eigenschaft übertreffen zu lassen, hatte Lady Ambrosia doch die Frömmigkeit, als eine der hauptsächlichsten, gänzlich vergessen; und da es in Roscoville nicht Sitte war, an den Himmel zu denken, war die Idee, in die Kirche zu gehen, ihr auch nie in den Sinn gekommen, bis sie hörte, daß Adelaide dort sei. Höchst entrüstet über ihre Cousine, die nun etwas lobenswerthes gethan, was sie für den Augenblick nicht nachzuahmen im Stande war, eilte sie mit ihren Klagen zu Theodor, der seit einigen Tagen immer neue Veranlassung fand, sich über die Wahl seiner Gattin glücklich zu preisen.

Sobald Adelaide zurückgekehrt war, überhäufte Lady Ambrosia sie mit Vorwürfen, sie nicht zur Begleitung auf ihrem frommen Weg aufgefordert zu haben. Froh, diesen neuen, bessern Geist in ihr erwacht zu sehen, schlug Adelaide vor, den Nachmittagsgottesdienst mit ihr zu besuchen, welchen Vorschlag sie auch eifrig ergriff, besonders da er sie nicht an ihrer Mittagstoilette hinderte.

»Du sollst mit uns gehen und uns beschützen, mein Theodor!« rief sie. »Doch wie werden wir in die Kirche kommen? Wir dürfen keinen Wagen verlangen, weil wir sonst als Methodisten verspottet werden würden, die den Abendgottesdienst besuchen. Und gehen können wir wohl nicht? Wie weit mag es sein?«

Eine und eine halbe Meile, wenn wir die Feldwege gehen,« entgegnete Adelaide, höchlichst erstaunt, daß ihre Cousine die Entfernung der Kirche von dem Ort, wo sie fast ihre ganze Lebenszeit zugebracht, nicht wußte.

»Sie werden mir doch auch erlauben, Sie zu begleiten?« bat Montagu.

»Nein, gewiß nicht, Major Bouverie,« erwiederte Adelaide rasch. »Sie sind heute schon einmal in der Kirche gewesen, und zu Fuß dürfen Sie es vollends nicht wagen. Sie sehen,« fügte sie erröthend über ihre verrathene Besorgniß hinzu, »Lady Cölestine hatte vollkommen Recht, medicinische Kenntnisse bei mir vorauszusetzen, da ich so gut weiß, was einem Invaliden zukommt.«

»Aber Adelaide, wenn Sie sich auf meinen Arm stützen wollten, würde ich den Weg mit Leichtigkeit zurücklegen,« sagte Montagu ihr mit sichtlichem Wohlgefallen ins Auge blickend.

»Eine hübsche Art, Ihnen das Gehen zu erleichtern,« erwiederte Adelaide, ein Lächeln erzwingend, ihre Bewegung zu verbergen.

Lady Ambrosia war nicht in der Kirche gewesen, seit sie Kent verlassen. Die Neuheit der Sache interessirte sie ungemein, und so war sie voll des Lobes über die Schönheit der Kirche, über den ehrwürdigen Geistlichen, seine herrliche Predigt und den reizenden Weg; und hatte noch nicht die Hälfte dessen, was sie wollte, darüber gesagt, als sie Montagu ihrer wartend auf einem Stein sitzen sahen.

»Bruder!« rief Theodor entsetzt, »wie konntest Du so unvernünftig sein, Dich sitzend der kühlen Luft auszusetzen?«

Montagu versicherte, durch einen großen Mantel vor aller Gefahr geschützt zu sein, und näherte sich nun Adelaiden, ihr seinen Arm anzubieten.

»Nein,« erwiederte diese schüchtern erröthend, »ich möchte um keinen Preis die Anstrengung des Gehens noch vermehren.«

Aber Bouverie ließ sich nicht abschrecken, meinte, der Arm, dem sie das Schlachtschwert anvertraut, könne diesen sanften Druck im schwächsten Zustand ertragen, und bemächtigte sich halb gewaltsam ihrer widerstrebenden Hand. Als er nun auf dem Heimweg mit früherer Theilnahme und Lebendigkeit der Jugendscenen in Seaview erwähnte, mit steigendem Interesse des kleinsten Umstandes gedachte – da stieg der Gedanke in ihr auf, daß sie sich doch vielleicht, hinsichtlich seiner Neigung im Auslande, geirrt haben könne.

Kaum zu Hause angelangt, ward Lady Ambrosia augenblicklich in das Kabinett ihrer Mutter beschieden, wo diese ihr mit Thränen um den Hals fiel und ausrief:

»O, mein bethörtes, unglückliches, liebenswürdiges Kind! Welch ein hartes Schicksal, bei solchen Reizen an einen zwar guten, aber unbetitelten, armen Mann gefesselt zu sein. O, daß Du gewartet hättest, Lord Aberavons Absichten ausgesprochen zu sehen, anstatt Dich in der Blüthe der Jugend, mit solcher unvergleichlicher Schönheit in den dunkeln Schatten der Einsamkeit zu begraben, während Du jetzt auf den Titel und Glanz einer Herzogin Anspruch machen, könntest.«

Lady Ambrosia stieß einen leisen Schrei aus, und bat ihre Mutter um den Schlüssel zu diesem unerklärlichen Räthsel. Sie las ihr aus einem Zeitungsblatt folgenden Artikel vor:

»Der Vicomte Aberavon ist nun unerwartet und unbestritten zu dem Herzogthum von St. Kilda gelangt, durch den Tod seines Vetters, welcher auf einer Fuchsjagd. getödtet wurde. Die Herzogin (kaum ein Jahr mit ihm verheirathet) kam bei dieser Trauerbotschaft zu früh mit einem todten Kinde nieder, wodurch alle Aussicht auf einen Erben verloren gegangen.«

Lady Ambrosia, schämte sich, ihrer Mutter das Bekenntniß zu machen, welches diese jedoch augenscheinlich erwartet hatte, nämlich, daß sie Schmerz und Reue empfände, die Frau eines armen, unbetitelten Mannes geworden zu sein, da sich nun eine Herzogskrone ihr böte und obgleich Neigung sie dazu vermocht, Theodor von Adelaiden zu verlocken, und sie in wenigen Monaten Mutter zu werden erwartete, war dieses Band doch nicht hinreichend, sie vor Reue zu bewahren, und sie brach das ängstliche Schweigen mit dem Ausruf:

»Aber, Mutter, meine unvernünftige Heirath wird doch nicht gar zu viel zu bedeuten haben, da Sie ja, wie Sie sagen, meinem Theodor ein Grafenthum verschaffen können.«

»Ich habe Dir früher schon gesagt, mein einfältiges, bethörtes Kind, daß meine Macht hierzu nur eine mögliche war, und nicht eher anwendbar, bis der Tod eine Barriere hinweg geräumt. Ich kann Niemanden tödten, um Dich zur Gräfin zu erheben; auch verdienst Du nicht, daß ich mich Deinetwegen sehr anstrenge. Hattest Du doch Dein Schicksal selbst in Händen und opfertest Dich mit Deiner Jugend, Deiner Geburt und Deiner himmlischen Schönheit dem ersten besten armen Schlucker auf! Blackthorn hat keine Geduld mehr mit Dir und ist in seiner Besorgniß für Dein Wohl sogar so weit gegangen, sich mein Mißfallen zuzuziehen durch einen hingeworfenen Wink, auf welche Weise manche glückliche Heirathen zu Stande gebracht worden wären – eine Scheidung könnte der Familie eine Herzogskrone und 70,000 Pfund jährlicher Einkünfte zubringen.«

Die Idee einer Scheidung, von der Mutter eingegeben, erfüllte das von Natur reine Herz der Tochter mit solchem Entsetzen, daß Lady Leyburn alle Künste der Schmeichelei anwenden mußte, sie wieder zu beruhigen. Doch gab sie ihren Plan deshalb keineswegs auf, und suchte der leichtsinnigen Ambrosia begreiflich zu machen, daß, obgleich eine Trennung von Theodor ein sündhafter Gedanke sei, ihr Niemand verdenken könne, den Triumph ihrer Reize zu feiern, und die Ketten des jugendlichen Herzogs noch fester anzuziehen, wodurch ihr und ihrer Familie ein wesentlicher Vortheil entspringen würde, indem er nun in Besitz zweier bedeutender Familienreichthümer gekommen und Theodor, in steter Sorge sich ihre Liebe zu erhalten, müßte sich denn zu dem unbedingtesten Gehorsam, zur Erfüllung aller ihrer Wünsche veranlaßt sehen.

Von diesen schrecklichen Ideen erfüllt, verließ Ambrosia das Gemach ihrer Mutter; und trat mit so veränderten Gesinnungen und Ansichten zu Adelaiden, daß diese, Lady Leyburns schädlichen Einfluß sogleich erkennend alle ihr zu Gebote stehende Macht anwendete, ihre irregeleitete Cousine zu einem Geständniß des Vorgefallenen zu vermögen. Und verschwieg Ambrosia auch die Hauptsache, den teuflischen Wink hinsichtlich der Scheidung; so ward ihr aus dem Uebrigen doch so viel klar, daß dem armen Theodor zur Errettung seines Weibes nichts übrig blieb, als die schnellste Flucht von Roscoville, wozu sie ihm noch denselben Tag rieth.

Doch anders war es im Buch des Schicksals beschlossen; denn als die Familie sich am Abend im Gesellschaftszimmer versammelt hatte, die Langeweile des Sonntags durch mancherlei Spiele zu vertreiben, ward der Herzog von St. Kilda gemeldet.

Ein ausdrucksvolles Lächeln zog sich über Lady Leyburns freudig erstauntes Angesicht, als sie ihre Tochter bedeutungsvoll anblickte. Ambrosia erwiederte den Blick nicht; sie erröthete nur, und ihr Busen hob sich bei dieser unerwarteten Meldung. Auch brachte die Nennung seines Namens nicht allein bei ihr einen Farbenwechsel hervor; denn Adelaide erröthete ebenfalls aus halber Ahnung, was den Herzog nach Roscoville geführt haben könne, und Montagu aus Ueberzeugung, so wie auch Theodor in einer Art kranker Besorgniß. Ambrosia war nämlich schwach genug gewesen, sich gegen ihn Lord Aberavons heißer Liebe für sie zu rühmen, und daß er nur nach Beechbrook gekommen, ihr Herz und Hand anzutragen. Aus thörichter Eitelkeit hatte sie dieselbe Prahlerei gegen Bruder und Schwestern laut werden lassen, die ihr nun bedeutende Winke und Zeichen gaben, und den ihnen zunächst Sitzenden zuflüsterten, ›daß der Herzog von St. Kilda ein eifriger Anbeter Ambrosias sei, und daß ihr Gatte große Anlage zur Eifersucht zu haben scheine, wovon sie sich viel Vergnügen versprächen.‹

Se. Gnaden erschien in Trauerkleidern und entschuldigte seinen späten Besuch bei Lady Leyburn. Da er jedoch auf seiner Reise vom Norden nach Kent in London erfahren, daß Lord De Moreland seiner Familie wieder geschenkt sei, habe er sich das Vergnügen jedoch nicht versagen können, den kurzen Umweg über Roscoville zu machen, Ihrer Herrlichkeit seine Glückwünsche mündlich darzubringen.

Lady Leyburn lud den Herzog höflichst ein, so lange in Roscoville zu verweilen, als er Gefallen daran fände, brachte hierauf eine wohlgesetzte Gratulation über seinen veränderten Titel hervor, und schloß ihre Rede mit der Bitte, ihn ihrem theuren Bruder vorstellen zu dürfen.

Nachdem diese Ceremonien vorüber, näherte sich der Herzog dem Platze, wo die beiden Cousinen saßen, und die höhere Gluth seiner Wangen ward von Allen, Lord De Moreland und Bouverie ausgenommen, Lady Ambrosias Einfluß zugeschrieben.

Montagu verließ seinen Sitz neben Adelaiden, so wie der Herzog sich ihr genähert hatte, und zog sich ans andere Ende des Zimmers zurück, während sein Nebenbuhler den leeren Stuhl noch dichter heranzog, und ein eifriges Gespräch mit Adelaiden begann. Er brachte ihr erfreuliche Nachrichten von Falkland, welcher eine sehr schnelle, glückliche Fahrt gehabt, und beim Abgang der Fregatte sich vollkommen wohl befunden habe.

Die Freude der dankbaren Mündel über diese Botschaft war so groß, daß sie gern gleich aufgesprungen wäre, sie ihrem Onkel und Montagu mitzutheilen, und nur die Erinnerung an Mstrß. Crows schändliche Verläumdung hielt sie fest auf ihrem Platz.

Bouverie beobachtete den Ausdruck ihrer Gesichtszüge aus der Ferne; was konnte ihr der Herzog mitgetheilt haben? Sein argwöhnisches Herz flüsterte ihm zu, daß er ihr seine neuen Würden zu Füßen gelegt, die sie ohne Zweifel angenommen hatte, schon um Lady Ambrosias Triumph über sie mit einem noch größern zu vergelten. Von dieser Idee erfaßt, bemächtigte sich seiner eine Unruhe, die dem Lord selbst auffiel, welcher sogleich aufstand, sich ihm zu nähern; Adelaide glaubte, daß er sich in sein Zimmer zurückziehen wollte und flog ihm nach, des Herzogs gute Botschaft ihm leise ins Ohr flüsternd.

Jetzt hielt sich Montagu nicht länger. Adelaide hatte den Augenblick nicht erwarten können, ihren Onkel in Kenntniß von des Herzogs Antrag zu sehen. Er erreichte die Thür und wollte sich in sein Zimmer flüchten. Da trat ihm Lord De Moreland von der andern Seite entgegen, und bat, ihn noch ein Stündchen in sein Studirzimmer zu begleiten, indem er einige wichtige Gegenstände mit ihm zu besprechen habe.

Erschöpft und angegriffen hätte Bouverie in diesem Augenblick die Einsamkeit vorgezogen, wagte jedoch nicht, Sr. Herrlichkeit Bitte abzuschlagen, und folgte ihm schweigend in die Bibliothek.

 


Sechstes Capitel.

Sobald Montagu dem Lord gegenüber Platz genommen hatte, begann dieser:

»Ich bin heute den ganzen Tag von Lady Leyburn bestürmt worden, Ihnen einen Vorschlag zu machen, welchen ich, wie sie behauptet, in Form eines Befehls des verstorbenen Lord De Morelands, unter dessen Papieren finden würde; nämlich eine Verbindung zwischen unsern nächstem Erben und eine meiner Nichten zu veranstalten. Nun will ich zwar keineswegs auf die Wahrheit dieser Behauptung schwören, nehme aber auch keinen Anstand, Sie, lieber Montagu, zu fragen: ob Sie eine Abneigung gegen diesen Vorschlag fühlen?«

»Mylord,« entgegnete Bouverie, augenscheinlich bewegt, »bei einem Gegenstand von solcher Wichtigkeit müssen Sie Aufrichtigkeit von mir erwarten; und ich gestehe, daß ich eine unüberwindliche Abneigung gegen die Familie Leyburn habe.«

»Aber ich habe eine andere, nicht zur Familie Leyburn gehörige Nichte,« entgegnete Se. Herrlichkeit, bedeutsam lächelnd.

»Sie haben eine Nichte, Mylord, die Anspruch auf Verwandtschaft mit Allem was schön und liebenswürdig ist, macht; aber –«

»Aber was? lieber Montagu! was bedeutet dieses aber, das so schrecklich in meinen Ohren tönt?«

»Aber sie wird angebetet von einem jungen Mann, der durch Schönheit, Rang und Vermögen eine so wünschenswerthe Parthie ist, daß ich es niemals wagen würde, mit ihm um Miß Bouveries Gunst in die Schranken zu treten.«

»Welch eine demüthige Bescheidenheit!« rief der Lord. »Ich wünschte nur, Miß Bouverie könnte Sie in dieser neuen Eigenschaft: sehen, die Sie in ihren Augen unwiderstehlich machen würde.«

»Nein, nein, Mylord! Ich kann in Adelaidens Augen nie anders, denn als Freund erscheinen. Ich weiß, daß mir keine Hoffnung bleibt – daß der Herzog von St. Kilda – obgleich mich seine unschickliche Eile in Erstaunen setzt – ihr seine Hand angetragen; und – und – aber Sie wissen dieß alles besser, wie ich, denn Adelaide konnte ja nicht bis morgen warten, Ihnen ihr Glück mitzutheilen.«i

»Sehr wahr, mein weiser Freund! sie konnte nicht bis morgen warten, mir zu erzählen, daß der Herzog ihr die frohe Nachricht von der glücklichen Ankunft ihres Vormundes in *** mitgebracht. Diese Kunde belebte ihre Zuge, brachte das beseligende Lächeln hervor, und zerstreut hoffentlich alle Besorgnisse, die Sie, lieber Montagu, gehegt haben. – Es ist lange her, seit ich mein eigenes Glück in seiner schönsten Blüthe durch Tod und Bigotterie zerstört sah; und was mich jetzt im Leben noch erfreuen kann, ist das Glück derer, die ich liebe. Sie, Montagu, sind mir erst durch Ihren Namen, dann durch Ihre Vorzüge und Ihre uneigennützige Anhänglichkeit so theuer geworden, daß Sie nun denselben Platz in meinem Herzen einnehmen, wie das Kind meines eigenen vielgeliebten Bruders. Traurige Unglücksfälle veranlassen mich, nie ans Heirathen zu denken; deshalb gehen meine Titel und Reichthümer einst auf meine Adoptivkinder, auf Sie und Adelaiden, über; und nicht allein der verzeihliche Familienstolz, den Reichthum mit den Titeln vereinigt zu sehen, sondern auch meine Liebe für Euch Beide, erfüllt mich mit der Hoffnung, Euer Glück unzertrennlich zu finden.

Als wir uns zuletzt in Roscoville sahen, glaubte ich meinen Wunsch realisirt; und nun, obgleich Adelaidens Liebenswürdigkeit, Schönheit und Vortrefflichkeit sich noch herrlicher ausgebildet, als ich erwartete, steigen mancherlei Zweifel in mir auf. – Seit wir hier zusammen trafen, bin ich ein aufmerksamer Beobachter Ihres Benehmens, lieber Montagu, gewesen; habe gesehen, wie Sie stundenlang das liebliche Mädchen mit Entzücken betrachtet, mit Begeisterung ihren Worten zugehört, kurz, alle Zeichen der innigsten Liebe gegeben haben. Und dann kamen wieder Augenblicke, wo Sie von traurigen Bildern verfolgt, ihre Nähe mieden, sich selbst und Adelaiden entfliehen zu wollen schienen. Wie geht das zu, Bouverie? Habe ich keinen Anspruch auf Ihr Vertrauen?«

Montagu drückte die Hand des Lords mit tiefer Bewegung an seine Lippen, an sein Herz, dann sprang er rasch auf, durchlief das Zimmer mit großen Schritten und sagte, endlich, ruhiger geworden: »Ja, mein verehrtester Freund! Sie haben die gerechtesten Ansprüche an mein Vertrauen, und es soll Ihnen im vollsten Maaße werden. Wohl bemerkten Sie richtig, daß Adelaide, obgleich noch halbes Kind, mich bei unserm letzten Zusammentreffen so mächtig anzog, daß der Schmerz des Abschieds einer der größten war, den ich je empfunden; und wäre ich der Zurückbleibende und Adelaide die Abreisende gewesen, würde dieser Zauber sich wahrscheinlich unüberwindlich und dauernd bewährt haben. Aber Veränderung der Scene, und mannigfache Beschäftigungen schwächten das liebenswürdige Bild in meiner Erinnerung, wenn gleich sie es nie auszulöschen vermochten. Als mein Regiment nach Malta beordert war, eilte ich nach Seaview, in der vollen Ueberzeugung, in der beseligendsten Hoffnung, mich durch jene Ketten, die mir Adelaide in ihrer frühesten Jugend angelegt, für ewig an sie geschlossen zu sehen. Aber ach! sie war abwesend, und ich vernahm nun, was mir jetzt als Eingebungen des Neids und der Mißgunst erscheint, daß sie nicht mehr die Adelaide sei, welche mein Herz, meine Phantasie und meinen Verstand gefangen genommen. So in jeder Hinsicht in meinen schönsten Erwartungen getäuscht, verließ ich Kent, und schiffte mich wenige Tage darauf nach Malta ein.

Was ich Ihnen nun zu vertrauen habe,« fuhr Bouverie tief erschüttert fort, »ist das Geheimniß einer Andern, deren Ruf eben so rein und fleckenlos ist als ihr Gemüth, weshalb ich ihren Namen verschweigen muß.

Auf der Fregatte befanden sich außer mir einige andere Passagiere, unter diesen die Frau eines Officiers mit ihren Kindern. Sie ging nach Malta, sich dort mit ihrem Gatten zu vereinigen, und auf dieser zehnwöchentlichen Reise fand ich mehrfache Gelegenheit, ihr und ihren lieblichen Kindern einige Aufmerksamkeiten zu erzeigen, ohne zu ahnen, daß ich dadurch den Grund zu unsern beiderseitigen Leiden legte.

Um es kurz zu machen. Dieses bezaubernde Wesen, gleich schön an Körper und Geist, hat mein Herz, meinen Verstand, alle Fähigkeiten meiner Seele so gänzlich in Beschlag genommen, daß, ich fürchte, jeder Versuch, mich von ihren Ketten zu befreien, und mich wieder wie früher Adelaiden ungetheilt zuzuwenden, möchte fruchtlos ausfallen. Sie, die Aeltere, Erfahrenere (sie zählt schon neun und zwanzig Jahre, obgleich ihr Aeußeres viel jugendlicher ist) entdeckte zuerst unsre gegenseitige Gefahr; und als wir etwa sechs Wochen zusammen gewesen, bemerkte ich, daß sie sich plötzlich meiner Gesellschaft entzog, still und in sich gekehrt wurde, und mir jede Gelegenheit benahm, ihr irgend einen kleinen Dienst zu erweisen. Anfänglich glaubte ich, sie ohne mein Wissen beleidigt zu haben, dann zitterte ich für ihre Gesundheit und beschwor sie, mir den Grund dieser unerklärlichen Veränderung zu gestehen. O, ich vergesse es nie, dieses Gefühl als sie mir endlich schüchtern bekannte, ›sie fürchte mich; ihre Ruhe, der Friede ihres Innern erfordere, mich zu fliehen.‹«

»Mein armer Montagu, welch eine Lockung, welch eine verführerische Lockung für diese jugendliche Unerfahrenheit!« rief der Lord in äußerster Bewegung.

»Lockung, Mylord,« entgegnete Bouverie, mit schlecht verhehltem Unwillen, »es war ein Ausbruch ihres arglosen Gemüths, überrascht und überwältigt von der zartesten aller menschlichen Leidenschaften, die ihr Gatte nie in ihr erweckt, dem sie als funfzehnjähriges Kind von ihren Eltern geopfert worden, und dessen einzige Glückseligkeit in bachantischen Festen und Trinkgelagen bestand.

In Malta sah ich diese Zauberin, vermöge des hohen Rangs ihres Gatten, gleich einer Königin von einem Hof umringt, der Magnet, der Abgott ihrer Umgebung, während sie für mich allein seufzte, für mich allein ein Herz hatte. O, daß ich mich dieser platonischen Liebe würdig gezeigt hätte; aber ich verlangte mehr, und ward für immer aus ihrer Nähe verbannt.«

»Wenn diese Verbannung Statt gefunden, bevor sie Ihnen so entschiedene Aufmunterung gegeben, würde ich nicht an der Wahrheit ihrer Gesinnungen gezweifelt haben, wie ich es jetzt thue. Aber fahren Sie fort, Montagu. Ich sehe, meine Auslegungen mißfallen Ihnen, und so werde ich Sie nicht wieder unterbrechen.«

»Der grausame Ausspruch, sie zu meiden, zog mir ein hitziges Fieber zu; ich war dem Grabe nahe, wie mein jetziger Zustand noch deutlich beweis't; doch half sich meine gute Natur. Ich genas, um die Schwere des mich drückenden Elends doppelt zu fühlen; es blieb mir nicht einmal der schwache Trost, zu erfahren, wie sie meinen Gehorsam, der mir fast das Leben gekostet, ertragen; denn ohne ihren Ruf, ihre Tugend aufs Spiel zu sehen, durfte ich mich ihr nicht wieder zu nähern wagen. In diesem Zustand körperlicher und geistiger Schwäche befand ich mich, als Schiffe von England anlangten, die mir unter andern Briefen auch einen von Adelaiden brachten.

Das menschliche Herz ist ein wunderliches Ding. Dieser Brief Adelaidens enthielt in seiner schönen Einfachheit die Ankündigung des Todes einer Unglücklichen, die sie beschützt, und zu deren Erhaltung ich mit beigetragen. Die rührende Beschreibung ihrer letzten Tage, so wie die lebhafte Erinnerung an Adelaiden, wirkten so mächtig auf mich, daß ich mit fast wahnsinniger Hast dem strengen Gebot der unerbittlichen Lady – Lukretia, wenn Sie wollen, Folge leistete, und um Urlaub anhielt, nach England zurückzukehren, dort die Wiederherstellung, meines Friedens und meiner Glückseligkeit im Umgang mit der unschuldigen, sanften, liebenswürdigen Adelaide zu suchen.

Der Urlaub ward mir gewährt, und ich schrieb dem Gegenstand meiner Verehrung einen reuevollen Brief, mit der Nachricht, daß ich, ihren Befehlen gehorchend, nach England ginge, falls sie meine Abreise nicht verhinderte. Ihre Antwort war fest; sie beschwor mich, um unseres beiderseitigen Friedens wegen, Malta zu fliehen, sie nie wieder zu sehen, wo möglich zu heirathen und sie zu vergessen. Hier, Mylord, ist dieser Brief, mein beständiger Gefährte, seit ich ihn erhielt, und der untrüglichste Beweis ihrer Reinheit und Erhabenheit der Gesinnungen.«

Bei diesen Worten zog Montagu ein Portefeuille hervor, enthaltend den Brief derjenigen, die er geflohen, und derjenigen, zu welcher er sich gewendet. Den von Adelaiden, überreichte er dem Lord zuerst; und als dieser, niedergedrückt durch die zerstörte Hoffnung, seine Lieblinge verbunden zu sehen, die zarten Ergüsse des Mitleids, der vergebenden Erbarmung mit einem gefallenen weiblichen Wesen las, trocknete er seine überfließenden Augen, und Bouverie rief aus:

»O, Mylord, versuchen Sie nicht, Ihre innere Bewegung zu unterdrücken; die Zartheit, die unübertreffliche Güte Ihrer unvergleichlichen Nichte verdient solche Anerkennung. Hier nun aber ist ein Brief anderer Art, geschrieben mit der Erhabenheit einer Seele, die fest und unerschütterlich ihren Lauf nach ewigem Ruhm verfolgt.«

Lord De Moreland las diesen zweiten Brief, ohne ein Zeichen des Erstaunens und der Bewunderung zu äußern und sagte, indem er ihn zurückgab:

»Sie erwarten eine Erklärung, die ich mir ersparen möchte. Diese Lukretia scheint ihren Styl von ausländischen Enthusiasten geliehen zu haben. Ich kenne die schöne Schreiberin nicht; sollte ich aber ihr Herz und ihre Tugend nach diesem Brief beurtheilen, so würde ich keine günstige Meinung über beide geben können.«

»O, sprechen Sie es nicht aus, Mylord! Sie mißverstehen sie.«

»Das ist leicht möglich, da ihre Schreibart augenscheinlich angeeignet ist. Doch wollten Sie einen unpartheiischen Dritten die Verfasserinnen vorliegender Briefe nach diesen beurtheilen lassen, so würde der Ausspruch zu Adelaidens Gunsten ausfallen. Doch lassen wir diese Briefe für den Augenblick, indem ich ungeduldig bin, zu erfahren, ob Sie wirklich nach England mit der Hoffnung zurückkehrten, in Adelaiden ein Gegengift gegen das subtile Gift zu finden, welches Sie in Malta eingesogen?«

»Allerdings.«

»Und wie hat dieses romantische Gegengift gewirkt?«

»Unerklärlich, Mylord! Denn obgleich mich auf der ganzen Rückreise die Idee peinigte, meinen eigenen Vorschlag in Hinsicht einer Verbindung mit Theodor realisirt zu finden; obgleich noch vor wenigen Augenblicken der Gedanke, daß sie der Herzog erhören könnte, mein Herz mit Angst erfüllte, flüstert mir doch dasselbe Herz zu, daß ich an Adelaiden als mein Weib nicht denken darf und muß.«

»Wie so, Montagu?«

»Ach, Mylord! Wie kann ich, nachdem ich Adelaiden so ausgezeichnet an Herz, Geist und Körper, so ganz zur Glückseligkeit geschaffen, gefunden habe, wagen, ihr ein Herz zu bieten, das ihr nicht ganz gehört, das bei dem strengen Befehl einer Andern, zu heirathen und sie zu vergessen, mit ungewohnter Heftigkeit schlägt!«

»Und wenn dieses Herz dem Weibe, das Sie zu Krankheit und Verzweiflung trieb, das Sie, ihrem Willen gemäß, aus Feuer in Eis verwandelte, immer noch in gleicher Bethörung anhängt,« sagte Lord De Moreland sehr ernst, »weshalb spielten Sie mit Adelaidens Gefühlen, bewiesen ihr durch Blicke und Worte, daß sie einen tiefen Eindruck auf Sie gemacht? Montagu, wie stimmt dieses Benehmen mit Ihren übrigen vortrefflichen Eigenschaften überein? Wie konnten Sie vergessen, daß Adelaide von frühester Jugend eine große Vorliebe für Sie hatte, Ihre Wünsche so sehr ehrte, daß sie selbst den Gatten Ihrer Wahl anzunehmen bereit war? Wie war es möglich, dieses arglose Gemüth auf solche Weise zu hintergehen? Doch, hoffentlich ist der Frieden meines armen Kindes noch nicht getrübt.« –

»O, ihr himmlischen Beschützer der Unschuld, verhütet eine solche Gefahr!« rief Montagu von Angst und Reue ergriffen. »Ja, ich sehe, daß ich gewissenlos gehandelt habe, mich einer neuen Leidenschaft hinzugeben, ehe die frühere gänzlich ausgerottet war. Aber ach! wenn Adelaide mich lieben könnte, wenn aus ihren Augen ein solcher Strahl auf mich fallen sollte, wie aus den Augen derjenigen, die ich für immer geflohen – dann, o, dann würde Adelaidens Sieg vollkommen, unüberwindlich sein.«

»Mein lieber Montagu, glauben Sie meiner Versicherung, daß Sie nie aus Adelaidens, Augen einen solchen Strahl auf sich fallen sehen werden, selbst, falls sie eine leidenschaftliche Liebe für Sie gefaßt, wie Sie es von Ihrer Lukretia gewohnt waren; deshalb hoffen Sie nicht, eine ähnliche Empfindung in ihr zu erregen. Und ohne Neigung, bloß aus Interesse können Sie nicht wünschen, ihr Gatte zu werden, noch würde ich es gestatten.«

»Mylord,« sagte Bouverie nachdrücklich; »ich hielt es für meine Schuldigkeit, Ihnen den Zustand meines Herzens zu offenbaren; und nachdem ich es gethan, erlauben Sie mir, auf die Ehre und Treue eines Christen und Soldaten, die Versicherung hinzuzufügen, daß meine einzige Hoffnung auf Wiederherstellung meines Glücks und Friedens auf Adelaiden beruht.«

»Mit Ihrem Herzen, das einer Andern geweiht ist?«

»Aber einer Andern, die ich nie wieder sehen werde; denn als ich Malta verließ, erwartete ihr Gemahl täglich eine höhere Anstellung in Indien; und in diesem Fall kann ich sicher darauf rechnen, sie nie wieder zu sehen. Außerdem, da meine Liebe hoffnungslos und durch ihr eheliches Band strafbar zu nähren ist, werde ich alle Kraft aufbieten, sie zu besiegen; und wüßte ich nur, daß sie nicht unglücklich durch unsre Trennung geworden, würden Sie bald keinen Grund mehr haben, an der Wahrheit meiner Versicherungen zu zweifeln.«

»Haben Sie keinen Freund in Malta, an den Sie sich vertrauungsvoll wegen solch einer Nachricht wenden könnten?«

»O, Mylord, dadurch würde ich ihre Neigung verrathen und ihren fleckenlosen Ruf schaden.«

»Erlauben Sie meiner Neugier noch eine Frage. Kamen keine Fremde auf der Insel an während Ihrer grausamen Verbannung von der schönen Lukretia?«

»Ein Detaschement von dem ***schen Regiment langte den Tag vor meiner wohlverdienten Verbannung daselbst an.«

»Befanden sich Männer von Rang und Vermögen, dabei?«

»Lord Rochdale. Aber weshalb diese Fragen, mein theurer Lord?«

»Verzeihen Sie, lieber Montagu; Sie werden mich hoffentlich nicht zum Zweikampf herausfordern, wenn ich Ihre schöne Zauberin für eine eitle Buhlerin erkläre, deren Herz und Eitelkeit keine Befriedigung bei dem Gatten findet und deshalb junge, arglose, unbedachtsame Gemüther an sich zieht, bis die ihnen eingeflößte Leidenschaft ihren Ruf bedroht. Rufen Sie sich ihr Betragen zurück. Verlockte sie Sie nicht zur Liebe; und wozu denn diese Unbeständigkeit? Warum munterte sie Sie gegen jedes göttliche und menschliche Gesetz auf, wenn sie Sie nicht zu belohnen gedachte? Offenbar nur, um über Ihr Unglück zu triumphiren, und sich selbst in ihrer tugendhaften Größe zu zeigen.«

»So viel sich auch zum Beweis Ihres Verdachts sagen läßt; Mylord, kann ich sie doch ohne Ungerechtigkeit nicht verdammen. Dennoch will ich über Ihre Vermuthungen nachdenken, und das Mögliche versuchen, meine Seele von der Sünde zu befreien, das Weib eines Andern zu lieben.«

»Und wenn es Ihnen gelungen ist, Montagu; wenn Sie mir sagen, daß Sie der Bewerber Adelaidens werden können, ohne ihren Frieden zu stören, dann sollen Sie meine völlige Erlaubniß dazu haben.«

Bouverie drückte dem Lord mit Wärme die Hand, und sagte dann nach einer Pause tief seufzend:

»Und bis es mir gelungen ist, diese unglückselige Leidenschaft zu bezwingen, muß ich das Wesen, nach dessen Besitz mein besseres Gefühl verlangt, von einem Mann verehrt sehen, der durch nichts gehemmt ist, ihr seine Huldigungen zu weihen; aber, o Himmel! wenn er das Ziel erreichte, was sollte dann aus mir werden?«

»Dann müßten Sie, Mann mit den zwei Herzen,« entgegnete Lord De Moreland lächelnd, »das lenksamste davon Lady Cölestinen antragen. Zu Ihrem Trost aber sei es gesagt, daß Sie wenig von dem Herzog von St. Kilda zu befürchten haben, obgleich er dem Gegenstand seiner Anbetung ein ungetheiltes Herz zu bieten hat, und deshalb Annahme verdient.«

»Wohl haben Sie recht,« sagte Bouverie mit einem schmerzlichen Seufzer; »und wenn ich diese süße und liebliche Blüthe der Unschuld und Schönheit verliere, muß ich zu meiner Schmach gestehen, diesen Verlust verdient zu haben.«

»Jetzt, gute Nacht, mein lieber Montagu, und träumen Sie von den Rivalinnen; aber vergessen Sie nicht, daß es von Ihnen abhängt, als erster Bewerber Adelaidens auftreten zu können.«

Mit diesen Worten verließ der Lord seinen jungen Freund, der in Gedanken verloren, langsam den Weg in sein Schlafzimmer einschlug.

 


Siebentes Capitel.

Der treue Diener Lee erwartete seinen Herrn mit einem von Norah bereiteten warmen Abendgetränk.

»Du bist immer so sorgsam, wenn ich krank bin, mein guter Lee. Kann ich je vergessen, wie Du mich in Malta gepflegt, mich keinen Augenblick verlassen hast?«

»Einmal verließ ich Sie doch, um mir bei dem General andere Früchte für Sie zu erbitten, da die nicht gut waren, welche ich bekommen hatte.«

»Warst Du im Hause des Generals während meiner Krankheit?« fragte Bouverie in athemloser Bewegung. »Und sahest Du Jemanden von der Familie?«

»Ja, Sir, ich sah Mylady; sie kam am Arm eines Officiers, als ich mit dem Gärtner sprach und wie sie mich erblickte, blieb sie stehen, und erkundigte sich freundlich nach Ihnen, worauf ich erwiederte, daß Sie so krank wären, wie ein Mensch sein könnte. Lady Marian ging hierauf in den Pavillon, worin Sie ihr so manche Stunde vorgelesen, ohne ihr Bedauern auszudrücken; aber der Officier war von meinen Thränen so gerührt, (denn ich weinte bitterlich) daß er bei mir stehen blieb, und noch viele Fragen über Sie an mich richtete; und als er endlich der Lady in den Pavillon folgte, fragte ich den Gärtner nach dem Namen des jungen Mannes, worauf er mir sagte, daß es der Graf von Rochdale sei. Das war alles, mein bester Herr.«

»Nein, Lee, das war nicht alles,« entgegnete Bouverie zitternd; denn die Vermuthungen des Lords erweckten die seinigen. »Das war nicht alles, und ich muß alles wissen.«

»Wenn Sie es befehlen; aber der Gärtner war ein ganz gemeiner Mensch, und ließ vielleicht nur seiner bösen Zunge freien Lauf als er sagte: ›Lord Rochdale sei glücklicherweise zur rechten Zeit gekommen, Mylady über den Verlust Herrn Bouveries zu trösten, den er auch vollkommen zu ersetzen scheine.‹«

Das Blut stockte in Montagus Adern; er antwortete nichts, entließ seinen Diener und überließ sich seinen Betrachtungen. Lord De Moreland hatte recht, sie war eine eitle Buhlerin, nur darauf bedacht, ein junges, argloses, unbedachtsames Gemüth zu verlocken, und deshalb nicht werth, länger als ein Hinderniß zwischen ihm und seinen Hoffnungen auf Adelaiden zu stehen. Und doch konnte sie triftige und tugendhafte Gründe zu ihrem vertrauten Umgang mit Lord Rochdale haben, konnte sich so schnell in dem Pavillon geflüchtet haben, Lee ihre Bewegung zu verbergen. Aber da seine Krankheit sie so ruhig gelassen, stand nicht zu befürchten ihr Herz durch eine plötzliche Flucht und Befolgung ihrer Befehle zu brechen; und das Resultat dieser ernstlichen, nächtlichen Berathschlagungen mit sich selbst war, daß er es seinem eigenen Glück und Frieden schuldig sei, alles aufzubieten, der Gatte seiner liebenswürdigen Namensverwandtin zu werden.

Um jedoch seinem Wort getreu zu bleiben, dem Herzog nicht eher offenbar entgegen zu treten, bis sein Herz sich gänzlich von den frühern Fesseln befreit, mußte er die häufigen ungestörten Zusammenkünfte mit Adelaiden zu vermeiden suchen, und entschuldigte deshalb schriftlich sein Nichterscheinen bei des Lords Frühstück, indem er hinzufügte: ›Daß seine schlafenden und wachenden Träume in dieser Nacht nur von der einzigen Hoffnung, Adelaidens Liebe zu gewinnen, erfüllt gewesen.‹«

Als diese zu ihrem Onkel kam, erwartete sie den Invaliden Bouverie zwar noch nicht dort zu finden, wunderte sich jedoch, das Frühstück ohne ihn beginnen zu sehen, und fragte: ›Ob Major Bouverie durch Krankheit abgehalten sei, wie gewöhnlich zu erscheinen?‹

»Nicht durch Krankheit, aber durch außerordentliche Mattigkeit,« entgegnete der Lord. »Der arme Mensch brachte eine schlaflose Nacht zu.«

Adelaide erröthete bei dem Gedanken, daß des Herzogs Ankunft vielleicht diese Schlaflosigkeit bewirkt. Sie hatte seine Unruhe, sein plötzliches Aufstehen wahrgenommen und Betrachtungen darüber angestellt, die auch ihr einen Theil der Nachtruhe gekostet. Sobald sie sich so weit erholt hatte, unbefangen weiter zu sprechen, warf sie die Worte hin:

»Lieber Onkel, halten Sie es nicht auch für unpassend, wenn der Herzog von St. Kilda so bald nach dem schrecklichen Ende eines liebenswürdigen Verwandten, sich bereden ließe, bis zum Ball nächsten Mittwoch hier zu bleiben?«

»Hat Se. Gnaden Deine Ansicht hierüber verlangt, meine Liebe?

»Nein, Mylord; aber ich würde es für unschicklich halten, und wünsche und hoffe, daß er es nicht thut.«

»Wie kannst Du dem armen Mann sein Ausruhen nach einer so langen Reise verargen?«

»Ich verarge es ihm nicht,« rief Adelaide, indem sich ihre Wangen mit dem höchsten Purpur überzogen; »aber sein Gehen würde sehr gut sein – für die arme Ambrosia –«

»Was kann der Herzog von St. Kilda mit Ambrosia zu thun haben? Ihr Liebesfieber ist doch hoffentlich nicht zurückgekehrt, seit Theodor als unübersteigliches Hinderniß dazwischen getreten ist?«

»O nein, nein, Mylord!« rief Adelaide, entsetzt über die Idee, solch einen Verdacht erweckt zu haben, um die eigene Verlegenheit zu verbergen; »aber ihre Schwestern sind bemüht gewesen, den Herzog als einen verzweifelnden Liebhaber Ambrosias zu bezeichnen, und gestern Abend entstand ein solches Geflüster über seine geringere oder größere Hoffnung, daß ich überzeugt bin, sie muß seine Abreise wünschen.«

»Und was sagt Theodor dazu?«

»O, ihm wird Niemand etwas davon verrathen.«

»Darauf ist sich nicht zu verlassen; das Gewissen der Ladys Leyburn ist anderer Natur, als das deinige. Sie werden sich ein Vergnügen daraus machen, ein falsches Gerücht von des Herzogs Neigung zu verbreiten, schon um den armen Theodor eifersüchtig zu machen, und zu sehen, wie er sich dabei benimmt.«

»Liebster Onkel,« sagte die erschrockene Adelaide, »thäte ich nicht besser, Ambrosia Ihre gegründeten Vermuthungen mitzutheilen, damit sie ihrem Mann gleich die Quelle dieses Gerüchts entdecken kann?«

»Allerdings, mein bestes Kind; und ich will Montagu unterrichten, wodurch er das Herz seines Bruders von aller Sorge befreien kann.«

Gleich nach dem Frühstück suchte Adelaide ihre Cousine auf, ohne sie jedoch zu finden, indem sie, wie ihr Theodor berichtete, allein mit ihrer Mutter gefrühstückt, und ihm hierauf hätte sagen lassen, daß sie mit einer auserwählten Gesellschaft nach Windsor ginge. »Und diese Gesellschaft ist so auserwählt, daß ich nicht einmal dazu eingeladen bin,« fügte er mit erzwungenem Lächeln hinzu.

In diesem Augenblick trat Montagu herein, und Adelaide erstaunt, ihn nach der Entschuldigung bei seinem Onkel hier zu sehen, äußerte ihre Freude, zu bemerken, daß seine Mattigkeit ihn doch nicht länger als gewöhnlich im eigenen Zimmer zurückgehalten habe.

»Sie sind sehr gütig, Miß Bouverie, Theil an meinem Befinden zu nehmen; aber ich glaubte, daß Bewegung in freier Luft mir heilsam sei, und so kam ich hierher, Dich, lieber Theodor, zu bitten, mich etwas spazieren zu fahren; doch nun höre ich, daß Dein Currikle Damals beliebte Form der Kutsche; sie ist zweirädrig und wird zweispännig gefahren, wirkt sehr elegant, wurde aber bald von anderen Kutschenarten wie Cabriolet oder Phaeton abgelöst, weil sie höchst unfallträchtig war. mit zu der Parthie in Anspruch genommen ist, welche fortfahren zu sehen mich so früh aus meinem Zimmer trieb.«

Erzürnt über die Frechheit, sich seines Wagens ohne vorhergegangene Anfrage zu bedienen, wollte Theodor hinauseilen, sich genauer zu erkundigen, als des Herzogs Eintritt ihn daran verhinderte.

»Wie, Miß Bouverie!« rief er nach den ersten Begrüßungen, »unsere Gesellschaft ist zur Abfahrt bereit, und Sie sind noch nicht fertig?«

»Ich gehöre nicht mit zu der Parthie nach Windsor,« entgegnete sie.

»Nicht mit zu der Parthie!« rief der Herzog mit einem so unzweideutigem Ausdruck des Verdrusses, daß Theodorn ein Mühlstein vom Herzen fiel.

»Nicht von dieser Parthie, Adelaide!« wiederholte Montagu mit gleichem Erstaunen, aber mit einem fröhlichern Ausdruck als der getäuschte Herzog.

» Miß Bouverie,« sagte Adelaide mit Nachdruck, »wird niemals würdig gehalten, an Lady Leyburns Parthien Theil zu nehmen.«

»O, wie unglücklich, daß ich dieß nicht früher wußte, ehe ich – ehe ich –« stammelte der Herzog, in einem so klagenden Ton, daß er nicht wohl mißverstanden werden konnte.

