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Die sanften Strahlen des Mondes erhellten den einsamen Weg eines Reiters, der, verloren in Bewunderung über den herrlichen Anblick des silbernen Wiederscheins auf der unbewegten Meeresfläche, langsam den steilen Abhang hinunter ritt, dessen schmaler Pfad sich in mannigfachen Krümmungen an dem prächtigen Portal des gothischen Schlosses De Moreland bis an das steinige Ufer des kleinen, aber romantisch gelegenen Dorfes Seaview, an der Küste von Kent, hinabschlängelte, als plötzlich ein Mann aus dem dicken Gesträuch hinter den Mauern hervorsprang und ausrief:
»Mein Herr! darf ich fragen, ob es schon 10 Uhr ist?« Der Reiter war erschrocken. Der abgelegene Ort, die Art der Anrede und der unverkennbar irländische Accent ließen ihn vermuthen, daß es dem Frager mehr um die Uhr selbst, als um die Kunde der Zeit zu thun sei. Doch von Natur mit hinlänglicher Geistesgegenwart begabt, erwiederte er ohne Besinnen:
»Darüber soll Euch gleich Bescheid werden, mein guter Freund! wenn ich nur erst diese Pistole herausgezogen habe, um zur Uhr zu gelangen. Wartet einen –«
Aber ehe er noch seine Rede beendet hatte, sprang der Irländer an ihn heran, und ergriff ohne Scheu vor der ihm drohenden Gefahr die bewaffnete Hand, indem er ausrief:
»Flöten und Nachtigallen! Das ist ja, so wahr ich lebe, Doktor Falklands Stimme!«
»Mein Name ist in der That Falkland; aber wie komme ich, oder meine Stimme dazu, von Euch gekannt zu sein?«
»Ich werde doch Eure Gnaden nicht vergessen, so lange noch Athem in mir ist! Waren Sie es denn nicht, der mir nach dem Wettrennen in Dünkirchen mein kostbares Bein abgeschnitten?«
»Es thut mir leid, Eure Dankbarkeit durch keinen bessern Dienst erworben zu haben, mein guter Freund; aber jetzt erinnere ich mich Eurer auch. Seid Ihr nicht der Dragoner, der auf unsrer Reise nach jener unglücklichen Expedition mit Gefahr seines eigenen Lebens das seines Generals rettete, welcher unnöthige, wenn nicht unverantwortliche Grausamkeit an Euch verübt hatte?«
»Ach! lassen Sie mich der Sünden meines Lebens nicht gedenken! Und gewiß ist die Rettung dieses Mannes eine der größten, die ich jemals beging. In ihm erhielt ich eine Geißel für manchen braven Jungen, und obendrein einen unglücklichen Befehlshaber, der durch seinen bösen Stern und seine halsstarrigen Irrthümer manchen tapfern Cameraden ins Elend und in ein frühes Grab stürzte.«
Falkland seufzte aus tiefer Brust, und der Irländer fuhr fort:
»Und ich selbst kam, wie des alten Aspenfields Unternehmungen, von diesem unglücklichen Tag an nicht wieder auf einen grünen Zweig. Denn verlor ich nicht mein gutes, gerades Bein? Sah ich nicht meine wackern Cameraden geschlagen? und mußte ich nicht einer Profession entsagen, die ich herzlich liebte, und mich in dem Alter von zwanzig Jahren als Krüppel, wie einen alten Veteran, in das Hospital von Kilmainham stecken lassen? Und ach! ein noch weit größerer Gram ist es für mich, hier in einem fremden Lande zu sein, und meinen geliebten Capitain als einen kalten Leichnam in seinem Sarg zu erwarten; und den schönsten Juweel der Welt, Mistreß Bouverie als trostlose Wittwe mit ihrer Waise ankommen zu sehen! O, daß der arme Dennis O'Rourke es erleben mußte, von solchem Gram getödtet zu werden!« – Bei diesen Worten brach er in Thränen aus.
»Welches Capitains Leichnam? welche Wittwe mit ihrem Kinde erwartet Ihr in jenem Schiff landen zu sehen?« rief Falkland mit ängstlicher Theilnahme.
»Ach! Euer Gnaden! Dort in der Trauer verkündenden Brigg liegen die Ueberreste des tapfern, des guten, des jungen, des edlen Capitains Montagu Bouverie.«
»Das verhüte der Himmel!« entgegnete Falkland voll Entsetzen. »Die letzten Nachrichten von den Wunden dieses tapfern Helden lauteten ja sehr günstig?«
»Waren aber falsch!« erwiederte Dennis im bittern Schmerz: »denn jetzt ist er ein kalter Leichnam, herübergesandt von Harwich, von seinem Großvater, einer wahren Hyäne, ans Ufer geschmuggelt in finstrer Nacht, um heimlich ins Grab gelegt zu werden, wie Einer, der sich selbst den Hals abgeschnitten, und dessen Freunde sich schämen, ihn zu betrauern; und ohne einen Schuß der Welt zu verkünden, daß jetzt ein Held begraben wird. Aber könnte ich nur eine alte Doppelbüchse erbetteln, erborgen, oder zu diesem Zweck meinetwegen auch stehlen, so wollte ich damit in die Welt hineinknallen, auf daß die Trompete des letzten Gerichts davon wiederhallte, und Allen kund thun, daß nur ein armer verkrüppelter Soldat seinen Gram auf eines Helden Grab abfeuerte.«
»Euer Bericht ist zu einfach, um ihm zu mißtrauen; sonst würde ich nimmermehr glauben, daß Lord De Moreland, der seinen tapfern Sohn erst vor wenigen Tagen mit allem Pomp seines Standes, und mit allen, einem in der Schlacht gefallenen Helden gebührenden militairischen Ehrenbezeugungen begraben ließ, die Ueberreste seines Enkels, welcher im kindlichen Heldenmuth den Todesstreich erhielt, als er seinen schwer verwundeten Vater aus den Händen der Feinde befreite, so unwürdig behandeln könnte.«
»Sie können nicht zu schlecht von Lord De Moreland denken. Pfui, über den alten Sünder! seinen Zorn über das Grab hinausreichen zu lassen, weil der gute, junge Capitain aus Liebe einen Engel geheirathet! Dies wollte er ihm im Leben und Tod nicht vergeben, und deshalb muß der arme Leichnam in der dunkeln Nacht, in aller Stille beigesetzt werden. Aber ich erfuhr es doch vom Thorsteher im Schloß; und so bin ich hierher geeilt, damit wenigstens ein Soldat ihn zu seiner letzten Ruhestätte begleitet.«
»Mehr wie Einer soll den tapfern und sich kindlich opfernden Bouverie zu seinem Grabe begleiten!« rief Falkland mit Wärme aus. »Die Besatzung von Seaview soll auf meine Aufforderung den Leichnam aus der Brigg in Empfang nehmen, und öffentlicher Enthusiasmus wieder gut machen, was geheimer Groll verschuldet. Wir haben noch eine volle Stunde bis zur Landung der Brigg; deshalb will ich Euch erst meine Wohnung zeigen, in welcher Ihr mich erwarten könnt, während ich in die Baracken eile. Und seid versichert, guter Dennis! daß, wenn wir auf diesen Platz zurückkehren, Ihr keine Ursache haben sollt, zu bereuen, dem verdienstvollen Bouverie die letzte Ehre erweisen zu wollen.«
Mit diesen Worten ritt Falkland im schnellsten Galopp den Baracken zu, theilte dem befehlshabenden Officier die traurige Kunde mit, welcher sogleich die nöthigen Anstalten traf, den Ueberresten eines Bruders Soldaten die letzte Ehre zu erweisen, und kehrte dann in seine eigene Wohnung zurück, um zu sehen, wie sich Dennis O'Rourke in der Küche befunden. Wir überlassen ihn einstweilen diesen menschenfreundlichen Beschäftigungen, und geben dem Leser unterdessen Kunde von einigen zur Geschichte gehörigen Umständen, so wie die Schilderung einiger Charaktere.
August Heinrich Falkland stand in seinem vier und zwanzigsten Jahr, als er so unerwartet die Bekanntschaft mit dem armen Dennis erneuerte. Mit einer edlen Gestalt und männlich-schönen Zügen verband er alle Tugenden, die den Menschen achtungswerth machen, und war nicht allein in seiner Kunst und Wissenschaft wohl erfahren, sondern auch in allem, was zur Bildung eines wahren Gentlemens gehört.
Bis zu seinem siebzehnten Jahr war er in der Erwartung eines sehr großen Vermögens erzogen worden, welches seit mehreren Generationen auf seine Vorfahren vererbt, auch von seinem Vater als unbestritten betrachtet wurde, bis plötzlich aus der Dunkelheit ein Mann mit Ansprüchen auf diese Besitzungen hervortrat, die zu unläugbar waren, um zurückgewiesen zu werden. Und so mußte die Familie Falkland nicht allein ihr ganzes ererbtes Vermögen herausgeben, sondern auch die Zinsen wieder erstatten, wodurch sich der Vater so gänzlich ruinirt sah, daß er in Folge des bittern Grams erlag, und sein einziges geliebtes Kind, seinen Sohn August, hülf- und trostlos in der Welt zurückließ. Die Mutter war schon früher gestorben, und so blieb dem verwais'ten Jüngling nur ein Oheim, ein in großem Ansehen stehender Arzt in der Hauptstadt, an den er sich sogleich wendete.
Doktor Falkland nahm sich seiner väterlich an, bestimmte ihn für das ärztliche Fach und versprach, falls er sich in demselben auszeichnen sollte, ihm seine Praxis zur Zeit zu vermachen. August er griff das Studium mit so vielem Fleiß und Eifer, daß er schon im zwei und zwanzigsten Jahr die Doktorwürde erlangte. Und da sein Onkel sich noch zu jung und kräftig fühlte, um schon vom Schauplatz abzutreten, vielleicht auch einige Furcht empfand, sich einen Nebenbuhler in seinem Neffen erzogen zu haben, verschaffte er ihm einstweilen die Stelle eines Regimentsarztes, bei einem in Irland stehenden Cavallerieregiment.
Es gelang dem jungen Falkland sehr bald, sich durch seine Geschicklichkeit, so wie durch seine äußern Vorzüge die Liebe und Achtung des ganzen Regiments zu erwerben, nur nicht des Oberhaupts des schon desselben, des General Aspenfields erwähnten Mannes, dem Dennis das Leben gerettet hatte! Er war so stolz, hochfahrend und selbstsüchtig, daß er mit Verachtung auf Alle unter seinem Rang herabsah.
Nachdem Falkland sechs Wochen in seinem Regiment gestanden, und von dem hochmüthigen General stets als ein unbedeutendes Nichts verächtlich angesehen worden war, ereignete sich der unglückliche Fall, daß sein einziges Kind, die schöne, liebenswürdige Rosalinde auf einer Landparthie, in Gesellschaft mehrerer jungen Leute, vom Pferde stürzte; und Falkland, der sich unter diesen befand, erklärte nach der ersten Untersuchung, daß der linke Arm gebrochen und das Handgelenk verrenkt sei.
So sah sich denn der stolze General in die demüthigende Nothwendigkeit versetzt, die Dienste eines Mannes von so unbedeutendem Ruf annehmen zu müssen, da mehrere Meilen im Umkreis kein berühmter Wundarzt zu haben war; und nur mit Widerwillen gewährte er der schönen Rosalinde Bitte, Herrn Falkland zu erlauben, die Operation zu machen, die sie mit großer Standhaftigkeit ertrug, und versicherte, daß ihr sanfter Operateur, durch magischen Einfluß geleitet, ihr keinen Schmerz verursacht hätte. Wirklich schien einige Magie dabei im Spiel zu sein, denn ihr Arm heilte so schnell, daß man es für ein Wunder halten konnte.
Als aber Falkland Miß Aspenfields Bruch für geheilt erklärte, versicherte diese ihrer zärtlichen Mutter, daß ihre Gesundheit durch die Entbehrung der frischen Luft augenscheinlich gelitten habe, weshalb der junge Arzt immer noch beibehalten werden mußte. Und so erfinderisch war Rosalinde, seine Kunst täglich und stündlich auf neue Proben zu setzen, daß er endlich zu der trostlosen Entdeckung gelangte, daß sie sowohl, wie er selbst von einer nicht zu heilenden Krankheit befallen wären.
Von diesem Augenblick an wandte Rosalinde, mit mehr Liebe als Klugheit, alle Mittel an, den unglücklichen Falkland zum Geständniß seiner Leidenschaft zu vermögen, auf daß sie ihm die ihrige gestehen könne; und war so verblendet, ihren Einfluß auf die Eltern nicht zu bezweifeln. Aber wie bitter sah sie sich hierin getäuscht; denn kaum hatte sie ihnen ihre unbezwingliche Neigung gestanden, und um ihre Einwilligung zu einer Verbindung mit dem vielgeliebten Falkland gefleht, als General Aspenfield dem jungen Mann sein Haus auf immer verbot, und Rosalinden, unter Androhung des elterlichen Fluchs, streng untersagte, Falkland wieder zu sehen. Bei diesen heftigen Maaßregeln ließ es der rachsüchtige Zorn des Generals nicht bewenden; er verfolgte den armen Falkland auf alle nur erdenkliche Weise, und kurz nach der unglücklichen Unternehmung bei Dünkirchen, suchte er sogar durch alle Künste der Bosheit und Grausamkeit Verdacht auf die ärztliche Geschicklichkeit des angebeteten Geliebten seiner Tochter zu werfen.
Dieser Vorsatz mißlang jedoch gänzlich, und diente vielmehr dazu, den lang gehegten Groll jedes einzelnen Individuums im Regiment Ausbruch zu geben. Die ungerechte Verfolgung des allgemein geachteten Falklands schien das Signal dazu, und der General erfuhr bald darauf zu seiner großen Demüthigung, daß das ganze Corps beschlossen hatte, eine Vorstellung an den Oberbefehlshaber einzureichen, in Betreff der mannigfachen Grausamkeiten, die sich General Aspenfield zu Schulden kommen gelassen, so wie seines gänzlichen Mangels an militairischer Geschicklichkeit; vor Allem aber wegen der unverdienten Verfolgung und der ungegründeten Beschuldigungen gegen die Verdienste Falklands.
Die Idee, eine militairische Untersuchung seines Verfahrens erleiden zu müssen, entsetzte den General, und in der Hoffnung, sich durch einen kühnen Streich, mit Hülfe der Anhänger Falklands, aus der drohenden Gefahr zu erretten, zwang er die unglückliche Rosalinde, so wie er vom Continent zurückgekehrt war, einen Brief, den er an Falkland geschrieben, zu copiren, worin sie ihn dringend bat: ›wenn ihre Achtung ihm lieb sei, allen seinen Einfluß anzuwenden, die Klagen gegen ihren Vater zu unterdrücken, und sich augenblicklich in ein anderes Regiment versetzen zu lassen, damit die Feinde des Generals durch seine Gegenwart nicht zu neuen Unwillen gereizt würden.‹
Nach den Vorstellungen ihres Vaters glaubte Miß Aspenfield, daß nur Falklands schnelle Entfernung seine Ehre und sein Leben retten könnten; und so erforderte die Pflicht dieses schwere Opfer, obgleich ihr Herz blutete, es in solchen Worten fordern zu müssen.
Rosalindens Wünsche waren Gesetze für Falkland, denen er auf der Stelle gehorchte. Durch Anwendung seines ganzen Einflusses gelang es ihm, das unheilbringende Memorial zurückzuhalten; der Versuch einer Versetzung blieb jedoch ohne Erfolg und so gab er, in der Verzweiflung seines Herzens, das durch Rosalindens Brief alle Aussicht auf Liebe und Hoffnung verloren, seine Stelle als Regimentsarzt auf, und flog in die Arme seines väterlichen Freundes zurück. Doch auch hier blühte ihm kein Glück. Während einer gefährlichen Krankheit, die den Oheim in des Neffen Abwesenheit befallen, war es seiner Haushälterin, einem listigen Weibe, gelungen, sein Gewissen durch Verführung eines zwölfjährigen Erben dergestalt zu rühren, daß er sich mit ihr trauen lassen. Der Empfang war kalt und mit Vorwürfen begleitet, daß er seine gute Stelle aufgegeben. Er sagte sich gänzlich von ihm los.
August Falkland hatte sich manche Freunde während seiner medicinischen Studien in London erworben, die sich jetzt seiner annahmen und ihm riethen, dem Onkel als Nebenbuhler in der Praxis entgegen zu treten, und so für seine Ungerechtigkeit zu bestrafen. Hierzu konnte er sich jedoch nicht entschließen, da ihn Dankbarkeit immer noch an seinen frühern Wohlthäter fesselte. Ehe es ihm oder der vereinten Bemühung seiner Freunde indeß noch gelungen war, eine andere Anstellung zu erhalten, erlagen seine physischen und geistigen Kräfte den wiederholten Schlägen des Schicksals; er verfiel in eine heftige Krankheit, in welcher ihm seine jungen Collegen sorgfältig behandelten und pflegten. Sobald er so weit hergestellt war, eine Reise ertragen zu können, verordneten sie ihm Seeluft; und da seine beschränkten Umstände ihm nicht gestatteten, einen besuchten Badeort zu wählen, und er Rosalinden oft mit Vorliebe von dem kleinen Dorf Seaview hatte sprechen hören, zog ihn sein Herz an den Ort, wo sie geweilt, als ob er hätte hoffen können, ihr hier zu begegnen. Kaum in seiner demüthigen Wohnung eingerichtet, ereilte ihn ein Rückfall des eben bestandenen Fiebers. Unfähig, sich in diesem Zustand selbst etwas zu verschreiben, verschaffte ihm seine Wirthin die einzige ärztliche Hülfe, welche Seaview gewährte. Glücklicherweise war der alte Chirurgus und Apotheker Oldworth ein sehr geschickter Mann, dem es gelang, den armen Falkland durchzubringen. Während dieser Krankheit entspann sich eine so herzliche Freundschaft zwischen den beiden Männern, daß der junge Aesculap keinen Anstand nahm, dem alten Oldworth seine bedrängte Lage zu entdecken, und um seinen Rath zu bitten, welcher unverzüglich dahin ausfiel, daß er sich als praktischer Arzt in Seaview niederlassen sollte, indem der Ort als Seebad einigen Ruf zu bekommen anfinge und eine stark bevölkerte Umgegend hätte.
Es bedurfte keines großen Zuredens, um Falkland zur Annahme dieses Vorschlags zu bestimmen, besonders da er in einer alten Eiche auf der Spitze eines Felsens Rosalindens Namen eingegraben fand, wie sie ihm beschrieben. Er sah voraus, daß er bei der reinen Luft von Seaview und der Geschicklichkeit seines alten Freundes, als Arzt, keine andere Beschäftigung finden würde, als was ihm seine Menschenfreundlichkeit an den Armen zu thun gebot.
Fünf Monate waren seit seiner Ankunft in Seaview verflossen, als er eines Tages von seinem Lieblingsplatz, der Felsenspitze, die er durch Epheuanpflanzungen verschönert, zu dem alten Oldworth gerufen wurde, welcher einen apoplektischen Zufall gehabt. Obgleich es der schnell angewandten Hülfe Falklands gelang, ihn wieder zur Besinnung zu bringen, fürchtete er dennoch einen baldigen Rückfall, und sandte deshalb Boten aus, den besten ärztlichen Beistand herbei zu holen. Auch Oldworth theilte die Besorgniß seines jungen Freundes und sagte:
»Ich bedarf keiner andern Hülfe als der Ihrigen, mein theurer, geschickter Freund, wenn gleich auch diese den schnell herannahenden Tod nicht aufzuhalten vermag. Ehe ich von dannen scheide, möchte ich aber versuchen, Sie zu vermögen, Ihr M. D. fallen zu lassen, bis das Glück Ihnen gestattet, es mit besserm Erfolg wieder aufzunehmen, und einstweilen in meine Praxis zu treten, welche ich Ihnen vor ein Paar Tagen in meinem Testament vermacht habe, falls Sie sie Ihrer Annahme würdig finden sollten, sammt Haus, und Grundstücken; unter der Bedingung, daß Sie meiner Nichte Alice und meiner Köchin Martha ein Asyl darin vergönnen, so lange sie Ihnen nützlich sein können, oder beide Theile es wünschen. Martha wird Ihnen ehrlich dienen, und Alice Ihre Wirthschaft so sorgsam führen, wie sie es mir vier und dreißig Jahre gethan; und bei ihrem weit vorgerückten Alter ist nicht zu befürchten, daß sie aus Besorgniß vor übler Nachrede das Haus eines so sehr viel jüngern Mannes zu verlassen nöthig haben sollte. Deshalb, geliebter Falkland! bitte ich um Erfüllung meiner Bitte, wodurch Sie mir die letzten Augenblicke des Lebens erheitern können. Da Sie keinem größern Glück dadurch entsagen, entgeht Ihnen nichts; und meinen Patienten, die ich wie ein zärtlicher Vater seine kranken Kinder liebe, kann ich nichts Erwünschteres hinterlassen.«
Ein solcher Vorschlag, in solch einem Augenblick konnte keine abschlägige Antwort in Falklands dankbarem Herzen finden; besonders da er am Tage vorher in den Zeitungen gelesen:
›Daß Gustav Saville, ältester Sohn des Vicomte Calicarn, nächstens die schöne und liebenswürdige Tochter des Generals Aspenfield zum Traualtar führen würde.‹
Noch ehe der Tod den alten Oldworth erlös't hatte, langte ein berühmter Arzt von Ashford an, welcher alle von Doktor Falkland angewendeten Mittel für höchst zweckmäßig erkannte, jedoch auch seine Furcht, wegen eines wiederholten Schlaganfalls theilte. Dieser stellte sich noch vor Mitternacht ein, und am folgenden Morgen hatte der Kranke aufgehört zu athmen.
Bei Eröffnung des Testaments ergab es sich, daß Oldworth seiner Nichte Alice viertausend Pfund, der Köchin Martha eine kleine jährliche Revenue, und allen seinen wenigen ihn überlebenden Verwandten, allen seinen Dienstboten und manchem seiner Freunde Legate hinterlassen hatte, während Falkland im Besitz seines Hauses, seiner Grundstücke, seiner Praxis und alles Mobiliars gesetzt worden war.
Den Wünschen seines verstorbenen Freundes gemäß, trat er sogleich in den neuen Wirkungskreis, und kündete seine ärztliche Hülfe in allen Zweigen (ausgenommen als Accoucheur und Zahnarzt) in der Nachbarschaft an. Nach einem Monat bezog er das Haus seines Vorgängers, und behielt nicht allein alle Bewohner desselben darin, sondern erstreckte auch seine menschenfreundliche Beibehaltung alles dessen, was dem alten Oldworth lieb und werth gewesen, sogar auf blinde Pferde und ausgediente Hunde und Katzen.
Seine Aufnahme als Nachfolger in der Praxis seines würdigen Freundes war die schmeichelhafteste, da er schon im Stillen so manchen Beweis seiner Geschicklichkeit gegeben hatte; aber auch als Mensch gewannen ihm seine liebenswürdigen Eigenschaften und seine hohe Bildung die Achtung der angesehensten Familien im Umkreise, und wenn ihm sein liebekrankes Herz Theilnahme an den geselligen Freuden gestattete, war er überall ein erwünschter Gast. Sieben Monate waren nun, als er mit Dennis O'Rourke bei De Morelands Schloß zusammentraf, seit dem Tod seines Wohlthäters verflossen, ohne daß er die geringste Mißhelligkeit mit seinen Hausbewohnern gehabt; nur kränkte ihn die täglich zunehmende Verjüngerung der Nichte seines alten Freundes, die sich selbst aus einem achtungswerthen Gegenstand in einen der allgemeinen. Lächerlichkeit umwandelte, und durch jugendlichen Putz und jugendliche Ansprüche seine tête à tête mit ihr weniger angenehm machte, als sie es gewesen wären, wenn er sie als das, was sie wirklich war, als alte Jungfer, hätte betrachten können.
Raymond, der schon erwähnte Graf von De Moreland, stand zu dieser Unglücksperiode der Helden seiner Familie, im neun und siebzigsten Jahr. Sehr früh und glänzend verheirathet, hatte er nur ein einziges Jahr das Glück der Ehe genossen, indem die Geburt eines Sohns und Erben der Mutter das Leben gekostet.
Voll Verzweiflung über diesen unersetzlichen Verlust, suchte er seinen Gram und Kummer in Ausschweifungen aller Art zu vergessen, und ehe noch sein liebenswürdiger Knabe, Lord Roscoville, das zweite Jahr zurückgelegt hatte, fand er in irgend einem Schlupfwinkel des Lasters eine Mstrß. Jones, der er sein Herz zuwandte und sie nebst ihrer kleinen Nichte Malinda in sein Haus aufnahm, wo sein eigener Sohn erzogen wurde.
Sobald die Kinder erwachsen waren, begann die listige Mstrß. Jones alle Mienen in Bewegung zu setzen, um eine Verbindung zwischen dem jungen Erben und ihrer reizenden Malinda zu Stande zu bringen, welche Künste jedoch zu einem unvorhergesehenen Ereigniß – zum Verderben ihrer Nichte, und zur Geburt eines Töchterchen führten.
Weder die Wuth und heftigen Vorstellungen von Seiten Mstrß. Jones, noch die Thränen und Bitten der schlauen Malinda vermochten Lord De Moreland oder seinen Sohn für ihre ehrgeizigen Pläne zu gewinnen, da Beide die leichtfertigen Grundsätze der Letztern zu gut kannten, um nicht vor den Gedanken einer ernstlichen Verbindung und der Entehrung des Roscoville'schen Namens zurückzuschaudern. Um jedoch den Hausfrieden zu erhalten, sah sich Lord De Moreland endlich genöthigt, seinen Sohn, auf den Mstrß. Jones ihren ganzen Haß wegen der getäuschten Erwartungen geworfen, zu entfernen, wodurch Lord Roscoville seinen sehnlichsten Wunsch, Kriegsdienste zu nehmen, erfüllt sah.
Als er mit Lorbeeren gekrönt zum ersten Mal bei Hof präsentirt wurde, war er Zeuge der Vorstellung der einzigen Tochter des kürzlich verstorbenen Herzogs von Ullswater. Lady Adelaide Riversdale sehen und lieben war das Werk eines Augenblicks, und sehr bald war er so glücklich, sich auch ihrer Neigung zu versichern. Da jedoch Mstrß. Jones Lord De Moreland nicht gestattete, diese Verbindung zu billigen, und der jungen Lady Vormund, höhere Absichten im Sinne, unerbittlich blieb, entflohen die Liebenden nach Schottland und wurden dort vereinigt. Bei ihrer Zurückkunft von Gretna Green aber, und ehe noch die Heirath in England gefeiert worden war, vermochte Lord Roscoville seinen nachgebenden Vater der jungen Frau, und den zu erwartenden jüngern Kindern das nöthige Heirathsgut auszusetzen, welches jedoch wegen des Einflusses der rachsüchtigen Mstrß. Jones nicht so ausfiel, als nach dem Reichthum von beiden Seiten zu erwarten gewesen wäre.
Nach einer zehnjährigen höchst glücklichen Ehe, nachdem Lady Roscoville ihren Gemahl im ersten und dritten Jahre derselben mit zwei lieblichen Knaben beschenkt hatte, ward sie dem trostlosen Gatten durch eine heftige Krankheit plötzlich entrissen; und dieser, kein Glück und Heil im Vaterlande mehr erwartend, begleitete sein Regiment nach Ostindien, seine zwei Knaben, Edwin und Montagu, unter dem Schutz ihres Großvaters zurücklassend.
Wenn die Knaben in den Schulferien ihren Großvater besuchten, trafen sie immer mit ihrer illegitimen Schwester Isabelle, der Tochter Malindens, zusammen. Sie war ein sehr schönes Kind, drei Jahr älter als Edwin, und Lord Roscoville hatte den strengen Befehl hinterlassen, sie für immer in der vortrefflichen Pension, in welche seine liebenswürdige Frau sie schon sehr früh gethan, zu behalten. Da aber Malinda sich mit ihrer Tante entzweit, einen jungen Officier geheirathet, und mit diesem außer Landes gegangen war, nahm Mstrß. Jones, deren ganze Zärtlichkeit sich nun dem Kinde zugewandt, Isabellen aus der Anstalt, um sie zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne zu erziehen. Lord De Morelands Herz ganz zu gewinnen, es von seinem Sohn und seinen Enkeln abzuwenden, den alleinigen Einfluß über ihn zu erlangen, und Gebieterin über seine Schätze zu werden, war die Aufgabe; und wirklich machte der Zögling dem Meister Ehre, denn ehe Isabelle noch das sechszehnte Jahr erreicht hatte, beherrschte sie den Großvater völlig.
Da starb Mstrß. Jones. Lord De Morelands Haus öffnete seine gastfreien Thore wieder jeder Art von Gesellschaft; Miß Bouverie, wie Seine Herrlichkeit Isabellen zu nennen beliebte, ward in die Welt eingeführt, und heirathete im neunzehnten Jahr den Grafen Leyburn, nachdem sie den Lohn ihrer Bemühungen eingeärndtet, 30,000 Pfund von ihrem Großvater erhalten hatte.
Kaum war Lady Leyburns Vermählung vollzogen, als Lord Roscoville von Indien zurückkehrte. Edwin Bouverie trat nun seine Reise aufs feste Land an, und Montagu, dessen Neigung ihn zum Kriegsstand bestimmte, bekam eine Officierstelle in seines Vaters Regiment. Nach Verlauf von drei Jahren begleitete er Lord Roscoville als Adjudant nach Irland, wohin dieser als Oberbefehlshaber abging; und noch war der junge Capitain kein Jahr dort gewesen, als er sich sterblich in Miß Bellenden, ein schönes funfzehnjähriges Mädchen, verliebte.
St. Leger Bellenden, der Vater desselben, aus einer angesehenen Familie abstammend, war ein streng rechtlicher, stolzer Mann. In seiner Jugend hatte ihm ein Schulcamerad, Namens Murrough Mac Dermot, das Leben gerettet, welcher Umstand zu seinem Unglück gereichte. Denn als dieser nun später politischer Grundsätze für verdächtig erklärt wurde, die kein wahrer Patriot billigen konnte, und von aller Welt gemieden ein offnes Herz und eine offne Thür bei Bellenden fand, der durch die Bande der Dankbarkeit an ihn geknüpft, seinen ganzen Einfluß anwandte, ihn von der gefährlichen Bahn zurück zu bringen; da erwachte der Verdacht des Vicekönigs auch gegen Bellenden, und Beweise kalter Verachtung waren die Folgen. Unfähig, ein solches Betragen zu erdulden, folgte der stolze, heftige Mann den ersten Eingebungen seines gekränkten Gefühls, und floh, noch ehe Bouverie der geliebten Ellen seine Leidenschaft gestanden, mit Frau und Kind nach Paris.
Diese unvorsichtige, freiwillige Verbannung bestätigte den Verdacht gegen seine politischen Grundsätze, und Lord Roscoville, welcher Montagus Liebe vorher gebilligt hatte, befahl ihm jetzt streng, jeden Gedanken an die Tochter des Verräthers Bellenden aus seinem Herzen zu verbannen; aber Ellens liebenswürdiges Bild war zu fest darin eingegraben, um dem Befehl Folge zu leisten.
Kaum hatte sich Bellenden in Paris in seiner Wohnung eingerichtet, als die ersten Gräuel der Revolution ausbrachen; und um seinen vielen Landsleuten, die sich damals in der französischen Hauptstadt aufhielten, zu beweisen, wie irrig die Zweifel an seiner Loyalität gewesen, ergriff er mit vielem Eifer die aristokratische Parthie, in Folge dessen er als eins ihrer ersten Opfer am 14. Juli 1789 fiel.
Nur durch ein halbes Wunder entgingen seine Wittwe und Waise der wilden Wuth der Poissarden, und gelangten nach mannigfachen Abentheuern nach Dieppe, und von dort mit mehreren andern Flüchtlingen nach Brighthelmstone, woselbst sie beim Landen in Capitain Montagu Bouverie einen eifrigen Freund und Beistand fanden. Er war mit einigen Andern ans Ufer gekommen, die Ausschiffung der Flüchtlinge mit anzusehen, und nach französischen Neuigkeiten zu forschen; wenig ahnend, daß er gerade diejenigen hier finden würde, um deren Schicksal er so viel Sorge getragen, und nach denen er sich hauptsächlich hatte erkundigen wollen.
Gerührt von den Leiden seiner hoffnungslosen Liebe, hatte ihm sein Vater, Urlaub gegeben und verordnet, zu seiner Aufheiterung alle die heitern Badeorte an der Küste von England zu besuchen. Doch nur einer derselben, Brighton, hatte Reiz für Bouverie, weil er dort die frühesten Nachrichten von Paris zu erhalten hoffte, und von wo aus, falls diese ausbleiben sollten, er in irgend einer Verkleidung nach Frankreich zu schiffen gedachte, um seine angebetete Ellen daselbst aufzusuchen.
Sie war ihm nun wiedergegeben; aber ihre bleichen Wangen, ihre zitternden Lippen und verfallene Gestalt zeugten von den ausgestandenen Leiden. Der Vater war in ihren Armen ermordet worden; sie hatte die Mutter in tiefer Ohnmacht, anscheinend todt neben sich umsinken sehen, und bemerkte jetzt ihre täglich zunehmende Schwäche. Auch Bouverie gewahrte es; und da er seiner geliebten Ellen das traurige Geständniß entrissen, daß sie in der Mutter die letzte Stütze, den einzigen Anhaltpunkt im Leben verlöre, seit ihr Onkel William Bellenden mit seinem einzigen zwölfjährigen Sohn aus Irland entflohen, nachdem er sein Leben mehrmals aufs Spiel gesetzt, die Ehre des theuren Bruders zu retten, und zuletzt noch einen Gegner desselben im Duell tödtlich verwundet hatte – so fühlte er nach diesem Bekenntniß, daß es sein glückliches Loos sei, der Geliebten die entrissenen Verwandten zu ersetzen, ihre Stütze im Leben zu werden. Da das Herz des Mädchens ihm zärtlich ergeben war, und die Mutter keinen andern Wunsch mehr hatte, als ihre Ellen in sicherm Schutz zu wissen; so eilte das Kleeblatt, nachdem die Flüchtlinge sich von den Beschwerden der Reise erholt, nach London, woselbst die Verbindung, da Bouverie eben das ein und zwanzigste Jahr erreicht hatte, im Beisein von Ellens Vormund, in der Kirche von St. James vollzogen wurde.
Obgleich die Veranlassung von Bellendens Ermordung so beschaffen war, ihn von dem frühern Verdacht gänzlich zu reinigen, hatte Bouverie, eingedenk des bedeutenden Einflusses, den Lady Leyburn über seinen Großvater ausübte, dennoch nicht gewagt, Lord Roscoville etwas von seiner Verbindung zu sagen, bis sie vollzogen war, und hoffte jetzt, mit Hülfe seiner liebenswürdigen, jungen Frau, das Herz des Vaters leicht zur Einwilligung in das geschlossene Bündniß zu vermögen. Doch tief gekränkt durch das eigenmächtige Verfahren des einst zärtlich geliebten Sohnes, verweigerte er standhaft seine Vergebung, sandte die demüthigsten Briefe unerbrochen zurück; und der kalte, officielle Befehl des Generallieutnants Lord Roscoville an seinen Adjudanten, an seinen Posten zurückzukehren, war die einzige Notiz, deren ihn der im tiefsten Herzen verwundete Vater würdigte. So kehrte er denn mit seiner Frau und Schwiegermutter nach Irland zurück, und ward als Adjudant in seines Vaters Haus zugelassen, ohne sich jedoch eines väterlichen Lächelns oder Willkommens zu erfreuen. Kalt und streng ertheilte Lord Roscoville dem Adjudanten seine Befehle, und da das Herz des Vaters sich von ihm gewandt, hegte der Großvater nur Groll und Zorn gegen ihn. Seine Schwester behandelte ihn mit Verachtung, sein Bruder Edwin war immer noch außer Landes; so sah er sich denn ganz auf seine geliebte Ellen beschränkt, deren Sorge um die theure Mutter täglich zunahm. Und nicht umsonst, denn zwei Monate nach ihrer Zurückkunft ins Vaterland, folgte Mstrß. Bellenden ihrem gemordeten Gatten in eine bessere Welt nach.
Im folgenden Jahr erfreute Ellen ihren Gatten durch ein Töchterchen, und sobald sie sich stark genug dazu fühlte, schrieb sie an Lord Roscoville, seinen Segen für die Enkelin, und seine Vergebung für den Sohn zu erflehen. Es war dieses die erste Handlung, die sie ohne Wissen und Bewilligung ihres Mannes that; und schon begann sie sie bitter zu bereuen, da bereits mehrere Wochen verstrichen waren, ohne daß sie eine Antwort von Sr. Herrlichkeit erhalten, als Lord Roscoville eines Tages gemeldet wurde.
Der rührende Brief seiner Schwiegertochter hatte sein Herz für Mutter und Kind erweicht; für ihren geliebten Gatten gelang es Ellen jedoch nicht, Vergebung zu erhalten, so dringend sie auch bat.
»Theure Ellen!« rief er endlich mit unterdrückten Thränen aus: »lassen Sie ab, mein Herz zu bestürmen. Sie können meine Gefühle nicht begreifen. Ich bin von meinem geliebtesten Kinde hintergangen, betrogen, mit Undank gelohnt worden. Die Wunde ist unheilbar, tödtlich.« – Thränen entstürzten seinen Augen; er eilte der Thüre zu, aber ein Blick auf die weinende Mutter mit dem Kinde auf den Schooß, rief ihn wieder zurück.
»Sie sagten mir, Ihr Kind sei noch nicht getauft, weil Sie ihm erst den Segen seines Großvaters geben wollten. Den hat es jetzt. Ich will Pathenstelle bei ihm vertreten; aber es muß mir vergönnt sein, einen Stellvertreter zu dieser heiligen Handlung zu schicken. Nennen Sie es Adelaide, nach meiner angebeteten, zu früh verschiedenen Frau. Es ist ein schöner Name, und in Erinnerung an sie, die ich so oft damit gerufen, will ich das unschuldige Wesen zärtlich lieben, und väterlich für dasselbe sorgen.
Ellen versprach es, und Lord Roscoville schied in großer Bewegung von ihr.
»Montagu, vergieb mir!« rief sie weinend, als ihr Gatte kurz darauf zu ihr eintrat; »ich habe den Segen für unser Kind, und die Vergebung Deines Vaters für mich angenommen. Er war hier, verharrt aber in seinen Gesinnungen gegen Dich.«
»Und segnet mein Vater mich denn nicht auch durch den Segen, den er Dir und unserm Kinde ertheilt!« rief Bouverie mit bewegter Stimme.
Der Tauftag erschien, und Lord Roscovilles Stellvertreter beschenkte die kleine Adelaide mit 1000 Pfund zur Anschaffung eines Korallenschmucks; und bei jedem Besuch brachte Se. Herrlichkeit Ellen und der geliebten Pathe irgend ein schönes Geschenk mit. Seine Erbitterung gegen Montagu blieb jedoch dieselbe.
Bald darauf ward Lord Roscoville von seinem Commando in Irland abgerufen, eine Unternehmung gegen die französischen Waffen in Flandern zu leiten. Sein eigenes Regiment bildete einen Theil der Brigade; und da Bouverie eine Compagnie darin befehligte, auch Adjudant seines Vaters war, mußte er ihn begleiten. Ellen erhielt eine freundliche Aufforderung von Lord Roscoville, sich während der Abwesenheit ihres Gatten unter Lady Leyburns Schutz in seinem Hause in London aufzuhalten, woselbst diese, kürzlich erst Wittwe geworden, mit ihren fünf Kindern einen einstweiligen Aufenthalt genommen hatte, und welcher Lord Roscoville den strengsten Befehl hinterlassen, Ellen und ihr Kind mit der größten Sorge und Aufmerksamkeit zu behandeln.
Am 23. April 1794 brachen die Feindseligkeiten zwischen den Alliirten und den Franzosen in der Nähe von Cambray aus, und am 25. fiel Lord Roscoville, tödtlich verwundet, in die Hände des Feindes, als Bouverie, seinen General vermissend, mit einer tapfern Schaar in die französischen Reihen drang, und mit Aufopferung seines eigenen Lebens, aus vielen Wunden blutend, den Vater aus der feindlichen Gewalt befreite.