In diesem Augenblick rauschte Lady Leyburn herein, flog auf Se. Gnaden zu, faßte seinen Arm und rief aus: »Kommen Sie schnell! Theodor, ich brauche mich nicht zu entschuldigen, Ihren Currikle genommen zu haben, da es für Ihre Frau geschah, welche ich dem besten Wagenlenker übergebe. Herzog, Sie werden die Güte haben, der Gefährte meiner Tochter zu sein, Ihrer Sorge vertraue ich meine liebenswürdige Ambrosia.«

Und somit riß sie dem widerstrebenden Herzog fort, ohne dem erstaunten Theodor Zeit zu lassen, auch nur ein Wort zu sagen.

»Beim Himmel!« rief er aus, als sie verschwunden, »kann man sich etwas tolleres denken, als meine Frau und meinen Wagen einem andern Mann zu geben, ohne mich nur vorher zu fragen?«

»Allerdings eine neue Methode mütterliche Freiheit auszuüben,« sagte Montagu unwillig; »und obgleich Du eben den besten Beweis erhalten, wie wenig Du von diesem aufgedrungenen Führer zu befürchten hast, wollte ich doch rathen, einen klügern Gebrauch von Deinem Wagen zu machen, und Deine Frau sobald wie möglich darin der mütterlichen Leitung zu entführen.«

Die Unterhaltung der Brüder nicht zu stören, wollte sich Adelaide rasch entfernen, als ihr Montagu nacheilte und sie leise, aber mit augenscheinlicher Bewegung fragte:

»Adelaide, muß ich den Herzog bedauern? Ist er der einzige, Getäuschte bei dieser Parthie?«

»Wenn Sie mich in der Mönchskutte und Kappe fragen, will ich Ihnen antworten,« erwiederte sie lächelnd; »unterdessen aber mögen Sie darüber nachdenken, ob ich mich getäuscht fühle, und sich wundern, wie gut ich diesen Schlag ertrage.«

Montagu fühlte, daß der Herzog bis jetzt noch kein begünstigter Nebenbuhler war; und von neuen Hoffnungen belebt, kehrte er zu seinem Bruder zurück, den er, seit derselbe darüber aufgeklärt, wessen Anziehungskraft Se. Gnaden nach Roscoville gezogen, fest entschlossen fand, Lady Ambrosia von ihrer Eitelkeit zu heilen. Er wollte nämlich die beabsichtigte Abreise so lange verschieben, bis sie selbst die Entdeckung gemacht, daß der Mann, von dem sie geprahlt, er sei von Liebe zu ihr entbrannt, sich als ihrer Cousine Anbeter öffentlich kund gethan. Montagu erkannte die Cur für eine harte, aber für die einzige radikale, und hoffte, sie durch die gekränkte Eitelkeit so weit gebracht zu sehen, daß sie selbst den Wunsch äußerte, ihres Gatten verschmähte Hütte als Zufluchtsort aufzusuchen.

Adelaide fand eine Botschaft ihres Onkels, ihn auf einem Spaziergang zu begleiten, da Lady Leyburn, wie er sagte, alle Pferde, die ihr Geiz ihr seit seiner Abreise nach Frankreich zu halten erlaubt, zu der Parthie nach Windsor in Beschlag genommen hatte.

Nach dem Spaziergang verfügten sie sich in des Lords Studirzimmer, woselbst sie Bouverie eifrig mit Ordnen der chaotischen Papiere beschäftigt fanden. Er schien seinen großmüthigen Entschluß, hinsichtlich des Herzogs, gänzlich vergessen zu haben, und nur von Adelaidens Blicken und Tönen zu leben.

Als die erste Mittagsglocke erscholl, entfernte sie sich, um noch vor dem Essen eine Unterredung mit Ambrosia zu haben, und, wie schon öfterer geschehen, als Gegengift gegen die Rathschläge ihrer Mutter zu wirken. Sie beschleunigte deshalb ihre Toilette und sandte Norah mit der Meldung ihres Besuchs an Lady Ambrosia ab, erhielt jedoch zur Antwort: »Sie bedaure, Miß Bouverie nicht annehmen zu können, indem sie sich nach der Fahrt zu ermüdet fühle, um zu sprechen.«

Adelaide schloß hieraus nichts Gutes, und nicht willens, Ihre Herrlichkeit abzuwarten, welche sie gewöhnlich abzurufen kam, begab sie sich etwas früher wie sonst in das Gesellschaftszimmer, wo sie nur kurze Zeit allein blieb, indem unter mehreren andern Gästen der Herzog von St. Kilda sehr bald eintrat, und höchlichst erfreut, sie unbeschäftigt zu finden, seinen Platz neben ihr nahm.

»Ihre Parthie nach Windsor war hoffentlich eine angenehme,« sagte Adelaide.

»Wäre meine Begleiterin nicht Ihre Freundin und Verwandte, Miß Bouverie, würde ich Ihnen aufrichtig antworten, daß der Morgen mir endlos erschien; ja, trotz der Anerkennung Ihrer Freundschaft, muß ich Ihnen gestehen, daß meine Lage nicht die angenehmste war. Ich sah mich von Lady Leyburn in den Wagen eines Mannes gesetzt, dessen Erlaubniß ich nicht dazu hatte, und aufgefordert, den Cicisbeo einer Frau zu spielen, welche, wie mir meine angenehme Wirthin versicherte, an einen so absurden, unvernünftig eifersüchtigen Mann verheirathet war, daß sie beschlossen hatte, ihn von dieser Krankheit zu heilen.«

Indem er noch weiter fortfahren wollte, trat Lady Leyburn mit ihrer Tochter Ambrosia herein. Höchst vortheilhaft gekleidet, lehnte sie an ihrer Mutter Arm, im Bewußtsein unübertrefflicher Schönheit triumphirend.

Bei Adelaidens unerwartetem Anblick stutzte Lady Ambrosia, indem sie gehofft, daß ihre Cousine auf sie warten würde; auch Lady Leyburn stutzte weil sie den Herzog neben der verhaßten Nichte sitzen sah, und diese ihr noch nie so schön erschienen war.

»Es that mir leid, Adelaide,« sagte Lady Ambrosia, mit einer Miene, in welcher sich Stolz und Verlegenheit abdrückte, »daß ich Ihnen nicht Audienz in meinem Ankleidezimmer geben konnte; aber ich war wirklich zu ermüdet, und fürchtete mich, durch Sprechen anzugreifen.«

»Hat nichts zu bedeuten,« entgegnete Adelaide mit der höchsten Ruhe, »es ist nicht zu erwarten, daß große Leute stets bereit sein sollen, Audienzen zu gewähren; und da ich keine Gunst zu erbitten hatte, konnte ich mich leicht trösten.«

»Und mir ward dadurch das Glück zu Theil, die Gesellschaft zu genießen, welche Ihre Herrlichkeit verschmähten,« sagte der Herzog lächelnd.

»Sehr galant, in der That!« rief Lady Leyburn, etwas spöttisch. »Doch kommen Sie, Herzog; es verlangt mich nach einer ernstlichen Unterhaltung mit Ihnen über Sir Charles Longuiville und andre alte Freunde in Ihrem Regiment.«

»Ich muß meiner schönen Wirthin gehorchen,« sagte der Herzog leise zu Adelaiden, indem er zögernd aufstand, Mutter und Tochter zum fernsten Ende des Zimmers zu folgen, wo Ambrosia die ganze Artillerie ihrer Reize spielen ließ, und Lady Leyburn alle Beredtsamkeit aufbot, ihn fest zu halten.

Adelaide fühlte sich durch dieses Manoeuver ihrer Tante erleichtert, da sie fürchten mußte, jedes mit dem Herzog gewechselte Wort falsch ausgelegt zu sehen und sehr überraschte es sie, als Montagu sogleich den leeren Platz bei ihr einnahm, und sie angelegentlichst unterhielt. Indem trat Theodor herein, ging auf den Herzog zu, reichte ihm die Hand und dankte ihm mit so unbefangener Freundlichkeit für die Sorge, welche er für feine cara sposa getragen, daß Lady Leyburn sich hinsichtlich der Beschreibung der Eifersucht ihres Schwiegersohns Lügen gestraft sah.

Jetzt ward gemeldet, daß angerichtet sei, und Lady Leyburn rief heiter: »Meine Lords und Gentlemen, Cicisbeos der Morgenparthie, führen Sie nun ihre schönen Gefährtinnen zu Tisch; denn es ist mein allerhöchster Wille als Gebieterin der Abtei, daß Sie für den übrigen Theil des Tages nicht getrennt sein sollen.«

»Habe ich Ihre Erlaubniß, Herr Bouverie?« sagte der Herzog, indem er widerstrebend die Hand der schönen Ambrosia ergriff.

»Da ich selbst von diesem Glück ausgeschlossen bin, weiß ich keinen Mann, dem ich die Sorge für meine Frau lieber übertrüge, als den Herzog, von St. Kilda,« entgegnete Theodor mit einer Gemüthsruhe, die Lady Leyburn, höchlichst in Verlegenheit setzte, und die Eitelkeit der Tochter nicht wenig beleidigte.

»Adelaide,« sagte Montagu lächelnd, »nach diesem Arrangement bleibt Ihnen kein Cicisbeo, als Ihr warmer invalider Freund Bouverie. Können Sie einen Befehl überleben, der Ihnen keine Aussicht auf ein besseres Schicksal den ganzen Tag verspricht?«

»Ich will es versuchen,« entgegnete Adelaide, ihn mit einem so bezaubernden Lächeln anblickend, daß er ganz entzückt war, und zweifelte, ob Lady Marian einen solchen Blick zu spenden vermöchte?

In der Gesellschaft befand sich ein dramatischer Liebhaber, ein Herr Westland, welcher versprochen hatte, den Abend Einiges zu deklamiren und ein Sprüchwort aufzuführen. Aus diesem Grunde verweilten die Herren nicht lange im Speisesaal, und folgten den Damen bald ins Gesellschaftszimmer nach, wo der Anordner sich gleich zu Lady Ambrosia setzte und sie laut genug, um von den Andern gehört zu werden, fragte, ›welche Rolle sie ihrer liebenswürdigen Cousine bestimmte?‹ »Meiner Meinung nach,« fügte er hinzu, »müßte man die drei Grazien in einer Person von ihr darstellen lassen.«

»Bravo, bravissimo!« rief der Herzog mit Enthusiasmus. »Wenn Sie alle Charaktere so richtig auffassen, werden Sie sich unsterblichen Ruhm erwerben.«

Die Abendunterhaltungen begannen nun, und der Herzog verlor durch Lady Leyburns Anordnungen alle Gelegenheit, sich Adelaiden zu nähern und ihr seine Aufmerksamkeit zu beweisen, während er mit Angst gewahrte, wie sehr sich Major Bouverie ihr widmete. Um in der Folge ähnlichen Besorgnissen zu entgehen, beschloß er, gleich am folgenden Morgen Lady Leyburn zu gestehen, was ihn nach Roscoville gezogen, und sie zu bitten, seine Hoffnungen und Aussichten auf Erfolg nicht länger grausam zu verhindern.

 


Achtes Capitel.

Montagu fand sich am andern Tag so früh bei Lord De Moreland ein, daß dieser seine Verwunderung aussprach, ihn nach dem gestern verkündeten Ausspruch, Adelaiden zu vermeiden, bis des Herzogs Bewerbung entschieden, jetzt hier zu sehen.

»Gestern Morgen war ich entschlossen, der Gefahr aus dem Wege zu gehen,« erwiederte Bouverie lachend, »aber sobald ich mein Zimmer verlassen hatte, änderten sich meine Gesinnungen, und die Begebenheiten des Abends haben mich bestimmt, dieses engelgleiche Wesen, als den einzigen Trost und Balsam für mein verwundetes Herz aufzusuchen. So lange ich in Adelaidens Nähe war, ist kein Gedanke von ihr nach Malta gewandert; ich fühlte und sah nur sie. Und wenn dieß meine Empfindungen sind, ehe ich noch weiß, wie sie gegen mich gesinnt; wie sicher vor jedem fremden, strafbaren Einfluß würde ich mich fühlen, sollte es mir gelingen, ihre Liebe zu erwerben. Darum gestatten Sie mir nur, meine Bewerbung zu beginnen.«

Lord De Moreland drückte Montagus Hand mit Wärme, indem er freudig ausrief:

»Wenn Sie wagen, um die Hand, meines Kindes zu bitten, wage ich es, Ihnen sein Glück anzuvertrauen denn wenn Ihr Herz sich nicht stark genug dazu fühlte, würde Ihre Ehre Ihnen gebieten, davon abzustehen. Darum werben Sie getrost um Adelaiden; ich gebe Ihnen meine völlige Zustimmung und wünsche Ihnen den besten Erfolg. Auch glaube ich, daß wir uns als wahre Freunde des Herzogs beweisen, wenn wir ihm alle Hoffnung benehmen, ehe sein Herz sich zu innig anschließt.

Sie sehen, lieber Montagu daß meine heißen Wünsche Ihres glücklichen Erfolgs mich kühn in meinen Erwartungen machen; denn wenn es Ihnen gelingen sollte, Adelaidens Liebe zu gewinnen, würde eine große Sorge von mir genommen sein. Gestern hat mir Baronello eine Nachricht mitgebracht, die mich nöthigt, meine arme verwaiste Nichte abermals zu verlassen; und könnte ich sie dem Schutz eines zärtlichen Gatten übergeben, würde jede Besorgniß für ihren Frieden, ihren Ruf, ihre Sicherheit, die alle durch Lady Leyburn bedroht werden, verschwinden.«

Eine unaussprechliche Angst für die Sicherheit des Lords erfüllte Bouveries Herz; auch erschreckte ihn der Gedanke einer so schnellen Verbindung mit Adelaiden, die den Augenblick beschleunigen würde, wo er es als Verbrechen betrachten müßte, mit Zärtlichkeit an Lady Marian zu denken.

»Welcher neuen Gefahr wollen Sie entgegen gehen,« rief Montagu aus. »Hoffentlich nicht aufs Continent?«

»Ich glaube nicht, doch ist es möglich; und deshalb könnte ich wünschen, Sie weiter in Ihrer Bewerbung zu sehen, um Adelaiden nicht Mstrß. Aspenfields Schutz übergeben zu müssen, bei welcher ich immer noch Mstrß. Falklands Einfluß befürchte.«

»Mit der größten Bereitwilligkeit würde ich jedes Hinderniß aus dem Wege räumen, wenn es von mir allein abhinge; aber ich habe ja meine Bewerbung noch gar nicht förmlich begonnen, und, wer weiß, ob sie sich nicht allein durch Gewohnheit, Mitleid mit meinem jetzigen Zustand und allgemeiner Menschenliebe zu mir gezogen fühlt. Und wenn ich daran denke, welchen Eindruck mein ehrliches Bekenntniß unfehlbar auf sie machen wird, wage ich kaum einen, Hoffnungsstrahl festzuhalten.«

»Liebster Montagu!« rief der Lord in höchster Bestürzung; »es kann doch unmöglich Ihre Absicht sein, Adelaiden eine Leidenschaft zu gestehen, die Sie entschlossen sind zu bekämpfen?«

»Allerdings, Mylord; denn wie könnte ich mit gutem Gewissen um sie werben, wenn ich ihr den Stand meines Herzens verhehlte?«

»Und wie könnten Sie um sie werben, nach solch einem Bekenntniß? Nein, nein, lieber Freund! das sind romantische Ideen, nur dazu geeignet, Verdacht in der Seele Ihrer Frau zu erwecken und ihren Frieden zu stören. Wenn Sie fest in Ihren Vorsätzen sind, und Adelaiden ein ungetheiltes Herz bieten können, müssen Sie ihr verschweigen, welch eine Nebenbuhlerin sie gehabt; und mit prophetischem Geist rufe ich Ihnen zu, der Gatte meiner Adelaide wird nicht lange einer Leidenschaft in seiner Brust Raum geben, die auf Schuld gegründet ist.«

In diesem Augenblick trat Adelaide herein, und begrüßte den Jugendfreund mit so lieblicher Freundlichkeit, daß er von Neuem die Ueberzeugung gewann, sie würde Lady Marians Bild bald gänzlich aus seinem Herzen verdrängen.

Als Lord De Moreland ihr seinen Entschluß, sie so bald zu verlassen, ankündigte, wurde sie blaß wie der Tod, und rief, sich in seine Arme werfend mit angstvollem Ton:

»Verlassen Sie mich nicht, verlassen Sie mich nicht, mein theurer Onkel! ich beschwöre Sie, mich mitzunehmen. Ich will alle Gefahren mit Ihnen theilen, und Sie sollen mich nirgends störend finden, selbst nicht durch meine Besorgnisse.«

Der Lord suchte sie zu beruhigen, versicherte, keiner Gefahr entgegen, sondern nur in wichtigen Geschäften auf drei Wochen nach Irland zu gehen, während welcher Zeit er sie ihren Freunden in Kent übergeben, wolle.

»Nur drei Wochen!« wiederholte Adelaide, neues Leben gewinnend; »dann hoffe ich, Sie werden unsern invaliden Freund hier bereden, Sie zu begleiten, mein theurer Onkel, da ich glaube, daß Veränderung der Luft und der Gegenstände ihm gut thun wird, und in Roscoville ist nichts für seine Gesundheit zu erwarten.«

»Aber kann ich nicht mit Ihnen nach Kent gehen, liebe, liebe Adelaide?« rief Bouverie, ihre Hand an seine Lippen drückend.

»O, nein!« entgegnete Adelaide hoch erröthend, und so bewegt, daß er ihre Hand zittern fühlte, »Sie können nicht mit zu Mstrß. Aspenfield gehen; es ist leider kein Falkland mehr in Kent, Sie gesund zu machen, und im Schloß De Moreland würden Sie allein sein.«

»So bleibt Ihnen also kein anderer Ausweg als mit mir zu gehen,« sagte der Lord lächelnd.

»Und wenn Sie zurückgekehrt sind, werden Sie hoffentlich eine Wohnung finden, die uns alle drei aufnimmt?«

»Das möchte schwer einzurichten sein, da ich nach meiner Zurückkunft viel mit Rechtsgelehrten in dieser Wohnung hier zu verkehren haben werde, woselbst ich Ihnen keine freundliche Aufnahme von meiner Schwester versprechen kann, wenn Sie sie durch Nichterfüllung der Befehle ihres Großvaters beleidigen. Adelaide, ich weiß nicht, ob Du schon gehört hast, daß der verstorbene Lord De Moreland so ungerecht gegen den armen Montagu war, ihn zu verdammen, eine von Sr. Herrlichkeit Urenkelinnen zu heirathen, oder bedeutende Vortheile aufzugeben.«

»Dann wird er sie wohl aufgeben,« sagte Adelaide schnell, und von einem noch höhern Roth übergossen als sie fühlte, daß sie bei der Nachricht roth geworden.

»Warum sie aufgeben, meine Liebe?«

»Weil ich überzeugt bin, daß Major Bouverie mit keiner von Beiden glücklich werden würde – mit Ambrosia wäre es vielleicht anders gewesen.«

»Meine Adelaide scheint zu vergessen, dass noch eine dritte Urenkelin des Lords unverheirathet ist, mit welcher ein Mann vielleicht leidlich glücklich werden könnte,« bemerkte Se. Herrlichkeit schlau lächelnd.

»Adelaide glaubt, daß Lady Leyburn nicht die Absicht hatte, mir ein so beneidenswerthes Loos zu bestimmen, als sie Ew. Herrlichkeit meines Großvaters Wunsch bekannt machte,« sagte Montagu ängstlich.

»Was meinst Du, Adelaide; ist dieß wirklich Deine Meinung?« fragte der Lord.

»In der That, Mylord;« entgegnete die schmerzvoll bewegte Nichte mit aller Naivität ihrer schuldlosen Natur, »ich bin überzeugt, Ihre Herrlichkeit vergaß diese Dritte eben so wie ich es that, als ich davon sprach, da sie dieselbe zu wenig beachtet, um ihr eine Aussicht auf solch vollkommenes Glück zu eröffnen.«

»O, Adelaide!« rief Bouverie, die zitternden Hände des Mädchens ergreifend und sie mit Feuer an seine Lippen, an sein Herz drückend; »dürfte ich nur die theure, die schmeichelhafte Hoffnung hegen, daß Sie jemals eine Verbindung mit mir als den Weg zu Ihrem vollkommenen Glück betrachteten, welch ein beneidenswerther Sterblicher würde ich sein, wie sehr begünstigt vom Himmel!«

»Gut, gut! wir wollen sehen, was sich machen läßt, wenn wir von Irland zurückgekehrt sind, liebster Montagu!« sagte der Lord, bemüht, seine eigene Heftigkeit zu verbessern, die Montagu zu einer so vorschnellen Erklärung veranlaßt. »Wenn wir in demselben Hause wohnen, in einer bessern Temperatur zur Entwickelung schüchterner Charaktere, als die gegenwärtige eisige in Roscoville, wollen wir versuchen, ob eine Fesselung von beiden Seiten zu bewirken ist, über welche unwahrscheinliche Begebenheit ich mich nicht grämen würde.«

»Nicht unwahrscheinlich von Seiten Montagus, verehrtester Lord,« rief Bouverie mit Feuer, »und ich flehe jetzt nur um die Erlaubniß, mit in die Reihe der zahllosen Bewerber Adelaidens treten zu dürfen.«

»Hierzu haben Sie meine Zustimmung, wenn Adelaide Ihnen die ihrige ertheilt,« entgegnete Lord De Moreland.

»Ich hoffe, sie wird so viel Muth erlangen, Ihnen zu sagen, ehe wir nach Irland reisen, ob Sie hoffen dürfen, oder verzweifeln müssen!«

Adelaide verbarg ihre erröthenden Wangen an des Onkels Busen und flüsterte leise mit zitterndem Ton: »Das Letztere nie!« Obgleich diese Worte nur für des Lords Ohren bestimmt waren, hatte sie Montagu doch gehört und preßte mit ungestümen Entzücken ihre Hand an sein pochendes Herz.

In diesem Augenblick erschien ein Diener mit einer Botschaft von Lady Leyburn an Se. Herrlichkeit und Miß Bouverie, sich um zwölf Uhr im Gewächshause einzufinden, der Gesellschaft ihren Beistand zu gewähren, um Kränze für den Eß- und Ballsaal zu winden. Major Bouverie möchte jedoch eine Stunde früher erscheinen, um Blumen für die Damen auswählen zu helfen.

»Unsere, Empfehlung, und wir würden, Lady Leyburns Aufforderung folgen,« sagte Lord De Moreland.

»Welche Blumen soll ich für Sie aussuchen? welche bilden den schönsten Kranz? welche lieben Sie am meisten, meine Adelaide?« sagte Bouverie.

Der Ausdruck: » meine Adelaide,« benahm ihr für den Augenblick allen Muth zu antworten, und nach mehreren fruchtlosen Versuchen stammelte sie endlich die Bitte heraus, sich nicht durch Blumen suchen zu ermüden.

»Ich kann Ihnen dazu behülflich sein, Adelaiden Ihre Huldigung ohne Anstrengung zu beweisen,« sagte der Lord lächelnd, »indem ich meinen Wagen um zehn Uhr bestellt habe, Herrn Coke einige Papiere zu überbringen. Wenn Sie mich begleiten wollen, Montagu, werden Sie in dem dortigen Garten hinreichende Blumen finden.«

Nachdem die Herren sich zum Aufbruch bereitet, zog Adelaide ihren Onkel noch einmal in eine Fenstervertiefung und fragte ihn, indem ein hohes Inkarnat ihre verschämten Wangen überzog: ›Ob das, was Montagu gesagt, so ernstlich gemeint sei, daß sie es ihrer getreuen Norah mittheilen könne, und es ihrem verehrten Vormund schreiben dürfe, ihn in die Heimath zurück zu rufen?‹

Mit Mühe ein Lächeln unterdrückend über Adelaidens Naivität, versicherte der Lord: ›Daß Bouverie im vollsten Ernst gesprochen, und daß sie Ihrer Wärterin die Sache mittheilen könne, wogegen er aber rathe, dem Vormund noch nichts davon zu schreiben, bis sie von Irland zurück gekehrt.‹

Adelaide seufzte über den Gedanken, ihren frühesten Freund, ihren väterlichen Vormund dieses wichtige, ihn so sehr beglückende Geheimniß vorenthalten zu müssen; und als Montagu, hierüber ängstlich geworden, in Se. Herrlichkeit drang, ihm Adelaidens Kummer mitzutheilen, und den Grund des Lords Verzögerung nur zu gut errieth, bat er so bringend, ihr zu gestatten, an Falkland zu schreiben, daß Lord De Moreland mit Nachdruck erwiederte: »Mein Wunsch beruhte einzig und allein auf der Wandelbarkeit menschlicher Begebenheiten und Ansichten; doch wenn Sie, lieber Montagu, meine Vorsicht für grundlos halten, mag Adelaide immerhin an den Mann schreiben, dem sie als dankbares Kind das unumschränkteste Vertrauen schuldig ist.«

Und nun flog sie in ihr Zimmer, der mütterlichen Norah ihr Glück mitzutheilen, welche heiße Freudenthränen über die Erfüllung des von ihr und Adelaidens Vormund ersehnten Wunsches vergoß.

 


Neuntes Capitel.

Adelaide hatte ihren langen Brief an Falkland noch nicht beendet, als sie abermals eine Botschaft von Lady Leyburn erhielt sich sogleich im Gewächshause einzufinden, woselbst alle Bewohner der Abtei, Lord De Moreland und Montagu Bouverie ausgenommen, schon versammelt waren.

Lady Leyburn erwiederte auf ihre Entschuldigung mit ungewöhnlicher Herablassung, daß sie schon längst vermißt worden sei, und nun nicht länger hätte entbehrt werden können, da man das Werk gemeinschaftlich beginnen wollte und die Körbe zu gleicher Zeit aufgemacht werden sollten, zu sehen, wie die Herren für ihre Damen gesorgt. »Dieses hier mit der grünen Weide ist Ihr Korb, meine Liebe,« fügte Sie hinzu. »Da Sie nicht gegenwärtig waren, ihn zu verzieren, dachten wir, diese einfache Farbe würde Ihrem einfachen Geschmack am Besten entsprechen.«

Lady Ambrosia bemerkte, daß ihres Gatten Züge sich bei der Anspielung auf die Weide verfinsterten, und um ihre eigene Verwirrung zu verbergen, öffnete sie schnell ihren Korb und rief, als sie ihn weit reicher als irgend einen andern verziert sah, frohlockend aus:

»Fast zu schön für eine verheirathete Frau! aber weshalb betrachten Sie diese Blumen so genau, Herzog? Finden Sie alte Bekannte darunter?«

»Ich habe einige davon schon früher gesehen,« erwiederte der Herzog, halb verlegen und halb verdrießlich.

»O, Pfui! Sie dürfen nicht verrathen, für wen Sie gearbeitet haben,« sagte sie gezwungen.

In diesem Augenblick traten Lord De Moreland und Montagu herein, ohne Blumen mitzubringen, da der ganze Garten schon zu Lady Leyburns Ball geplündert worden war. Adelaide erröthete bei Montagus Anblick und senkte den Blick auf ihren Korb, den sie mechanisch geöffnet hatte; doch keineswegs auf den Inhalt desselben vorbereitet, fühlte sie sich im ersten Augenblick gekränkt und beleidigt, und nur der Gedanke, daß Montagu keinen Antheil an dieser vorsätzlichen Kränkung hatte, gab ihr so viel Selbstgefühl, die Sache scherzhaft zu behandeln, und in diesem Sinne sagte sie:

»Haben Ihre Herrlichkeit die Absicht gehabt, mich mit Gegengift für die Zerstreuung des Abends zu versehen, da sich hier für mich eine Sammlung medicinischer Kräuter findet? Es hängt von Ihnen ab, ob ich sie zu Kränzen oder zum Bedarf der Kranken verwenden soll?«

»Was bedeutet dieß? Wer kann meiner lieben Nichte Korb mit diesen Dingen angefüllt haben? Pfui! der Geruch macht uns alle krank!« rief Lady Leyburn mit dem Anschein des Erstaunens.

»Ich gebe tausend Guineen darum, zu erfahren, wer dieses witzige Spiel ausgeführt!« sagte der Herzog erzürnt; »und wer so gütig war, die Blumen heraus zu nehmen, die ich selbst sorgfältig ausgewählt, und in Miß Bouveries Korb gethan hatte.«

»Deponiren Sie das Geld, und ich will nie wieder eine Guinee in die Hand nehmen, wenn ich die witzigen Thäter nicht ausfindig mache,« rief Lord Leyburn schnell. »Ich nehme selbst Theil an dieser Entdeckung, da auch ich meine Sammlung in meiner Cousine Korb gethan, so wie nebst mir Westland, Lord Norwood und Daniel Blackthorn. Wo wollen Sie das Geld deponiren, Mylord?«

»Ich hafte mit meiner Ehre dafür.«

»Laß ab, ich befehle es Dir, Leyburn!« rief seine Mutter in der höchsten Besorgniß, ihre Betrügerei entdeckt zu sehen, so wie erschreckt über des Herzogs augenscheinliche Aufmerksamkeit gegen Adelaiden. »Du weißt, daß ich keine Wetten noch dergleichen Spiele hier gestatte.«

»Auch ich wünsche solche Dinge nicht unter meinem Dach,« sagte Lord De Moreland, »und was die Thäter betrifft, so überlasse ich sie der verdienten Verachtung, da kein so gemeiner Witz im Stande ist, meiner geliebten Nichte zu schaden. Daß ihr sehr gebildeter und ausgezeichneter Vormund die nützliche Apothekerkunst ausübt, wird sie sich nicht schämen einzugestehen; eben so wenig, daß sie selbst die Anwendung einiger Kräuter gelernt hat.«

Dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, versicherte Theodor, daß seine Frau sich ein Vergnügen daraus machen würde, ihren Reichthum mit ihrer liebenswürdigen Cousine zu theilen; worauf Lady Ambrosia mit ziemlich guter Art Adelaiden Platz neben sich machte, obgleich sie es so bald nicht zu überwinden vermochte, daß Se. Gnaden selbst die Blumen für Adelaiden gesucht hatte; und nur die Versicherung ihrer schlauen Mutter, daß der Herzog aus Schonung für Theodors Eifersucht, sich anscheinend um ihre Cousine bemühte, beruhigte ihre gekränkte Eitelkeit einigermaßen.

Jetzt langte Oberst Westenra mit einigen Officieren seines Regiments an, sich entschuldigend, daß sie durch Dienstgeschäfte abgehalten nicht früher hätten erscheinen können, den Damen ihre Dienste zu widmen. »Doch, nun wir angekommen sind, Lady Leyburn, werden Sie die Güte haben zu bestimmen, wem wir bei diesem eleganten Geschäft beistehen sollen?«

»Das müssen Sie mir sagen,« entgegnete Lady Leyburn lächelnd.

»So werde ich mich Lady Ambrosia widmen,« rief der Oberst, sich ihr rasch nähernd, und sehr erstaunt, den Herzog von St. Kilda, seinen alten Freund, in ihrer Nähe zu sehen.

Ein freudiges Begrüßen erfolgte; und da der Oberst von ihren gemeinschaftlichen Freund Clayton des Herzogs jetzigen Herzenszustand sein Zusammentreffen mit Adelaiden und den Fischverkauf erfahren hatte, unterließ er nicht, ihn mit Anspielungen und Neckereien zu plagen, die den Herzog in nicht geringe Verlegenheit setzten, und Adelaiden sowohl wie Lady Ambrosia, obgleich aus verschiedenen Gründen, sehr peinlich wurden. Als der Oberst endlich gewahrte, daß er den unrechten Weg eingeschlagen, wandte er sich rasch zu Lady Leyburn und sagte:

»Wir gehen mit? der Idee um, einen Ball in unseren Baracken zu geben, und fragen deshalb an: »Ob Sie uns mit Ihrer Gesellschaft die Ehre dazu erzeigen wollen?«

»O, gewiß; es wird uns Vergnügen machen,« erwiederte Lady Leyburn, bemüht heiter zu scheinen, obgleich innerlich erschrocken über des Obersten Anspielungen hinsichtlich des Herzogs, die sie jedoch nicht so gänzlich verstand, wie Lady Ambrosia, deren Eitelkeit durch Adelaidens bevorstehenden Triumph einen solchen Stoß erlitten hatte, daß sie sich tausend Mal in ihres Gatten Hütte wünschte.

»Sie müssen wissen, Lady Leyburn,« fuhr der Oberst fort: »daß eine bedeutende Wette davon abhängt. Unsere Garnison nämlich und die von W. wollen beide in den nächsten vierzehn Tagen einen Ball geben, und haben einen Preis darauf gesetzt, wer die schönsten Damen auf dem seinigen aufzuweisen hat. Sie sehen also, Lady Leyburn, daß der glückliche Erfolg unserer Wette allein von Ihrer und Ihrer Gesellschaft Erscheinung abhängt. – Lady Ambrosia, bestimmen Sie den Tag unseres Balls – wann wünschen Sie, dass er Statt finden soll?«

»Das kann ich unmöglich bestimmen, Herr Oberst,« entgegnete Ihre Herrlichkeit, »da ich nicht das Vergnügen haben werde, Theil daran zu nehmen, indem ich übermorgen nach Hampshire abreise.«

»Wie?« rief Lady Leyburn, »ich wußte nicht, daß Deine Abreise schon bestimmt war.«

»Sie war es auch früher nicht, Mutter; da aber Theodor wichtige Geschäfte zu Hause hat, hielt ich es für meine Schuldigkeit, sobald wie möglich einen Tag zu bestimmen.«

»Aber doch nicht vor unserm Ball,« sagte Oberst Westenra.

»Wir wollen heute Abend noch weiter darüber sprechen, und Sie sollen dann meine Entscheidung hören.«

Hiermit begnügte sich der Oberst, und wandte sich dann an den Herzog, mit der Bitte, ihm sein Urtheil über ein vorzüglich schönes Pferd zu geben, welches er nächste Woche aus der Barberei erwartete, was ihm dieser bereitwillig zusicherte.

Im Lauf des Gesprächs ergab sich, zu des Obersten sichtlichen Verdruß, daß Adelaide Kent den folgenden Tag mit ihrem Onkel verlassen würde.

»So rufen uns also Geschäfte denselben Tag nach Kent ab, Lord De Moreland,« sagte der Herzog in einiger Verlegenheit, »denn ich bin beordert, mich zu meinem Regiment nach Seaview zu verfügen, und muß deshalb morgen schon abreisen.«

»Und wollten mir doch nächste Woche Ihre Meinung über mein neues Pferd geben?« rief Westenra im scherzenden Ton. »Wie plötzlich muß Ihre Ordre gekommen sein, und wie geheim dazu, da Niemand etwas davon gemerkt hat.«

Der Oberst erschrak über die augenscheinliche Verlegenheit, in welche seine Anspielung den Herzog versetzte; denn da er gehört, daß Se. Gnaden seit mehreren Monaten Miß Bouveries öffentlicher Verehrer gewesen, so nahm er es für gewiß an, daß er jetzt, wo er ihn im Hause ihres Onkels gefunden, seinen Antrag gemacht haben müsse, und glaubte daher keinen Verstoß gegen die Schicklichkeit durch seine Neckereien zu begehen. Der Herzog fühlte das Peinliche seiner und Adelaidens Lage, und der Sache eine schnelle Entscheidung zu geben, faßte er in großer Bewegung des Lords Arm, und bat ihn um eine kurze geheime Unterredung.

Adelaide theilte des Herzogs Verlegenheit, und der Gedanke, eines Nebenmenschen Glück zu zerstören, machte ihre Wangen erbleichen. Montagu trat ihr tröstend zur Seite, und flüsterte ihr mit einem Händedruck zu, daß sie sich nichts hinsichtlich des Herzogs vorzuwerfen habe.

Aber wer beschreibt Lady Ambrosias Empfindungen bei diesen für ihre Eitelkeit so schrecklichen, unerwarteten Schlag. Der Mann, den sie für ihren Anbeter gehalten, dem sie alle Aufmunterung gegeben, und für welchen sie durch Wort und That ihr großes Interesse verrathen – dieser Mann zeigte nun, in Gegenwart Aller, die ihre bethörte Eitelkeit kannten, daß sie einen trügerischen Wahn gehegt, und daß seine Liebe zu Adelaiden mächtig genug war, die Abneigung gegen den Ehestand zu überwinden.

Nur mit äußerster Anstrengung vermochte sie einen Thränenstrom zurückzuhalten, und die boshaften Bemerkungen ihrer Schwestern zu ertragen. Als diese nämlich Montagus Erschütterung bei des Herzogs Hinausgehen mit dem Lord bemerkt hatten, so wie Adelaidens Erröthen, zweifelten sie keinen Augenblick, daß ihre Cousine den wirklichen Herzog dem künftigen Erben einer Grafschaft vorziehen würde.

»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Oberst Westenra, für diesen uns gegebenen Wink,« rief Lady Cölestine lachend, »ohne welchen wir noch länger im Irrthum geblieben wären. Mutter, die Hochzeit, muß hier gefeiert werden, und Seraphine und ich melden uns als Brautjungfern.«

»Wie schlau hat Ambrosia die Sache betrieben,« fuhr Lady Seraphine noch boshafter fort; »sich zu stellen oder andere Leute glauben zu machen, daß der Herzog sterblich in sie verliebt sei, um die maskirte Batterie ihrer mächtigen Freundin Adelaide zu unterstützen.«

»Stille, stille meine jungen Damen!« rief Lady Leyburn ängstlich besorgt, daß Ambrosia ihre gekränkte Eitelkeit noch mehr verrathen würde. »Oberst Westenra kann seinen Freund wohl ein wenig necken; aber, von Euch ist es unrecht, die arme Adelaide vor so vielen Fremden über einen so ernsten Gegenstand aufzuziehen. Ambrosia, führe Deine Cousine in den Garten, bis unsre Collation bereit ist; sie wird froh sein, den unbarmherzigen Neckereien Deiner Schwestern zu entgehen.«

Ambrosia gehorchte, so schwer es ihr auch wurde, ihre siegreiche Cousine zu begleiten, welche sich gern zum Deckmantel hergab, die zerknirschte Ambrosia aus ihrer Verlegenheit zu reißen.

So wie Montagu sah, daß Theodor den beiden Cousinen folgte, nahm er auch keinen Anstand, sich ihnen anzuschließen, wodurch sich Adelaide sehr erleichtert fühlte, da Ambrosia durchaus keine freundliche Gesinnung gegen sie verrieth.

Im Innersten gekränkt durch die neuen Beweise der unerhörten Eitelkeit seiner Frau, vergaß Theodor doch keinen Augenblick, daß sie seine Frau war, und suchte sie durch Güte und zartes Benehmen wieder aufzurichten. Ambrosia erkannte seine Absicht, und brach, im Gefühl dieser unverdienten Nachsicht, in einen Strom von Thränen aus.

Dieses Alleinsein nicht zu stören, schlugen Montagu und Adelaide einen andern Weg ein, den sie verfolgten, bis ein Diener Lady Leyburns sie zurückrief.

»Wo ist Ambrosia?« fragte Ihre Herrlichkeit; und als sie erfahren, daß sie mit Theodor zurückgeblieben, rief sie aus: »Nun wahrlich, dieser Ehemann ist und bleibt doch ein zärtlicher Liebhaber Zeit seines Lebens; aber ich kann es ihm nicht verdenken, denn sie ist ein so himmlisches Geschöpf, und ihm so innig ergeben, daß sie seine Liebe und eine Hütte allen Grafenkronen, die ihr angetragen wurden, vorzog.«

»Grafenkronen!« rief Lady Cölestine. »Wo denken Sie hin, Mutter! Ambrosia hat nie einen andern Antrag gehabt als Theodors.«

»Und diesen nicht einmal auf rechtlichem Wege,« bemerkte Lady Seraphine; »denn sie verlockte ihn von ihrer Cousine.«

»Nichts hiervon,« unterbrach sie ihre Mutter lachend; »Ihr seid immer eifersüchtig auf Ambrosia, weil Ihr glaubt, daß ich sie vorziehe.«

»Mutter, können Sie es leugnen, daß Sie sowohl, wie Ambrosia, sich rühmten, der reichen Cousine den Bewerber abspenstig gemacht zu haben?« sagte Lady Seraphine.

»Unsinn!« rief Lord Leyburn. »Eben so, als wenn Sie behaupten, der Herzog von St. Kilda bewerbe sich um Ambrosia. Ich glaube nimmermehr, daß Theodor Bouverie, arm wie eine Kirchenmaus, Adelaiden mit ihrem großen Vermögen und noch größern Aussichten aufgegeben haben würde für meine affektirte Schwester, die keinen Heller besitzt.«

Indem trat Lord De Moreland herein, und unterbrach diese für Adelaiden und Montagu so peinliche Unterhaltung.

»Wo haben Sie den Herzog gelassen, lieber Onkel?« fragte Lady Cölestine neugierig.

»Unsre Unterhaltung war sehr kurz und seitdem habe ich einen einsamen Spaziergang gemacht,« erwiederte der Lord in einem Ton, der seinen Adoptivkindern verrieth, wie innig er den Herzog bedauerte.

Ein Diener trat mit einem Brief an Lady Leyburn herein, den der Herzog von St. Kilda im Augenblick seiner Abreise an Ihre Herrlichkeit zurückgelassen.

Die höchlichst erstaunte und erschrockene Dame erbrach den Brief, und las:

»Verehrteste Lady!

Die Absicht, weshalb ich mit Lord De Moreland zu sprechen wünschte, wird Ihnen nicht unbekannt sein; und da Sie ohne Zweifel wissen, daß es mein trauriges Schicksal war, von Ihrem liebevollen und theilnehmenden Bruder zu erfahren, daß der Gegenstand meiner höchsten Verehrung, Ihre nur zu liebenswürdige Nichte, eine Verbindung mit einem glücklichern Mann eingegangen – werden Ihre Herrlichkeit begreifen, daß es mir unmöglich ist, auch nur einen Augenblick länger an dem Orte zu bleiben, wo mein Gefühl sich zur Abgötterei steigern würde. Deshalb bitte ich um Entschuldigung wegen meiner schnellen Abreise, und füge die Versicherung hinzu, daß ich stets sein werde

Ihrer Herrlichkeit

ergebenster Diener
St. Kilda

Lady Leyburn äußerte sich nicht über den Inhalt dieses Briefs, sondern eilte, so sehr sie auch von der Kränkung, alle ihre Pläne scheitern zu sehen, ergriffen war, zu ihrem Bruder, Auskunft über Adelaidens geheime Wahl zu erhalten, und erfuhr von dem Lord, daß Montagu, den Wünschen des verstorbenen De Morelands gemäß, um eine der Urenkelinnen desselben geworben habe.

Der ersehnte Abend des Balls, von welchem sich Lady Ambrosias Eitelkeit die höchsten Triumphe versprochen, erforderte nun ihre ganze Gewalt über sich selbst, eine Heiterkeit zu zeigen, die ihr für den Augenblick fremd war. Doch gelang es den Bitten und schmeichelhaften Versicherungen des Obersten Westenra nicht, sie zu einem längern Bleiben in Roscoville zu vermögen, den bewußten Ball durch ihre schöne Gegenwart zu verherrlichen; und am andern Morgen reisete sie mit ihrem Mann ab, in dessen abgelegener Wohnung ein Glück zu suchen, was sie bei ihrer Eigenthümlichkeit nimmer daselbst zu finden hoffen konnte.

Lord De Moreland begab sich mit seinen Adoptivkindern nach London, dort seine Geschäfte abzumachen; während Montagu die Auswechslung von General Harleys Regiment bewerkstelligte, und die nöthigen Gelder bei seinem Banquier deponirte, ihm die erste vakante Stelle eines Oberstlieutnants bei einem Cavallerieregiment in England zu verschaffen.

Adelaide hatte von Roscoville an Mstrß. Aspenfield geschrieben und sie gebeten, während ihres Onkels Abwesenheit noch einmal zu ihr zurückkehren zu dürfen. Die Antwort hierauf wartete ihrer in London und meldete, daß sie dem Vergnügen entsagen müsse, Adelaiden in Seaview zu empfangen, indem Rosalinde endlich zurückgekehrt und voll Ungeduld wäre, die Pflegetochter ihres Mannes wieder in Mordaunt Priorie zu sehen und ihre Vergebung zu erhalten, welche sie gern selbst schriftlich erfleht haben würde, wenn sie sich nicht zu krank dazu gefühlt hätte.

Diese Einladung in die Wohnung ihres Vormunds, und die Aussicht auf erneuerte Freundschaft mit Mstrß. Falkland erleichterten Adelaiden die schwere Trennung von ihrem Onkel und Montagu, welche denselben Tag, als sie mit Dennis und Norah nach der Priorie abreisete, ihren Weg nach Irland antraten.

 


Zehntes Capitel.

Es war Abend, als Adelaide in der Priorie anlangte, wo sie zärtlich von Mstrß. Aspenfield empfangen wurde, die bei ihrer Frage nach Rosalinden in einen Strom von Thränen ausbrach.

»Was giebt es mit ihr?« rief Adelaide voll Entsetzen.

»Das mag der Himmel wissen!« schluchzste die betrübte Mutter, »sie selbst sagt es nicht. Als ein Schatten ihres frühern Selbst ist sie zurückgekehrt, niedergeschlagen, ohne Schlaf und Appetit, alle ärztliche Hülfe verschmähend, die Menschen scheuend und ihre eigenen Kinder fliehend.«

In diesem Augenblick rauschte Mstrß. Falkland herein, und Adelaiden mit wildem Ungestüm um den Hals fallend, flehte sie sie in herzzerreißenden Tönen an, ihr zu vergeben, da sie eine Sterbende sei, und ihre Sünden zu vergessen, wenn sie die zweite Mutter ihrer Kinder würde.

»Liebste Mstrß. Falkland,« sagte Adelaide, sie zärtlich an ihr Herz drückend, »ich kann nie, selbst im unglücklichsten Fall nicht, als meines Vormunds Gattin ihren Kindern Mutter werden, da der lang gehegte Wunsch meines Onkels und Herrn Falklands erfüllt ist, und ich die glückliche Braut Montagu Bouveries bin.«

»O, warum fand diese Verbindung nicht früher Statt? oder warum überhaupt?« rief Rosalinde, die Hände in Todesangst ringend. »Nun vermehrt sie nur meine Leiden, und raubt mir den einzigen Trost, meinem armen Falkland eine würdige Gattin, meinen verlassenen Kindern eine vortreffliche Mutter zu geben. – Doch, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Wenn Sie Lord De Moreland Ihre Liebe zu Falkland gestehen, und das Hinderniß ihrer Verbindung mit ihm aus dem Wege geräumt ist –«

»Meine theuerste Mstrß. Falkland,« unterbrach sie Adelaide, »Lord De Moreland kennt den Zustand meines Herzens und weiß, daß ich meinen verehrten Vormund wie einen Vater liebe und schätze, während Montagu von frühester Jugend mein Herz besessen.«

»Wenn dem so ist,« entgegnete Rosalinde in großer Bewegung, »wie wollen Sie mir denn dieß erklären?« und sie zog aus einem Fach den bereits erwähnten gezeichneten Kopf Falklands hervor. »Aus welchem Grunde haben Sie sich gegenseitig gezeichnet und dadurch bewiesen, daß ein Herz Sie beide belebte?«

Adelaide erwiederte nichts, sondern flog mit dem Erröthen beleidigten Gefühls in ihr lang verlassenes Zimmer, aus welchem sie nach wenigen Minuten zurückkehrte, Rosalinden ihr eigenes Bild, als Produkt ihres Gatten, überreichend.

»Hier habe ich das Vergnügen, Ihnen Ihr eigenes Portrait zu zeigen,« sagte Adelaide mit überfließenden Augen; »halten Sie es an das meines Vormunds, und Sie werden sich überzeugen, daß beide Bilder zusammen gehörten, und von einem Herzen belebt wurden. Die Züge meines Vormunds hatten sich mir so tief eingeprägt, daß ich sie zu meiner Zufriedenheit entwarf. Mit dem Ihrigen wollte es mir nicht so gut gelingen, weshalb ich mich an Herrn Falkland wandte, der die Idee billigte und Ihr Bild zeichnete. Als es fertig war, und ich es ihnen überreichen wollte, gab Friedrich eines Morgens die Bilder seinem kleinen Bruder zum Küssen, und der arme kleine Danvers zerbrach, wie Sie hier sehen können, das Elfenbein.«

»O, Danvers! Danvers! so trenntest Du Deine Eltern im prophetischen Geist, wie Deine alle Pflichten übertretende Mutter jetzt gethan hat!« rief Mstrß. Falkland in einem neuen Unfall halb wahnsinniger Angst.

Ihre zitternde Mutter fiel zu ihren Füßen, und beschwor sie, Vertrauen zu haben, und ihr zu entdecken, was sie bedrückte. Adelaide wollte sich entfernen; aber Rosalinde hielt sie mit Riesenkraft zurück, und hob ihre fast ohnmächtige Mutter in die Höhe, während sie sich wild anklagte, den besten Mann betrogen, verlassen, um Glück und Seligkeit gebracht, ihre theuersten, nächsten Freunde von sich gestoßen, und sich im blinden Wahn toller Eifersucht in den ihr von schändlichen Händen bereiteten Abgrund gestürzt zu haben.

Mit einem Schrei des Entsetzens fiel Mstrß. Aspenfield leblos neben ihrer Tochter nieder. Rosalinde wollte hinausstürzen, Hülfe herbeizurufen; aber Adelaide bat sie dringend, kein Aufsehen zu erregen, und ihr allein die Sorge für die Mutter zu überlassen. Auch gelang es ihr, sie wieder zu sich zu bringen; und als sie die Augen aufschlug, flehte sie Rosalinden an, ihr zu sagen, was sie gethan, da sie alles zu hören ertragen würde, nur nicht, daß sie ihren Mann entehrt.

»Ich habe mich selbst entehrt,« stammelte Rosalinde kaum hörbar heraus, indem sie ihrer Mutter zu Füßen fiel; »ich habe das Vertrauen des Großmüthigsten der Männer mißbraucht, das mir unbeschränkten Credit bei seinem Banquier hinterließ. Ich habe die Achtung meines Gatten verscherzt, Tausende am Spieltische verloren. Können Sie nun begreifen, daß mein Herz gebrochen ist?«

Mstrß. Aspenfield hob ihr reuiges Kind vom Boden auf, suchte es zu trösten, und erbot sich, ihr ganzes Vermögen herzugeben, diese Schuld zu decken; auch Adelaide wollte dazu beitragen. Rosalinde dankte ihnen mit heißen Thränen, verwarf jedoch die freundschaftlichen Vorschläge, weil sie ihre Mutter nicht zur Bettlerin machen und von Adelaiden, auf deren Vermögen jetzt der Bräutigam gerechte Ansprüche hatte, durchaus nichts annehmen wollte. Sie zweifelte nicht, daß Falkland die Summe, so ungeheuer sie auch sei, bezahlen würde; aber fühlte zugleich, daß mit diesen Tausenden Achtung und Liebe für sein Weib aus seinem Herzen gestrichen würden.

Mstrß. Aspenfield fragte zitternd nach der Summe.

»Ersparen Sie mir heute Abend die Qual, sie zu nennen. Die arme Adelaide, hat noch keine Erfrischung seit ihrer Ankunft bekommen, auch die Kinder einer schändlichen Mutter noch nicht gesehen. Wenn sie meine armen Knaben besucht, und etwas Thee zu sich genommen hat, will ich versuchen zu berichten, wie mich Helene und ihre Gehülfen zu meinem Verderben verlockt haben.«

Nachdem Adelaide wieder zurückgekehrt war, begann Rosalinde:

»Da ich nie die geringste Neigung zum Spiel gehabt, fand Helene viel Schwierigkeiten mich dazu zu bereden, und nur aus Gefälligkeit gab ich endlich nach. Doch bald, zu bald erregte es mein Interesse, indem es allein im Stande war, mich von den peinlichen Betrachtungen über mein häusliches Unglück abzuziehen; und so, verfolgte ich anfänglich diese gefährliche Bahn mit vielem Glück. Aber nicht lange; denn nun wandte sich die wetterwendische Göttin von mir ab, und ich verlor ein hundert nach dem andern an Helenen, ihren Bruder Georg, eine Mstrß. Townly und Sir James Lovegold, ein feines Kleeblatt, den Ueberrest des großen Cirkels, den ich in Rockmount fand, als ich dort ankam, ausgenommen Herrn Savilles bon vivant Gefährten und einen Herrn Bellenden; Ihren Cousin Friedrich, liebe Adelaide, welcher mit seinem Vater von der rachsüchtigen Familie des Mannes, den Ihr Onkel verwundete, am Bord eines Schiffs nach Afrika verlockt worden war, und nach mancherlei Glücksfällen eine junge Holländerin von großem Vermögen heirathete, und sich mit ihr auf dem Cap der guten Hoffnung niederließ.

Als endlich sowohl Ihr Onkel als dessen Frau starben, ohne Familie zu hinterlassen, fiel das ganze Vermögen Ihrem Vetter Friedrich zu, der nicht säumte, es sogleich nach London zu verpflanzen, und selbst nach Europa zurückzukehren. Hier schweifte er nun auf dem Continent herum, wo er es mit Sicherheit durfte, bis er vor wenigen Wochen in England, anlangte, von wo aus es seine Absicht war, nach Irland zu gehen, um zu erforschen, was von der Familie seines Onkels St. Leger noch am Leben sei.

Und dieser Bellenden, dieser für mich so schreckliche Bellenden, ist einer der schönsten und geistreichsten Männer, die ich je gesehen. Sobald er erfahren, daß ich in Italien gewesen, widmete er mir seine besondere Aufmerksamkeit, damals, wie ich glaubte, nur aus diesem Grund, wie ich aber späterhin leider bemerkte, aus einem minder unschuldigen.

Anfänglich nahm Bellenden keinen Theil am Spiel, sondern saß stundenlang neben mir, augenscheinlich in großer Angst, bis mein Verlust sich in die Tausende belief; und als ich an einem unglücklichen Abend 20,000 Pfund an die Verbündeten verlor, nahm Bellenden meinen Platz ein und schlug ihnen einen sonderbaren Vertrag vor, nämlich 40,000 Pfund gegen ihre Forderung an mich aufs Spiel zu setzen. Aus seiner Abneigung gegen Karten und Würfel schließend, daß er unerfahren in diesen Künsten sei, nahmen sie den Vorschlag an und verloren, wodurch nun Bellenden mein einziger Gläubiger wurde. Im halben Wahnsinn trat ich jetzt mit ihm in die Schranken, und verminderte meine Schuld denselben Abend noch um 5000 Pfund.

Ich will Sie nicht mit der Beschreibung aufhalten, wie die arme Betrogene abwechselnd von Hoffnung und Verzweiflung zerrissen wurde, bis sie eine Summe verlor, die mein Mund nicht auszusprechen wagt. Nun zeigte Bellenden seinen wahren Charakter, und trat mit der Versicherung hervor, daß er nicht um Geld gespielt, sondern um einen höhern Preis. Da er von Mstrß. Saville gehört, daß ich mich von einem treulosen Gatten getrennt, und da er mich in dieser Gesellschaft gefunden, zweifelte er nicht, daß ich ihn zum Werkzeug erwählen würde, Repressalien an meinem Mann zu nehmen.

O, nie, nie werde ich meine Empfindungen in diesem schrecklichen Augenblick vergessen! Mein Gehirn schien zu brennen, mein Herz war der Sitz tödtlicher Angst, und mit innerer Wuth und schweigender Verachtung verließ ich den Elenden. Welch eine Nacht folgte diesem Abend! Aber ich verdiente kein Mitleid; denn ich floh Ihren Schutz und warf mich in die Arme Helenens, des Ungeheuers, was mich am andern Morgen durch alle Künste zu bereden suchte, meine Schuld an Bellenden auf diese entehrende Weise abzutragen. Wie ich es ertrug, ohne wahnsinnig zu werden, weiß ich nicht; aber mein Stolz hielt mich aufrecht, und als mich Helene verlassen, überlegte ich, daß mein edelmüthiger Gatte alles opfern würde, mich vor der Schande zu bewahren, wenn auch sein Lebensglück darüber zu Grunde gehen sollte. Ich bereitete daher alles zu meiner schleunigen Abreise vor, setzte die fürchterliche Verschreibung auf, flog damit zu meinem Verfolger, drückte sie ihm mit der Heftigkeit der Verzweiflung in die Hand, und kehrte dann, ohne Helenen noch einmal gesehen zu haben, in meine Heimath zurück – eine Elende, ein Ungeheuer von Undankbarkeit, hier um den Tod, als die einzige Erlösung von der Schande, als die einzige Hoffnung, meinem angebeteten Gatten das verlorene häusliche Glück zu ersetzen, zu beten. –

Sie sehen, liebe Mutter, daß selbst die großmüthige Aufopferung Ihres Vermögens mich nicht vom Elend zu erretten im Stande ist, da sie nicht verhindert, daß Falkland mein Verbrechen erfährt, indem die Verschreibung gewiß schon in des Banquiers Händen ist. Aber der Verlust des Geldes wird ihn weniger schmerzen, als mein unweibliches, dämonisches Betragen; deshalb kann ich Gott nur anflehen, mich bald von dieser Erde hinweg zu nehmen.«

Adelaide suchte sie durch zarte Trostgründe aufzurichten und stellte ihr vor, daß, da Falkland gewiß nie der Welt die Unvorsichtigkeit seiner Gattin verrathen würde; auch nicht zu vermuthen stände, daß Mstrß. Saville und ihre Gehülfen ihre eigene Verrätherei bekannt machen würden, ihr jetziger Zustand in den Augen der Dienstboten, so wie der Welt für Krankheit gelten könnte, aus welchem Grunde es rathsam sei, ärztliche Hülfe herbeizurufen.

Mstrß. Aspenfield vereinigte ihre Bitten mit denen Adelaidens, und so ward Rosalinde denn endlich überredet, Herrn Duncan (Falklands Nachfolger) kommen zu lassen, der den Bericht, daß die Patientin aus Gram über ihres Gatten Entfernung krank geworden, gern Glauben beimaß, da er alle Symptome eines bevorstehenden Nervenfiebers gewahrte.

Adelaide war nicht zu bewegen, Mstrß. Falklands Bett zu verlassen, bis das vom Arzt gereichte Opium zu wirken begann; und dann flog sie in ihr Zimmer, an Bellenden zu schreiben. Ohne der vorgefallenen Scenen Erwähnung zu thun, bat sie ihn, den Vetter, den sie von Jugend an zu schätzen gewohnt gewesen, den Sohn des liebenswürdigsten Mannes und zärtlichsten Bruders, nachdem sie ihm einen einfachen Bericht ihrer Schicksale seit dem Verlust der Eltern gegeben und eine Schilderung ihres Vormunds und seiner Gattin, so wie deren Verdienste um das verlassene Kind, entworfen, – ihr beizustehen, einen großen Kummer von Mstrß. Falklands Herzen zu nehmen. Diese sei nämlich nach ihrer Zurückkunft von Rockmount in Folge einer Gemüthsbewegung krank geworden, und habe endlich auf Mstrß. Aspenfields und ihre dringenden Bitten gestanden, daß bedeutende Verluste im Spiel die Ursache ihrer Leiden sei, worauf sie denn jetzt, als seine Verwandte, sich die Freiheit nehme, ihn zu ersuchen, ihr einen genauen Bericht von der Sache zu geben, damit sie und Mstrß. Aspenfield wo möglich Mstrß. Falklands Kummer hinwegräumen könnten.

Mit diesem Brief, ganz darauf berechnet, Eindruck auf einen Mann von Ehre zu machen, ohne sein Mitleid in Anspruch zu nehmen, sandte Adelaide ihren getreuen Dennis mit Anbruch des Tages fort.

Der Morgen bestätigte Herrn Duncans Vermuthung. Rosalinde hatte ein heftiges Nervenfieber und, Adelaidens Sorge zu vermehren, fühlte sich auch Mstrß. Aspenfield unfähig, das Bett zu verlassen. Wie ein tröstender Engel ging sie aus einer Krankenstube in die andere, von Lord und Lady Beechbrook in ihrem schweren Geschäft unterstützt, welche als treue Freunde alles thaten, die Leidenden aufzurichten und Adelaiden in deren Pflege beizustehen.

Dennis reisete Tag und Nacht, und kehrte am dritten Tage mit einer Antwort von Bellenden zurück, die Adelaidens kühnste Hoffnungen übertraf, indem sie Rosalindens Verschreibung in kleine Stücken zerrissen darin fand. Nachdem er seiner lieben Cousine für ihr schmeichelhaftes Zutrauen, sich an ihn zu wenden, herzlich gedankt hatte, berichtete er, daß er kein anderes Mittel gefunden, Mstrß. Falkland aus den Händen von Menschen zu befreien, die nicht wie er Verehrung für diesen Namen empfunden; denn ohne seine theure Verwandte persönlich zu kennen, habe er doch genug von seinem Geschäftsführer, Herrn Lawe, gehört, um die höchste Achtung für den Mann zu fühlen, der sich des einst verlassenen Kindes angenommen, und dessen Erziehung so vortrefflich ausgeführt habe.

Er dankte Adelaiden für den kurzen Umriß ihres Lebens, der ihn mit der größten Sehnsucht erfüllte, sie persönlich kennen zu lernen, welches Glück er sich jedoch jetzt, aus Schonung für Mstrß. Falkland, versagte. Dann erzählte er, wie er von Saville dringend eingeladen, nach Rockmount gekommen sei, und daselbst die Gattin ihres Vormunds in so schlechter Gesellschaft gefunden habe, daß er im ersten Augenblick für Adelaiden gezittert. Doch nur eine kurze Zeit; denn trotz Mstrß. Savilles boshaften Einflüsterungen, sei es ihm bald klar geworden, daß Falklands Ehre in keiner Hinsicht Gefahr laufe, bis sich die unglückliche Frau zum Spiel habe hinreißen lassen, wo er denn bald gefunden, in welche Hände sie gerathen.

Obgleich selbst ein abgesagter Feind aller solcher Spiele, sei er vor einigen Jahren, um einen jungen Freund den Klauen nichtswürdiger Spieler zu entreißen, tiefer in ihre Kunst eingedrungen als selbst die Rotte in Rockmount, weshalb er denn bald inne geworden, wie schändlich Mstrß. Falkland von ihrer sogenannten Freundin hintergangen werde. Doch wohl einsehend, daß sie bei ihrer Leidenschaft nicht durch eine bloße Warnung zu retten sei, habe er ein strengeres Mittel einschlagen müssen, bei welchem sie die ganze Reinheit ihres Herzens, die Lauterkeit ihrer Gesinnungen offenbart, und sich mit Abscheu von seiner Alternative gewendet habe.

»Die Anweisung auf 55,000 Pfund,« so schloß er, empfing ich mit Gram; doch gleich entschlossen, niemals von dieser enormen, weder rechtlich gewonnenen noch rechtlich verlorenen Summe Gebrauch zu machen, und sie Ihnen als einen Beweis der Dankbarkeit Ihrer Familie gegen einen Vormund, der Sie zum Stolz und zur Zierde unseres Hauses erzogen, zu überreichen. Daß die harte Cur die Gesundheit meines Patienten erschüttert, bedauere ich von Herzen; hoffe jedoch, daß das eingeschlossene Mittel sich heilsam erweisen wird. Möchte es Ihnen gelingen, mir die volle Vergebung Ihrer schönen Freundin für die schreckliche Beleidigung, die ich ihr anscheinend zugefügt, für den Schmerz, den ich ihr verursacht, zu verschaffen; aber ich versichere bei Allem, was mir heilig ist, daß ich sie aus einem tiefen und fürchterlichen Abgrund errettet habe.

In der angenehmen Hoffnung, meine liebenswürdige Cousine zu sehen, sobald alle bestehenden Hindernisse weggeräumt sind, und mich ihrer Achtung zu versichern, habe ich die Ehre zu zeichnen

meiner lieben Adelaide

getreuester Freund und Verwandter
Friedrich Bellenden

Adelaidens Freude, den Verwandten ihrer Mutter so rein von Schuld, so edelmüthig zu finden, konnte nur von der noch größern Freude, das Mittel, die Verzweiflung der reuigen Mstrß. Falkland aufzuheben, in Händen zu haben, übertroffen werden. Sie eilte sogleich damit zu Mstrß. Aspenfield, und dann an Rosalindens Bett, der sie mit Vorsicht nach und nach das volle Maaß ihrer Verbindlichkeit gegen Bellenden mittheilte, und ihr zuletzt den ganzen Brief zu lesen gab. Sie schauderte beim Anblick des tiefen Abgrunds, den ihr die falsche Freundin aufgethan. Noch einmal regte sich der Wunsch, dem heißgeliebten Gatten. dieses ungeheure Vergehen, das sie nothwendig noch mehr in seinen Augen herabsetzen mußte, als ihre rasende Eifersucht, zu verbergen; aber das bessere Gefühl siegte, und sie verwarf den unwürdigen Plan.

Auf ihre Bitte mußte Adelaide sogleich an Bellenden schreiben, und ihm alles sagen, was er zu hören verdiente, was ihm Dankbarkeit und Anerkennung seines wahren Werths sagen konnte. Und nachdem diese drückende Last von Rosalindens Herzen genommen, ging ihre Genesung einen raschern Gang.

Ehe sich Adelaide noch von den Anstrengungen der Nachtwachen und des Krankenwartens erholt hatte, langten Lord De Moreland und Montagu an; und als sie die Ursache ihres leidenden Aussehens erfahren, drangen sie Beide in Adelaiden, ihre Einwilligung zu ihrer schleunigen Verbindung mit Montagu zu geben.

Lord De Moreland hatte zwar in Irland nicht gefunden, was er gehofft; jedoch eine Anweisung zu neuen Nachforschungen erhalten, die ihn ins nördliche Spanien beriefen; und da seine Abwesenheit mehrere Monate dauern konnte, wünschte er Adelaiden vorher noch dem sichern, zärtlichen und ehrenvollen Schutz seines jungen Freundes zu übergeben, welcher seinerseits auch ernstlich in sie drang, einen Tag in der nächsten Woche zu ihrer Verbindung fest zu sehen, weil er voraussah, daß er dann erst auf Wiederherstellung seines verlorenen Glücks rechnen durfte.

»O, mein theurer Onkel!« rief Adelaide mit niedergeschlagenen Augen und dem Ton zitternder Angst, »Sie können doch unmöglich wünschen, daß ich mich vor der Rückkehr meines Vormunds verheirathe?«

»Seine Gegenwart würde uns Allen zur großen Freude gereichen,« erwiederte Se. Herrlichkeit, »wenn Du aber darauf warten willst, verzögerst Du auch meine Zurückkunft, indem ich meine Abreise nicht verschieben kann, bis Falkland wieder da ist; und wenn Du wüßtest, welche Sorge Du durch die Erfüllung dieses Wunsches von einem nicht zu glücklichen Herzen nähmest, würdest Du nicht den Muth haben, meine Bitte zu verweigern.«

»Nein, mein Onkel, nein! so verheirathen sie mich dem Mylord, sobald es Ihnen und Montagu gefällt,« sagte sie, das erröthende Gesicht an des Lords Busen verbergend, während Montagu ihre zitternde Hand ergriff, und sie mit Entzücken an sein schlagendes Herz preßte.

»Wenn ich Dich verlasse, meine Adelaide,« sagte der Lord, sie zärtlich küssend, »wirst Du immer bald durch eigene, bald durch fremde Krankheit, durch Eifersucht und dergleichen Dinge gequält.. Unter Montagus Aufsicht habe ich nichts in der Art zu befürchten, und sehe lauter Seligkeit entgegen. Ich werde Deinen Bräutigam in Schloß De Moreland lassen, während ich selbst morgen nach Roscoville abgehe, meine Rechtsgelehrten dort zu treffen.«

Der Lord und Bouverie wurden nun auf ihr Verlangen zu Mstrß. Falkland geführt, und Ersterer verkündete ihr die baldige Trennung von ihrem Pflegekind. So sehr sich Rosalinde darüber betrübte, ihre treue Pflegerin, die ihr so lieb gewordene Freundin in Kurzem zu verlieren, meinte sie doch, daß Se. Herrlichkeit keinen günstigern Moment für sie hätte dazu wählen können, da sie auf des Arztes ausdrückliches Verlangen eine Reise machen sollte, und jetzt nur die nöthigen Kräfte abwarten würde, ihre Mutter auf einer Tour nach Irland, um ihre Verwandten dort zu besuchen, zu begleiten.

Mstrß. Falkland ersuchte die Herren, ihre Wohnung in der Priorie aufzuschlagen, was sie auch dankbar annahmen; und es erging sogleich eine Einladung an Lord und Lady Beechbrook, diesen Tag mit ihnen zuzubringen, welcher sie jedoch nicht folgen konnten, da sie abwesend waren.

Während des Mittagsessens wünschte Montagu seiner Adelaide Glück zu dem Wiederfinden ihres verlorenen Vetters Bellenden, welche Nachricht ihm Dennis mitgetheilt. Bei Nennung dieses Namens ward Mstrß. Falklands Bewegung so sichtbar, daß Adelaide entsetzt aufsprang und sie bat, das Zimmer zu verlassen, da der Geruch der Speisen ihre Nerven zu sehr angegriffen.

»Nein, meine Adelaide, nein! glauben Sie nicht, daß ich Zeit meines Lebens ein solches Ungeheuer der Undankbarkeit bleiben werde,« sagte Rosalinde, ihre vorige Festigkeit wieder erlangend. Und somit gab sie ihren erstaunten Zuhörern einen getreuen Bericht ihres Benehmens, von den wilden Ausbrüchen der Eifersucht, bis zu den Vergehungen in Rockmount, und schloß ihre demüthigende Erzählung mit Vorweisung des Briefs von Bellenden.

»Diese selbst auferlegte Schmach bin ich dem Onkel und Bräutigam meiner engelgleichen Adelaide als einen Tribut der Dankbarkeit schuldig, ihnen zu zeigen, wie sie nach solcher Beleidigung, solcher schreiender Ungerechtigkeit alles aufbot, meinen Frieden und meinen Ruf zu retten. Eigentlich könnte Herr Bellenden verlangen, daß ich der ganzen Welt meine Verirrung kund thäte; aber hierzu fühle ich mich nicht stark genug, und nur meinem vielgeliebten, schwer beleidigten Gatten gedenke ich sie noch mitzutheilen.«

Lord De Moreland und Montagu versicherten sie Beide ihres unverbrüchlichen Schweigens, und erschöpften sich in Lobsprüchen über den hohen Grad von Selbstverleugnung, den sie durch dieses Geständniß an den Tag gelegt; und als sich Montagu am Abend allein in seinem Zimmer befand, mußte er sich eingestehen, daß ihn Adelaidens Vorzüge des Herzens mit gleichem Enthusiasmus erfüllten, als die äußern der selbst jetzt noch zu zärtlich geliebten Lady Marian,

Am folgenden Tage reisete Lord De Moreland nach Roscoville, und Montagu begab sich zu seinem alten Freund Dr. Birch, seinen jungen Freund Mellifort im Namen Sr. Herrlichkeit mit einer Pfründe von 300 Pfund jährlicher Einkünfte zu beschenken. Da sie in der Grafschaft Kent, ganz in der Nähe von Dr. Birchs Wohnung war, konnte er seine Pflichten als Schulmann und Geistlicher mit einander verbinden.

Bouverie fühlte sich innigst ergriffen beim Anblick des verehrten Lehrers und seines liebenswürdigen Schulkameraden William, die nun beide in einem so hülflosen Zustand waren, daß sich wenig für sie hoffen ließ.

Melliforts Freude über sein unerwartetes Glück konnte nur durch seine Dankbarkeit übertroffen werden. Unglückliche Familienverhältnisse hatten seine Mutter und Schwester genöthigt, das väterliche Haus zu verlassen, und nun sah sich der Sohn in den Stand gesetzt, ihnen bei sich eine behagliche Existenz zu bereiten. Das Maaß seines Entzückens voll zu machen, erfuhr er jetzt Bouveries bevorstehende Verbindung mit Adelaiden, und daß er von Lord De Moreland und dem Brautpaar erwählt worden, die heilige Handlung zu vollziehen.

Bei seiner Zurückkunft in der Priorie fand Montagu Lord und Lady Beechbrook, welche gekommen waren, dem jungen Paar ihre Glückwünsche darzubringen und Mstrß. Falkland in ihren Zurüstungen zu unterstützen. Sie nahmen freudig Rosalindens Einladung, den Tag bei ihnen zuzubringen, an und fanden im Lauf desselben Gelegenheit, ihrer geliebten Adelaide Wahl zu billigen.

 


Eilftes Capitel.

Die kurze Zeit des Brautstandes verstrich still und geräuschlos, ganz dem Sinn der Hauptpersonen angemessen. Da Rosalinde immer noch etwas schwach und angegriffen war, fielen die frühern Abendunterhaltungen, Musik, jetzt ganz weg – und zu Montagus großer Freude; denn so sehr er den Gesang liebte, fürchtete er doch, Adelaiden singen zu hören, da er wegen ihrer Schüchternheit und wegen ihres Mangels an gründlichem Unterricht fürchtete, sie weit unter Lady Marian zu finden, welche ihn durch den Zauber ihrer Stimme so oft hingerissen. Er beschloß, Adelaiden in London die besten Meister zu verschaffen, und sie wo möglich nicht eher zu hören, als bis sie einen Vergleich auszuhalten im Stande sein würde.

Am Tage vor der Hochzeit langten unter andern Geschenken ein köstlicher Diamantenschmuck für Adelaiden von ihrem Vetter Bellenden an, nebst einem Brief, worin er sie bat, dieses kleine Zeichen seiner Achtung anzunehmen, und sein Nichterscheinen bei ihrer Vermählung zu entschuldigen, wozu ihn Lord De Moreland mit Mstrß. Falklands Zustimmung eingeladen hatte. Denselben Tag noch kam der Lord von Herrn Coke begleitet, der nur so lange in der Priorie verweilte, den Heirathscontrakt aufzusetzen, und dann nach Roscoville zurück mußte, wo Alles in Aufruhr und Verwirrung war. Lord De Moreland hatte Lady Leyburn nämlich vor seinem Scheiden zu verstehen gegeben, daß ihr Aufenthalt auf seinen Besitzungen ihm unbequem wäre, weshalb er sie bäte, sich nebst ihrer Familie nach Norfolk auf ein Gut zu begeben, welches er ihr zum Geschenk machte. Auch benachrichtigte er sie, daß, da die Rechtsgelehrten darin übereingekommen, daß die Anweisungen und unbezahlten Rechnungen seines verstorbenen Großvaters lauter Lug und Trug wären, er den Entschluß gefaßt hätte, keinen Schilling zu bezahlen, als was das Gesetz für wahr und billig erkennen würde.

Dieß waren Schläge, auf welche Lady Leyburn nicht gerechnet. Sie hatte ihre ganze Hoffnung auf die Indolenz ihres Bruders und auf sein unbegrenztes Ehrgefühl gesetzt, und sich mit dem Glauben geschmeichelt, daß er eher ein Bettler werden als auch nur die kleinste Rechnung unbezahlt lassen würde. In dieser Voraussetzung hatte sie selbst eine Menge Rechnungen aufgesetzt, und als Substituten für diejenigen von unbestechbaren Personen eingesandt, während sie sich mit der größern Anzahl der bestechbaren Gläubiger verbunden, und ihnen einen Theil der Beute versprochen hatte. Nicht gewohnt und im Stande, ein solches sie bereicherndes Projekt aufzugeben, brach sie jetzt, nachdem sie sich ruinirt sah, in einen Strom von Schmähungen gegen ihren Bruder aus, den sie als einen ehrlosen Mann bezeichnete. –

 

Adelaidens Liebe war keine leidenschaftliche, romantische, sondern eine seit einer Reihe von Jahren auf Achtung gegründete Neigung; deshalb vermißte sie auch in Montagus Gefühl für sie keine Wärme, nahm es vielmehr als gewiß an, daß, da er sie erwählt, er sie jeder Andern vorziehe. Und so glücklich fühlte sie sich in seinem Besitz, daß sie dem Himmel dankte, ihr einen so liebenswürdigen, den Wünschen ihres Onkels und Vormunds entsprechenden, Gatten zugeführt zu haben. Aus diesem Grunde erschien es ihr selbst sonderbar, daß sie die Nacht vor dem Hochzeitstage nicht allein in einer unruhigen, bewegten Reizbarkeit, sondern im Gefühl einer nahenden Krankheit zubrachte. Ihre glühenden Wangen und trüben Augen am Morgen würden zu jeder andern Zeit Besorgnisse für sie erregt haben, während sie jetzt nicht beachtet wurden, da man überzeugt war, Adelaiden ungewöhnlich bewegt zu sehen.

In der Pfarrkirche von Mordaunt Priorie ward unsere Heldin, schön, aber einfach gekleidet, von dem dankbaren Mellifort, mit Montagu Bouverie vereinigt. Ihr Onkel führte sie an den Altar, um welchen Lady Marie Beechbrook und Miß Delamere, die Tochter eines benachbarten Baronets, als Brautjungfern standen, während Lord und Lady Beechbrook, Mstrß. Aspenfield, Rosalinde, der Rektor der Gemeinde, Norah Obearn und Dennis die Zeugen abgaben. Wäre es Adelaidens Begräbniß gewesen, hätten Mstrß. Falkland, Norah und Dennis nicht mehr Thränen vergießen können; selbst Lord De Moreland war ungewöhnlich ergriffen und bewegt; sein Kind ging einer neuen Zukunft entgegen, obgleich er hoffte, mit Zuversicht hoffte, einer glücklichen.

Doch alle diese Hoffnungen und seine ganze Festigkeit hätten beinahe einen Stoß erlitten, und ihn veranlaßt, die Ceremonie zu unterbrechen; denn als Mellifort mit eindringlicher, feierlicher Stimme fragte: »Ob kein Hinderniß dieser Verbindung bei einem der beiden Theile Statt finde? in welchem Fall sie es bekennen sollten!« – da ward Montagus Blick starr und fürchterlich; er wurde blässer wie der Marmor unter dem Altar, und kalter Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner Stirn. Doch nur einen Augenblick schien die Erinnerung an seine heiße Leidenschaft für eine Andere Bouveries Aufmerksamkeit abzuziehen; denn im nächsten kehrten seine gewöhnliche Farbe und Ruhe zurück, und sein Blick wurde fest und heiter.

Nach beendeter Ceremonie begab sich der Zug durch eine lange Reihe Männer, Frauen und Kinder aus Seaview und den benachbarten Ortschaften, welche Blumen auf den Weg des jungen Paares streuten und die Luft mit ihren Glückwünschen und Segnungen für Miß Bouveries Heil erfüllten, die sich ihnen in allen Lagen des Lebens als Freundin, Wohlthäterin und Trösterin bewiesen.

Ein elegantes Frühstück erwartete die Gesellschaft in der Priorie; die arme Braut litt an den entsetzlichsten Kopfschmerzen, und fühlte sich so angegriffen, daß sie kaum sprechen konnte. Lord De Moreland erinnerte an die weite Tour, die sie am heutigen Tage noch zurückzulegen hatten, und trieb zum Abschied, obgleich er selbst keinen nehmen wollte, da er das junge Paar nach einigen Tagen in der eigenen Wohnung aufzusuchen versprach, bevor er die Reise nach Spanien anträte.

Adelaide nahm einen kurzen, herzlichen Abschied von ihren Freunden, und ließ sich dann zitternd, kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten, von Montagu in den Wagen führen.

Lord De Moreland hatte seine Kinder mit dem Versprechen, sie zu besuchen, hintergangen; denn eine Stunde nach ihrer Abreise saß auch er schon mit seinem treuen Baronello im Reisewagen, und den folgenden Tag begaben sich Mstrß. Aspenfield nebst ihrer Tochter, deren Kinder und der nöthigen Begleitung auf den Weg nach Irland.

Spät am Abend langte das junge Paar in einer Lord De Moreland gehörigen Villa, an den Ufern der Themse, bei Twickenham an, woselbst alles zu ihrem Empfang auf das Eleganteste von einer Haushälterin eingerichtet worden war, die schon mehrere Jahre in der Familie gelebt hatte.

Da Adelaidens Uebelbefinden noch mehr zugenommen, wollte Montagu augenblicklich einen Arzt kommen lassen, wogegen sie sich aber sträubte, indem sie hoffte, daß ihre Kopfschmerzen sich von selbst verlieren würden, wenn sie der nöthigen Ruhe genösse. Als aber der nächste Morgen Lord De Morelands schriftlichen Abschied brachte, brach sie in Thränen aus und zeigte so viel Besorgniß für seine Sicherheit, daß ihr eigener Zustand sich dadurch merklich verschlimmerte, und Bouverie sogleich nach Richmond schickte, den von der Haushälterin empfohlenen Arzt kommen zu lassen.

Herr Dee prüfte den Puls, und fragte dann: »Ob Mstrß. Bouverie die Blattern gehabt?«

Norah berichtete hierauf, daß sie ihr als kleines Kind eingeimpft worden, jedoch sich nur am Arm gezeigt hätten, womit die Aerzte zufrieden gewesen. Und da die verstorbene Mutter, in der Ueberzeugung, daß alles gut wäre, dieß dem Vormund gesagt, und da Miß Bouverie selbst einmal zufällig in die Nähe von Blatternkranken gekommen war, ohne angesteckt zu werden, so hatte auch sie alle Besorgniß hierüber verloren. – Als aber der Arzt weiter forschte, ob die junge Lady in den letztern Tagen irgendwo hingekommen, wo Ansteckung möglich gewesen? erinnerte sich Norah mit Entsetzen, daß sie Tages vor der Hochzeit eine Hütte besucht habe, wo die Nacht vorher die Blattern ausgebrochen.

Herr Dee sah seine Vermuthung nur zu bald bestätigt. Adelaide bekam alle Anzeichen dieser schrecklichen Krankheit, obgleich sie sich gutartig zeigte, so daß sie zwar für den Augenblick sehr entstellt, aber doch keine Gefahr für ihre Schönheit zu befürchten war.

Während dieser Krankheit pflegte der zärtliche Gatte seine sanfte, duldende Frau mit der größten Sorgfalt, theilte selbst mit Norah die Nachtwachen und ließ sich, als diese nicht mehr nöthig waren, ein kleines Bett in das Krankenzimmer setzen. Am Tage führte er sie im Zimmer spazieren, spielte Schach mit ihr oder las ihr vor, und widmete sich ihr so gänzlich, daß Adelaidens Herz von Dankbarkeit erfüllt wurde und ihre Liebe von Stunde zu Stunde wuchs. Aber auch Montagu fühlte, daß seine Existenz von der ihrigen abhing; und selbst in den Tagen ihres schrecklichsten Aussehens bezauberte sie ihn durch ihre Sanftmuth, Ergebung und Geduld so sehr, daß er sich innerlich Glück wünschte, von der unseligen Leidenschaft geheilt zu fein.

Vergebens hatte Adelaide ihn bis jetzt gebeten, sie zu verlassen, bis sie die grausamen Spuren der verheerenden Krankheit verloren; denn obgleich sie immer dicht verschleiert ging und nie an seinen Mahlzeiten theilnahm, fürchteten sie doch, daß er einmal einen Blick in ihr entstelltes Gesicht thun könnte.

Endlich erforderte ein Geschäft in der Stadt seine Entfernung für einen Tag; doch am Abend kehrte er schon wieder, voll Dankbarkeit gegen Lord De Moreland, dessen Verwendung er seine schnelle Versetzung von General Harleys Regiment zu einem Husarenregiment als zweiter Oberstlieutnant verdankte; der einzige unangenehme Umstand dabei war, daß sich der Herzog von St. Kilda bei demselben Regiment befand, was Adelaidens mitleidigem Herzen natürlich Pein verursachen mußte.

Der galante Ehemann brachte seinem jungen Weibchen jetzt als erstes Geschenk ein kostbares Spitzenkleid mit, welches Mstrß. Falkland, für ihn besorgt hatte. Adelaide küßte voll Entzücken die schöne Gabe, obgleich sie sich weigerte, dem Geber dasselbe zu bewilligen. Dafür schlug er ihr aber auch ihre dringende Bitte ab, sich einstweilen zu seinem Regiment zu begeben, und sie erst dann nachzuholen, wenn er nicht mehr Ursache haben. würde, sich seiner Wahl bei den neuen Cameraden zu schämen.

Mehrere Mal war Bouverie bereits in Angelegenheiten des Dienstes in London gewesen und immer auf den Flügeln der Liebe nach Hause geeilt. Als er eines Tages aber, in der völligen Ueberzeugung, durchaus nichts mehr von der Erinnerung an Lady Marian zu fürchten zu haben, in die Stadt und zu seinem Agenten kam, etwas Genaueres über den Ort der Garnison, seines Regiments zu erfahren, ward ihm ein an den Grafen von De Moreland addressirtes, unlängst angelangtes Paket überreicht, dessen Handschrift ihm nur zu gut bekannt war. Todtenblässe, überzog sein Gesicht und er bedurfte aller Anstrengung, den Umstehenden seine Gefühle zu verbergen. Er stürzte durch den Hof, sprang in einen Miethwagen und befahl dem Kutscher, ihn in Berklay Square, nach Lord De Morelands Hause zu fahren, wo er sich in die Bibliothek einschloß und das Paket öffnete.

Es enthielt einen Brief von Lady Marians Hand und sein ihm wohlbekanntes rothes Futteral, worin sich ein ausgezeichnet schönes Bild von Lady Marian, in ihrem achtzehnten Jahr, als Houri gemalt, befand. Die Aehnlichkeit war immer noch frappant, und Montagu hatte oft vergebens um den Besitz gefleht.

Der Anblick dieses, alle frühern Erinnerungen weckenden Bildes machte sein Herz heftiger schlagen. Er gedachte seines Weibes daheim, und legte es seufzend bei Seite; aber den Brief mußte er doch lesen – es war vielleicht ihr letzter, sie selbst schon todt, und sie nahm auf ewig von ihm Abschied.

Aber sie lebte noch, und sprach zu ihm in der leidenschaftlichsten Sprache. Zuerst wünschte sie ihm Glück zu seiner Standeserhöhung, welche Nachricht gleich nach seiner Abreise Malta erreicht hatte, doch nicht zu ihren Ohren gedrungen war, weil sie krank, tödtlich krank aus gebrochenem Herzen geworden. Dann versicherte sie, nicht ohne ihn leben zu können, so sehr sie auch gestrebt, ihre platonische Liebe zu überwinden, und daß sich jetzt die Aussicht gezeigt, dem göttlichsten aller Männer ganz angehören zu können, indem der General einen apoplektischen Anfall gehabt, der sich bei seiner Neigung zum Trunk unfehlbar nächstens wiederholen würde. Unter solchen Umständen waren natürlich alle Gedanken, nach Indien zu gehen, aufgegeben, und sie im Begriff nach England zurückzukehren. Um ihn hiervon zu benachrichtigen, benutzte sie eine Gelegenheit, ihm diesen Brief durch sichere Hand zu schicken, der ihn hoffentlich vom fernsten Ende des Landes nach London zurückführen würde, sie dort zu empfangen, und ihrem verschmachteten Herzen seinen ersehnten Anblick zu gewähren.

Montagus Gefühle bei Durchlesung dieses Briefes lassen sich nicht beschreiben; er seufzte, nein, stöhnte aus tiefer Brust, verwünschte seine, oder vielmehr Lord De Morelands Hast, die ihn nun verhinderte, seine angebetete Marian glücklich zu machen, und Adelaidens Aussichten auf ewig zerstörten.

Bei Adelaidens Namen brach er in Thränen aus, und bemühte sich vergebens die nöthige Fassung zu erringen, vor ihr zu erscheinen. Deshalb beschloß er endlich, seinen Aufenthalt für die nächsten achtzehn Stunden, in einem Wirthshaus zu nehmen, und von dort aus einen Boten an Adelaiden zu schicken mit der Nachricht, daß er durch Regimentsgeschäfte genöthigt worden, bis zum nächsten Mittag in der Stadt zu bleiben.

Einem Wahnsinnigen gleich stürzte er aus Lord De Morelands Haus, und flüchtete sich in den ersten besten Gasthof, wo er nach vielen fruchtlosen Versuchen, seiner zitternden Hand einige Festigkeit zu geben, endlich wenige Zeilen an Adelaiden zu Stande brachte.

Von dem aufgetragenen Mittagsessen berührte er nichts, trank aber eine Flasche Madeira, seine Lebensgeister anzufrischen, und nachdem er noch die ganze Nacht damit zugebracht, seine Verhältnisse zu Lord De Moreland, zu Adelaiden und zu Lady Marian genau zu erwägen, gelangte er zu dem Entschluß, Letzterer seine Verheirathung zu verkünden, und ihr ein zärtliches, aber festes Lebewohl zu sagen.

Sein Herz fühlte sich erleichtert, als er den Brief geschrieben und nebst dem Bild eingepackt hatte. Nun legte er sich einige Stunden nieder, ein ruhigeres, minder verstörtes Ansehen zu erlangen, ehe er vor Adelaiden erschiene. Nach dem Frühstück begab er sich in General Harleys Hotel, wo ihn der Thürsteher benachrichtigte, ›das ganze Haus sei in Bewegung, Vorbereitungen zu der stündlich erwarteten Ankunft der Familie von Malta zu machen.‹

Bouveries Bewegung bei dieser Nachricht war so heftig, daß er kaum im Stande war, dem Thürsteher sein Paket mit den nöthigen Instruktionen, es Lady Marians Kammermädchen eigenhändig zu übergeben, zu überreichen. Dann flog er in seinen Gasthof zurück, ließ eiligst anspannen und jagte so schnell davon, als ob Lady Marian ihm nachsetzte, fest entschlossen, Adelaiden zu bereden, ihn sogleich zu seinem Regiment zu begleiten, was auf dem Marsch von Kent nach Sussex begriffen war.

Wie ein Verfolgter sich aus dringender Gefahr in den sichern Hafen flüchtet, so flog jetzt Montagu in die Arme seiner Adelaide, die höchst erfreut, ihn eine Stunde früher zurückkommen zu sehen, als er versprochen, ihn mit einem solchen Entzücken empfing, und ihn so lebhaft, geistreich und witzig unterhielt, daß der von Neuem bezauberte Bouverie, trotz Lady Marians Brief und Bild, nur an Adelaiden denken konnte.