Lord Roscoville war ohnmächtig in die Arme seines Sohnes gefallen, und wurde in diesem Zustande von den tapfern Dragonern vom Schlachtfelde getragen. Die Wundärzte erklärten seine Wunden für tödtlich, und daß er nur noch wenige Stunden zu leben habe. Das Erwachen aus der tiefen Ohnmacht, in den Armen des trauernden, schwer verwundeten Sohnes, war zugleich das Erwachen seiner bessern, lang geschlummerten Gefühle. Mit inniger Zärtlichkeit drückte er ihn an das bewegte Vaterherz, seine Vergebung erflehend, ihm seinen Segen ertheilend. Und um die frühere Härte wieder gut zu machen, diktirte er seinem Sekretair noch einen Nachsatz zu dem Testament, welches er gemacht, ehe er England verlassen, worin er der kleinen Adelaide alles in Indien angehäufte persönliche Eigenthum vermachte, und Montagu und Ellen als Miterben seines übrigen Vermögens einsetzte. Doch ehe noch die letzte Zeile dieses Codicills niedergeschrieben war, ereilten ihn die Vorboten des Todes, und seine kalte Hand konnte diesen letzten Willen nicht mehr unterzeichnen. Im Gefühl dieser Unfähigkeit rief er im letzten Kampf noch alle Anwesenden auf, seinem Sohne zu bezeugen, daß er das Codicill selbst diktirt, und bat sie, seinem Sohn Edwin und Lord De Moreland die letzte Bitte eines Sterbenden zu hinterbringen: nämlich Montagu, sein Weib und sein Kind um seinetwegen zu lieben und wieder in die Familie aufzunehmen.
Wenige Augenblicke darauf hauchte er seinen Geist in des Sohnes Armen aus.
Da dieser Angriff der republikanischen Truppen auf den Herzog von York am 25. April 1794 längs der Grenze von Treves nach der See zu Statt gefunden, und Lord Roscoville den Todesstreich in der Nähe der Küste erhalten hatte, ward des heldenmüthigen Sohnes Bitte, nebst dem Leichnam seines Vaters nach England geschafft zu werden, gern gestattet. Einige Tage vor der Ankunft des Schiffes war jedoch die Trauerbotschaft schon daselbst angelangt, so daß, als der verwundete Bouverie mit den letzten Ueberresten Lord Roscovilles in Harwich landete, auf Befehl des trostlosen Vaters schon alle Anstalten zu einem pomphaften Leichenbegängniß getroffen waren.
Auch Ellen harrte in Harwich schon mit einem von Schmerz zerrissenen Herzen der Ankunft ihres gefährlich verwundeten Gatten. Ohne Vorbereitung hatte ihr die grausame Lady Leyburn sein und des Vaters Schicksal verkündet und ihr gestattet um Mitternacht, nur von Adelaidens Wärterin, einem neunzehnjährigen Mädchen, begleitet, nach Harwich zu seinem Empfang abzureisen.
Kein anderes Zeichen der Liebe und Theilnahme von seiner eigenen Familie erwartete hier den leidenden Bouverie. Ihn empfing nur der armen Ellen unaussprechliche Zärtlichkeit, und das Mitleid seiner Cameraden, die von seinen Thaten gehört; aber sein Großvater und seine Schwester, welche gekommen waren, Lord Roscovilles Leichnam die letzte traurige Ehre zu erweisen, besuchten Montagus Sterbelager nicht, obgleich er Lord De Moreland durch seinen Arzt um eine letzte Zusammenkunft vor seinem nahen Ende hatte bitten lassen. Durch den Einfluß der selbstsüchtigen, grausamen Lady Leyburn bestimmt, schlug der Großvater ihm dieses Gesuch mit Härte ab, und fügte noch hinzu: ›Daß Capitain Bouverie und die Tochter des Freundes von Murrough Mac Dermot von ihm nichts zu erwarten hätten als Verachtung, Vernachlässigung und Verleugnung aller Verwandtschaft.‹
Gleich nach Lord Roscovilles Beisetzung verließen Lord De Moreland und Lady Leyburn Harwich, nachdem Letztere, um ihres Großvaters Unerbittlichkeit vor öffentlichem Tadel zu schützen, in den Zeitungen bekannt gemacht hatte, daß Capitain Bouverie außer Gefahr sei, obgleich dieser nur noch zehn Tage, nachdem seines Vaters Leichenprocession sich nach dem Familienbegräbniß in Kent, wo auch er zu ruhen wünschte, in Bewegung gesetzt hatte, lebte.
Der letzte Wunsch des beklagenswerthen Bouverie ward sogleich an Lord De Moreland berichtet, der durch seinen Sekretair eine ungern ertheilte Erlaubniß sagen ließ, zugleich aber der Wittwe verkündete, wie sie sich bei dem Begräbniß zu verhalten habe, und daß der Leichnam in einem Fischerboot von Harwich nach Schloß De Moreland gebracht werden sollte.
Dieser letzte Umstand ward in Harwich mit allgemeinem Unwillen vernommen, und der Admiral des Hafens bewilligte sogleich eine Kriegsschaluppe zu diesem traurigen Zweck. Theilnahme und Achtung pflanzten die Zeichen der Trauer an deren Maste. Der Leichnam ward mit allen militairischen Ehrenbezeugungen von der Besatzung in Harwich auf das Schiff gebracht, und Bouveries Freunde gewahrten dessen Wittwe mit ihrem Kinde und Leuten in einer nachfolgenden Jacht. Mit gutem Winde ging die Fahrt rasch nach Seaview, als dem erzürnten Capitain von Lord De Morelands Verwalter der Befehl ertheilt wurde, ›mit der Landung des Leichnams bis zur einbrechenden Nacht zu warten, um Aufsehen zu vermeiden, da die Beisetzung in möglichster Stille vor sich gehen sollte.‹
Diese beabsichtigte stille Leichenfeier zerstörte jedoch Dennis O'Rourke, der Sohn eines Lehnsmanns der Familie Bellenden, welcher sich sogleich bei Capitain Bouverie als ein Dienstnehmender gemeldet hatte, als er erfahren, daß Miß Ellen einen solchen Capitain geheirathet,
Von demselben in seiner Compagnie aufgenommen, konnte er es nicht erwarten, die militairische Laufbahn glorreich zu beginnen, und ging deshalb als Freiwilliger mit aufs Continent, wo er bei Dünkirchen sein Bein verlor und in das Hospital von Kilmainham gebracht wurde. Hier suchten ihn Bouverie und Ellen während ihres kurzen Aufenthalts in Irland auf, und erwiesen ihm manche Wohlthaten. Als er, nun endlich hergestellt, erfuhr, daß sein Capitain auf das schreckliche Continent beordert war, was ihm so viel gekostet, beschloß er augenblicklich, der geliebten Ellen, dem besten aller Kinder, und der vortrefflichen Wärterin Norah Obearn seine Dienste anzubieten, setzte alle Geschenke seiner Wohlthäter in Geld um, und schiffte sich nach London ein. Nach einer beschwerlichen Reise langte er gerade zur rechten Zeit an, um in Lord Roscovilles Hause in Brutonstreet von dem trostlosen Thorsteher zu erfahren, welches Unglück diese edle Familie durch den Tod des Lords und seines jüngern Sohnes erlitten, und daß Verordnungen in Betreff der Beerdigung Capitain Bouveries nach Harwich gesandt worden wären,
Dennis hielt sich nur so lange auf, die nähren Details der Trauerbotschaft zu erfahren, schwang sich dann auf den Himmel der Postkutsche nach Seaview, und langte ungefähr eine Stunde vor seinem Zusammentreffen mit Falkland bei dem großen Thorweg von Schloß De Moreland an.
Die Thurmuhr im Dorfe schlug 10, als ein Flintenschuß dem Thorsteher in Schloß De Moreland das Signal gab, alle Eingänge der Capelle zu öffnen. Der Schuß ward durch eine Flintensalve erwiedert, und nun setzten sich die Truppen unter dem Commando des Majors Walsingham in Bewegung, und stimmten ihre Trauermelodien an. Diese Signale und die nächtliche Procession mit Musik rief alle Bewohner Seaviews aus ihren Wohnungen hervor, und bald war der ganze Strand hell erleuchtet, während im Thurm des Schlosses nur ein einziges schwaches Licht die von Lord De Moreland unwürdig verordnete Leichenfeier seines tapfern Enkels erhellte. Von einem großen Gefolge begleitet, wurden nun die Ueberreste eines gefallenen Helden langsam die steile Anhöhe nach dem Schloß zu getragen. Ellen mit ihrem weinenden Kinde folgte festen Schritts dem Theuersten, was sie auf der Erde besessen; und wie sie während der Seereise den Sarg nur so lange verlassen hatte, um der kleinen Adelaide den Abendsegen zu geben und sie zur Ruhe zu legen, wollte sie auch jetzt ihren, in seinen letzten Augenblicken von allen Verwandten geflohenen Gatten nicht eher verlassen, bis ihn das kühle Grab aufgenommen.
Die kirchliche Ceremonie ward nun von Doktor Woodehouse, dem Pfarrer von Seaview, vollzogen; und da die letzte militairische Ehre dem Verblichenen nicht augenblicklich über dem Grabe, in dem engen Mausoleum erwiesen werden konnte, folgte sie vor den äußern Mauern desselben nach. Ellen wartete den letzten Schuß ab, ehe die Thür des Grabgewölbes sie für immer von den theuern Ueberresten schied; als sie nun den Blick erhob und die trauernden Freunde sah, die sie von Harwich begleitet, und ihre Trost einsprechenden Worte vernahm, da brach die mühsam errungene Fassung zusammen, und sie fiel leblos zu Boden.
Ein Gefühl der innigsten Theilnahme erfaßte alle Umstehenden, und ein Jeder äußerte sich bereit, die unglückliche Wittwe in seine Wohnung aufzunehmen, da ihr das ungastliche Schloß De Moreland kein Asyl gewährte. Falklands Anerbieten ward jedoch von Allen als das zweckmäßigste erkannt und angenommen, da sein Haus nicht allein eins der nächsten, sondern er auch allein im Stande war, ihr die erste nöthige Hülfe als Arzt zu gewähren.
Am folgenden Morgen fühlte sich Ellen zu schwach, um das Bett zu verlassen, an welches sie durch eine heftige Krankheit drei Wochen gefesselt wurde. Falkland widmete sich ihr als Wirth und Arzt mit einer wahrhaft brüderlichen Sorgsamkeit, während sich zwischen ihm und der kleinen Adelaide eine zärtliche Zuneigung entspann; auch unterließen Miß Alice Oldworth und Martha nicht, den Gästen ihres Hauses alle Pflege angedeihen zu lassen.
Niedergebeugt durch den beunruhigenden Gedanken, die Ordnung und gewöhnliche Einrichtung des Falklandschen Hauses durch ihre Dazwischenkunft gestört zu haben, bat Ellen ihren gütigen Wirth, sobald sie nur das Bett verlassen konnte, ihr eine Wohnung, der seinigen so nah als möglich, zu verschaffen. Hiervon wollte er jedoch nichts wissen, und hoffte, daß, wenn sie entschlossen sei, in Seaview zu bleiben, was er ihr wegen der scharfen Seeluft nicht rathen könnte, sie ihm nicht den Schmerz einer Trennung von seiner kleinen geliebten Adelaide bereiten würde.
»Ich gedenke Seaview nie wieder zu verlassen,« entgegnete Ellen. »Als ich meinen Gatten auf seinem letzten Gang begleitete, forschten meine Augen nach einem Ruhepunkt für mich selbst. An der Thür des De Morelandschen Erbbegräbnisses gewahrte ich einen kleinen Erdhügel, den ich, wenn mir meine Bitte gewährt wird, dazu auserkohren habe. Da Ihnen Ihre Kunst aber längst gesagt haben muß, daß weder von Ihrer noch von meiner Seite etwas geschehen kann, mich für mein Kind zu erhalten, werden sie es begreiflich finden, daß nichts im Stande ist, mich von Seaview zu entfernen.«
Die feuchten Augen Falklands bestätigten die trauernde Mutter in ihrem Glauben an eine baldige Vereinigung mit ihrem geliebten Gatten, und von diesem Augenblick an theilte Mstrß. Bouverie ihrem einzigen Freund alle weltlichen Angelegenheiten mit, die sie noch vor ihrem Abscheiden regulirt zu haben wünschte.
Während des General Aspenfields langem Aufenthalt in Irland war Ellen mit der liebenswürdigen Rosalinde bekannt geworden, und aus dieser Bekanntschaft entspann sich sehr bald eine innige Freundschaft, die jedoch leider durch den Verdacht gegen die Loyalität Bellendens einen äußern Riß erhielt, indem der General den vertrauten Umgang seiner Tochter mit dem Kinde eines Rebellen nicht dulden wollte. So mußten denn die Freundinnen, dem strengen Gebot des Generals gemäß, allen Verkehr mit einander aufheben; aber das zarte Bündniß ihrer Herzen vermochte er nicht aufzulösen, und Falkland, der Erwählte Rosalindens, erschien daher der armen verlassenen Ellen in jeder Hinsicht ihres Vertrauens würdig. Ihn, den die Natur mit den herrlichsten Eigenschaften ausgestattet, der, obgleich noch sehr jung, doch den Ruf eines untadelhaften moralischen Wandels und ausgezeichneter wissenschaftlicher Bildung, so wie ärztlicher Geschicklichkeit besaß – diesem Manne konnte sie unbedingt ihr verwais'tes Kind anvertrauen; und mit tiefer Rührung flehte sie ihn an, die Vormundschaft desselben zu übernehmen und es in seinem Hause zu behalten. Die geheime Hoffnung, daß Rosalinde einst noch mit dem Geliebten verbunden werden könnte, eröffnete ihr für Adelaiden die Aussicht auf eine zärtliche, mütterliche Pflege, und bis zur Erfüllung dieses Wunsches würde Falkland seine Mündel gewiß mit väterlicher und ärztlicher Sorge bewachen.
Nachdem Mstrß. Bouverie ihre letzten Kräfte dazu angewendet hatte, über Adelaidens unbestrittenes Erbtheil zu verfügen, und einen Erziehungsplan für sie zu entwerfen, erlag sie im ein und zwanzigsten Jahr der Last der Leiden, die ihr junges Leben gedrückt, und ward, ihrem Wunsch gemäß, an der Thür des Mausoleums begraben, da ihrem Leichnam, durch Lady Leyburns gehässige Einredungen, von Lord De Moreland der Platz an der Seite ihres Gatten verweigert worden war.
Das Gemüth des trauernden Kindes zu erheitern und von den erlebten herzzerreißenden Scenen abzuziehen, schien nun Falklands größte Sorge. Adelaide ward mit ihrer getreuen Wärterin in einen andern Theil des weitläuftigen Gebäudes einquartirt, für ihre Bequemlichkeit und Gesundheit auf alle Weise gesorgt, und nichts versäumt, dem Kinde das Leben angenehm zu machen. Miß Alice Oldworth sah allen diesen zarten Vorkehrungen mit einem Blick zu, den nur Herr Crow, der Provisor der Apotheke, verstand; denn seit vier Jahren eifrigst bemüht, das Herz der täglich jünger werdenden Schönen zu erobern, hatte er bis zu Falklands Erscheinen die größten Fortschritte gemacht, und mußte nun gewahren, daß alle seine Künste an dieses verhaßten Mannes Liebenswürdigkeit scheiterten.
Da Mstrß. Bouverie alle Anordnungen hinsichtlich Adelaidens Erbtheil so klar und deutlich hinterlassen hatte, wurden dem Doktor Falkland auch gar keine Schwierigkeiten in Erhebung desselben gemacht, und er sah seine Mündel jetzt in Besitz von 8000 Pfund Sterling, bestehend aus dem Ueberrest des Vermögens der Mutter, aus Lord Roscovilles Taufgeschenk, und einigen rückständigen Summen Capitain Bouveries. Doch dessen Antheil, als jüngern Sohn, an welchen Adelaide ein unbestrittenes Recht hatte, so wie das zuletzt gemachte Codicill in Lord Roscovilles Testament, hatte Ellen Falkland gebeten, nie für ihre Tochter in Anspruch zu nehmen, um dieser nicht auch die Feindschaft der Familie ihres Vaters zuzuziehen, durch welche sie und Montagu so viel gelitten hatten.
Miß Alice hatte gehofft, daß Falkland sich die vergrößerte Unruhe und Ausgabe im Haushalt reichlich durch die in Händen habenden Mittel seiner Pflegetochter vergüten würde; doch groß war ihr Erstaunen und ihr Verdruß, als sie wahrnahm, daß er nur einen sehr geringen Ersatz für den vergrößerten Hausstand von Adelaidens Vermögen abzog, obgleich er auch Dennis in demselben beibehalten, weil sie ihn freundlichst gebeten; den armen hinkenden Diener nicht von ihr zu schicken.
Da Mstrß. Bouverie eine große Abneigung für weibliche Schulanstalten gehabt, und öfterer den Wunsch geäußert hatte, Adelaiden in spätern Jahren einer wohlunterrichteten englischen Gouvernante zu übergeben, beschloß Falkland den ersten Unterricht des liebenswürdigen Kindes selbst zu besorgen, und dann eine Erzieherin, im Sinn und Geist der verstorbenen Ellen, zu wählen.
An eine unablässige Thätigkeit und weise Benutzung der Zeit gewöhnt, suchte Falkland Adelaiden früh auf den Werth derselben aufmerksam zu machen. Nachdem sie die erste Morgenstunde in seinem Studirzimmer zugebracht und eine Fortsetzung des Religionsunterrichts, den ihr ihre Mutter ertheilt, erhalten hatte, pflegte sie ihren geliebten Vormund auf seinen Besuchen bei den ärmern Patienten, die an keiner ansteckenden Krankheit litten, zu begleiten, um ihrem jungen Herzen, wie er sagte, früh Mitgefühl für die Leiden der Nebenmenschen einzuflößen. Und ehe noch Miß Alice, eine große Verehrerin des Bettes, aufgestanden und mit der nöthigen Toilette fertig war, erschienen sie schon wieder am Frühstückstisch.
Adelaide hatte eben ihr fünftes Jahr erreicht, als Falkland nach Winchelsea zum Major Walsingham geholt wurde, der, gefährlich verwundet in einem Duell, nur Rettung seines Lebens von Falkland erwartete. Ehe er fortreis'te übergab er seine geliebte Pflegetochter Miß Alciens Aufsicht, mit dem strengen Verbot, sie nirgends mit hinzunehmen, wo Ansteckung, oder irgend eine andere mögliche Gefahr sie bedrohen könnte.
Das weinende Kind hatte sich auf eine kleine Anhöhe im Garten geflüchtet, den theuern Vormund mit den Augen so lange als möglich zu verfolgen, als Miß Alice ihrem Vorsatz gemäß, die strenge Gouvernante während des Hausherrn Abwesenheit zu spielen, es unfreundlich hereinrief, an dem Namentuch zu nähen, anstatt müßig herumzulaufen.
Obgleich Adelaide ihr Namentuch haßte und einen offenbaren Widerwillen gegen Miß Alice hegte, gehorchte sie doch augenblicklich und kehrte ins Haus. zurück, bei sich überlegend, ob sie sich willig fügen, oder ihrer Quälerin Geduld, wie sie schon öfterer gethan, durch angenommene Ungeschicklichkeit zu ermüden suchen sollte. Da erschienen zu ihrer Rettung die Frau und Töchter des Doktors Birch, des Vorstehers einer großen Erziehungsanstalt, Doktor Falkland und Miß Alice, zu einer Aufführung des Cato von seinen Zöglingen, Ende der Woche einzuladen.
Die drei jungen Damen geriethen in Verzweiflung über die trostlose Nachricht, daß Falkland bis zu dieser Zeit noch nicht zurückgekehrt sein würde; und Miß Patty, deren Interesse für den jungen, hübschen Doktor noch etwas größer als das ihrer Schwestern zu sein schien, beschloß, ihr warmes Gefühl durch besondere Aufmerksamkeit gegen seine von ihm so zärtlich geliebte Mündel an den Tag zu legen, und bat daher so dringend, das Kind mit zu der Aufführung zu bringen, daß Miß Alice endlich einwilligte. Kaum hatte sich der Besuch entfernt, als sie in ihr eigenes Zimmer eilte, eine Musterung ihrer Garderobe anzustellen, welche sie so sehr beschäftigte, daß sie Adelaiden, das Namentuch und alles darüber vergaß. Diese, höchst erfreut, der strengen Aufsicht überhoben zu sein, lief mit ihrem Körbchen in den Garten, füllte es mit den schönsten Blumen und suchte eine kleine Gespielin in der Nachbarschaft, das Kind einer armen Frau, welcher Falkland viel Gutes erwiesen, auf, um mit dieser ein längst verabredetes Projekt auszuführen. Unbemerkt von ihrer Wärterin, die sie bei Miß Oldworth vermuthete, kehrte Adelaide erst nach zwei Stunden wieder zurück, ängstlich bemüht, der sorgsamen Norah ihre innere Bewegung zu verbergen.
Kaum zurückgekehrt von dieser heimlichen Wanderung, klopfte ein junger Mann von edlem, aber leidenden Ansehen an die Hausthür und fragte nach Doktor Falkland. Die Nachricht seiner Abwesenheit schien ihm sehr unangenehm; und auf die Frage nach seinem Namen, damit Herr Falkland ihn nach seiner Zurückkunft von Winchelsea aufsuchen könne, erwiederte er: ›daß er nach Verlauf einiger Stunden schon mehrere Meilen in See sein würde.‹ So ward er für einen Kranken gehalten, der des Doktors Rath noch vor dem Antritt seiner Reise zu haben wünschte, und Niemand dachte mehr an ihn, als er das Haus verlassen hatte.
Miß Alice brachte am Abend des Schauspiels so viel Zeit bei ihrer Toilette zu, und ging den Feldweg nach Doktor Birchs Wohnung so langsam, um ihr Gesicht nicht zu erhitzen und aufgedunsen auszusehen, daß das Theater schon zum Erdrücken voll war, als sie mit ihrer kleinen Begleiterin daselbst anlangte. Miß Patty hatte verdrießlich der Ankunft der Falklandschen Gesellschaft geharrt, und führte nun die erschrockene Alice im raschen Lauf durch den Hof neben dem Stall, über welchen die Schauspieler ihren Weg nach der Bühne nehmen mußten. Unglücklicherweise war eine Thür, nachdem die letzten Wagen hereingekommen, aufgeblieben, und ein Pferd, das sich losgerissen, stürzte, durch irgend etwas wild geworden, auf den von Miß Patty angeführten Zug los. Miß Alice ließ Adelaidens Hand fahren, sich selbst zu retten, und Miß Patty war schon zu weit voraus, ihr Beistand leisten zu können; so sah sich denn das hülflose Kind ganz verlassen, und war eben im Begriff, dem wüthenden Thiere ausweichend, sich seitwärts zu wenden, wo eine steile steinerne Treppe zu einem reißenden Strome hinabführte, als ein schöner Knabe von dreizehn Jahren, glänzend gekleidet als Marcia, uneingedenk seines weiblichen Anzugs, sich rasch von dem Träger seiner schimmernden Schleppe losriß, und mit wahrhaft heldenmüthiger Kühnheit auf das Kind losstürzte, es der augenblicklichen Gefahr entriß und, den fernern Angriffen des wilden Pferdes zu entgehen, die Treppe damit hinuntereilte. Jetzt erst war Hülfe herbeigekommen, und das Pferd wurde wieder eingefangen. Die zitternde Adelaide in seinen Armen eilte der Knabe nun die Stufen hinan, und um nicht durch die zerrissene Schleppe in seinem Lauf gehindert zu werden, fuhr er mit dem Kopf durch das größte Loch.
Diese gefährliche Unterbrechung hatte Miß Alicen so lange aufgehalten, daß alle Sitze schon besetzt waren, als sie die Thüre erreichte. Miß Patty sah sich daher genöthigt, hinter die Coulissen zu eilen und den Theaterdirektor zu ersuchen, ihr und zwei Freunden Plätze in des Souffleurs Seitenloge zu gestatten. Hier endlich etablirt, überreichte der Souffleur den beiden Damen Comödienzettel, der kleinen Adelaide aber keinen, in der Voraussetzung, daß sie noch nicht lesen könnte. Diese sah jedoch den Mann mit einem so schlauen Lächeln an, daß ihr junger Befreier, welcher neben ihr stand, sie lächelnd fragte: ›Ob sie den Zettel lesen könnte?‹
»Ja, Madame!« entgegnete Adelaide hocherröthend im leisesten Ton.
Der Knabe brach in ein lautes Gelächter aus, indem er ihren Ausdruck: »Madame,« wiederholte. »Zittern Sie noch für mein weibliches Benehmen, Herr Fagg?«
Miß Alice brannte vor Ungeduld zu erfahren, wer der schöne, lebendige Knabe sei; aber in diesem Augenblick ging der Vorhang auf und hemmte alle Fragen.
Die lauten Zeichen des Beifalls, welche man so höflich und so gütig war, der jugendlichen Anstrengung zu zollen, erschreckten die arme Adelaide, die noch nie irgend etwas in der Art gehört hatte; und da sie von ihrem Platz aus nicht sehen konnte, woher dieses Geräusch entstand, nahm ihr Entsetzen zu, und sie klammerte sich ängstlich an Miß Marcia, wie sie den schönen Knaben nannte, in der Voraussetzung, daß, wer sie aus einer Gefahr gerettet, sie auch vor jeder andern beschützen würde. Sie sah sich nicht betrogen in dieser Erwartung; denn ihr neuer Freund suchte sie nicht allein durch liebreiche Worte zu beruhigen, sondern lief auch fort, ihr ein Spielzeug zu holen, womit sie sich die Zeit während des ernsten Schauspiels vertreiben könnte; da jedoch sein Auftreten in den nächsten Augenblicken erwartet wurde, hatte er in der Eile nur einen Summkreisel und einen Ball finden können.
Die ausgezeichnete Schönheit seiner Gesichtszüge und die anmuthigen Bewegungen seines Körpers erregten allgemeine Aufmerksamkeit; doch wer beschreibt die Bestürzung des weiblichen Theils der Birchschen Familie, als sie die schöne Kreppschleppe, von welcher sie sich so viel für das Schauspiel versprochen, und die ihm ein so majestätisches Ansehen verliehen, in einem festen Knoten zusammengeknüpft um seine Füße herumhängen sahen, welchen Ausweg er mit seinem Freund Syphax ergriffen hatte, die Löcher zu verdecken.
In den Zwischenakten erfuhr Miß Alice von Miß Patty, daß dieser schöne Knabe, Namens Bouverie, ein Mündel von Lord De Moreland, und obgleich nur ein ferner Verwandter (da er von einer Seitenlinie der Familie abstammte), dennoch, in Ermangelung männlicher Nachkommen, nach Lord Roscoville der nächste Erbe der Titel sei.
Sie erzählte ferner, daß Lord Leyburn und Bouverie zusammen die Westminster Schule besucht, ersterer sich aber so schlecht daselbst betragen habe, daß man ihn auszustoßen beschlossen, worauf Lord De Moreland, der Familie diese Schande zu ersparen, beide Knaben weggenommen, obgleich Bouverie dort glänzende Fortschritte gemacht, und sie ihrem Vater übergeben habe, welcher keine große Freude über dieses Zutrauen geäußert, indem er fürchte, daß Lord Leyburn durch seiner Mutter unverantwortliche Nachgiebigkeit im Keim verdorben, keiner Besserung mehr fähig sei.
»Aus Bouverie hingegen,« fuhr Miß Patty fort, »könnte mein Vater hoffen, ein würdiges Mitglied der Gesellschaft und in geistiger Hinsicht einen ausgezeichneten Menschen zu erziehen, wenn er von Lord Leyburn getrennt würde. Doch dies ist nicht zu bewerkstelligen, da von oben herab verordnet worden, daß sie einen Weg zusammen gehen sollen; und, so sagt mein Vater, steht zu erwarten, daß Bouverie mit allen seinen edlen Anlagen der Macht des bösen Beispiels erliegen wird. Denn leichtgläubig, ohne Mißtrauen, flüchtig, unüberlegt, ist er nur zu geneigt, sich von seinen Gefährten mit fortreißen zu lassen. Den Eingebungen des Augenblicks folgend, thut er, ohne darüber nachzudenken, was ihm recht erscheint. Sein Herz und seine Börse stehen Jedem offen, und er ist von allen seinen Gefährten geliebt und gefürchtet; geliebt wegen seiner Herzensgüte und ungewöhnlichen Sanftmuth, gefürchtet wegen seiner Tapferkeit, welche er jedoch nur zur Vertheidigung Anderer, der Schwachen gegen die Starken, äußert.«
Der letzte Akt begann, und die Knaben spielten vortrefflich. Nur Bouveries herumhängende Drapperie, der er manchmal zur freiern Bewegung einen Schwung gab, erregte ein nicht zu unterdrückendes Lächeln. Als die arme Marcia jedoch endlich, ermüdet durch diesen anhaltenden Ernst, in einer Liebesscene Juba einen unglücklichen schelmischen Blick zuwarf, gerieth dieser in einen solchen Lachreiz, daß er, um ihn zu unterdrücken, einen hörbaren Seufzer herauspreßte, den Bouverie mit einem so tiefen Aechzen erwiederte, daß die ganze Versammlung nicht länger im Stande war ein lautes Gelächter zu unterdrücken, welches auch nicht eher aufhörte, bis der höchlichst erzürnte Doktor Birch den Vorhang herunterzulassen befahl, und hinter die Scene ging, die jungen Schauspieler wegen ihrer unzeitigen komischen Darstellung auszuzanken.
Donnernder Beifall folgte jetzt, nachdem das Stück beendet war, dem Lachen; und Miß Patty, stets bemüht allen Angehörigen Falklands ihre Aufmerksamkeit zu bezeigen, nahm Adelaiden an die Hand und führte sie nebst Miß Oldworth in die obern Zimmer, wo Erfrischungen aufgetragen waren. Leider mußte diese hier bemerken, daß der größte Theil der vornehmen Gäste gleich vom Theater aus weggefahren und nur eine kleine Anzahl zurückgeblieben war, ihren gewählten Anzug zu bewundern, der durch den Wunsch, sich des allgemeinen Beifalls würdig zu machen, verspätet, früher keine Gelegenheit gefunden hatte, sich in seinem Glanz darzustellen.
Außer Miß Patty befand sich noch manche Schöne in der Gesellschaft, die im Stillen für den reizenden Falkland seufzte, und gleich ihr, seine Liebe durch zarte Aufmerksamkeiten gegen seine Mündel zu erwerben versucht hatte; doch vergebens, da er alle Einladungen für das Kind bis jetzt standhaft abgewiesen und dadurch jede Annäherung an dasselbe verhindert hatte. Die glückliche Gelegenheit wahrnehmend, drängte sich jetzt alles spielend und kosend um die liebliche Adelaide, die sehr bald Miß Alicens Augen entrückt, in einem andern Zimmer spielte, bis sie von Dennis abgeholt wurde, der von dem einen ganzen Tag früher zurückgekehrten Falkland zu diesem Zweck hingeschickt worden war.
?Nachdem Miß Alice sich hatte bereden lassen, noch ein Abendessen bei ihren Freunden einzunehmen, schlug endlich die Stunde des Abschieds; und nun erst gedachte sie des ganz vergessenen Kindes. Mit Erstaunen vernahm sie, daß es schon vor mehreren Stunden von dem lahmen Bedienten abgeholt worden sei, und ihr ganzer Zorn brach nun gegen Norah und Dennis aus, da man Falklands Namen nicht dabei genannt. Der auf dem Rückweg genährte Unwillen brach in einen Strom heftiger Vorwürfe über Mangel an Gehorsam und Einmischung in ihre Angelegenheiten gegen den armen Dennis aus, wie dieser ihr die Hausthüre öffnete. Als er ihr aber kaltblütig entgegnete, daß er nur den Befehlen des Herrn Doktors gehorcht, und dieser aus seinem Studirzimmer tretend, ihr ironisch für die genaue Erfüllung seiner Wünsche, hinsichtlich der treuen Sorgfalt für das ihm anvertraute Kind zu danken, war sie wie vom Donner gerührt.
»Ein feines Benehmen!« rief sie mit Zorn erstickter Stimme, sich in ihrem Zimmer auf einen Stuhl werfend, und Dennis eilte Martha und Herrn Crow zu ihrem Beistand herbeizurufen.
Am folgenden Morgen fand Falkland zu seiner Beruhigung, daß Adelaide, außer eines blässern Colorits, keinen Nachtheil von ihrem ersten Auftreten in der Welt, von der drückenden, beengenden Luft des Theaters und von dem feuchten Abendnebel erlitten hatte. Die nähern Umstände ihrer Errettung durch den jungen Bouverie erfuhr er erst von ihr selbst, mit manchen dankbaren und liebevollen Aeußerungen über Miß Marcia untermischt. Und je mehr ihm Adelaide erzählte, desto größer ward sein gerechter Unwillen gegen Miß Alice, den er nur in Erinnerung ihres würdigen Onkels, seines Wohlthäters, unterdrückte.
Aber auch Miß Alice konnte Falklands ironische Danksagung nicht vergessen und fühlte sich zu sehr zurückgesetzt, um beim Frühstück zu erscheinen, wogegen Herr Crow nicht ermangelte, ihr so früh als möglich seine Aufwartung zu machen und, ihre erbitterte Stimmung gegen den Doktor benutzend, manche hämische Bemerkung über dessen abgötterische Liebe zu dem Kinde machte, welche er von der Leidenschaft für die Mutter desselben herleitete.
Falkland unterließ nicht, noch am selbigen Tage einen Besuch bei Doktor Birch abzustatten, dem jungen Bouverie selbst für seine heldenmüthige Errettung des gefährdeten Kindes zu danken. Er fühlte sich so sehr durch die Anmuth, Liebenswürdigkeit und Schönheit des Knaben angezogen, daß er sich von Doktor Birch die Erlaubniß ausbat, den Ritter seiner Mündel auf einen Tag entführen zu dürfen. Adelaide empfing ihn mit kindlicher Freude, obgleich sie anfänglich nicht recht begreifen konnte, wie es zuging, daß er nicht Miß Marcia wäre. Seine zarte, sanfte Art mit ihr umzugehen und zu spielen, gewann ihm Falklands ganzes Herz und seiner Pflegetochter Erkenntlichkeit. Nur Miß Alice äußerte sich über diese neue Huldigung des vom ganzen Hause verzogenen Kindes, wie sie Adelaiden nannte, mit unverholenem Mißvergnügen, und schien allein entschlossen, durch Härte und Unfreundlichkeit gegen dasselbe ein gewisses Gleichgewicht hervorbringen zu wollen. Auch verdoppelte sie ihre Aufmerksamkeit und spähenden Blicke und ließ nichts unbeachtet, was Bezug auf Adelaiden hatte. Daß sie hierzu durch Lady Leyburn veranlaßt worden, welche während Falklands kurzer Abwesenheit einen Besuch bei ihr abgestattet, und sie unter mancherlei scheinbaren Vorwänden aufgefordert hatte, ein wachsames Auge auf Adelaiden zu haben, deren gerechte Ansprüche an ihres Onkels Liebe und einstiger Erbschaft sie auf alle Weise zu hintertreiben beschlossen, war dem Vormund sorgfältig verheimlicht worden. Erst als diesem ein Brief Alicens an Lady Leyburn in die Hände fiel, und er ihre Verlegenheit über sein Erstaunen deshalb und, über seine Frage: ›wie lange sie schon mit dieser Dame, bekannt sei?‹ gewahrte, stieg ein leichter Verdacht in ihm auf. Sie erzählte ihm mit erzwungener Unbefangenheit, daß Ihre Herrlichkeit auf Schloß De Moreland gewesen, während er zum Major Walsingham gerufen worden, und sie in der Absicht besucht hätte, Erkundigungen über einen männlichen Domestiken einzuziehen, der früher eine Zeitlang bei Herrn Oldworth gedient, worauf sie ihr eben jetzt Bescheid ertheilt, da sie erst nach seinem nachherigen Lebenswandel habe forschen müssen.
Um der Nichte seines Wohlthäters, die er jetzt ohnehin oft wegen ihres kaum mehr zu unterdrückenden Hasses gegen Adelaiden, durch strenge Worte zurechtweisen mußte, nicht durch einen falschen Verdacht Unrecht zu thun, enthielt sich Falkland für den Augenblick aller Zweifel an der Wahrhaftigkeit ihrer Aussage, suchte jedoch, nachdem Alice das Zimmer verlassen, mit Bouverie, das Gespräch fortzusetzen und erfuhr von diesem, daß Lady Leyburn und Lord Roscoville wirklich in der von Miß Oldworth angegebenen Zeit zwei Tage auf Schloß De Moreland gewesen, wo sich die Geschwister getrennt, Lady Leyburn um nach der Abtei Roscoville zurückzukehren, und Se. Herrlichkeit um die beabsichtigte Reise nach dem Continent anzutreten.
»Lord Roscoville im Schloß, ohne die Waise seines geliebten Bruders zu besuchen?« rief Falkland. »Er konnte mir so nahe sein, ohne mir eine Antwort auf die in Bezug auf meine Mündel an ihn und seinen Großvater geschriebenen Briefe zu ertheilen? – Doch jetzt begreife ich es. Gewiß war der edle Fremde, der mich aufsuchte, als ich unglücklicherweise von Seaview entfernt war, und seinen Namen nicht zurücklassen wollte, der Onkel meiner Adelaide.«
»Ich bezweifle es nicht,« entgegnete Bouverie, »da er nur hierher kam, das Grab seines Vaters und Bruders zu besuchen, von welchem traurigen Gang er, wie mir Leyburn erzählte, tief erschüttert zurückkehrte. Doch weiß ich auch,« fügte er hinzu, »daß Lady Leyburn ihren Bruder nur deshalb nach Kent begleitete, um ein Zusammentreffen mit seiner Nichte zu verhindern; und wie eine vorsichtige Schildwache hat sie ihren Posten nicht verlassen, bis Lord Roscoville von Seaview abgereis't war.«
Zwei ganze Tage verstrichen, ehe Falkland seinem jungen Freund gestattete, zur Schule zurückzukehren; er hatte ihn wie einen jüngern Bruder liebgewonnen, und von nun an brachte Bouverie alle freien Tage und Stunden in seinem Hause zu. Mit Adelaiden zu spielen, spazieren zu gehen, im Garten zu arbeiten, ward sein liebstes Geschäft; und als er sich das erste Mal von ihr trennte, faßte er den festen Entschluß, sie sein ganzes Leben lang wie ein älterer Bruder zu lieben, für ihr Bestes zu sorgen, und auf alle diejenigen, welche sie zu kränken geneigt waren, ein wachsames Auge zu haben.
Nach Verlauf von vier Jahren, in welchem Zeitraum sich nichts Erhebliches ereignete, und Falkland keine Kunde von irgend einem Theil der Familie seiner Mündel erhielt, da Lord Roscoville noch nicht vom Continent zurückgekehrt war, und Ellen ausdrücklich von ihm verlangt hatte, keine feindlichen Maaßregeln wegen ihres Kindes väterlichem Erbtheil zu ergreifen, ertheilte Lady Leyburn endlich ihrem Sohn und ihres Großvaters Pflegesohn die Erlaubniß, die Schule mit der Akademie zu vertauschen, für welche Bouverie, jetzt gerade siebzehn Jahr alt, schon längst reif gewesen wäre. Da der junge Lord aber, obgleich älter an Jahren, ihm an Kenntnissen weit nachstand, hatte er warten müssen, bis dieser nur einigermaßen dazu vorbereitet war.
Die bevorstehende Trennung von Montagu erfüllte Adelaiden und ihren Vormund mit Trauer, so sehr Letzterer sich auch freute, ihn in einem seinen Fähigkeiten entsprechendern Wirkungskreis versetzt zu sehen. Einige Tage vor der Abreise nach Cambridge lud Falkland ihn noch ein Mal nebst der Familie des Doktors Birch und seinen Freund Mellifort zu sich ein.
Dieser Letztere, ein junger Mensch, der Leitung des Doktors übergeben, der durch Verführung und böses Beispiel nicht allein zu tausend leichtsinnigen, sondern auch zu manchen schlechten Streichen verleitet worden war, hatte sich gleich nach Montagus Eintritt in die Schulanstalt demselben aus Neid und Mißgunst feindlich entgegengestellt und ihm auf alle Weise zu schaden gesucht. Das liebevolle, kindliche Gemüth des Knaben fühlte sich durch diesen unverdienten Haß tief gekränkt. Da Mellifort bei allem Hang zum Bösen viel gute Eigenschaften, und die herrlichsten Anlagen und Fähigkeiten besaß, vermochte Bouverie nicht, ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, er bemühte sich vielmehr, sein Herz durch kleine Aufmerksamkeiten und Aufopferungen zu gewinnen. Anfänglich vergebens; und erst später, kurz zuvor als Montagu Falklands Bekanntschaft gemacht, ward ihm der gehoffte Lohn.