Doch noch zu schwach, dergleichen Anstrengungen lange zu ertragen, begannen ihre Kräfte sie im Lauf des Tages zu verlassen, und mit ihrer Erschöpfung trat auch Montagus natürliche Stimmung ein. Er gedachte des Eindrucks, den sein barbarischer, unmenschlicher Brief auf Lady Marian hervorbringen würde, und, versank dabei in so trübe Betrachtungen, daß Adelaide ängstlich besorgt ausrief:

»Mein Montagu! mein theurer Gatte! was ist Dir? bist Du krank? O, gewiß ist die unselige Krankheit auch auf Dich übergegangen!«

Bouverie schloß sie zärtlich in die Arme, und versicherte nur durch anhaltende Arbeiten angestrengt zu sein; und als er sie so fest an sich gedrückt hielt, hob sich ihr Schleier und er sah in ihr geschwollenes, rothes Gesicht. Unwillkührlich prallte er zurück, und seine Züge verriethen den Eindruck, den ihre Entstellung auf ihn gemacht.

»Ach, Montagu,« sagte Adelaide mit zitternder Stimme, »es ist traurig, sich von denen zurückgestoßen zu sehen, die wir lieben. Aber wenn Du nur wohl bist, werde ich schon Festigkeit gewinnen, selbst dieß zu ertragen. Komm, laß uns Schach spielen, und – ich will, versuchen, ob mir vom Schicksal bestimmt ist, zu siegen.«

»Zweifle nicht daran,« entgegnete Bouverie nachdrücklich, und als das Spiel beendet, war, wünschte er ihr mit einer Umarmung gute Nacht.

Die ersehnte Ruhe ward jedoch Beiden nicht so bald zu Theil, und Montagu verwünschte zum ersten Mal seine Halsstarrigkeit, die Adelaiden nicht gestattet hatte, ihm ein bequemeres Nachtlager, als was er während ihrer Krankheit gehabt, in seinem eigenen Schlafzimmer einzurichten, und die ihn nun um den einzigen Trost, mit seinem Schmerz allein zu sein, brachte.

Nachdem er in Folge des unerwarteten, ihn erschreckenden Anblicks der entstellten Züge seiner Frau, Vergleiche mit diesen und Lady Marians bezauberndem Bilde angestellt, sich den ganzen Gang seiner Bekanntschaft mit ihr vergegenwärtigt hatte, und zu der traurigen Ueberzeugung gelangt war, daß er Adelaiden nie ein ungetheiltes Herz weihen könnte, schlief er endlich unter solchen Träumereien ein, um sein bis jetzt glückliches Weib durch lautes Aussprechen ihres Namens aus dem Schlummer zu erwecken.

Adelaide sprang rasch aus dem Bett, ihrem Gatten beizustehen, den sie krank glaubte, und seine Hand zärtlich ergreifend, rief sie:

»Montagu, was fehlt Dir?«

Aber sein Schlaf war zu fest, um durch ihre Stimme unterbrochen zu werden; und ihre Hand schien ihn nur in seinem Traum zu bestärken, denn indem er sie heftig drückte, sagte er:

»O, Adelaide, mein betrogenes Weib! weine nicht. Glaube mir, daß ich alles anwenden werde, ihr vergöttertes Bild in meinem Herzen mit dem Deinigen zu vertauschen.«

Jetzt erst bemerkte sie, daß er im Traum gesprochen; und obgleich sie wußte, daß die Phantasie im Schlaf oft einen wilden Gang zu nehmen pflegt, fühlte sie doch eine gewisse Beklemmung, und nicht wünschend, auf diese Weise in Besitz seiner Geheimnisse zu gelangen, suchte sie ihn durch Zureden zu erwecken, was ihr jedoch eben so wenig gelang, als ihre Hand los zu machen. Er fuhr fort:

»Dein Onkel verbot mir, Dir zu sagen, daß ich Dir kein ganzes Herz zu bieten hatte; doch wäre sie nicht von Malta zurückgekehrt, und hätte mir ihr himmlisches Bild gesandt, als Contrast mit Deinen schrecklich entstellten Zügen, würde ich jetzt nicht so elend sein.«

Nun folgten einige unartikulirte Worte; dann aber schleuderte er ihre Hand von sich und rief:

»Darum geht – geht zurück zu Eurem Onkel, Madame, und überlaßt mich meiner angebeteten und mich anbetenden Marian. Ihr Gatte ist, wie sie sagt, dem Tode nahe, und dann, dann könnte ich nur für sie leben.«

Als Bouverie Adelaidens Hand von sich gestoßen, floh sie von Schmerz übermannt aus dieser Kammer des Todes in ihr Ankleidezimmer, wo sie auf ihre Knie niederfiel und Gott inbrünstig bat, sie vor Wahnsinn zu bewahren. Dann fühlte sie ihr armes, gepreßtes Herz durch einen Thränenstrom erleichtert und die bittersten Tropfen, die je eine schuldlose Sterbliche vergossen, flossen hier dem verlorenen ehelichen Glück. Denn wußte sie auch, daß die Ausbrüche der schlafenden Phantasie keine Worte der heiligen Schrift waren, so besaß sie doch schon zu viel andere Beweise, um an der Gewißheit ihres Elends zu zweifeln. Sie gedachte mit Entsetzen ihrer frühern Vermuthung in Roscoville, daß Montagu eine unglückliche Liebe in Malta hatte, erinnerte sich seiner entzückten Beschreibung des dortigen Elysiums, zur Zeit, als er so bemüht war, sie mit seinem Bruder zu verbinden – und konnte nicht länger an ihrem Unglück zweifeln. –

Ach! und daß eine verheirathete Frau ihr das Herz ihres Gatten geraubt, daß dieser sich des Verbrechens schuldig gemacht, in ein so strafbares Verhältniß zu treten, schmerzte die reine Unschuld mehr, als das eigene Elend. Sie wußte von Mellifort, daß Lady Marian Harley, die Frau des Generals von Bouveries vorigem Regiment, die schönste und vollkommenste aller Frauen war, daß Montagu Adjudant beim General gewesen, und die Reise auf derselben Fregatte mit der Gefährlichen gemacht hatte.

Die Nacht verstrich unter heißen Thränen, und nun mußte sie sich vorbereiten, dem Gatten heiter und froh entgegen zu treten; denn die unglückliche Entdeckung, die sie so unschuldig gemacht, sollte er nie erfahren. War er doch ohnehin schon elend genug! – Sie stärkte sich durch ein inbrünstiges Gebet und flehte ihren Schöpfer um Kraft an, die ihr bevorstehenden Leiden mit Sanftmuth und Geduld zu ertragen.

 


Zwölftes Kapitel.

Bouverie war ungewöhnlich früh aufgestanden, und Adelaide ermannte sich, ihm, wie es täglich geschah, im Frühstückszimmer zu begegnen. Wie segnete sie jetzt ihren dichten Schleier, der ihm wenigstens die verweinten Augen und die Spuren der durchwachten Nacht verbargen! Als sie ihm aber mit sanfter Stimme einen guten Morgen bot, drangen die klagenden Töne so ergreifend in sein Herz, daß er sie angstvoll in seine Arme schloß, und besorgt ausrief:

»Adelaide, meine geliebte Adelaide! was bedeuten diese traurigen Töne? O, sage mir, bist Du krank? Oder – unglücklich?«

Adelaide fuhr entsetzt zusammen, und Bouverie schauderte. Es vergingen einige Augenblicke, bis sie im Stande war, ihm zu antworten; dann aber versicherte sie mit erzwungener Heiterkeit, daß sie sich vollkommen wohl und glücklich fühle, und schob alles ihn Störende und Auffallende in ihrem Ton und Wesen auf die böse Krankheit. »Ich fürchte eine schlechte Gesellschaft für Dich zu sein, mein Montagu,« wollte sie sagen gedachte aber, daß er ihr nicht gehörte, und verbesserte sich durch: »Armer Montagu. –«

»Keineswegs,« entgegnete er unbeschreiblich bewegt; »aber Dich traurig zu sehen, würde mich elend machen.«

Adelaide bat ihn nun, seine gereizten Nerven durch Veränderung der Luft und der Gegenstände zu stärken, und einstweilen ohne sie nach Bexhill zu seinem Regiment zu gehen, wo ihn die Gesellschaft der Officiere erheitern, und die Seeluft gut thun würde.

Hierzu war er jedoch nicht zu bewegen, schlug ihr dagegen aber vor, da das Wetter so schön geworden, einen gemeinschaftlichen Ausflug nach Windsor zu machen, wo sie noch nie gewesen war; und sobald der Arzt sie hierzu für fähig erklärte, und ihr die Versicherung gab, keine Ansteckung mehr verbreiten zu können, begab sich das junge Paar auf die Reise.

In Windsor angelangt, beeilte sich Bouverie, der dankbaren Adelaide alles Sehenswerthe zu zeigen, und da ihr selbst der Anblick der königlichen Familie fremd war, bot sich ihr ein weites Feld dar. Nachdem sie drei Tage daselbst zugebracht, führte Montagu sie nach Eaton, wo er Gelegenheit fand, sich über die Mannigfaltigkeit ihrer Kenntnisse zu verwundern und zu freuen.

Am fünften Morgen, als Bouverie eben beschäftigt war, einige Hindernisse zu beseitigen, die sich seinem Besuch in Frogmore entgegensetzten, trat Lee mit einer Nachricht herein, die, wie er glaubte, seinem Herrn große Freude machen würde, nämlich, daß ein Courier eben angekommen wäre, Zimmer für den General Harley zu bestellen, welcher dem Könige seine Aufwartung in Windsor machen wollte. »Aber Lady Marian begleitet ihn nicht,« fügte Lee hinzu.

Selbst diese letzte Nachricht war nicht im Stande, Bouverie von seinem Schrecken herzustellen, und wie seiner Sinne beraubt stand er da, ohne etwas erwiedern zu können.

Adelaidens Herz fühlte, trotz dem eigenen Schmerz, das innigste Mitleid mit der Qual ihres angebeteten Gatten, und schnell einen Vorwand ersinnend, Lee hinaus zu schicken, bat sie Montagu mit dem sanftesten Ton, sich ja keine Mühe zu geben, ihr Frogmore zu zeigen, wohin sie immer wieder einmal kommen könne, und dann ohne Schleier.

Bouverie gab sogleich die nöthigen Befehle zur Abreise, und in der nächsten halben Stunde befanden sie sich auf dem Wege nach Twickenham, wo sie noch einige Tage im steten Kampf mit ihren Gefühlen blieben; doch war Montagu unstreitig der weniger Unglückliche von Beiden, da er immer noch die Hoffnung hegte, seine strafbare Leidenschaft zu bekämpfen.

Unter andern Briefen, die ihrer nach der Zurückkunft von Windsor warteten, war auch einer von Lady Beechbrook, worin sie das junge Ehepaar bat, einen Monat in Beechbrook zuzubringen, zur Wiederherstellung von Adelaidens Gesundheit, ehe sie das an Mstrß. Falkland gegebene Versprechen erfüllten, sich mit ihr auf ihrer Tour durch Schottland zu vereinigen.

Adelaide fürchtete Lord und Lady Beechbrooks Scharfblick, und stellte sich daher nicht geneigt, diese Einladung anzunehmen, unter dem Vorwand, sich ihren Freunden nicht gern so entstellt zeigen zu wollen; und da sich Bouverie ebenfalls vor Bemerkungen scheute, ward sogleich eine Entschuldigung abgesandt.

Ungefähr seine Woche darauf, als Montagu und Adelaide eines Abends an den Ufern der Themse spazieren gingen, hörten sie plötzlich das Plätschern nahenden Ruderschlags und Lautentöne, welche harmonisch an ihr Ohr schlugen. Nach einem kurzen Vorspiel erscholl eine weibliche Stimme, so schön, wie Adelaide sie kaum je gehört; aber Composition und Sprache waren ihr völlig unbekannt. Nicht so Bouverie, den diese neugriechische Ballade schon öfterer bezaubert hatte. Den Frieden seines unschuldigen Weibes zu erhalten, mußte er diesen Sirenentönen zu entfliehen suchen; und Adelaiden wie ein Wahnsinniger um den Leib fassend, stürzte er mit ihr ins Haus zurück. Hier erst fühlte er, daß sein Betragen einer Entschuldigung bedürfe, und so stammelte er etwas heraus, vor Furcht, sich durch diese himmlischen Töne zum längern Verweilen veranlaßt zu sehen, was Adelaidens Gesundheit hätte nachtheilig werden können.

Adelaide verstand alles, und ihr armes Herz schlug in tödtlicher Angst; dennoch aber suchte sie nur seine Pein zu mildern, und sann auf einen wahrscheinlichen Vorwand, seine wilde Hast zu erklären. Es folgte ein verlegenes Alleinsein, welches Bouverie endlich durch Klagen über heftige Kopfschmerzen abkürzte, indem er sich deshalb früher zur Ruhe begab.

»Ich überlasse Dich der Sorge Deines Bedienten,« sagte Adelaide mit zitternder Stimme, »nicht aus Mangel an Theilnahme, aber weil ich glaube, daß Ruhe das beste Mittel für Kopfschmerzen ist, besonders da Deine Nerven so angegriffen sind; solltest Du mich aber um Dich zu haben wünschen, werde ich auf den Flügeln der Angst zu Dir eilen.«

Bouverie dankte ihr durch einen stummen Händedruck, und verließ schnell ihre ihn quälende Gegenwart.

»Ach! er wird mich für ein Ungeheuer der Undankbarkeit halten, daß ich ihn jetzt, in seinem leidenden Zustand, anscheinend gefühllos, fremder Sorge überlasse, nachdem er mich mit aufopfernder Liebe in meiner schrecklichen Krankheit gepflegt hat.«

Dennis mußte das unberührte Abendessen wieder hinaustragen, was er mit trauriger Miene that. Indem kam Lee, zu melden, daß sich sein Herr ungleich besser befinde, und morgen früh ganz hergestellt zu sein hoffe.

Adelaide ersah hieraus, daß er sie nicht mehr zu sehen wünschte; und da sie ihm während ihrer kleinen Reise ein besonderes Schlafzimmer hatte einrichten lassen, konnte sie ihrer eigenen Trauer nun auch ungestört nachhängen.

Bouverie begrüßte sie am folgenden Morgen mit einer herzlichen Umarmung, und bat sie, ihn nach Wiltshire zu begleiten, da er sich fest eingebildet, die vaterländische Luft würde seine Nerven stärken, und woselbst er bleiben könnte, bis Sir Charles Longuiville ihn aufforderte ihn abzulösen.

Adelaide nahm diesen unerwarteten Vorschlag mit der größten Freude an, die jedoch nicht von Dauer war. Die nächste Post brachte ihrem Mann zwei Briefe, einen von Hastings, den andern von London. Eine Todtenblässe überzog sein Gesicht beim Anblick des letztern; er erbrach das Siegel mit Hast, und nachdem er den Brief mit augenscheinlichem Erstaunen, aber ohne freudige Bewegung durchgelesen, sprang er hinaus und rannte einige Zeit in den Gängen des Gartens auf und ab. Erst als er wieder ruhiger geworden, kehrte er zu Adelaiden zurück und sagte:

»In meinem ganzen Leben ist mir nichts so zur unrechten Zeit gekommen, wie dieser Brief. Alle die schönen Pläne der Ruhe, des Glücks und Friedens, die ich in dieser schlaflosen Nacht entworfen, sind mit einem Mal zerstört.«

»Ist das Regiment außer Landes beordert? Mußt Du mich verlassen, Montagu?« rief Adelaide in größter Angst.

»Nein, meine Liebe; aber Dankbarkeit gegen einen Mann, der mir unbegrenzte Freundschaft bewiesen, verhindert mich, ihm die Bitte abzuschlagen, ihn von der Schande, für unwissend zu gelten, zu retten. In diesem Fall muß ich unsere Reise nach Wiltshire aufgeben, und eine oder zwei Wochen vor Dir nach Sussex gehen; ach! – aber – General Harley, meine Liebe. –« Bei diesem Namen zitterte Adelaide. »General Harley,« fuhr Montagu zögernd fort, »dessen Adjudant ich in Malta war, und dem ich viel Verbindlichkeiten schuldig bin, hat mir eben jetzt geschrieben; doch Du magst selbst lesen und urtheilen, ob ich möglicherweise entgehen kann. –«

Adelaide las nun des Generals Brief, der nach vorhergegangenen Glückwünschen zu Bouveries Verheirathung, und dem Bericht seiner eigenen Krankheit und Rückkehr nach England folgendermaßen lautete:

»Obgleich ich Ihnen, liebster Bouverie, zu Ihrer Verbindung und Beförderung Glück wünsche, kann ich es mir nicht. Es konnte mir nichts verdammt Unglücklicheres passiren, da einige geschäftige Freunde meiner Frau nichts Eiligeres zu thun hatten, als den Commandeur en Chef zu bestimmen, mich nach Hastings zu beordern, wo es zu meinem Unheil eine Menge militairischer Werke zu besichtigen giebt. Da ich nun von der Artillerie so wenig verstehe, als von der Kunst, auf einem Besenstiel durch die Luft zu reiten, sehe ich mich der Schande ausgesetzt, für einen Ignoranten zu gelten, wenn Sie sich meiner nicht erbarmen, indem Sie ein Paar Wochen mit hergehen, mir zu sagen, was ich zu verstehen scheinen muß, und mit bei der Bildung meines Generalstabs zu helfen, der jetzt in schlechtem Stand ist; denn da kein Unglück allein kömmt, wurde Cliffs Mutter jetzt krank, und er flog nach Irland, ihren Segen zu holen; wie wenig mit Thornhill, Warren und Gayville anzufangen ist, wissen Sie selbst. Deshalb, liebster Bouverie, flehe ich Sie an, mich nicht im Stich zu lassen, sondern morgen früh zum Frühstück zu mir in die Stadt zu kommen, und mich auf vierzehn Tage nach Sussex zu begleiten. Ich hoffe, Sie werden mich schon auch um Ihres kleinen Pathen Montagu willen nicht der Schande Preis geben.

Meine liebe Marian war so angegriffen durch die Nachricht von der gefährlichen Krankheit einer theuren Freundin, die sie am Tage unserer Ankunft erhielt, daß ich mich genöthigt sah, sie nach Blackheath zu ihr gehen zu lassen, den letzten Abschied zu nehmen; doch erwarte ich sie bis Abend wieder zurück, und so werden Sie morgen die Freude haben, sie beim Frühstück zu sehen. Nach Sussex begleitet sie mich aber nicht eher, bis ihre theure Freundin nicht mehr ist.

Da Cliff eine ganze Menge Aerzte von Edinburg mit zu seiner Mutter genommen hat, wird sie es gewiß nicht lange mehr machen; deshalb haben Sie nicht zu befürchten, lange von Ihrer schönen Frau getrennt zu sein. Leben Sie wohl. Kommen Sie, ich beschwöre Sie, den militairischen Ruhm zu retten

Ihres

dankbaren Freundes
Franz Harley

Während Adelaide diesen Brief las, hatte Bouverie den andern durchlaufen, und sagte:

»Ach! dieser Brief entscheidet; ich kann nicht umhin, des Generals Bitte zu erfüllen, da ich ohnedieß nach Sussex muß. Lady Longuiville hält es für gerathener, sich jetzt gleich nach London zu ihrer Mutter zu begeben, wo ihre Entbindung Statt finden wird; und so fordert mich Sir Charles auf, mein Versprechen zu halten, und ihn in Hastings abzulösen. Dieser Brief hätte mich zur augenblicklichen Abreise bestimmt, aber ich wäre mit andern Gefühlen gegangen; denn wenn Du Dich auch nicht entschlossen, mich gleich zu begleiten, würde ich in Ruhe gelebt haben, bis Du Dich mit mir vereinigt; aber nun wird mein Friede gestört sein –«

Bouverie hielt inne; er erröthete und fürchtete zu viel verrathen zu haben; dann fuhr er fort:

»Du wirst Dich wundern, weshalb ich so ungern des Generals Bitte erfülle, da ich ihm doch so viel verdanke; aber – aber er ist ein bon vivant, und seine Tafel zu oft von Unmäßigen besetzt. Da ich aber jetzt ein Ehemann bin, und der Ehemann meiner unvergleichlichen Adelaide, ist sein Haus das Letzte, was ich zu betreten wünsche, das Erste, was ich zu meiden strebe.«

Diese legten Worte sprach Montagu mit so heftiger innerer Bewegung aus, daß Adelaide kaum ihre Fassung behielt. Nach einer peinlichen Pause sagte Bouverie fast zitternd:

»Adelaide, ich kann morgen nicht nach London gehen – mit dem General zu reisen; nein, nein – nicht um alle Schätze der Welt – möchte ich an seinen Trinkgelagen Theil nehmen. Deshalb wirst Du mir vergeben, meine theure Adelaide, daß ich Dich einen Tag früher verlasse, und ihm zuvorkomme.«

Alle Anstalten wurden nun zu Montagus schneller Abreise getroffen, und Adelaide leitete und ordnete das Nöthige zu ihres Gatten Bequemlichkeit, obgleich mit blutendem Herzen, bei der schrecklichen Ueberzeugung, daß er der gänzlichen Zertrümmerung ihres ehelichen Glücks entgegenginge.

Dasselbe schreckliche Vorgefühl schien sich Bouveries Seele bemächtigt zu haben, und ihn aller Kraft zu berauben, das traurige Lebewohl auszusprechen.

»Du wirst mir doch manchmal schreiben, lieber Montagu?«

»Dir manchmal schreiben, meine Adelaide? Was willst Du damit sagen? Was veranlaßt diese Frage, und den Ton, worin sie ausgesprochen ist?«

»O, Montagu!« erwiederte sie klagend, »es ist dieß die erste Trennung von Dir – kannst Du Dich wundern, daß ich meiner Sinne halb beraubt bin?«

Bouverie drückte sie heftig an sein Herz; doch unfähig, jetzt Abschied zu nehmen, stürzte er hinaus, rannte einige Mal im Garten auf und ab, und kehrte dann zurück, ihr Lebewohl zu sagen. Aber als stände ihm eine ewige Trennung, eine Trennung von seinem bessern Selbst bevor, konnte er sich nicht von ihr losreißen, und umfing sie immer wieder von Neuem mit seinen Armen.

Adelaide blieb wie eingewurzelt stehen, als er sie endlich verlassen, und blickte ihm in stummer Verzweiflung nach. Dann sank sie auf einen Stuhl nieder, ihrem verlorenen Glück bittere Thränen weinend.

Dennis trug das unberührte Mittagsessen mit betrübter Miene hinaus, und da seine Gebieterin den Schleier abgelegt, nachdem ihr Gatte sie verlassen, sah er die Spuren des tiefen Grams in ihren Zügen, worauf er eilte, die getreue Norah zu ihrem Beistand herzuschicken; aber diese konnte auch nicht trösten, nur mit ihrem geliebten Kinde weinen. Adelaidens Betrübniß dauerte fort, bis sie am zweiten Morgen nach Montagus Abreise einen Brief aus Tunbridge erhielt, lauter Liebe und Zärtlichkeit athmend, und Sorge für ihre Gesundheit. Ein zweiter Brief von Bexhill in demselben Ton versicherte sie, daß er keine Zeit verlieren würde sich von General Harley loszumachen, und gleich Sir Charles Longuiville Urlaub zu erhalten, da beide Majors beim Regiment wären; und daß er dann nach Schloß De Moreland mit ihr eilen würde, ihre Gesundheit durch die Seebäder in Seaviews wieder herzustellen.

»Ach!« seufzte Adelaide, »werden diese zärtlichen, liebevollen und besorgten Briefe auch noch kommen, wenn er Lady Marian wieder gesehen? Sie wird nicht säumen, ihrem auserkohrenen Opfer nachzufolgen, und meinen bethörten Gatten von seiner Pflicht und Treue gegen mich zu verlocken. Nahm sie doch keinen Anstand, ihren Mann mit der Nachricht zu hintergehen, daß sie eine sterbende Freundin besuchte, während sie in Twickenham ihre Zauberkünste aufbot, den schwach Widerstrebenden fester an sich zu ziehen.«

Vernunft und ruhige Ueberlegung lehrten sie bald, sich mit Ergebung in das Unvermeidliche zu fügen; ihr fester Glaube an die Herzensreinigkeit ihres angebeteten Gatten gewährte ihr den Trost, ihn bald reuig zu ihr zurückkehren zu sehen. Eingedenk des tiefen Eindrucks, den Lady Marians Silberstimme auf ihn gemacht, beschloß sie, ihr musikalisches Talent auszubilden, und sich wo möglich den Unterricht des berühmten Signore Philomelli zu verschaffen, welchen Wunsch Bouverie öfterer ausgesprochen. Da sie gehört, daß dieser große Meister sich zur Wiederherstellung der Gesundheit seiner Frau eine Wohnung in Twickenham gemiethet, säumte sie keinen Augenblick, ihn um seinen Unterricht anzusprechen. Nachdem der Signore Adelaiden singen gehört, gewährte er ihr mit der größten Bereitwilligkeit drei Stunden wöchentlich; da sie auch von Rosalinden, ebenfalls seine Schülerin, keine falsche Methode gelernt, machte sie bald die reißendsten Fortschritte, so daß der Meister bat, seine Frau, eine große Künstlerin, zu ihren häufigen musikalischen Abendübungen mitbringen zu dürfen, welches Adelaide, nach vorhergegangener Erkundigung bei Herrn Dee, gern bewilligte.

Hinsichtlich Lady Marians baldiger Nachfolge nach Sussex hatte sie leider nur zu wahr prophezeihet; denn schon am Tage nach des Generals Ankunft stellte sie sich unerwartet dort ein. Bouverie konnte nicht umhin, sie zu sehen, und sie trug Sorge, daß dieses erste Wiedersehen ohne Zeugen Statt fand, wobei sie denn alle Künste in Bewegung setzte, das Herz des lang bethörten Montagu von Neuem an sich zu ziehen. Es gelang ihr nur zu gut; alles, was er gefürchtet, ging in Erfüllung. Adelaidens Tugenden und Vorzüge sanken in Vergessenheit, selbst das Bild ihrer himmlischen Schönheit, durch Lady Marians blendendes Aeußeres verdunkelt, verlor sich in seiner Erinnerung, und nur die von den Blattern entstellte Frau wußte die schlaue Verführerin vor seine innern und äußern Augen erscheinen zu lassen. Ja, er ging selbst zu Zeiten im Delirium seiner Leidenschaft so weit, das heilige Band zu vergessen, was ihn an die sanfte Dulderin band, und daß er in diesem wilden Traum von platonischer Verehrung, den Frieden, wenn nicht das Leben des jungen, liebenswürdigen und unschuldigen Wesens vergiftete, das sich ihm mit ungetheiltem Herzen hingegeben, und seinen Händen das höchste, das Glück des Lebens, anvertraut.

In dem Grade als seine Bezauberung zunahm, wurden Bouveries Briefe seltner und kälter; auch versäumte er nie in einer Nachschrift hinzuzufügen, daß noch keine angemessene Wohnung für sie zu finden sei.

Die arme Adelaide sah und fühlte die schreckliche Veränderung, aber gestattete ihr keinen Einfluß auf ihr Betragen. Sie fuhr fort an Montagu, wie an einen sie liebenden Gatten, zu schreiben, ohne seiner Kälte zu erwähnen. Ihm Zärtlichkeit zu zeigen, vermied sie aus Furcht, ihm dadurch beschwerlich zu fallen; aber obgleich ihre Zurückgezogenheit ihr allen Stoff von Außen benahm, wußte sie ihren Briefen doch immer ein neues Interesse zu geben.

In einem seiner frühern Schreiben hatte Bouverie gemeldet, daß Lady Marian sich gütigst bei dem Signore Philomelli für Adelaidens Singunterricht verwendet; daß aber Ihrer Herrlichkeit Bitte, trotz ihres großen Einflusses auf ihn, nicht erfolgreich gewesen, da er es für unmöglich erklärt, neue Schülerinnen anzunehmen. – Als Adelaide indeß ihren Lehrer hierum befragte, erfuhr sie, daß ihm nie ein solcher Antrag gemacht worden sei; sie unterließ es jedoch, ihren Gatten von diesem Betrug in Kenntniß zu setzen, aus Furcht, daß Lady Marian ihn durch irgend einen bösen Rath veranlassen möchte, ihr diesen schätzbaren Unterricht zu entziehen.

Nachdem Bouverie ungefähr sechs Wochen in Sussex gewesen, schrieb er, auf Lady Marians Veranlassung, Adelaiden den kältesten Brief, den sie je von ihm erhalten, worin er ihr vorwarf, ihn durch die freudig verkündete Nachricht, alle Spuren der Blattern verloren zu haben, täuschen zu wollen, indem er von glaubwürdigen Personen (Mstrß. Gayville und andern Anhängern Ihrer Herrlichkeit) erfahren, daß die Entstellung im günstigsten Fall ein Jahr zu dauern pflege.

Als dieser unfreundliche, Adelaiden der Unwahrheit beschuldigende Brief abgegangen war, fühlte Montagu einige Reue; ihre milde, aber zugleich würdige, die Versicherung ihrer Aussage bestätigende Antwort erfüllte ihn mit so viel Achtung und weckte die schlummernde Zärtlichkeit in seinem Herzen so mächtig auf, daß er augenblicklich wieder schrieb, und ihr die Aussicht eröffnete, bald eine Wohnung zu finden. Dann wollte er selbst kommen, sie abzuholen, und bat sie, ihre Garderobe in Bereitschaft zu halten, indem er wünschte, seine Gattin als die liebenswürdigste, schönste und eleganteste in Sussex auftreten zu sehen.

Adelaidens Freude über den lang entbehrten Genuß, einen freundlichen, liebevollen Brief von Bouverie zu lesen, war unbeschreiblich groß und sie fuhr sogleich in die Stadt, diejenigen Stücke zu besorgen, welche in der vollständigen Ausstattung ihrer Garderobe möglicherweise fehlen konnten. Durfte sie doch hoffen, den theuren Gatten in den nächsten Tagen ankommen zu sehen, sie mit sich nach Sussex zu führen.

 


Dreizehntes Capitel.

Ein Tag nach dem andern verstrich, ohne daß Montagu oder auch nur ein Brief von ihm kam; und als sie, länger als eine Woche vergebens geharrt, eines Abends in Kummer versenkt in ihrem einsamen Zimmer saß, die Harfe vor sich ohne zu spielen, ward sie durch ein lautes Pochen an der Hausthür aufgeschreckt. In demselben Augenblick wurde Sir Charles Longuiville gemeldet, und Adelaide, unfähig, ihre getäuschte Erwartung zu verbergen, rief:

»Ich glaubte, es wäre mein lang erwarteter Gatte! –« und brach bei diesen Worten in Thränen aus.

Sir Charles bemerkte, trotz ihres Bestreben heiter zu erscheinen, den Zustand ihres Gemüths, und bedauerte, zu einer Täuschung Anlaß gegeben zu haben.

Adelaide fragte nun nach Lady Longuiville und erfuhr, daß er sie vor einer Woche sammt dem Kinde vollkommen wohl bei seiner Schwiegermutter verlassen habe, um nach Bexhill zu einem unangenehmen Kriegsgericht zu gehen, welches, Dank sei es Lady Marians Einfluß auf Menschen jedes Standes und Ranges, ehrenvoll abgelaufen.

»Dann haben Sie wohl meinen Mann gesehen?« fragte Adelaide, zitternd bei Erwähnung Lady Marians Namen und Einfluß.

»Ich sah ihn beständig während meines Aufenthalts in Bexhill. – Aber warum sind Sie nicht bei ihm, schöne Dame?«

»Er wollte mich abholen, ich erwarte ihn schon seit zehn Tagen,« stammelte sie verlegen; »aber ich fürchte, er hat noch keine Wohnung bekommen können.«

»In Bexhill hörte ich, Ihr Eigensinn sei die Ursache, weil Sie dort nicht entstellt erscheinen wollten; aber ich freue mich, zu sehen, daß ich mich geirrt, da auch nicht die geringste Spur von der schrecklichen Krankheit bei Ihnen zu bemerken ist, weshalb auch Lady Marian und Mstrß. Gayville nichts mehr zu befürchten haben werden. Ich finde Sie wieder so schön wie vorher, nur ein wenig magerer, etwas schlanker noch; aber es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich Ihren Gatten nicht so ganz wohl aussehend gefunden – ich glaube, es würde gut sein, Sie gingen bald zu ihm. Aber, mein Gott! werden Sie nur nicht gleich so todtenbleich; ihm fehlt ja nichts, als Ihre sorgsame Pflege.

General Harley hat ein schönes Haus bekommen; es gehörte einem Baronet, der wegen seiner Gesundheit und seiner Finanzen nach Madeira ging und froh war, seine Wohnung zu vermiethen. Hier wohnt er mit seinem Stabe und giebt große Feste, nachdem er seine armen Truppen vom Morgen bis zum Abend gequält hat; diese Lebensweise scheint den armen Montagu anzugreifen, da er doch krank von Malta kam. Wenn er seinen eigenen Hausstand hat, wird alles besser werden; darum reisen Sie lieber heute noch zu ihm. Ich prophezeihe, Ihre Gegenwart wird jeder Gefahr vorbeugen.«

Adelaide fühlte den Doppelsinn von Sir Charles Worten; sie verstand alles, und wäre gern auf der Stelle nach Bexhill geeilt; aber sie fürchtete, sich Montagus Unwillen zuzuziehen, wenn sie uneingeladen käme, und sagte daher mit einem unterdrückten Seufzer:

»Mein gütiger Freund, würde es nicht besser sein, den armen Bouverie erst auf meine Ankunft vorzubereiten, um – Sie wissen ja, mit Invaliden kann man nicht zu vorsichtig umgehen. Mein unerwarteter Anblick könnte ihm schaden – ich meine nämlich das Erstaunen, die Ueberraschung.«

Sir Charles Augen waren nun völlig geöffnet; er las in der Verzweiflung, in den innern Kämpfen, die sich unverkennbar in ihren Zügen ausdrückten, daß sie Verdacht geschöpft hatte. Voll Mitleid mit der jungen, schönen und liebenswürdigen Dulderin schwieg er einige Augenblicke in tiefem Nachdenken und sagte dann, eingedenk seiner gemachten Bemerkung, daß Montagu sich jedes Mal erheiterte, wenn er oder andre Bekannte aus Kent von Mstrß. Bouveries Schönheit, Anmuth und Wohlthätigkeit erzählten, daß sie nothwendig gleich reisen müsse, und daß er Bouverie auf ihr Kommen vorbereitet habe. »Denn,« fuhr er fort, »ich erzählte ihm, daß ich Ihnen von seinem Unwohlsein sagen würde, worauf Sie natürlich, trotz Ihrer Scheu sich zu zeigen, augenblicklich reisen würden; und da es ihm an einer angemessenen Wohnung für Sie fehlte, habe ich ihn gebeten, sich der meinigen zu bedienen, indem wir sie erst nach unseres Kindes Blatternimpfung brauchen.«

Nach dieser Versicherung beschloß Adelaide, keinen Augenblick zu säumen, und während Sir Charles einige Erfrischungen zu sich nahm, ordnete sie das Nöthige zu ihrer lang vorbereiteten Reise an.

»O, wie werde ich mich nach Ihrer und Lady Longuivilles Ankunft in Sussex sehnen!« rief sie im Gefühl der Dankbarkeit für seine Güte. »Wenn Sie Lady Longuiville länger kannten, würden Sie gewiß Verlangen nach ihrer Gesellschaft tragen,« entgegnete Sir Charles freudig. »Soll ich Ihnen im Vertrauen entdecken, was Luisen jetzt selbst kein Geheimniß mehr ist? Ich heirathete sie nicht aus Neigung, sondern nur, um meine Familie vom Verderben zu retten. Ein leidenschaftlicher Verehrer der Schönheit, war ich damals zum Sterben in Ihre reizende Cousine Cölestine verliebt, der ich meinen Antrag gemacht haben würde, wenn das Unglück meiner Familie mich nicht daran verhindert hätte. Und zu meinem Heil; denn Luisens Tugenden, ihre Sanftmuth, Güte, ihr großer Verstand machten sie bald zu der Wahl meines Herzens; und nun, vergeben Sie mir meine Aufrichtigkeit – preise ich mich glücklich, Lady Cölestinens Netzen entgangen zu sein.«

»Glückliche Lady Longuiville!« sagte Adelaide im schmerzlichen Ton, und Sir Charles fühlte den ganzen Sinn dieser Worte.

Da sich Alles beeilte, der jungen, Gebieterin Wünsche zu erfüllen, saß Adelaide eine Stunde, nachdem sich Sir Charles entfernt, um ein Uhr, in dem mit vier raschen Pferden bespannten Reisewagen, und flog ihrer neuen Bestimmung Bexhill entgegen, voll ängstlicher Erwartung, sie noch vor Anbruch der Nacht zu erreichen. Je näher sie kam, desto größer wurden ihre Besorgnisse, wie Montagu sie aufnehmen, und was ihrer in Bexhill bevorstehen würde? Endlich, als der Abend schon hereingebrochen, langten die Reisenden in der alten Stadt Hastings an, wo sie, Sir Charles Anweisung zu Folge, im Gasthof einen Boten finden sollten, sie an den Ort ihrer Bestimmung zu führen. Ehe sie denselben aber noch erreicht, rief ein Gentleman aus einem Currikle Dennis etwas zu. Es war Bouverie, und Adelaidens Herz schlug vor Freuden. Der Reisewagen fuhr nun auf Dennis Geheiß an dem Currikle heran. Adelaide reichte ihre Hand heraus, die Montagu kalt, ohne einen Druck ergriff, und das Herz seines unglücklichen Weibes schien den Todesstoß erhalten zu haben.

»Wie konntest Du so spät ausreisen?« sagte Bouverie im verweisenden Ton; »ich zweifelte an Deinem Kommen, und wollte eben nach Bexhill zurück.«

»Ich – ich erfuhr Dein Unwohlsein erst um zwölf Uhr, und befand mich in der nächsten Stunde schon unterwegs; ich wäre gern schneller gefahren, aber man sagte mir in den Wirthshäusern, es ginge nicht.«

»Kleine Einfalt,« entgegnete Bouverie, durch Adelaidens sanfte Stimme und Antwort erweicht, »Du mußt nicht auf Jedermann hören. Ich bin gar nicht krank.«

Er nahm ihren Vorschlag, sich mit in den Wagen zu setzen, nicht an, unter dem Vorwand als Wegweiser dienen zu müssen; und Adelaide ihren Thränen nicht länger gebietend, sank, ein Bild der Verzweiflung, in die Wagenkissen zurück, während Norah mit zerrissenem Herzen gewahrte, welche Auslegung sie den Winken geben sollte, die Dennis von Richard, dem Stallknecht, erhalten – nämlich, daß ihr geliebtes Kind kein willkommner Gast in Sussex sei.

Nachdem sie ziemlich lange gefahren, hielt Bouverie vor einem kleinen Hause, das ganz das Aussehen einer Hütte hatte, still, und sprang heraus, Adelaiden den nöthigen Beistand zu leisten; doch mit so wenig Eifer und Sorgfalt, daß sie beinahe gefallen wäre. Dieser Umstand schien ihm seine Besinnung wieder zu geben. Er faßte sie in die Arme und trug sie ins Haus, indem er ängstlich forschte, ›ob sie Schaden genommen?‹ »Aber mein Gott, wie zitterst Du! Es soll gleich ein Feuer besorgt werden. Frierst Du?«

»O, nein es ist nur Unruhe.«

»Nichts anderes, Sir!« sagte Norah, die ihrem Kinde voll Besorgniß gefolgt war. »Wie wäre es auch anders möglich! Sie ist nicht wieder ruhig geworden, seit Sir Charles Longuiville ihr die Nachricht Ihres Unwohlseins mitgetheilt.«

»Hätte er doch geschwiegen!« rief Bouverie ärgerlich.

»Sie hat seitdem unaufhörlich geweint und keinen Bissen zu sich genommen,« fuhr Norah fort.

»Und ich möchte wissen,« unterbrach sie Dennis, » wann sie es gethan. Seit der Herr weg ist, nie. Das muß ich am besten wissen; denn ich trug das unberührte Essen täglich wieder hinaus. Und was ist die Folge davon? als daß sie jetzt nur Haut und Knochen ist, da sie doch vor sechszehn Wochen, am Tage ihrer Verheirathung, so fett wie ein Rebhuhn war.«

»Meine arme Adelaide!« sagte Montagu, sie an sein Herz schließend, »ich hoffe, mein zartes Rebhühnchen soll hier in Sussex bald wieder fett werden. Komm, Dennis, hilf mir dieß erfrorene Kind erwärmen. Besorge uns ein Feuer. Es fehlt noch an Bedienung; ich konnte in der kurzen Zeit nur eine Soldatenfrau auftreiben.«

»So lange ich hier bin, soll es Ihnen nicht an Aufwartung fehlen,« rief Dennis.

»Ich möchte gern Licht haben,« sagte Montagu zögernd, »scheue mich aber fast, es zu verlangen, weil Adelaide dann mit einem Blick die elende Wohnung überschauen wird, die erste, die ich ihr anbieten kann.«

»Das Haus, welches Lady Longuiville zusagt, wird gewiß –«

»Dieses Haus,« unterbrach sie Montagu heftig, »hat Lady Longuiville niemals gesehen. Nein, nimmermehr hätte ich solch ein Anerbieten von einem so vorwitzigen Menschen angenommen, wie dieser Sir Charles ist. Dich hierher zu sprengen, Dich der Kälte und Anstrengung auszusetzen, ehe ich eine passende Wohnung gefunden, blos weil ich nach einer Musterung etwas angegriffen aussah!«

»Montagu,« erwiederte Adelaide mit ihrem sanftesten Ton, der auch augenblicklich in ihres Gatten Herz drang, »wenn es Deine Wohnung so wohl wie die meinige ist, werde ich keine Mängel darin finden.«

Er ergriff ihre Hand und war im Begriff zu sagen: ›daß dieses Haus drei Meilen von des Generals Wohnung entfernt sei, weshalb er nicht oft im Stande sein würde, sich darin aufzuhalten;‹ aber die Worte erstarben auf seinen Lippen.

Die Soldatenfrau brachte nun Holz und Dennis Licht. Abermals fühlte sich Montagu geneigt, Adelaiden eine falsche Betrügerin zu nennen; denn immer noch war sie dicht verschleiert, und also die Besorgniß Lady Marians für ihre jüngsten Kinder nicht ungegründet. In Gegenwart der Dienstboten enthielt er sich, Bemerkungen hierüber zu machen, doch der Ton, womit er die Frage aufwarf: ›Wie Ihr die elegante und geräumige Wohnung gefalle, in welche Sie Ihr geschäftiger Freund Sir Charles gezwungen?‹ sagte ihr, daß eine Veränderung in seinem Innern vorgegangen.

»Wenn wir zu viele Unbequemlichkeiten darin finden, können wir sie ja leicht mit einer bessern vertauschen,« bemerkte Adelaide sanft und traurig.

»Freilich,« sagte Bouverie; »aber es ist eine schreckliche Qual auszuziehen; – es war mir heute selbst langweilig und beschwerlich von Marino hierher zu ziehen.«

Adelaidens Herz war zum Zerspringen voll; aber fest entschlossen, den Kummer ohne Thränen zu ertragen, erwiederte sie mit erzwungener Heiterkeit:

»O, Pfui! über die Bequemlichkeit des Soldaten! ich verspreche, einen solchen Umzug besser zu überstehen. Keine Marschordre soll mich je aus der Fassung bringen als die, welche Dich in die Schlacht oder in verbotene Länder ruft.«

Montagus Herz fühlte sich von Neuem zu Adelaiden gezogen, wenn nicht Unwille über ihren vermeintlichen Betrug und Sorge für Lady Marians Kinder sich als Schild dagegen gesetzt. Diesem innern Kampf zu entgehen, sprang er auf, zu sehen, ob seine armen Pferde in diesem abscheulichen Ort ein Unterkommen gefunden.

Er blieb so lange aus, daß Adelaide Zeit fand, hinauf zu gehen, Hut und Schleier abzulegen und ihre von Thränen schmerzenden Augen zu waschen. Norah rief die Soldatenfrau, ihr den Weg zu zeigen.

»Gehört Ihr Mann zu Oberst Bouveries Regiment?« fragte Adelaide.

»Nein, Mylady; zur Artillerie.«

»Wie kam denn mein Herr zu Euch?« rief Norah verdrießlich.

»Mstrß. Colemann, Lady Marians Kammerfrau, wandte sich an mich, weil ich in des Generals Hause als Tagelöhnerin arbeite; und da ich selbst nebst Mann und Kind die Blattern gehabt habe, weigerte ich mich nicht zu kommen.«

»Was haben die Blattern damit zu thun?« fragte Norah erstaunt.

»Ei, weil alle andern Leute sich fürchteten, der Dame aufzuwarten, die, wie Mstrß. Colemann sagt, die Pocken in einem so fürchterlichen Grad gehabt, daß die Ansteckung noch lange nicht aufhören würde. Ich hätte mich vielleicht auch nicht dazu bereden lassen, wenn Mylady nicht selbst so herablassend mit mir gesprochen, und mir eine Pfundnote geschenkt hätte, meinem kleinen Jungen einen Rock zu kaufen.«

Also ein Spion in Lady Marians Diensten! dachte Adelaide; aber Du sollst bald das Feld räumen, morgen schon.

»Dieses schwarze Loch ist Ihr Zimmer, Madame!« sagte das Weib, indem sie in eine häßliche Kammer traten. »Mstrß. Colemann konnte kein anderes Haus für Sie bekommen, wegen Ihrer schrecklichen Krankheit, ausgenommen eins dicht neben dem General, was aber Mylady nicht wollte; und deswegen durfte der Oberst auch die Wohnung von Sir Charles nicht nehmen, so hübsch sie auch ist.«

Als Adelaide den Schleier abnahm, stieß das Weib einen Schrei des Erstaunens aus, und starrte so unablässig in ihr Gesicht, daß Norah, längst schon von Zorn erfüllt, ausrief:

»Sahet Ihr je die Blattern auf solch eine Weise?«

»Das kann unmöglich die Lady sein, die als des Obersten Frau erwartet wurde.«

»Allerdings; der Oberst erwartet keine andre Frau,« sagte Norah.