In Folge einer sträflichen Handlung von Allen verlassen, der Reue und Verzweiflung Preis gegeben, trat Bouverie ihm mitleidsvoll bei. – Tief gerührt durch dieses edelmüthige Betragen, gelobte Mellifort Besserung, und hielt Wort. Von Stunde an entspann sich das herzlichste, innigste Verhältniß zwischen Beiden, und Melliforts Betrübniß, als jetzt endlich für Bouverie die Erlaubniß die Schule mit der Universität zu vertauschen anlangte, kannte keine Grenzen. Nun hielt er sich auch nicht länger verbunden seines Freundes Großmuth zu verschweigen, wie er es diesem versprechen müssen, und bekannte, daß Bouverie in den letzten vier Jahren von seinem Taschengelde jedes Vierteljahr fünf Pfund für ihn in der Bank von Dover deponirt, um dem armen, alles Zuschusses beraubten Freundes nach beendeten Schuljahren die Mittel zu seiner fernern Ausbildung zu gewähren.
Da Miß Alice nicht versäumt hatte, ihrer Freundin Miß Patty Falklands beabsichtigte Verbindung mit seiner Mündel ins Ohr zu flüstern, hatte sich dieser jungen Dame wohlberechnete Freundlichkeit gegen die arme Adelaide in Haß verwandelt; und da beide liebenden Gemüther fest überzeugt waren, ihren Zweck nur durch des Kindes Entfernung erreichen zu können, beschloß Mama Birch, in alle Geheimnisse und Wünsche ihrer Töchter eingeweiht, Miß Alicens Bestrebungen, Adelaide in eine ferne Schulanstalt zu bringen, nach Kräften zu unterstützen. Mit diesem Vorsatz langte die Familie bei Falkland an.
Zu Ehren Bouveries ward Adelaiden heute von ihrem Vormund gestattet, mit der Gesellschaft zu essen. Und als sich Doktor Birch gegen Ende der Mahlzeit in Folge des Gesprächs heftig gegen die Sucht, Heirathen zu machen, aussprach, erwiederte Bouverie lächelnd:
»Nein, liebster Doktor! Verwerfen Sie das Geschäft nicht so unbedingt; denn ich selbst gehe mit dem Gedanken um, eine Verbindung mit der jüngsten Dame in dieser Gesellschaft und einem hoffnungsvollen Jüngling ihres eigenen Namens zu schließen.«
Falkland erröthete vor Freude über die Aussicht, einen im Stillen gehegten Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen. Seine Bewegung ward jedoch von den aufmerksam beobachtenden Damen falsch ausgelegt.
»Herr Falkland wird über meine früh getroffenen Einrichtungen lachen,« fuhr Bouverie fort; »aber es ist schon über ein Jahr her, daß ich seine Mündel für meinen Bruder, den schönsten Knaben, den die Natur je gebildet, bestimmte. Als wir vor drei Jahren unsre geliebte Mutter verloren, ward er seinen Pflegeeltern, unserm Onkel mütterlicher und unserer Tante väterlicher Seite, Lord und Lady Clyde, übergeben, von denen er wie ihr eigener Sohn erzogen wird. Er ist vier Jahr jünger als ich, und so ausgezeichnet, so himmlisch von Körper und Gemüth, daß ich meinen lieben Theodor unbedingt für ein würdiges Gegenstück zu unserer Adelaide erklären kann. Auch habe ich meine Tante schon davon in Kenntniß gesetzt, daß ich eine Gefährtin für ihren männlichen Heiligen gefunden.«
Falkland lächelte; aber sein Herz fühlte sich in seinen schönsten Erwartungen getäuscht. Adelaide erröthete, und Miß Alice rief mit einem sarkastischen Lächeln:
»Wenn Sie eine Heilige in Miß Bouverie für Ihren Bruder zu finden wünschen, so müssen Sie Herrn Falkland zu überreden suchen, sie in eine Erziehungsanstalt zu schicken, auf daß sie erst zu einer solchen gebildet werden kann.«
»Es wäre jetzt allerdings Zeit,« sagte Mstrß. Birch mit vertraulicher Miene zu Falkland gewendet, »Miß Bouveries Erziehung zu beginnen, da es nicht gut ist, die Kinder zu lange in Unwissenheit zu erhalten.«
»Dies habe ich,« entgegnete Falkland, mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf Dr. Birch, »bei meinem Zögling glücklicherweise zu verhüten gesucht.«
»Sie kann freilich lesen,« rief Miß Alice spöttisch aus, »und es würde eine Schande für ein Mädchen zwischen acht und neun Jahren sein, wenn sie es noch nicht könnte; aber sie hat doch noch keinen Unterricht im Tanzen und in der Musik gehabt.«
»Das sind freilich schwere Anklagen gegen mich,« sagte Falkland lächelnd; »doch bekenne ich mich nicht schuldig, wie mein gelehrter Freund, Dr. Birch bezeugen kann.«
»Und mit vollem Recht,« nahm dieser das Wort, »indem ich hiermit behaupte, daß keine Dame in der Gesellschaft bewanderter in Geographie und Astronomie ist als Miß Adelaide; daß sie viel mathematische Kenntnisse besitzt, in der biblischen und alten Geschichte wohl erfahren ist, italienisch und französisch nicht allein richtig lies't, sondern auch schon spricht und mehr Latein versteht, als die meisten Knaben von acht bis neun Jahren in meiner Schule.«
Adelaide hatte sich während der Aufzählung ihrer Kunstfertigkeiten leise entfernt; und Miß Patty, nachdem sie sich von ihrem Erstaunen über die Kenntnisse der vermeintlichen kleinen Ignorantin erholt, rief: »Aber wozu nützt das Latein, als um die Weiber pedantisch zu machen?«
»Das scheint bei Miß Bouverie nicht zu befürchten zu sein,« entgegnete Dr. Birch schlau lächelnd, »da Miß Oldworth doch selbst geglaubt, daß sie nur ihr A-B-C-Buch zu lesen verstände.«
»Auch ich habe mich täuschen lassen,« rief Bouverie mit glänzenden Augen, »Wie oft, wenn ich ihr aus Kinderbüchern vorgelesen, hat sie mir so freundlich gedankt, als ob ihre Fähigkeiten nicht über diesen Gegenstand hinausreichten; und wenn ich ihr französische oder lateinische Unterschriften, oder geschichtliche Andeutungen erklärte, verrieth sie auch nie durch Wort oder Blick, daß sie dieses Alles schon wüßte.«
Es entspann sich nun eine Unterhaltung über Falklands fernere Pläne hinsichtlich Adelaidens Erziehung, woraus sich ergab, daß sie auch schon einen Anfang im Zeichnen und in der Musik bei ihrem Vormund gemacht hatte.
In ihren Erwartungen getäuscht, zogen sich die Damen jetzt ins Gesellschaftszimmer zurück, um ungestört über Falklands Eitelkeit, eine Gelehrte aus seiner Mündel ziehen zu wollen, spötteln zu können.
Als die Herren zum Thee erschienen, vermißte Bouverie Adelaiden; doch gewohnt, sie immer später wieder kommen zu sehen, wartete er erst noch eine kurze Zeit, und ging dann, sie bei ihrer Wärterin aufzusuchen.
Dennis zornige Stimme tönte ihm schon von weitem entgegen, und er eilte zu erfahren, was diesen treuen Diener und zärtlichen Anhänger des Lieblings, wie er Adelaiden nannte, zu einem so lauten Ausbruch vermocht haben konnte. Rasch öffnete Bouverie die Thür und erblickte seine kleine Freundin, das Gesicht an den Busen ihrer Wärterin geschmiegt, laut und convulsivisch schluchzen, während diese, selbst weinend, das bewegte Kind zu beruhigen strebte, und Dennis, mit dem Ausdruck innigsten Mitgefühls, ein Glas Wasser in der Hand, daneben.
»Mein Gott! was ist hier vorgefallen?« rief Bouverie bestürzt. – Adelaide erhob die thränenschweren Augen ihm zu antworten, vermochte aber keinen Laut hervorzubringen, und so mußte er sich denn von dem erbitterten Dennis die Veranlassung dieser Scene berichten lassen.
Als Freundin und Beschützerin aller Hausthiere hatte Adelaide stets eine große Vorliebe für die Bewohner des Hühnerhofs gezeigt, und besonders seit Kurzem ihre ganze Zärtlichkeit einem jungen Hühnchen zugewandt, welches, zahmer als die übrigen, ihr wie ein Hund nachfolgte, aus ihrer Hand fraß, und ihre Zuneigung zu theilen schien. Falkland hatte des schmeichelnden Kindes Bitte, dieses Hühnchen nie schlachten zu lassen, gern bewilligt, und ihm erst gestern das Versprechen des ewigen Lebens ertheilt. Miß Alice hingegen, solches nicht beachtend, oder auch um ihr Recht als Hausvorsteherin zu behaupten, befahl es als das wohlgenährteste zu der heutigen Mahlzeit zu schlachten. Und als Adelaide nun nach Tische in den Hühnerhof ging, ihre gefiederten Freunde zu füttern, vermißte sie den Liebling und erfuhr dessen Tod. Von Schmerz überwältigt, und von dem peinigenden Gedanken gequält, selbst von dem Hühnchen gegessen zu haben, kehrte sie zu ihrer treuen, theilnehmenden Norah zurück, und gerade in dem Augenblick, als Dennis seinen Zorn über die alte Mörderin Alice in Worten Luft gemacht, war Bouverie eingetreten.
»Meine süße Adelaide,« sagte er zärtlich, »soll ich das Ungeheuer, die böse Alice, tödten?« »Nein,« schluchzste das tief ergriffene Kind, »nein, lieber Montagu, nicht tödten; aber ihr Menschlichkeit lehren.«
Bouverie hatte Falkland herbeigerufen, der alle Beredtsamkeit aufbot, das erschütterte Gemüth seines Pfleglings zu beruhigen, was ihm jedoch nicht eher gelang, bis Dr. Birch, von Montagu hergesandt, Adelaiden die feste Versicherung gab, nichts von dem gemordeten Liebling gegessen zu haben, indem gerade dieses Hühnchen als das fetteste, den besten Abgang gefunden, und längst vergriffen gewesen sei, bis die Schüssel zu ihr gelangt.
Bouverie war am folgenden Morgen schon vor dem Frühstück bei Falkland, sich nach Adelaiden zu erkundigen, deren Nacht sehr unruhig gewesen, weshalb er selbst mit der Wärterin bei ihr aufgeblieben, bis sie gegen Morgen in einen sanften Schlaf gefallen.
»Der Schlag war zu stark für diese sanfte Natur,« sagte Falkland. »Die Reizbarkeit ihres Gefühls ist so groß, daß –«
»Der Mann, dem sie einst zu Theil wird,« fuhr Bouverie, Falklands Bemerkung fortsetzend, fort, »einen schweren Stand haben wird, indem er alle heftigen Gefühle unterdrücken muß, da jedes harte Wort, jeder unfreundliche Blick ihr Herz zerreißen würde. Und wer könnte so unmenschlich fein, Adelaidens Herz geflissentlich zu verwunden!«
»Ich bin der Meinung,« entgegnete Falkland, »daß Adelaidens glücklicher Gatte dereinst keinen so schweren Stand haben wird, als Sie, in Ihrer brüderlichen Sorge, voraussehen. Die zarte Jugend meiner Mündel entschuldigt die große Reizbarkeit des Gefühls; aber lassen sie nur erst den Verstand dem Herzen zu Hülfe kommen, so bin ich unbesorgt.«
Bouverie hatte für seine geliebte Schwester ein Andenken mitgebracht, welches er ihr selbst zu überreichen wünschte. Und als sie bald darauf in ihres Vormunds Studirzimmer kam, ihm für seine ihr aufgeopferte Nachtruhe zu danken, bewiesen ihre blassen Wangen und matten Augen, daß der Eindruck der gestrigen Scene bei ihr nicht so vorübergehend, wie bei andern Kindern ihres Alters gewesen sei.
Montagu erzählte ihr, daß Lady Leyburns Equipage gestern Abend unerwartet angekommen, ihren Sohn und ihn nach Roscoville abzuholen, woselbst sie ein Paar Tage vor ihrem Abgang nach Cambridge bleiben sollten, und daß er deshalb genöthigt wäre, die Schule noch diesen Morgen zu verlassen.
Adelaide brach in einen Strom von Thränen aus, und rief: »Muß ich denn jeden Tag einen Liebling verlieren?«
Bouverie schloß sie bewegt in seine Arme, und tröstete sie mit der Versicherung, in jeden Ferien einen kleinen Abstecher nach Seaview machen zu wollen; und da die Zeit drängte, drückte er ihr schnell einen schönen goldenen Bleistift, nebst einem eleganten Pettschaft, worauf Adelaidens Namen gegraben, in die Hand.
Mit dem Erröthen der Freude, sprach sie schüchtern ihren Dank aus, worauf Montagu sie umarmte, dem treuen Freund mit Herzlichkeit die Hand drückte und dann hastig davon eilte.
Ungefähr ein Jahr, nachdem Montagu Bouverie die Schule verlassen, ward Falkland, dessen Praxis sich täglich weiter ausdehnte, durch einen Expressen zu einem Herrn Mordaunt, zwei Meilen von Seaview, geholt, von dem er nur durch das allgemeine Gerücht wußte, daß er ein alter, sehr reicher Junggeselle war, dessen Gemüthsart so wunderlich und ungesellig, daß er mit keinem seiner Nachbarn im Verkehr stand, und einem nach den andern sein Haus verboten hatte, während er sich gegen das schöne Geschlecht noch viel ungalanter betrug und keinem weiblichen Wesen, außer einigen wenigen unentbehrlichen Dienstboten, den Eintritt in seine Wohnung gestattete. Nur von Hunden umgeben, denen er menschliche Liebe und Zärtlichkeit bewies, lebte er ganz allein in seinem Hause; der Grund dieser Menschenfurcht und dieses Menschenhasses ward bittern Täuschungen in der Freundschaft und Liebe zugeschrieben.
Als Falkland ankam, ward er gleich in ein geräumiges Zimmer geführt, in welches ein alter Mann von mürrischem, zurückstoßendem Ansehn neben einem reich mit Gold verziertem Bett, mit rothen Sammtdecken saß.
»Hier ist Doktor Falkland, mein Herr;« sagte der vorangehende Bediente, und zog sich nach dieser Meldung rasch zurück.
»Nein, nein, junger Mann, Sir oder Lord, was Sie sein mögen!« rief Mordaunt aus, indem er Falkland mit gerunzelter Stirn von oben bis unten betrachtete. »Ich merke schon, Sie sind irgend ein junger Modenarr, der hierher gekommen ist, den alten Misanthropen zum Besten zu haben. Doktor Falkland dünkte sich wohl zu viel, um sich selbst herzubemühen.«
»Sir,« entgegnete Falkland, näher tretend, »mein Name ist Falkland, und ich ward hierher gerufen, wie ich glaube, um meinen Beruf als Arzt oder Apotheker zu erfüllen.«
»Dazu sehen Sie bei meiner Ehre zu höfisch aus,« erwiederte Mordaunt, »doch vielleicht sind Sie kein so verdammter Hasenfuß, der es unter seiner Würde hält, das Bein eines ehrlichen, treuen Neufundländer Hundes einzurichten oder zu amputiren. Hier liegt er im Bette und stöhnt; erst kürzlich hat er mir das Leben gerettet, deswegen wollte ich ihm nun das seinige wo möglich auch zu erhalten suchen.«
»Ich halte es nie unter der Würde eines Mannes, die Leiden irgend eines Wesens zu mildern,« sagte Falkland, »und Hunde sind ja ohnehin die gebornen Freunde der Menschen, wie Ihr Kranker Ihnen erst kürzlich durch die That bewiesen.«
»So wollten Sie also wirklich die Cur unternehmen?«
»Sehr gern.«
»Gott segne Sie dafür!« rief der alte Mann des Doktors Hand mit Wärme drückend, »ich will Ihnen gleich meine Leute zum Beistand schicken, denn ich kann nicht bei der Operation sein.«
Diese ward sehr schnell und glücklich beendet, da der Beinbruch keine Amputation erforderte, und das leidende Thier leckte dem Doktor im Gefühl der Dankbarkeit die Hand. Sobald der Patient wieder in sein weiches Sammtbett gelegt worden, hinterbrachte das Oberhaupt der Dienerschaft dem alten Herrn die Kunde von der überstandenen Operation, mit vielen Lobsprüchen über Divers Standhaftigkeit und des Doktors Geschicklichkeit.
Mordaunt wußte seinem Entzücken keine Worte zu geben; er lief vom Hund zum Arzt, und ließ zur Erfrischung des Letztern auftragen, was das Haus vermochte. Als er aber dem Lebensretter seines geliebten Neufundländers beim Abschied eine Belohnung in die Hand drücken wollte, sagte dieser lächelnd:
»Entschuldigen Sie meine Verweigerung; Subordination ist der einzige Lohn, den das Menschengeschlecht vom Thiergeschlecht fordert und annimmt. Sollte mir jemals in Divers Nähe die Gefahr eines Wassertodes drohen, wird er seine Schuldigkeit gewiß ohne Aussicht auf Vergütung thun. Leben Sie wohl. Morgen werde ich den Patienten wieder besuchen.«
Und so that er auch, und ward vom Herrn und Hund mit dankbaren Aeußerungen empfangen. Zu Hause aber erwartete ihn ein großes Faß köstlichen Madeiraweins, nebst Divers gehorsamster Empfehlung; und als der treue Neufundländer seinen Gebieter zum ersten Mal wieder auf dem Spaziergang begleiten konnte, langten mehrere herrliche Stücken Silbergeschirrs, mit der eingegrabenen Inschrift: »Tribut der Dankbarkeit, der Menschlichkeit gezollt von Diver,« in Falklands Wohnung an. Und keine Woche verging, wo nicht irgend etwas Seltenes und Gutes aus Herrn Mordaunts Küche kam, die einfache Tafel des Doktors zu zieren, da der alte Menschenfeind sich selbst gelobt hatte, ihm ewig dankbar für seine Güte gegen das arme Thier zu sein. Höchst entrüstet über seinen Hausarzt, der seit zwanzig Jahren von den Leiden des Herrn und der Dienerschaft gelebt, jetzt mit dem Gefühl gekränkter Würde davon gelaufen war, als Ersterer ihn an das Sammtbett des Neufundländers geführt, mußte ihn die Menschlichkeit des fremden Mannes doppelt rühren.
Divers Geschenke waren jedoch nicht die einzigen, welche Falkland erhielt, indem seine Praxis sich unglaublich schnell ausgebreitet hatte, und jeder gerettete Patient seine Dankbarkeit an den Tag zu legen strebte.
Nicht lange nach Divers Herstellung ward Falkland gebeten, seiner kleinen Pflegetochter zu erlauben, Theil an einem Kinderfest zu nehmen, welches Mstrß. Birch ihren jüngern Kindern, zum Geburtstag des jüngsten, eines Mädchens von sechs Jahren, gab. Es sollte in einer Bauernhütte, in Herrn Mordaunts schönem Park zu Mittag gegessen werden, und da das Fest ein ländliches, in freier Luft gefeiertes war, ertheilte Falkland seiner Mündel gern die Erlaubniß dazu.
Nachdem die Kinder eine Zeit lang unter den grünen Bäumen gespielt hatten, hielten es die Wärterinnen gerathen, Anstalten zum Mittagsessen zu treffen, und ermahnten daher ihre Pflegbefohlenen, sich auf einer kleinen, von der Hütte aus zu übersehenden Anhöhe aufzuhalten, bis Alles fertig sei.
»Ich will eine Königin sein,« sagte Elise Birch, die Hübscheste von der Familie, und deshalb der verzogene Liebling ihrer Mutter, »und Ihr Andern müßt meine Ehrendamen und Pagen vorstellen. Ich schlage meinen Hof hier auf, während meine Sclaven das große Gastmahl bereiten.«
»Elisabeth kann nicht regieren, so lange ihre Schwester Marie noch lebt, ihr Recht der Erstgeburt geltend zu machen,« sagte Adelaide, nicht sehr erbaut von den Mienen der kleinen arroganten Person.
»Aber sie wird es sich anmaßen nach ihrer gewöhnlichen Weise,« entgegnete Marie Birch. »Sie wird uns schlagen, beißen und kratzen, wenn wir ihr nicht in allen Dingen nachgeben. Sie muß Königin sein, da sie es einmal verlangt hat.«
»Königin! von was denn? Vermuthlich von den Zigeunern!« rief Lydia, die Schönheit und der Verzug der Familie Woodehouse.
»Ich denke eher von den Amazonen, da sie ihre eigenen Schlachten so siegreich besteht,« sagte Adelaide lachend; »und dadurch, daß sie von ihren Sclaven spricht, hat sie bewiesen, daß sie keine englische Königin ist. Außerdem hat Ihre Majestät Anhänger genug ohne mich, deshalb will ich derjenigen, welcher die Ehre des Tages gebührt, meine Huldigungen darbringen. Komm, Charlotte, Du sollst die kleine Prinzessin vorstellen, deren Namen Du trägst; und wenn irgend Jemand sich Feindseligkeiten gegen Dich erlaubt, will ich der brittische Löwe sein und sie für Dich verschlucken.«
Der alte Mordaunt hatte, in seinem Park spazierend, aus der Ferne eine weiße Heerde gesehen, die er für seine Schwäne gehalten. Um sie auf den See zurück zu treiben, war er in die Nähe des Gehölzes hinter den Hügel gekommen, wo er seinen Irrthum gewahrte. Sobald er die Stimmen der Kinder hörte, wollte er in seiner menschenfeindlichen Manier gleich wieder davon eilen. Ein Stein in dem Schuh nöthigte ihn jedoch einen Augenblick still zu stehen, und so vernahm er Elisens Vorschlag und die darauf folgende Unterhaltung.
Adelaidens wohllautende Stimme und die für ein Kind ihres Alters ungewöhnlich kluge Rede fesselten ihn so sehr, daß er aus seinem Versteck hervortrat zu sehen, ob wirklich ein menschliches Wesen solche harmonische Töne hervorgebracht habe. Als ihn aber die Kinder erblickten, flogen sie mit einem Angstgeschrei ihren Wärterinnen entgegen, und riefen voll Entsetzen: »Er ist es! – Er ist es! Es ist der alte Mordaunt! – Nun wird er uns todt machen und seinen Hunden vorsetzen!«
Adelaide, die kleine Charlotte an der Hand, stand mit dem Rücken gegen Mordaunt gekehrt, als er aus dem Gebüsch hervortrat, so daß sie ihn anfänglich nicht sehen konnte; und da sie wenig mit den Kindern der Nachbarschaft zusammenkam, wußte sie auch nicht, daß er von den Wärterinnen als Popanz gebraucht wurde, die Unartigen in Ordnung zu halten. Deshalb entsetzte sie sich über das rohe Benehmen ihrer Gespielinnen gegen den Herrn, dem der Park, worin sie spielten, gehörte, und um es wieder gut zu machen, blieb sie stehen und verneigte sich tief erröthend mit vieler Anmuth gegen ihn.
»Weshalb fürchten sich die albernen Dinger vor mir?« fragte Mordaunt.
»Ich kann in der That nicht begreifen, warum sie geflohen sind,« entgegnete Adelaide; »denn wenn zu befürchten gewesen wäre, Ihren Unwillen durch unser Spielen in Ihrem Park zu erregen, Sir, würde mir mein Vormund gewiß nicht erlaubt haben mit herzukommen.«
»Du sprichst, wie ein wohlerzogenes Kind und siehst aus, wie ein gutes,« sagte Mordaunt, zum ersten Mal nach der Flucht seiner Braut ein weibliches Wesen mit Wohlwollen betrachtend. »Wer ist Dein Vormund, von dessen Schicklichkeitsgefühl Du mir eine so günstige Meinung giebst?«
»Herr Falkland, Sir.«
»Das hätte ich mir denken können; nur diese und keine weibliche Hand vermochte Dich so zu erziehen. Aber lebe wohl, liebes Kind, lebe wohl!« Mit diesen Worten eilte er hinweg.
Wenige, Tage nach diesem Auftritt, als Falkland, von Adelaiden begleitet, seine ferner wohnenden Patienten zu Pferde besuchte, begegnete ihm ein Bedienter Mordaunts, der ihn schnell zu seinem vom Podagra befallenen Herrn rufen sollte. Da der Doktor den Kranken in seinem eigenen Zimmer vermuthete, wagte er es, Adelaiden mitzunehmen, und übergab sie vor dem Hause haltend einem Reitknecht. Zu seinem Erstaunen fand er den alten Sonderling jedoch im Frühstückszimmer, das die Aussicht nach dem Hof zu hatte; und kaum waren die ersten Berathschlagungen über seinen Zustand vorüber, als er mit Heftigkeit das Fenster aufriß und hinausrief: »Ihr verdammten Esel! Denkt Ihr denn, daß ein solches Kind einen Regenschirm halten und das Pferd zugleich regieren kann? Geschwind gebt mir es herein.« Und mit diesen Worten ward Adelaide zum Schutz gegen den plötzlichen Sommerregen zum Fenster hineingehoben.
»Diese Dummköpfe machen keinen Unterschied, zwischen einer weiblichen Schlange und einem weiblichen Cherub. Geschwind etwas Kuchen oder dergleichen her!«
Falkland dankte im Namen seiner Mündel, indem er versicherte, daß sie keine Freude an Süßigkeiten hätte.
»Nun denn, so soll das liebe Kind etwas aus dem Garten haben. Was soll Dir der Gärtner bringen? Was ist Dir das Liebste?«
»Blumen, Sir!« entgegnete Adelaide leise, und bis an die Augen erröthend.
»Liebst Du die Blumen mehr als Früchte?«
»Viel mehr.«
»Das ist Unschuld mit Mäßigung gepaart. Du wirst nie das Podagra bekommen, Kind.«
Er ließ nun einen zierlichen Blumenstrauß ohne Dornen und einige Pfirsichen hereinbringen und gab Befehl, täglich einen Korb der schönsten Blumen für Adelaiden zu Herrn Falkland zu schicken.
Unfähig ihren Dank auszudrücken, der sich so wie die unverkennbarste Freude über diese Zusicherung in ihren Zügen aussprach, flüsterte sie dem Vormund zu, es zu thun. Und als gleich darauf der Regen nachgelassen, traten sie den Rückweg an.
»Adelaide, mein süßes Kind,« sagte Falkland ihr fest ins Auge blickend, »Du bist immer so wahr in allen Deinen Worten und Handlungen, daß ich nie veranlaßt worden bin, daran zu zweifeln; nur jetzt hat mich Dein Betragen hinsichtlich der Blumen irre gemacht, indem es von einer großen Unbeständigkeit zeugt. Du äußerst die lebhafteste Freude über ihren Besitz, arbeitest fleißig in Deinem Gärtchen, um sie aufzuziehen, überwindest Deine natürliche Schüchternheit, sie von Andern zu erbitten; Du schneidest sie ab, sobald sie auf Deinen Beeten aufgeblüht sind, und vernachlässigst diejenigen, welche Dir Andere geschenkt haben. Nie erinnere ich mich Blumen in Wasser in irgend einem Zimmer meines Hauses gesehen zu haben.«
»Ach, mein theuerster, vielgeliebter Pflegevater!« rief Adelaide in Thränen ausbrechend. »Sie werden mir zürnen, daß ich ein Geheimniß vor Ihnen gehabt. Sie werden mir vielleicht verbieten, das noch ferner zu thun, was meinem Herzen die größte Freude gewährt. – Meine Blumen gehen alle frisch auf das Grab meiner Mutter.«
»Dir zürnen! Dir die größte Freude Deines Herzens verbieten! Nein, meine Adelaide,« rief Falkland, das zitternde Kind an seine bewegte Brust drückend, »nein, nimmermehr! Aber sage mir, wie Du die Erlaubniß erhieltest, in den Kreuzgang des Schlosses zu gehen?«
Adelaide erzählte nun, wie sie Dennis und Norah darüber klagen gehört, daß sie ihrer theuern Gebieterin Grab nicht täglich mit frischen Blumen bestreuen könnten, wie es die Kinder in den Dörfern Irlands thäten; daß sie seit dem Augenblick keinen andern Gedanken gehabt, als ihrer lieben Mama Grab zu besuchen und immer mit Norah und Dennis dorthin spazieren gegangen wäre, wo sie nur durch eine Mauer von der ersehnten Stelle geschieden gewesen wäre. Daß Dennis eines Abends eine Spalte in der Mauer entdeckt, durch welche man den einfachen Grabstein mit seiner Aufschrift: »Arme Ellen!« hätte sehen können, worüber sie alle drei bitterlich geweint. »Nach dieser Entdeckung,«fuhr Adelaide fort, »kannte ich keine Ruhe, bis ich den kalten Stein mit seiner Inschrift geküßt. Ich versprach der kleinen Marie Ashfort mein schönstes Spielzeug, wenn sie unter dem Epheu eine größere Spalte auffinden würde. Und sie fand einen losen Stein, durch dessen Oeffnung ich hineinkriechen konnte; aber nun wartete ich ängstlich auf eine Gelegenheit, mich unbemerkt wegzuschleichen. Erst als Sie nach Winchelsea geholt wurden, gelang es mir; Marie begleitete mich, und ich zeigte ihr, wie man den Stein herausnehmen und wieder einsetzen könnte, und versprach ihr Alles zu lehren, was ich wüßte, wenn sie das Grab täglich begießen und mit frischen Blumen bestreuen wollte. Als ich nun so auf dem Leichenstein saß und nach der Thür blickte, die meine arme Mama von ihres Mannes Seite trennte, trat ein großer, schlanker Herr mit einem Taschentuch vor den Augen durch dieselbe herein. Ich verbarg mich hinter den Grabhügel, die kleine Marie aber glaubte einen Geist zu sehen und schrie laut auf.
Der große Mann fragte zornig: ›wie sie es wagen könnte, ihn in seinen traurigen Betrachtungen zu stören, und was sie hier machte?‹
Marie antwortete: ›daß sie Mstrß. Bouveries Grab von Unkraut säuberte und Blumen darauf streute.‹ Als er nun aber weiter forschte, auf wessen Befehl sie dies thäte? wollte ich das arme Kind nicht für meinen Fehler büßen lassen, sondern trat hervor und sagte, so gut es mit meiner von Schluchzen unterdrückten Stimme ging, ›er sollte nur nicht böse auf Marien sein, ich hätte allein Schuld; und wenn ihm eine liebe Mama gestorben wäre, würde er es verzeihlich finden, daß ein kleines Mädchen Blumen auf das Grab ihrer Mutter streute.‹
Während ich sprach, sah er mich mit einem so mitleidigen Blick an, daß meine Thränen überflossen. Er öffnete die Arme, sagte etwas, was ich nicht verstehen konnte, und rief mich zu sich. In demselben Augenblick aber rauschte eine Dame durch die Thür aus dem Schloß in den Kreuzgang, und rief mit einer, ach, so harten Stimme: ›Bruder, Bruder! wie kannst Du Deiner romantischen Schwäche so nachgeben?‹
›Verbergt Euch, Kinder!‹ flüsterte uns der Gentleman zu, ›und erwartet mich hier, ich werde gleich zurückkommen.‹
Wir aber fürchteten, daß die Dame mit der schrecklichen Stimme wieder kommen und uns strafen könnte, weil wir uns hier eingeschlichen und flohen schnell davon.«
»Ach, Adelaide!« rief der tiefbewegte Falkland, »ich wollte, Du hättest mich damals gleich von Allem unterrichtet.«
»Liebster Papa, ich konnte ja nicht, weil Sie gerade in Winchelsea waren. Doch mein Schrecken endigte sich noch nicht hiermit; denn als ich nun in der Kinderstube am Fenster stand, sah ich denselben Herrn auf unser Haus zugehen. Ich glaubte, er wollte sich über mich beklagen und Miß Alicen Alles erzählen; aber gleich darauf sah ich ihn wieder fortgehen, und freute mich sehr darüber.«
»Meine arme Adelaide, Du hattest keine Ursache. Dich zu freuen,«, entgegnete Falkland. »Dieser Herr war ohne Zweifel Lord Roscoville, auf den Du gewiß einen günstigen Eindruck gemacht, und der gekommen war, Dich als seine Nichte anzuerkennen.«
Neun Jahre waren jetzt verstrichen, seit General Aspenfields strenges Dekret dem liebenden Falkland alle Hoffnung, jemals mit Rosalinden vereint zu werden, benommen hatte; und während dieser langen Zeit unerschütterlicher Treue waren ihm so manche unzweideutige Aufmunterungen gegeben worden, sich um diese und jene Schöne zu bewerben, daß nur Rosalindens in seinem Herzen lebendes Bild ihn vor Amors Pfeilen zu bewahren im Stande gewesen war, obgleich er nie darnach zu forschen gewagt, ob die in den Zeitungen angekündigte Verbindung wirklich vollzogen worden.
Der Friede von Amiens hatte eben das Verbot Frankreich zu besuchen aufgehoben, als unter andern englischen Unterthanen, die schon längst gewünscht über den Canal zu sehen, auch der Graf und die Gräfin Beechbrook ihre Reise nach Paris antraten.
Da sie in der Nähe von Seaview wohnten, so waren Beide Falklands Freunde geworden. Er hatte Lady Beechbrook, deren Gesundheit er in einem sehr schlechten Zustand gefunden, gänzlich hergestellt und sie dadurch zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet. Aber noch lebhafter äußerte sich ihres Gatten warmes Gefühl, und Falkland sah sich von dem liebenswürdigen Ehepaar mit so viel Güte und Vertrauen behandelt, daß er ihnen den Schlüssel zu seiner anscheinenden Unbesiegbarkeit gab und sie mit der traurigen Erfahrung seines Lebens bekannt machte.
Kaum in Paris angekommen, eilte Lord Beechbrook die Familie des Generals Aspenfield aufzusuchen und sich ihr vorstellen zu lassen, um sobald wie möglich zu erforschen, was für seinen Freund zu hoffen sei.
Rosalinde befand sich noch unverheirathet bei ihren Eltern; und sobald sie erfahren, daß Falkland in freundschaftlichen Verhältnissen mit ihren neuen Bekannten stehe, schloß sie sich warm an Lady Beechbrook an und gestand ihr unter heißen Thränen und verschämtem Erröthen ihre lang gehegte, hoffnungslose Liebe für Falkland. Nachdem ihres Vaters Befehl, Herrn Saville zu heirathen, an ihrem festen Willen gescheitert war, hatte er auf den Rath ihrer Tante Mstrß. Harvey, eines der schlausten Weiber, beschlossen, mit ihr nach Frankreich zu gehen, in der Hoffnung, sie dort eher zu dieser Verbindung überreden zu können. Aber auch hier blieb sie standhaft. Als sie nun durch ihre Cousine, Miß Helena Harvey, erfuhr, daß Saville und ihr Vater den grausamen Entschluß gefaßt, sie zu dieser verhaßten Heirath zu zwingen, sah sie keinen andern Ausweg, als ihren Eltern zu entlaufen und sich unter den Schutz ihres Onkels, des Admirals Danvers in Leghorn, zu begeben.
Sobald Lord Beechbrook Kunde von dem unverantwortlichen Complott gegen die Geliebte seines Freundes erhielt, so wie von ihrer beabsichtigten Flucht, bot er ihr seinen Rath und Beistand an.
Beides ward angenommen; sie gab das gewagte Projekt nach Leghorn zu fliehen auf, und begleitete Beechbrooks nach England, Falklands Treue durch ihre Hand zu belohnen, nachdem sie aus mehreren Briefen desselben an seine Freunde ersehen, daß er dieses Glück noch eben so heiß ersehnte, wie in den ersten Tagen ihrer Liebe.
Da Miß Aspenfields Flucht einige schlaue Vorkehrungen erforderte, so miethete Lord Beechbrook eine Person, die, als Rosalinde verkleidet, mit aller Hast und Angst einer Flüchtigen den Weg nach Leghorn einschlug, während die wirkliche Rosalinde unter der Firma einer für die Beechbrookschen Töchter mitgenommenen Pariser Gouvernante, ihrem Vaterlande zueilte. Ein zurückgelassener Brief an ihre Eltern meldete denselben, daß sie, um dem, ihr bestimmten schrecklichen Loose zu entgehen, zu ihrem Onkel geflohen sei, dessen Schuß in Anspruch zu nehmen.
Miß Aspenfield erreichte in Gesellschaft ihrer neuen Freunde glücklich Beechbrook; und da eine schleunige Verbindung nöthig war, um zu verhindern, daß der General, wenn er ihre falsche Spur zeitig entdecken sollte, sie nicht aus den Armen ihres Geliebten riß, fand die Trauung schon am folgenden Morgen Statt.
Worte reichen nicht hin, die Wuth und Verzweiflung Alicens zu beschreiben, als Falkland ihr seine Vermählung schriftlich ankündigte, so sehr er sich auch bemühte, ihr die wichtigen Gründe der Verheimlichung derselben begreiflich zu machen. Da jedoch Herr Crow nicht unterließ, Alicens gekränkte Eitelkeit durch Ausmalung der ihr künftig zufallenden untergeordneten Rolle noch mehr zu reizen, so ward sie endlich auf den Punkt gebracht, das lang verweigerte Bündniß mit Crow auf der Stelle zu schließen, wodurch der Elende in Besitz ihres ganzen Vermögens gelangte, da Alice in der Verblendung, man möchte sagen, im halben Wahnsinn nicht daran gedacht hatte, sich auch nur einen Schilling zu sichern.
Im Gefühl der Dankbarkeit gegen den alten Oldworth, setzte Falkland Mstrß. Crow ein Jahrgeld aus, mit der ausdrücklichen Bedingung der Nichttheilnahme des Mannes daran, und übersandte ihr das ganze Mobiliar der von ihr bewohnten Zimmer. Doch befriedigte dieses großmüthige Benehmen den habsüchtigen Ehemann nicht, der dem armen Falkland keine Ruhe gönnte, bis er ihm die Hälfte der ganzen Hauseinrichtung überließ.
Miß Harvey säumte nicht lange, ihre Freundin Rosalinde von des Generals unversöhnlichem Zorn und von seinen fruchtlosen Verfolgungen der Flüchtigen zu benachrichtigen. Außerdem enthielt der Brief so viele Beweise von Herrn Savilles philosophischer Ertragung der getäuschten Erwartung und von seiner täglich zunehmenden Aufmerksamkeit gegen die Schreiberin, daß Mstrß. Falkland den Grund ihres freundschaftlichen Eifers und der Beförderung ihrer Flucht leicht durchschaute.
In den ersten drei Wochen nach Falklands Verheirathung war Adelaide das glücklichste Geschöpf; denn sie sah ihren geliebten Vormund als solches, und Miß Alice hatte das Haus für immer verlassen. Nach Verlauf dieser Zeit gelangte sie jedoch nach und nach zu der Erkenntniß, daß sie nicht mehr der alleinige Gegenstand seiner Sorge, die Gefährtin seiner Spaziergänge, das einzige Wesen, dem er jeden freien Augenblick widmete, war; und diese Entdeckung betrübte ihr kindliches Herz; auch fühlte sie schmerzlich die Entbehrung seines Unterrichts.
»Mstrß. Falkland kann mich gewiß nicht leiden,« sagte sie zu ihrer treuen Norah, »denn sie verlangt nie, daß ich bei ihr bleiben soll; und deshalb fürchte ich, daß sie meinen Vormund bereden wird, mich in eine Schulanstalt zu schicken.« – Um diesem gefürchteten Uebel zu entgehen, strebte nun das arme Kind sich selbst in allen Zweigen so gut wie möglich fortzuhelfen. Und da Mstrß. Falkland, obgleich Adelaiden freundlich zugethan, ihre Gesellschaft selten verlangte in den wenigen Stunden, wo Falklands Geschäfte ihm erlaubten, sich ihr zu widmen, brachte sie den ganzen Vormittag in der Kinderstube mit emsiger Arbeit zu; ja zuletzt den ganzen Tag, da Norah, ihre Begleiterin auf allen Spaziergängen, sich den Fuß vertreten hatte und das Zimmer nicht verlassen konnte.
Zwei Honigmonate waren dem glücklichen Ehepaar beinahe schon verflossen, als Falkland eines Mittags mit Entsetzen die blassen Wangen und das kranke Ansehen seiner immer noch eben so zärtlich geliebten Mündel gewahrte. Er beobachtete sie genauer und bemerkte jetzt erst, daß sie fast gar nichts aß.
»Kind, was fehlt Dir?« rief er besorgt.
»Nichts, Papa!« entgegnete Adelaide mit freundlichem Lächeln.
»Nichts?« rief Dennis, der sich eben mit den andern Domestiken entfernen wollte. »Nichts? Glauben Sie es ja nicht, Herr Doktor! Sehen Sie nur, wie das liebe Kind aussieht! Und wie ist es auch anders möglich? den ganzen Tag studirt, um nur nichts von dem zu vergessen, was Sie gelehrt haben; dabei gar nicht spazieren gegangen oder geritten, nur täglich ein Mal in den elenden Hütten der armen Kranken herumgekrochen – und vor allen Dingen, nichts gegessen! Es ist ja zum Erbarmen.«
Ein dunkles Roth der Schaam überzog Falklands Wangen, im Bewußtsein, das ihm anvertraute Gut vernachlässigt zu haben. Er drückte Adelaiden mit väterlicher Herzlichkeit an seine Brust und rief:
»Vergieb mir meine Unachtsamkeit, Du geliebtes Kind!« Als er den Blick wieder erhob, sah er die sonst so blühenden Wangen Rosalindens mit Todesblässe überzogen, und ein heftiges Zittern ihres ganzen Körpers verrieth ihm das Uebel, woran sie litt.
Der Gedanke, seine theure Rosalinde von einer so niedrigen Leidenschaft erfaßt zu sehen, entlockte ihm einen tiefen Seufzer; er unterdrückte ihn jedoch, und als ob er nichts Ungewöhnliches an seiner Frau bemerkt hätte, fuhr er fort, Adelaiden mit zärtlicher Angst Fragen über ihre Gesundheit vorzulegen, bis ein lautes Schluchzen Rosalindens ihn nöthigte, sich an sie zu wenden.
»Weine nicht so bitterlich über unsere unverantwortliche Vernachlässigung dieses uns anvertrauten Kindes, der verlassenen Waise Deiner theuersten Freundin,« sagte Falkland freundlich.
Rosalinde fühlte die drückende Last der Eifersucht sich in zärtliches Mitgefühl verwandeln. Sie sprang von ihrem Sitz, drückte ihres Gatten Hand, preßte Adelaiden an ihr Herz, indem sie ausrief: »August! ich bitte Dich, sage, daß das Kind meiner Ellen nicht krank – nicht durch meine grausame Vernachlässigung in diesen Zustand gerathen ist!«
»Das kann ich leider nicht sagen,« erwiederte Falkland; »doch zu Deiner Beruhigung mag es dienen, daß ich hoffe, unser Vergehen bald wieder gut machen zu können.«
»Was kann für sie geschehen? Verschreibe ihr gleich etwas, ich beschwöre Dich und ich will sie mit mütterlicher Liebe warten und pflegen.«
»Zuerst verordne ich ihr Bewegung in freier Luft, acht Stunden Schlaf, kräftige, nahrhafte Speisen, und einen ganzen Monat lang Ausruhen von jeglicher Art von Lernen.«.
Adelaidens schwacher Gesundheitszustand war nicht allein den von Dennis angeführten Ursachen zuzuschreiben, sondern hauptsächlich dem schmerzlichen Gefühl ihres Pflegevaters Liebe verloren zu haben, keinem Menschen auf der Erde anzugehören, und allein auf die mütterliche Sorgfalt ihrer Wärterin reducirt zu sein. Deshalb erwiederte sie auch jetzt mit der Arglosigkeit der Unschuld den wahren Sitz ihrer Krankheit verrathend. »Ach, liebster Papa! wenn Sie mich nur zuweilen freundlich ansehen, wie Sie sonst zu thun pflegten, so werden sich meine bleichen Wangen bald wieder färben. Ich werde dann recht lange und fest schlafen, brauche Mstrß. Falklands Güte, mich zu warten und zu pflegen, nicht in Anspruch zu nehmen, und kann nach wie vor fleißig lernen.«
Bouveries Worte: »Das Wesen, welches Adelaidens Herz zu verwunden im Stande ist, muß kein menschliches Gefühl haben,« tönten in Falklands Ohren wieder. »Geliebtes Kind,« sagte er, wenn ich in der letztern Zeit nicht so viel mit Dir gesprochen, mich nicht so viel mit Dir beschäftigt habe wie sonst, so geschah dies nicht aus Mangel an Liebe; sondern weil mir das gütige Geschick ein Glück zugeführt, welches ich auf ewig für mich verloren hielt, und die Freude darüber alle meine Gedanken erfüllte.«
»Und Gott erhalte Ihnen dies Glück, mein theuerster Pflegevater!« rief Adelaide mit großer Bewegung.
Falkland versprach nun, das Versäumte nachzuholen und die Unterrichtsstunden wieder anzufangen, und auch Rosalinde bat, dem Kinde ihrer geliebten Ellen lehren zu dürfen, was sie wüßte und könnte. Ein freundliches, schwesterliches Verhältniß entspann sich nun zwischen des glücklichen Falklands Gattin und Mündel. Nie fand wohl eine Schülerin eine unermüdetere Lehrerin, aber auch wohl keine Lehrerin eine aufmerksamere, gelehrigere Schülerin.
Sechs Monate nach Falklands Verheirathung nahm die Familiengruft der De Morelands Adelaidens unnatürlichen Urgroßvater darin auf.
Kaum hatte der Doktor Kunde davon erhalten, als er mit dem Eifer eines sorgsamen Vormunds an die Vollstrecker des Testaments Sr. Herrlichkeit schrieb, und Adelaidens Ansprüche an ihres Vaters Erbtheil und das Vermächtniß ihres Großvaters darthat. Die Testamentsvollstrecker waren der rechtmäßige Erbe und Lady Leyburn. Da der Erstere noch nicht vom Continent zurück, erhielt er nur von Letzterer folgendes lakonische Schreiben:
»An den Herrn Apotheker Falkland,
in Seaview.
Sir,
Da sich weder ein Testament, noch ein Heirathsvertrag meines verstorbenen Vaters vorfindet, so können die eingebildeten Ansprüche von Miß Adelaide Bouverie, niemals Gewährung erwarten.
Mit vorzüglichster Hochachtung
Ihre
ergebenste Dienerin
Isabelle Leyburn.«
Nach Lesung dieser Epistel beschloß Falkland, erst eine Zusammenkunft mit dem neuen Lord De Moreland, der nun nothwendig nach England zurückkehren mußte, abzuwarten, ehe er gesetzlichen Beistand zu Hülfe rief, seiner Mündel unbezweifeltes Eigenthum zu erlangen. Zwei Monate verstrichen, ohne daß er Kunde von Sr. Herrlichkeit Ankunft erhielt. Da kam eines Morgens Doktor Woodehouse, ihm einen Brief zu zeigen, den er so eben erhalten. Er lautete folgendermaßen:
»An den Herrn Doktor Woodehouse.
Abtei Roscoville, den 5. Jan. 1803.
Verehrter Herr Doktor!
Vor zwei Tagen erst in Roscoville angekommen erfahre ich in diesem Augenblick erst, daß die dringende Bitte, welche ich vor mehreren Jahren meinem verstorbenen Großvater durch meine Schwester vortragen ließ, nicht erfüllt worden ist. Da mir nun die Macht zugefallen ist, meine Wünsche selbst vollstrecken zu können, so säume ich auch keine Stunde, Sie zu ersuchen, eine heilige Pflicht zu erfüllen, und die Ueberreste der vortrefflichen Gattin meines unvergeßlichen Bruders mit aller kirchlichen Feier an den ihr gebührenden Platz, an der Seite ihres Mannes, in das Mausoleum ihrer Vorfahren beisetzen zu lassen.
Ferner ersuche ich Sie, den einfachen Grabstein, welcher der Welt erzählt, daß meine beklagenswerthe Schwester hier eine Ruhestätte fand, nicht hinwegnehmen zu lassen, indem ich gesonnen bin, eine Urne an diese Stelle zu setzen, als einen Tribut der rührenden kindlichen Liebe ihrer Tochter. Diese in Seaview aufzusuchen und ihr zu sagen, welchen Eindruck ihr Anblick auf mein Herz gemacht, soll mein erster Ausflug sein, sobald ich nur die dringendsten Geschäfte beseitigt. Dann hoffe ich auch das Vergnügen zu haben, Ihnen mündlich meinen Dank für die Bemühungen, welche Sie gewiß so gütig sein werden für mich zu übernehmen, abstatten zu können.
Hochachtungsvoll
Ihr
ergebenster Diener
De Moreland.«
Falklands Freude über die Anerkennung der Vorzüge Ellens, und über die ehrenvolle Versetzung ihrer irdischen Reste war groß und innig. Um Adelaiden jedoch eine zu heftige Aufregung zu ersparen, sandte er sie am folgenden Morgen mit Rosalinden nach Dover zu Mstrß. Walsingham, woselbst sie einen Tag und eine Nacht bleiben sollten; und als sie zurückgekehrt, die feierliche Bestattung ihrer geliebten Mutter erfuhr, dankte sie ihrem Vormund mit heißen Thränen für diesen neuen Beweis seiner zarten Schonung.
Da Falkland aus Lord De Morelands Brief ersehen, daß Se. Herrlichkeit die Absicht hatte, Adelaiden in Seaview zu besuchen, enthielt er sich, die Ansprüche seiner Mündel nochmals schriftlich einzureichen. Nach Verlauf einiger Zeit kam jedoch statt des erwarteten Lords ein Brief von Montagu Bouverie an Falkland, worin dieser dringend gebeten wurde, seiner Pflegetochter zu gestatten, in Begleitung ihrer Wärterin, den Onkel in Roscoville zu besuchen, indem er sich zu unwohl fühlte, auch nur die kurze Tour nach Seaview zu unternehmen. An einem bestimmten Tag wollte er einen Wagen schicken, der Adelaide nach der Abtei abholen sollte.
Bouverie selbst war erst vor ein Paar Tagen mit einer Schaar tapferer Cameraden von dem glorreichen Feldzuge in Egypten zurückgekehrt, Nachdem er schon beinah zwei Jahre in Cambridge studirt und sich durch seine Kenntnisse und seinen Fleiß rühmlichst ausgezeichnet hatte, machte, Lady Leyburn die trostlose Entdeckung, daß ihres Sohnes längeres Bleiben auf der Universität ihm nicht allein keinen Nutzen bringen, sondern nur dazu dienen würde, seinen schlechten Lebenswandel bekannt zu machen; so gab sie endlich seinen dringenden Bitten nach, ihn Kriegsdienste nehmen zu lassen. Nun wurden sogleich zwei Officierspatente gekauft, und Bouverie fand sich, ohne vorher darum befragt worden zu sein, in den Zeitungen als Fähnrich eines Infanterieregiments aufgeführt.
Glücklicherweise war der Militairstand das Fach, wofür er sich schon früher entschieden hatte; und so wurden denn die beiden jungen Fähnriche, nachdem sie sich kaum ein Dutzend Mal in ihren Uniformen im neuen Standquartier gezeigt, mit ihrem Regiment außer Landes beordert, unter dem Commando eines tapfern Generals, welcher einen rühmlichen Tod im Augenblick des Sieges fand.
Während der akademischen Ferien hatte Bouverie sein Versprechen, die Freunde in Seaview zu besuchen, nicht erfüllen können, indem Lady Leyburn der Ausführung dieses Plans tausend Künste und Ränke entgegensetzte. Auch jetzt, nachdem er die Universität verlassen, fand sich hierzu keine Zeit; und so ging denn der junge Krieger seinem neuen Beruf mit einem wahren Entzücken entgegen, während der feige Lord Leyburn, erschreckt durch die ihm bevorstehenden Gefahren, seine Mutter beschwor, ihm den Abschied zu verschaffen, welchem unwürdigen Vorschlag sich jedoch sein Urgroßvater kräftig widersetzte. Vor dem Sturm von Alexandrien aber rettete eine heftige, aus Besorgniß für sein kostbares Leben entstandene Krankheit, seinen militairischen Ruf; er kämpfte mit den Leiden eines hitzigen Fiebers, während Bouverie die Feinde seines Vaterlandes schlug und Lorbeeren erntete.
Montagus Regiment, durch mehrere Umstände aufgehalten, war eben erst von dem glorreichen Feldzug in Egypten zurückgekehrt, als Bouverie Lord Leyburn nach Roscoville begleitete, welcher einen Theil des Ruhmes seines Regiments auf sich übertragend, keine passendere Gelegenheit, dem gefährlichen Kriegshandwerke Valet zu sagen, finden zu können glaubte. Da die zärtliche Mutter des liebenden Sohnes Todesfurcht sehr begreiflich fand, so ward das Abschiedsgesuch sogleich eingesandt, und Bouverie sah sich endlich von den drückenden Fesseln befreit, die ihm sein verächtlicher Gefährte bis jetzt aufgelegt.
Lord De Moreland, sein neuer Vormund, empfing den jungen Krieger mit Liebe und Herzlichkeit; er ehrte in ihm die Tapferkeit, welche seinem theuern Vater und Bruder das Leben gekostet hatte, und schenkte ihm das Vertrauen, dessen er den eigenen Neffen für unwürdig erkannte. Dieses benutzend, nahm Bouverie eines Tages die Gelegenheit wahr, Adelaidens Namen zu nennen und Falklands väterliche Sorge und Erziehung zu rühmen, erstaunte jedoch, Lord De Moreland in bittre Klagen über die Unhöflichkeit des Letztern ausbrechen zu hören, der ihm auf einen, in Bezug auf Adelaiden gleich nach seiner Zurückkunft von Frankreich geschriebenen Brief keine Antwort ertheilt hatte. Es ward Montagu nicht schwer, seinen Freund Falkland von diesem schmähligen Verdacht zu befreien, indem er einige Winke von der Möglichkeit, daß dieser Brief nicht in seine Hände gelangt sein könnte, fallen ließ; und da Se. Herrlichkeit eine solche Schlechtigkeit nicht für unwahrscheinlich hielt, und sogar eine Wiederholung befürchtete, trug er Bouverie auf, an den Vormund seiner Nichte zu schreiben, und diese in seinem Namen in die Wohnung ihrer Vorfahren einzuladen.
Montagu schickte seinen eigenen treuen Bedienten mit dem Brief an Falkland; und gewiß, ihn auf diese Weise in die rechten Hände kommen zu sehen, sprach er unverholen sein Bedauern aus, die Einladung nicht auch auf ihn mit erstrecken zu dürfen, indem er befürchtete, daß die schüchterne Adelaide den Besuch in Roscoville ohne seine ermuthigende Gegenwart sehr peinlich finden würde.
»Denn Lord De Morelands äußeres Wesen entspricht seinem Herzen nicht,« schrieb Bouverie, »da eine nicht zu überwindende Indolenz ihn seine eigenthümliche Natur verbergen läßt. Dazu kömmt, daß seine zerrüttete Gesundheit, Folge einer unglücklichen Liebe im Auslande, ihn finster und ungesellig, jeder Freude unzugänglich gemacht hat. Nur seiner bösen Schwester allein ist es leider gelungen, eine gewisse Gewalt über ihn auszuüben, und so fürchte ich auch jetzt, daß sie nicht ermangeln wird, dieselbe im vollsten Maaße anzuwenden, um der armen Adelaide ihres Onkels Gunst zu entziehen. Seien Sie jedoch versichert, daß, so lange ich hier bin, nichts unversucht bleiben soll, Lady Leyburns feines Gift durch ein kräftiges Gegengift unschädlich zu machen.«
Diese Einladung von Lord De Moreland erfüllte Falklands Gemüth mit Angst und Sorge. Adelaidens irdisches Interesse heischte, sie auf jeden Fall anzunehmen; aber lief sie nicht Gefahr, Schaden an Herz und Seele zu erleiden? Allein, ohne seinen Schutz, sollte er sie in diesem zarten Alter dem gefährlichen Einfluß und Beispiel des Lasters in anziehender Form überlassen; und wenn er es auch dankbar erkannte, auf Bouveries Beistand rechnen zu können, war dieser doch nicht allein vermögend, ihm die nöthige Beruhigung zu gewähren. Rosalinde theilte seine Besorgniß und hätte sich gern dem Plan widersetzt, doch leuchtete auch ihr die Nothwendigkeit ein.
An dem bestimmten Tage langte ein Reisewagen mit vier Pferden von zwei reitenden Dienern begleitet in Seaview an, die arme, widerstrebende Adelaide dem Schutz ihres geliebten Vormunds zu entführen. Da die Kürze der Tage jedoch nicht gestattete, den Weg vor Einbruch der Nacht zurückzulegen, bestellte Falkland vier Pferde vor seinen eigenen Wagen, das theure Pflegekind mit Rosalinden die erste Tagereise zu begleiten; und als er am folgenden Morgen Adelaidens Schmerz beim Scheiden sah, umarmte er sie mit solcher Zärtlichkeit, daß Rosalindens Herz von einem schmerzlichen Gefühl erbebte.
Norah Obearn ging diesem Besuch mit freudigern Aussichten entgegen als das geliebte Kind. Sie war fest überzeugt, daß sich Adelaide nur zu zeigen brauchte, um von Lord De Moreland geliebt und in alle ihre Rechte eingesetzt zu werden. Sie sah sie schon im Geist als seine alleinige Erbin und mit irgend einem der Herzogssöhne vermählt, die sie am Abend vorher mit Dennis im Staatscalender als unverheirathet gefunden. Und da sie, ohne ihre eigentlichen Wünsche auszusprechen, auf dem ganzen Wege ihre Beredtsamkeit aufgeboten, Adelaidens Lebensgeister empor zu richten, war es ihr auch endlich gelungen, alle Spuren der Thränen von dem lieblichen Gesichtchen zu verbannen.
Zwei Meilen von Roscoville hielt der Wagen noch ein Mal an, und Montagu trat an den Schlag.
Adelaidens dankbares Herz erkannte den Freund ihrer Kindheit auf den ersten Blick, und mit glänzenden Augen und vor Freude glühenden Wangen reichte sie ihm die Hand, indem sie ausrief:
»O, wie freue ich mich, Sie zu sehen! Ich habe von meinem Vormund erfahren, wie gut, wie unaussprechlich gut Sie gegen mich gewesen sind. Ich werde gewiß nie im Stande sein, Ihnen diese Güte zu vergelten, Herr Bouverie.«
»Ich möchte lieber rathen, gar keinen Versuch zu machen; aber mein Name ist immer noch Montagu, Miß Förmlichkeit,« entgegnete Bouverie lächelnd, indem er das schöne Mädchen (jetzt zwölf ein halb Jahr) mit freudiger Bewunderung betrachtete. »Doch kommen Sie nun, liebste Adelaide, und nehmen Sie Ihre ganze Festigkeit zusammen, um dem väterlichen Willkommen und der ersten Umarmung Ihres Onkels standhaft entgegen zu gehen.«
Er hob das zitternde Mädchen aus dem Wagen und führte es in ein Zimmer, wo Lord De Moreland in ängstlicher Erwartung des Kindes seines Bruders harrte.
Mit einer Wärme und Lebhaftigkeit, die Bouverie noch nie an ihm gesehen, schloß er Adelaiden in seine Arme, und drückte sie heftig an das Herz, welches immer zärtlich für ihren Vater geschlagen hatte.
Adelaide sank hierauf auf ihre Knie nieder und stammelte in kaum vernehmbaren Tönen ihren kindlichen Dank für die ihrer Mutter Asche erwiesene Ehre.
»Mein liebes, süßes Kind! wie bewegt mich Dein Anblick!« sagte Lord De Moreland, und fügte dann leise, zu Bouverie gewendet, hinzu: »welch ein liebliches, anziehendes Geschöpf.«
»Das reizendste Wesen, was meine Augen je erblickten,« entgegnete Bouverie, ebenfalls flüsternd.
»Sie halten sie also für schöner als ihre Cousinen?« fragte Lord De Moreland hastig.
»Vielleicht nicht für ganz so brillant; aber Adelaidens Blicke dringen in das Innerste der Seele; ihr Ausdruck ist der eines Engels.«
Lord De Moreland betrachtete den Sprechenden mit starren Blicken, wandte sich dann todtenbleich von ihm ab und stieß einen so tiefen Seufzer aus, daß Adelaide und Bouverie ängstlich fragten: ›ob ihm etwas zugestoßen?‹
»Nichts von Wichtigkeit, meine lieben Kinder,« entgegnete er aufstehend. »Jetzt, Montagu, führen Sie das liebe Kind wieder in den Wagen; wir wollen unsern Ritt fortsetzen.«
Er umarmte seine Nichte nochmals zärtlich, und als sie schon an der Thür war, rief er sie zurück, um ihr eine Börse mit Geld einzuhändigen, indem er sagte, daß sie ihn als ihren Banquier ansehen sollte, der bereit wäre, die Börse wieder zu füllen, sobald sie dieselbe geleert.
»O, mein theuerster Onkel!« rief Adelaide, »ich bin reich wie Krösus, und bedarf Ihrer Güte nicht. Herr Falkland gab mir diesen Morgen zehn Guineen, die ich gewiß nicht brauchen werde, da es in Roscoville wohl keine arme, hülfsbedürftige Menschen giebt.«
Lord De Moreland erwiederte lächelnd, daß es deren in des reichsten Mannes Besitzung gäbe, und daß er sie beauftragte, die Nothleidenden in der Nähe von Roscoville aufzusuchen, weshalb sie also sein erstes Geschenk nicht zurückweisen dürfte.
Adelaide nahm die Börse, und drückte des theuren Gebers Hand dankbar an ihre Lippen. Bouverie geleitete sie dann an den Wagen, der sie bald durch den großen Park an das Wohnhaus brachte, wo sie den Befehlen Lady Leyburns gemäß vor einer Hinterpforte hielten. Hier erwartete sie ein gemein aussehendes, durch moderne Kleidung zur Dame zugestutztes Weib, welches Miß Bouverie aufforderte, ihr zu folgen, und Norah andeutete, den langen Gang nach der Küche hinzugehen.
»Mstrß. Obearn sitzt niemals in der Küche,« sagte Adelaide in der höchsten Angst. »Sie ist meine Wärterin, meine verehrte Wärterin, die sich immer in meinem Zimmer aufzuhalten pflegt. Ich bitte, den Haushofmeister davon zu benachrichtigen.«
»Lady Leyburn hat die Einrichtung anders getroffen,« sagte die Person spöttisch. »Sie, Miß, sollen mit Lady Ambrosia und dem jungen Herrn zusammen wohnen; und da Ihre Wärterin eine Irländerin ist, kann sie nicht in deren Zimmern zugelassen werden, indem ihre barbarische Aussprache die Ohren der jungen Herrschaften beleidigen würde.«
Adelaide umarmte die innerlich bewegte Norah und flüsterte ihr leise zu: »Für den Augenblick müssen wir leider nachgeben; aber sobald ich meinen Freund Montagu sehe, will ich schon dafür sorgen, daß Du wieder in meine Nähe kömmst.« –
Und so trennten sie sich; Norah, um die Küche aufzusuchen, Adelaide, um ihre unangenehme Führerin in die Kinderstube zu begleiten, die wegen ihrer Unordnung und Unreinlichkeit einem Stall zu vergleichen war. Hier fand sie Lady Ambrosia und den jüngsten Lord Leyburn.
Ambrosia war blendend schön, doch so klein, daß diejenigen, welche nicht wußten, daß sie fast drei Jahre mehr als Adelaide zählte, sich nicht darüber verwunderten, sie in der Kinderstube eingeschlossen zu sehen, eine Maaßregel, welche Lady Leyburn durch den äußern Schein gerechtfertigt freudig ergriff, weil sie in jeder Art von Wissen eben so unvollständig war als in der körperlichen Größe.
Ihr Bruder Cyrus, ein nach des Vaters Tode geborener Sohn, war zwei Jahr jünger als Ambrosia, und wegen seiner Mutter unnatürlicher Antipathie in die Kinderstube gebannt, bis auf die wenigen Stunden, wenn Lady Leyburns Caplan, sein Hofmeister, Zeit oder Lust hatte, ihm eine Art von Unterricht zukommen zu lassen, oder er Gelegenheit fand, sich in den Stall zu seinen Freunden, den Pferden, zu stehlen.
Unter der Aufsicht einer französischen, zur Gouvernante gestempelten Putzhändlerin, und einer englischen Lehrerin, aus einer Schulanstalt für junge Frauenzimmer, verbrachte Lady Leyburns jüngste Tochter den größten Theil ihrer Zeit, um eine Erziehung im höchsten Styl zu erlangen. Der Geiz der Mutter scheute die Ausgaben für bessere, fähigere Lehrer; und da sie eine leise Ahnung des vernachlässigten Unterrichts hatte, so vermied sie die Kinderstube zu besuchen, wodurch Mademoiselle Muße gewann, für eine Modehandlung in der Stadt zu arbeiten, und Miß Watling ihre Zeit dem Lieblingsgeschäft, der sentimentalen Schriftstellerei widmen konnte.
In dem Augenblick, als das Mädchen Miß Bouverie anmeldete, schoß Cyrus eine Erbse mit einer Kinderpistole auf die eintretende Adelaide ab, und Lady Ambrosia, nach einem hochmüthigen Kopfnicken, redete ihre Cousine mit den Worten an:
»Ihre ergebenste Dienerin, Miß. Man hat mir gesagt, daß ich mich Ihrer erinnern müßte; dies ist aber rein unmöglich, da ich noch ein ganz kleines Kind war, als mein Großpapa, Lord Roscoville, Ihnen und Ihrer irländischen Mutter gestattete, eine Zuflucht in unserm Hause in Brutonstreet zu nehmen. Ich kann auch nicht glauben, daß Sie sich meiner noch erinnern, indem ich mich doch gewiß sehr verändert habe.«
»Wie einfältig Du schwatzest!« rief Cyrus. »Wenn Du noch zu klein warst, Dich ihrer zu erinnern, wie soll sie, ein Jahr jünger als ich, etwas von Dir wissen?«
Die französische Gouvernante verwies ihm seine Unart; Cyrus aber lachte ihr ins Gesicht, machte Grimassen und beschoß sie so lange mit Erbsen, bis sie es nicht mehr ertragen konnte und einen Kampf mit ihm begann, der mit Einsperren in die Nebenstube endete. Doch auch durch diesen Gewaltstreich ward keine Ruhe erlangt, indem der unbändige Knabe seine geräuschvollen Belustigungen fortsetzte, bis ihn die Mittagsstunde erlös'te, und nun seinem Muthwillen wieder freien Spielraum gestattete. Während der Mahlzeit blieb kein Mensch ungeneckt, so viel auch Mademoiselle und die englische Lehrerin predigen mochten. Adelaide, als neuester Gegenstand in der Gesellschaft, mußte ihm zur Zielscheibe seiner Witze und Späße aus dem Stalle dienen, wodurch es ihr einigermaßen unmöglich gemacht wurde, thätigen Theil an dem Mahl zu nehmen. Mit Freuden sah sie daher nach Verlauf einiger Stunden den Thee serviren; aber auch dieser Genuß sollte ihr verbittert werden, denn kaum hatte sie eine Tasse erhalten, als Cyrus solche durch Muskatnuß, wie er eine Prise aus der Gouvernante Schnupftabacksdose nannte, zu würzen bemüht war.
»Der Nase und dem Munde jedem das Seinige, Herr Leyburn,« sagte Adelaide sanft. »Sie scheinen es darauf angelegt zu haben, mich zu einer vollkommnen Philosophin umzubilden, ehe ich Roscoville verlasse.«
»Nehmen Sie die Hälfte von meinem Thee!« rief Cyrus, überwältigt von der Güte seiner Cousine, »oder auch die ganze Tasse. Wenn sie meine Späße hier im Hause Alle so aufnähmen wie Sie, würde ich bald entwaffnet sein.«
Adelaide beruhigte ihn durch Annahme seiner Tasse, und so ward den Andern auch vergönnt, ihren Thee in Ruhe zu trinken.
Jetzt mußte Lady Ambrosia, auf Miß Watlings Geheiß, ihre Musikübungen vornehmen; und in der Hoffnung ihre Cousine durch die Fertigkeit ihres Spiels in Erstaunen zu setzen, begann sie die Tasten des Flügels mit einer so regellosen, ungemessenen Schnelligkeit zu handhaben und zu bearbeiten, daß Adelaide allerdings erstaunt war, sich aber eines innern Lächelns nicht enthalten konnte, bei dem Gedanken, wie es Falkland wohl anfangen würde, dieses Spiel mit seinem Violoncell zu begleiten. Eine solche Regellosigkeit in Ausübung der Kunst war ihr noch nicht vorgekommen.
»Ist Lady Ambrosia nicht eine ausgezeichnete Clavierspielerin, Miß?« fragte die Lehrerin mit triumphirender Miene, sobald die unermüdeten Hände eine Pause machten.
»Sie leistet in der That bewundrungswürdig viel, Madame,« sagte Adelaide; »und ich begreife nur nicht, wie ihre Finger eine solche rastlose Thätigkeit aushalten.«
»O! das ist leicht zu erklären!« rief Cyrus; »sie steckt sie jeden Abend in warmes Oel, um sie geschmeidig zu machen, und pumpt jeden Morgen frisches Wasser darauf, um ihnen Kraft zu geben.«
»Schweigen Sie!« rief Miß Watling entrüstet. »Lady Ambrosia wird die Güte haben fortzufahren.«
Schweigen mußte Cyrus, weil seine Mutter es während der Musikübungen ausdrücklich befohlen hatte; aber ruhig sein konnte er nicht. Unbemerkt prakticirte er ein Papier mit Schießpulver in den Camin, rief dann Adelaiden herbei unter dem Vorwand, ihr etwas zu zeigen; und als sie hinzugetreten, ging die Explosion los. Unzählige kleine Flammen prasselten mit großem Geräusch in die Höhe, erfaßten Adelaidens Kleid (zum Glück ein wollnes, worin sie nicht so schnell um sich greifen konnten) und gaben Cyrus Veranlassung, sich des zunächst liegenden neuen Pelzes der englischen Gouvernante zu bedienen, um das Feuer zu löschen.
Ein neuer Ausbruch von Vorwürfen und Schmähreden verfolgte den kleinen Sünder, der hinausgeeilt war, seiner erschrockenen Cousine ein Glas Wasser zu holen. Indem wurde Adelaidens Koffer hereingebracht, und gleich fuhren die weiblichen Hände darüber her, den Inhalt zu mustern.
»Wo ist der Schlüssel, Miß?« fragte das Kammermädchen.
Adelaide verwies sie an Norah, welche sich jedoch weigerte, ihn herauszugeben, da sie gewohnt war, die Sachen ihrer jungen Miß selbst auszupacken.
Ohne weitere Umstände befahl die heftige Französin, den Koffer mit Gewalt aufzubrechen, und die bestürzte Adelaide sah ihre zierlichen Sachen auf dem schmutzigen Boden ausgebreitet.
»Welch ein Reichthum an schöner Wäsche!« rief das Kammermädchen. »Und diese vollständigen Anzüge! Sehen Sie nur den schönen schwarzen Krepp! Einen solchen hat Lady Ambrosia nicht gehabt, ihren Großvater zu betrauern. Und diese Unterröcke und vielen andern Sachen! Genug, Lady Ambrosia auch damit einen ganzen Monat lang zu versorgen. Nun brauche ich doch nicht immer zu nähen und zu flicken. Wie wollen wir sie morgen Abend zum Ball herausstaffiren, und wie herrlich wird sie sich in dem allerliebsten Anzug ausnehmen!«
Adelaide, an die größte Ordnung in Wäsche und Kleidungsstücken gewöhnt, mußte nun ihre neuen, sorgfältig gepackten Sachen in die allgemeinen Schubladen zum gemeinschaftlichen Gebrauch für sich und ihre Cousine werfen sehen.
Endlich brach die von ihr so heiß ersehnte Stunde der Nachtruhe an. Mit Mühe und Noth ward Cyrus in sein Schlafzimmer gebracht, die übrige weibliche Gesellschaft theilte dasselbe Gemach. Adelaiden blieb das Geschäft des Ausziehens selbst überlassen, während Lady Ambrosia von den Händen des Kammermädchens in ihrer Cousine bestes Nachtzeug gekleidet wurde. Vergebens sah diese sich nach einem einsamen Winkel um, ihr Abendgebet zu verrichten, und da sie nicht glaubte, durch diese Handlung Aufsehen zu erregen, ließ sie sich zu diesem Zweck neben ihr Bett auf die Knie nieder.
»Seht, seht!« rief Lady Ambrosia mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens, was hat das zu bedeuten?«
»Sie sagt ihr Abendgebet her, Lady!« erklärte die Kammerzofe. »Diese Apothekersleute gehören wahrscheinlich zu den Methodisten.«
Entsetzt über den hohen Grad von Unwissenheit ihres Zöglings in solchen heiligen Dingen, entgegnete Miß Watling:
»Ein Jeder hat eine andre Weise dasselbe zu thun. Wir, wie Sie wissen, sagen unsre Gebete im Bette, um Aufmerksamkeit zu vermeiden, wie alle wahrhaft frommen Menschen, und machen kein Schauspiel von dem, was jeder Kesselflicker und Tischler, sowohl wie Bischöfe und Nonnen thun.«
Diese lauten Bemerkungen störten zwar Adelaidens Andacht, unterbrachen sie jedoch nicht, und nachdem sie solche beendet, fiel sie in einen ruhigen, festen Schlaf.
Gegen zwölf Uhr am andern Morgen erging ein Befehl von Lady Leyburn an die Gouvernanten, mit den Kindern eine Spazierfahrt zu machen, um Lady Ambrosia ein gutes Aussehen zum Ball am Abend zu geben, bei welchem die Kinder auf Lord De Morelands Wunsch erscheinen sollten.
Nach einer halbstündigen Verwirrung und nach Vorkehrungen, als ob man eine Reise anzutreten gedächte; nachdem Adelaidens Koffer geplündert worden, Lady Ambrosia zu der Spazierfahrt zu equipiren; nachdem sie einige Paar seidene Strümpfe und eben so viel Handschuh zerrissen hatte, im fruchtlosen Versuch, ihre größern Hände und Füße, in die Strümpfe und Handschuh ihrer weit zarter und zierlicher gebauten Cousine hineinzuarbeiten, konnte die Fahrt endlich beginnen; und da Cyrus sich den freiern Sitz auf dem Bock erwählt hatte, genoß Adelaide einige Stunden Ruhe. Aus der Unterhaltung der beiden Gouvernanten ersah sie, daß Capitain Bouverie von Lady Leyburn und Lord De Moreland für eine der jungen Ladys Leyburn bestimmt war, die Wahl aber den jungen Leuten überlassen bleibe; doch kamen beide darin überein, daß Lady Ambrosia nicht von ihren Schwestern gestattet werden würde, sich mit ihnen um den Preis zu bewerben, indem sie beide von heftiger Liebe für den schönen Krieger entbrannt waren. Mademoiselle behauptete, daß Lady Seraphine den Sieg davon tragen würde, da sie von eben so heftigem Temperament als ihre Mutter alles mit Sturm einzunehmen pflegte. Miß Watling hingegen war der Meinung, daß, wenn er durch Gründe des Interesses verleitet werden sollte, sich durch eine der Schwestern unglücklich machen zu lassen, Lady Cölestine die Erwählte sein würde, da sie immer gewohnt wäre, ihre Pläne und Zwecke durch allerlei Künste und List zu erreichen.
Nachdem dieses Capitel abgehandelt, ließen sich die discreten Lehrerinnen weitläuftig über die Uneinigkeit der beiden ältern Schwestern aus, und Adelaide erfuhr, daß die jungen Damen oft wochenlang unter sich kein Wort mit einander sprächen und sich aus Neid und Mißgunst lauter Aerger anthäten, in Gesellschaft hingegen die zärtlichen Schwestern spielten, sich umschlungen hielten, auf einen Stuhl säßen, sich häufig umarmten und küßten, um ihre gegenseitige Verehrung an den Tag zu legen.
Zu Hause angekommen, gewahrte Adelaide zu ihrer größten Bestürzung, daß die Kammerjungfer beschäftigt war, ihr neues atlassenes Unterkleid nebst dem Ueberwurf von Krepp weiter zu machen, und sie konnte nicht umhin, ihr zu sagen, daß diese Mühe überflüssig sei, indem diese Kleider erst kürzlich gemacht, also noch nicht verwachsen wären.
»Sie glauben doch nicht, daß ich mir Ihretwegen diese Arbeit mache, Miß?« entgegnete die unverschämte Zofe; »Sie mögen sich zum Ball mit Ihrem Mouslinkleid begnügen, während ich dieses für Lady Ambrosia in Stand setze.«
Der Mittag kam heran, ohne daß auch nur ein Versuch von den Gouvernanten gemacht worden wäre, Ambrosia irgend einen Unterricht zu ertheilen; und kaum war das Mahl beendet, als Cyrus, nicht ohne Widerstreben, den Händen des Kammerdieners übergeben wurde, und Lady Ambrosia ihre Balltoilette begann. Um Adelaiden bekümmerte sich Niemand. Da sie aber von ihrer frühesten Kindheit an sich gewöhnt hatte, ohne fremde Hülfe fertig zu werden, war sie auch jetzt lange angezogen, ehe Lady Ambrosia aus den Händen der Dienerinnen, geschmückt in den besten Theil der Garderobe ihrer Cousine hervorging.
Mademoiselle und Miß Watling waren unerschöpflich in ihren Lobeserhebungen der Schönheit und des eleganten Costums ihrer Schülerin, und Adelaide trieb die Selbstverleugnung so weit, noch einige Verbesserungen an den Anzug ihrer Nebenbuhlerin zu machen.
»Wie gut sind Sie doch!« rief Ambrosia unwillkührlich aus. »Gewiß wäre nicht leicht Jemand Anders so freundlich geblieben.«
»Ja wohl!« sagte Cyrus, der sich nicht länger zurückhalten ließ. »Und doch sieht Adelaide zehntausend Mal hübscher, lieblicher und anziehender aus, als der Dieb, der sich so schändlicher Weise in ihre Kleider gesteckt.«
Da die Gouvernanten den Augenblick in die Gesellschaft zu treten mit gleicher Ungeduld erwarteten, wie ihre Zöglinge, so kamen sie lange vorher in den Ballsaal, ehe die übrigen Gäste oder die Familienglieder dort versammelt waren.
Lady Leyburn erschien zuerst, und die arme zitternde Adelaide erkannte sogleich in ihr die furchteinflößende Gestalt, die ihre erste Zusammenkunft mit dem Onkel unterbrochen hatte. Ihre Herrlichkeit näherte sich der Tochter, deren Anzug zu mustern, als Adelaide, die sich verschämt und erröthend genähert, sie zu begrüßen, einen Seitenblick erhielt, in welchem sich nur zu deutlich mütterliche Besorgniß mit Neid vermischt aussprach.
»Miß Bouverie,« sagte sie endlich, »ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, Ihnen mein Compliment zu machen. Ich hoffe, Sie befinden sich wohl, liebes Kind?« und ohne auf eine Antwort zu warten, hatte sie Ambrosiens Hand und führte die Tochter in einen andern Theil des Zimmers.
Jetzt füllte sich nach und nach der Saal mit Gästen, und ein dichter Haufen drängte sich um Lady Leyburn, ihre mütterliche Eitelkeit durch übertriebene Ausrufungen über die göttliche Schönheit ihrer jüngsten Tochter zu schmeicheln.
Endlich erschienen auch die Herren, und kein Herz schlug bei ihrem Anblick freudiger als Adelaidens, da sie Bouverie unter ihnen gewahrte. Er kam sogleich auf sie zu, und als er ihr liebliches Erröthen, den unverkennbaren Ausdruck der Freude in ihren Zügen sah, drückte er ihre Hand mit brüderlicher Wärme und sagte:
»Wie freue ich mich, Sie wieder zu sehen, meine süße, liebenswürdige Schwester! Aber warum sind Sie von Ambrosia getrennt? Kommen Sie.«
Mit diesen Worten führte er sie Lady Leyburn zu, die jedoch seine freundliche Bitte, ihre schüchterne Nichte in den sie zunächst umgebenden Kreis aufzunehmen, mit einem mürrischen Schweigen erwiederte. Adelaidens Herz erkannte dankbar die wohlmeinende Absicht ihres Jugendfreundes, aber zugleich auch die Fruchtlosigkeit seines Bemühens. Bouverie fühlte ihren Arm in den seinigen zittern; er geleitete sie zu einem Sitz in einiger Entfernung, und fragte: ›Ob sie den ganzen Morgen spazieren gefahren? denn so oft Lord De Moreland nach ihr geschickt, sei die Antwort gekommen, daß sie immer noch nicht zurückgekehrt.‹
Adelaide hatte kaum ihr Bedauern, den Onkel nicht gesehen zu haben, ausgesprochen, als Lady Seraphine und Lady Cölestine mit verschlungenen Armen in den Saal traten. Ihre schönen Augen suchten einen und denselben Gegenstand; denn da ihre spekulirende Mutter, nachdem Lord De Moreland öfterer erklärt, sich nie verheirathen zu wollen, ihnen Montagu Bouverie als dessen Erben und eine wünschenswerthe Parthie bezeichnet hatte, waren die gehorsamen Töchter natürlich in heißer Liebe für ihn entbrannt, und eifrig bemüht, einer der andern den Rang abzulaufen.
Jetzt entdeckten sie ihn endlich, aber in lebhafter Unterhaltung mit der ihnen verhaßten, aufgedrungenen Cousine, von welcher sie am Morgen beim Ein- und Aussteigen in den Wagen mehr gesehen hatten, als ihnen lieb war.