»Dann sollen sie sich schön wundern bei dem General, wo sie glauben, die Lady sähe aus wie ein Plumbpudding.«

Adelaide eilte, nachdem sie eine oberflächliche Toilette gemacht, wieder hinunter in ihr kleines elendes Gesellschaftszimmer, fest überzeugt, daß diese jämmerliche Wohnung erwählt worden, ihr den Aufenthalt in Sussex zu verleiden, und sie bei der Unmöglichkeit, Gesellschaft zu sehen, zu vermögen, alle Einladungen auszuschlagen.

Bouverie kam endlich und Adelaide, die ihn früher nie in Uniform gesehen, worin sich seine schöne Gestalt am Vortheilhaftesten zeigte, konnte nicht umhin, den Blick auf ihn zu richten.

Sie ohne Schleier zu sehen, zog seine Aufmerksamkeit an und beschleunigte seine Schritte; aber kaum hatte er den ersten Blick auf sie geworfen, als er sie in die Arme schloß und entzückt ausrief:

»O, welch ein freudiges Erstaunen! Auch nicht eine Spur der schrecklichen Krankheit. Du bist ganz meine Adelaide wieder.«

Und so war auch er in der Freude seines Herzens ganz der alte Montagu wieder, nur daß er nicht wie früher hoffte, seine verderbliche Leidenschaft überwinden zu können; sondern mitten im Gefühl des gegenwärtigen Glücks sein armes, junges Weib bedauerte, dessen Blüthe die Entdeckung, welche es bald machen, nothwendig zerstören mußte. Sonst hatte er den Gedanken festgehalten, Lady Marian durch Adelaiden in seinem Herzen verdrängt zu sehen – jetzt hielt er es schon für Sünde, die angebetete Marian den Qualen einer hoffnungslosen Liebe Preis zu geben.

Er hatte ihr beim Scheiden gesagt, daß er, im Fall seine Frau ankomme, genöthigt sein würde, mit ihr zu frühstücken. Jetzt erkannte er es für die süßeste Pflicht, und dehnte die Stunde so lange aus, bis der Schall der Trommeln und Trompeten ihn von dannen rief.

Adelaide schaute ihm mit wehmüthigen Blicken nach; ein dunkles Vorgefühl der sie erwarteten Leiden erfaßte ihr Herz; aber sie hatte die Willenskraft zu dulden und zu ertragen. sollte es ihr erstes Geschäft sein, die elende Wohnung in einen leidlichern Zustand zu versetzen, um Bouverie die Qual eines Umzugs zu ersparen; und ehe sie an Mstrß. Ash (die Haushälterin in Twickenham) schrieb, ihr den Koch und einige weibliche Dienstboten zu schicken, sandte sie Norah an die Hausbesitzerin, welche auf einem kleinen Meierhof im Hinterhause wohnte, ab, sie um ihren Besuch zu bitten. Mstrß. Harper, eine reinliche, aber etwas verdrießlich aussehende Frau, erschien, deren Züge sich jedoch schon bei Adelaidens freundlicher Anrede aufheiterten. Es ergab sich aus ihrer längern Unterhaltung, daß Mstrß. Harper sehr traurige Erfahrungen mit ihren frühern Miethsleuten, einer militairischen Familie mit sieben Kindern und einer einzigen Bedienung, gemacht, deren Sinn so wenig auf die Reinlichkeit gerichtet gewesen, daß Besen und Borstwisch in dem ganzen Jahr ihrer Miethzeit nicht angewendet worden. Als nun diese unsaubern Gäste vor zwei Tagen ausgezogen, wäre Mstrß. Colemann gekommen, das Quartier für Mstrß. Bouverie in Beschlag zu nehmen, und hatte alles so himmlisch und schön gefunden, und versichert, daß die neue Besitzerin sich wie im Paradiese fühlen würde, so daß Mstrß. Harper in dem Wahn gewesen, noch schlimmer anzukommen. Sie habe ohnedieß ihre einzige Freude, ihren kleinen Enkel Hall, aus Furcht vor Ansteckung weggeschickt, welche Entbehrung sie so wohl wie ihr Mann nicht zu ertragen vermocht; so war sie schon willens gewesen, Mstrß. Bouverie zu bitten, sich ein andres Quartier zu suchen. –

Jetzt gestaltete sich alles besser und freundlicher. Mstrß. Harper sah keine Gefahr der Ansteckung, auch keine Anlagen, wie bei ihren vorigen Miethsleuten; und Adelaidens Liebenswürdigkeit und Anmuth wirkten so unwiderstehlich, daß sie tief beschämt, ihr den Eintritt in solch einen Stall gestattet zu haben, die schnellste Abänderung versprach. Ein Paar rüstige Arbeiterinnen vom Pachthof räumten in kurzer Zeit die Ueberreste der Vorgänger hinweg; alles erforderliche Küchengeräth wurde sogleich aus Hastings geholt, und Mstrß. Harper, stolz, ihren Reichthum und ihren Geschmack zu zeigen, was ihr früher nicht möglich gewesen, versah nun Adelaidens Zimmer nicht allein mit bessern, elegantern Meubles, sondern sogar mit schönen modernen, bunten Gardinen und andern Zierlichkeiten; selbst die schmutzigen Tapeten mußten weichen, da sie nur zur Erhaltung der darunter befindlichen reinen und hellen darüber genagelt waren.

Während der Aktus des Säuberns im Innern des Hauses unter Mstrß. Harpers Leitung vor sich ging, beschäftigte sich Adelaide mit Norah und Dennis, die äußere Unordnung in Ordnung umzuwandeln, wozu es bei dem reichen Segen an blühenden Gesträuchen und üppigem Grün nur einer geschmackvollen Anordnung und geschickten Hand bedurfte. Aber hierbei ließ es Adelaide noch nicht bewenden, sondern ersuchte Herrn Harper (der vom ersten Augenblick an versichert, ihr nichts abschlagen zu können), einige Baumstämme und Zweige benutzen zu dürfen. Ein Zimmermann und einige Arbeiter waren schnell herbeigeschafft, welche bis sechs Uhr Abends unter Adelaidens Anleitung einen allerliebsten gewölbten Eingang vor den Gesellschafts- und Speisezimmern zu Stande brachten, aus welchem eine Thür ins Freie hinausging, die eine herrliche Aussicht auf das Meer gewährte. Die hölzerne Wölbung ward nun mit Rosen, Geisblatt und andern wohlriechenden Sträuchern von innen und außen bekleidet, und bildete auf diese Weise einen höchst anmuthigen Bogengang.

Mit Hülfe einer warmen, trocknenden Sonne waren die innern Auszierungen bald fertig, und bis neun Uhr hatten Adelaidens Geschmack und Fleiß, und des Schmugglers Vorräthe eine Kammer, Bouveries Ankleidezimmer und das Gesellschaftszimmer in drei Gemächer verwandelt, deren sich die eleganteste Dame nicht zu schämen brauchte. Die letzte Vorbereitung zu Montagus Empfang, war die Ausschmückung der Zimmer durch die von Twickenham mitgebrachten Blumen. Nachdem sie ein einfaches Abendessen hatte auftragen, und zwei schöne Armleuchter anzünden lassen, setzte sie sich, in Erwartung des Eindrucks, den diese zauberhaften Veränderungen auf ihren Gatten machen würden, mit ihrer Handarbeit nieder.

Eine schöne Stutzuhr, ebenfalls aus Mstrß. Harpers Vorrathskammer, schlug eilf Uhr, dann Mitternacht; aber kein Bouverie erschien.

Die Arbeit entfiel ihren kraftlosen Händen beim letzten Schlag der zwölften Stunde. Sie ergriff ein Buch, verstand aber nicht, was sie las; denn ihre Gedanken schweiften nach Marino.

Jetzt schlug es ein Uhr, und Norah trat herein, sie zu bitten, sich zur Ruhe zu begeben, da sie von Lee erfahren, daß sein Herr noch keine Nacht vor drei Uhr zurückgekehrt sei.

»Nein – nicht trinkend die ganze Zeit. Montagu ist kein Schwelger!« rief Adelaide entsetzt.

»Nein, nicht trinkend; der General wird gewöhnlich schon um eilf Uhr betrunken zu Bett gebracht; aber Lady Marian und ihre Freunde bringen dann diese späten Stunden zusammen zu. Doch kommen Sie, theures Kind! nehmen Sie einige Nahrung zu sich, und gehen zu Bett.«

»Ich bin nicht hungrig, liebste Norah!«

»Das glaube ich wohl, aber essen Sie mir zu Liebe nur einen Bissen Brot und trinken ein Glas Wein nach der Anstrengung des heutigen Tages. Auch glaube ich nicht, daß Oberst Bouverie erfreut sein wird, Sie so spät auf zu finden.«

»Ich werde sehen, wie er es wünscht, liebe Norah, und mich in Zukunft darnach richten. Jetzt lösche die Armleuchter aus und räume das Abendessen hinweg.«

In diesem Augenblick trat Montagu herein, aber so widerstrebend, mit einem so zurückstoßenden Blick, daß sich Adelaide in die Gruft ihrer Eltern wünschte.

»Ich vergaß, Dir zu sagen,« begann er kalt, »daß die Ceremonie, auf mich zu warten, mir peinlich ist, da ich gewöhnlich spät von Marino zurückzukehren pflege.«

»Nun ich Deinen Wunsch kenne, werde ich ihn künftig erfüllen,« erwiederte Adelaide sanft; »heute hatte ich keinen andern Leitfaden als mein Bestreben, Dir alle mögliche Aufmerksamkeit zu bezeigen.«

»Sehr gütig; aber Du thätest jetzt wohl, Dich nieder zu legen; ich will Norah rufen.« Mit diesen Worten sprang er, ohne einen Blick um sich zu werfen, auf und rannte gegen eine große Blumenvase.

»Man kann doch keinen Schritt in dieser Hundehütte thun, ohne Gefahr, sich den Kopf einzurennen,« rief er verdrießlich.

Adelaidens Wangen überzog ein hohes Roth; Thränen drangen in ihre Augen, aber sie drängte sie zurück.

»Mstrß. Obearn!« rief Bouverie bei ihrem Eintritt. »Ich begreife nicht, wie Sie Mstrß. Bouveries kindischem Wunsch, auf mich zu warten, nachgeben konnten, da Sie doch wissen, wie zart ihre Gesundheit ist.«

» Mstrß. Bouverie blieb gegen meinen Wunsch so lange auf,« entgegnete Norah, »da ich am Besten weiß, wie zart sie ist, und daß sie vieler Sorgfalt bedarf, wenn ich nicht befürchten soll, die Frucht meiner siebenzehnjährigen Arbeit zu verlieren.« –

Ein Thränenstrom brach bei diesen Worten aus ihren Augen; und Adelaide, besorgt, ihren Gatten durch den vorwurfsvollen Ton der Wärterin beleidigt zu sehen, sprach ihr freundlich zu und eilte mit ihr hinaus.

Norahs ausgesprochene Besorgniß erfüllte Montagus Herz mit Angst. Sollte ihre Gesundheit wirklich bedroht sein, und er sie so lange der Einsamkeit überlassen haben? – Nun aber, da sie gekommen, hatte er sie unfreundlich empfangen? hatte kalt die Liebe dieser zartesten Blume der Unschuld und Schönheit erwiedert, während sein Herz mit Entzücken an den Blicken, an den Tönen der angebeteten Marian gehangen?

Von Unruhe und Reue ergriffen, durchschritt Montagu das kleine Gemach, ohne etwas anderes zu bemerken, als das unberührte Abendessen. Es war nur zu gewiß, ihr Appetit hatte sie verlassen, die Kräfte mußten abnehmen. Das Herz wollte ihm brechen, und selbst das Zauberbild der verwittweten Lady Marian, das sich ihm jetzt oft darstellte, erlosch vor dem hellen Glanz der Tugenden seines Weibes.

Er ergriff ein Licht, eilte in sein Ankleidezimmer, und ließ sich schweigend von Lee entkleiden; nur als dieser sich entfernen wollte, rief er ihm nach: »Wecke mich eine Stunde später wie gewöhnlich, damit meine arme Adelaide nicht so früh gestört wird, nachdem sie meinetwegen so lange aufgeblieben ist. Aber, was sehe ich? Dieß ist nicht mein Zimmer? Wer hat diese schwarze Höhle verwandelt und Geschmack, Reinlichkeit und Bequemlichkeit darin vereinigt?«

»Es ist allerdings dasselbe Zimmer, Sir,« sagte Lee, »was meine Gebieterin mit ihren eigenen Händen so umgestaltet hat.«

 


Vierzehntes Capitel.

Ehe Montagu am folgenden Morgen beim Frühstück erschien, sandte er eine Entschuldigung an den General Harley, nicht bei seinem Dejeuné und der Parade zu erscheinen. Letztere zu versäumen ward ihm nicht schwer; aber er fühlte sich selbst stark genug, seine angebetete Marian warten zu lassen, um einige Stunden mit der sanften, interessanten Adelaide zuzubringen, obgleich er heute wußte, sie ohnehin nicht vor der Mittagsstunde sehen zu können, da sie mit einigen Fremden beschäftigt war.

Adelaide war unten, ehe ihr Gatte erschien, seiner mit einem Frühstück harrend, welches an Eleganz und Vortrefflichkeit das des Generals weit übertraf.

»Ich fühle mich sehr geschmeichelt,« sagte sie, »daß Du gestern Abend die Veränderungen gebilligt, die ich in zwei Zimmern vorgenommen; doch diesen Morgen scheinst Du die größte im dritten ganz zu übersehen.«

»Adelaide,« rief er, sich umblickend, voller Erstaunen, »Du mußt mir dieß alles erklären. Welchen Zauber hast Du angewendet, aus einer elenden Hütte einen Pallast zu machen?«

»Der feste Wille, Uebel aus dem Wege zu räumen; hat mich zur Zauberin umgeschaffen,« entgegnete Adelaide lächelnd; und nun erzählte sie ihm, wie sie mit Hülfe der Familie Harper das Wunder bewirkt.

Ein bittres Gefühl der Reue, Lady Marians eifersüchtiger Liebe gestattet zu haben, solch eine Wohnung für seine Frau zu erwählen, die ihm nothwendig mißfallen und von ihr entfernen mußte, erfaßte sein Herz; und dieser vernachlässigten und gekränkten Frau große Vorzüge, ihre weiblichen und häuslichen Vollkommenheiten gestalteten nun zu ihrem Ruhm, was zu ihrer Kränkung hatte ausfallen sollen.

Nach beendigtem Frühstück führte Adelaide den erstaunten Gatten durch die ganze Reihe ihrer Wunderwerke, die sich sämmtlich seines höchsten Beifalls erfreuten, vor allem aber der ländliche Bogengang, in welchem sich ihr Geschmack und ihre Erfindungsgabe am Deutlichsten aussprachen. Jetzt ward der Currikle gemeldet, und Bouverie sagte:

»Sieh nicht so trübe aus, meine Adelaide! ich gehe nicht von Dir, sondern will nur meiner zarten Pflanze eine heilsame Bewegung verschaffen.«

Während dieser schönen Spazierfahrt in der romantischen Gegend würde sich Adelaide ganz glücklich gefühlt haben, wenn nicht der Gedanke, daß Montagus Freundlichkeit und zarte Sorge nur Folge des Mitleids wegen ihrer bedrohten Gesundheit wäre, dieses Glück getrübt hätte; auch gab sie sich keiner schmeichelnden Hoffnung hin, als er endlich widerstrebend Abschied von ihr nahm, und sobald als möglich zurückzukehren versprach. Lady Marian aber, in Adelaiden eine furchtbare Rivalin erkennend, sorgte dafür, daß dieses Versprechen unerfüllt blieb; denn erst gegen vier Uhr des Morgens betrat er sein Haus wieder. Doch eben so wenig hielt er der Sirene Marian das gegebene Versprechen, mit ihr zu frühstücken, und nahm sich vor, ihr begreiflich zu machen, daß Rücksichten für Lord De Moreland ihn nöthigten, seiner Frau dann und wann einen Morgen oder ganzen Tag zu widmen.

Adelaide legte ihm ein Paket Visitenkarten vor, die während ihrer gestrigen Spazierfahrt abgegeben worden, und woraus sich ergab, daß der General nebst seinem Stab und allen Officieren von Bouveries eigenem Regiment seiner Frau ihre Aufwartung hatten machen wollen.

»Diese Besuche habe ich nach meiner Zurückkunft erhalten,« sagte Adelaide, ihm die Karten von Lady Marian Harley, Mstrß. Gayville und Mstrß. Warren vorlegend.

»Sie erzählten mir,« entgegnete er, sein erhöhtes Colorit verlegen mit der Hand bedeckend, »daß sie kommen würden; aber warum hast Du sie nicht angenommen, da Du zu Hause warst? obgleich es mir gewissermaßen lieb ist, daß sie unsre Wohnung nicht eher sehen, bis Du mit allen Veränderungen zu Stande bist, um ihnen zu zeigen, daß Du die Mittel besitzest, ein Paradies aus einer Hütte zu machen.«

»Lady Marian ersparte mir die Mühe, sie nebst ihren schönen Freundinnen anzunehmen, da sie mich nicht in Person mit ihrem Besuch beehrten, sondern nur durch diese Karten.«

»Unmöglich!« rief Bouverie vor Zorn erglühend. »Wer nahm die Karten an?«

»Dennis; und er war sehr glücklich, in dem Ueberbringer derselben einen Landsmann zu finden, der ihm unter andern erzählte, daß Lady Marian mit mit einigen Freunden nach Hastings gefahren sei, und ihm die Ehre überlassen habe, mir einen Besuch zu machen.«

Bouverie war augenscheinlich erzürnt über diesen seiner Frau bewiesenen Mangel an Achtung, den ihm Lady Marian verheimlicht. Nach einer Pause sagte er mit Nachdruck:

»Meine liebe Adelaide, ich will heute Morgen diese kalten Ceremonievisiten mit Dir erwiedern.«

»Nein, Montagu, jetzt noch nicht,« sagte sie. »Bedenke, daß sie immer noch in Sorge wegen der Ansteckung sind.«

»Nicht in Person, meine kleine, süße Frau,« erwiederte er, ihr mit allen Zeichen der Bewunderung in das liebliche Angesicht schauend, »nur wie sie es gethan. Jetzt erzeige mir den Gefallen, Toilette zu machen, auf Effekt berechnet. Schön bist Du immer, aber heute wünschte ich Dich vorzüglich so zu sehen.«

Adelaidens Wangen glühten, und Thränen unerwarteter Freude drangen in ihre Augen. Sie that, wie ihr Gatte geboten und überraschte ihn durch ihren zwar einfachen, aber höchst geschmackvollen und eleganten Anzug.

Bouverie fuhr sie nach Marino, wo ein Bedienter ihm ungefragt berichtete, »daß Lady Marian zu Hause sei.« Er gab seine und Adelaidens Karten ab, wandte sich hierauf gleich mit einem beredten Lächeln zu seiner Frau und jagte, ohne einen Blick nach Lady Marian hinauf zu senden, welche in einer Fenstervertiefung lauschend stand, weiter. Auf dem Rückweg begegnete ihnen der General mit seinem Brigademajor, dem Adjudanten und einem Oberst Lonsdale zu Pferde, und Bouverie sah sich genöthigt, die erröthende Adelaide den Herren vorzustellen.

»Ich hoffe Lady Marian war zu Hause,« sagte der General, in welchem Adelaide zu ihrem Erstaunen einen hübschen, martialisch aussehenden Mann von sieben und dreißig Jahren fand.

»Darauf kam es uns nicht an,« entgegnete Bouverie mit Stolz, »indem wir nur Karten zurücklassen wollten.«

»Wozu solche unnütze Ceremonien?« fragte der General erstaunt.

»Wir folgten dem Beispiel, das uns die Damen von Marino gestern gegeben,« erwiederte Montagu mit einem sarkastischen Lächeln.

»Beim Teufel!« rief der General. »Kommen Sie mit uns; wir wollen den Tag wie Freunde mit einander zubringen, und keine Zeit mit solchen elenden, überflüssigen Förmlichkeiten verlieren.«

Ich bedaure, ihre gütige Einladung nicht annehmen zu können, Herr General,« sagte Adelaide im sanftesten Ton; »aber Sie scheinen nicht zu wissen, daß Lady Marians und Mstrß. Gayvilles Besorgnis, ihre Kinder durch mich angesteckt zu sehen, mir fürs Erste noch Ihr Haus verschließt.«

»Meine Empfehlung an die Damen, und ich ließe ihnen sagen, daß des Kaisers von China Schooßhund im Jahr 1666 den Keichhusten gehabt, weshalb sie sich mit dem Thee in Acht nehmen sollten,« rief der General.

»Sie müssen der mütterlichen Sorge diese Furcht verzeihen,« sagte Major Gayville, ein anerkannter Anhänger der Parthei der Damen. »Durch ein Mißverständniß ist Lady Marian in dem Wahn, als ob Mstrß. Bouverie von ihrer so schrecklichen Krankheit noch nicht vollkommen hergestellt sei.«

»Und ich werde diesen natürlichen und liebenswürdigen mütterlichen Gefühlen keinen Zwang anthun,« sagte Adelaide, ihre Schüchternheit überwindend, »und mich fürs Erste der Besuche in Marino enthalten.« Mit diesen Worten gab sie Montagu ein Zeichen zum Aufbruch, und als dieser eben im Begriff war, fortzufahren, rief ihm der General zu:

»Aber, Bouverie, Sie essen doch diesen Mittag bei uns?«

»Heute nicht, Herr General! Man kann seine Frau nicht immer allein lassen.«

»Sie vergessen, junger Freund, daß der Inspektor der Hospitäler heute aus Silver-Hill kömmt, Abrede mit Ihnen wegen der Verbesserungen in Bexhill zu nehmen.«

»Wie fatal,« murmelte Bouverie.

»O, Montagu,« sagte Adelaide, »Du darfst diesem Ruf der Pflicht nicht widerstehen.«

Er versprach zu kommen, und freute sich so sehr über das freimüthige Benehmen seiner Frau während dieses Auftritts, daß er sie, sobald er sich von den weiter reitenden Herren unbemerkt glaubte, entzückt in seine Arme schloß und ausrief:

»Aber ich will auch keinen Augenblick vor der Mittagsstunde nach Marino fahren.«

Sie fuhren nun nach Hastings, wo Bouverie seinen und Adelaidens Namen überall eintragen ließ, und dann kehrten sie in ihre Hütte zurück, wo Montagu sich neben Adelaiden zu Tisch setzte, sie zum essen aufzumuntern.

»Ich war heute so glücklich,« sagte sie, »daß ich bis jetzt vergaß, einige wichtige Finanzgeschäfte mit Dir abzumachen.«

»Du brauchst Geld – ich will Dir eine Anweisung geben – morgen;« erwiederte Bouverie verlegen.

»Nein, ich brauche keins; aber ich wünschte mit Dir über die Vergütung zu sprechen, die wir unsern Wirthen für die Umwandlung der Wohnung schuldig sind; auch über künftige Einrichtungen. In Twickenham lebten wir nicht auf eigene Kosten, hier aber; und ich bin noch zu sehr Neuling in der Kunst zu wirthschaften, um ohne Deinen Beistand bestehen zu können. Ich wünschte nicht unser ganzes Einkommen zu verbrauchen. – Du mußt immer einige hundert Pfund zu Deiner Disposition haben, Dir ein neues Pferd oder mir einen Hut zu kaufen – oder noch besser, einem bedürftigen Freund aus der Noth zu helfen.«

Bouverie fuhr mit der Hand über das Gesicht, sprang vom Stuhl auf, und rannte ans Fenster.

»Gewiß, liebe Adelaide – Du hast immer Recht.«

»Ich wünschte Deinen Beifall zu verdienen,« sagte Adelaide, erstaunt über sein Benehmen, da sie seine Umstände nicht derangirt glauben konnte.

»Kannst Du Dich erinnern,« begann er nach einer Pause zögernd, »wie viele hundert Pfund Du gehoben, während Du in Twickenham warst?«

»Auch nicht einen Schilling.«

»Du hinterließest also Schulden?«

»Keineswegs; ich bezahlte sie alle, so wie Herrn Dee und Jedermann; ergänzte meine Garderobe, bestritt die Reise hierher und behielt immer noch genug von dem großen Geschenk meines Onkels, um Dich fürs Erste nicht um Geld anzusprechen.«

Bouverie wollte nicht zugeben, daß Adelaide ihres Onkels Hochzeitsgeschenk zu solchem allgemeinen Zweck verwenden sollte. Sie versicherte aber, keine besondere Casse haben zu wollen, und so ließ er sich ihre Großmuth für den Augenblick gern gefallen, da sie ihn aus einer großen Verlegenheit rettete.

In Malta hatte Montagu nie gewagt, Lady Marian das geringste Geschenk anzubieten; seit er aber in Sussex den platonischen Traum erneuert, nahm sie nicht allein die kostbarsten Gaben, sondern ließ sich auch herab, anscheinend mit widerstrebendem Gefühl, mehrere Summen Geldes von ihm zu borgen, bis er den letzten Schilling seiner Besoldung gezogen. Lady Marians Vorwand war ein unglücklicher Bruder, der sich durch eine unvernünftige Heirath den Zorn der Eltern zugezogen, nun im Elend lebte und von ihr gerettet werden mußte. An den General durfte sie sich nicht wenden, weil er in Malta etwas zu verschwenderisch gelebt hatte; doch hoffte sie durch strenge Sparsamkeit in Sussex bald alles zu ersetzen.

›Aber diese Summen,‹ so erzählte sie dem verblendeten Bouverie mit Thränen und Klagen, ›reichten nicht hin, ihn aus der Verlegenheit zu reißen, indem sich seine Schulden auf 970 Pfund beliefen, und sie schauderte bei dem Gedanken, ihren geliebten Carl mit seinen sieben Kindern im Gefängniß enden zu sehen.‹

Montagu gerieth durch diese Mittheilung in die größte Bestürzung; seine ganze jährliche Revenue belief sich nur auf 1600 Pfund; Adelaidens Interessen waren ihm heilig; er kannte keine andern Mittel und Wege, und ohne Adelaidens Großmuth und weise Sparsamkeit hätte er in seinem Verhältniß, als verheiratheter Mann, nicht helfen können. Nun er aber erfuhr, daß sie gegen alle Erwartung kein Geld von ihrem Banquier gezogen, war er im Stande, der angebeteten Marian die ganze Summe zu Füßen zu legen.

Mit der Anweisung hierzu in der Tasche flog er nach Marino, wo schon die ganze Tischgesellschaft versammelt war. Lady Marian mit aller Kunst raffinirter Coquetterie gekleidet, saß mit ihrem jüngsten Kinde auf dem Schooß, blaß und nieder geschlagen auf dem Sopha.

Sie konnte blaß und blühend aussehen, je nachdem es die Umstände erforderten. Dieses Mal aber war ihre Unruhe natürlich; denn sie fürchtete, den Geliebten durch die Vernachlässigung seiner Frau beleidigt zu haben, und hatte von allen Seiten die Schönheit und Anmuth dieser gefährlichen Nebenbuhlerin preisen hören; auch war ihr der zärtliche Blick nicht entgangen, den Bouverie Adelaiden beim Abgeben der Karten zugeworfen – und ihre sträfliche Neigung für ihn war eine wirkliche.

Lady Marian, die jüngste und schönste Tochter des Grafen von Ixworth, war auf dem festen Lande erzogen worden, ihre mannigfaltigen Talente auszubilden, und kehrte im sechszehnten Jahre, vollendet in allen äußern Vollkommenheiten, nach England zurück – aber auch als vollendete Coquette, mit unersättlicher Eitelkeit und einer fast magischen Anziehungskraft, wodurch sie Alt und Jung, Hohe und Niedere, Reiche und Arme in ihre Netze zog. Anfänglich hatte sie eine gewisse Vorsicht bei ihren Liebesabentheuern beobachtet; endlich aber sorgloser geworden, ward ihr Verhältniß mit einem herumstreifenden Schauspieler ruchbar, und ihr entrüsteter Vater sandte sie ins Exil nach Wales zu ihrer Großmutter, welcher sie jedoch nach wenigen Wochen mit dem Capitain Harley entlief. Dieser Officier, der mehr Ehrgefühl als Klugheit besaß, ging mit ihr nach Schottland und heirathete sie. Anstatt aber nun ihrem frühern Streben Einhalt zu thun, setzte sie es jetzt nur mit noch mehr Betrug und Verstellung fort, und wußte ihren Mann so zu bethören, daß er von ihrer zärtlichen Liebe und Vortrefflichkeit überzeugt war, auch ihre italienische Sitte, stets einen Cicisbeo um sich zu haben, für einen unschuldigen Gebrauch erklärte.

Bouverie rührte ihr Herz beim ersten Anblick, und mit großem Jammer gewahrte sie, daß das seinige wenigstens halb der kleinen Adelaide zugewandt war, von der er immer sprach, und daß sein Ehrgefühl sich gegen die Verehrung einer verheiratheten Frau sträubte. Solche Hindernisse feuerten sie jedoch nur stärker an, ihren Sieg zu verfolgen; wie sehr es ihr gelungen, den bethörten Bouverie in ihren Netzen zu verstricken, ist dem Leser bekannt. Als sie aber ihre Beute späterhin in Malta verlockte, ihre Reinheit zu vergessen und sie mit irdischen Augen zu betrachten, nahm sie die Rolle der Lukretia an; doch keineswegs, um sie zu behaupten, denn groß war ihr Verdruß, als er ihrem strengen Verbot, sie zu meiden, Folge leistete. Im ersten Zorn über solche Einfalt, verschloß sie dem Mitleid ihr Herz, als Montagu erkrankte und faßte den Entschluß, ihn durch einen anscheinenden Nebenbuhler für sein Vergehen zu bestrafen.

Dieser Nebenbuhler war Lord Rochdale, der es keineswegs verschmähte, Ihrer Herrlichkeit Cicisbeo zu werden; doch nicht so uninteressirt wie Bouverie, verlangte er mehr, und wußte sie mit ihren eigenen Waffen so in die Enge zu treiben, daß sie, als Montagu ihr schriftlich seinen Vorsatz mittheilte, ihrem Befehl zu folgen und nach England zurückzukehren, falls sie ihr hartes Gebot nicht zurücknähme, froh war, ihn zu entfernen, um ihn in seiner hohen Meinung von ihrer sublimen Reinheit zu erhalten. Durch diese hoffte sie im Besitz seiner Liebe zu bleiben, und so war sie entschlossen, die erste passende Gelegenheit, ihm nach England zu folgen, zu benutzen, und sich dort für immer mit ihm zu verbinden. Der Zufall begünstigte diesen Vorsatz. General Harley kehrte betrunken von einem großen Mittagsessen zurück, und fiel beim Eintritt in sein Zimmer so gewaltsam zu Boden, daß er einige Augenblicke der Besinnung beraubt war, welche Bewußtlosigkeit Lady Marian einen Schlaganfall zu nennen beliebte.

Der General war nun leicht zu bereden, seinen vortheilhaften Posten in Indien aufzugeben; und so groß war Lady Marians Macht und Einfluß in der politischen Welt, daß sie nur ihre Wünsche auszusprechen brauchte, um sie erfüllt zu sehen. Montagus Standeserhebung und daraus gefolgerte Erbschaft waren mächtige Magnete, sie nach England zu locken, wo sie bedeutende Schulden hinterlassen, von denen ihr Mann nichts wußte, indem sie seine Wechsel, anstatt die Familienausgaben damit zu decken, wie sie gesagt, angewendet hatte, ihre Vertrauten zu bestechen, und geheime Agenten zu besolden.

Aber kaum in Plymouth gelandet, erfuhr sie aus den Zeitungen die Verheirathung des Majors Bouverie mit derselben verhaßten Adelaide, die ihrem Einfluß schon früher entgegen gewirkt. Im ersten Augenblick waren Wuth und Zorn die vorherrschenden Leidenschaften; bald aber besänftigte der Durst nach Rache den wilden Sturm in ihrem Innern, und sie beschloß, der verhaßten Nebenbuhlerin den geliebten Mann zu entreißen, sollte sie darüber auch ihren Platz in der Gesellschaft einbüßen.

Mit diesem Vorsatz flog sie nach London, wo ihrer das zurückgeschickte Bildniß und Montagus Abschiedsworte harrten. Doch nicht abgeschreckt hierdurch, suchte sie seinen Aufenthaltsort zu erforschen, und verfolgte ihn unter dem Vorwand, eine todtkranke Freundin zu besuchen, nach Richmond, wo es ihr gelang, zuerst wieder Eindruck durch den Zauber ihrer Stimme auf sein rebellisches Herz zu machen.

Sobald sie ihn in Bexhill angekommen wußte, erschien sie auch, und gewann bald wieder den ehemaligen Einfluß; doch nicht ohne manche bittre Erinnerung an die Reize und Tugenden seiner lieblichen Frau, überließ sich Bouverie dem Zauber der Gegenwart, und Ihre Herrlichkeit sah sich genöthigt, den Blick nach Hülfstruppen umher zu werfen. Der Herzog von St. Kilda, von dessen unglücklicher Leidenschaft für Mstrß. Bouverie sie gehört, erschien ihr als das passendste Werkzeug, sich des Herzens ihres Geliebten ganz zu versichern; und so beschloß sie die Rolle der platonischen Liebe noch so lange beizubehalten, bis Adelaide, an deren Erhörung des Herzogs sie gar nicht zweifelte, indem ihr als vernachlässigter Frau nichts anderes übrig bliebe, ihr selbst den Weg zu Montagus Besitz gebahnt.

 


Funfzehntes Capitel.

Als Bouverie das Gesellschaftszimmer in Marino betrat, und Lady Marian in ihrer schmachtenden Stellung erblickte, flog er an ihre Seite und flüsterte: »Abgott meiner Seele! was ist Ihnen widerfahren?«

Sie erhob den schwermüthigen Blick und erwiederte im schmelzendsten Ton: »Ich habe Sie beleidigt durch Ihre abgöttisch geliebte Gattin; möge dieß Kind für mich bitten – ich konnte den Gedanken, es zu verlieren, nicht ertragen.«

In diesem Augenblick meldete ein Diener, daß das Mittagsessen aufgetragen sei. Lady Marian war abgespannt, niedergeschlagen, unaufmerksam gegen ihre Gäste und genoß nichts. Der General und sein Gefolge erschöpften sich in Lobeserhebungen über Mstrß. Bouveries Schönheit, und wünschten dem jungen Ehemann Glück zu dieser Perle.

Jetzt überließ Lady Marian den Männern das alleinige Reich bei den Weinflaschen, und zog sich mit ihren Anhängerinnen zurück. Vergebens bemühte sich Montagu ihr zu folgen; nicht eher bis er den kleinsten Umstand zum Plan für die Verbesserung des Hospitals vernommen, ließ ihn der Inspektor los. Endlich durfte er zu ihr eilen und hörte nun, daß sie seine Adelaide nur aus Uebermaaß mütterlicher Zärtlichkeit beleidigt; daß sie heute beim Anblick seiner Verehrung für das Weib seines Herzens den Entschluß gefaßt, ihn dieser neuen Leidenschaft zu überlassen, wozu ihr aber die Kraft gefehlt, weshalb sie ihn jetzt anflehte, ihr, so lange das gebrochene Herz dieses elende Dasein noch ertrüge, die zunehmende Neigung für ihre allzuglückliche Nebenbuhlerin zu verbergen.

Erst gegen drei Uhr des Morgens fand er so viel Kraft, sich ihrem Zauber zu entreißen, und in seine Wohnung zurückzukehren; doch nicht ohne vorher das Versprechen gegeben zu haben, sie nach einigen Stunden nebst einer fröhlichen Gesellschaft zu einer, Parthie nach dem blutenden Felsen zu begleiten.

Adelaide schien zu schlafen, als ihr Gatte sich leise in das Schlafzimmer schlich und schlief wirklich, als er dasselbe am Morgen verließ. Anstatt seiner wartete ihrer beim Frühstück eine schriftliche Entschuldigung, sie nicht begrüßen zu können, indem er sich schon vor ihrer Ankunft, verbindlich gemacht, die Gesellschaft auf einer Excursion zu begleiten.

Der Grund war glaubwürdig, und Adelaide suchte sich damit zu beruhigen; aber so jung, mit allen Ansprüchen an die Freuden des geselligen Lebens auf die alleinige Gesellschaft ihrer Wärterin reducirt zu sein, war hart; und doch würde sie in ihrem Innern reichen Stoff zur Unterhaltung gefunden haben, wäre ihr Herz glücklich gewesen; doch jetzt führte die Einsamkeit sie immer wieder zu der schrecklichen Frage zurück: »Wie wird dieß alles enden?«

Montagu den Fesseln Lady Marians zu entreißen, fühlte sie sich nicht stark genug – über diesen Gegenstand mit ihm zu sprechen, erschien ihr eben so unmöglich als unklug – ihre Freunde in die Sache zu verflechten, und durch deren Einfluß auf ihn zu wirken, war ihr ein schrecklicher Gedanke. Auch wollte und konnte sie ihn nicht anklagen, und so zitterte sie vor der Möglichkeit, frühere Freunde, vor allen ihren Vormund wieder zu sehen, dessen scharfer Blick ihr Unglück sogleich durchschauen würde.

In der Hoffnung, sich durch die frische Seeluft zu stärken, fuhr Adelaide mit Norah und dem kleinen Hall, von Dennis begleitet, an den Strand, und da das Wasser niedrig war, stieg sie aus, einen Spaziergang zu machen.

Kaum mochte eine Viertelstunde verstrichen sein, als der Herzog von St. Kilda, welcher in Gedanken verloren einsam am Gestade geritten war, sie bemerkte, rasch vom Pferde stieg, Dennis den Zügel gab und Adelaiden mit ausgestreckter Hand entgegentrat. »Mstrß. Bouverie,« sagte er zitternd, »Sie sind die letzte Person, die ich hier zu finden erwartete. Ich glaubte Sie mit einer fröhlichen, glücklichen Gesellschaft am blutenden Felsen, während ich hier einsam umherirrte und in jedem Fels einen blutenden erblickte. – Seit wir uns zuletzt gesehen, haben sich zwei Ereignisse zugetragen, die meine Glückwünsche heischen. Ueber das eine ersparen Sie mir die Gratulation – ich bin nicht Heuchler genug, Sie Ihnen darzubringen; über das andre, Ihre Genesung von einer schrecklichen, gefährlichen Krankheit, bringe ich Ihnen hiermit meinen herzlichsten Glückwunsch.«

Adelaide dankte ihm mit einem Ton, der ihre Verlegenheit verrieth.

»Weshalb sind Sie nicht von der Parthie?« fragte der Herzog.

»Lady Marian und Mstrß. Gayville fürchten immer noch Ansteckung für ihre Kinder,« entgegnete sie; und fragte dann, dem Gespräch eine andre Wendung zu geben: ›Wann Lady Longuiville hierher zurückkehren würde?‹

»Diesen Monat noch nicht.«

»Ach!« seufzte Adelaide. »Doch ich konnte sie nicht früher erwarten. Sobald sie hier ist, werde ich nicht mehr aus Mangel an weiblicher Gesellschaft auf mich beschränkt sein; und dann hoffen Oberst Bouverie und ich auch so glücklich zu sein, den Herzog von St. Kilda, nebst unsern andern verehrten Freunden, als Gäste in unsrer kleinen Hütte empfangen zu können.«

Der Herzog unterdrückte einen aufsteigenden Seufzer, und folgte ihr schweigend an den Wagen. Dann fragte er nach Falkland.

»Ich habe nichts wieder von ihm gehört, seit Sie uns die letzten Nachrichten mitgetheilt; doch glaube ich, daß wir ihn bald zurückerwarten können. Mstrß. Falkland ist immer noch in Schottland.«

»Nennen Sie sie nicht!« sagte der Herzog heftig, »es ist mir einerlei, wo sie sich aufhält. Mein Herz kann sich des Hasses gegen sie nicht erwehren, da ich sie für die Zerstörerin meines Glücks halten muß. Ohne ihren Rath würde ich andre Maaßregeln ergriffen haben.«

Adelaidens Herz blutete bei dieser Anspielung; doch nicht geneigt, einen so delikaten Gegenstand weiter zu verfolgen, erwiederte sie sanft:

»Wenn Lady Longuiville ankömmt, werde ich ihr den Auftrag geben, Mstrß. Falkland in Ew. Gnaden Gunst wieder einzusetzen.«

»O, Adelaide! – denn Sie sind ja immer noch Adelaide Bouverie, und ich kann mich durch diesen Namen selbst täuschen – Sie meinen also, daß Mstrß. Falkland nicht an meinem Unglück Schuld ist, und daß Sie mich auch nicht erhört hätten, wenn ich früher als Ihr Bewerber aufgetreten wäre? O, sagen Sie mir die Wahrheit!«

»Wozu mich zu solch einem für Sie schmerzlichen Bekenntniß zwingen, Herzog?« rief Adelaide in tiefer Bewegung, »aber Sie wollen die Wahrheit wissen; so hören Sie denn, daß mein Herz im täuschenden Gewand schwesterlicher Liebe von frühester Jugend eine zärtliche Neigung für Montagu Bouverie empfunden, die nur mit dem Leben enden wird. – Nach diesem Geständniß werden Sie begreifen, daß ich Sie nur bedauern, aber keine Unterhaltung dieser Art mehr anhören kann.«

Sie hatte jetzt den Wagen erreicht. Der Herzog ergriff ihre Hand:

»Vergeben Sie diesen feurigen Druck, Adelaide,« flüsterte er, »es soll mein letztes Vergehen sein. – Ich will Ihre erhabene Tugend ehren; aber verachten Sie mein Beharren im Unglück nicht.«

Adelaide stieg in den Wagen, das Herz voll Mitleid, doch fest entschlossen, eine Wiederholung solcher Scene zu vermeiden.

Bouverie kehrte erst um zwei Uhr von Marino zurück, und am folgenden Morgen erwartete Adelaiden, statt ihres Gatten, abermals eine schriftliche Entschuldigung, indem eine Reihe von Excursionen begonnen wären, zu deren Theilnahme er sich schon vor längerer Zeit anheischig gemacht. Schließlich bemerkte er, daß der heutige Tag ihn zu den Fischteichen des Herrn M. in Hastings führen würde.

Wer die Umgebungen von Hastings kennt, weiß, daß der blutende Fels, die Fischteiche und des Geliebten Sitz Es geht hier nicht um einen »Sitz des Geliebten«, wenn auch im englischen Original das Apostroph an der falschen Stelle steht (» Lover's« statt » Lovers'«), sondern um » Lovers' Seat«, ein Naturmonument in der Umgebung von Hastings. Fairlight Glen gilt dort als der schönste Ort. Vom nahegelegenen Dripping Well aus gesehen, befindet sich der »Sitz der Liebenden« auf einem Felsvorsprung knapp unterhalb des Klippenrandes, gut 100 Meter über dem Meer. Der » Lovers' Seat« verdankt seinen Namen dem Liebesverhältnis eines Leutnant Lamb und einer Miss Boys, die sich hier 1786 trotz der Einwände der Eltern der jungen Dame trafen. Die Liebenden heirateten jedoch schließlich, und die Eltern der Dame versöhnten sich mit ihnen. so nahe an einander liegen, daß eine Excursion hinreichend sein würde, sie alle zu besuchen. Aber Lady Marian wünschte den verblendeten Bouverie länger ausschließend an sich zu ketten; daher wurden die ländlich-militairischen Feste, durch eine große Anzahl lustiger Leute vermehrt, so weit wie möglich ausgedehnt.

Die arme verlassene Adelaide würde ein Raub der Verzweiflung gewesen sein, wenn ihr frommer, religiöser Sinn sie nicht aufrecht erhalten hatte; sie litt unaussprechlich, aber erlag dem Leiden nicht, still hoffend, des Gatten Herz einst zur bessern Erkenntniß zurückgebracht zu sehen.

Aus Furcht, dem Herzog zu begegnen, vermied sie die nächsten Spaziergänge um ihre Wohnung und beschloß, eine weitere Fahrt in entgegengesetzter Richtung der Fischteiche zu machen. Drei Meilen war sie auf angenehmen Feldwegen, nach der vom Pachter Harper gegebenen Anweisung gefahren, als der Kutscher bemerkte, den rechten Weg verloren zu haben, und sich auf unsicherm, gefährlichem Grund zu befinden. Ungewiß, ob er weiter fahren oder umkehren sollte, rief er einem Officier von seines Herrn Regiment, den er in der Ferne gewahrte, zu und forschte, ob er sich vorwärts wagen könne?