Unterdessen hatten sich die Räume mit Gästen, angefüllt, und da Cölestine voraussah, daß ihre Mutter den Tanz sehr bald beginnen lassen würde, konnte sie ihre Furcht, von Bouverie nicht zu den ersten beiden Tänzen aufgefordert zu werden, nicht länger bemeistern; sie näherte sich daher dem Platz, wo er mit Adelaiden die glücklichen Scenen ihrer Kindheit wiederholte, und ihn mit ihren zauberischesten Lächeln begrüßend, sagte sie leicht hingeworfen im schmachtenden Ton:
»Haben Sie Mitleid mit meinem armen Gedächtniß, Bouverie, und sagen mir, auf welche von den vier ersten Tänzen Sie sich mit mir, und auf welche mit Seraphinen engagirt?«
»Mein Gedächtniß ist in der That eben so unzuverlässig, wie das Ihrige, Lady Cölestine,« entgegnete Bouverie heiter; »ich erinnere mich gar nicht, die Ehre gehabt zu haben, mich mit Einer von Ihnen Beiden im Voraus zu engagiren.«
»Keine Badinage; ich wünschte, Sie sagten mir, mit wem Sie sich auf die beiden ersten Tänze engagirt, da ich es im Ernst vergessen habe.«
»So geht es auch mir, schöne Cölestine!« rief Bouverie lächelnd; »und so gänzlich hat mich mein ungalantes Gedächtniß verlassen, daß ich eben im Begriff stand, mir die Ehre auf die beiden, ersten Tänze von dieser liebenswürdigen Fremden zu erbitten. Es scheint nicht, als ob Sie, Lady Cölestine, eine Ahnung davon hätten, wie nahe Ihnen diese Fremde steht; und so habe ich denn die Ehre, Ihnen hier Ihre Cousine, Miß Bouverie, den Gast Ihres Herrn Onkels, vorzustellen.«
»O, ich weiß Alles!« erwiederte Lady Cölestine; »aber meine Mama würde unzufrieden sein, begrüßte ich meine liebe Cousine, wie es mir das Herz eingiebt, bevor sie uns einander vorgestellt. Was aber Ihr Tanzen mit derselben betrifft, so muß ich Sie daran erinnern, daß dies kein Kinderball ist; und daß, wenn den Kindern überhaupt zu tanzen erlaubt worden, sie es nur unter einander thun dürfen. Wenn Sie jedoch Ihr Engagement mit mir zu vergessen entschlossen sind, so gebe ich Ihnen meine vollkommene Zustimmung zu solcher Artigkeit.«
»Thäten wir nicht besser, uns deshalb an Lady Seraphine zu wenden?« sagte Bouverie, sie für ihre Unart gegen Adelaiden zu bestrafen, »Ihr Gedächtniß ist vielleicht treuer, als das unsrige.«
»Man sollte wirklich glauben, ich wäre irgend ein schrecklicher Gegenstand, mit dem Sie sich in einer Sonnenfinsterniß engagirt,« bemerkte Lady Cölestine, immer noch ihre sanfte Miene und den schmelzenden Ton beibehaltend, »und über den Sie sich jetzt, nachdem das Licht der Sonne wieder durchgebrochen, entsetzten; aber Sie brauchen sich nicht an Seraphinen zu wenden, indem ich mich nun deutlich erinnere, von Ihnen auf die zwei ersten Tänze engagirt worden zu sein.«
»Welch einen tiefen Zug aus dem Lethe muß ich gethan haben!« rief Bouverie mit dem Ton erkünstelten Erstaunens. »Aber ich hoffe, die mir jetzt erwiesene Ehre wird wenigstens meine Dankbarkeit vor dem Versinken in Vergessenheit bewahren.«
Obgleich nicht sehr geschmeichelt durch Montagus Mangel an Galanterie, kehrte Cölestine, doch befriedigt, ihren Zweck erreicht zu haben, zu ihrer Schwester zurück, im Voraus sich des Triumphs freuend, wenn er sie zum Tanz abzuholen kommen würde. Bouverie ließ seine. Blicke unterdessen in sorglicher Angst durch den Saal schweifen, um irgend einen Gegenstand zu finden, dem er die arme, vernachlässigte Adelaide übergeben könnte. Doch vergebens.
»Selbst die fatalen Gouvernanten rüsten sich zum Tanz,« rief er aus, »wem soll ich Sie übergeben, meine liebe Adelaide?«
Die schönen Augen des verwais'ten Mädchens füllten sich mit Thränen. »Tragen Sie meinetwegen keine Sorge, theuerster Freund! Ich werde ja wohl einen Winkel finden, wo ich denen nicht im Wege bin, die mich zu meiden wünschen.«
Adelaidens klagender, und doch zugleich so resignirter Ton drang in Bouveries Herz. »Lady Cölestine mag sich einen andern Tänzer suchen,« rief er unwillig, »ich verlasse Sie, meine süße Adelaide, nicht.«
»Lady Cölestine würde mir es nimmer vergeben, wenn ich Sie verhinderte mit ihr zu tanzen; besonders da es mir scheint, als ob sie eine Wette durch dieses Manoeuvre zu gewinnen gedenkt. Ich werde mich allerdings unbehaglich in der Einsamkeit, unter den vielen Menschen fühlen; aber Sie sind ja mit mir in demselben Saal –. ich werde Sie tanzen sehen, und so lange Sie in meiner Nähe sind, bin ich nicht verlassen.«
Dem Gebot der Höflichkeit folgend, das ihm nicht gestattete, Lady Leyburn durch ihre Töchter zu beleidigen, verließ er seine junge Freundin widerstrebend, nachdem er sie zu einem erhöhten Sitz geführt, um Lady Cölestine aufzusuchen.
Jetzt erst fühlte sich Adelaide wirklich verlassen. Sie wagte anfänglich nicht die Augen aufzuschlagen, und fürchtete, von Jedermann als ausgestoßen betrachtet zu werden. Nach und nach verlor sich jedoch das bange Gefühl, sie gewöhnte sich an ihre Lage, und erlangte endlich so viel Muth, sich umzusehen und den um sich herum geführten Unterhaltungen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Wie erstaunte das unschuldige, arglose Geschöpf über die Falschheit und Doppelzüngigkeit, die sich in Wort und Mienen ihrer Umgebung kund that. Niemand achtete des verlassenen Kindes, und so sah und hörte es unglaubliche Dinge.
Nachdem verschiedene Parthien die leeren Stühle abwechselnd neben Adelaiden ausgefüllt hatten, nahmen auch endlich Lady Ambrosia Leyburn und ihr Tänzer, Lord Aberavon, ein ganz junger, sehr hübscher Dragonerofficier, daselbst Platz.
»Mein Gott, wie bin ich ermüdet!« rief sie, sich auf einen Stuhl werfend, »ich konnte es auch keinen Augenblick länger im Unterhause aushalten. Es giebt der Gemeinen hier so viel, mehr als der Pairs, daß es ganz unverantwortlich ist, von Einem zu erwarten für sie Alle zu arbeiten.«
»O gewiß,« entgegnete Lord Aberavon, »aber könnten wir diese größere Menge nicht durch Stellvertreter versorgen lassen? Würde es nicht ein bewundrungswürdiger Plan sein, unsere Abgeordneten zu senden, wenn wir müde geworden sind, göttliche Lady Ambrosia?«
»Das würde das Volk beleidigen; Sie wissen ja, Manche sind hier als Gäste zugelassen wegen ihres Talents, die Höherstehenden zu unterhalten; und wenn wir diesen nicht durch den Weihrauch unserer Höflichkeiten schmeichelten, möchten sie verdrießlich werden und sich weigern, uns den schuldigen Tribut dafür, daß wir ihre Gesellschaft ertragen, zu zahlen.«
»Wie unvergleichlich ausgedrückt!« rief der junge Lord im Entzücken. »Beim Himmel! Kein Weib sollte versuchen uns Erklärungen zu geben, wenn es nicht einen so schönen Mund wie Lady Ambrosia hat.«
In diesem Augenblick näherten sich noch zwei Officiere von Sr. Herrlichkeit Regiment, und einer derselben ersuchte Lady Ambrosia um die beiden nächsten Tänze.
»Ich bedauere, nicht dienen zu können,« entgegnete sie, »ich bin schon auf neun engagirt, Sir Charles.«
Sir Charles Longuiville bezeugte seine Untröstlichkeit über den langen Aufschub seines Glücks, und erbat sich die Ehre, den zehnten mit ihr tanzen zu dürfen. Lady Ambrosia gewährte die Bitte, und nun entspann sich eine Unterhaltung, in welcher Adelaide zu ihrem höchsten Erstaunen das Kind aus der Kinderstube, die sich mit ihrem Bruder neckende und schlagende Ambrosia, gleich der gewandtesten, routinirtesten Dame im Ballsaal coquettiren sah. Von ihr nahm sie keine Notiz, bis Sir Charles den Blick erhebend sie gewahrte, und laut ausrief:
»Mein Gott, welch ein Engel! wer ist sie, Lady Ambrosia?«
»Es ist meine kleine Cousine,« erwiederte sie um sich sehend. »Adelaide, wie geht's? Warum tanzen Sie nicht? Konnten Sie keinen Tänzer finden, liebes Kind?«
»Ich würde mich glücklich schätzen, mit Ihrer Cousine tanzen zu dürfen, Lady Ambrosia,« sagten Sir Charles und sein Begleiter.
Adelaide erröthete beschämt, versuchte jedoch ihren Dank für die bewiesene Bereitwilligkeit auszusprechen, indem sie versicherte, keinen Gebrauch davon machen zu können, da Lady Cölestine gesagt, es sei kein Kinderball; weshalb sie nicht tanzen würde, wenn sie nicht ein Kind ihres Alters zum Tänzer fände.
»Das boshafte Geschöpf!« entgegnete Lady Ambrosia; »sie wußte wohl, daß hier kein anderer Knabe als Cyrus war, dem nie erlaubt wird mit zu tanzen, weil er allen Leuten nachmacht und sie beleidigt.«
»Aber wer ist diese reizende Cousine?« fragte Lord Aberavon.
»Sie ist das einzige Kind meines Onkels Montagu Bouverie, welcher eine Irländerin – eine – eine – heirathete, und dadurch sich das Mißfallen der ganzen Familie zuzog, so daß uns nicht erlaubt worden ist, freundlich mit ihr umzugehen. Man hat uns gelehrt, sie zu hassen, und gestern glaubte ich es auch zu thun?«
»Aber heute thun Sie es nicht!« sagte Sir Charles lächelnd.
»Ganz richtig, und morgen werde ich sie vielleicht sehr lieben; denn sie ist das sanftmüthigste Geschöpf von der Welt. Obgleich ich mich hatte verleiten lassen, sie stolz und hochfahrend zu behandeln, benahm sie sich doch heute Abend so gut und liebevoll gegen mich, daß ich es ihr nie vergessen werde, und so will ich auch gleich zur Mama gehen und sie bitten, zu erlauben, daß die kleine gute Seele ein Mal tanzen darf.«
Lady Ambrosia eilte hinweg mit ihren drei Anbetern, in deren Meinung sie durch diese That sehr gestiegen war; und kaum waren sie gegangen, als Bouverie den Platz neben der verwais'ten Adelaide einnahm.
»Dem Himmel sei Dank! Der erste Tanz mit Lady Cölestinen ist glücklich beendet,« sagte er. »Nun Adelaide, wie gefällt Ihnen ein Ball?«
Ehe sie aber darauf antworten konnte, langte schon eine Botschaft von seiner Tänzerin an, ihn zurückzurufen, und in demselben Augenblick kehrte auch Lady Ambrosia mit der Nachricht zurück, daß ihre Bitte vergebens gewesen.
»Ambrosia!« rief Lady Leyburn im strengen Ton, »wer wird seinen Tänzer verlassen? Sir Charles und Herr Clayton, ich werde Sie sogleich einigen jungen Damen vorstellen.«
»Aber Mama,« sagte Lady Ambrosia, die den Eindruck bemerkt hatte, den ihre Theilnahme an Adelaiden auf ihre Schönheit gemacht, »ich kann doch das arme Kind hier nicht allein sitzen lassen?«
»Sie mag zu Bette gehen,« sagte Lady Leyburn mit Härte. »Wenn solch ein Aufhebens mit ihr gemacht wird, darf sie Abends nicht wieder in der Gesellschaft erscheinen.«
Adelaidens seelenvolle Augen füllten sich mit Thränen; und erschreckt durch den strengen Ton der Tante, sagte sie zitternd zu ihrer Cousine: »Ich will lieber gleich zu Bette gehen.«
»Noch nicht, meine Liebe!« entgegnete Lord De Moreland, hinter Lady Leyburn vortretend, wo er ungesehen von ihr der Unterhaltung beigewohnt, und Zeuge ihrer Unfreundlichkeit gegen Adelaiden gewesen war.
Lady Leyburn fühlte sich wie vom Schlag getroffen durch Sr. Herrlichkeit unerwartete Erscheinung und den liebevollen Ton, mit dem er Adelaiden angeredet.
»Mylord!« rief sie aus, »Dich hier zu sehen ist in der That ein unerwartetes Glück. Ich glaubte, Du fürchtetest die heiße Luft eines Ballsaals, und würdest uns nicht mit Deiner Gegenwart heute beglücken.«
»Was mich hierher zog wird mich wohl noch öfterer ein unangenehmes Zusammentreffen und eine heiße Atmosphäre vergessen lassen,« sagte Lord De Moreland, Adelaidens Hand ergreifend, und sie zärtlich an sein Herz drückend; denn die so eben mit angehörten harten Worte hatten ihn aus seiner Indolenz herausgerissen, und ihn den Entschluß fassen lassen, die Heftigkeit und eifersüchtige Quälerei seiner Schwester nicht mehr zu fürchten, sondern der Welt die Achtung und Liebe zu zeigen, die er für die Tochter seines theuern Bruders empfand.
Lady Leyburn erblaßte trotz des aufgelegten Roths; sie war keines Wortes mächtig, während Adelaide nur mit der höchsten Anstrengung die Thränen der Dankbarkeit zurückzudrängen vermochte.
»Wer ist Dein Tänzer, mein geliebtes Kind?« fragte Lord De Moreland. »Es wird mir ein väterliches Vergnügen gewähren, meine Adelaide tanzen zu sehen.«
»Wären meine Wünsche erhört worden,« sagte Sir Charles, sich mit Anstand verbeugend, »so könnte ich jetzt die Ehre haben, mich Ew. Herrlichkeit als Miß Bouveries Tänzer vorzustellen; doch wegen ihrer zarten Jugend ist dies Glück einem jeden Bewerber verweigert.«
»Nun ich aber die alleinige Aufsicht über meine Nichte übernommen habe,« entgegnete Lord De Moreland, »werde ich Ihnen, Sir Charles, dieses Glück nicht länger verweigern, falls Sie nämlich kein anderes Engagement eingegangen sind.«
Adelaide klammerte sich bei diesen Worten so fest an ihres Onkels Arm, und sah ihn so erschrocken an, daß er ihre Furcht, sich unter die Menge fremder Menschen mit einem ihr ganz unbekannten Tänzer zu wagen, augenblicklich errieth und deshalb entschuldigend hinzufügte:
»Da aber mein kleiner Schützling noch etwas schüchtern ist, werden Sie erlauben, daß er seinen Debüt mit einem alten Bekannten macht. Montagu soll zuerst mit Adelaiden tanzen; und wenn dann Sir Charles noch gesonnen ist, sein Glück mit einer so jungen Tänzerin zu versuchen, wird diese sich freuen, ihr Versprechen zu erfüllen.«
Sir Charles unterwarf sich bereitwilligst den Anordnungen des Lords, und begleitete dann die höchlichst bestürzte Lady Leyburn, die ihm eine Tänzerin zu verschaffen versprochen. Indem hatte Bouverie seine Freiheit wieder erlangt und eilte, Lord De Moreland zu begrüßen.
»Ich wünschte, meine Nichte an dem allgemeinen Vergnügen Theil nehmen zu lassen,« sagte der gütige Onkel. »Montagu, wann können Sie mit ihr tanzen, da sie zu schüchtern ist, den Anfang mit einem Fremden zu machen?«
»Gleich die nächsten Tänze,« erwiederte Bouverie.
»Die sind Sie ja wohl mit Lady Seraphinen engagirt?« bemerkte Adelaide erröthend.
»Ich habe mich nicht um dieses Glück beworben, da es meine Absicht war, den Rest des Abends in einem tête à tête mit Ihnen, meine kleine Freundin, zuzubringen. Und so werden Sie erlauben, daß ich mich Ihnen ganz widme.«
Hiermit war jedoch Lady Cölestine keineswegs einverstanden, und noch ehe der Tanz begann, ließ sie ihn wieder zu sich entbieten.
Lord De Moreland nahm jetzt Platz neben Adelaiden, obgleich Lady Leyburn ihren ältesten Sohn absandte, ihn zu warnen, wegen des Zugs, dem er in diesem Theil des Saals ausgesetzt war.
»Es ist heute Abend eine Klage Deiner Wärterin über die Grausamkeit, von Dir getrennt zu sein, bei mir eingelaufen,« sagte Se. Herrlichkeit. »Ich habe sogleich Befehl ertheilt, diesem Uebelstand abzuhelfen. Morgen wirst Du mit ihr Deine eigenen Zimmer beziehen, wo auch ich Dich besuchen kann, ohne beständig den Bescheid zu erhalten, daß Du ausgefahren, wie es heute geschah.«
Adelaide dankte ihm mit Rührung. Sie fühlte sich nicht mehr einsam und verlassen in diesem Gewühl, und folgte ihrem Tänzer Bouverie zwar noch zitternd, aber doch mit größerm Selbstvertrauen, als es vor einer halben Stunde geschehen wäre.
Nicht ohne Besorgniß hatte sie Lord De Moreland in die Reihen treten sehen, weil er nicht vermuthet, daß sie auch in dieser Kunst schon einen Anfang gemacht. Wie groß war daher sein freudiges Erstaunen, als sie sich nicht allein mit Anmuth und Grazie, sondern auch kunstverständig in diesen Regionen bewegte.
»Adelaide, meine liebste Adelaide!« rief er ihr zu, als sie nach beendetem Tanz an Bouveries Hand zurückkehrte, »wie, war es möglich, in dem Dorf Seaview den Tanz in solcher Volkommenheit zu erlernen?«
Mit hold errötheten Wangen berichtete sie, daß die berühmte Mademoiselle Hillesberge seit drei Jahren immer einen Theil des Sommers wegen ihrer Gesundheit in Seaview zugebracht, Doktor Falklands ärztliche Hülfe gebraucht, und ihre Dankbarkeit dadurch an den Tag gelegt, daß sie seine Mündel in ihrer Kunst unterrichtet habe.
Als Cyrus bald darauf Lord De Moreland. mit Bouverie im eifrigen Gespräch vertieft sah, näherte er sich Adelaiden verstohlen und flüsterte ihr zu:
»Jetzt ist es an mir, meine sanftmüthige Cousine, Sie an dem Dieb Ihrer schönen Kleider zu rächen. Sehen Sie nur die Kleine aus der Kinderstube, wie sie umringt ist von den Hasenfüßen, die ihr von ihrer Schönheit vorschwatzen. Nun will ich aber hingehen und ihr erzählen, daß ihre breiten Schultern die geborgten Federn zersprengt hätten.«
»Um Gotteswillen! keine solche Bosheit, ich beschwöre Sie!« flehte die erschrockene Adelaide.
»Wollen sie mir einen Kuß geben, wenn ich es nicht thue?«
Indem wandte sich Bouverie um, und forschte nach Cyrus Verlangen.
Der Knabe erzählte die Geschichte der geraubten Kleider.
»Aber, Sie wissen ja,« unterbrach ihn Adelaide, »daß nicht Ambrosia, sondern das Kammermädchen die Schuld trägt. Wie können Sie daher Ihre Schwester so kränken wollen, Herr Leyburn?«
Bouverie untersagte ihm streng, von der Sache zu sprechen, und stellte ihm vor, wie viel besser es sei, Miß Adelaidens edles Betragen nachzuahmen, als seiner Schwester Gemüth durch stets erneuerte Kränkungen zu erbittern.
Das Abendessen ward jetzt gemeldet, und da Lady Leyburn auf einmal die zarteste Sorgfalt für Adelaiden äußerte, durften sie, und Ambrosia sich nicht länger dem Schlaf entziehen und verfügten sich deshalb in ihr Zimmer.
Lady Leyburn fand nach den beunruhigenden Ereignissen dieses Abends nicht den ersehnten Schlaf, und Betrachtungen mancherlei Art nahmen ihre Gedanken in Anspruch. Nächst der Besorgniß über ihres Bruders deutlich ausgesprochene Vorliebe für Adelaiden, beschäftigte sie noch eine neue Verbindung, die sie aus Liebe und Interesse mit einem jungen, schönen, aber ausschweifenden Officier geschlossen, und welche den Augen ihres ältern Freundes, Herrn Blackthorns, ihres Caplans und unentbehrlichen Werkzeugs bei ihren künstlichen Anschlägen, verborgen bleiben mußte.
Daß sie auf den bis jetzt eingeschlagenen Weg mit der Nichte ihres Bruders das Uebel nur vergrößern, und Adelaiden durch die ihr bewiesene Unfreundlichkeit und Verachtung zum Gegenstand des enthusiastischen Mitgefühls für Bouverie machen würde, war ihr an diesem Abend klar geworden; und sie beschloß deshalb, durch ein ganz entgegengesetztes Betragen das unvorsichtig erweckte Interesse wieder zu zerstören. Sie wollte sie nun mit Gewalt der allgemeinen Aufmerksamkeit Preis geben, sich bemühen, ihre Fehler und Unwissenheit an's Licht zu ziehen, während ihre Töchter alle Künste aufbieten sollten, ihre frühern Ansprüche an des Onkels Liebe und Erbschaft geltend zu machen.
Mit solchen Gesinnungen begrüßte sie am andern Morgen ihren Bruder. Lord De Moreland kündigte ihr an, daß er für Adelaiden besonders eingerichtete Zimmer in Roscoville zu haben wünschte. Ihre Herrlichkeit eilte mit der größten Bereitwilligkeit hinaus, die nöthigen Vorkehrungen hierzu zu treffen; auch versäumte sie nicht, ihren Kindern, Anhängern und Dienstboten ein anderes Benehmen gegen Miß Bouverie einzuschärfen.
Adelaide ward jetzt zu ihrem Onkel beschieden, der, nachdem er sich aus Liebe für seines Bruders Waise aus der ihm eigenthümlichen Indolenz herausgerissen, nun auch beschlossen hatte, Vaterstelle bei ihr zu vertreten und ihre Erziehung zu leiten. Um zu prüfen, wie weit ihm Falkland in dieser Hinsicht vorgearbeitet, begann er ein förmliches Examen, und erstaunte über die mannigfachen Kenntnisse, über die richtigen Begriffe und gesunden Urtheile des zwölfjährigen Mädchens.
»Herr Falkland hat in der That wie ein Vater an Dir gehandelt,« sagte er mit dem Ausdruck höchster Zufriedenheit.
Thränen der Liebe und Dankbarkeit füllten Adelaidens Augen.
»Nach der Art zu schließen, wie er sich Deines Unterrichts angenommen,« fuhr der Lord fort, »muß Herr Falkland ein guter und sehr verständiger Mann sein, und ich kann nicht umhin, Dich, meine liebe Adelaide, zu loben wegen Deines Fleißes, so wenig ich auch sonst geneigt bin, junge Gemüther durch laut ausgesprochenen Beifall zur Eitelkeit zu verleiten. In Dir habe ich bis jetzt noch keine Symptome derselben bemerkt, weshalb es Dir nicht schwer werden wird, mir eine Bitte zu erfüllen. Ich wünschte Dich in Roscoville geliebt, aber nicht beneidet zu sehen. Willst Du mit versprechen, alle Deine Talente und Fähigkeiten, so lange Du hier bist, so viel als möglich zu verbergen?«
»Herr Falkland hat mir immer gesagt,« entgegnete Adelaide schüchtern, »daß die geringen Kenntnisse, die ich mir erworben, blos zu meinem eigenen Nutzen und Vortheil dienten, nicht dazu der Welt bekannt zu werden. Auch bin ich ja noch in Allem so unvollständig, daß ich die Möglichkeit, bemerkt zu werden, vermeiden muß. Meine Stimme zu üben hat mir Herr Falkland noch nicht erlaubt; auf dem Clavier zeige ich mich als Stümperin, und im Zeichnen habe ich es bis jetzt erst so weit gebracht, daß man unterscheiden kann, ob ich eine Figur oder eine Landschaft entworfen. Nur im Tanzen allein habe ich vielleicht durch das gute Vorbild eine geringe Fertigkeit erlangt. Sie sehen daher, mein theurer Onkel, daß ich kein großes Opfer durch die Verläugnung meiner Talente bringe.«
Lord De Moreland war sehr einverstanden mit Doktor Falklands Ansichten, und äußerte sich mit großer Zufriedenheit darüber. Er zeigte hierauf seiner Nichte die Bibliothek, erlaubte ihr, sich mit Büchern daraus zu versehen, und befahl dann, sein Cabriolet vorfahren zu lassen.
»Du kannst mich begleiten, liebe Adelaide, wenn Du Lust hast. Du darfst auch Ambrosia mitnehmen, da sie sich freundlich gegen Dich bewiesen;« sagte der Lord, seinen Liebling mit Herzlichkeit umarmend.
Adelaide flog hinaus, doch sich plötzlich erinnernd, daß Cyrus es ebenfalls gut mit ihr meinte, kehrte sie noch einmal zurück, auch um seine Begleitung zu bitten.
In diesem Augenblick trat Bouverie ins Zimmer und sagte ernst: »Sie scheinen eine innige Freundschaft mit Cyrus geschlossen zu haben.«
Adelaide lächelte erröthend und eilte, ihre Cousine zu holen.
»Aber Montagu, weshalb dieser ernste Blick bei der Erwähnung Adelaidens Freundschaft mit Cyrus? Nach ihren Berichten scheint der Knabe wirklich einige Gutmüthigkeit zu haben.«
»Daran zweifle ich nicht,« erwiederte Bouverie verlegen; »doch ist es mir nicht angenehm, Adelaiden eine solche Freundschaft schließen zu sehen, da ich – Ew. Herrlichkeit werden mich vielleicht der romantischen Ideen beschuldigen, wenn ich sage, daß es ein Lieblingswunsch von mir ist, Adelaiden mit – mit meinem Bruder verbunden zu sehen. Schon seit längerer Zeit beschäftigte ich mich mit diesen Gedanken, und von dem Augenblick an, daß wir hier in Roscoville zusammen getroffen, kann ich dieses Projekt nicht wieder aus dem Sinn verlieren.«
»Welch ein vortrefflicher Bruder sind Sie!« entgegnete, der Lord, ein Lächeln unterdrückend, »so für das künftige Glück Ihres Theodors zu sorgen! Aber setzen Sie den Fall, daß er Ihre brüderlichen Einrichtungen nicht billigte, Adelaiden nicht liebenswürdig fände?«
»Dann würde ich ihm rathen, sich als ein Klotz ohne Herz in die Zelle eines Einsiedlers zurückzuziehen!« rief Bouverie heftig.
»Das Kind ist in der That allerliebst, und so anziehend –«
»So anziehend, und dabei sich seiner Vorzüge so unbewußt,« setzte Montagu die Rede des Lords fort, daß – – Doch Sie sind im Begriff auszufahren, Mylord; da ich nun kein Cabriolet habe, um Ihren liebenswürdigen Nichten meine Dienste anzubieten, bitte ich um die Erlaubniß, Sie zu Pferde begleiten zu dürfen?«
»Wenn Sie eine Spazierfahrt lieben,« sagte Lord De Moreland, abermals ein schlaues Lächeln unterdrückend, »so möchte ich Sie bitten, die Zügel für mich zu ergreifen, und die jungen Damen zu fahren. Doch rathe ich, Adelaiden nicht von ihren körperlichen und geistigen Vorzügen zu unterhalten. Als ein einfaches Kind der kunstlosen Naivität brachte ich sie hierher, und wünschte sie unangesteckt von dem giftigen Hauch des bösen Beispiels, in die Arme ihres Vormundes zurückzuliefern. Mit Entsetzen habe ich gestern Abend das Kind Ambrosia ein ganzes Artilleriefeuer der Coquetterie losschießen sehen; mein Blut kochte bei diesen studirten Attitüden, diesen schmachtenden Blicken, diesen wohlgesetzten Reden, während ich doch weiß, daß ihr Verstand und Gemüth so unangebaut wie eine arabische Wüste sind.«
Adelaidens Zurückkunft mit ihrer schönen Cousine unterbrach des Lords Redefluß. Bouverie führte die Damen an den Wagen, und erfreute sich einer ungestörten Unterhaltung mit seiner Jugendgespielin, da Lady Ambrosia, in Erinnerung der gestern erlebten Triumphe und der bezaubernden Liebenswürdigkeit Lord Aberavons, wenig Theil daran nahm, und nicht begreifen konnte, wie verschieden die Adelaide im Ballsaal von der im Cabriolet sei.
Am Abend erfolgte eine Einladung von Lady Leyburn an die Cousine, sich in das Gesellschaftszimmer zu begeben, woselbst sie die Anwesenden mit Kartenspiel und Musik beschäftigt fanden. Lord De Moreland pflegte sonst sehr selten nach dem Mittagsessen wieder zu erscheinen, da seine schwache Gesundheit ihm Ruhe nöthig machte; jetzt aber war er bereits in der Gesellschaft, in ängstlicher Erwartung, wie Adelaide sich benehmen würde.
Nachdem sich mehrere anerkannte Musiker auf der Harfe und dem Flügel hatten hören lassen, ersuchte Lady Leyburn Adelaiden mit der freundlichsten Zuvorkommenheit, die Gesellschaft durch ihr Talent zu erfreuen.
»Ich bedaure, Madame,« erwiederte das erröthende Kind schüchtern, »Ihren Befehlen nicht gehorchen zu können, da ich zu wenig von der Musik verstehe, um mich vor einer solchen Versammlung hören zu lassen.«
»Sie setzen mich in Erstaunen!« rief Lady Leyburn, »Sie könnten nicht gut genug spielen!! Aber Sie singen wohl?«
»Nein, Madame.«
»Was! Sie haben keine Stimme? Wie schrecklich!«
»Herr Falkland hat mir noch nicht erlaubt, meine Stimme zu üben,« entgegnete Adelaide beschämt.
»Und wer wird Sie denn im Singen unterrichten, wenn dieses alberne Verbot aufgehoben ist?« fragte Ihre Herrlichkeit mit anscheinendem Interesse.
»Mstrß. Falkland, Madame.«
»Mstrß. Falkland, meine Liebe! – wie kömmt sie zu dieser Fähigkeit? War sie vielleicht Musiklehrerin an einer Schule? oder Schauspielerin, ehe sie den würdigen Apotheker heirathete?«
»Herr Falkland heirathete die einzige Tochter des Generals Aspenfield,« entgegnete Adelaide, deren Schüchternheit durch das Gefühl beleidigter Dankbarkeit überwunden schien, »die Nichte des Lords Aspenfield und des Sir Rupert Danvers von mütterlicher Seite.«
»Was!« rief Lord De Moreland, hastig von seinem Stuhl aufspringend, »war Mstrß. Falkland die schöne Rosalinde Aspenfield?«
»Ja, Mylord.«
»Ich kenne sie genau, und weiß, daß sie eine der elegantesten, gebildetesten und ausgezeichnetesten Frauen ist. Ich traf sie in Italien, wo sie ihre Talente zur Vollkommenheit ausbildete; deshalb kann ich Dir, meine Adelaide, Glück wünschen, eine solche Lehrerin gefunden zu haben.« –
Der folgende Tag war ein Sonntag, und Adelaide, getäuscht in ihrer Erwartung einer allgemeinen Erfüllung der heiligen Pflichten dieses Tages, bereitete sich eben vor, ihre Andacht mit Norah in dem eigenen Zimmer zu verrichten, als sie zu ihrem Onkel in die Bibliothek berufen wurde. Hier hatte er eine kleine Gemeinde um sich versammelt, bestehend aus ihm selbst, Bouverie und seinen Domestiken, da Sr. Herrlichkeit Gesundheit zu schwach war, um bei solchem nassen Wetter in die Kirche zu fahren. Montagu verrichtete das Geschäft eines Caplans, weil Lord De Moreland Herrn Blackthorns Dienste dabei verschmähte, als eine Beleidigung gegen die heilige Handlung.
Nachdem einige Gebete und eine Predigt gelesen, blieben Montagu und Adelaide noch bis zum Mittagsessen bei dem Onkel, und der Abend führte sie wieder mit Ambrosia in das Gesellschaftszimmer, wo sie zu ihrem Entsetzen Spieltische bereit sah.
Bald darauf nahmen auch die Gäste Platz daran, und der Neuling in der Welt flog zu Bouverie, ihm ins Ohr zu flüstern: »Sie vergessen, daß es Sonntag ist; sehen Sie nur, sie spielen Karte! Wie werden sie sich erschrecken, wenn es ihnen einfällt!«
»Diese Menschen vergessen immer, daß es Sonntag ist,« entgegnete Bouverie, ihr mit Entzücken in das sprechende Auge blickend. »Sie werden keinen Unterschied in den Vergnügungen des Sonntags Abend und der andern Parthien in Roscoville finden, ausgenommen, daß keine förmliche Bälle an diesem Tage gegeben werden.«
»Aber Sie spielen doch am Sonntag nicht, lieber Montagu?« fragte Adelaide mit innigem Ton.
»Ich spiele überhaupt höchst selten, und an diesem Tage nie,« erwiederte Bouverie, Adelaiden mit solchem Wohlgefallen betrachtend, daß die aufmerksamen Ladys Leyburn ihn in höchster Bestürzung zu sich riefen, einen Auftrag zu besorgen.
»Das kleine Apothekermädchen scheint Ihnen einen Liebestrank eingegeben zu haben,« sagte Lady Seraphine; »denn seit es in Roscoville angelangt, darf man die gewöhnlichsten Höflichkeiten nicht mehr von Ihnen erwarten.«
Bouverie, in Adelaidens Seele beleidigt, antwortete kurz und kalt, verrichtete dann das ihm aufgetragene Geschäft und setzte sich hierauf wieder zu dem kleinen Apothekermädchen, froh, durch Lord De Morelands Anwesenheit mit dem Anblick eines aufgeführten Stücks, oder eines kleinen Tanzes verschont zu bleiben.
Adelaide brachte die folgenden drei Tage sehr unbehaglich zu, indem Lady Leyburn keine Künste und Liste unversucht ließ, unsre junge Heldin durch Schmeicheleien zum Werkzeug ihrer Eitelkeit herabzuwürdigen. Und so fein waren ihre Fäden gesponnen, daß sie Lord De Moreland und Montagu unsichtbar blieben, während Adelaidens zartes Gefühl sie erkannte, und ihr den Wunsch einflößte, diesen Ort, wo sie so neue und fremde Empfindungen kennen gelernt, so bald als möglich zu verlassen.
Am vierten Tage erlös'te sie eine Einladung ihres Onkels, ihn nebst Montagu auf einer weiteren Spazierfahrt und zu mehreren Besuchen zu begleiten, aus der peinlichen Lage von Lady Leyburns Umgebung durch übertriebene Lobeserhebungen und Schmeicheleien unterhalten zu werden, wie es in der letztern Zeit ihr Loos gewesen. Und als sie zurückgekehrt Lord De Moreland auf sein Zimmer begleitete, überreichte er ihr einen Brief von Falkland aus Seaview, der nebst mehreren andern unterdessen angekommen war. Von Freude und Dankbarkeit ergriffen, achtete sie nicht auf des Onkels Bewegung bei Durchlesung seiner Briefe; und nicht eher bis ein tiefes Stöhnen in ihr Ohr drang, sah sie sich um. Todtenbleich, das Blatt in der Hand, stand er da und im nächsten Augenblick fiel er leblos zu Boden.
Voll Entsetzen flog sie an die Klingel, Hülfe herbeizurufen, dann zu ihrem Onkel, dessen Halstuch sie schnell lös'te. Ein dunkles Gefühl sagte ihr, daß er den Unglücksbrief nicht gern in fremden Händen sehen würde, deshalb zog sie ihn leise aus seiner erstarrten Hand, und verbarg ihn im Busen, ehe noch die Dienerschaft mit Herrn Blackthorn herbeikamen.
Alle möglichen Mittel wurden nun von der weinenden Adelaide und den ihr beistehenden Dienern angewandt, Se. Herrlichkeit ins Leben zurückzurufen, während Blackthorn sie mit einem Strom von Fragen über die Veranlassung der Ohnmacht überschüttete, und als sie hierauf stumm blieb, Falklands Brief, der ihr aus den Händen gefallen, aufhob und damit zu Lady Leyburn lief, weil diese, wie er sagte, hieraus wohl den Grund des plötzlichen Zufalls ersehen würde.
Jetzt begann Lord De Moreland die Augen aufzuschlagen; auch die Besinnung kehrte nach und nach zurück; und als Adelaide seinen ängstlich suchenden Blick gewahrte, flüsterte sie ihm leise zu:
»Der Brief, in welchem Sie lasen, als die böse Ohnmacht über Sie kam, befindet sich in Sicherheit bei mir.«
Der Onkel drückte ihre Hand mit einem dankbaren Lächeln; indem trat Bouverie herein, hocherfreut den Lord wieder hergestellt zu sehen. Dieser verlangte jetzt, Adelaidens Sorgfalt allein überlassen zu bleiben, und sandte Montagu an Lady Leyburn ab, sie über seinen Zustand zu beruhigen und ihren Besuch zu verhindern. »Dann kommen Sie aber wieder zu mir zurück,« fügte Lord De Moreland hinzu.
»Und bringen mir meines Vormunds Brief mit,« bat Adelaide, »den Herr Blackthorn, ihn für einen andern haltend, als Beute davon getragen.«
Sobald sie sich mit Sr. Herrlichkeit allein befand, übergab sie ihm den sicher verwahrten Brief, den er nun mit großer innerer Bewegung zu Ende las.
»Adelaide, mein theures Kind!« sagte er, sie an sein Herz drückend, »Du mußt mir das heilige Versprechen geben, keinem Menschen zu verrathen, daß der Inhalt dieses Briefs mich um das Bewußtsein, und fast um das Leben gebracht; ja, auch Deine eigenen Vermuthungen darüber in Dich zu verschließen.« –
Adelaide hatte kaum ihre feste Zusicherung eines unverbrüchlichen Schweigens gegeben, als Bouverie mit Falklands Brief zurückkehrte, über dessen Wegnahme Blackthorn sich damit entschuldigte, daß er geglaubt, Sr. Herrlichkeit habe vom Continent beunruhigende Nachrichten erhalten, welche ihm Lady Leyburn vielleicht auf eine sanftere Weise beizubringen vermocht hätte. Auch hatte sich die zärtliche Schwester nicht abhalten lassen wollen, selbst herbeizueilen, sich nach dem Befinden Sr. Herrlichkeit zu erkundigen.
»Dann soll sie sich in ihrer Neugier getäuscht finden, so wie Herr Blackthorn in seinen unverschämten Vermuthungen!« rief Lord De Moreland entrüstet. »Rufen Sie meinen Kammerdiener Baronello, lieber Montagu, und dann führen Sie mich schnell in mein Schlafzimmer, wo ich hoffentlich sicher vor solcher Zudringlichkeit sein werde. Adieu, liebe Adelaide!« fügte er, sie zärtlich umarmend, hinzu, »ich werde Deine Güte nie vergessen.«
Die besorgte Nichte kehrte im Laufe dieses Tages noch manchmal an die Thür des Schlafzimmers zurück, um von Baronello zu erfahren, wie es dem Kranken ergehe; und als sie sich wie gewöhnlich zum Mittagsessen in der Kinderstube einfand, ließ Lady Leyburn die huldreiche Einladung an sie ergehen, die Roscoviller Gesellschaft heute Abend ins nächste Dorf zu begleiten, woselbst eine herumziehende Truppe ein Schauspiel aufführen würde. Eine halbe Stunde vor der Abfahrt versammelten sie sich Alle bei Lady Leyburn, welche Adelaiden freundlichst empfing. Jetzt wurden die Wagen gemeldet, und Jeder eilte, sich mit Hut und andern Unentbehrlichkeiten zu versehen, so daß es nicht bemerkt wurde, daß Adelaide dem Ruf ihres Onkels folgte, welcher, von dieser Abendparthie unterrichtet, es gewagt hatte sich wieder in seine Bibliothek zu verfügen. Nicht ahnend, daß sie zur Theilnahme aufgefordert worden, bat er sie, ihm vorzulesen, da er erfahren, daß Bouverie mit zum Schauspiel sei.