Der Officier winkte ihm zu halten und gab seinem Pferde die Sporen, um heran zu reiten; der Boden war jedoch so schlüpfrich, daß er sich nur langsam nähern konnte, daher rief er ihm zu, um Gotteswillen zu halten. Adelaide erkannte mit Entsetzen des Herzogs Stimme. Jetzt war er herangekommen und fragte besorgt: »Ob die Pferde wohl so lange ständen, bis Mstrß. Bouverie ausgestiegen?« Doch sogleich selbst die Unmöglichkeit erkennend, stellte er sich vor die schwankenden Thiere, während Dennis Adelaiden, nebst ihrer Wärterin und dem kleinen Hall heraushob. Hierauf befahl er dem Kutscher, ein Pferd auszuspannen und darauf zum nächsten Ort zu reiten, Beistand zu holen, um den Wagen mit Stricken herauszuziehen. Unterdessen war der Reitknecht des Herzogs herangekommen, dem er sein Pferd übergab, und sich nun Adelaiden näherte. In demselben Augenblick kam der Besitzer des Feldes athemlos von einer Anhöhe herab, von wo er die Gefahr erblickt hatte; auch er versicherte, daß wenn der Wagen noch sechs Schritt vorwärts gezogen, er unbezweifelt umgestürzt und in den steilen Abgrund gefallen wäre.

Der Herzog schauderte bei dem Gedanken dieser Gefahr, während in Adelaidens Herzen die Furcht, Lady Marian Stoff zu falschen Berichten zu geben, im ersten Augenblick das Dankbarkeitsgefühl überwog.

Da der Wagen nicht ohne große Vorkehrungen umzuwenden war, mußte sie sich entschließen, einen Fußweg einzuschlagen, der nur zwei Meilen von ihrer Wohnung entfernt war; doch stand sie an, des Herzogs Begleitung anzunehmen.

»Wenn Sie mein feierliches Versprechen vergessen, Mstrß. Bouverie,« sagte er ernst, »so thue ich es nicht; und ich bin überzeugt, Oberst Bouverie würde mich streng tadeln, falls ich Sie jetzt unbeschützt nach Hause gehen ließe.«

Adelaide gab Dennis Geld, sich Beistand zu verschaffen, und der Herzog beorderte seinen Reitknecht, ihm sogleich den Wagen nach Mstrß. Bouveries Wohnung zu schicken. Nun traten sie ihren Fußweg zusammen an. So langsam Adelaide aber auch gegangen war, der unangenehmen Nothwendigkeit zu entgehen, den Herzog zu sich einladen zu müssen, im Fall sein Wagen nicht vor ihm ankäme, sah sie sich doch dazu genöthigt.

Er war erstaunt über die Schönheit der Hütte, die ihm als ein elender Aufenthalt geschildert worden, den für seine junge reizende Frau, welche ihm ein so großes Vermögen zugebracht, auf Lady Marians Vorschlag gewählt zu haben, Montagu vielfach getadelt worden war.

Adelaide erklärte dem Herzog mit wenigen Worten das Räthsel der Umwandlung und dieser dachte: O, wie wird dieser Inbegriff aller Vollkommenheit geopfert! Wie würde ich ihn im Schloß St. Kilda verehren!

Im Lauf des Gesprächs berichtete der Herzog, daß Lady Marian die nächsten Tage zu einer Reihefolge von Landparthien bestimmt, die sie mit einer Seefahrt nach Schloß Pevensey zu beschließen gedachte.

»Nur morgen nicht!« rief Adelaide bestürzt; »morgen ist Sonntag!« Bei diesen Worten seufzte sie tief und Thränen glänzten in ihren Augen. Seit sie mit Bouverie verheirathet, waren sie durch mancherlei Umstände verhindert worden, die Kirche zusammen zu besuchen, und so hatte sie jetzt gehofft, daß selbst Lady Marians Einfluß ihn nicht von diesem heiligen Geschäft abhalten würde.

Den Anblick der weinenden Adelaide vermochte der Herzog nicht zu ertragen; er stürzte hinaus, die nöthige Kraft zu erringen und kehrte dann zurück, ihr mit zitternder Stimme Lebewohl zu sagen. Jetzt ward sein Wagen gemeldet. Wie glücklich würde er sich gefühlt haben, hätte er ahnen können, daß auch ihm Thränen nachgeweint würden, wenn auch andrer, minder bittrer Art. –

Da Adelaide nicht erwarten konnte, ihren Gatten den nächsten Morgen zu sehen und doch einen falschen Bericht des heutigen Zusammentreffens mit dem Herzog befürchtete, schlug sie seinen Weg der Communikation ein, ihm schriftlich mit einfachen Worten die Begebenheiten der zwei letzten Abende zu melden, ohne jedoch des Ausbruchs der Leidenschaft des Herzogs zu erwähnen.

Der anbrechende Morgen fand sie noch wachend auf ihrem Lager, und sie sah, wie ihr Gatte vorsichtig hereinschlich, das ihm von Lady Marian am Tage der Versöhnung über die seinem Weibe bewiesene Vernachlässigung geschenkte Portrait aus dem Busen zog und mit liebendem Blick betrachtete. Indem gewahrte er Adelaidens Brief, und von der Sirene bösen Einfluß beseelt, wandte er sich im ersten Augenblick unwillig ab, nicht gesonnen, ihn zu erbrechen, doch das bessere Gefühl gewann bald die Oberhand. Als er aber statt der erwarteten Vorwürfe eine Entschuldigung fand, ihn mit diesen Zeilen beschwerlich fallen zu müssen, und die einfache Erzählung ihres überstandenen Unglücks – ergriff ihn ein Gefühl bitterer Reue, und unfähig, seine Bewegung zu bemeistern, flog er zurück in sein Zimmer, Adelaiden der Sorge überlassend, ihn durch ihren Brief beleidigt zu haben. Doch als sie ihn bald darauf wieder ruhiger eintreten und sie mit liebevollen Blicken von der Seite betrachten sah, beruhigte sich ihr schuldloses Gemüth, und sie verfiel in einen sanften Schlaf.

Nicht so Bouverie, dessen erwachtes Gewissen ihm keine Ruhe gestattete; und als er am folgenden Morgen von Lee die nähern Details der ihm von Dennis mitgetheilten Gefahr erfuhr, die sein, dem Schutze Anderer überlassenes Weib bestanden, fühlte er sich von den verschiedenartigsten Leidenschaften erfaßt und bestürmt. Er las Adelaidens Brief noch einmal, dann wieder durch und beschloß, ehe er die einzig Leben gewährende Gegenwart seiner Marian aufsuchte, dem Herzog einen Besuch zu machen, ihm für seinen Beistand zu danken.

Sobald er angekleidet war, ging er hinunter in die von Adelaiden verzierten Zimmer, wo er alle Gegenstände ihrer Beschäftigung, ihre Bücher und Zeichnungen genau betrachtete, bewunderte und im Gefühl, ein solches begabtes Wesen auf unverantwortliche Weise zu vernachlässigen, aus tiefer Brust seufzte. »Und dieses vortreffliche Geschöpf ist mein Weib,« sagte er zu sich selbst, »meine Adelaide, der ich am Altar Treue gelobt und sie nun einer Andern geopfert habe. Worin liegt der Zauber, der mich bethört? Nicht in Jugend, nicht in größerer Schönheit, nicht in vorzüglichern Eigenschaften, Herzensgüte oder Frömmigkeit; denn obgleich ein Abtrünniger muß ich doch eingestehen, daß Adelaide alle Weiber, die ich bis jetzt gesehen, darin übertrifft.«

In solchen Selbstgesprächen durchwanderte er das ganze, von Adelaiden geschaffene kleine Zauberreich, ohne des wartenden Currikles zu gedenken, der ihn um acht Uhr nach Marino bringen sollte. Als er in das Frühstückszimmer zu Adelaiden eintrat, die ihn schon wieder auf dem Weg zu seiner Marian glaubte, wischte sie schnell ihre strömenden Thränen ab und bot ihm freundlich einen guten Morgen.

»Willst Du mir ein Frühstück geben?« fragte Montagu mit sanfter Stimme.

»Sehr gern. Ich glaubte, Du wärst gegangen – genöthigt zu gehen; sonst würde alles für, Dich bereit gewesen sein.«

Er drückte sie zärtlich an sein Herz, und sprach sein Entzücken, sie durch Gottes und des Herzogs von St. Kildas Hülfe aus so großer Gefahr gerettet zu sehen, mit Wärme aus. Indem meldete Dennis, daß der Wagen bereits seit einer Stunde warte, und Lee seinen Herrn überall gesucht habe.

»Er mag immerhin noch eine Stunde warten,« sagte Bouverie, »ich komme dann noch zeitig genug zu unsers Caplans Gottesdienst in Bexhill.«

Adelaidens Erröthen und der schmerzliche Blick getäuschter Erwartung entgingen Montagus Augen nicht, auch errieth er den Grund; doch, da es ihm an einem Vorwand zu seiner Entschuldigung fehlte, suchte er ihre Gedanken schnell auf andre Gegenstände zu lenken, und nahm bald darauf mit schwerem Herzen Abschied.

 


Sechzehntes Capitel.

Von Norah und Dennis begleitet begab sich Adelaide auf den Weg nach der in einem Wald romantisch gelegenen Dorfkirche. Als sie sich derselben näherte, sah sie eine vornehme Gesellschaft, von zahllosen Bedienten in glänzender Livree gefolgt, der großen Kirchthür zu gehen, während sie sich beeilte, durch eine kleinere herein zu gelangen und ihren Platz vorher einzunehmen. Hätte sie ihre Augen aufgeschlagen, würde sie das Erstaunen des Geistlichen und eines Theils seiner vornehmen Zuhörer, bestehend aus dem Grafen und der Gräfin von Melcombe, ihren acht Töchtern und zwei Söhnen, nebst einigen Gästen, bemerkt haben. Doch ohne den Blick zu erheben, verließ sie nach beendetem Gottesdienst die Kirche, und schon hatte sie den Heimweg fast zurückgelegt, als sie eine schlecht gekleidete, aber doch durch ihren Anzug einen höhern Stand verrathende Frau auf einer Bank ausgestreckt liegen sah, ein schreiendes Kind in ihren Armen haltend. Sie flog herbei, dem Kinde zu helfen, und Norah die Frau zu wecken. Eine Todesblässe hatte das Antlitz der Unglücklichen überzogen, und schon fürchtete Adelaide, kein Leben in ihr zu entdecken, als sie die Augen aufschlug. Mit Dennis und einiger Vorübergehender Hülfe ward sie ins Haus gebracht, wo ihr aller Beistand geleistet wurde; und da sie sich so weit erholt hatte, sprechen zu können, erzählte sie, daß nur Mangel an Nahrung sie in diesen todtähnlichen Zustand versetzt, als sie mit getäuschten Hoffnungen von Hastings den Rückweg als eine Bettlerin nach London angetreten. Mit Entsetzen erfuhr Adelaide nun Folgendes von der jungen zwanzigjährigen Frau, deren kummervolle Züge Spuren großer Schönheit trugen:

Sie war das einzige Kind eines Oberstlieutnants, der sie nach seinem Tode mit einem Vermögen von 10,000 Pfund der Vormundschaft des Generals Harley hinterlassen. Ehe sie noch das funfzehnte Jahr erreicht, verlor sie jedoch ihr ganzes Erbe durch einen Bankerott; da ihr nun nichts als eine vorzüglich schöne Stimme blieb, hielt es Lady Marian für das Beste, sie für ein Theater in London auszubilden, um auf eine ehrenvolle oder ehrlose Weise ihr Brot zu verdienen. Daß die schöne Clara dazu bestimmt sein sollte, Lady Marians eigenen jüngsten Bruder, eben von Oxford zurückgekehrt und ordinirt, auf eine ernste und ehrenvolle Weise zu fesseln, hatte sie nicht gedacht.

Lord Ixworth hatte von den Aufmerksamkeiten gehört, die sein Sohn Carl dieser schönen Sirene gezollt, und ihn oft aufgezogen wegen dieser so schlecht zu seinem Stande passenden Liebschaft; als aber Clara, nach öffentlichem Aufgebot in ihrer Kirche heimlich mit ihm getraut, ihm nach Oxford gefolgt war, und Lord Ixworth, in der Meinung, sie sei seine Maitresse, ihm sanfte Vorwürfe machte; da gestand er, unfähig einen Flecken auf den Ruf seiner Gattin zu ertragen, dem Vater die heimliche Ehe und bat um seine Vergebung.

Aber schrecklich war die Wuth des Lords; er verkündete ihm seinen Fluch, so wie allen denen, die sich dieses entarteten Zweigs seiner Familie annehmen würden, den Verlust seiner Gunst, und entzog ihm die versprochene Pfründe. Die arme Clara verlor nach einer schweren Krankheit in Folge ihrer Niederkunft die Stimme; so sah sich nun das unglückliche Ehepaar schon nach Verlauf des ersten Jahrs aller Mittel zur Erhaltung beraubt. Anfänglich suchte Carl sich durch seine Feder und Clara durch Singstunden fortzuhelfen; aber bald machte ein rheumatisches Fieber des Mannes auch diesem kärglichen Unterhalt ein Ende. Nachdem sie sich noch einige Jahre auf das Kläglichste durchgeholfen, ward Carl Dormer wegen einer Schuld von zwölf Pfund von Frau und Kindern gerissen, und ins Gefängniß geworfen. In dieser äußersten Noth wandte sich der verzweifelnde Mann und Vater zum ersten Mal an seine unerbittlichen Eltern, Brüder und Schwestern; jedoch ohne Erfolg. Aller Aussicht beraubt, wollte Clara das Letzte versuchen und sich an ihren einst so gütigen Vormund wenden. In dieser Absicht verkaufte sie ihre letzten Kleidungsstücke, um sich einen Platz auf dem Dach des Postwagens nach Hastings zu verschaffen, von wo sie, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, da sie auch keinen Schilling mehr im Vermögen besaß, zu Fuß nach Marino ging. Lady Marian ließ sie nicht bis zu dem General gelangen, und überschüttete ihre unglückliche Schwägerin mit den bittersten Vorwürfen, ihren Bruder ins Verderben gestürzt zu haben. Hierauf wieß sie sie zum Hause hinaus, ohne ihr auch nur die geringste Stärkung zu gewähren, fürchtend, Bouverie möchte sie noch finden und erfahren, daß die großen Summen, welche sie ihm für ihren Bruder abgelockt, zu andern Zwecken verwendet worden.

Einige wenige gefühllose Zeilen an ihren Bruder, worin sie ihm streng verbot, sich je wieder an den General um Beistand zu wenden, bewiesen die Wahrheit von Mstrß. Dormers Erzählung.

Adelaidens Herz blutete bei der Schilderung solches Elends. Sie beschenkte Mstrß. Dormer mit fünf Guineen, ihre Rückreise nach London anständig zu bewerkstelligen, und gab ihr einen Brief an Lord De Morelands Banquier mit, worin sie ihn bat, Herrn Dormer aus dem Gefängniß zu befreien und mit 50 Pfund zu unterstützen.

Nachdem die erschöpfte Reisende einige Stunden Ruhe genossen, auch sich durch Speise und Trank gestärkt hatte, schickte Adelaide sie in Begleitung Norahs und Dennis in ihrem Wagen nach Hastings, dort die Nacht zu schlafen, und mit Anbruch des Tages die Reise nach London mit der Post fortzusetzen. Auch versah sie sie mit einigen Kleidungsstücken, und einem Korb voll Lebensmittel und Backwerk, ein Fest zum Empfang des Mannes mit den Kindern zu feiern. So gern sie die unglückliche Frau noch einen Tag in ihrem Hause behalten hätte, fürchtete sie doch ein Zusammentreffen mit Bouverie. »Ach nein!« sagte sie, »ich will ihm Lady Marians Fehler nicht aufdecken, er mag sie selbst finden.« Um ihm den größten derselben zu verbergen, verheimlichte sie der geliebten Obearn und den übrigen Hausgenossen, wie nah die unglückliche Fremde mit Ihrer Herrlichkeit verwandt war.

Ihren trüben Gedanken nachhängend, saß Adelaide in der Abenddämmerung, als sie durch herannahende Fußtritte aufgeschreckt, Bouverie vor sich stehen sah.

»O, Montagu!« rief sie freudig erschrocken, »wie setzt mich Deine plötzliche Erscheinung in Erstaunen!«

»Hättest Du gesehen, wie unglücklich ich mich den ganzen Tag, getrennt von Dir, gefühlt,« entgegnete er, sich zu ihr setzend, »würdest Du Dich nicht über meine Zurückkunft gewundert haben. Ich dachte nur an Dich, und die schreckliche Gefahr, der Du entronnen; daher stahl ich mich aus der Gesellschaft, sobald ich es unbemerkt konnte, um zu meinem einsamen Weibe zurückzukehren, der ich mich in der letztern Zeit als ein nachlässiger Ehemann gezeigt.«

»Die Umstände haben Dich oft von mir gerufen,« entgegnete sie freundlich, während ihr Herz von neuer Hoffnung belebt war. »Vielleicht gestalten sie sich in der Folge günstiger, und ersparen mir solche Pein.«

Montagu zog sie an seine Brust und sie fühlte ihre Wangen von seinen Thränen benetzt. Wie gern hätte sie ihm ein tröstendes Wort gesagt; aber sie wußte es nicht anzufangen, ohne ihm zu verrathen, daß sie tiefer in das Geheimniß seines Unglücks eingeweiht sei.

In diesem Augenblick trat Dennis mit Licht herein und unterbrach eine Scene, die vielleicht mit Montagus Bekenntniß geendet haben würde.

Er hatte seine Pferde bestellt, um zum Frühstück nach Marino zu reiten, fand aber Adelaidens Einfluß noch so groß, daß er dieses Mahl mit ihr einnahm, und sich nicht eher zum Aufbruch entschloß, bis ihm ein rascher Ritt zu seinem Regiment brachte, mit demselben ins Feld zu marschiren, wo Lady Marians Zauberkünste nicht wirken konnten.

Sicher, den Herzog von St. Kilda nicht zu treffen, welcher ebenfalls bei der Heerschau war, wagte sich Adelaide nach Hastings, einige Einkäufe zu besorgen, und darauf an das Seeufer, sich durch einen Spaziergang zu stärken. Da das Wetter sehr schön war, kehrte sie erst um sechs Uhr in ihre Wohnung zurück, doch kaum in ihr Ankleidezimmer gelangt, hörte sie Bouverie die Treppen hinauflaufen. Unwillkürlich öffnete sie die Thür und fragte besorgt: ›Ob ihm etwas zugestoßen?‹

»Nein, gar nichts.«

»Dann bist Du wohl nach Hause gekommen, Toilette zu des Generals Mittagsessen zu machen?«

»Ich bin gekommen, Toilette für Mstrß. Bouveries Tafel zu machen.«

Adelaidens freudig erstauntes Gesicht sprach ihr Entzücken aus, und sich rasch zu Norah wendend, fragte sie ängstlich: ›Ob heute Morgen etwas nach Marino gesandt worden?‹

Obearn konnte keine Auskunft geben, und Adelaide flog hinaus, ihre Vorbereitungen zu treffen.

Lord De Morelands Koch gehörte zu den vor trefflichsten; deshalb war das kleine Mahl ausgezeichnet, dem Geschmack und der Anordnung der Hausfrau alle Ehre machend.

Montagu fühlte sich unbeschreiblich glücklich an seinem eigenen Tisch, die unverschleierte Adelaide ihm gegenüber, und seit Wochen hatte ihm das Essen nicht so gut geschmeckt. Er war nicht karg in seinen Lobsprüchen, besonders des Deserts, welches aus den schönsten und seltensten Früchten bestand.

»Du hast sie doch gewiß in der letztern Zeit noch schöner an des Generals Tafel gegessen?« sagte Adelaide.

»Niemals,« entgegnete Montagu erstaunt; »aber erkläre mir den Sinn Deiner Frage.«

»Hat man Dir denn nicht gedankt für die Delikatessen, welche vorige Woche von Roscoville kamen, und die ich gleich, nebst einer Empfehlung von Dir, an den General und Lady Marian sandte, damit – damit –« fügte sie erröthend hinzu: »Du auch Deinen Antheil davon bekommen solltest. – Heute langte die Caravane wieder an, die, nach unseres gütigen Onkels Befehl, zwei Mal die Woche uns Provisionen zuführt, so lange wir in erreichbarer Nähe bleiben, und ich hatte dem Koch aufgetragen, einen neuen Beitrag nach Marino zu senden.«

»Meine Adelaide!« rief Bouverie, durchdrungen von ihrer himmlischen Güte; »meine Adelaide, schicke nichts wieder nach Marino; wenigstens fürs Erste nicht. Wenn Du aber einmal wieder Ueberfluß haben solltest, sende ihn an unsere Regimentstafel.«

Nach dem Essen machte das glückliche Ehepaar zusammen einen Spaziergang. Als sie zurückgekehrt nach Licht klingelten, stürzte ein Hausmädchen blaß und zitternd mit der Nachricht herein, daß Dennis sich mit fünf Männern geschlagen und halb todt von einigen Arbeitern nach Hause getragen worden sei, und daß weder der Koch, noch Norah Obearn im Stande wären, ihn davon zurückzuhalten, noch einmal fortzugehen und die Schlägerei zu erneuern.

Montagu und Adelaide eilten nach diesem Bericht in die Küche, wo sie Dennis, mit Blut bedeckt, gleich einem Rasenden toben hörten, während die weinende Norah ihn zurückzuhalten strebte. Selbst die Gegenwart seiner verehrten Herrschaft vermochte ihn nicht zu beruhigen, erst nach langem Hin- und Herfragen ergab sich denn endlich aus seiner Erzählung, daß er fast todtgeschlagen, oder zum Mörder geworden wäre, die Ehre des einzigen Engels auf Erden zu retten, den die niederträchtige Dienerschaft von Melcombe Park für des gnädigen Herrn Obersten Geliebte erklärt. »Die Anstifter dieser schändlichen Verläumdung,« sagte Dennis mit Wuth erstickter Stimme, »sind die gräflichen Herrschaften in Melcombe selbst, und der Pfarrer, der uns gestern von der allgemeinen Menschenliebe predigte. Ich sah ja mit meinen eigenen Augen, wie sie die Beste des Menschengeschlechts, weil sie keinen Gemahl zu ihrem Schutz bei sich hatte, von oben bis unten betrachteten, und sich in die Ohren flüsterten. Als ich heute Abend in die Schenke komme, stehen fünf solcher Tagediebe von Melcombe Park da und rufen mir nach: ›Da kömmt der Bediente einer gehaltenen Miß, die sich nicht im Hause, des Generals zeigen darf, und mit der kein Mensch umgeht. Durfte sie sich doch nicht einmal bei der großen Revue blicken lassen, obgleich sie sich für die Nichte eines Grafen ausgiebt. Nein, nein! Die ist nimmermehr eine vornehme Dame und rechtmäßige Frau; auch Mylord sagte heute noch, der Oberst fühlt, daß er anständige Frauen beleidigen würde, wenn er sie in ihre Gesellschaft brächte.‹« –

»Adelaide!« rief Bouverie, blaß vor Entsetzen, durch sein eigenes Betragen solch einen entehrenden Verdacht erweckt zu haben; »meine Adelaide, suche Dennis begreiflich zu machen, daß ich der Strafbare bin, daß er mich zuerst umbringen. muß, weil ich es war, der zu solchen Verläumdungen Veranlassung gegeben. Nur dieser demüthigende Grund hält mich ab, in die Sache einzugreifen, ehe ich selbst bei Lord Melcombe gewesen, Deinen Ruf in seiner ganzen Reinheit wieder herzustellen. Adelaide; mein geliebtes Weib! wende Deinen ganzen Einfluß an, Dennis von ferneren Racheplänen abzuhalten und überlaß mir, dieser niederträchtigen Verläumdung Einhalt zu thun.«

»O, laß Alles ruhen,« sagte Adelaide begütigend, und hilf jetzt nur, die Folgen dieses unglücklichen Streites wieder gut zu machen. Ich fürchte, mein armer, tapferer aber zu heftiger Ritter ist schwer verwundet, deshalb laß den Wundarzt sogleich holen, und Du, mein guter Dennis, begieb Dich zur Ruhe; ich verspreche Dir, in den nächsten Tagen Gelegenheit zu geben, meine Unschuld ins hellste Licht zu stellen. Ein gestern erhaltener Brief von Miß Delamere enthält einen besondern Auftrag an Lady Marie Melcombe, mit welchem, nebst einem Brief von mir an Ihre Herrlichkeit, ich Dich nach Melcombe schicken will, sobald Du hergestellt bist.«

Dennis versicherte, gleich gehen zu können, ward aber ins Bett beordert, und Bouverie schickte seinen Reitknecht nach Bexhill, Herrn Monro, den Regimentswundarzt, zu holen, welcher auch sogleich kam und die Verletzung für nicht gefährlich erklärte, dem Patienten aber eine starke Dosis Opium gab, seine aufgeregten Lebensgeister zu beruhigen.

Adelaidens Ruf hatte durch seine unverzeihliche Vernachlässigung gelitten – dieses demüthigende, Reue erweckende Gefühl nagte an Montagus Herzen; sein Unrecht sobald als möglich wieder gut zu machen, wählte er den, ihm zunächst liegenden Weg, Lady Marian zu vermögen, ihre an Schwäche grenzende Furcht zu überwinden, und seiner unvergleichlichen Frau die ihr gebührende Höflichkeit zu bezeigen. In dieser Absicht verließ er sie am folgenden Morgen schon vor dem Frühstück, und begab sich nach Marino, seinem Orakel, seinem Abgott die erlittene Kränkung mitzutheilen.

Lady Marians Eifersucht war durch Bouveries Fortgehen am Sonntag, als sie ihn durch ihren Gesang zu bezaubern begann, mächtig erregt worden; als er nun vollends den andern Tag ganz ausblieb, hatte sie teuflische Pläne geschmiedet, ihn der verhaßten Nebenbuhlerin ganz zu entziehen. Kein Wunder also, daß sie vorbereitet war, des Geliebten Vorwürfe über sein eigenes Verfahren zu widerlegen, ihn durch Schmeichelkünste und ihren wahrhaft magischen Einfluß zur Geduld zu verweisen wegen Adelaidens Auftreten in der Gesellschaft. Da Montagu aber einsah, daß sein platonisches Entzücken, die ihm gewährten kleinen Vergünstigungen wegfallen mußten, sobald Adelaide Theil an den Parthien und Gesellschaften von Marino nahm, konnte er selbst nur mit Entsetzen daran denken. So war denn das Resultat dieser ernsten Berathschlagung, daß Alles fürs Erste beim Alten blieb, und der verblendete Bouverie schiffte sich mit seiner Sirene zu der verabredeten Wasserfahrt ein.

Adelaide übte unterdessen die christliche Tugend; Geduld, am Krankenbett des treuen Dennis, dem der Arzt die höchste Ruhe anempfohlen, und verließ es nur, um einige kranke Hüttenbewohner in ihrer Nachbarschaft zu besuchen. Von diesen Wanderungen zurückgekehrt, wurde sie durch das ungestüme Wetter um Montagu sehr in Angst gesetzt, und beschloß, selbst zu sehen, ob sie etwas von ihm entdecken könnte. Dennis der Unterhaltung seiner lieben Norah nicht zu berauben, hatte sie nur den kleinen Hall mitgenommen, den sie jedoch, da sie den Sturm herannahen sah, seiner Großmutter übergab, und allein die schwankende Treppe eines verfallenen Thurms hinaufstieg, so gefährlich das Unternehmen auch war. Aber Adelaidens Herz kannte keine Furcht, ausgenommen für Montagu.

Von der Spitze dieses Thurms konnte sie weit in die See hinaussehen und jedes von Pevensey kommende Schiff entdecken; doch nichts zeigte sich ihrem starren Blick als die wogende, schäumende See.

Mit zunehmender Angst stieg sie wieder hinab, sich Trost bei dem Pachter zu holen, der sich über ihr Wagniß entsetzte und sie beschwor, den gefährlichen Thurm nie wieder zu besteigen. Zu ihrer Beruhigung versprach er, an den Strand zu gehen und zu forschen, ob die Lustböte, noch ehe der Sturm begonnen, gesehen wären. Lee erbot sich zum Begleiter, und Adelaide lief in wahrer Todesangst vor dem Hause auf und ab, da der Sturm immer mächtiger brauste, die See immer höher ging. Sie suchte Trost bei Mstrß. Harper und allen Arbeitern in der Nähe des Pachthofs, nur nicht bei ihrer Norah, um den armen Dennis nicht noch seiner einzigen Gesellschaft zu berauben. Zum ersten Mal im Leben drohte ihre Kraft zu unterliegen.

Endlich nach zwei Stunden kehrten Lee und Harper zurück und suchten sie möglichst zu beruhigen, obgleich sie selbst das Schlimmste fürchteten, da die Böte in ganz entgegengesetzter Richtung von dem Kriegsschiff, welches in Augenschein zu nehmen sie ausgefahren waren, gesehen worden.

Lee beschloß nach Pevensey zu reiten, um zu erfahren, ob die Gesellschaft dort angekommen sei, und der Reitknecht begleitete ihn.

Um sieben Uhr des Abends stieg Adelaidens Angst aufs Höchste, als sie bemerkte, daß ein Mann mit dem Ausdruck des Entsetzens in Harpers Küche stürzte und einen Augenblick darauf mit diesem dem Strand zueilte, ohne auf ihren Ruf zu achten. Daß Harper noch ein zweites Geschäft besorgte, nämlich das eines Schmugglers, und zu diesem Zweck in größter Besorgniß an die Küste eilte, bedachte sie nicht; sondern war nur von dem einen Gedanken, von der Gefahr ihres Gatten, erfüllt. Ohne sich weiter zu besinnen, ergriff sie einen Tuchrock und eine Mütze, die sie im Vorhause des Pachthofs hängen sah, bekleidete sich damit, um nicht erkannt zu werden und flog, trotz des heftigen Regens und Sturms, hinaus an den Strand, selbst nach Montagu zu forschen. Kaum fähig, den wüthenden Elementen zu widerstehen, rannte sie an dem, von einzelnen Blitzen erleuchteten Seeufer hin, ohne einen Menschen zu finden, der ihr Auskunft hätte geben können. In der Nähe der Baracken bei Bexhill kamen ihr einige Weiber jammernd und klagend entgegen; ihre Männer, zu dem Musikchor gehörend, waren mit der Gesellschaft gefahren, und ein eben von Pevensey zurückkehrender Bote hatte berichtet, daß man dort nichts von den Böten gesehen.

Bei dieser Nachricht sank Adelaide leblos auf den nassen Sand, über welchen die Fluth schäumend wogte; und eben nahte sich eine Welle, die sie rettungslos in die See gespült haben würde, wenn nicht der Herzog von St. Kilda, welcher nebst dem Chirurgus Monro nicht mit Theil an der Wasserparthie genommen, auf das Jammergeschrei der Weiber an den Strand gekommen, herbeigeeilt wäre, die leblose Gestalt dem gewissen Tode zu entreißen.

Monro folgte dem Herzog, der seine Bürde auf einen Felsblock gelegt hatte; als er nun, ihr den nöthigen Beistand zu leisten, die Kappe abgenommen, erkannten sie mit Entsetzen die liebliche Adelaide Bouverie. Was sie hierher getrieben, war leicht zu ergründen. Den Herzog drohten seine Sinne zu verlassen, als er diesen neuen Beweis grenzenloser Anhänglichkeit an einen treulosen Gatten gewahrte, und Monro mußte ihn mehrere Mal um seine Hülfe ansprechen, bis er sich so weit gefaßt, ihm beizustehen. Endlich schlug sie die schönen Augen auf, und durch die Uniform getäuscht glaubte sie, ihren Gatten zärtlich um sie beschäftigt zu sehen. Mit einem leisen Schrei der Freude fiel sie dem Herzog um den Hals und rief: »O, Montagu! bist Du denn wirklich gerettet!«

Aber ehe noch des unglücklichen Herzogs tröstende Stimme sie enttäuscht, entdeckte sie ihren Irrthum, riß sich wild von ihm los, blickte den Wundarzt mitleidig an, und fiel von Neuem in Ohnmacht.

Adelaide hatte sich vertrauungsvoll in seine Arme geworfen, so lange sie ihn für einen Andern gehalten; und entsetzt von ihm gewandt, als sie ihren Irrthum erkannt. Die Gewißheit seiner Hoffnungslosigkeit raubte ihm alle Kraft, und er stand neben ihr fast eben so leblos, wie sie selbst.

Indem kam Norah zu Monros Beistand herbei. Ihrem Kinde Trost zuzusprechen bei dem immer zunehmenden Sturm, hatte sie Dennis verlassen und von dem kleinen Hall erfahren, daß Adelaide Nannys Hut und Rock genommen und damit wie eine Tolle an den Strand gelaufen war. Selbst dem Wahnsinn nahe durch diesen Bescheid, flog sie in die Küche, einen andern Wärter für Dennis zu holen, und dann ihrer Gebieterin nach.

Diese dem Regen zu entziehen schlug Monro vor, sie in die nahegelegene Wohnung des Sergeanten Welles zu tragen, wo ein erwärmendes Feuer zu finden und hier gelang es dem Chirurgus endlich nach Anwendung mehrerer Mittel, Adelaiden ins Leben zurückzurufen. In dem Augenblick, als sie ihre getreue Norah erkannte, und von ihr die schreckliche Bestätigung ihres Unglücks verlangte, stürzte Fitzpatrick herein, Herrn Monro nach Marino zu holen, indem mehrere Damen so eben krank von der Wasserfahrt zurückgekehrt wären.

Kaum waren diese Worte an Adelaidens Ohr gedrungen, als sie mit wilder Hast fragte: ›Ob Oberst Bouverie in Sicherheit sei?‹

»Oberst Bouveries Sicherheit ist nie gefährdet gewesen, Madame,« entgegnete Fitzpatrick, sie mit allen Zeichen des Erstaunens ansehend, »indem Mylady bei der ersten schwarzen Wolke ans Land stieg und sich, begleitet von Oberst Bouverie, Mstrß. Gayville und Capitain Warren, nach Marino begab, wo sie seit zwei Uhr sind.«

Der Herzog und Monro warfen sich bedeutende Blicke zu; und Adelaide, welche bei der ersten Nachricht von der Rettung ihres Gatten nur durch die Gegenwart so vieler Zeugen abgehalten worden war, auf ihre Knie zu fallen und Gott laut für die Erhaltung ihres größten Guts zu danken, hob jetzt den Blick flehend nach Oben um Erhaltung ihrer Sinne; denn nun war ihr die letzte Hoffnung geraubt. Hatte sich Montagu durch Lady Marians magische Gewalt hinreißen lassen, die Pflichten der Menschlichkeit zu versäumen, sie von zwei Uhr bis zum Abend in der Todesangst um ihn zu lassen, so durfte sie nicht mehr an der fürchterlichen Gewißheit, ihn für immer verloren zu haben, zweifeln.

Der Zustand ihres Innern sprach sich unverkennbar in ihren blassen Zügen und bebenden Lippen aus; aber kaum sah sie den Ausdruck tiefer Bewegung und innigen Mitleids auf des Herzogs, Monros und Norahs Gesichtern, als sie alle Kraft aufbot, heiter zu scheinen, Montagu vom Tadel und sich von dem Verdacht, unglücklich zu sein, zu befreien. Sie erhob sich rasch, versicherte, nach Hause gehen zu können, und bat Herrn Monro, den Damen in Marino seinen Beistand nicht länger zu entziehen.

»Ich bin so frei gewesen, einen Wagen für Sie zu bestellen, Mstrß. Bouverie, und er wird sogleich hier sein,« sagte der Herzog mit schwankender Stimme.

»Ich bedaure, Herr Fitzpatrick, Ihrem Ruf nach Marino jetzt nicht folgen zu können,« sagte Monro. »Meine Empfehlung an den Herrn General und Lady Marian, und erzählen Sie ihnen, daß Mstrß. Bouverie in Folge der schrecklichen Angst ernstlich krank geworden sei, und ich sie erst sicher nach Hause geleiten müsse.«

»Um Gotteswillen, Herr Monro! keine solche Botschaft nach Marino« rief Adelaide, »ich befinde mich vollkommen wohl; sie würde Oberst Bouverie nur vergeblich erschrecken.«

Aber Monro ließ sich nicht überreden, sie zu verlassen, und so mußte Fitzpatrick mit seinem erhaltenen Bescheid von dannen ziehen. Indem langte des Herzogs Wagen an, in welchem Adelaide nebst Obearn gehoben wurde, während Monro seinen Sitz auf dem Bock nahm, und der Herzog aus Zartgefühl zurückblieb.

Jetzt erst erfuhr Adelaide, wornach sie in Gegenwart so vieler Zeugen nicht hatte forschen wollen, wie sie in den leblosen Zustand gerathen, und daß sie ihre Rettung allein dem Herzoge zu verdanken habe.

 


Siebzehntes Capitel.

Nachdem Monro Adelaiden und Dennis das Nöthige verschrieben, verließ er das Haus, und unsre Heldin sah sich kaum allein, als sie in einen Strom von Thränen ausbrach und beklagte, daß der Herzog von St. Kilda sie nicht den erwünschten Tod hatte finden lassen. Indem stürzte Bouverie athemlos herein, und preßte sie heftig in seine Arme.

»Montagu, Du bist gerettet! –« Mehr vermochte sie nicht hervorzubringen.

Durch Lady Marians erkünstelte Furcht in ihrem Zauberkreis festgehalten, hatte der verblendete Mann alles Andre als die gefährliche Sirene vergessen, und gedachte nicht eher des Eindrucks, den das fürchterliche Wetter auf sein verlassenes, um ihn besorgtes Weib machen würde, bis die Gesellschaft theilweis zurückkehrte und die entsetzlichste Beschreibung davon machte. Ungewiß, ob er zu Adelaiden eilen, oder sich noch länger an Lady Marians himmlischem Lächeln ergötzen sollte, war er hinausgerannt und wanderte wie ein ruheloser Geist in den Vorsälen umher, als er auf einmal Fitzpatricks Stimme einem Bedienten laut zurufen hörte:

»Melden Sie Mylady, daß der Wundarzt des andern Regiments angelangt ist, indem Herr Monro um Mstrß. Bouverie beschäftigt war, welche aus Angst um den Obersten gefährlich krank geworden.«

Nun war Bouverie endlich entschlossen, und ohne daran zu denken, seinen unbedeckten Kopf gegen den herabströmenden Regen zu sichern, Lady Marian fast verwünschend, eilte er auf den Flügeln des Entsetzens seiner Heimath zu. Hier fand er Adelaiden, die seit dem Morgen keine Nahrung zu sich genommen, von Angst und Sorge erschöpft, dem Umsinken nahe. Sein Gewissen sagte ihm, daß er sie in diesen Zustand versetzt, und Reue, bittre Reue bemeisterte sich seines Herzens.

Jetzt bemerkte Adelaide erst, daß seine Kleider ganz durchnäßt waren, und zu ihrer Beruhigung wollte er sich umkleiden, zu welchem Geschäft er Lees Beistand bedurfte, als er erfuhr, daß dieser treue Diener noch nicht zurückgekehrt sei von dem vergeblichen Ritt nach Pevensey, seinen Herrn dort zu suchen; und er erröthete aus Scham über seine unverzeihliche Vernachlässigung Derer, die ihm am Nächsten standen.

Da er von Norah erfahren, daß Adelaide seit dem Frühstück keine Nahrung zu sich genommen, wollte er ihr eben eine Tasse Thee einnöthigen, als Lee, durchnäßt bis auf die Haut und zitternd vor Zorn, hereintrat.

»Sir!« rief er aus; »ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer Errettung und meiner jungen Lady auch, die ihr Leben auf dem alten Thurm daran wagte, in die See hinaus nach Ihnen zu schauen. Aber es ist nicht recht von Ihnen, einen alten Diener in solcher Angst und Sorge zu lassen, daß er einen übermäßigen Ritt wagt, sich und seine Gebieterin zu beruhigen, während Sie ruhig in Marino sitzen, ohne der Ihrigen zu Hause zu gedenken.«

Montagu fühlte die Gerechtigkeit dieser Vorwürfe, sah, daß sein Betragen ihm nothwendig Adelaidens Verachtung zuziehen müsse; aber gerade diese Erkenntniß wirkte so mächtig auf den Schuldbewußten, daß er nur Scham und Reue empfand, ohne sie jedoch aussprechen zu können. Vielmehr erbitterte ihn die Keckheit des Dieners dergestalt, daß er eben im Begriff stand, ihn seinen Zorn durch harte Worte empfinden zu lassen, als Adelaide sich begütigend dazwischen legte und den durchnäßten Lee der Sorge Norahs empfahl.

Diese kehrte aber gleich zurück, ihre Gebieterin an Monros Gebot, sich zu Bett zu legen, um den Folgen der ausgestandenen Angst und Nässe vorzubeugen, zu erinnern. Nun erfuhr Bouverie erst, welchen Gefahren Adelaide ausgesetzt gewesen, und daß der Herzog von St. Kilda abermals ihr Retter geworden.

Während Norah ihr geliebtes Kind zu Bett brachte, rannte Montagu mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, von den widersprechendsten Gefühlen gemartert. Der Kampf zwischen einer reinen, tugendhaften und einer ungesetzmäßigen Liebe dauerte fort, so sehr er sich auch selbst tadelte, diese unwürdigen Ketten zu tragen. Ja, er ging in seinem Wahnsinn so weit, trotz der unleugbaren Beweise der treuen Liebe Adelaidens, eifersüchtigen Gedanken Raum zu geben. Lady Marians Einflüsterungen begannen zu wirken, und sein eigenes Herz sagte ihm, daß Adelaide nicht lange im Stande sein würde, den schmeichelhaften Huldigungen des Herzogs zu widerstehen.

In solchen Betrachtungen verloren rief ihn Norah zu Adelaiden zurück, wie er verlangt hatte, und nachdem er sich vergebens bemüht, seine Besorgnisse zu unterdrücken, brach er doch endlich mit der Frage hervor: ›Warum sie ihm die zärtlichen Aufmerksamkeiten des unwiderstehlichen Herzogs von St. Kilda verschwiegen hätte?‹

Von schmerzlichem Erstaunen überwältigt konnte Adelaide nicht antworten.

»Ich sehe, Du willst nicht antworten, und ich muß also glauben, mich in meinen Vermuthungen nicht geirrt zu haben.«

»O, Montagu,« entgegnete sie mit rührendem Ton, mein Schweigen verdient keine solche Auslegung. Ich wußte, wie sehr es Dich betrüben würde, zu erfahren, daß Du durch Deine Vernachlässigung Andern Kummer verursacht; wie viel Dein fühlendes Herz bei dem Gedanken leiden würde, daß, während Du selbst meiner Sorge um Dich vergaßest, ein Anderer meiner gedachte und durch diese Erinnerung mein Leben erhielt.«

»Der Contrast war allerdings auffallend,« sagte Bouverie innerlich kämpfend, »und ich sehe, Du fühltest ihn.«

»Was ich für Dich und den Herzog von St. Kilda fühle, glaube ich früher deutlich an den Tag gelegt zu haben,« erwiederte Adelaide sanft. »Ihr bewarbt Euch Beide zu gleicher Zeit um mich, und dadurch, daß ich Dich vorzog, bewies ich doch wohl offenbar genug, daß die Herzogskrone auf meine Eitelkeit keinen Eindruck gemacht.«

»Adelaide, Adelaide! Du verwarfst ihn nicht. Lord De Moreland that es, ohne Dir etwas das von zu sagen,« rief Montagu, eingedenk der boshaften Bemerkungen Lady Marians über diesen Gegenstand, nachdem sie ihm alle näheren Umstände über des Herzogs Antrag abgelockt.

»O, Montagu,« sagte Adelaide mit von Thränen erstickter Stimme; »Du kannst es nicht vergessen haben, daß ich Dich ohne Besinnen erwählte, nachdem mir von meinem Onkel, Deinem Bruder und Dir selbst versichert worden, daß der Herzog mich ernstlich liebte. Lord De Moreland hinterbrachte ihm allerdings die abschlägige Antwort, ohne mich vorher zu Rathe zu ziehen, aber weil ich schon mit Dir versprochen war und wenn ich es auch nicht gewesen, würde ich den Herzog doch nicht geheirathet haben.«

»Darf ich fragen, weshalb nicht, Adelaide?« sagte Bouverie besänftigter.

»Weil ich Dich von frühester Jugend an, mir selbst unbewußt, liebte. Als ich nach Deiner Zurückkunft von Malta das Geheimniß meines Herzens entdeckte, beschloß ich, meine Hand nie einem andern Mann zu geben.«

Eine so entschiedene Erklärung ihrer Neigung hatte Bouverie noch nie von Adelaiden gehört; und sie erfüllte sein Herz, trotz Lady Marians unheilbringendem Einfluß, mit einem so freudigen Entzücken, daß seine Eifersucht augenblicklich verschwand, und er sie demüthigst um Verzeihung bat.

 

Nachdem das ganze Haus sich zur Ruhe begeben, langte noch ein Expresser von Marino an, sich zu erkundigen: ›Ob Oberst Bouverie glücklich zu Hause angelangt sei? Da sein plötzliches Verschwinden mit Zurücklassung seiner Mütze die größten Besorgnisse erregt, und man ihn zwei Stunden vergeblich gesucht habe.‹

Der Bote, Lady Marians vertrauter Bedienter, begnügte sich nicht mit der Nachricht des vollkommenen Wohlbefindens des Obersten, sondern verlangte, ihn selbst zu sehen, indem er behauptete, daß die Besorgnisse in Marino nur durch einen Augenzeugen hinweggeräumt werden könnten.

Bouverie ließ den zudringlichen John vor sich und entschuldigte seine eilige Abreise von Marino, durch welche er so unglücklich gewesen, Angst zu erregen; worauf John mit trauernder Miene fragte: ›Ob Herr Monro noch hier wäre, welchen er den Auftrag hätte, mitzubringen, weil seine arme liebe Lady solche Anfälle von Ohnmachten bekommen, daß Mstrß. Colemann befürchtete, sie würde den Morgen nicht erleben.‹

Wie ein elektrischer Schlag wirkte diese Nachricht auf Bouverie; und im ersten Augenblick wäre er gern zu der angebeteten Marian geflogen, ihre Vergebung zu erflehen, hätte ihn nicht die Erinnerung dessen, was seine Frau erst um ihn ausgestanden, von der Ausführung dieses Vorsatzes abgehalten. Aber kaum war der Bote mit der Versicherung seiner herzlichsten Theilnahme und der Verheißung eines Besuchs am andern Morgen fort, als er sich der Grausamkeit gegen die Geliebte anklagte, und den Zeitpunkt kaum erwarten konnte, wo es ihm vergönnt sein würde, sie zu sehen. Indem klopfte Norah an die Thür seines Schlafzimmers, um sich im Namen ihrer erschrockenen Gebieterin zu erkundigen, ›ob der späte Bote von dem General gekommen sei, ihn zu einer gefährlichen. Expedition abzurufen?‹

Die kranke, erst kürzlich für ihn so zärtlich. besorgte Adelaide zu beruhigen, eilte er noch zu ihr und erzählte, daß seine in der Eile zurückgelassene Hauptbedeckung Besorgnisse in Marino erweckt, die er versprochen, am andern Morgen selbst zu widerlegen.

Hierin von Adelaiden noch bestärkt, begab sich »der Mann mit den zwei Herzen,« wie ihn Lord De Moreland so richtig bezeichnet, nach Marino, woselbst er Lady Marian zwar nicht so krank fand, als sie der Bote geschildert, aber doch schmachtend genug, sein zärtliches Gemüth in die höchste Angst zu versetzen. Sie hatte wirklich eine ruhelose Nacht gehabt; doch nicht sowohl aus Besorgniß, wohin er ohne Mütze gerathen, sondern vielmehr aus Eifersucht, daß Adelaidens Krankheit ihn so augenblicklich von ihr entfernt. Die verhaßte Nebenbuhlerin ganz aus seinem Herzen zu verdrängen, wurden nun alle ihr zu Gebote stehenden Künste angewendet; und Bouverie sah sich bald wieder so fest in ihren Netzen verstrickt, daß er nur mit Widerstreben dem General zu der Besichtigung einiger Werke an der Küste folgte, die ihn die Nacht vom Hause entfernt halten würde. Da er hiervon früher keine Nachricht gehabt, schrieb er ein Paar Zeilen an seine Frau, die so voll Liebe und Herzlichkeit waren, daß diese neue Abwesenheit keinen Schatten auf ihre neugefaßte Hoffnung warf.

Gleich nach der Parade stellte sich Monro, zu Adelaidens Kummer vom Herzog von St. Kilda begleitet, ein, den sie ohne Undankbarkeit nicht abweisen konnte, so sehr sie auch Bouveries Eifersucht fürchtete. Obgleich Se. Gnaden ihre Verwirrung und Verlegenheit auf eine für sich schmeichelhafte Weise auslegte, dehnte er seinen Besuch doch nicht länger aus, als den ärztlichen, und benachrichtigte Adelaiden beim Scheiden, daß er so eben ein Billet vom Oberst Bouverie erhalten habe, ihm für seinen geleisteten Beistand einstweilen schriftlich zu danken, bis seine Zeit ihm erlaubte, es in Person zu thun.

Nachdem die Herren das Zimmer verlassen hatten, berichtete Mstrß. Harper, daß Lord Melcombes ältester Sohn, Lord Woodley, erst kürzlich zu der Würde eines Barons erhoben, in der Pächterwohnung gewesen sei, sich nach Mstrß. Bouveries Befinden zu erkundigen.

»Man sagt zwar,« fuhr die geschwätzige Frau fort, »daß er ein wilder Geselle sein soll; da er nun aber ein wirklicher Lord und Parlamentsmann geworden ist, und sich immer so theilnehmend nach Dennis erkundigt, auch eine innige Freundschaft mit unserm kleinen Hall geschlossen hat, muß ich glauben, daß er plötzlich solide und gut geworden ist.«

Der Postbote unterbrach ihren Redestrom. Adelaide erhielt zwei Briefe; einen von Carl Dormer, in so dankbaren, Herz ergreifenden Ausdrücken abgefaßt, daß sie sich der Thränen nicht erwehren konnte. Der andre war von Lord De Morelands Banquier, mit der Nachricht, daß er keinen Augenblick gesäumt, die Befreiung Herrn Dormers zu bewerkstelligen, von dem er aus sichern Quellen so viel Gutes und Vortreffliches erfahren, daß er allen Einfluß anwenden würde, ihm fürs Erste eine vakante Lehrerstelle zu verschaffen, und durch seinen Bruder, den Bischof von ***, vielleicht später eine Pfründe.

Alle Officiere von Bouveries Regiment unterließen nicht, sich in Person nach dem Befinden seiner liebenswürdigen Frau zu erkundigen; da Adelaide aber in Abwesenheit ihres Gatten keine männliche Besuche anzunehmen pflegte, ließen sie auch jetzt nur ihre Namen zurück.

Am folgenden Morgen, gleich nach dem Frühstück, ließen sich zu Adelaidens größtem Erstaunen Lord und Lady Melcombe, ihre älteste Tochter Lady Marie und Lord Woodley melden.

Lady Melcombe, eine sehr einnehmende Frau, entschuldigte ihren späten Besuch durch das offenherzige Geständniß, daß über ihre schöne Nachbarin einige Mißverständnisse obgewaltet, die der Herzog von St. Kilda so eben erst aus dem Wege geräumt, durch die Erklärung des Grundes ihrer Zurückgezogenheit von der Gesellschaft.

»Ich weiß nicht, was Lady Marian damit beabsichtigt hat, einigen unserer Gäste einen doppelsinnigen Bericht von unsrer schönen Nachbarin zu geben,« sagte Lord Melcombe, »wenn es nicht aus Rache geschah, weil wir unsere frühere genaue Bekanntschaft jetzt aus wichtigen Gründen auf eine blos ceremonielle beschränkt haben.«

Lord Woodley, ein ausgezeichnet hübscher junger Mann, wechselte die Farbe bei diesen Worten und wandte sich nach dem Fenster.

»Aber ich kann nicht begreifen,« sagte Lady Marie, »weshalb Amelie Delamere mir nicht schrieb, daß die Adelaide Bouverie, deren Lobes ihre Briefe in dem letzten Jahre voll waren, meine Nachbarin werden würde.«

»O,« sagte Adelaide bescheiden erröthend, »Amelie fürchtete, ihre Partheilichkeit hätte sie zu einem Urtheil über mich verleitet, dem ich kein Genüge zu leisten im Stande sein würde; doch scheint sie darauf gerechnet zu haben, daß mich irgend ein glückliches Ungefähr in ihre Nähe führen sollte, da sich in ihrem letzten Brief an mich ein specieller Auftrag an Lady Marie Melcombe befindet, zu dessen Entledigung ich bis jetzt noch nicht die gewünschte Gelegenheit gefunden.«

»Da Sie uns nun so gütig unsern Verdacht vergeben,« sagte Lady Melcombe, »so hoffe ich, daß Sie Ihre Quarantaine aufheben, um uns die Freude zu machen, diesen Mittag mit uns zu essen, und uns diesen Abend auf den Ball nach Hastings zu begleiten.«

»Es würde die gerechteste Strafe für Lady Marian Harley sein,« rief Lord Woodley lächelnd. »Und sie müßten keine weibliche Eitelkeit besitzen, Mstrß. Bouverie,« fügte Lady Marie hinzu, »wenn Sie der Mutter Einladung nicht annähmen.«

»Ich fühle mich nicht frei von aller weiblichen Eitelkeit,« sagte Adelaide von einem lieblichen Roth. überflogen, »deshalb nehme ich die gütige Einladung mit vielem Dank an, und freue mich, meine Einsamkeit mit einer so angenehmen Gesellschaft zu vertauschen.«

Lord Melcombe dehnte seine Einladung auch auf Oberst Bouverie aus, in dessen Namen Adelaide jedoch dankte, da sie wußte, daß er in Marino engagirt war. So schieden die neuen Bekannten gegenseitig sehr befriedigt von einander.

Von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, aller Verläumdung mit einem Mal durch ihr Hervortreten aus der Abgeschiedenheit ein Ende zu machen, und ihrer furchtbaren Gegnerin das Feld nicht ohne Kampf zu überlassen, hatte Adelaide ohne Besinnen die Einladung angenommen; auch fürchtete sie nicht, sich Montagus Tadel dadurch zuzuziehen, da er erst den Tag vorher sehr bedauert hatte, daß Lady Longuiville noch nicht angekommen wäre, um seine Adelaide in die Welt einzuführen.

Gleich nachdem sie der unerwartete Besuch verlassen, erhielt Adelaide einen Brief von ihrem Gatten, worin er ihr sagte, daß er erst eben nach Marino zurückgekehrt, Lady Marian in großer Betrübniß gefunden habe über die Ankunft einiger Gerichtsdiener, welche den General wegen einer Schuld, die sie aus Menschenliebe und Barmherzigkeit gegen einen nahen Verwandten gemacht, ehe sie nach Malta gegangen, fest setzen wollten. In der Verzweiflung, ihren Mann für ihre Unvorsichtigkeit büßen zu lassen, und von seiner Heftigkeit einen Rückfall der frühern Krankheit befürchtend, falls er von dieser unglücklichen Sache hören sollte, hatte sie sich vertrauungsvoll an ihn gewendet und ihn gebeten, ihr eine Summe zu leihen, die schrecklichen Agenten der Justiz durch Bezahlung der Schuld zu befriedigen. Da er aber in diesem Augenblick auch nicht Herr einer einzigen Guinee sei, indem er einem Freund aus der Noth geholfen, so sehe er sich genöthigt, sich an sie um eine Anweisung zu wenden, die er baldigst zu erstatten hoffe. Ferner berichtete er, daß diese unangenehmen Geschäfte ihn den ganzen Morgen in Marino festhalten würden; da er sich auch dort zum Mittag versagt, so wie zum Ball in Hastings und nach diesem zu einem Abendessen, welches die Officiere von Fairlight Lady Marian zu Ehren veranstaltet, (falls Adelaide durch Unterdrückung des Arrestes sie nämlich fähig dazu machte); so hielt er es für rathsamer, sein altes Nachtquartier in Marino zu beziehen, um sie nicht so spät zu stören, weshalb er bäte, Lee mit den nöthigen Kleidungsstücken dorthin zu senden. –

In dem ganzen Brief sprach sich so viel Zärtlichkeit gegen Adelaiden mit Scham und Kummer vermischt aus, daß sie, obgleich fest überzeugt, Lady Marian sei der Freund, für den er sich so rein ausgegeben, keinen Augenblick anstand, seine Bitte zu erfüllen. Da sie alles eigene, in Händen habende Geld nicht für hinreichend erachtete, fügte sie einigen freundlichen Zeilen an ihren Mann eine zehn Pfundnote für die Gerichtsdiener und eine Anweisung an ihres Onkels Banquier auf 500 Pfund hinzu, welche sie zur Einfassung eines Schmucks bestimmt gehabt hatte.

Kaum war dieser Brief abgegangen, als Monro erschien, dem sie ihr Engagement nach Melcombe Park und zum Ball mittheilen mußte, damit er durch einen strengen Befehl den eingeschlossenen Dennis noch einen Tag zurückhielt; und Monro versäumte nicht, die geheime Nachricht von Adelaidens Erscheinen auf dem Ball dem Herzog zukommen zu lassen, welcher bis jetzt alle fröhlichen Versammlungen gemieden hatte.

Nicht ohne Zagen betrat Adelaide den Gesellschaftssaal in Melcombe Park, wo sie mit vieler Freude empfangen und noch drei andern Töchtern des Hauses, so wie dem jüngern Sohn Lysander, zwei Miß Price (Mündel des Lords), dem Grafen von Ennismore, Lady Mariens Bewerber, und Sir Eduard Fitzallen, Lady Clarinde Melcombes Anbeter, vorgestellt wurde.

Das Mittagsmahl, von lauter fröhlichen Gästen gefeiert, zog sich so in die Länge, daß gleich nach aufgehobener Tafel die Wagen gemeldet wurden, die Gesellschaft zum Ball zu fahren.

Die Garnison von Bexhill befand sich schon dort, ehe die Parthie von Melcombe Park anlangte; obgleich Adelaide, so lange sie Frau war, noch keinen Officier von ihres Mannes Regiment gesehen hatte, außer dem Herzog von St. Kilda und Herrn Monro, so waren sie ihr doch alle aus Kent bekannt, wo sie mit ihnen in Sir Charles Longuivilles Hause zusammengetroffen, und es hatte sich eine so dichte Gruppe um sie gebildet, daß sie Lady Marians Blicken entzogen war, als diese, von einem großen Gefolge begleitet, mit majestätischem Anstand an das andre Ende des Ballsaals schritt.

Ein leises Gemurmel des gefürchteten Namens verkündete Adelaiden die Annäherung dieser Sirene; und als sie nun die Augen suchend aufschlug und zum ersten Mal das Wesen erblickte, welches ihr eheliches Glück gestört, da zitterte sie wie Espenlaub und konnte kaum den Anblick dieser glänzenden Schönheit ertragen.

Der Herzog von St. Kilda hatte den Eindruck bemerkt, den die furchtbare Gegnerin auf Adelaiden gemacht; und obgleich er aus dieser Eifersucht Hoffnung für sich selbst schöpfte, war er doch zu zart fühlend, ihre Empfindungen fremden Blicken Preis zu geben, besonders ihrer triumphirenden Gegnerin, und rief deshalb:

»Lady Melcombe, Mstrß. Bouverie, wollen Sie sich nicht Sitze zu verschaffen suchen? Der Saal füllt sich. Dort unten sehe ich noch welche.« Bei diesen Worten bot er Adelaiden den Arm und führte sie, nebst Lady Melcombe, an das andere Ende des Saals.

»O, Bouverie!« rief Lady Marian, »ich sterbe vor Neugier, die Tochter dieser fatalen Lady Melcombe zu sehen! Man sagt, diese fünfte Nummer soll eine ausgezeichnete Schönheit zu werden versprechen; und ich muß gestehen, es sollte mich ärgern, wenn diese capriciöse Frau etwas so himmlisches der Welt vorzuführen im Stande wäre. Gehen Sie! Sie können nicht irren. Die Männer halten diese Perle umlagert. Aber,« fügte sie leise und schmelzend hinzu, »ist es nicht zu viel gewagt, Sie in solche Gefahr zu schicken?«

Montagu flog mit einem vielsagenden Lächeln fort, ihre Befehle zu erfüllen; aber wie ward ihr zu Muthe, als sie ihn plötzlich, nachdem er einige Worte mit Clayton gewechselt, mit ausgestreckter Hand auf die Dame zueilen sah, die ihm ihrerseits auch die Hand zum Willkommen reichte, und mit welcher er sich so lange und zutraulich unterhielt, daß sie voller Angst Thornley abschickte, ihn zurückzuholen.

Der Umstand, daß Adelaide mit der Melcombeschen Parthie erschien, verhinderte Lady Marian das Wahre zu vermuthen, indem sie Sorge getragen hatte, dieser Familie durch die dritte Hand eine schlechte Meinung von ihrer Nebenbuhlerin beizubringen, um sie noch länger von aller Gesellschaft auszuschließen. Von Bouverie konnte sie keine Kunde darüber erhalten, da er Adelaidens Entschluß, den Ball zu besuchen, im Couvert ihres Briefes nur kurz angedeutet, in der Freude seines Herzens über die Gewährung seiner Bitte, übersehen hatte.

Im ersten Augenblick, als er sein schönes, furchtsames Weibchen in dem glänzenden Kreis erblickte, wallte sein Herz ihr zärtlich entgegen, und er sprach im Ton der Zärtlichkeit mit ihr; doch nur zu bald wanderten seine Gedanken zurück zu Lady Marian, und seine Wangen wurden bleich, sein Blick trübe.

Jetzt näherte sich Thornley und berichtete nach einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, daß Lady Marian ungeduldig seiner Rückkehr mit der erwarteten Nachricht entgegensähe.

Zitternd und widerstrebend gehorchte Bouverie, und Lady Marian rief ihm entgegen:

»Nun, Sir! wer ist sie, die Sie so zu bezaubern wußte, daß Sie mich den Qualen der Ungewißheit überließen? Sagen Sie es mir, und entschuldigen Sie Ihre Saumseligkeit, wenn Sie können.«

»Wer – sie ist? meine angebetete Marian,« flüsterte er kaum verständlich; »sie ist meine, sie ist – ist – Adelaide.«

»Adelaide!« wiederholte Lady Marian entsetzt, »Adelaide! – Ihre Frau! Sir?«

Es erfolgte eine Pause, während welcher Bouverie kraftlos in den Stuhl neben ihr sank.

»Ich hätte es wohl vermuthen können,« sagte sie nachdrucksvoll, »wer diese Zauberin war, schon weil ich den liebekranken Herzog von St. Kilda hier sah, und die leidenschaftlichen Blicke, womit er die dankbare Schönheit, deren Leben er errettet, am Arm führte. Mein Herz hätte mir sagen können, daß dieß die Störerin meiner Ruhe, die Mörderin meines Friedens sei.«

Bouverie fuhr erschrocken zusammen. Lady Marian glaubte zu weit gegangen zu sein, und fügte zärtlich hinzu:

»O, treuloser Mann! wie konnten Sie mir sagen, daß Ihr Herz selbst im Augenblick Ihrer raschen Heirath, mein gewesen; da Ihre getroffene Wahl mich überzeugt, daß Sie mich betrogen haben?«

»Marian, bezauberndste der Weiber!« rief Bouverie, »wie kann meine Wahl Ihnen diesen Glauben beibringen? Glauben Sie, daß ein Herz, dem es gestattet gewesen, Sie anzubeten, eine unwürdige Wahl zu treffen im Stande sein kann? Sie befahlen mir, Sie zu vergessen – Sie geboten mir, zu heirathen.«

»Ich that es in der festen Ueberzeugung, daß Sie es weder könnten, noch wollten.«

Bouverie versuchte sie durch sanfte Schmeichelworte zu versöhnen, so sehr sein Herz auch litt; und Lady Marian schien beruhigt, während sie, von Eifersucht im Innern zerrissen, ihrer reizenden Gegnerin Frieden zu untergraben schwur.

 


Achtzehntes Capitel.

Jetzt sollte der Tanz beginnen, und Lady Marian sah sich genöthigt, den Ball mit einem alten Obersten des Regiments, welches das Abendessen gab, zu eröffnen. Doch ehe sie hierzu schritt, wollte sie erst die verhaßte Adelaide näher in Augenschein nehmen.

»Bouverie,« sagte sie, »führen Sie mich zu diesen unangenehmen Melcombes und stellen Sie mich Ihrer Frau vor. Denn da sie uns nun, obgleich noch halb krank, in der Gesellschaft von diesen geschäftigen Leuten aufgedrungen worden, würde ich mich durch meine Furcht vor Ansteckung nur lächerlich machen.«

Montagu willfahrte widerstrebend und stellte die beiden Rivalinnen einander vor. Doch wurden nur wenige Worte von beiden Seiten gewechselt; denn Lady Marian war verlegen und Adelaide sehr kalt, obgleich anmuthig würdevoll. Bouverie fühlte die moralische Ueberlegenheit seines Weibes, und von einem innern Drang getrieben, legte er ihren Arm in den seinigen, und wandelte einige Zeit im Saal mit ihr auf und ab. Hatte er ihr ja doch noch nicht gedankt für die übersandte Anweisung, die er nur halb benutzt, da 200 Pfund hinreichend gewesen, die dringendsten Gläubiger zu befriedigen; indem er diesen Dank aussprach, fiel sein Blick auf den Herzog von St. Kilda, dessen Augen Adelaiden mit leidenschaftlicher Bewunderung folgten, und eingedenk Lady Marians boshaften Einflüsterungen, war er eben im Begriff seine Eifersucht auszusprechen, als ihn Adelaide so unschuldig ansah, daß aller Verdacht schwand, und er sie freundlichst fragte: ›Mit wem sie die beiden ersten Tänze tanzte?‹

»Ich tanze gar nicht,« entgegnete sie ruhig, »da ich weiß, daß Du es nicht billigst, wenn sich verheirathete Frauen diesem Vergnügen hingeben.«

»Ich erinnere mich nicht, solche Gesinnungen geäußert zu haben,« sagte Bouverie erstaunt.

»O, ja. An dem merkwürdigen Ball in Roscoville, als ich ganz verlassen, Du mein einziger Freund warst. Damals hatte ich noch keine Ahnung davon, daß Deine Ansichten die Richtschnur meines Lebens werden würden; aber schon als Deine Ansichten bewahrte ich sie treu in meinem Gedächtniß.«

Der zärtliche Ton, womit diese Worte gesprochen wurden, drang an Bouveries Herz; aber er erröthete aus Scham und Verlegenheit; denn Lady Marian war eine tanzende Frau, und hatte ihn gelehrt, alle ihre Handlungen zu billigen und zu bewundern. Er erwiederte nach kurzem Besinnen:

»Dieß waren die Ansichten eines ganz jungen Mannes, und noch dazu in Roscoville. Seitdem habe ich sie geändert und gefunden, daß eine verheirathete Frau mit vollkommenem Anstand und völliger Unschuld tanzen kann. Daher sage mir nur, wer sich zuerst um Deine Hand beworben, damit ich ihm sogleich verkündigen kann, daß Dein Gatte selbst die Hindernisse aus dem Wege geräumt.«

»Lord Woodley war der Erste,« entgegnete Adelaide, höchst erfreut, sich dieses Lieblingsvergnügens nicht auf immer beraubt zu sehen; »aber vielleicht thäte ich doch besser, gar nicht zu tanzen, da mich der Herzog um die beiden folgenden Tänze gebeten hat, und ich sie ihm doch nicht abschlagen kann, wenn ich Lord Woodley die ersten zusage.«

»Es wäre mir allerdings lieber, wenn er Dich nicht aufgefordert hätte, da seine Neigung eine Sache von solcher Oeffentlichkeit geworden ist,« sagte Montagu; »aber Dankbarkeit erfordert, daß Du ihm diese Freude gewährst; und so fürchte nur nicht, meine Eifersucht zu erregen, da ich Dir vollkommen vertraue.«

Mit diesen Worten verließ er die durch sein Zutrauen geschmeichelte Adelaide, um den beiden Herren ihr Glück zu verkünden.

Da Lady Marian engagirt war, forderte Montagu Lady Emma Melcombe auf, und der Tanz begann.

Nur bedacht, ihre schöne Gestalt im vortheilhaftesten Licht zu zeigen, strengte sich Lady Marian diesem Abend mehr wie gewöhnlich an; ihr folgte Lady Melcombe, welche sich bewußt war, nur mittelmäßiges in dieser schönen Kunst zu leisten. Als daher Adelaide im dritten Paar auftrat, und ihre natürliche Grazie und Anmuth entfaltete, zollte ihr Jedermann Bewundrung. Lady Marian gewahrte mit Entsetzen, wie Bouverie seine Blicke von ihren studierten Bewegungen abwendete, und sie mit wahrem Entzücken auf der Sylphengestalt seiner reizenden Frau ruhen ließ.

Lord Ennismore und Woodley benutzten den langen Zwischenraum zwischen den Tänzen, ihre Damen mit witzigen Bemerkungen zu unterhalten, während Lady Marian Adelaiden nicht aus den Augen verlor. Sie rief Montagu herbei, dem ein heftiges Seitenstechen seine Tänzerin geraubt, und flüsterte ihm zu: ›Daß die vorgebliche, aus Angst um seine Sicherheit entstandene Krankheit Adelaidens nicht so gefährlich gewesen sein könne, wie sie der übertreibende Herzog und sein Anhänger Monro gemacht, indem sie sich sonst unmöglich so schnell hätte erholen können.‹

»Auch Sie, Lady Marian, waren aus Sorge um mich krank geworden,« sagte Bouverie rasch und weniger zärtlich wie gewöhnlich, »und haben sich doch eben so schnell erholt.«

»Nur nicht wie Ihre Frau. O, nein! Sehen Sie nur die Schwäche in meinem Blick und ganzem Wesen; ich zwang mich, hierher zu gehen und zu tanzen, weil ich wußte, daß der Angebetete meiner Seele den Abend in dieser Gesellschaft zuzubringen genöthigt war. – Aber Bouverie, fragen Sie Ihre Vernunft, ist es dieser verhaßten Adelaide möglich, mit solcher Zärtlichkeit zu lieben, als man uns glauben machen will, und doch ruhig zuzugeben, daß Sie fast Ihre ganze Zeit in Marino zubringen? Sollte nicht persönliche Furcht Einfluß in solch einem Augenblick haben? oder schien sie nur ohnmächtig zu werden, um dem seufzenden Ritter Gelegenheit zu gewähren, sie in seine Arme zu schließen, an sein klopfendes Herz zu drücken? Ach, Bouverie! gedenken Sie einer ähnlichen Scene in der Blüthenzeit unsrer Liebe! Wie ist sie seitdem gewachsen, riesengroß geworden – und kann nun nur mit dem Leben enden. O, mein Geliebter! verdammen Sie mich nicht, wenn ich begierig nach jedem Symptom der Untreue Ihres Weibes suche, da mir durch ihr Verlassen des tugendhaften Pfades meine Glückseligkeit gesichert ist.«

Bouverie hatte diesem langen Sturm auf seine Gefühle mit wenigem Vergnügen zugehört, obgleich er in den schmelzendsten Tönen gewagt worden; als sie ihm aber die Ohnmachtsscene von Malta ins Gedächtniß zurückrief, fing seine Einbildungskraft Feuer, und von Eifersucht gefoltert stürzte er hinaus zum Fort, in der Einsamkeit Herr seiner Qual zu werden. Doch nicht lange hielt Adelaidens engelreines Bild eine solche Befleckung aus, und ihre himmlische Unschuld trat ihm nach genauer Prüfung aller einzelnen Umstände so klar entgegen, daß er beruhigter zurückkehrte. Im Hereintreten war er noch Ohrenzeuge eines Gesprächs zwischen mehreren jungen Officieren, die ihr unglückliches Geschick anklagten und sich gegenseitig bedauerten, keine Aussicht auf Avancement zu haben, da sich keiner ihrer Obern durch den Trunk schadete und der General nicht Lust zu haben schiene, seinen ärgsten Nebenbuhler, den von der alten Marian, der Mutter Harley, der Ninon angebeteten Oberst Bouverie durch eine Pistolenkugel aus der Welt zu schaffen.

Montagu hätte dem Sprecher mit Freuden eine Kugel durch den Kopf gejagt, fühlte aber doch, daß er sich nur lächerlich machen würde, wenn er Notiz von diesem Hohn nähme; und begab sich daher auf einem andern Weg ins Ballzimmer, wo er Adelaiden neben Lady Melcombe sitzen sah, den Herzog von St. Kilda und Lord Woodley vor ihr stehend, Erstern mit zu Boden geschlagenem Blick, Letztern sie mit Bewundrung anstaunend. Adelaide schien niedergeschlagen, alle drei schweigsam, bis sie den Herzog mit einigem Zagen anredete, worauf er die Farbe wechselte, nach einer kleinen Pause aufsprang und etwas mit Freundlichkeit erwiederte. Adelaide erröthete, schlug die Augen mit einem unaussprechlichen Zauber auf und sagte etwas, worauf Se. Gnaden sich nach der Thür bewegte.

Adelaidens Ausdruck, als sie den Herzog ansah, erfüllte Bouveries Herz mit Schrecken. Er sprang hinzu, wo möglich eine Erklärung dieser Scene zu erhalten. Da gewahrte ihn der Herzog, eilte ihm entgegen und rief, seinen Arm ergreifend:

»Da habe ich den Delinquenten, dessen Verschwinden alle Freude aus einem zärtlichen Herzen verbannte. O, glücklicher, glücklicher Bouverie! der über das Leben, den Tod und den Frieden Adelaidens Gewalt hat! Nicht länger im Stande, ihre ängstlichen Gefühle zu unterdrücken, bat sie mich, Erkundigungen über Sie einzuziehen, da Sie den Saal schon vor längerer Zeit verlassen und sehr blaß ausgesehen hätten. Welch ein dankbarer Blick ward mir für meine Bereitwilligkeit zum Lohn!« –

Jetzt hatten sie Adelaiden erreicht, deren verschämtes Erröthen dem Herzog ihren Dank aussprach; aber Montagu ihre Freude durch etwas anderes zu bezeigen, als durch einen seelenvollen Blick, wagte sie in Lord Woodleys Gegenwart nicht, dessen Spöttereien über ihre Besorgniß, wo der geliebte Gatte geblieben sein möchte, sie schon zu sehr verwundet hatten.

Se. Herrlichkeit war ein anerkannter Libertin, auf den die seltnen Reize Adelaidens einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht hatten. Erfahren in allen Künsten, das weibliche Herz zu besiegen, baute er auch jetzt seinen Hoffnungsplan auf Lady Marians Einfluß und die Macht des Lächerlichen; denn bei Bouveries schrecklicher Vernachlässigung und Adelaidens reizbarem Gefühl hielt er es nicht für unwahrscheinlich, ihre Liebe durch Spott zu erschüttern, welches Manoeuvre ihm schon öfterer gelungen war.

Bei Adelaiden hatte er wenigstens schon so viel erreicht, daß sie sich schämte, ihre Zärtlichkeit für Montagu laut auszusprechen; desto angenehmer wirkten des Lords feine Spöttereien auf des verblendeten Gatten Eitelkeit, der nun aus seinem Bericht ihres Zustandes während seiner Abwesenheit deutlich ersah, daß die liebenswürdigste, schönste, am meisten bewunderte Frau nur ihm allein lebte, und daß Lady Marians Einflüsterungen blos Folge getränkten Selbstgefühls waren.

An Lady Marie Melcombe war jetzt die Reihe, den Tanz zu bestimmen und anfangen zu lassen, und Bouverie mußte seine Adelaide für die nächste Stunde dem Mann übergeben, dessen Einfluß er am meisten fürchtete. Da jedoch Lord Woodley nicht gesonnen schien, dem Herzog das Feld zu räumen, so stellte er sich, selbst unthätig bei dem Tanz, in des beobachteten Paares Nähe, jede Pause zur eigenen Unterhaltung zu benutzen, wodurch sich Adelaide sehr erleichtert fand, obgleich des Herzogs tiefe aber ehrfurchtsvolle Neigung sich nicht in Worten kund that.

Auch diese peinliche Stunde ging vorüber und Lady Marian, der es nicht gelungen, Bouveries von Neuem für seine Frau erwärmtes Herz zu sich zurückzuführen, ging nachlässig auf seinen Arm gestützt an das andre Ende des Saals, wo unsre Heldin mit Clarinde und Jemima Melcombe stand, den Anfang des neuen Tanzes zu erwarten, welchen sie Capitain Hope von Bouveries Regiment zugesagt hatte.

»Wer hat diesen Tanz zu bestimmen, Lady Clarinde?« fragte Lady Marian.

»Mstrß. Bouverie,« entgegnete diese; »doch hat sie sich noch nicht darüber erklärt.«

»Wenn Mstrß. Bouverie ihn zu bestimmen hat, wird es ohne Zweifel St. Kildas Walzer Ein in England sehr gewöhnlicher Nationaltanz. [ Anm.d.Ü.] sein,« erwiederte Lady Marian fröhlich, obgleich im gedämpften Ton, als ob sie es flüsternd zu sagen beabsichtigt.

Aber ihre doppelsinnige Bemerkung war von der ganzen umstehenden Gruppe gehört worden, vor allen von der furchtsamen, gefühlvollen Adelaide selbst, die mit dem plötzlichen Erröthen und thränenden Auge des verwundeten Zartgefühls, schnell zu ihrem Mann flog, sich zitternd an seinen Arm hing, und ihn mit einem so sprechenden Blick um seinen Schutz anflehte, daß er ihre Hand zärtlich ergriff, sie mit einem Lächeln des Beifalls ansah, welches ihrer Gegnerin wie ein Dolchstoß ins Herz fuhr, und sagte:

»Soll ich Lady Marian Harley versichern, meine Adelaide, daß Du mit Vergnügen den St. Kildas Walzer tanzen willst, da es ein Lieblingstanz von Ihrer Herrlichkeit zu sein scheint?«

»Wenn Du willst, lieber Montagu, und wenn Capitain Hope nichts dawider einzuwenden hat,« erwiederte Adelaide zitternd.

Bouverie rief nun den Musikanten mit lauter Stimme zu, den St. Kildas Walzer zu spielen, ergriff dann des Herzogs Arm und näherte sich mit ihm im traulichen Gespräch vertieft Adelaiden, die, obgleich bestürzt und betrübt über Lady Marians Bosheit, sich durch Montagus Benehmen bei dieser Gelegenheit so sehr gehoben und erheitert fühlte, daß sie den Tanz freudig begann und mit unnachahmlicher Grazie durchführte.

»Dieser Tanz scheint Mstrß. Bouverie mit sympathetischer Begeisterung erfüllt zu haben,« sagte Lady Marian mit spöttischem Blick und Ton.

»Und Herrn Bouverie ebenfalls,« entgegnete Montagu rasch; »denn ich kann seinem Einfluß nicht widerstehen. Kommen Sie, Mstrß. Warren, Sie sind ja gern lustig. Erbarmen Sie sich meiner und versuchen den fröhlichen Tanz mit mir.«

Ohne sich einen Blick auf Lady Marian zu gestatten, ergriff er Mstrß. Warrens Hand und eilte mit ihr in die Reihen.

Allen Qualen der Eifersucht Preis gegeben, blickte ihm seine Peinigerin nach und überlegte nun, auf welchem andern Wege sie ihr erwünschtes Ziel, Gräfin De Moreland zu werden, erreichen könne. Daß Bouverie keinen Schatten des Verdachts auf seinem Weibe duldete, war ihr klar geworden; und so blieb ihr nichts übrig, als ihn so viel wie möglich der gefährlichen Gesellschaft Adelaidens zu entziehen.

Nach einem schnell entworfenen neuen Operationsplan flog sie gleich nach beendetem Tanz auf Adelaiden zu, sie und Bouverie durch Höflichkeit zu gewinnen, indem sie ihr mit der süßesten Freundlichkeit für die schönen Geschenke an Früchten und andern Viktualien dankte, die sie jedoch nie auf ihren eigenen Tisch gebracht. Denn nicht allein, daß sie Bouveries Beutel durch erdichtete Erzählungen von ihrer unbesonnenen Gutmüthigkeit und Wohlthätigkeit zu verschiedenen Malen geleert, sah sie sich auch zu noch niedrigern Künsten am Spieltisch und zum Verkauf entbehrlicher Gegenstände genöthigt; so waren alle die Vorräthe von Roscoville nach Bexhill und Hastings verkauft worden, in der Ueberzeugung, daß Bouverie zu wenig auf solche Dinge achtete. Doch darin sah sie sich getäuscht, und auf seine Frage: ›Ob dergleichen Sachen nicht von seiner Wohnung nach Marino geschickt worden?‹ mußte sie zu neuen Falschheiten ihre Zuflucht nehmen.

Ihr nächstes Manoeuvre, Montagus Zorn zu besänftigen, bestand darin, Adelaiden auf den folgenden Mittag nach Marino einzuladen, was diese jedoch höflichst ablehnte, indem sie schon längst beschlossen hatte, Lady Marians erste Einladung auszuschlagen; wofür sie Bouverie innerlich lobte.

Oberst Redoubt lud nun Mstrß. Bouverie im Namen seines Corps zu einem Abendessen ein, die späte Invitation damit entschuldigend, daß er Oberst Bouveries Verheirathung nicht gewußt. Doch auch dieß nahm sie nicht an, weil sie zu Lady Melcombes Gesellschaft gehörte und mit dieser zurückkehren mußte.

Der böse Dämon in Lady Marian war unterdessen nicht müßig gewesen. Sie hatte mit scharfem Blick Lord Woodleys Bewunderung Adelaidens bemerkt. Sie kannte ihn als einen Libertin; denn sie war seine erste Lehrmeisterin gewesen, welcher Umstand ihren genauen Umgang mit seinen Eltern aufgehoben. Das in seiner Unterhaltung liegende subtile Gift würde, wie sie hoffte, in so fern auf Adelaidens Gemüth wirken, daß, wenn es sie auch nicht günstig für ihn, doch für den Herzog von St. Kilda stimmte; und zu diesem Zweck wandte sie sich an die Eitelkeit seines jüngern Bruders, Lysander Melcombe.

Dieser junge Mann war durch einen unglücklichen Umstand in seiner Jugend verwahrloset worden; die gütige Natur hatte ihn jedoch für die Mißgestaltung seines Körpers durch innere Vorzüge, hauptsächlich durch ein ausgezeichnetes Talent zur Malerei und Poesie entschädigt. In der erstern Kunst, besonders in der seltnen Gabe ungemein ähnlich zu treffen, fand seine Eitelkeit ihren höchsten Triumph, und diesen Umstand beschloß Lady Marian zu benutzen. Sie erzählte ihm, daß seinem Talent kein größeres Ziel zu erreichen bevorstände, als wenn er die Welt durch das schönste weibliche Portrait, durch ein ähnliches Bild von Mstrß. Bouverie, erfreute, welche, aus einem romantischen Beweggrund, erklärt, sich niemals malen lassen zu wollen. »Und hierzu zu gelangen, bietet sich Ihnen die beste Gelegenheit, wenn Sie Ihre Mutter vermögen können, diese außerordentliche Schönheit nach Melcombe Park einzuladen, während der acht Tage, welche Oberst Bouverie, wie ich eben höre, mit dem General zubringt, die Werke längs der Küste in seinem Distrikt zu besichtigen.«

Lysander, voll Entzücken über die sich ihm darbietende Aussicht, eilte seiner Mutter dieses Projekt mitzutheilen; da nun die Eltern keinen ausführbaren Wunsch des unglücklichen Sohnes unerfüllt zu lassen pflegten, ward Adelaide augenblicklich ersucht, ihnen die Freude ihres Besuchs während des Oberst Abwesenheit zu gewähren, und in so dringenden Ausdrücken, daß es nicht wohl abgeschlagen werden konnte.

Bouverie entschuldigte sich nun, den von Sr. Herrlichkeit erhaltenen Besuch nicht gleich erwiedern zu können, indem er so eben erst erfahren, daß der General eine Besichtigung militairischer Werke für die nächsten acht Tage beschlossen habe. Allerdings war es nicht wohl möglich, früher etwas davon zu wissen, da der General selbst erst vor wenigen Augenblicken die erste Kunde dieser neuen List Lady Marians erfahren hatte.

Die Melcombesche Gesellschaft brach jetzt auf; Montagu begleitete Adelaiden an den Wagen, das späte Abendessen verwünschend. Er versprach, den folgenden Morgen mit ihr zu frühstücken, und nahm hierauf mit einem herzlichen Händedruck Abschied.

Da mehrere Damen einen weiten Weg nach Hause hatten, ward das Soupé bald aufgehoben, und Bouverie mußte Lady Marian noch an ihren Theetisch begleiten, ehe sie ihm gestattete, die ersehnte Ruhe aufzusuchen. Als er nun endlich, voll der Liebenswürdigkeit, Unschuld und Anmuth seines Weibes, in das Schlafzimmer trat, erschien ihm hier alles so öde, unbequem und geschmacklos gegen Adelaidens Einrichtung zu Hause, daß er nicht umhin konnte, diese Bemerkung dem getreuen Lee beim Auskleiden mitzutheilen, welcher die Gelegenheit benutzte, einen Vergleich zwischen der Gebieterin von Castle Cottage (so hieß seine Wohnung) und der von Marino zu machen, der so ungünstig für letztere ausfiel, daß Bouverie beschämt das Gespräch abbrach.

Eine Stunde früher als er verheißen, trat Montagu bei Adelaiden ein, die er schon vollkommen angekleidet und mit dem Frühstück seiner harrend fand.

»Sobald ich von dieser langweiligen Excursion zurück bin, will ich dem General auch nicht länger als Stellvertreter seines albernen Adjudanten dienen, sondern Urlaub nehmen und mit Dir nach Schottland reisen, Mstrß. Falkland dort zu überraschen,« sagte Montagu nach der ersten Begrüßung.

Adelaidens Augen glänzten vor Freude; ihr Herz schlug fast hörbar, und sie glaubte so viel Glück nicht ertragen zu können; doch Bouveries Nachsatz zerstörte gleich wieder die sich ihr eröffnende Aussicht, und der Glanz in ihren Augen erlosch, die Rosen auf ihren Wangen erbleichten. Er verkündete ihr nämlich zögernd, mit sichtlicher Verlegenheit, daß Lady Marian beschlossen, den General nach Verlauf der acht Tage mit ihren Freundinnen, Mstrß. Gayville und Mstrß. Warren, zu überraschen, und ihm den Vorschlag zu machen, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit nach beendeter Arbeit alle Lustörter der Umgegend gemeinschaftlich zu besuchen. »Aber,« fügte er hinzu, »mag diese Abwesenheit auch noch verlängert werden, so wirst Du sie mir hoffentlich durch ein Tagebuch zu verkürzen suchen.«

»Und Du, lieber Montagu, wirst mir gewiß so oft schreiben, als es Dir Deine Geschäfte verstatten,« stammelte Adelaide im Vorgefühl der ihrer wartenden Leiden.

»Jeder Brief von Dir soll pünktlich beantwortet werden, also hängt es von Dir ab, wie oft Du von Deinem unglücklichen Gatten hören willst.«

Unglücklich war Bouverie wirklich, da er bei dem besten Willen, dem festen Vorsatz, seine unvergleichliche Adelaide glücklich zu machen, und ihr Ersatz für alle erlittene Kränkung und Vernachlässigung zu gewähren, nicht die Kraft in sich fühlte, die Ketten der Sirene, die ihn umschlungen hielt, zu zerreißen – ja zu fest von ihrer wahren Liebe, ihrer Verzweiflung bei seinem Verlust überzeugt war, um den ernstlichen Wunsch, sich von ihr loszureißen, zu hegen.

Mit gleichem Widerstreben wie beim ersten Abschied in Twickenham, konnte Montagu sich auch jetzt nicht eher zum Scheiden entschließen, bis der letzte Termin ihn dazu nöthigte. Adelaide schaute ihm mit überströmenden Augen nach, so lange sie seine Gestalt erkennen konnte; dann kehrte sie traurig in ihr Gemach zurück, die erforderlichen Vorkehrungen zu ihrem Besuch in Melcombe Park zu treffen.

 


Neunzehntes Capitel.

Adelaide ward mit zuvorkommender Güte von Lord und Lady Melcombe empfangen; aber so sehr sie auch strebte, ihre Niedergeschlagenheit zu verbergen, entging sie doch den scharfen Blicken Lord Woodleys nicht, der sich in Spöttereien über die Trauer eines liebekranken Herzen bei der achttägigen Trennung von dem theuren Gemahl ausließ. Nicht allein auf diese Weise störte er ihren Genuß im Umgang der Familie, sondern auch durch seine unverholenen Aufmerksamkeiten, von denen sie ihn weder durch ihr würdevolles Betragen, noch durch offenbaren Unwillen zurück zu bringen vermochte.

Die Gesellschaft in Melcombe Park bestand aus denselben Gliedern, wie am Tage zuvor, aus der Familie selbst, den beiden Miß Price (von denen die Jüngere von den Eltern für Lord Woodley bestimmt war), Lord Ennismore und Sir Eduard Fitzallen. Dieser Anbeter Lady Clarindens hatte seit dem Abend vorher keine Aufmunterung von ihrer Herrlichkeit erhalten, nachdem des Herzogs von St. Kilda anziehendes Aeußere, so wie seine Herzogskrone, verbunden mit einem großen Vermögen, auf dem Ball einen unwiderstehlichen Eindruck auf sie gemacht. Da sie sich bewußt war außerordentlich hübsch, vortrefflich erzogen und allgemein bewundert zu sein, zweifelte sie nicht, eine vollständige Eroberung an Sr. Gnaden zu machen, den es jetzt nur galt in das Haus ihrer Eltern zu ziehen.

Ihr erstes Manoeuvre bestand darin, Lady Melcombe am ersten Abend von Adelaidens Besuch zu bereden, das Musikchor in Bexhill spielen zu hören, welchen Vorschlag sie absichtlich in des Herzogs Nähe aussprach. Als dieser am folgenden Morgen seine Aufwartung machte, wohl wissend, daß Adelaide eine ganze Woche in Melcombe Park verweilen würde, ersuchte er die Gesellschaft, ihm die Ehre zu erzeigen, nach der Parade den Thee in einem Zelt einzunehmen, das er auf dem Felsen aufschlagen lassen, und worin er bei dem jetzigen schönen Wetter hoffte, sie öfterer zu sehen.

Nach Bexhill zu gehen, sah sich Adelaide also genöthigt, wo jedoch des Herzogs, so wie jedes andern Mannes Bestreben sich ihr aufmerksam zu bezeigen durch Lord Woodleys Beharrlichkeit vereitelt wurde, bis Miß Stella Lord Melcombe in der höchsten Besorgniß vertraute: ›daß Lord Woodley nächstens eine Ausforderung von Oberst Bouverie zu erwarten hätte, wegen des augenscheinlichen Wohlgefallens, das er an seiner schönen Frau nähme.‹

Lord Melcombe wurde nun aufmerksam; und da er allein im Stande war, seinem ausgearteten Sohn zu imponiren, brachte er ihn durch ernste Vorstellungen so weit, anscheinend zu Miß Stella Price zurückzukehren, während er im Geheim die Hoffnung nicht aufgab, Adelaiden günstiger für seine Liebe zu stimmen.