Adelaidens Wunsch, bei der Gesellschaft nicht vermißt zu werden, ging in Erfüllung, indem der Einzige sie Beachtende durch Gewalt fortgeführt worden war. Lady Ambrosia von zwei jugendlichen Anbetern in die Mitte genommen, sah sich von denselben in einen Wagen placirt, während die Damen Cölestine und Seraphine sich jede eines Arms von Bouverie bemächtigten, und ihn in einen andern entführten, ihm zuflüsternd:
»Sie brauchen nicht auf Ihre geliebte Schwester zu warten, da Mama arrangirt hat, daß sie mit den Gouvernanten fahren wird.«
Als aber die Gouvernanten ankamen und keine Adelaide zu sehen war, glaubte Montagu sie durch eine neue Bosheit Lady Leyburns von dem allgemeinen Vergnügen ausgeschlossen, und ergriff daher die erste Gelegenheit, sich aus der zum Theater umgewandelten Scheune zu stehlen, und nach Roscoville zurückzukehren.
Auf seine Fragen berichtete ihm Baronello, ›daß la illustrissima Signora bei Monsignore sei,‹ und von neuer Besorgniß erfaßt, eilte er in des Lords Studirzimmer.
»Was fehlt Ihnen, lieber Bouverie? was bewegt Sie so?« fragte der Kranke, ihm die Hand reichend.
»Ach! ich fürchtete, Sie von einem neuen Anfall betroffen zu finden, da Adelaide nicht zum Schauspiel kam.«
Jetzt erfuhr Lord De Moreland erst, daß seine Nichte ihm ihr Vergnügen aufgeopfert, und drang ernstlich in sie, sogleich mit Montagu der Gesellschaft nachzufahren, wozu sie sich jedoch durchaus nicht entschließen konnte. Sie bat so dringend, bei ihm bleiben zu dürfen, daß auch Bouverie ausrief:
»Nein, es ist unmöglich! Sie können sie nicht von sich schicken; und auch mir müssen Sie erlauben, Ihnen Gesellschaft zu leisten und Sie zu pflegen, da Ihr Aussehen leider verräth, wie leidend Sie sind.«
Und wirklich hatten sich des Lords Gesichtszüge wieder so sehr verändert, daß man einen neuen Zufall erwarten mußte. Nach Verlauf einer halben Stunde wechselte er die Farbe; eine tödtliche Angst erfaßte ihn, und heftige Schmerzen im Unterleibe verkündeten, daß die Gicht sich auf diesen Theil geworfen. Bouverie und Baronello, mit der Gefahr dieser Krankheit bekannt, schickten augenblicklich Boten nach ärztlicher Hülfe fort, und Adelaide rief ihre Wärterin, die getreue Norah herbei, die so oft Zeuge von Falklands Behandlung dieses Uebels bei der alten Martha gewesen, und welche die zuerst anwendbaren Mittel kannte. Auch Adelaide erinnerte sich der Namen und Quantität jeder einzelnen Ingredienzien, woraus diese Medicin bestanden; sie schrieb alles genau auf, während Bouverie sich das schnellste Roß satteln ließ, um sie aus der nächsten Apotheke zu holen. Bei seiner Zurückkunft fand er den Arzt der Familie und einen Wundarzt aus der Nachbarschaft, welche einstimmig erklärten, daß keine menschliche Kunst im Stande sei, Se. Herrlichkeit zu retten.
Ohne alles Bewußtsein lag der Lord, nichts von diesen Ausspruch vernehmend. Mit Norahs Hülfe gelang es Bouverie ihm die Falklandsche Arznei einzuflößen, welche nach zwanzig Minuten das Leben in ihm zurückrief.
Niemand hatte in dieser Zeit der Angst daran gedacht, Lady Leyburn aus dem Theater rufen zu lassen; und als Lord De Moreland seine Besinnung wieder erlangt hatte, befahl er, seiner Schwester diesen neuen Zufall nicht zu melden, da sein erschöpfter Körper der Ruhe bedürfe, und ihre Gegenwart ihn nur von neuem aufregen würde.
So erfuhr Lady Leyburn also nicht, wie nahe sie daran gewesen, den Lohn für ihre langen, geheimen Bemühungen zu ernten, oder sich in den Erwartungen ihres Geizes getäuscht zu sehen; und als sie aus dem Schauspiel nach Hause kam, war Se. Herrlichkeit bereits zu Bett gebracht und alles zu seiner Pflege und Bequemlichkeit eingerichtet. Bouverie, Baronello, nebst dem Arzt und Norah übernahmen die Wache bei dem Kranken, während sich die arme, ermüdete Adelaide durch die lange Reihe von Gemächern in ihr Schlafzimmer, in dasselbe Bett, worin ihr Großvater gestorben, zur Ruhe begab. Daß dem armen Kinde diese Schlafstätte von Lady Leyburn aus Verdruß über ihres Bruders Forderung, seiner Nichte ein anständiges Quartier anzuweisen, zu Theil geworden, ahnete weder der Lord, noch Adelaide, die von aller Furcht frei, bis jetzt sorglos in dem Sterbebett ihres Vorfahren geschlafen hatte. Nur heute, als sie getrennt von Norah, allein im Zimmer blieb, überschlich sie eine leise Angst und sie zog die Gardinen fest zusammen.
Der Arzt, Bouverie und Norah befanden sich noch in des Lords Vorzimmer, als Lady Leyburn gegen Morgen von ihrer Excursion zurückkehrend, mit der Besorgniß einer zärtlichen Schwester in des Bruders Schlafgemach dringen wollte, und nur mit Mühe abgehalten wurde, seine Ruhe nicht zu stören. Sie hatte hundert Fragen in Bezug auf ihren angebeteten Edwin zu thun, und äußerte sich sehr zufrieden über alles, was geschehen und angeordnet war. Im Fortgehen sprach sie noch ihre Zufriedenheit aus, Norah unter der Zahl der Krankenwärter zu sehen, und fügte hinzu: »Adelaide ist nun wohl natürlich diese Nacht wieder in ihr früheres Quartier gezogen?« Doch ohne auf eine Antwort zu warten, eilte sie fort.
Adelaide hatte das leichte Grauen über ihre abgelegene einsame Schlafstätte bald überwunden. Nicht so schnell gelang es ihr, die Sorge über einen möglichen Rückfall bei dem geliebten Onkel zu bemeistern; doch endlich forderte der erschöpfte Körper sein Recht, und sie verfiel in einen so festen Schlaf, daß sie Lady Leyburns und Herrn Blackthorns Eintritt anfänglich nicht vernahm. Die zugezogenen Bettgardinen entzogen sie den Blicken des Paars, und da Ihre Herrlichkeit einem Kinde dieses Alters nicht so viel Muth zutraute, hier allein zu schlafen, glaubte sie sich allein und sicher, und begann daher die Unterhaltung so laut, daß Adelaide darüber erwachte.
Ohne sich durch eine Bewegung zu verrathen, lauschte sie mit zurückgehaltenem Athem.
»Ich fürchte, wir sind auf einer falschen Spur,« sagte Blackthorn; »ich habe dieses Täfelwerk schon genau durchsucht, und nirgends ein Schlüsselloch gefunden.«
»Possen!« rief Lady Leyburn; »verlassen Sie sich darauf, daß meine Vermuthung gegründet ist. Ich weiß ganz bestimmt, daß sich die Vertiefung in diesem Zimmer befindet; und sollte mein Bruder diese Nacht noch sterben, würde ich alle Macht, Montagu für meine Zwecke zu gewinnen, verlieren, wenn ich nicht im Besitz dieses Pakets käme.«
»Ich habe jedes einzelne Stück der Mosaikeinfassung dieser sonderbaren Felder sorgfältig untersucht, ohne ein Schlüsselloch zu finden,« entgegnete Blackthorn; »doch sollte Ihr Bruder diese Nacht wirklich noch das Zeitliche segnen, könnten die Felder alle abgerissen und wieder eingesetzt werden, ehe Montagu Besitz nimmt.«
»Unmöglich!« erwiederte die Lady, »da die Vertiefung so beschaffen ist, der menschlichen Kunst zu spotten. Mit Gewalt ist nichts auszurichten; nur durch Hülfe dieses Schlüssels, auf dessen Erhaltung mein Großvater auch so viel Wichtigkeit legte, daß er ihn beständig an einer Kette um den Hals trug, wo ich ihn selbst, gleich nachdem er gestorben, wegnahm.«
Sie gingen nun suchend weiter, so daß Adelaide von der fernern Unterhaltung nichts hören konnte, kehrten aber bald wieder zurück, da ihre Versuche fruchtlos geblieben. Blackthorn wollte Lady Leyburn in verliebter Tändelei in seine Arme schließen, und rief, da sie sich sträubte: »Nein, nein, Mylady! Sie wissen die Bedingungen, unter welchen ich mich darauf eingelassen habe, Ihr Interesse mit Gefahr meines Lebens zu befördern. Ich dulde kein Sträuben, Madame; Sie sind mein durch Vertrag.« Und Blackthorn nahm ohne Umstände den verlangten Kuß.
Jetzt waren sie fort, und hatten Adelaiden in einer solchen Aufregung zurückgelassen, daß an Schlaf nicht mehr zu denken war. Es dünkte ihr eine Ewigkeit, bis sie Bouverie sehen und ihm alles mittheilen konnte, was sie gehört. Ihm sollte es dann überlassen bleiben, dem Onkel davon zu entdecken, was er für gut hielt.
Lord De Moreland brachte die Nacht ohne körperliche Leiden zu, und was sein Gemüth bewegte, bemühte er sich, seinen Umgebungen zu verbergen. Um fünf Uhr rief er den getreuen Baronello an sein Bett und sagte: »Du mußt augenblicklich Vorkehrungen zu einer zweiten Reise auf das Continent treffen, aber keinem Menschen etwas davon sagen. Morgen früh breche ich nach Seaview auf, von wo aus ich Lady Leyburn von meiner bevorstehenden Tour benachrichtigen werde.«
Der erstaunte Diener wagte einige Gegenvorstellungen wegen des eben erst überstandenen gefährlichen Krankheitsanfalls.
»Mein guter Baronello,« erwiederte Sr. Herrlichkeit; »ich sterbe eher aus Angst und Sorge, als an der Krankheit, die sie verursacht. Aber ich werde Trost für meine Leiden finden, und nehme Adelaidens Vorschrift mit mir. Auch ist es meine Absicht, Doktor Falklands Rath zu erfragen, deshalb fürchte nichts für mich, und lege Dich jetzt einige Stunden zur Ruhe, damit Du Deine Geschäfte mit frischen Kräften beginnen kannst.«
Der getreue Baronello that widerstrebend wie ihm geboten worden.
Auch Norah hatte sich gegen Morgen niedergelegt und war in einen so festen Schlaf versunken, daß Adelaide ungehört von ihr aufstand, sich ankleidete und eine Nachsuchung des bewußten Schlüssellochs im Tafelwerk anzustellen in Begriff stand, als ihr Fuß an etwas Hartes stieß. Rasch bückte sie sich, es aufzunehmen, und erstaunte, einen goldenen Schlüssel von sonderbarer Arbeit zu finden, wahrscheinlich derselbe, mit welchem Lady Leyburn das Schloß in der Vertiefung zu öffnen beabsichtigte, und den sie vermuthlich verloren, als sie sich Blackthorns Armen zu entwinden gesucht.
Ohne Verzug ging sie jetzt ans Werk, und war auch wirklich so glücklich, einen Stein in der Mosaikeinfassung zu entdecken, der unmerklich größer als die andern, nothwendig das Schlüsselloch verbergen mußte. Sie drückte daran, der Stein bewegte sich, wich endlich ihrem Druck und sie sah zu ihrer größten Freude, daß er das gesuchte Schlüsselloch verdeckt hatte. Weiter zu gehen hielt sie sich nicht berechtigt, setzte daher den Stein wieder ein, und schlich leise in das Vorzimmer ihres Onkels, um Montagu durch Baronello zu sich entbieten zu lassen, als sie Erstern allein darin fand. Mit Erstaunen vernahm dieser den Bericht dessen, was sie in der Nacht gesehen und gehört. Sie verheimlichte ihm nichts, als die entehrende Abschiedsscene, und überließ es ihm, nun dem Onkel den Schlüssel einzuhändigen, und von dem Vorhergegangenen in Kenntniß zu setzen.
»Meine theure, vielgeliebte Adelaide!« rief Bouverie ihre beiden Hände ergreifend, und ihr mit Entzücken ins Auge blickend, »wie vorsichtig, wie verständig benehmen Sie sich, trotz ihres zarten Alters in allen Lagen und Verhältnissen!«
In diesem Augenblick öffnete Lord De Moreland die Kammerthür und blieb erstaunt stehen; auch Bouverie schien betroffen, Adelaide aber flog ihrem Onkel entgegen und sprach ihre Freude, ihn wieder hergestellt zu sehen, unbefangen aus. Er drückte sie bewegt an sein Herz, reichte dann Bouverie die Hand, und sagte:
»Ich hoffe nicht, daß Sie die ganze Nacht hier wachend zugebracht haben?« Und nachdem Montagu ihm die Versicherung gegeben, einige Stunden geruht zu haben, fuhr er fort: »Störte ich Sie etwa in Ihren Bewerbungen für Ihren Bruder Theodor, lieber Bouverie?«
»Mylord!« entgegnete Montagu erröthend, »ich muß gestehen, in diesem Augenblick nicht an Theodor gedacht zu haben.«
Lord De Moreland beruhigte sich mit der Ueberzeugung, seine längst gewünschte Vermuthung bestätigt zu sehen, und Bouverie theilte ihm nun Adelaidens nächtliche Entdeckung mit.
Die Existenz einer solchen geheimen Vertiefung war ihm gänzlich unbekannt gewesen; und so würde denn der ganze, gewiß wichtige Inhalt in die Hände seiner habsüchtigen Schwester gefallen sein, wenn die Vorsehung es nicht so gütig gelenkt, daß Adelaide das Gespräch gehört. Da aus diesem hervorging, daß der geheime Verschlag nicht durch Gewalt, sondern nur vermittelst des Schlüssels zu öffnen sei, beschloß der Lord, seiner hinterlistigen Schwester gar nichts merken zu lassen, und die Nachsuchung selbst bis auf seine Zurückkunft vom Continent zu verschieben. Die beabsichtigte Reise theilte er bei dieser Gelegenheit seinen trauernden Kindern mit.
»Ich werde diesen wichtigen Schlüssel Doktor Falklands Sorge übergeben, der ihn für Sie, lieber Montagu, aufbewahren soll; doch ehe ich fortgehe, wollen wir uns Beide von Adelaiden in das Geheimniß, ihn zu gebrauchen, einweihen lassen. Ihnen, Bouverie, übertrage ich das Geschäft, Lady Leyburn unverzüglich von meiner Abreise nach Seaview zu benachrichtigen, doch ohne ihr merken zu lassen, daß ich weiter zu gehen gedenke.«
Lady Leyburn vernahm die Nachricht von ihres Bruders morgender Abreise nach Seaview, Doktor Falkland wegen seiner Gesundheit zu consultiren, mit Entsetzen, als einen gewissen Vorboten, die verhaßte Adelaide in seinem Vermächtniß reichlich bedacht zu sehen; doch besaß sie hinreichende Gewalt über sich selbst, ihre Gefühle nicht zu verrathen. Auch tröstete sie sich mit der Aussicht, diese unerwartete Abwesenheit zur Ausführung mancher noch unvollendeter Entwürfe zu benutzen; aber groß war ihr Verdruß, als sie am andern Morgen den Eingang zu den Zimmern, die Adelaide zuletzt bewohnt, durch Siegel, welche sie nicht zu lösen wagte, verschlossen fand.
Da Adelaide sogleich, nachdem Lord De Moreland seinen Plan nach Seaview zu reisen, an Falkland geschrieben und diesen gebeten hatte, ihrem vielgeliebten Onkel ein Zimmer in seinem Hause einzuräumen, damit er nicht genöthigt sei, in dem kalten, so lange unbewohnt gewesenen Schloß abzusteigen, konnte die kleine Gesellschaft, ohne Besorgniß zu überraschen, dem Ziel ihrer Reise entgegengehen. – Als sie sich Seaview näherten, gewahrte Bouverie Dennis O'Rourke, der, wie ein Telegraph auf der Spitze des Riesenschemels aufgestellt, ihnen erst seinen Gruß zuwinkte, und dann auf der andern Seite mit einem blauen Schnupftuch die Annäherung der Gäste verkündete. Plötzlich verschwand er von seinem hohen Standpunkt, aber nur um auf einem nähern Weg den Ankommenden entgegen zu eilen, und Lord De Moreland einen Brief von Dr. Falkland zu überreichen, worin dieser in seinem und Mstrß. Falklands Namen den Onkel ihrer Adelaide aufs Freundlichste zu sich einlud.
»Ein neuer Beweis der zärtlichen Fürsorge meines lieben Kindes,« sagte Se. Herrlichkeit, Adelaiden mit Herzlichkeit die Hand drückend. »Es ist mir ein großer Trost, die kurze Zeit meines Aufenthalts in Seaview mit meinen Lieben vereint zu bleiben.«
»Muß der Aufenthalt ein kurzer sein?« fragte Adelaide mit dem Ton der Besorgniß.
»Ja, er muß. Vier und zwanzig Stunden sind mein längster Termin.«
»Aber diese kurze Frist wird nicht hinreichend sein, Dr. Falklands ärztliche Geschicklichkeit in Anwendung zu bringen,« bemerkte Bouverie ehrfurchtsvoll.
»Lieber Montagu,« entgegnete Lord de Moreland mit einem tiefen Seufzer; »Falkland kann die Krankheit nicht heilen, die ihren Sitz hier hat (auf die Brust zeigend). Die fürchterlichen Qualen einer schrecklichen Ungewißheit kann ich nicht länger ertragen. Deshalb verlasse ich Euch morgen, meine theuren Kinder, einen kurzen Besuch auf dem Continent zu machen, welcher hoffentlich die schwere Last von meinem Herzen nehmen wird! Wenn ich alles weiß, so fürchterlich es auch ist, erwarte ich von meiner Kraft, daß sie mich zur Thätigkeit aufruft; aber ein längeres Verharren in diesem Zustand der Ungewißheit würde mich tödten.«
Indem hielt der Wagen vor Falklands Hause, und der Empfang war von allen Seiten so herzlich, wie es sich unter solchen Verhältnissen erwarten ließ. Lord De Moreland sprach seine Dankbarkeit für die dem verwais'ten Kinde bewiesene zärtliche Sorgfalt mit ungewöhnlicher Wärme aus und kehrte, nachdem Bouverie Rosalinden vorgestellt worden, mit unerschöpflicher Beredsamkeit zu diesem Capitel zurück, bis die kleine Reisegesellschaft sich in ihre Zimmer begab, Toilette zum Mittagsessen zu machen.
Adelaide beendete dieses Geschäft früher als die Andern, und benutzte die gewonnene Zeit, alle Bewohner des Hauses, so wie den Hühnerhof und Garten, vorher noch zu besuchen. Am Schluß der Ronde fiel sie dem ehrlichen Irländer in die Hände, der seine Freude, den Liebling gesund und heiter in Seaview wieder zu sehen, mit seiner gewöhnlichen Beredsamkeit an den Tag legte.
»Aber nun erzählen Sie mir, lieber Bouverie! aber hintergehen Sie mich nicht, wie sich mein theures Pflegekind in Roscoville benommen?« fragte Falkland seinen jungen Freund, sobald er ihn allein sah.
»Mit solcher bezaubernder Unschuld, Güte und Liebenswürdigkeit, mit so vielem Anstand, daß nur ihre außerordentliche Jugend mich vor der Gefahr bewahren konnte, mich sterblich in die junge Zauberin zu verlieben,« entgegnete Bouverie heiter lächelnd.
»Ich bin erfreut, dies zu hören,« rief Falkland entzückt.
»Was! erfreut von meiner Gefahr zu hören?«
»Das gerade nicht; wohl aber, daß mein theurer Pflegling sich so benommen hat, Bewunderung zu erregen.«
Gleich nach Beendigung des höchst eleganten Mittagsmahls ward Mellifort gemeldet, und trat zitternd vor innerer Bewegung herein.
»Entschuldigen Sie, bester Herr Falkland, daß ich mich in diesen Kreis eindränge; aber seit ich erfahren, daß Bouverie angekommen, trieb mich mein Herz unwiderstehlich fort.«
Er flog in seine Arme und rief, des Lords Gegenwart nicht beachtend: »Mein Freund! mein theurer Freund! mein Wohlthäter!«
»Dein Freund gewiß,« entgegnete Montagu, erröthend über Melliforts dankbaren Ausbruch. »Aber jetzt sage mir nur gleich, wie es dem würdigen Doktor Birch geht?«
»O, Bouverie, theurer Wohlthäter!« rief Mellifort heftig aus, »hemme das Gefühl meiner Dankbarkeit nicht. Warst Du es nicht, der das schlummernde Gefühl der Ehre wieder in meinem Herzen belebte? der mich die letzten zwei Jahre auf der Schule erhielt, und nun auch meine fernern Studien unterstützt?«
»Montagu, und dies bestritten Sie Alles aus Ihren eigenen geringen Mitteln?«, fragte Lord De Moreland erstaunt.
Bouverie war keiner Unwahrheit fähig; aber eine hohe Röthe überzog sein schönes Gesicht, und er schlug die Augen zu Boden. Adelaide sprang schnell von ihrem Sitz auf und verließ das Zimmer, um ihre innere freudige Bewegung zu verbergen.
»Wenn Sie das Ihnen anvertraute Gut auf eine solche Weise verwenden, werde ich es in Zukunft vervierfachen,« sagte Lord De Moreland mit gerührtem Ton.«
»Eine Verdoppelung würde schon mehr als hinreichend sein,« erwiederte Bouverie, des Lords Hand dankbar drückend. »Melliforts Vorliebe für seinen Freund verleitet ihn zu Uebertreibungen.«
»Wenn sich Herrn Melliforts Gemüth etwas beruhigt hat, werde ich ihn bitten, mir ohne Uebertreibung zu erzählen; was sein Freund für ihn gethan, auf daß ich auch erfahre, wie ihm bei seinem künftigen Lebensplan beizustehen ist.«
Nach diesen Worten wandte sich Lord De Moreland wieder dem Gespräch mit Dr. Falkland zu. Beide Männer begaben sich in des Hausherrn Studirzimmer, und nachdem alles in Bezug auf Sr. Herrlichkeit Gesundheitszustand verhandelt, die nöthigen Recepte und Vorschriften gegeben worden, überreichte Lord De Moreland dem Doktor eine Anweisung auf seinen Banquier auf 25,000 Pfund Capital und 10,000 Pfund Interessen »Interesse« wird damals auch im Sinne von »Zinsen« gebraucht., als Adelaidens unbestreitbares Erbtheil ihres verstorbenen Vaters.
»Dies ist jedoch nicht meines theuren Kindes einziges Eigenthum. Alles was mein verehrter Vater meinem armen Bruder, seiner Ellen und ihrer Adelaide zugedacht hat, soll ihr nicht entgehen; und sobald ich von meiner Reise zurückgekehrt bin, hoffe ich die sehr verwickelten Angelegenheiten reguliren zu können.«
Falkland dankte dem Lord für seine großmüthigen Gesinnungen gegen die Nichte, und berichtete dann, wie er die Interessen seiner Mündel zum Capital geschlagen, welches sich nun, ohne Sr. Herrlichkeit weitere Hinzufügung, auf mehr als 45,000 Pfund beliefe, und also vollkommen hinreichend sei.
Dieser Meinung stimmte der Lord bei, fügte jedoch hinzu, daß ihm der Wille seines Vaters zu heilig sei, um ihn unerfüllt zu lassen. »Außerdem,« bemerkte er lächelnd, »glaube ich, daß es ziemlich einerlei sein wird, ob Adelaide oder Montagu Bouverie einst in den Besitz des Familienvermögens kömmt; denn wenn ich recht sehe, ist das, was ihm gehört, auch ihr Eigenthum, und umgekehrt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr mich diese Aussicht erfreut; doch verschließe ich den Wunsch fest in meinem Innern, und überlasse Alles ihrer eigenen Neigung. Was Sie zur Erfüllung desselben thun können, ohne meinen Antheil daran zu verrathen, erwarte ich von Ihnen. Doch wünschte ich diesen Plan selbst vor Ihrer Frau Gemahlin verborgen zu halten, indem es ihr bei ihrer Lebendigkeit schwer fallen würde, sich kleiner Anspielungen und Scherze zu enthalten.«
Falkland, von demselben Wunsche wie Lord De Moreland beseelt, versprach zu schweigen und wie ein sorgsamer Vormund zu wachen.
»Und nun dieses Capitel abgehandelt ist,« fuhr Se. Herrlichkeit fort, »wünschte ich noch mit Ihnen über die Verwaltung der Interessen meiner Nichte übereinzukommen. Geben Sie mir die Hand darauf, sich meinem Willen fügen zu wollen.«
»Mylord, Ihre Wünsche sind Gesetze für mich.«
»Nun wohl; ich schmeichle mir, die Ausgaben, welche Ihnen meine Nichte bis jetzt verursacht hat, besser berechnen zu können als Sie selbst, und habe deshalb die Summe von 1600 Pfund jährlich festgesetzt, Sie für die Unkosten zu entschädigen, die Ihnen der Unterhalt Adelaidens, ihrer Wärterin und des Irländers, den Sie aus Güte und Nachsicht mit in Ihr Haus aufgenommen, und den ich nun als meiner Nichte Diener beizubehalten wünsche, nothwendig gekostet haben muß.«
Falkland wollte hier den Lord mit Gegenvorstellungen unterbrechen, dieser fuhr aber ruhig fort:
»Sie haben Ihr Wort gegeben, sich meinen Einrichtungen zu fügen, und Adelaidens ganzes Vermögen wäre nicht hinreichend, die unbezahlbare Schuld abzutragen, die Sie durch wahrhaft väterliche Liebe und Fürsorge auf uns geladen. Bis jetzt haben Sie bei Ihrer Vormundschaft, wie ich sehe, ein verlorenes Spiel gespielt. Nun aber, da Ihrer Mündel Bedürfnisse sich mit jedem Jahr vermehren, und ihr Vermögen so groß ist, daß es auch ohne Zunahme zu den bedeutendern gehört, muß ich darauf bestehen, meine Bedingungen angenommen zu sehen. Man hat mir gesagt, daß Dr. Falkland zu uninteressirt sei, ein reicher Mann zu werden. Jetzt sind Sie verheirathet und müssen schon aus Rücksicht für Ihre liebenswürdige Frau eine kleine Vergütung aus Freundeshand annehmen. Die Verwaltung der übrig bleibenden Interessen wünschte ich, mit Ihrer Erlaubniß, Adelaiden selbst zu überlassen. Sie werden ihr nicht gestatten, sie zu verschwenden, wohl aber ihr lehren, edelmüthig und wohlthätig sein.«
Lord De Moreland stand am andern Morgen sehr früh auf, die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, um Bouverie für die Zukunft die volle Einnahme seines väterlichen Erbes zu gewähren; dann ertheilte er dem Haushofmeister von Schloß De Moreland den Befehl, Miß Bouverie während seiner Abwesenheit als Gebieterin desselben zu betrachten, und die Bibliothek stets zu ihrem Gebrauche bereit zu halten. Als nun Adelaide hereintrat, ihm den Morgengruß zu bringen, sprach er lange und ernstlich mit ihr über die Verpflichtung, die sie ihrem Vormund und dessen Gattin schuldig sei, und äußerte den Wunsch, daß sie Mstrß. Falkland nachträglich ein Hochzeitsgeschenk machen möchte.
»Was soll es sein, mein lieber, theurer Onkel?« rief Adelaide im Entzücken der Freude: »Ich habe die zehn Guineen, welche ich mit nach Roscoville nahm, noch nicht berührt; darf ich sie für Mstrß. Falkland anwenden?«
»Warum nicht, mein Kind; aber diese Summe würde für meinen Vorschlag nicht hinreichen. Du erzähltest mir, daß Miß Aspenfield auf ihres Bräutigams Verlangen, allen Schmuck zurückließ, weil er es hart genug fand, dem Vater sein Kind zu rauben, und nicht noch dessen Eigenthum mit haben wollte. Nach diesem Bericht würde ich einen Perlenschmuck als eine passende Gabe für die schöne Rosalinde betrachten, und will daher sogleich an Gray schreiben, daß er mir augenblicklich eine kostbare Garnitur zum Geschenk für Mstrß. Falkland überschicken soll.«
In Adelaidens Kopf und Herzen schien sich die Lust zu regen, noch mehr Geschenke zu machen, und besonders fühlte sie sich zu einem gedrungen, wußte aber nicht, wie sie dem Onkel den Wunsch vortragen sollte, der ihr eine hohe Purpurröthe auf die Wangen jagte.
»Soll ich meiner Adelaide Zagen und Erröthen auslegen?« fragte der Onkel freundlich. »Sie wünscht auch ihrem Vormund ein Hochzeitsgeschenk zu machen.«
»Das nun eben nicht, Mylord!« entgegnete sie, »aber ich möchte meine, zehn Guineen anwenden für ein Andenken für – für Montagu, der so gut war, mir einen schönen Bleistift zu schenken, als er von der Schule abging.«
»Was möchtest Du ihm wohl geben?« fragte Lord De Moreland lächelnd.
»Ein Schild, einen Schirm! ihn in der Stunde der Gefahr zu beschützen!« rief Adelaide bewegt.
Lord De Moreland drückte das erstaunte Mädchen in seine Arme, an sein Herz, und sagte: »Wenn Du ihm auch kein Schild verschaffen kannst, da die Rüstungen aus der Mode sind, so wird ein gutes Schwert auch den magischen Dienst einer Aegide verrichten. Er wird es als Dein Ritter gebrauchen, und niemals, ich stehe dafür ein, der schönen Geberin Schande damit machen.«.
Adelaide zitterte bei dem Gedanken eines so bedeutenden Geschenks; da ihr Onkel es aber in Vorschlag gebracht, wollte sie nichts dagegen einwenden, und so ward sogleich ein zweiter Brief geschrieben, um ein Schwert zu bestellen, welches dem jungen Krieger beim Eintritt ins Regiment überreicht werden sollte.
»Und dann, liebster Onkel,« sagte Adelaide, »werden Sie dafür sorgen, daß er nicht erfährt, das Andenken sei von mir, denn wenn er mir dafür danken wollte, würde ich mich schämen.«
»Was willst Du aber anfangen, meine Liebe, wenn Mstrß. Falkland Dir für die Perlen dankt?« fragte Lord De Moreland lächelnd.
»O,« entgegnete Adelaide, »die Perlen sind Ihr Geschenk, Mylord, nicht das meinige; und so werde ich Mstrß. Falklands Dank nur als Ihre Stellvertreterin empfangen, und brauche nicht zu erröthen, höchstens aus Freude, sie solche schöne Sachen tragen zu sehen, und aus Dankbarkeit gegen meinen gütigen Onkel, der mir dieses freudige Gefühl verschafft.«
Die Stunde des Abschieds war herangekommen; Lord De Moreland sah sich durch Mstrß. Falklands Vorsorge mit den auserwähltesten Vorräthen für die Seereise versehen, während ihr Gatte ihm eine kleine Apotheke für vorkommende Zufälle bereitet hatte.
»Was soll ich meiner Adelaide von Frankreich mitbringen?« sagte Lord De Moreland, sie in seine Arme schließend.
»Meinen lieben Onkel wohl und gesund zurück, mich glücklich, und der Kunst meines theuren. Vormunds Ehre zu machen.«
Adelaide konnte ihre Thränen nicht länger zurückhalten. Se. Herrlichkeit drückte ihr den Abschiedskuß auf die zitternden Lippen, und flüsterte ihr halb im Ernst, halb im Scherz zu: »Vergiß nicht, liebes Kind! daß Du Dein Herz für Montagus Bruder, oder für irgend einen andern Mann, den er Dir empfehlen wird, aufhebst.«
Die erröthende und erstaunte Adelaide entzog sich beschämt ihres Onkels Armen, welcher Mstrß. Falkland ein herzliches Lebewohl sagte, und dann von Bouverie und Falkland begleitet, nach Dover fuhr.
Erst spät am Abend kehrten die Herren zurück, nachdem sie den Lord mit günstigem Wind hatten absegeln sehen. Montagu fühlte sich sehr ergriffen von dem Abschied; er liebte und verehrte seinen Vormund wie einen Vater, und betrübte sich über den schwachen Zustand seiner Gesundheit wie ein zärtlicher Sohn. Der nächste Morgen führte ihn mit Adelaiden am Strande zusammen, wo sie des abwesenden Freundes dankbar gedachten, und den Weg, den er genommen, mit den Augen verfolgten. Nach dem Frühstück begleitete Bouverie seinen Wirth zu Doktor Birch, ihn und seine Familie zum Mittagsessen einzuladen; und obgleich der weibliche Theil derselben, Falklands Haus nach seiner Verheirathung so wenig als möglich besucht hatte, ward die Einladung jetzt doch wegen Montagu dankbar angenommen. Auch erfolgte für den nächsten Tag die Erwiederung von Doktor Birch, bei welcher sich die jungen Damen jedoch verschworen hatten, Mstrß. Falkland alle Gelegenheit zu benehmen, ihr musikalisches Talent zu zeigen. Zu diesem Zweck beredeten sie den Vater, Bouverie zu Ehren einen kleinen Ball zu veranstalten, fanden aber zu ihrer großen Kränkung, daß die verhaßte Rivalin auch in dieser Kunst alle Erwartung übertraf, und allgemeine Bewunderung erregte.
Adelaide war auf diesem Ball die Glücklichste der Glücklichen; sie tanzte mit ihrem Vormund, mit Bouverie und selbst mit Dr. Birch, der sich in den Zwischenräumen lateinisch mit ihr unterhielt.
Diesem Fest folgte ein großes Mittagsessen bei Falklands, welches aus den ersten Familien der Umgegend bestand, und mit einem Concert schloß, in welchem die schöne Rosalinde die Gesellschaft durch ihren unvergleichlichen Gesang entzückte.
Den folgenden Morgen kamen mehrere Officiere aus der Garnison von Dover, Dr. Falkland ihren Besuch abzustatten; einige Freunde aus der Nachbarschaft gesellten sich noch dazu, und wurden Alle freundlichst eingeladen, den Mittag in Seaview zuzubringen. Die Gesellschaft war heiter und vergnügt, nur Mellifort, dem Bouverie vertraut, daß er Ordre erhalten, sich augenblicklich zu seinem Regiment zu verfügen, um mit demselben nach Irland zu gehen, konnte an der allgemeinen Freude keinen Theil nehmen.
Erst am Abend gelangte Montagu zu einer vertrauten Unterhaltung mit Adelaiden, die er dazu anwandte, sie, wie ein zärtlicher Bruder seine geliebte Schwester, zu warnen, ihr junges Herz vor zu frühen Eindrücken zu bewahren.
»Ich glaubte,« sagte Adelaide mit einem süßen Lächeln, »Sie hätten schon eine Wahl für mich getroffen, Montagu. Ich dachte, ich wäre wirklich bestimmt, einst Ihre Schwester zu werden.«
»Ja,« entgegnete Bouverie hoch erröthend; »aber Sie wissen, Adelaide, daß Sie sich nicht sehen werden, bis ich Sie zusammenführe. Ich kann vielleicht mehrere Jahre im Ausland zubringen müssen; und wer weiß, ob dann mein armer Theodor, wenn Sie meinen Plan nicht durch Ihre Vorsicht unterstützen, in dieser Zwischenzeit nicht um seine Ansprüche auf Ihre Liebe gekommen ist.«
»Das Rathsamste würde sein,« entgegnete Rosalinde, die durch den Ernst seines Blicks herbeigezogen, die letzte Rede gehört hatte, »Adelaidens Herz mitzunehmen, und es in dem Regimentsmagazin für Ihren Bruder aufzubewahren.«
»Wenn Adelaide mir es anvertrauen wollte,« sagte Bouverie, in ihren scherzhaften Ton einstimmend, »würde ich es treu bewahren, wenn auch nicht für meinen Bruder, doch gewiß für meines Vaters Sohn.«
Montagu und Falkland begegneten sich am andern Morgen auf gleichen Wegen, und in der gleichen Absicht, Adelaiden aufzusuchen, die mit ihrer Wärterin das Haus schon früh verlassen hatte. Sie erstiegen eine Anhöhe und sahen Norah aus einer Hütte kommen.
»Unser verlornes Lamm ist wieder gefunden!« rief Falkland, »und an einem Ort, wo man es nicht suchen würde. Das liebe Kind brachte einer Wahnsinnigen Trost.«
»Einer Wahnsinnigen!« rief Bouverie entsetzt. »Gütiger Gott! wie können Sie Adelaiden dieser Gefahr aussetzen?«
»Fürchten Sie nichts für sie, da ihre Gegenwart allein einige lichte Augenblicke in dem umwölkten Geist der Unglücklichen hervorzubringen vermag. Kaum funfzehn Jahr alt, zog ihre Schönheit einen Elenden an, dem es gelang, die Unschuld zu verführen, der armen verwittweten Mutter das einzige Kind zu stehlen, und es in seinem Hause als seine Geliebte und Vorsitzerin bei seinen tollen Gelagen zu behalten. Sechs Monate lag der schändliche Walton an der Gicht darnieder, und ward von der armen Lucy mit der zärtlichen Sorgfalt einer liebenden Gattin gepflegt. Als der Genesene erfuhr, daß die Unglückliche sich in einem Zustand befinde, welcher ihr die größten Ansprüche an seinen lebenslänglichen Schutz gab, war er so undankbar, sie von sich zu stoßen.
Lucy kehrte zu ihrer Mutter zurück, die, obgleich gebrochenen Herzens, sie freundlich aufnahm und ihr keinen Vorwurf machte. Doch hatte der Schmerz über die Entehrung des einzigen Kindes einen so tiefen, schrecklichen Eindruck auf die hülflose Wittwe gemacht, daß sie sich nach der Tochter Entbindung von jener Felsenspitze ins Meer stürzte. Die Trauerbotschaft ward der schwachen Wöchnerin ohne Vorbereitung hinterbracht; sie verfiel augenblicklich in Wahnsinn, und gehört seitdem zu den tiefsinnigen, unheilbaren Kranken, während ihr Verführer – der Verführer vieler andern Lucys – nicht allein in der ganzen Umgegend, sondern auch von allen nach Seaview kommenden Fremden geehrt und bewundert ist.«
Bouverie war entsetzt über die Nichtswürdigkeit des Elenden. »Und was wurde aus dem Kinde?« fragte er.
»Es starb glücklicherweise; und für die hülflose Mutter sorgt Adelaide.«
»Adelaide!« wiederholte Bouverie mit Nachdruck.»Vortreffliches Geschöpf!«
»Ja,« erwiederte Falkland; »sie bezahlt der Wittwe Ashford ein Kostgeld für Lucy, und geht oft in die Hütte, ihr Trost zu bringen.«
In diesem Augenblick kam Adelaide aus dem Hause, und bat ihren Vormund um Erlaubniß, eine geräumigere Wohnung für Lucy suchen zu dürfen, da diese theils zu eng, theils dadurch, daß Walton sich dem Garten gegenüber eingemiethet, unpassend für sie geworden sei.
Falkland bewilligte mit einem zärtlichen Blick das Gesuch seiner Mündel, während Bouverie ihr mit bewegter Stimme den Antrag machte, ihn zum Theilnehmer bei der Versorgung der armen Lucy anzunehmen, und 25 Pfund zu ihrem Besten zu verwenden. Hierzu wollte sie sich zwar anfänglich nicht verstehen, indem sie ihn bat, seine Wohlthaten einem Wesen zuzuwenden, welches keinen Dr. Falkland zur Stütze hätte; als sie aber sah, daß ihre abschlägige Antwort ihn betrübte, nahm sie seinen Beistand an.
»Nach dem Frühstück wollen wir zusammen ausgehen, eine Wohnung für Lucy zu suchen,« sagte Falkland.
»Ach!« entgegnete Montagu im Ton der tiefsten Betrübniß, »nach dem Frühstück muß ich nach Portsmouth, dort die Marschordre nach Irland zu erwarten.«
Falkland äußerte sein Bedauern über die unerwartet frühe Trennung mit herzlichen Worten; Adelaide aber, unfähig ihre innere Bewegung zu unterdrücken, zog den Schleier dicht zusammen, und eilte zitternd, ohne eine Sylbe zu sprechen, der Wohnung zu. Auf ihrem einsamen Zimmer angelangt, erleichterte sich das gepreßte Herz durch einen Thränenstrom, und noch war dieser nicht versiegt, als die Klingel sie zum Frühstück rief.
Doktor Birchs und Melliforts Ankunft unterbrach das traurige Mahl. Ersterer war gekommen, dem geliebten Zögling Lebewohl zu sagen, Letzterer, ihn nach Portsmouth zu begleiten. Adelaide ertrug die Abschiedsscene nicht und floh in den Garten. Indem fuhr der Reisewagen vor, und Mellifort sagte: »Bouverie, Du hast schon sechs Stunden länger in Seaview verweilt, als Dir gestattet sind, und Verzögerung des Abschieds macht ihn nicht leichter.«
Montagu sprang von seinem Sitz auf, ergriff Mstrß. Falklands Hand, dankte ihr für alle ihm erwiesene Güte und sagte ihr Lebewohl. Der Abschied von ihrem Gatten war nicht so leicht. Dann stürzte er in den Garten, Adelaiden aufzusuchen.
Er fand sie weinend in ihrer kleinen Laube. »Adelaide, geliebte Adelaide! vergessen Sie mich nicht!« rief er, sie in seine Arme schließend. »Ich werde zuweilen an Falkland schreiben, öfterer noch an Mellifort, und von Beiden hören, wie es Ihnen geht. Der Himmel beschütze Sie, und erhalte Sie denen, die Ihnen mit treuer Liebe anhängen.« Er drückte einen heißen Kuß auf ihre bleichen, bebenden Lippen, riß sich von ihr los und warf sich in den Wagen, Mellifort mit der Hand winkend, ihm zu folgen.
»August,« sagte Mstrß. Falkland, als der Wagen fortgefahren war, »sollte denn dieser liebenswürdige junge Mann wirklich, wie es scheint, eine Leidenschaft für das Kind, die kleine Adelaide, gefaßt haben?«
Falkland erschrak über Rosalindens ausgesprochene Vermuthung, die ihm zwar unendlich theuer, aber, eingedenk Lord De Morelands Wunsch, nicht lieb von ihr zu hören war.
»Da sie noch so sehr Kind ist,« erwiederte er zögernd, »kann ich es fast nicht glauben, obgleich es den Anschein hat; aber ich beschwöre Dich, mit Adelaiden nicht über diesen Gegenstand zu scherzen. Ihr von Dankbarkeit erfülltes Herz könnte leicht ernstern Gefühlen Raum geben; und wer weiß, ob Bouverie nicht nach jahrelanger Entfernung entfremdet zu ihr zurückkehrt.«
»Ich sehe,« entgegnete Rosalinde mit sichtbarer Bewegung, »daß alles Vertrauen auf meine Klugheit bei Dir verschwindet, wenn von Miß Bouverie die Rede ist. Auch ohne Deine ermahnende Vorsicht würde es mir nicht eingefallen sein, den Gedanken an Liebe in dem Kopf eines solchen Kindes zu erwecken.«
Falkland bemühte sich, die schmollende Gattin wieder zu versöhnen, was ihm auch völlig gelang; und um das Gemüth der trauernden Adelaide wieder etwas zu erheitern, ließ sie gleich anspannen, und fuhr mit ihr nach Canterbury, die in Roscoville geplünderte Garderobe zu ergänzen.
Nachdem Lord De Moreland so großmüthig für Adelaidens Zukunft gesorgt, und dem Falklandschen Ehepaar eine so bedeutende Vergütung für sie aufgedrungen hatte, sollte sie nun auch ihre bisherigen Zimmer im obersten Stockwerk verlassen, und sich ein angemesseneres Quartier in der weitläuftigen Wohnung wählen. Doch den wahren Grund errathend, bat sie erröthend in den Zimmern bleiben zu dürfen, in welchen sie bis jetzt so glücklich gewesen. »Sie wurden mir als die luftigsten und gesundesten von meinem theuren Vormund angewiesen,« sagte sie, »und ich habe mein Paradies auf Erden, darin gefunden. Vertreiben Sie mich nicht daraus. Lassen Sie die Anerkennung meines gütigen Onkels keinen Unterschied in unserm Verhältniß hervorbringen, sondern gestatten mir zu bleiben, was ich ewig zu bleiben wünsche, Ihre jüngere Schwester.«
»So gieb denn Deinem ci-devant Kind, Deiner jetzigen Schwester, den brüderlichen Kuß!« sagte Mstrß. Falkland lächelnd, indem sie Adelaiden zärtlich an ihr Herz drückte, und sie mit der Versicherung beruhigte, ›daß Alles beim Alten bleiben sollte.‹
Dieses Gespräch hatte am Morgen nach Bouveries Abreise Statt gefunden; und als Falkland seinen Geschäften nachgehend, die neue Schwester mit Rosalinden allein ließ, begann diese sogleich wieder den unterbrochenen Musikunterricht, und erfreute Adelaidens Herz durch das Versprechen, ihr nun auch Unterricht auf der Harfe zu geben. Es war Montagus Lieblingsinstrument, und er hatte sie gebeten, es während seiner Abwesenheit spielen zu lernen.
Zwei Stunden waren der Lehrerin und Schülerin bei diesem Geschäft verstrichen, und Adelaide hatte sich eben zum Zeichnen einer schönen Gruppe niedergesetzt, als Rosalinden eine Einladungskarte zu einem Ball bei Lord Beechbrook, der in der Nähe von Seaview wohnte, überreicht wurde.
Adelaide bückte sich tiefer auf ihre Zeichnung, um ihr Erröthen zu verbergen, als sie mit einiger Aengstlichkeit fragte: ›an welchem Tage der Ball sein würde?‹
Mstrß. Falkland erwiederte, den Grund ihres erhöhten Colorits und ihrer Aengstlichkeit falsch auslegend: »Sie sind nicht in der Einladung begriffen. Lady Beechbrook hält Sie noch für zu jung dazu, noch nicht für ballfähig.«
»Liebste Mstrß. Falkland,« rief Adelaide, »ich dachte nicht an mich selbst beim Ball, und weiß sehr wohl, daß ich noch viel zu jung dazu bin; aber ich wünschte nur zu wissen, wann der Ball Statt finden sollte, damit Alles noch herbeigeschafft werden könnte, was Sie vielleicht dazu gebrauchten.«
»O!« entgegnete Mstrß. Falkland lächelnd, »obgleich ich keinen Hochzeitsputz habe, so hoffe ich doch einen Anzug zusammen zu bringen, der selbst meiner besorgten jüngern Schwester genügen wird.«
Adelaide eilte in ihr Zimmer, einige Worte an den Goldschmidt zu schreiben, daß er die von ihrem Onkel bestellten Perlen noch zum Ball nach Seaview befördern sollte; und als Rosalinde bald darauf ausging, einige Morgenbesuche zu machen, schickte sie Dennis damit auf das Postamt.
Eine Woche nach Bouveries Abreise von Seaview kehrte Mellifort mit der Nachricht zurück, daß sein Freund mit günstigem Wind abgesegelt sei, und brachte Adelaiden von Montagu die schönste und eleganteste Zeichnenmappe, die in London zu finden, mit.
Dieses herrliche Geschenk und die Gewißheit, daß der geliebte Freund sich immer weiter von Seaview entfernte, erneuerte den Gram über seine Abreise, der nur durch Vernunftgründe beschwichtigt gewesen. Sie gelobte sich, sein Geschenk würdig anzuwenden, und sich in der von ihm so hochgeschätzten Kunst möglichst zu vervollkommnen.
Der Tag des Balls brach endlich an, aber die Perlen blieben zu Adelaidens großer Betrübniß aus. Mstrß. Falkland trat ihr, festlich gekleidet, entgegen, und sah so schön, so einfach, aber dabei doch so geschmackvoll aus, daß Adelaide sich völlig befriedigt gefühlt haben würde, wenn Rosalinde unverheirathet gewesen wäre. Aber für eine Frau – für die Frau ihres verehrten Vormunds hätte sie einen kostbareren Schmuck zur Zierde des schönen Halses, und der weichen Locken gewünscht, als eine Reihe einfacher, weißer Perlen und den Zweig einer ausländischen Blüthe.
»Meine liebe Adelaide,« sagte Mstrß. Falkland, »warum sehen Sie mich so betrübt an, als ob ich mich zum Opfer, an Statt zum Ball geschmückt hätte?«
In diesem Augenblick stürzte Dennis athemlos mit einem Paket herein. Adelaide riß es aus seiner Hand, dankte ihm mit Wort und Blick, schnitt mit geschäftiger Eile die Emballage ab, öffnete ein Etui, zog einen kostbaren Perlenschmuck daraus hervor, und bat Rosalinden um Erlaubniß, ihn ihr anlegen zu dürfen.
Die erstaunten Falklands konnten sich diese Scene nicht erklären, und äußerten ihre Furcht, daß Adelaide sich aus zu großer Zärtlichkeit zu einer Extravaganz verleiten lassen habe.
»Ich nicht,« entgegnete sie lachend, »nein, ich maßte mir nicht an, dergleichen auf meine eigene Hand zu unternehmen. Mein lieber Onkel besorgte Alles, und überließ mir die Freude, Mstrß. Falkland ein Andenken von der dankbaren Pflegetochter ihres Gatten, von dem Kind ihrer einst geliebten Freundin zu überreichen.«
Rosalinde nahm das kostbare Geschenk mit gerührtem Herzen an, und gestattete Adelaiden sie zum Ball damit zu schmücken.
Kurz darauf langte ein Brief von Bouverie an Mellifort, mit der Nachricht seiner glücklichen Ankunft in Cork an, und vierzehn Tage nachher meldete er Falkland, daß Lord De Moreland ihm ein schönes Schwert zugeschickt, und ihm dabei zu verstehen gegeben, daß es ein Geschenk von Adelaiden sei, die aber als Geberin nicht genannt sein wollte. Ihr wissen zu lassen, wie innig er sich darüber gefreut, und daß die theure Gabe in seiner Hand nie entweiht werden sollte, trug er dem väterlichen Freunde auf.
Auch von Lord De Moreland langten Briefe an, worin er Adelaiden Kunde von seiner verbesserten Gesundheit gab. Zwei Monate nachdem er Seaview verlassen, brachte ein Brief aus Paris die frohe Nachricht seiner baldigen Rückkehr nach England. Doch bald folgten Trauerbotschaften diesen freudigen Erwartungen; denn die grausame Verhaftung der Engländer in Frankreich im Mai 1803 erfolgte, ehe noch der Lord die Hauptstadt verlassen; und so wurde er ins Gefängniß geworfen, ohne seinen Freunden im Vaterlande Kunde davon geben zu dürfen. Wochen, Monate und endlich Jahre verstrichen, und Niemand außer Baronello, der sein Gefängniß theilte, wußte, wo er sich aufhielt oder ob er überhaupt noch existirte.
Adelaide hoffte in kindlicher Ergebung von einer Zeit zur andern auf Nachrichten von dem geliebten Onkel, während Lady Leyburn ängstlich bemüht, gewisse Beweise seines Todes zu erhalten, kein Mittel unversucht ließ, zu erfahren, ob ihr teuflischer Wunsch erfüllt war. Denn außer dem, daß sie Befriedigung ihres unersättlichen Geizes von seinem Sterben erwartete, fürchtete sie auch seine Zurückkunft, welche unfehlbar Entdeckung ihrer und ihres ältesten Sohnes geheimer Schuld zur Folge gehabt haben würde.
Blackthorn hatte eben jetzt beim Oberhofgericht Entschädigung von Lord Leyburn für dessen Verführung seiner jungen Frau erlangt, die unter dem Dach seiner eigenen Mutter Statt gefunden, während diese schändliche Frau dem Kläger zur Vergeltung seiner mannigfachen Dienste ihren Ruf geopfert hatte. Im Geheimen mit einem jungen, ausschweifenden Officier verbunden, dem sie Herz und Hand zugesagt, zitterte Lady Leyburn vor dem Gedanken, daß der feile Genosse ihrer Nichtswürdigkeiten, die beabsichtigte Scheidung erlangen und sie zum dritten Weibe erwählen könnte. Und durch seine Theilnahme an so vielen unerlaubten, ungesetzmäßigen Handlungen, die sie sich erlaubt, unauflößlich an ihn gekettet, durfte sie ihm ihre Hand nicht verweigern; besonders da Blackthorns ältester Sohn aus der ersten Ehe, ein Wüstling von zwei und zwanzig Jahren, sich nach Lord De Morelands vermuthetem Tod in Roscoville eingefunden, und als angehender Rechtsgelehrter manche gesetzwidrige Thaten mit dem Stempel des gerichtlichen Verfahrens bezeichnet hatte, wodurch sie nun vollends ganz in deren Händen war.
Von Lady Ambrosia Leyburn erhielt Adelaide viele schlecht geschriebene, aber zärtliche Briefe, voll eitler Aufzählungen ihrer Eroberungen; zuletzt enthielten sie jedoch auch Klagen über Daniel Blackthorn, der, obgleich öffentlich der Anbeter ihrer Schwester Seraphine, sie im Geheimen mit seinen Anträgen verfolgte. Adelaide beschwor ihre Cousine dieses Betragen der Mutter zu entdecken, worauf Ambrosia erwiederte, daß sie ihrem Rath gefolgt und von ihrer Mutter den Befehl erhalten hätte, seine Liebe nicht zu erwiedern, ihm aber auf keinen Fall unhöflich zu begegnen. Jeder neue Brief enthielt nun neue Klagen über Lady Leyburns sonderbare und unnatürliche Gleichgültigkeit in Betreff der sträflichen Aufführung des jungen Blackthorns; und da Adelaide Doktor Falkland und Rosalinden die Sache mitgetheilt hatte, war sie im Stande, ihrer hülflosen Cousine die besten Rathschläge zu ertheilen.
Im Monate September beschenkte Rosalinde ihren Gatten mit einem prächtigen, gesunden Knaben, und das Glück der Falklandschen Familie würde ungetrübt gewesen sein, wenn die junge Mutter nicht in steter Sorge über das Schicksal ihrer Eltern geschwebt hätte. Aus Furcht außer Landes beordert zu werden, hatte General Aspenfield nämlich seinen schwachen Gesundheitszustand vorgeschützt, um noch länger im südlichen Frankreich verweilen zu können, und war nun mit so vielen Andern als Gefangener dort festgehalten worden. Diese trostlose Gewißheit trübte das elterliche Glück.
Adelaidens Freude über den neuen Zuwachs der Familie gränzte an Wahnsinn. Sie erbat sich als eine Gunst die Kinderstube neben ihrem eigenen Zimmer einrichten zu dürfen, um den Knaben warten und pflegen zu können, und zeichnete ihn wenigstens alle Monate einmal ab. Rosalinde erkannte dies dankbar, so wie auch die Theilnahme ihrer jungen Freundin bei ihren Leiden über das elterliche Schicksal, und um sie dafür zu belohnen, ward eine schöne Harfe für Adelaiden bestellt, und Mstrß. Falkland begann ihren Unterricht, sobald sie wieder hergestellt war. Die Fortschritte, welche Adelaide in dieser neuen, mit Liebe gelehrten und mit Liebe und glühendem Eifer gelernten Kunst machte, waren so groß und überraschend, daß Rosalinde selbst erstaunte, und der besorgte Vormund, der ihr bis jetzt noch nicht zu singen erlaubte, ihr nun in ihrem funfzehnten Jahr endlich die Erlaubniß ertheilte, ihre schöne Stimme auszubilden.
Ungefähr ein Jahr nach des kleinen Friedrichs Geburt, erhielt Doktor Falkland zu Rosalindens höchstem Erstaunen eine Botschaft von Beechbrook, augenblicklich zu Mstrß. Saville zu kommen.
Nachdem Helene Harvey von ihrem Abstecher nach Paris als Herrn Savilles Frau zurückgekehrt war, hatte Rosalinde schon angefangen, einen leisen Zweifel an der Uneigennützigkeit dieser Freundschaft, welche sie in ihr jetziges Glück fast hineingezwungen, zu hegen; als nun aber ihre Cousine vier Monate verstreichen ließ, ehe sie Mstrß. Falklands Glückwünsche zu ihrer Verbindung und Rückkehr erwiederte, wurden diese Vermuthungen zur Gewißheit. Jetzt war sie in der Nähe, ohne nach ihr zu fragen! Ein Seufzer getäuschter Freundschaft schwellte ihren Busen; und der Gedanke, daß ihre armen Eltern durch den künstlichen Plan ihrer schlauen Tante und Cousine in das Elend der Gefangenschaft gerathen, entlockte ihren schönen Augen Thränen. Aengstlich forschte sie nach allem, was sich zugetragen, als Falkland von Beechbrook zurückkehrte; und nur um ihr Gefühl zu schonen, und ihr eine Demüthigung zu ersparen, milderte er den Bericht seines Empfangs. Die hochmüthigen Savilles hatten ihn nämlich wie einen gewöhnlichen Apotheker oder Kräuterhändler behandelt, und nur Lord und Lady Beechbrooks ausgezeichnete Aufmerksamkeit, und verbindliches Benehmen waren im Stande gewesen, seinen gerechten Unwillen zu unterdrücken. Kaum hatte er jedoch das Zimmer verlassen, als seine gekränkten Freunde in Lobeserhebungen über ihn und seine schöne und liebenswürdige Gattin ausgebrochen waren, und Lady Beechbrook ein Bild ihrer häuslichen Glückseligkeit entworfen hatte.
Jedes Wort drang wie ein Pfeil in das noch immer blutende Herz des selbstsüchtigen Savilles, der Rosalindens Besitz um jeden Preis zu erkaufen geneigt gewesen war; und auch Helenen bereiteten sie ungeahnete Schmerzen. Neid und Mißgunst über den Vorzug, den die allgemein bewunderte Rosalinde stets vor ihr erhalten, hatte ihr Herz früh schon mit Haß gegen die Cousine erfüllt, den sie unter der Hülle zärtlicher Liebe zu verdecken verstand. Sie jetzt als Nebenbuhlerin, und zu gleich im Besitz des Herzens ihres Gatten zu sehen, ertrug sie nicht; und obgleich sie dieses Glück nur in so fern zu schätzen wußte, als es einer Frau größern Einfluß über den Mann und freies Spiel gewährt, dem eigenen Ehrgeiz zu fröhnen, und alle Launen zu befriedigen: so würde sie doch die Nachricht, daß Rosalinde eine unglückliche Frau sei, mit der größten Freude vernommen haben.
Unter dem Vorwand Familienangelegenheiten mit Mstrß. Falkland zu verhandeln, fuhr Mstrß. Saville am folgenden Morgen ohne Lady Beechbrook nach Seaview, und fand die verhaßte Cousine nicht allein schöner und blühender wie je, sondern auch von allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens umgeben; ja sogar elegant und geschmackvoll eingerichtet. In der Verstellungskunst geübt, war es ihr nicht schwer, mit Worten und Blicken Freundschaft zu heucheln, besonders da ihr viel daran lag, den Eindruck ihres gestrigen Betragens gegen Falkland zu verwischen.
Adelaide war anfänglich während dieses Besuchs gegenwärtig gewesen, hatte sich nachher aber zu der boshaften Helene größten Freude zurückgezogen. Sie kannte die einzige schwache, verwundbare Seite ihrer Cousine aus Erfahrung; erinnerte sich, wie viel sie während ihrer Trennung von Falkland, bei dem Gedanken, daß Andre Ansprüche an sein Herz machen könnten, gelitten hatte, und beschloß nun bei Adelaidens Anblick, ihre Eifersucht zu erregen, und dadurch den Saamen des ehelichen Unglücks in ihr Herz zu streuen.
Zu diesem Zweck brach sie in lautes Entzücken über die Anmuth, den Liebreiz und die Schönheit Adelaidens aus, pries ihre Cousine glücklich, einen solchen Engel in ihrer Nähe zu haben, warnte sie jedoch zugleich vor der gefährlichen Umgebung, indem der treueste Mann bei dem Anblick einer sich täglich mehr und mehr entfaltenden Schönheit, an der Seite einer Gattin von sieben und zwanzig Jahren, kaum im Stande wäre, solchen Eindrücken zu widerstehen; besonders wenn er schon durch die frühere Erziehung des Kindes zur Liebe und Leidenschaft für die Jungfrau vorbereitet worden. »Nachdem ich Doktor Falkland gestern habe mit Lord Beechbrook über seine Mündel sprechen hören,« fuhr Helene fort, »ist es mir klar geworden, daß Du sie so bald wie möglich zu verheirathen suchen mußt. Aber was sehe ich, Du zitterst und bist blaß wie der Tod geworden? Nein, liebe Rosalinde! ich will nicht hoffen, daß ich so unglücklich gewesen, Besorgnisse in Dir zu erwecken. Beruhige Dich wenigstens, ehe Dein Mann Dich sieht und Argwohn schöpft, wodurch das Uebel nur vergrößert werden würde.«
Rosalinde, beschämt über die verrathene Schwäche, suchte ihre Bestürzung zu verbergen; und gleich darauf nahm Mstrß. Saville Abschied, da sie Kent den nächsten Morgen zu verlassen gedachte. Ihr hinterlistiger Plan, Mißtrauen und Eifersucht im Herzen ihrer Cousine zu erwecken, war ihr leider nur zu gut gelungen; und als Adelaide nach Mstrß. Savilles Abfahrt wieder hereintrat, ihr einen schönen Blumenstrauß aus des alten Herrn Mordaunts täglichem Geschenk zu überreichen, wies sie die Blumen kalt zurück, unter dem Vorwand, daß sie ihr Kopfweh verursachten, und gebot Miß Bouverie an ihre Musikübung zu gehen.
» Miß Bouverie!« wiederholte Adelaide bestürzt und gekränkt, indem sie hinausging, nachzusehen, ob Friedrich erwacht sei, wohl wissend, daß der Anblick des Kindes die Verstimmung der Mutter bannen würde, die sie Mstrß. Savilles Berichten von der unglücklichen Lage des alten Generals zuschrieb.
Das Kind schlief noch, und so versuchte Adelaide den Kummer der Mutter durch Erzählungen von demselben zu verscheuchen.
»Ich begreife nicht,« sagte Adelaide, »daß Mstrß. Saville den kleinen Friedrich nicht zu sehen verlangte, und war so fest überzeugt, daß sie noch in die Kinderstube kommen würde, daß ich ihm leise eine zierlichere Mütze aufsetzte, und seine kleinen, fetten weißen Händchen herauslegte, damit sie gleich sehen sollte, wie ähnlich er Ihnen in allen Parthien ist.«
»Friedrich ist seines Vaters Ebenbild, nicht das meinige.«
»O, Mstrß. Falkland! wie können Sie dies nur sagen, da doch alle Welt bei seinem Anblick ausruft: ›wie ähnlich ist er seiner Mutter!‹ Und gerade wegen dieser Aehnlichkeit sitzt ja mein Vormund oft voll Entzücken an der Wiege, und kömmt dann zu mir herein, mich hinzuführen und mich zu fragen, ob wohl auf Erden eine größere Aehnlichkeit zu finden sei, als zwischen seiner Engelsfrau und seinem himmlischen Jungen?«
Diese Erzählung würde Rosalindens Besorgnisse verscheucht haben, wenn sie nicht zu gleicher Zeit neue in ihr erweckt hätte. ›Adelaiden also rief er herbei, um sich mit ihr über den schlafenden Knaben zu freuen, während er mich nicht Theil an seinem Entzücken nehmen ließ!‹ dachte sie, und schwieg verdrießlich.
»Wenn das Bild, was Sie in Paris von Miß Harvey gemalt haben, ähnlich war, muß sie sich sehr verändert haben,« sagte Adelaide, in der Absicht Rosalinden durch eine gewöhnlichere Unterhaltung wieder in eine ruhigere Stimmung zu bringen.
»Sie halten sie wohl für viel älter,« entgegnete Mstrß. Falkland in einiger Verlegenheit, da sie in denselben Monat geboren war; »aber alle Welt kann nicht so jung sein wie Sie, Miß Bouverie.«
»Ein Glück für die Welt,« erwiederte Adelaide mit bewegter Stimme; »denn sonst würde es keine kluge Köpfe geben, wichtige Geschäfte in Ordnung zu bringen; und arme Kinder ohne Leitung würden ohne ihr Wissen ihre besten und theuersten Freunde täglich und stündlich beleidigen, wie Miß Bouverie es jetzt leider gethan haben muß. Warum sagen Sie mir nicht mit Ihrer gewohnten Güte, worin ich gefehlt habe, und geben mir Gelegenheit, mein Vergehen durch aufrichtige Reue wieder gut zu machen?«
Adelaidens Ton und Blick drangen wie ein Vorwurf schweren Unrechts in Rosalindens Herz; sie wurde verlegen, fühlte sich zu der Unschuld hingezogen, und ihr besseres Selbst flüsterte ihr zu, daß sie Vergebung zu erflehen, nicht zu ertheilen berechtigt sei. Aber Helenens böser Geist wirkte in ihr fort, und sie versicherte, nicht unzufrieden mit Adelaiden zu sein, nur verstimmt durch Mstrß. Savilles Benehmen und Mittheilungen, die ihr Gemüth aufgeregt.
»Ich wünschte, sie wäre weggeblieben!« sagte Adelaide mit Nachdruck.
»Auch ich wünschte es von ganzem Herzen!« entgegnete Mstrß. Falkland aus tiefer Brust seufzend. »Besonders verwundet hat sie mich durch eine Antwort. Als ich sie nämlich fragte, ob sie mein Kind nicht zu sehen wünsche? erwiederte sie, Nein; denn sie hasse und verabscheue kleine Kinder.«
In diesem Augenblick trat Falkland ins Zimmer. Adelaidens Zorn war aber in einem so hohen Grad erregt, daß sie, ohne ihn zu bemerken, mit einer ihrer sanften Natur sonst fremden Heftigkeit ausrief:
»Unnatürliches Weib! So will ich denn wünschen, daß sie nie, nie ein Kind zum Hassen bekommen möge!«
Falkland trat rasch vorwärts, sah das erschreckte Mädchen mit mißfälligen Blicken an, und sagte nachdrücklich:
»Adelaide, was muß ich hören! ich bin erschrocken, solche unchristliche Reden aus dem Munde meines Pflegkinds zu vernehmen! Sind das die Lehren, die Deine fromme, vortreffliche Mutter Dir eingeschärft, und ich als ihr Nachfolger, in Dir zu befestigen gesucht?«
Falklands zürnende Stimme war noch nie in Adelaidens Ohr gedrungen. Der Eindruck war zu mächtig. Mit einem Strom reuiger Thränen warf sie sich ihrem Vormund zu Füßen, seine Vergebung erflehend. Er hob sie auf, schloß sie aber nicht in seine Arme, wie er sonst bei kleinen Vergehungen zum Zeichen der Versöhnung wohl zu thun pflegte, sondern sagte sehr ernst:
»Mich hast Du durch diesen Ausbruch unchristlicher Rohheit nicht beleidigt, nur betrübt und in meinen Erwartungen getäuscht. Jetzt geh in Dein Zimmer und denke über Dein Vergehen nach, auf daß Deine Reue aufrichtig sein möge.«
Falkland hatte, ohne es zu wollen, Rosalinden den deutlichsten Beweis gegeben, daß er Adelaiden nicht für ein Muster der Vollkommenheit halte. Helenens Zauber wich; Mitleid mit dem verwais'ten Kinde ergriff ihr Herz. Sie drückte das zitternde, schluchzende Mädchen an ihre Brust, indem sie vorwurfsvoll ausrief:
»August, wie kannst Du so hart sein! Noch nie gab Dir das liebe Kind Veranlassung zum Unwillen, und nun verfährst Du so streng, weil es in der Heftigkeit einen unziemlichen Wunsch ausgesprochen.«
»Wenn sich Adelaide öfterer verginge, würde mich ihr liebloser Wunsch weniger betrübt haben;« entgegnete Falkland, »da sie aber alle Vorschriften des Christenthums kennt, und bis jetzt befolgt hat, mußte mich ihr Abweichen von diesem Pfad doppelt schmerzen.«
Rosalinde erklärte ihrem Gatten nun die Veranlassung zu dieser Scene, konnte ihn aber zu keiner mildern Ansicht bringen.
»Wollten wir dem Enthusiasmus einen solchen Einfluß über unser Gemüth einräumen,« sagte Falkland, »würden wir leicht in Versuchung kommen, den Pfad der Tugend mit dem des Lasters zu vertauschen.«
»Laster!« wiederholte Adelaide, indem sie überwältigt von Schmerz und Reue in Rosalindens Arme sank.
Falkland bemühte sich, sie zu beruhigen; aber wenn gleich nach einiger Zeit eine äußere Ruhe eintrat, wirkten die strengen Vorwürfe ihres geliebten Vormunds, das Bewußtsein ihres ersten großen Fehlers noch lange nach; und mancher in Sorgen verlebte Tag, manche schlaflose Nacht verstrichen; ehe der verwundende Dorn der Gewissensbisse aus Adelaidens blutendem Herzen gezogen ward.
In dieser Zeit ward der alte Herr Mordaunt von einer gefährlichen Krankheit befallen, aus welcher ihn Falklands Kunst zwar errettete, die ihn aber doch so bedenklich machte, daß er es endlich für nöthig erachtete, seinen letzten Willen aufzusetzen.
»Ich gehorche Ihnen in allen Dingen, wenn ich krank bin,«, sagte er zu Falkland; »und dieser Gehorsam bekömmt mir so gut, daß ich entschlossen bin, mich Ihrem Willen auch in gesunden Tagen zu unterwerfen. Deshalb sagen Sie mir, wem ich mein Vermögen vermachen soll?«
»Ihrem nächsten Verwandten,« entgegnete Falkland.
»Mein nächster Verwandter ist ein Schurke, Sir. Ich besuchte ihn einst, und fand seine alte Großmutter in eine Dachstube eingesperrt, weil sie geschwätzig und hilflos war. Ich nahm sie zu mir in mein Haus, und behandelte sie wie ein Sohn seine Mutter behandeln muß, bis sie starb. Dieser Elende kann also mein Geld nicht bekommen.«
»Nun denn, so geben Sie es einem weitläuftigern Verwandten, der mehr Verdienste hat.«
»Sie sind ein Dummkopf!« fuhr Mordaunt auf; »ich habe keinen andern Verwandten als diesen Schuft. Und wenn Sie noch einmal versuchen, ihm das Wort zu reden, werde ich im Grabe keine Ruhe finden, sondern wieder herauskommen und Ihnen Ihre Frau und Ihre Mündel zur Strafe mit wegnehmen. Auch verlange ich Ihren Rath nicht mehr bei solchen weltlichen Angelegenheiten, und werde mein Geld und meine Habseligkeiten dem ersten besten ehrlichen Mann vermachen, welcher verspricht, meine Untergebenen und die Armen gut zu behandeln, und mein Vieh in Ehren zu halten. Sie aber können gehen, wenn Sie mir keinen bessern Rath zu ertheilen wissen, und brauchen nicht eher wieder zu kommen, bis ich nach Ihnen schicke. Meinen nächsten Verwandten zum Erben einzusetzen – den nächsten Teufel! Soll ich nicht lieber in die Zeitungen einrücken lassen: der alte Horatio Mordaunt fordere hier durch seine nächsten Verwandten auf, sich bei ihm einzufinden, um eine angenehme Nachricht zu erfahren. – Nein, Herr! Sie sind wahrlich zu unverständig. Drum nur schnell fort und lassen Sie mich Ihr albernes Gesicht nicht wieder sehen bis bis morgen Mittag. Und dann bringen Sie das kleine Mädchen mit, und was noch mehr sagen will, Ihre Frau, wenn sie sich nämlich nicht vor mir fürchtet.«
»Lieber Herr Mordaunt!« rief der erstaunte Falkland, »habe ich Sie auch recht verstanden? Meine Frau und Mündel, sollen mit Ihnen essen?«
»Wie kann ich wissen, ob Sie mich verstanden haben? Ich habe Sie aufgefordert, sie mitzubringen, und nun können Sie es halten wie Sie Lust haben.«
»O, verlassen Sie sich darauf, daß sie schon wegen der Neuigkeit der Einladung nicht ausbleiben, sondern auf den Flügeln der Ungeduld zu Ihnen eilen werden.«
»Das mögen sie thun, Sir; ich aber freue mich, das liebe Kind zu sehen; denn es ist ein gutes Mädchen, das sich nicht durch größeres Vermögen und noch größere Erwartungen hat verderben lassen, sondern so bescheiden und anspruchslos geblieben ist, als wie sie noch keinen Schilling hatte. Und was meine Einladung an Ihre Frau betrifft, so brauchen Sie nur nicht zu stolz auf diese Ihrer Familie erwiesene Höflichkeit zu werden. Hätte mir das liebe Kind nicht von Zeit zu Zeit so viel Gutes von Ihrer Frau erzählt, würde ich sie wahrlich nicht auffordern, sich hier blicken, zu lassen; denn daß sie Ihre Frau ist, ändert meine Meinung nicht. Die Weiber sind alle aus Fehlern und Irrthümern zusammengesetzt, und ein weiser Mann kann seine Klugheit nur dadurch an den Tag legen, daß er unter diesen die vernünftigste Wahl trifft.«
»Nun wohl,« sagte Falkland lächelnd, indem er aufstand um fortzugehen, »ich zweifle nicht daran, daß Sie bis morgen Abend, wie es sich geziemt, in meine Frau, trotz aller ihrer Fehler und Irrthümer, verliebt sind; aber ich bitte Sie, Erbarmen mit Ihrem armen Arzt zu haben.«
»Jetzt packen Sie sich fort, ehe Sie mich ganz aufbringen!« rief Mordaunt, dem Doktor ein Journal nachwerfend.
Als Falkland am folgenden Morgen Zeitungen lesend in einer Buchhandlung saß, redete ihn plötzlich ein Fremder mit den Worten an:
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie störe. Ich bin, eben auf dem Wege nach Mordaunt Priorie begriffen, um die letzte Hand an Herrn Mordaunts Testament zu legen. Sie wissen, daß Ihr großer Freund sich entschlossen hat, seinen letzten Willen aufzusetzen, und ich bin in das Geheimniß eingeweiht, wem er sein Vermögen hinterlassen will.«
»So!« entgegnete Falkland kaltblütig.
Diese Ruhe brachte Herrn Gabble, den Rechtsgelehrten, etwas aus der Fassung. Er war der Bruder von Herrn Mordaunts ehemaligem Arzt, und Beide hatten seinem Nachfolger Haß geschworen.
»Sie sind ein viel zu vernünftiger Mann, Herr Falkland, um sich Rechnung auf Ihres großen Freundes Vermögen zu machen; denn wenn Sie Hoffnung hegen sollten –«
»Wenn ich welche hätte,« unterbrach ihn Falkland ruhig, »so würde das gänzliche Ausbleiben irdischer Huldigung bei zu erwartender Größe von Herrn Mordaunts vertrautem Rechtsgelehrten mir die Ueberzeugung geben, wie eingebildet meine Erwartungen gewesen sind.«
»Darf ich fragen, wem Herr Mordaunt sein Vermögen vermacht hat?« fragte ein alter Junggesell, der Hauptschwätzer und Herumträger im ganzen Ort.
»Sein Nachlaß ist keinem einzelnen Individuum bestimmt, sondern nur zu wohlthätigen Zwecken. Doch kann ich über die Einzelnheiten nichts sagen, da das Testament noch nicht fertig ist.«
»Zum Henker! wie können Sie denn von der ganzen Sache etwas wissen, wenn der Wille noch nicht aufgesetzt ist?«
Gabble erzählte nun, daß Herr Mordaunt ihm den Eingang diktirt, worin er gesagt: daß er sich nur als Verwalter des ihm im Leben verliehenen Vermögens betrachtete, von welchem er einst Rechenschaft ablegen müßte; daß er auf Erden bemüht gewesen, einen wohlthätigen Gebrauch davon zu machen, und in diesem Sinn auch sein ganzes Vermögen – »In diesem kritischen Augenblick,« fuhr Gabble fort, »wurde er zu einem kranken Dachshund abgerufen, und ließ mir sagen, nachdem ich eine ganze Stunde gewartet, daß er beschäftigt wäre, mit einem eben aus der Stadt gekommenen Architekten den Riß zu einem Hundehospital zu entwerfen, weshalb ich erst morgen wieder kommen sollte.«
»Dann verlassen Sie sich darauf,« erwiederte der Junggeselle, »daß alle seine Satelliten in ihren Erwartungen getäuscht werden, und ein Hospital für tolle Hunde der wohlthätige Zweck ist, wozu er seinen Reichthum verwenden will.«
»An welcher Anstalt Herr Falkland vielleicht als erster Wundarzt, Apotheker und Geburtshelfer angestellt wird,« sagte Herr Gabble, der Apotheker, welcher sich auch im Buchladen befand
»Wohl möglich, Sir!« entgegnete Falkland gelassen; »und sollten Sie ebenfalls eine Anstellung bei diesem Institut finden, würde es Ihnen auch nicht an angemessener Beschäftigung daselbst fehlen.« – Mit diesen Worten bestieg er sein Pferd und ritt fort.
Die Anspielungen des Rechtsgelehrten auf Falklands getäuschte Erwartungen hinsichtlich der Erbschaft, bezogen sich auf die vertraute Mittheilung eines Freundes der Gebrüder Gabble, welcher im Vorzimmer gewesen, als Mordaunt dem Doktor zwei Mal gesagt, daß er sich fortpacken sollte, und mit seinen eigenen Augen gesehen hatte, wie er ihm in voller Wuth einen Folianten nachgeworfen, der den Doktor unfehlbar getödtet haben würde, wenn er seinen Kopf getroffen.
Im Lauf des Morgens vernahm Falkland noch manches bedauernde Wort über Herrn Mordaunts launenhaften Bruch mit ihm; und als er zur Mittagsstunde mit Rosalinden und Adelaiden in die Priorie eintrat, rief ihm der alte Mundschenk mit kläglicher Miene zu:
»Ach, Herr! mein Gebieter hat heute sein Testament beendet, und keinem seiner alten Diener auch nur das kleinste Legat hinterlassen.«
»Das kann ich nicht glauben, Herr Wright,« entgegnete Falkland; »Ihr Gebieter ist zu gütig, zu gerecht für solch eine Unterlassung.«
»Ach, Herr! es ist nur zu wahr, er hat alles den Hunden vermacht! Und da er sich seiner Ungerechtigkeit gegen uns schämte, hat er das Testament selbst fertig gemacht, so daß Herrn Gabble heute nichts zu thun übrig blieb als einen Zeugen abzugeben.«
Mstrß. Falklands Erscheinung schien keinen besondern Eindruck auf Herrn Mordaunt zu machen, und Falkland glaubte zu bemerken, daß ihm die ungewohnte weibliche Gesellschaft doch etwas peinlich wäre. Nach dem Essen betrachtete Adelaide seine Schnupftabacksdose, und rief erstaunt aus:
»Sehen Sie nur, Mstrß. Falkland! Da möchte man fast an Zauberei glauben? Ist dies nicht ganz dieselbe Zeichnung, die Sie mir heute Morgen zu copiren gaben?«
»Wie wäre dies möglich?« fragte Mordaunt sichtlich bewegt. »Dieses Gemälde kaufte ich vor dreißig Jahren in Rom, und seitdem habe ich es nur ein einziges Mal von mir gegeben, um es copiren zu lassen.«
»Welche Copie nun wie es scheint in meinem Besitz ist, entgegnete. Rosalinde.