Wie ganz anders waren die Huldigungen des Herzogs von St. Kilda! immer ehrfurchtsvoll, nie ausschließend und auffallend ihr gewidmet; nur der zitternde Ton seiner Stimme, der trauernde auf sie geheftete Blick verriethen Adelaiden, daß hoffnungslose Liebe noch immer die Brust des unglücklichen jungen Mannes erfüllte.

Nach der Parade führte der Herzog, von den Andern gefolgt, Lady Melcombe in sein Zelt, aus welchem man einer weiten, schönen Aussicht auf das Meer genoß. Eine elegante Collation ward mit vielem Geschmack servirt, während das Musikchor seines eigenen Regiments hinter dem Felsen aufgestellt, ein zauberisches Echo hervorbrachte. Eine schöne Jacht mit zierlich gekleideten Schiffern, ein andres Musikchor enthaltend, lag hinter dem Felsen, vom Wasser aus die schwellenden Töne zu beantworten.

Alles um das Zelt herum athmete Harmonie, und Alles in demselben schien wenigstens dasselbe zu thun; als der schönen Jacht das gebührende Lob gezollt wurde, schlug der Herzog eine Excursion darin für den folgenden Morgen vor und lud die ganze anwesende Gesellschaft dazu ein.

Lady Clarinde nahm voller Entzücken die Einladung für sie Alle an, ehe ihre Eltern noch ihre Beistimmung geben konnten; und so sehr Adelaide auch die unglücklichen Umstände bedauerte, die sie während Bouveries Abwesenheit in des Herzogs Gesellschaft zu sein nöthigten, konnte sie sich doch als Gast der achtungswerthen Familie, deren Schutz sie ihr Gatte übergeben hatte, nicht davon ausschließen.

Die Hörner und Trommeln in den Baracken verkündeten die späte Abendstunde, als man mit der frohen Aussicht eines vergnügten Wiedersehens am folgenden Morgen schied.

Adelaide brachte die Nacht, wie so manche andre unglückliche seit ihrer Verheirathung, in Thränen und heißen Gebeten, ihren Mann vom Verderben zu erretten, zu; und da die Sonne sie noch wachend fand, stand sie auf, ihr Tagebuch für Montagu zu beginnen, weil sie sich nicht eher beruhigt fühlte, bis sie ihm mitgetheilt, wie oft sie während seiner Entfernung genöthigt sein würde, mit dem Herzog in Gesellschaft zu sein. Von Lord Woodleys sie beunruhigenden Aufmerksamkeiten sagte sie jedoch nichts, wohl wissend, welche Gefahr in dieser Entdeckung lag.

Die Frühstücksglocke versammelte die Familie zu dem Morgenmahl, und Lysander vertraute seinen Eltern und Schwestern, daß er die Wasserparthie nicht mitmachen würde, indem seiner Phantasie ein so lebhaftes Bild von Mstrß. Bouverie vorschwebte, daß er nicht säumen dürfte, es sogleich auf die Leinwand zu werfen.

Zur bestimmten Stunde fand sich die Gesellschaft am Ort der Einschiffung ein, voller Erwartung eines heitern, glücklichen Tages. Nur die arme Adelaide hoffte und erwartete nichts, da alle ihre Wünsche und Aussichten sich in dem fernen Gatten concentrirten.

Der Herzog empfing seine Gäste am Strand, von wo aus sie schnell in Kähnen zur Jacht gebracht wurden. Er selbst setzte sich ans Steuerruder, Lady Melcombe zu seiner Rechten, Adelaiden zur Linken, während er den übrigen sechs Damen überließ, sich mit den Gentlemens zu arrangiren. Lady Clarinde billigte jedoch diese, sie von dem Herzog entfernende Einrichtung so wenig, daß sie aus Furcht vor der Seekrankheit einen Tausch mit ihrer Mutter einging, und nun alle Minen springen ließ Sr. Gnaden durch Witz, heitere Unterhaltung und überströmenden Muthwillen zu fesseln.

Sämmtliche Ladys Melcombe und die beiden Miß Price sangen außerordentlich schön, weshalb sie sich auch nicht lange nöthigen ließen, Lord Ennismores Bitte zu erfüllen, und die Harmonie des Tages durch ihre Stimmen zu vermehren. Adelaide aber, obgleich sie durch des Signore Philomelli Unterricht noch an Kunstfertigkeit gewonnen, widerstand den sanften Zuredungen des Herzogs: ihm freiwillig zu gewähren, wodurch sie ihn einst wider ihren Willen in Beechbrook so entzückt, daß die Töne nie aufhören würden, in seinem Innern nachzuhallen; da er aber bemerkte, daß die Erwähnung ihres Gesanges sie verlegen machte, drang er nicht weiter in sie.

Nach einem sehr eleganten, fröhlichen Mahl in der geschmackvoll verzierten Cajüte begaben sich die Damen aufs Verdeck, wohin ihnen die Männer nach einer kurzen dem Bachus geweihten Libation folgten; so kurz sie jedoch gewesen war, hatte sie dennoch Lord Woodleys bis jetzt beobachtete Vorsicht aufgehoben; und er eilte sogleich der schönen Miß Stella seinen Arm zu bieten, die mit Adelaiden und Herrn Monro auf dem Verdeck spazieren ging.

In einem interessanten Gespräch mit Letzterm vertieft, ward unsre Heldin plötzlich unangenehm herausgerissen durch Miß Stellas Aufforderung, ihre Meinung über das Betragen einer Frau zu geben, deren Entweichung von ihrem Mann die Zeitungen des vorigen Tages angefüllt. Lord Woodley hatte sich nämlich zu ihrem warmen Vertheidiger aufgeworfen, indem des Ehemanns überwiesene Vernachlässigung seiner Frau und Huldigung einer andern, ihren Schritt in seinen Augen rechtfertigte.

»Eine sonderbare Art zu entschuldigen,« entgegnete Adelaide sehr ernst. »Nach dieser sophistischen Ansicht ließe sich ein jedes Vergehen aus dem andern herleiten, und am Ende das größte Verbrechen rechtfertigen.«

»Pfui!« rief Miß Stella, »wer wird eine Frau entschuldigen, die ihrem Mann entläuft? Mstrß. Bouverie, sind Sie nicht frappirt und erstaunt, Lord Woodley so sprechen zu hören?«

»Erstaunt nicht,« erwiederte Adelaide.

»Und warum nicht?« fragte Se. Herrlichkeit lachend.

»Ich sah Sie in der Kirche.«

»War mein Benehmen dort nicht sehr erbauend?«

»Ich bemerkte nur Ihren Eintritt.«

»Und was brachte dieser hervor?«

»Das Gefühl, als ob Sie gänzlich vergessen hätten, welchen heiligen Ort Sie beträten.«

»Fahren Sie fort zu predigen, liebenswürdigste der Methodisten! ich will Ihnen aufmerksam zuhören; denn Sie sind göttlich und haben ein Recht zu predigen!« rief Se. Herrlichkeit. »Aber wissen Sie, daß Ihr Bekenntniß, mich in der Kirche bemerkt zu haben, mich zum Eitelsten unter den Eiteln macht?«

»Diesen Umstand verdanken Sie einzig und allein Ihrer lauten Stimme, die unwillkührlich meine Aufmerksamkeit auf sich zog.«

Lord Woodley biß sich in die Lippen. »Sie scheinen heute in einer so offenherzigen Stimmung zu sein, daß ich die Wahrheit von Ihnen zu erfahren hoffe, wenn ich Sie frage, was Sie von mir dachten, als Ihre Aufmerksamkeit rege gemacht worden war?«

»Ich hielt Sie für einen jungen Heiden, der auch gern einmal sehen wollte, in welcher Art von Gebäuden die Christen ihre Andacht verrichten,« entgegnete Adelaide lächelnd.

Miß Stella fand augenscheinlich größeres Gefallen an diesen Antworten als Se. Herrlichkeit, welcher sich wieder zu ihr wandte und das vorige Gespräch fortsetzte; während Adelaide ihre Unterhaltung mit Monro von Neuem anknüpfte, und von ihm Bemerkungen über das vergebliche Streben so mancher jungen Dame in dieser Gesellschaft hörte, die ihr peinlich und in Bezug auf sich selbst und dem Herzog empfindlich waren.

»Liebste Mstrß. Bouverie!« rief Stella, »helfen Sie mir diesen schrecklichen Mann auszanken, der in seiner Entschuldigung Lady Dinghams verharrt.«

»Nein, zanken Sie nicht, sondern richten Sie mild, Mstrß. Bouverie!« sagte der Lord. »Versetzen Sie sich nur einen Augenblick in Lady Dingshams Lage. Stellen Sie sich eine junge Frau vor, die vom ersten Tag ihrer Verheirathung von einem Mann vernachlässigt worden, der seine ganze Zeit und Liebe einer Andern weiht; so nun vernachlässigt und gekränkt findet sich ein andrer, ihren Gatten an innern und äußern Vorzügen übertreffender, sie heiß und aufrichtig liebender Mann, der nichts unversucht läßt, ihr Herz diesem unwürdigen Gatten zu entlocken; und –«

»Mylord!« entgegnete Adelaide fest, »ersparen Sie sich alle ferneren Hypothesen, da es mir ganz unmöglich ist, selbst mit Hülfe der Phantasie, die Möglichkeit des Falls anzunehmen, daß ich einen Mann finden könnte, der den meinigen an innern und äußern Vorzügen überträfe; eben so wenig kann ich glauben, daß ein Mann die Eitelkeit so weit treiben sollte, mit Montagu Bouverie in die Schranken zu treten. Sie sehen also, Lord Woodley, daß ich ganz unfähig bin, in diesem Fall zu richten.«

In diesem Augenblick ertönte die Musik eines Contretanzes; und die jungen Männer, von Tanzlust erfaßt, wandten sich an den Herzog, der auch sogleich Lady Melcombes Zustimmung zur Erfüllung ihrer Wünsche erhielt.

»Mstrß. Bouverie muß den Ball eröffnen,« rief Lady Clarinde, »dort steht mein Vater, brennend vor Verlangen, sich mit Ihnen zu messen, und Sie sind zu gutmüthig, um seinen jugendlichen Flug zu hemmen; auch kann er, da kein königliches Blut in seinen Adern rollt, doch unmöglich mit seiner Frau, seinen Kindern oder Adoptivtöchtern tanzen.«

Die jungen Männer verwünschten Lady Clarindens Vorschlag; Adelaide, aber ging ihn mit der freundlichsten Bereitwilligkeit ein; während Lady Melcombe ihres gütigen Wirths Artigkeit nicht auszuschlagen wagte, und zu Lady Clarindens Zorn und Schmerz des Herzogs Hand annahm. Als aber ihr eigener Bruder ihre Hoffnung für den zweiten Tanz täuschte und Sr. Gnaden gestattete, ihm den Rang bei Adelaiden abzulaufen, glaubte sie die ganze Familie gegen ihren hochfliegenden Plan, sich eine Herzogskrone zu erringen, verbunden; und konnte kaum ihren Unmuth verbergen. Jetzt sollte der dritte Tanz beginnen, für sie ein neues Leben; denn der Herzog mußte ihr nun nothwendig Ersatz für die frühern Täuschungen gewähren. Doch nicht geneigt, auch nur anscheinend in die von Ihrer Herrlichkeit gelegten Schlingen zu fallen, erbat er sich die Ehre von Lady Marie, und überließ sie Sir Eduard Fitzallen. Nachdem diese Tänze beendet waren, erklärte Lord Melcombe es für die höchste Zeit nach Hause zurückzukehren, und Monro prophezeihte die nachtheiligsten Folgen eines längern Aufenthalts auf dem Wasser.

»O, Mutter!« rief Lady Clarinde; »dieser Tag ist zu schön gewesen, um nicht eine Fortsetzung zu wünschen; auch sind Sie viel zu gütig, uns ein grausames Nein entgegenzusetzen. Bedenken Sie, daß Mstrß. Bouverie durch Ihre lange Quarantaine abgehalten worden ist, die Schönheiten unserer Umgebungen kennen zu lernen. Wäre es deshalb nicht möglich, für morgen eine Parthie nach den Fischteichen, den blutenden Felsen und des Geliebten Sitz zu veranstalten?«

»Für morgen nicht, meine Liebe!« entgegnete Lady Melcombe; »denn wie sollte es möglich sein, in so kurzer Zeit die Lebensmittel für diese große Gesellschaft und Deine andern vier Schwestern nebst ihrer Gouvernante herbeizuschaffen?«

»Wie fing es der Herzog an, in eben so kurzer Zeit dieses splendide Gastmahl zu arrangiren?« fragte Lady Clarinde weiter.

»Daß es der Herzog gekonnt, vermehrt die Schwierigkeit für mich; der hier obwaltende Ueberfluß muß nothwendig einen Mangel im Lande hervorbringen.«

»O, Lady Melcombe! erlauben Sie uns auch unsere Beiträge zu diesem Fest zu liefern!« riefen die männlichen Gäste in einem Athem. »Wir gehen morgen mit Tagesanbruch auf den Einkauf aus, und bringen dann die Vorräthe zusammen.«

»Erfülle diese Bitten,« sagte Lord Melcombe, »und gestatte einem Jeden aus der Gesellschaft auf diese Weise zum allgemeinen Besten beizutragen. Dann sei uns vergönnt, den darauf folgenden Tag ein ländliches Fest in unserm eigenen schönen Park zu geben.«

Adelaide seufzte über diese verabredeten Lustparthien in Montagus Abwesenheit, da sie Niemand besser zu verherrlichen verstand, wie er, und solche Tage in seiner Gegenwart für sie die glücklichsten geworden wären.

Ehe noch die Jacht anlegte, war alles eingeleitet und besprochen, darauf trennte sich die fröhliche Gesellschaft im befriedigenden Gefühl einer baldigen Wiederholung solcher heitern Stunden.

Mit Anbruch des Tages verließ Adelaide ihr Lager, den Bericht des gestrigen Tages für Montagu aufzuschreiben und ihn zu bitten, falls er die Zerstreuungen, denen sie hier ausgesetzt, für sie nicht billigen sollte, ohne Verzug nach Hause zu kommen und sie davon zu erlösen.

Lord Woodley benahm sich während des Frühstücks sehr gehalten und zurückgezogen gegen Adelaiden, die in banger Erwartung des verheißenen Briefs von Bouverie kaum bemerkte, was um sie herum vorging. Endlich langte der täglich nach Hastings gesandte Bote mit dem Briefpaket an, und Adelaidens Wangen färbten sich höher, ihr Herz schlug hörbar, ihre Augen folgten ängstlich jeder Bewegung Lord Melcombes, als er die Briefe vertheilte; aber ihr Athem wurde kürzer, ihre Wangen bleicher, als er ihr endlich sagte, daß für sie nichts in dem Paket enthalten sei.

Ihre Augen suchten den Boden, Scham und Trauer beugten ihr Haupt auf die Brust herab, als suchte sie das demüthigende Gefühl, vergessen und vernachlässigt zu sein, zu verbergen; aber sie gebot ihren Thränen und verrieth ihren Kummer nicht eher durch äußere Zeichen, bis die Botschaft, daß einer ihrer Diener mit einem Korb Mundvorrath angelangt sei, ihr Veranlassung gab, das Zimmer zu verlassen. Vielleicht, daß Dennis ihr mit dem Uebersandten von ihrem Koch auch einen Brief von Montagu mitgebracht hatte! Doch nein; und sie mußte von Neuem vier und zwanzig lange Stunden warten. –

Mit Hülfe des Roscovilleschen Beitrags und der Geschicklichkeit des Kochs in Castle Cottage ward Lady Melcombe in den Stand gesetzt, ihre große Hausgesellschaft reichlich zu versorgen. Die junge Männerwelt erfreute sich des angenehmen Zuwachses des Familienkreises, der durch die Ladys Ellen, Louise, Georgine und Benedikte entstanden. Sie waren sämmtlich hübsch, besonders die nun in ihrem achtzehnten Jahre stehende Ellen, für welche Lady Marian Adelaiden gehalten.

Bis Hastings ging der Zug zu Wagen; dort stieg man aus, den schlechten, aber kurzen Weg bis zu den Fischteichen zu Fuß zurückzulegen. Adelaidens selbst erwählte Gefährten während dieser Wanderung und eines langen Ausruhens waren Lady Melcombe und ihre Tochter Ellen; da sich der Herzog diesem Trio hauptsächlich widmete, sah Lady Clarinde kein andres Mittel, sich seiner Gesellschaft zu versichern, als Adelaiden an ihre Seite zu ziehen, was ihr denn endlich nach langem Manoeuvriren gelang.

Jetzt gab Lord Melcombe das Zeichen zu ihrem nächsten Bestimmungsort, dem Sitz des Geliebten, aufzubrechen, und Lady Clarinde hatte sich geschickt des Herzogs Beistand zum Herabsteigen des steilen Abhangs zu sichern gewußt, den er ihr jetzt doch nur widerstrebend, und nachdem er sich erst überzeugt, daß Adelaide eines starken Schutzes genösse, gewährte. Von hier ging es wieder zurück zu den Fischteichen, wo eine Menge Köche beschäftigt waren, den reichlichen Vorrath, der eine kleine Armee gesättigt haben würde, zum Mittagsmahl einzurichten.

Den Vorbereitungen folgte ein heiteres Mahl. Adelaide theilte nur äußerlich den Schein der allgemeinen Fröhlichkeit, während ihr Herz traurig war. Denn an diesem Orte hatte Montagu eben einen solchen Tag mit Lady Marian verlebt! –

Die Sonne ging der glücklichen Gesellschaft zu früh unter; doch sorgte Lady Melcombe durch die Einladung, den Thee in ihrer Behausung einzunehmen, für Verlängerung der Freude, wofür ihr Alle, besonders aber der Herzog von St. Kilda, dankbar waren, dessen stumme Verehrung sich durch tausend kleine Aufmerksamkeiten gegen Adelaiden äußerte.

Clarinde war in ihrem leichtsinnigen Bestreben, den Herzog in ihren Kreis zu bannen, und wo möglich der kalten, dem flatterhaften Gatten mit eiserner Treue anhängenden Adelaide zu entziehen, so weit gegangen, Se. Gnaden ohne ihrer Eltern Beistimmung zum folgenden Mittag einzuladen, hoffend, ihn auf diese Weise auch zum Begleiter einer Morgentour nach Winchelsea zu erhalten. Lady Melcombe, sehr entrüstet über der Tochter eigenmächtiges Benehmen, von dessen fruchtloser Tendenz ihr klarer Blick sie überzeugte, hatte Clarinden ihren Unwillen nicht verhehlt; um jedoch nicht zu verrathen, daß die Tochter die Honneurs für sie gemacht, wußte sie einen schicklichen Vorwand für diese Einladung zu finden, vermied aber, dem Herzog etwas von der beabsichtigten Fahrt nach Winchelsea zu sagen, als Clarinde, hiermit nicht zufrieden, ausrief:

»O, Mutter, wie Sie mich täuschen! Ich hatte mich so sehr gefreut, in des Herzogs Currikle morgen früh nach Winchelsea zu fahren, um ihm auf dem Weg dahin zu zeigen, wo einige unserer Schönheiten leben, da er gestern so unhöflich gegen die Nachbarschaft gewesen, zu behaupten: er hätte alle Schönheiten der ganzen Grafschaft in Melcombe Park versammelt gesehen.«

Der Herzog war zu sehr dabei interessirt, mit Adelaiden in Gesellschaft zu sein, als daß er diese günstige Gelegenheit hätte unbenutzt vorüber gehen lassen. Deshalb ersuchte er Lady Melcombe mit vieler – Galanterie ihm zu gestatten, den Wunsch ihrer liebenswürdigen Tochter zu erfüllen; und Adelaide bat für Lady Ellen um Erlaubniß, den leeren Platz im Wagen einnehmen zu dürfen, da sie sich mit der Hoffnung schmeichelte, des Herzogs Neigung auf diese Tochter Lord Melcombes übergehen zu sehen, von welcher er behauptete, daß sie einige Aehnlichkeit mit unsrer Heldin hätte.

 


Zwanzigstes Capitel.

Obgleich Bouverie so wenig Pünktlichkeit im Schreiben gezeigt hatte, stand Adelaide doch mit der Sonne auf, ihr Tagebuch fortzusetzen; und als die Frühstücksglocke die Familie zusammen berief, folgte sie ihr mit klopfendem Herzen, in ängstlicher Erwartung, was ihr die heutige Post bringen würde.

Sie brachte ihr einen Brief von Montagu, mit dem sie gern in ihr Zimmer geflogen wäre, ihn ungestört zu lesen; da aber Niemand den Zirkel verließ, seine Episteln zu studiren, hielt auch sie die Scham zurück, und sie las wie folgt:

»Wenn Du halb so viel Schmerz beim Scheiden empfunden hättest, wie ich, würdest Du Dein Versprechen, mir zu schreiben, nicht unerfüllt gelassen haben.

Wir gehen diesen Morgen nach Seaford; aber ich habe Lee zurück nach Eastbourne geschickt, zu fragen: ob der heiß ersehnte Brief von Dir dort angekommen ist? Sollte er keine Nachricht von Dir mitbringen, nehme ich augenblicklich meinen Abschied vom General und fliege zu Dir, zu erforschen, ob Krankheit Dein Schweigen verursacht hat. Bringt mir Lee aber gute Botschaft, wornach sich mein Herz sehnt, dann, meine Adelaide, werden noch einige Tage vergehen, bis Dich wiedersieht

Dein

ängstlicher, Dich zärtlich liebender Gatte
Montagu Bouverie

Adelaidens Betrübniß, daß Montagu ihren ersten Brief nicht erhalten hatte und deshalb in Sorge gerathen war, sprach sich so deutlich in ihren Zügen aus, daß Lord Woodley daraus den falschen Schluß zog, der Brief sei unfreundlich gewesen und in seinem gewöhnlichen scherzenden Ton ausrief:

»Ich hoffe, liebenswürdige Mstrß. Bouverie, daß des Obersten Brief dem alten Sprichwort: kurz und gut, entspricht; denn er scheint in der That so kurz wie möglich.«

Adelaide erröthete aus Unwillen über diese Bemerkung; einen Augenblick kämpfte ihr Zartgefühl, ob sie Montagus ausgesprochene Liebe und Angst profanen Blicken Preis geben, oder ihn in dem Verdacht, ein unaufmerksamer, unbeständiger Gatte zu sein, lassen sollte. Aber sein Ruf besiegte ihre Delikatesse, und nach einem kurzen Besinnen entgegnete sie lächelnd:

»Ich bin so glücklich, ihre Neugier befriedigen zu können. Sie mögen aus diesem kurzen Briefe lernen, wie ein mit militairischen Geschäften überhäufter Ehemann Zärtlichkeit mit Kürze zu verbinden versteht.«

Lord Woodleys peinliche Neugier überwog sein Schicklichkeitsgefühl; er griff nach dem dargebotenen Brief, nachdem er nun die lakonischen Zeilen drei Mal gelesen, und jeden Ausdruck genau erwogen hatte, reichte er ihn Adelaiden mit der Miene getäuschter Erwartung, aber mit einer Spötterei über das Billet hin und verließ schnell das Zimmer.

Sobald es der Anstand erlaubte, flog Adelaide in die Einsamkeit, ihren Schatz ungestört zu lesen, sich an Montagus Zärtlichkeit zu erfreuen, und mit ihm zu trauern über seine getäuschte Erwartung; doch tröstete sie sich mit der Hoffnung, daß er jetzt ihre zwei ausführlichen Briefe erhalten haben müsse und völlig beruhigt sein würde. Indem mahnte sie die Uhr an ihre Toilette zur Fahrt nach Winchelsea; und nachdem, sie sich schnell angekleidet, eilte sie hinunter in den Salon, wo sie zu ihrem Erstaunen und Verdruß den Herzog von St. Kilda allein fand.

Obgleich sie sich gern augenblicklich wieder zurückgezogen hätte, schien es ihr doch nicht gerathen, Furcht über dieses zufällige Zusammentreffen zu verrathen, weshalb sie ihm mit möglichster Unbefangenheit entgegentrat und einen guten Morgen bot.

Der Herzog gewahrte den heitern Blick, den Glanz der Augen, so verschieden von ihrem Ansehen am vorigen Tage; sein Herz schlug voll freudiger Hoffnung, bis ihm ein Gedanke der Wahrheit aufging, und er mit schwankender Stimme fragte: ›Ob sie Nachricht von Oberst Bouverie erhalten?‹

Adelaidens bejahende Antwort bleichte die höher gefärbten Wangen des liebekranken Herzogs, und sein Busen hob sich schwer, als er kaum hörbar die Worte herausstieß:

»O, wie deutlich sprechen Ihre Züge es aus! glücklicher, glücklicher Bouverie!«

Der Ton, womit diese Worte ausgesprochen wurden, erfüllten Adelaidens Herz mit dem innigsten Mitleid; und fürchtend, ihn auf diese Weise fortfahren zu hören, stand sie rasch auf und entschuldigte sich erröthend, ihn verlassen zu müssen, indem sie ihr Taschentuch in ihrem Zimmer vergessen.

»Nein, Mstrß. Bouverie, nein; Sie brauchen mich nicht zu verlassen,« rief der Herzog traurig. »Sie haben nichts vergessen. Nur mein Gedächtniß ist anzuklagen; aber vergeben Sie mir. Das volle Herz ist manchmal schwer zum Schweigen zu bringen; doch ich versprach, Sie nie wieder zu beleidigen, und will versuchen, mein Versprechen treu zu halten.«

Da Adelaide sah, daß ihr Versuch zu gehen, richtig verstanden worden war, setzte sie sich nieder und begann ziemlich verlegen ein Gespräch über die vorhabende Excursion, worauf der Herzog mit einem traurigen Lächeln erwiederte: ›Er glaubte, Lady Clarinde würde gewiß gern ihrem Platz in seinem Currikle entsagen, wenn sie voraussehen könnte, wie sehr er in seiner melancholischen Stimmung dieses Alleinsein fürchtete.‹

»Ich halte es im Gegentheil für das herrlichste Mittel, der Langenweile zu entgehen,« erwiederte Adelaide.

»Mstrß. Bouverie, dieß ist nicht Ihre wahre Meinung über Lady Clarinde,« rief der Herzog.

»Ich kenne sie zu wenig, um mir ein Urtheil über ihren Charakter anzumaßen,« sagte Adelaide eine Thür öffnend, welche hinaus in den Garten führte und Lady Ellen entgegengehend, die aus einem Gewächshaus mit einem Körbchen Blumen kam; »aber hier ist ein Gemüth, werth analysirt zu werden; und ich möchte das Studium desselben jedem Mann rathen, der sich nach häuslicher Glückseligkeit sehnt.«

»Mein Wunsch, meine Sehnsucht ward vereitelt!« sagte der Herzog mit Nachdruck. »Die genauere Prüfung dieses liebenswürdigen Gemüths ist kein Geschäft für mich. – Die Welt enthält nur eine Adelaide.«

Diese beschleunigte ihre Schritte, ergriff Ellens Arm und führte sie wieder in den Salon zurück, wo sie ihre Blumen auf dem Tische ausbreitete und Se. Gnaden mit holdem Erröthen und kindlicher Naivität aufforderte, die schönsten Blumen für Mstrß. Bouverie auszusuchen.

»Wenn sie Bezug haben sollen, Lady Ellen,« entgegnete der Herzog, »so müssen wir sie nicht allein aus den schönsten, sondern auch aus den lieblichsten heraussuchen.«

»Das wollen wir,« erwiederte Ellen mit einem so anmuthigen Ausdruck, daß der Herzog sie freudig erstaunt anblickte. In diesem Augenblick trat Lady Clarinde herein und rief, der Stimmung eine andere Richtung zu geben:

»Mein Gott! wie malerisch Ellen und Se. Gnaden beschäftigt sind! ich vermuthe, sie ordnen die Blumen unsern Weg nach Winchelsea zu bestreuen.«

»Nicht ganz so,« sagte Ellen, »der Herzog wählt auf meine Bitte einen Blumenstrauß für Mstrß. Bouverie aus; die übrigen Blumen sind zu kleinen Bouquets für Mutter, Miß Price, Marie und Emma bestimmt.«

Der Herzog hatte unterdessen zwei ganz gleiche Sträuße aus dem schönen Vorrath erwählt, die er Adelaiden und Ellen überreichte; da er keinen Unterschied in ihrer Zusammensetzung gemacht, nahm Erstere ihn mit einem dankbaren Lächeln an, und steckte ihn an die Brust, wie auch Lady Ellen gethan.

Des jungen Mannes Herz schlug höher, so wie auch Lady Clarindens; das seinige aber voll Hoffnung und Freude, das ihrige voll Angst und Verdruß. Zehn tausend Blumensträuße würde sie ihm gestattet haben, Adelaiden zu schenken; denn hier wußte sie seine Leidenschaft hoffnungslos; aber einem andern, jüngern und hübschern Mädchen den Vorzug vor sich geben zu sehen, erfüllte sie mit Verdruß, den sie unter mancherlei Scherzen und Beziehungen zu verbergen strebte. Zum Glück unterbrachen Lord Woodley und Miß Price bald darauf die erzwungene Unterhaltung, und die Gesellschaft brach nach Winchelsea auf, von wo sie zu einem heitern Mittagsessen zurückkehrten.

 

Von süßen Träumereien künftigen ungetrübten Glücks erfüllt schlief Adelaide, nachdem sie Bouveries Brief noch einige Mal durchgelesen, ein und fügte am folgenden Morgen ihrem Tagesbericht das herzlichste Bedauern über das Ausbleiben ihrer Pakete hinzu. Die Erwartung, heute wieder von ihm zu hören, blieb unerfüllt; doch suchte sie sich mit der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens zu trösten, indem sie aus seinem Schweigen schloß, daß er unterwegs sein müsse.

Alle benachbarten Familien in der Umgegend von Melcombe Park, so wie die Officiere von Bexhill waren zu dem ländlichen Fest eingeladen; und der Herzog von St. Kilda befand sich unter den Gästen, die sich am frühesten einstellten. Um sich seiner Unterhaltung zu versichern, ergriff Lady Clarinde die Maaßregel, Adelaidens unzertrennliche Gefährtin zu sein, und jeder Versuch von Letzterer, Lady Ellen mit in ihren kleinen Kreis zu ziehen, scheiterte an den schlauen Listen der eroberungssüchtigen Schwester.

Ein Halbcirkel offener Zelte war in dem schönsten Theil des Parks aufgeschlagen, in welchem gegen hundert Personen ein elegantes Mahl einnahmen, und das Musikchor von Bexhill das Ohr durch Zaubertöne entzückte.

Nach dem Essen, als sich die Gesellschaft in kleine Gruppen zerstreute, gelang es Adelaiden endlich, sich von Lady Clarinde loszumachen und Zuflucht bei ihren Schwestern Marie und Ellen zu finden; doch nicht lange sollte sie sich dieser Freiheit erfreuen, indem Lord Melcombe sie ersuchte, einen Walzer mit ihm zu tanzen, was sie dem Herrn des Hauses nicht abzuschlagen wagte, und so führte er sie hierzu auf einen freien Platz, der von unzähligen Zuschauern umringt war. Da die schnelle Bewegung des Tanzes dem Lord nicht gestattete lange Theil daran nehmen zu lassen, so überließ er dem Herzog seinen Platz, der in diesem Nationaltanz excellirte.

Nachdem man etwa eine Stunde im Freien getanzt hatte, versammelte der Thee die Gesellschaft noch einmal in den Zelten, und dann sollte der eigentliche Ball im Hause beginnen.

Auf dem Wege dahin bemerkte Adelaide ihre getreue Norah, die sich seitwärts gestellt hatte, ihrer Gebieterin zuzuflüstern, daß sie einen Brief für sie erhalten habe.

Ohne weiter zu forschen, flog sie in ihr Zimmer, wohin ihr die athemlose. Wärterin gefolgt war, die ihr nun den Brief widerstrebend reichte und hinzufügte:

»Ich fürchte, dieser Brief wird Ihr Verlangen, ihn erhalten zu haben, nicht befriedigen.«

Adelaidens Hand zuckte und kaum war sie fähig, weiter zu fragen.

»Ich habe Ursache zu vermuthen, daß er keine angenehme Nachrichten enthält,« sagte Norah, das geliebte Kind zärtlich an sich drückend.

»O, sage mir Alles – Alles! Eine Unfreundlichkeit kann ich unmöglich von Montagu erwarten.«

»Meine Nachricht ist von Dennis,« entgegnete Norah, »welcher hier ist und vom Reitknecht erfuhr, daß der Herr diesen Morgen in größter Hast, nachdem ihm die Post wieder nichts von Ihnen gebracht, von Seaford abreisete und im vollen Galopp hierher kam, wo er im Gasthofe abstieg und Richard nach Hause schickte. Dieser hatte aber kaum angefangen das Pferd zu putzen, als der Oberst zu Fuß in Castle Cottage ankam und so geisterartig aussah, daß sich Dennis entsetzte.«

»Ach Gott, mein Gatte ist krank! Grausame Norah, mir dieß nicht gleich zu sagen,« rief Adelaide, im Begriff ihm nachzueilen.

»Nicht körperlich, mein theures Kind, wohl aber von einer innern bösen Krankheit ergriffen. Er befahl Richard augenblicklich aufzusitzen und ihm einen Wagen mit vier Postpferden zu besorgen, um gleich zu dem General zurückzukehren. Bis der Wagen kam, lief er wie sinnlos im Zimmer umher, schrieb dann schnell einen Brief, gab ihn Dennis mit dem strengen Befehl, sogleich damit zu Ihnen zu eilen und war nicht zu bewegen, einen Bissen zu sich zu nehmen, obgleich er seit dem Frühstück nichts genossen. Als er in den Wagen sprang, befahl er Richard, morgen früh um fünf Uhr mit den Pferden nach Seaford aufzubrechen. Dennis kam sogleich mit dem Brief hierher, den ich Ihnen gern erst später gegeben haben würde, wenn ich nicht geglaubt, daß Sie eine Antwort durch Richard zu schicken gedächten.«

Adelaidens Bewegung war so heftig, daß ihre zitternden Hände kaum den Brief zu öffnen vermochten; doch als sie die schwankenden, unleserlichen Schriftzüge erblickte, schienen ihre Sinne sie verlassen zu wollen, und erst nachdem sie sich wieder etwas erholt, war sie im Stande zu lesen wie folgt:

»Wenn Du bedacht hättest, wie elend mich Dein unverantwortliches Schweigen machen würde, glaube ich nicht, daß Du darin hättest beharren können.

Im festen Glauben an Deine Treue, Güte und Vortrefflichkeit mußte ich befürchten, daß Du nur durch Krankheit abgehalten worden, mir zu schreiben; in diesem irrigen Wahn beleidigte ich meine besten Freunde und flog, Dir in Deiner Krankheit oder anderm Unglück den Trost eines zärtlichen Gatten zu geben. Aber wie fand ich Dich? Wie ein getreuer Bericht mir gesagt: als den Abgott der allgemeinen Bewundrung, als eine treulose Frau, die über den Huldigungen frecher Wüstlinge und listiger Verführer alle Erinnerung an ihren fernen Gatten verloren hatte!

O, Adelaide! Während ich Dich krank oder traurig zu finden glaubte, sah ich Dich tanzend, den öffentlichen Blicken Preis gegeben und begierig der Unterhaltung meines gefährlichen Nebenbuhlers lauschend! Aber vernimm von mir, wenn Du die Vorschriften des liebenswürdigen Falklands, das Beispiel Deiner verklärten Mutter vergessen haben solltest, daß der Herzog von St. Kilda nicht ungestraft triumphiren wird.

Ich kehre nun zurück zu den Freunden, die meine Gefühle nie getäuscht haben, die mir nie durch grausame Vernachlässigung den Dolch ins Herz stießen! Ich gehe, Adelaide, ohne Dich zu sehen, ohne Dich zur Rede zu stellen; denn, wenn Du eines Gatten kräftigen Arm bedarfst, Dich von dem Abgrunde zu Deinen Füßen wegzureißen, ist Deine Ehre nicht der Anstrengung werth, sie zu erhalten.

O, Adelaide! Wenn Dein Charakter sich »als ein betrügerischer erweis't, mögen die Sterblichen in Zukunft an der Engel Reinheit verzweifeln!

Nichts, nein, nichts als Dein barbarisches Schweigen, Deine grausame Wortbrüchigkeit konnten mich vermögen, den Berichten Derjenigen Glauben beizumessen, welche Gelegenheit hatten, Dich zu beobachten seit der Abreise

Deines

vergessenen Gatten
Montagu Bouverie

Keines Wortes mächtig, die überströmenden Augen fest auf das Unglücksblatt gerichtet, saß Adelaide, nachdem sie den Brief gelesen. Die treue Norah sah nun wohl, daß er mehr als Unfreundlichkeiten enthalten, und im ersten Gefühl der Aufwallung äußerte sie sich hart über den Schreiber, welchen Adelaide durch das Ausbleiben ihrer Briefe, so wie durch ihre anscheinende Fröhlichkeit bei dem belauschten Tanz möglichst zu entschuldigen und zu rechtfertigen suchte. Um dieses, ihrem Herzen so schmerzliche Gespräch abzubrechen, sandte sie die Wärterin an Dennis ab, ihn so lange zurückzuhalten, bis sie einen Brief an Bouverie geschrieben, welchen Richard seinem Herrn eigenhändig übergeben sollte.

Obgleich fest entschlossen, Melcombe Park mit allen seinen unglücklichen Festlichkeiten den nächsten Morgen zu verlassen, wußte Adelaide doch nicht, welchen Vorwand sie ersinnen sollte, um ihre gütigen Wirthe nicht zu beleidigen und Montagu keinen Tadel zuzuziehen, als Lady Ellen erschien, sich nach Mstrß. Bouveries Befinden zu erkundigen, deren längere Abwesenheit Besorgniß erregt hatte; und da Adelaidens Aussehen allerdings von großer innerer Bewegung zeugte, bat sie ihre junge Freundin, sie bei Lord und Lady Melcombe zu entschuldigen, indem unangenehme Nachrichten aus der Ferne sie so aufgeregt, daß sie sich unfähig fühlte, in der Gesellschaft zu erscheinen. »Es giebt,« fügte sie hinzu, »in manchen Familien Ereignisse, die auch den vertrautesten Freunden ein Geheimniß bleiben müssen. So auch der Inhalt meiner Briefe, der mich jedoch zugleich nöthigt, ein Haus zu verlassen, in welchem mir so viel Liebe und Güte erwiesen worden.«

Lady Ellen bat Adelaiden, nur jetzt nicht gleich zu scheiden, sich nicht mit ihrem Kummer allein in die Einsamkeit zu vergraben; als sie ihr aber versicherte, daß die Pflicht dieses Opfer heischte, daß sie nothwendig in ihre Heimath zurückkehren müßte, ließ sich Ellen endlich bereit finden, ihren Eltern diesen Vorsatz mitzutheilen.

Adelaide begann nun ihren Rechtfertigungsbrief, in welchem, obgleich sie sich im Gefühl verwundeter Unschuld tief gekränkt fühlte, doch kein Unmuth, kein Vorwurf, keine Härte ihrer Feder entfloß. Es war ja ihr Gatte, an den sie schrieb, ein innigstgeliebtes Wesen, das durch Verläumdungen irregeleitet, den Charakter seines Weibes mißverstand. Ihre Rechtfertigung war kurz und würdig, lauter Thatsachen enthaltend; um jedoch zu verhindern, daß ihre beiderseitige Ruhe nicht wieder durch falsche Berichte gestört würde, verkündete sie ihren Entschluß, Melcombe Park den folgenden Tag zu verlassen und nach Castle Cottage zurückzukehren, wo es wenigstens ihre eigene Schuld sein würde, wenn sie während seiner Abwesenheit Gäste annähme, die er möglicherweise mißbilligen könnte.

Noch mancher Versuch ward von Seiten des Herrn und der Frau vom Hause gewagt, Adelaidens Vorsatz wankend zu machen; da Lady Melcombe jedoch endlich aus ihren Antworten auf so manche verfängliche Frage ersah, daß Oberst Bouverie Schuld an seines Weibes Kummer und schnellem Entschluß war, drang sie nicht weiter in sie, und so ward ihre Abreise auf den folgenden Morgen festgesetzt.

Mit den unverkennbaren Spuren einer in Trauer verlebten, schlaflosen Nacht, erschien Adelaide beim Frühstück und zog das allgemeine Mitleid auf sich, bis ein neuer, der Familie näher liegender Schmerz die Aufmerksamkeit von ihr ablenkte. Nachdem man nämlich auf Lysanders Erscheinung gewartet hatte, sandte seine besorgte Mutter einen Diener in sein Zimmer, welcher mit der Nachricht zurückkehrte, daß er in der vergangenen Nacht nach Schottland entflohen sei, sich dort heimlich zu vermählen. Ein Brief an seinen Bruder war das Einzige, was er zurückgelassen.

Lady Melcombe fiel in Ohnmacht bei dieser, ihr so unvorbereitet beigebrachten Schreckenspost, und während sich ihr Gatte und ihre Töchter bemühten, sie ins Leben zurückzurufen, öffnete Lord Woodley seinen Brief. Immer bleicher wurden seine Wangen, immer starrer sein Blick, indem er die verhängnißvollen Zeilen durchflog. Plötzlich, wie ein Wahnsinniger aufspringend, wollte er das Zimmer verlassen; aber die Kräfte verließen ihn, und er stürzte leblos zu Boden.

Der Brief enthielt die Bitte, ihm brüderlich beizustehen, die beleidigten Eltern mit seinem Schritt zu versöhnen und ihm ihren Segen zu seiner Verbindung mit der Tochter eines armen Pächters in der Nachbarschaft zu verschaffen, deren Schönheit ihr einziger Vorzug war. Daß dieses unglückliche Geschöpf eine verlassene, entehrte Geliebte Lord Woodleys war, die ihrem schändlichen Verführer Rache gelobt und seinen leichtgläubigen, nichts ahnenden Bruder dazu vermocht hatte, sie durch eine Heirath wieder zu Ehren zu bringen, erfuhr der Vater aus den einzelnen, von Reue und Entsetzen erfüllten Anklagen des unglücklichen Sohnes. Aber kaum waren seine Sinne ganz wieder hergestellt, als er in wilder Hast den Flüchtlingen nacheilen wollte, seinen armen bethörten Bruder wo möglich noch von dem schrecklichen Loos zu befreien, als Deckmantel der Schande eines verführten Mädchens zu dienen. Lord Melcombe, fürchtend, ihn in diesem halb wahnsinnigen Zustand allein die Entflohenen verfolgen zu lassen, beschloß ihn zu begleiten, und Lord Ennismore erbot sich, ihm Gesellschaft zu leisten.

Nachdem sie fort waren, faßte Lady Melcombe den Entschluß, sich sogleich nach ihrem Familiensitz in Yorkshire zu begeben, woselbst sie frühere Nachrichten zu erhalten hoffen konnte als in Sussex. Da Mstrß. Bouverie denselben Morgen noch das Schloß verlassen wollte, die beiden Miß Price aber mit nach Yorkshire gingen, blieb nur Sir Eduard Fitzallen zurück, in dessen Augen das Unglück der Familie als eine hinreichende Entschuldigung diente, ihn um die Abkürzung seines Besuchs zu bitten.

Niemand widersetzte sich der beabsichtigten Reise, als Lady Clarinde, die sich in nutzlosen, vergeblichen Klagen über diese unpolitische Maaßregel erschöpfte, wodurch ihr alle Hoffnung benommen würde, Herzogin von St. Kilda zu werden. Auch mußte sie die Demüthigung erleben, Sir Eduard Fitzallen, dessen Bewerbung sie erst noch kürzlich so sehr begünstigt hatte, ihn mit nach Melcombe zu locken, seine Neigung auf Lady Emma übertragen zu sehen, indem ihre Coquetterie und ihr unweibliches Benehmen gegen den Herzog ihn gänzlich von ihr abgezogen.

Nachdem Adelaide der trauernden Familie ein herzliches, dankbares Lebewohl gesagt, kehrte sie nach Castle Cottage zurück, dort in stiller Ergebung Montagus Rückkehr oder einen freundlichern Brief als Antwort auf ihre Rechtfertigung zu erwarten; doch dieser Tag sowohl, wie der darauf folgende verstrich, ohne ihre Hoffnung zu erfüllen, und als sie endlich ihren Kutscher nach Marino sandte, zu erfahren, wann die Familie des Generals zurückerwartet würde? erhielt sie die trostlose Nachricht, daß so eben Befehl an den Haushofmeister ergangen, die Einrichtungen zur Ankunft der Herrschaft fürs Erste einzustellen, indem Lady Marian gefährlich krank gewesen, und obgleich jetzt außer Gefahr doch noch zu schwach wäre, die Reise nach Marino ertragen zu können.

Es blieb der unglücklichen, von Angst gefolterten Adelaide nun kein Zweifel übrig, daß Montagu aus Besorgniß für das Leben und die Wiederherstellung der geliebten Lady Marian, seine lang vernachlässigte, ihm treu ergebene Gattin ganz vergessen hatte.

 

Ende des zweiten Theils.

 


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