»Ist es erlaubt zu fragen, wie Sie dazu kamen, Mstrß. Falkland?«
»Ich erhielt sie von einer Tante, Sir.«
»Und der Name dieser Tante, Madame?«
»Harvey.«
»Harvey!« – wiederholte Mordaunt, »dann ist es nicht dieselbe. Die Person, welche die Copie von mir erhielt hieß früher Danvers, nachher Barclay.«
»Meine Tante,« erwiederte Rosalinde, »war die älteste Tochter des Sir Rupert Danvers; sie heirathete einen Herrn Barclay, der später den Namen Harvey annahm, wegen eines angeblich großen Vermögens in Westindien.«
»Wohl kannst Du sagen, wegen eines angeblich großen Vermögens,« bemerkte Falkland lächelnd; »denn ich glaube, seine ganze Erbschaft bestand in dem Namen Harvey.«
»Zu meiner Tante großer Kränkung, die nicht wenig dazu beitrug, ihre Reue zu vermehren; das gewisse Glück gab sie auf, um sich blindlings mit Herrn Barclay in den Abgrund des Verderbens zu stürzen.«
Mordaunt hörte diesen Bericht mit gespannter Aufmerksamkeit an; dann fragte er nach einer Pause: ›Ob Mstrß. Falkland wisse, welches Glück Mstrß. Harvey aufgegeben?‹
»Nicht ganz genau,« entgegnete Rosalinde; »da es ein betrübender Gegenstand für meine Mutter, ein vorwurfsvoller für meinen armen Vater, und kein sehr angenehmer für meine Tante war; deshalb konnten meine Cousinen und ich nichts weiter erfahren, als daß von einem höchst liebenswürdigen, sehr reichen Mann die Rede sei, (den Namen haben wir nie erfahren) mit dem meine Mutter und Tante ein loses Liebesspiel getrieben. Erstere aus wahrer Zuneigung, Letztere aus Verlangen nach seinem Reichthum. Sein Herz zog ihn zu meiner Tante, die ihn hinhielt, und endlich aufgab; doch nicht eher, bis meine arme, unglücklich liebende Mutter, nachdem sie keine Hoffnung mehr hatte, sich bereden ließ, ihre Hand meinem Vater zuzusagen.«
»Ihre Mutter, Mstrß. Falkland! welche war sie, Gertrud oder Cäcilie Danvers?«
»Keine von Beiden; Rosalinde, die jüngste, und wie sie sagt, die hübscheste der Schwestern.«
»Sie hat Recht,« entgegnete Mordaunt schnell; »aber sie war so stolz und übermüthig wie der Teufel.«
»Doch war Stolz ihr einziger Fehler,« sagte Mstrß. Falkland, eine Thräne unterdrückend; »vergeben Sie ihr ihn jetzt, da sie das Elend der Gefangenschaft erduldet.«
»Nimmermehr!« rief Mordaunt mit Heftigkeit; – »denn dieser Stolz allein war Schuld, daß sie einen Mann hoffnungslos liebte, der ihre Schwester nur darum vorzog, weil sie liebenswürdiger erschien. Rosas Schönheit bezauberte diesen Mann, aber ihr Hochmuth zerriß seine Ketten; er wandte sich ihrer Schwester zu, und wurde unglücklich für den Rest seines Lebens. In mir sehen Sie den durch Ihre Mutter und Tante elend gemachten Mann, den Menschenfeind. Und hätte ich ahnen können, wer Sie wären, würde ich meine so lang blutenden Wunden nicht von Neuem durch Ihren Anblick aufgerissen haben. Ich forschte nie, wen Rosa Danvers geheirathet, und obgleich Ihre Familienähnlichkeit mir gleich auffiel, glaubte ich Sie doch nicht so nah dem Stamm verwandt. – Verzeihen Sie, daß ich mich so rücksichtslos ausspreche; aber ich habe zu viel gelitten. Nachdem ich durch manchen bittern Kampf so weit gelangt war, mich den Fesseln der hochmüthigen Rosa zu entziehen, ließ ich mich durch die Aufmunterungen und Zauberkünste ihrer Schwester Helene verleiten, ihr Herz und Hand zu weihen. Tag und Stunde unsrer Verbindung waren festgesetzt, die ganze Familie dazu versammelt; nur Rosa nicht, die denselben Tag, als ich mich mit ihrer Schwester versprochen, abreis'te, eine Tante in Wales zu besuchen. Und als ich nun hochzeitlich gekleidet in die Gesellschaft trat, meine Braut an den Altar zu führen, erwartete mich die Nachricht, daß Helene in der Nacht mit meinem besten Freund entflohen sei – mit einem Mann – nein, einem Ungeheuer, das mir Alles verdankte, das ich bei Ihrem Großvater zu meinem Verderben eingeführt. Von dieser Stunde an verhärtete sich mein Herz gegen das ganze Menschengeschlecht; ich verabscheute Alles, was die Gestalt eines Mannes trug; noch mehr, was einem Weibe glich, bis Falkland und sein Kind mir die Ueberzeugung gewährten, daß in jedem Geschlecht noch ein nicht teuflisches Wesen existirte. Vergeben Sie mir, Mstrß. Falkland,« fügte er milder hinzu, bemüht, seinen Zorn zu bekämpfen; »ich habe mich roh gegen Sie benommen, habe die Rechte der Gastfreundschaft verletzt; aber unter Ihres Großvaters Dach ward mein Lebensglück gefühllos untergraben, und wenn ich auch nicht auf Ihre Vergebung hoffen darf, mache ich doch auf Ihr Mitleid Anspruch.«
Falkland bemühte sich, das aufgeregte Gemüth seines alten Freundes zu beruhigen, bei welchem Geschäft Adelaide ihm treulich beistand. Und wirklich gelang es ihren vereinten Zuredungen, einen Friedensschluß zwischen ihm und Rosalinden zu Stande zu bringen. Um ein anderes Gespräch einzuleiten, warf Herr Mordaunt die Bemerkung hin, daß Adelaide seit einiger Zeit zu kränkeln scheine, weshalb er eine Reise und Veränderung der Luft vorschlage. »Da ich nun,« fuhr er fort, »alt genug bin, ihr Großvater sein zu können, wird die Welt kein Aergerniß daran nehmen, wenn sie mich nach London und Bath begleitet. An Platz im Wagen fehlt es nicht, da ich nur Diver, Sappho, Diogenes, Hektor und Flirt mit mir zu nehmen beabsichtige.«
Adelaide fuhr erschrocken zusammen bei dem Gedanken einer solchen Excursion, und Rosalinde konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken.
»Aber, lieber Freund,« erwiederte Falkland mit möglichstem Ernst, »obgleich Sie selbst der beste Schutz für das Mädchen sein würden, müßten Sie ihm doch eine angemessene weibliche Begleitung zugesellen.«
»Wenn Sie es für unumgänglich nöthig halten, könnte auch hierzu Rath geschafft werden. Ich habe in Bath einen Freund, dessen Schwester taubstumm ist; aus welchem Grunde ich sie allenfalls zum äußern Anstand in meiner Gesellschaft dulden würde. Aber in London! Bei meiner Treu! Da wüßte ich keinen andern Rath, als das Kind vorher noch selbstständig zu machen. Was sagen Sie dazu? Soll Doktor Woodehouse uns noch zusammengeben, ehe wir abreisen, damit sie im Leben ein Recht auf meine Gesellschaft, und nach dem Tode auf mein Vermögen erlange?«
Obgleich Adelaide fühlte, daß Mordaunt im Scherz sprach, gebrach es ihr doch an Muth, ihm in demselben Ton zu antworten, weshalb sie ihren Vormund erröthend und bittend anblickte.
»Was!« rief Mordaunt, »ich sehe, Sie wollen mich nach einer so kurzen Werbung nicht annehmen? Nun wohl denn, wenn mir dieses Projekt mißlingt, muß ich ein andres versuchen. Falkland, wie wäre es, wenn Sie Ihren hiesigen Kunden den Abschied gäben, und mit Sack und Pack, Apotheke und allem Zubehör mit mir nach London zögen, in das neue Haus, welches ich mir in Grosvenor Square zu kaufen gedenke?«
»Ich werde doch meine Apotheke nicht in Ihrem schönen Hause aufschlagen sollen?« sagte Falkland.
»Warum nicht, Sie Narr! Oder lassen Sie Ihre Tropfen, Pulver und Pflaster hier, und praktisiren als Doktor Falkland in meinem stattlichen Hause in London. Sonst sehe ich keinen andern Ausweg, dem blassen Kinde wieder zu den rothen Backen zu verhelfen.«
»Bis Sie so weit hergestellt sind, diese Reise unternehmen zu können, ist Adelaide hoffentlich wieder so frisch und blühend wie vorher,« sagte Rosalinde.
»Ich bin im Begriff abzureisen, Madame.«
»Keineswegs,« entgegnete Falkland ernst: »so bald sollen Sie mir noch nicht entlaufen.«
Es entstand hierüber nun ein langer Streit zwischen den beiden Männern, während dessen sich Rosalinde mit Adelaiden entfernte.
»Aber ich muß nothwendig nach London!« rief Mordaunt aus. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, die arme Rosa, die mich wirklich geliebt, trotz dem, daß sie mich schlecht behandelte, in einem verdammten französischen Kerker zu wissen. Nein! ich werde alles aufbieten, sie daraus zu befreien. Meine Freunde – zwar schäme ich mich ihrer, weil sie starke Stützen der neuen französischen Regierung sind; aber sie müssen mir beistehen, die arme Rosa aus dem Gefängniß zu befreien; und auch Lord De Moreland soll in meiner Petition nicht vergessen werden. Weint doch das liebe Kind jedes Mal, wenn von ihm die Rede ist, und härmt und grämt sich krank und blaß.«
Am folgenden Morgen erhielt Falkland einen Brief von Mordaunt, worin er ihm meldete, ›daß er seinem Befehl zum Trotz dennoch nach London abgereis't sei, weil ihm der Gedanke, ein einst geliebtes Wesen im Kerker zu wissen, die ganze Nacht keine Ruhe gelassen habe.‹
Falkland war sehr erstaunt und bestürzt über des alten Herrn eigenmächtig unternommene Reise, von welcher er sich für seinen schwachen Gesundheitszustand nachtheilige Folgen versprach. Im ersten Augenblick wollte er ihm sogleich nachreisen, um selbst zu sehen, wie er die Anstrengung ertragen habe und um ihn einem der berühmtesten Aerzte in London zu übergeben. Als ihm aber Rosalinde vorstellte, daß ein solcher Eifer fälschlich ausgelegt, eigennützigen Gründen zugeschrieben werden könnte, entschloß er sich, Herrn Mordaunts nächsten Brief abzuwarten, der auch nach wenigen Tagen anlangte und folgendermaßen lautete:
»Großer M. D.
Auf Ihre jammervolle Prophezeiung gebe ich keinen Deut; denn ich befinde mich hier in London so frisch und munter, wie der Vogel in der Luft.
Meine französischen Freunde habe ich gesehen, und die Briefe, die ich durch sie an Bonapartes ersten Rath zu erhalten hoffte, sind schon auf dem Wege nach Paris. Der Onkel des lieben Kindes ist nicht darin vergessen; und sagen Sie Ihrer Frau, daß sie nur getrost das Beste hoffen sollte.
A propos, es ist mir nicht angenehm, Sie und die Ihrigen viel mit dem Volke, dem Herrn und der Mstrß. Gustav Saville verkehren zu sehen. Da ich das in Grosvenor Square angezeigte Haus geräumig genug für uns Alle gefunden habe, auch für mich eine Reihe Zimmer, ganz getrennt von dem Departement der Weiber; da ich ferner in Erfahrung gebracht, daß die bedeutendsten Aerzte einen oder zwei Monate des Jahrs zu ihrer Erholung die Stadt verlassen – zu welchem Zweck Sie die Seeluft von Seaview, oder die Landluft von Mordaunt Priorie einathmen könnten – o schlage ich Ihnen vor, in die Stadt zu ziehen und Ihren lang geruhten M. D. wieder aufzunehmen.
Das liebe Kind soll eine Reihe gesunder, luftiger Zimmer zu seiner Disposition haben; und da es neulich meinen Hektor so lobte, kann dieser, wenn ihm wirklich an dessen Gesellschaft gelegen, sein zierliches Lager in den Zimmern aufgeschlagen bekommen. Wenn ich meinen lieben Gesellschaftern den Namen Adelaide nenne, wedeln sie alle mit den Schwänzen, und Diver bellt vor Freuden, und läuft an die Thür, sie hereinzulassen. Deshalb kommen Sie nur bald zu
Ihrem
Freund
Horatio Mordaunt.
N. S. Da mir das Mädchen gesagt hat, daß Ihr Junge niemals schreit, kann ich ihn auch in meinem Hause dulden. Ferner wird von Ihnen gerühmt, daß Sie gut gegen alle stummen Geschöpfe und alten Dienstboten des Herrn Oldworth gewesen sind. Das ist brav von Ihnen! Fahren Sie fort auf diesem Wege, wenn Ihnen in der Folge noch mehr solche Lasten vermacht werden sollten. Kommen Sie recht bald, und bringen mir Snap mit; ich fürchte, das arme Thier grämt sich über die Trennung von seinen Gefährten.«
Herrn Mordaunts Wunsch zu erfüllen ward Falkland nicht schwer, da dieser Plan seiner Rosalinde den Platz in der Gesellschaft anwies, der ihrem Rang zukam. Es wurden daher schnell die nöthigen Vorkehrungen zu einer längern Entfernung vom Hause getroffen. Als diese eben beendet und die Familie sich zur Abreise bereit gemacht, langte ein Bote aus der Hauptstadt an, den Doktor an das Todtenbett seines alten Freundes zu berufen.
Vom Eifer getrieben, für die Befreiung seiner Freunde so schnell als möglich etwas beizutragen, hatte Mordaunt sich nicht die Zeit gegönnt, erst von den Strapatzen der Reise auszuruhen. Unterhandlungen mit einigen französischen Emigrirten, welche sich für eine bedeutende Summe anheischig gemacht, bei Napoleons Günstling die Freiheit der bewußten Gefangenen auszuwirken, waren gleich in den ersten Tagen begonnen worden; und als er sich eines Morgens zu diesem Zweck mit den französischen Agenten in ein Caffeehaus begeben, überfiel ihn ein Anfall in den Leib getretener Gicht, der seinem Leben ein Ende machte, ehe Falkland noch die Hauptstadt erreicht hatte.
Mordaunts Anwald in London war den ganzen Morgen bei ihm gewesen, in steter Erwartung eines schmerzensfreien Augenblicks, um noch ein Codicill zu seinem kürzlich aufgesetzten letzten Willen zu machen, welchen er mit in die Stadt gebracht, ihn den Händen dieses vertrauten Rechtsgelehrten zu übergeben. Erst eine Stunde vor seinem Tode fühlte er so viel Kraft dieses sehnlichst gewünschte Codicill zu diktiren.
Dem Willen des Verstorbenen gemäß, ward das Testament, gleich nach Falklands Ankunft, eröffnet, der sich zu seinem höchsten Erstaunen als einzigen Haupterben des ungeheuren Vermögens des Verschiedenen ernannt sah. Nur der ganze Familienschmuck, nebst der Summe von 5000 Pfund Sterling, um denselben nach dem neuesten Geschmack fassen zu lassen, ward Adelaide Bouverie mit der Bedingung hinterlassen, daß er ihr gleich nach seinem Hintritt übergeben werden sollte, und zwar ohne Einschränkung, damit zu schalten und zu walten nach Belieben, ohne daß jetzt der Vormund, und später der Mann über denselben etwas zu sagen hätte.
Nachdem das Testament verlesen, fragte der Anwald, ob gegenwärtige junge Dame Miß Adelaide Bouverie sei? Als ihm dies bejahet worden, übergab er, seiner Anweisung zu Folge, ihren Händen das kürzlich hinzugefügte Codicill.
In demselben ward Adelaiden Herrn Mordaunts ganzes persönliches Eigenthum, welches, außer Silberzeug, Bibliothek u. s. w., sich auf 110,000 Pfund Sterling belief, vermacht; doch mit der Bedingung, daß wenn sie nach Verlauf von 24 Stunden Ursache finden sollte, das ihr gemachte Vermächtniß des ganzen persönlichen Guts zu verwerfen, es in ihrer Macht stehen sollte, sich mit dem Haupterben über die Hälfte des persönlichen Erbes zu vergleichen, so auch mit ihrer Hand das Codicill zu vernichten und dadurch das am 7. November 1804 gemachte Testament in Gültigkeit zu bringen.
Die erstaunte Adelaide las mit großer innerer Bewegung das Codicill bis zu Ende, und ersuchte dann den Rechtsgelehrten es Herrn Falkland laut vorzulesen. Des Verstorbenen gute Absicht erfüllte ihr pochendes Herz mit dem innigsten Dankgefühl. Ehe jedoch Falkland ihr Vorhaben ahnen konnte; hatte sie dem Anwald das Papier aus der Hand gerissen und in die Flamme, sich selbst aber, im Gefühl alles dessen was sie ihrem Vormund schuldig war, zu dessen Füßen geworfen.
»Adelaide!«rief Falkland bestürzt, indem er aufsprang, das Papier aus der schnell um sich greifenden Flamme zu retten. »O, Adelaide! Was hast Du gethan?«
»Etwas aufsteigenden Weihrauch zum geweihten Andenken Herrn Mordaunts beigetragen,« entgegnete sie. »Die letzten Worte, die er mir sagte, waren: ›Adelaide, armes, schmachtendes Lamm! was könnte Dich glücklich machen?‹ worauf ich antwortete: ›Wenn es immer in meiner Macht stände, Herrn Falkland meine Dankbarkeit zu bezeigen.‹ Der gute, alte Herr Mordaunt gedachte dessen, was mich glücklich machen würde. O, daß er es erlebt hätte, zu sehen, wie sehr es mich erfreut, Ihnen meine Dankbarkeit bezeigen zu können!«
Ueberwältigt von dem Edelmuth seines geliebten Zöglings, der ihn nicht einmal das Ende des Codicills hatte hören lassen, rief Falkland:
»Aber Adelaide, mein großmüthiges, dankbares Kind! minderjährig, wie Du bist, hattest Du kein Recht so zu handeln.«
»Der Testator machte die junge Dame fähig zu dieser Handlung, und prophezeite mit einem himmlischen Lächeln und dem festen Glauben an menschliche Tugend, daß sie so verfahren würde, wie sie gethan,« sagte der Anwald, die zitternde, weinende Adelaide wie ein höheres, über irdisches Interesse erhabenes Wesen mit Ehrfurcht betrachtend. »Aber ich hoffe,« fügte er hinzu, »die junge Dame besitzt hinreichendes Vermögen, um dieses große Opfer nie zu bereuen?«
»Allerdings,«rief Adelaide schnell, »ich bin im Besitz eines sehr bedeutenden Vermögens, so daß meine Entsagung nie als ein Opfer betrachtet werden kann.«
»Ja, Adelaide!« sagte Falkland, »Du hast ein beträchtliches Vermögen; demohngeachtet war das Opfer groß, obgleich es nicht so ausfallen soll, wie Du gemeint hast.«
»Sir,« entgegnete Adelaide mit Nachdruck, »verstehen Sie die Wünsche und Absichten Herrn Mordaunts besser. Seinen Reichthum bestimmte er Ihnen. Der Schatz, den seine Güte mir hinterließ, sollte mich glücklich machen durch die Fähigkeit, Ihnen zu beweisen, daß Sie sich in mir ein dankbares Kind erzogen.«
»O, Rosalinde, mein theures Weib!« rief der tiefbewegte Falkland, »hilf mir, gieb mir Worte, meine Empfindungen über das edle Benehmen dieses geliebten Kindes auszusprechen!«
Adelaidens ungewöhnliches Verfahren hatte in Rosalindens Herzen die lebhafteste Dankbarkeit und Bewunderung erregt; doch der verderbliche Keim der Eifersucht, welcher so tiefe Wurzeln in ihrer Brust gefaßt, erfüllte sie mit der schrecklichen Besorgniß, daß ein solcher Edelmuth, solche erhabene Gefühle ihre gefährliche Wirkung auf das liebevolle Herz ihres Gatten unmöglich verfehlen würden. In diesem peinlichen Gedanken vertieft, erweckte Falklands Aufruf, ihm beizustehen, ihr besseres Gefühl. Sie brach in einen Strom von Thränen aus, und schloß Adelaiden, das Kind ihrer Jugendfreundin, reuevoll an ihre Brust.
Nachdem der Anwald sich entfernt hatte, ward Falkland zu einem Herrn abgerufen, einem Bewohner desselben Hotels, welcher in wichtigen Angelegenheiten mit ihm zu sprechen wünschte.
Dieser Gentleman, welcher im vorigen Jahr in Frankreich verhaftet, und erst jetzt aus ungerechter Haft entlassen worden war, brachte die schreckliche Nachricht, daß General Aspenfield, in Folge einiger unvorsichtiger Reden, im Gefängniß ermordet worden.
Entsetzen über solch eine grauenvolle That erfaßte den bestürzten Falkland. Wie sollte er Rosalinden diese Trauerbotschaft beibringen! Natürlich verschwieg er ihr die gräßlichen Nebenumstände; aber schon die Nachricht des Todes ihres Vaters erfüllte das Herz der Tochter mit der tiefsten Wehmuth. Auch hier bezeigte sich Adelaide wieder als sanfte, freundliche Trösterin, unterdrückte ihre eigene Trauer über Herrn Mordaunts Verlust, über die neu erweckte Besorgniß für die Sicherheit des theuren Onkels, und stand ihrem Vormund in dem schweren Geschäft, die tiefgebeugte Gattin aufzurichten, treulich bei.
Falklands Geschäfte erforderten seine Anwesenheit noch einige Tage in der Stadt; auch wollte er die Ueberreste seines alten Freundes und Wohlthäters nicht ohne seine Begleitung den Heimweg nach Mordaunt Priorie antreten lassen, woselbst sie, wie es in der Familie Gebrauch gewesen, einige Tage ausgestellt werden sollten. Da Rosalinde ihm bei diesem traurigen Geschäft nicht verlassen wollte, kehrten sie und Adelaide auch nicht früher nach Seaview zurück.
Lord Beechbrook, der keine Gelegenheit versäumte, seinen hochgeschätzten Freund Falkland eine Aufmerksamkeit zu bezeigen, schloß sich mit seinen Pächtern denen des Verstorbenen an, dem Trauerzuge entgegen zu ziehen; und da mehrere andere Gentlemen, aus Achtung für Falkland, dasselbe thaten, begleitete eine große Cavalkade den Leichnam von der letzten Station nach der Priorie, wo die Dienstboten mit trauernden Mienen ihres verstorbenen Gebieters Erben bewillkommten. Es gelang ihm bald, jede ängstliche Sorge und Unzufriedenheit zu stillen, indem er Allen den Lohn eines ganzen Jahres zusicherte, und denjenigen, deren treue Dienste Ansprüche auf Unabhängigkeit machen konnten, eine genügende Versorgung für den Rest ihres Lebens verhieß. Auch befreiete er ihren verstorbenen Herrn von dem vorherrschenden Verdacht, indem er ihnen das Testament vorlas, worin Herrn Mordaunts eigene Hand, nach dem bereits von dem Rechtsgelehrten Gabble erwähnten Eingang, hinzugefügt: »Ich gebe und vermache mein gänzliches Eigenthum, wirkliches und persönliches, für immer –
– dem Herrn August Heinrich Falkland, M. D. des Kirchspiels von Seaview, in der Grafschaft Kent; da meine Pächter in ihm einen gütigern Gebieter finden werden, als ich gewesen bin, die Armen einen Pfleger, meine Thiere einen sanften Herrn, und meine Dienstboten, besonders die weiblichen, einen Testamentsvollstrecker, der sie besser zu belohnen versteht, als ich es gethan haben würde.«
Die dem Doktor Falkland so unerwartet zugefallene Erbschaft belief sich auf 4000 Pfund jährlicher Interessen, außer den beweglichen Gütern; während Adelaidens Juwelenvermächtniß, ungerechnet der 5000 Pfund, von dem ersten Edelsteinhändler der Stadt auf 20,000 Pfund geschätzt wurde.
Nachdem die Ueberreste des Besitzers von Mordaunt Priorie feierlich bestattet worden waren, übernahm der neue Eigenthümer auch das Wohnhaus. Eine genauere Besichtigung desselben ergab jedoch, daß es einer bedeutenden Reparatur bedürfe, ehe es einen behaglichen Aufenthalt abgäbe; und so beschloß Falkland, noch so lange in dem Hause des Herrn Oldworth zu bleiben, bis das neue zur Aufnahme der Familie in Stand gesetzt worden. Gleich nach der angetretenen Erbschaft hatte er die bisherige Wohnung seiner ehemaligen Wirthschafterin, Mstrß. Crow, als Eigenthum zugesagt; doch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß ihr unwürdiger Gatte keinen Antheil daran bekäme, von welchem sie so schlecht behandelt wurde, daß sie sich zu einer Trennung genöthigt sah.
Und so lange er noch im Hause seines ersten Wohlthäters wohnen blieb, übte er seine Praxis als Apotheker, sowohl aus dankbarer Erinnerung an den alten Oldworth, als auch aus Mitleid und Güte gegen die Armen, gratis aus, und beschloß, es nicht eher zu verlassen, bis er einen geschickten Nachfolger gefunden. Diesen hoffte er in Herrn Duncan zurückzulassen, welcher Herrn Crows Stelle eingenommen und sich bis jetzt als ein geschickter, zuverlässiger Mann gezeigt hatte, von dem zu erwarten stand, daß er sich mit Falklands Beistand bald stark genug zur Uebernahme des wichtigen Geschäfts fühlen würde.
Bei ihrer Zurückkunft von dem traurigen Besuch in der Hauptstadt, erwartete Adelaiden die niederschlagende Nachricht, daß Montagu Bouverie unterdessen in Seaview gewesen, ihr und seinen andern Freunden Lebewohl zu sagen, ehe er seinem neuen Regiment nach Malta folgte.
Da er den Cavalleriedienst dem Infanteriedienst vorzog, hatte er nur den Augenblick seiner Mündigkeit abgewartet, diesen Wunsch zu erfüllen, was bis dahin nicht möglich gewesen. In Angelegenheiten dieses Wechsels war er jetzt von Irland nach London gekommen, von wo er voller Ungeduld nach Seaview eilte und keinen seiner Freunde fand. Denn auch Mellifort hatte Doktor Birch auf einer kleinen Reise begleitet, und Bouveries Zeit war zu knapp abgemessen, um den einen oder den andern erwarten zu können.
So mußte er sich denn mit den Nachrichten über Adelaiden begnügen, welche ihm Mstrß. Birch und deren Töchter ertheilten. Da diese aber früh gelernt hatten, seine geliebte Schwester zu hassen, die ihnen durch Mstrß. Falklands höhern Stand und höhere Ansprüche in der Gesellschaft entrückt worden war, erfuhr er denn freilich nur, daß sie täglich an Hochmuth, so wie an Pedanterie, unter Mstrß. Falklands Leitung zunehme, dabei aber hinsichtlich der Schönheit sehr verloren habe, und das Schlimmste von allem, sich gewaltig zu der Sekte der Methodisten neige.
Diesen Berichten fügte Miß Elise (unterdessen zu einer jungen Dame von sechzehn Jahren herangewachsen und nach einer großen Heirath verlangend) hinzu, was auch Mutter und Schwestern bekräftigten, daß Adelaide seit Kurzem so blaß und mager, träumerisch und melancholisch geworden, daß sie sämmtlich geneigt gewesen, Mstrß. Crows bestimmter Versicherung, sie sei in ihren Vormund verliebt, Glauben beizumessen, wenn nicht ein höchst zuverlässiger Mann ihnen vertraut, daß er eine junge Dame in Verkleidung, deren Gestalt Miß Bouveries täuschend gleiche, kürzlich mehrere Mal in die Zusammenkünfte der Methodisten habe gehen sehen.
Bouverie fühlte sich unangenehm durch diese Nachrichten berührt, obgleich ihm sein Verstand sagte, daß sie nur aus Neid und Haß entstanden; doch ward er endlich durch andre Zeugnisse zu dem Glauben verleitet, daß irgend eine ungünstige Veränderung in der sonst so liebenswürdigen Adelaide vorgegangen. Denn als nun Walton, der stete Gast bei Miß Birchs, wenn der Vater ausgegangen oder in der Schule beschäftigt war, auf die an ihn über Miß Bouverie gerichtete Frage sie spöttisch ein Muster von einer jungen Dame nannte, die schnell verblüht sei und nun wegen ihres steifen, ungraciösen Wesens und der Förmlichkeit ihres Benehmens nur als ein seltsames Phänomen eines heirathsfähigen Mädchens zu betrachten sei, glaubte er nicht länger daran zweifeln zu dürfen.
Für keine Art weiblicher Wesen hatte Montagu von jeher eine größere Abneigung gefühlt, als für ein förmliches, vor der Zeit reifes und altes Mädchen, nur für ein Muster von einer jungen Dame fühlte er Zuneigung; und obgleich er Walton, dem schändlichen Verführer der armen Lucy, keinen Platz und keine Stimme in der moralischen Gesellschaft gestattete, hielt er ihn doch im Punkt weiblicher Schönheit, Anmuth und Anziehungskraft für einen competenten Richter. Daß dieser elende Mensch, von ähnlichen Beweggründen wie Miß Birch geleitet, in ihm den gefährlichen Nebenbuhler erkannte, und durch boshafte Verläumdungen von Adelaiden zu trennen suchte, ahnete Bouveries argloses Gemüth nicht. Die aufblühende Schönheit und reiche Mitgift des allgefeierten Mädchens hatten auch diesen Wüstling angezogen, der kein Mittel unversucht gelassen, sich sowohl bei Falkland, als auch auf geheimen Wegen bei Adelaiden selbst einzuschmeicheln; jedoch vergebens. Indeß gelang ihm doch die kleinliche Rache, Montagus Herz gegen sein besseres Gefühl, gegen seine dawider kämpfende zärtliche Neigung für Adelaiden, mit einem Gift zu erfüllen, dessen unheilbringende Wirkung nach und nach den Zauber minderte, durch welchen er sich seit zwei Jahren unwiderstehlich an Adelaiden gefesselt gefühlt hatte.
Ein Jahr war jetzt nach Mordaunts Tod verflossen, und somit der von Falkland festgesetzte Termin feiner bisherigen Laufbahn abgelaufen. Rosalinde hatte ihn während dieser Zeit mit einem zweiten liebenswürdigen Knaben beschenkt, und Briefe von Montagu waren eingelaufen mit der Nachricht seiner glücklichen Ankunft in Malta, nach einer entzückenden Reise, mit der bezauberndsten Reisegesellschaft, die einem Sterblichen zu Theil werden könnte; als eines Tages höchst unerwartet Mstrß. Aspenfield von Frankreich ankam, nachdem ihre Befreiung endlich den Bemühungen der Agenten des verstorbenen Herrn Mordaunts gelungen war.
Nachdem eine zweijährige unaufhörliche Demüthigung und die Entbehrung jeder Lebensbequemlichkeit Mstrß. Aspenfields einst hochfliegenden Stolz in so fern gemildert hatten, daß sie mit aller Zärtlichkeit einer Mutter ihr lang entbehrtes Kind ans Herz drückte, konnte sie sich doch noch nicht mit dem Gedanken aussöhnen, dieses einzige Kind so tief herabgewürdigt zu sehen durch die Verbindung mit einem Landapotheker. Erst als sie von Rosalinden selbst erfahren, wie glücklich sie mit diesem Gatten lebte, welche Reichthümer sich dieser durch sein uneigennütziges Benehmen erworben, und daß er selbst die Ausübung als Arzt auf ihr Verlangen aufgeben würde, ausgenommen in solchen Fällen, wo seine Gutmüthigkeit ihn dazu verleitete, beruhigte sie sich einigermaßen. Doch, obgleich die vollkommenste Harmonie zwischen ihr und dem Falklandschen Ehepaar herrschte, war sie nicht dazu zu bereden, ihres Schwiegersohns Einladung, ganz bei ihrer Tochter zu leben, anzunehmen; und da sie großen Gefallen an dessen jetziger Wohnung fand, beschloß sie hier wo möglich zu bleiben. General Aspenfield hatte nach der Verheirathung seiner Tochter der Generalin sein ganzes Vermögen vermacht; so daß diese, nachdem sie ihren erstgeborenen Enkel mit einer bedeutenden Summe beschenkt, wofür sie gebeten, ihm den Namen Danvers beizulegen, noch ein hinreichendes Auskommen behielt, um ihrem Rang gemäß in der Welt aufzutreten. Mit solchen Mitteln ward es ihr leicht, Mstrß. Crow zu vermögen, ihr die Wohnung zu vermiethen, und so hatte sie die Freude ganz in der Nähe ihrer Kinder zu leben.
Ungefähr einen Monat nach Mstrß. Aspenfields Rückkehr von Frankreich ward Adelaide eines Morgens beim Frühstück sehr überrascht mit einem Briefe aus dem Gasthofe, der kaum leserlich geschrieben, folgende Worte enthielt:
»O, meine Adelaide! meine geliebte Cousine! meine einzige Freundin! Um der Schande zu entgehen bin ich von meiner Mutter zu Ihnen geflohen; und wenn Sie mich nicht aufnehmen, bin ich verloren.
In dem Anzug eines unserer Dienstmädchen verkleidet, nur im Besitz weniger Schillinge, habe ich mich genöthigt gesehen, allein und ohne Schutz die nächtliche Reise mit der Postkutsche nach Seaview zu unternehmen.
O Adelaide! kommen Sie und beschützen
Ihre
unglückliche
Ambrosia.«
Starr vor Entsetzen reichte Adelaide ihrem Vormund den Brief, der nach Lesung desselben sogleich in den Gasthof eilte, Lady Ambrosia in sein Haus zu holen. Er fand sie, wie zu erwarten, in der äußersten Bewegung, veranlaßt durch den verzweifelnden Schritt, den sie gethan, durch die Schrecknisse der nächtlichen Reise und durch die Ungewißheit ihrer Aufnahme in Seaview.
Falkland bemühte sich, ihr aufgeregtes Gemüth zu beruhigen, und Adelaidens Aufnahme übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Erst nachdem sie sich durch Schlaf und einige Erfrischungen erquickt, und in einen der besten Anzüge ihrer Cousine gekleidet hatte, ward ihr gestattet, Bericht von dem in Roscoville Vorgefallenen abzulegen, und sie erzählte der erschrockenen Adelaide, ›daß, obgleich Lady Seraphinens und Herrn Daniel Blackthorns Liebesverständniß keinem in der Familie ein Geheimniß gewesen, ihre Mutter es doch aus sonderbarer Bethörung nicht zu bemerken geschienen hätte; aber daß sie auch eben so wenig geneigt gewesen, dieses elenden Menschen schändlichen Absichten auf sie, womit Lady Leyburn vom ersten Anbeginn unterrichtet worden, ein Ziel zu setzen. Daß er hierdurch ermuthigt, mit Hülfe ihrer niederträchtigen französischen Gouvernante, einen teuflischen Plan gegen ihre Unschuld entworfen, dem sie, von der Mutter keine Hülfe erwartend, nur durch plötzliche Flucht zu entgehen gewußt.
Daß ihr erster Entschluß gewesen wäre, Schutz bei Lord Aberavon zu suchen, der, als ein sie anbetender Liebhaber gewiß entzückt gewesen sein würde, mit ihr nach Gretna Green zu entfliehen; daß aber Se. Herrlichkeit unglücklicherweise sich in London befunden, worauf sie sich entschlossen hätte, Schutz bei ihrer geliebten Adelaide zu suchen.‹
Sobald Falkland diese Details erfahren, sah er ein, das für Lady Ambrosia keine Sicherheit unter dem Dach ihrer Mutter zu erwarten sei, und beschloß deshalb, sich unverzüglich an den Lord Canzler wegen eines andern Vormunds zu wenden. Doch nicht gesonnen, als offner Kämpfer für das verwais'te Kind aufzutreten, um Lady Leyburns feindliche Gesinnung gegen seine Mündel nicht noch zu vermehren, wandte er sich zu diesem Zweck an Lord Beechbrook, der mit der Leyburnschen Familie verwandt war.
Lord Beechbrook übernahm die Sache seiner jungen Verwandten mit vieler Bereitwilligkeit; schon am folgenden Tag reis'te er mit ihr in die Stadt, und ehe Lady Leyburn den Zufluchtsort, wohin sie sich gewendet, entdeckt hatte, ward Lord Beechbrook schon vom Lord Canzler das Recht, sie in Zukunft zu beschützen, zuerkannt.
Lady Leyburn, durch ihren Geiz ganz in die Hände der beiden Blackthorns gegeben, freute sich im Stillen über den Schritt ihres Kindes, der ihm anständigen Schutz gewährte; während sie ihren Verbündeten den ganzen Unwillen und Kummer zeigte, den man von ihr erwartete, und alle Wege einschlug, die ihr zur Wiedererhaltung ihrer Vormundschaft angegeben wurden. Hierdurch erlangte sie jedoch weiter nichts, als einen strengen Verweis über ihr unmütterliches Benehmen.
Nach der in dem Heirathsvertrag festgesetzten Einrichtung bekamen die jungen Ladys Leyburn während ihrer Minderjährigkeit keine Interessen ihres Vermögens; und Lady Ambrosia, die bis jetzt ihren Unterhalt der Mutter verdankt hatte, ward nun an die Güte ihrer Freunde verwiesen. Lord Beechbrooks freigebiger Sinn nahm keinen Anstand, ihr ohne Vergütung eine Zuflucht in seinem Hause zu gestatten; während die edelmüthige Adelaide der bei ihr Schutz suchenden Cousine in allen andern Dingen großmüthig beistand. Sie versorgte sie mit einer auserwählten Garderobe und ernannte sich selbst zu Ambrosias Banquier, bei welchem sie unbedingten Credit hätte.
Lady Ambrosia war nun oft wochenlang bei Falklands in Seaview, und später in Mordaunt Priorie, wo es ihr, wie auch in Beechbrook nicht an Gelegenheit und Veranlassung fehlte, ihren Geist auszubilden. Adelaide beschäftigte sich viel mit ihr, und gewahrte mit Freuden, daß sie vernünftigere Ansichten von manchen Dingen zu bekommen schien. Da Lord Aberavon keinen Schritt that, die Huldigungen zu erneuern, welche er ihr während seines Aufenthalts in Berkshire gezollt, fing sie nach und nach an, seine Liebe vorübergehender Natur zu halten, durch welchen Glauben sein Bild natürlich in ihrer Phantasie an Lebhaftigkeit verlor.
Adelaide hatte noch nicht ihr sechzehntes Jahr zurückgelegt, als Falkland einen Brief von Herrn Law, (des verstorbenen Mordaunts Anwald in London) erhielt, mit dem Heirathsantrag des Marquis von Glendale, seines eben mündig gewordenen Mündels, für Miß Bouverie. Durch des Vormunds Beschreibung ihres Benehmens in Bezug auf das Vermächtniß, in wahre Begeisterung gerathen, war er nach zurückgelegter Minderjährigkeit sogleich incognito nach Kent geeilt, die junge Dame zu sehen, welcher Anblick sein Herz in so lichte Flammen gesetzt, daß er Herrn Laws Rath, nur noch einige Zeit zu warten, ehe er sich um Dr. Falklands Erlaubniß, seine Werbung zu beginnen, bemühte, als unmöglich verwarf. Der Brief schloß mit einer genauen Auseinandersetzung der sehr glänzenden Vermögensumstände des jungen Marquis, und der Versicherung, daß Sr. Herrlichkeit äußere und innere Vorzüge ihn zu einer wünschenswerthen Parthie machten.
Dieser Antrag war in jeder Hinsicht so vortheilhaft, daß Falkland nicht recht wußte, wie er ihn möglicherweise ablehnen sollte; und dennoch, abgesehen von seinen eigenen Wünschen, hinsichtlich Montagus und des Lord De Moreland gegebenen Versprechens, konnte er dem Vorschlag seine Beistimmung nicht geben. Da er jedoch fühlte, daß ein hinreichender Grund, selbst um die argwöhnische Rosalinde zu beruhigen, nöthig war, beschloß er das Schicksal des liebenden Marquis in Adelaidens eigene Hände zu legen, und ihr die Entscheidung ohne fremden Einfluß allein zu überlassen.
Mstrß. Falkland war ihrem Wunsch gemäß gegenwärtig, als ihr Gatte seiner Mündel die Werbung vortrug. Wie er vorausgesehen, verwarf sie sie ohne weitere Ueberlegung, eingedenk des Versprechens, welches sie ihrem Onkel beim Abschied gegeben, ihr Herz für Montagus Bruder oder irgend einen andern Mann, den er ihr empfehlen würde, aufzuheben. Falklands unverkennbare Freude bei diesem Ausspruch, erregte Rosalindens Furcht von Neuem, und sie versuchte, obgleich vergebens, Adelaiden zu einer andern Entscheidung zu vermögen.
Als sie noch im Gespräch über diesen Gegenstand begriffen waren, traten Lady Beechbrook und Lady Ambrosia ein, und Rosalinde, froh einen Beistand zu finden, theilte ihnen sogleich des Anwalds Brief und Adelaidens unbegreifliche Hartnäckigkeit, nebst dem romantischen Grund ihrer Weigerung mit.
Im Innersten gekränkt durch Mstrß. Falklands unzarte Entdeckung entgegnete Adelaide:
»Obgleich mein Versprechen, Bouveries Rückkehr zu erwarten, ehe ich über mein Herz entscheide, kindisch oder romantisch erscheinen mag, kann ich es doch nicht, da es im Ernst gegeben ist, brechen. Wer würde mich auch vom Gehorsam gegen meinen armen gefangenen Onkel entbinden können? Denn so sonderbar es von ihm war, mein Glück in die Hand eines so jungen Schiedsrichters zu legen, wie ich selbst, obgleich noch Kind, fühlte; so kömmt es mir, die ich seine Beweggründe nicht kenne, doch nicht zu, an ihrer Paßlichkeit zu zweifeln, und mich dagegen aufzulehnen.«
Bald nach des Marquis Glendales Heirathsantrag langten Briefe von Montagu an Falkland und Mellifort an, in welchen er die lang geschlummerte Idee einer Verbindung mit Adelaiden und seinem Bruder wieder aufnahm und mit einer gewissen Aengstlichkeit behandelte. Hieraus schloß Falkland, daß Bouveries Herz sich einem andern Gegenstand zugewendet haben müsse; und fast wäre es ihm gereut, Adelaidens bestimmter Erklärung nicht entgegen gewesen zu sein, wenn ihre zarte Jugend es ihm nicht wünschenswerth gemacht hätte, sie noch einige Jahre im unverheiratheten Stand zu erhalten.
Unterdessen war die Zeit der Wettrennen in Canterbury herangekommen, zu welchen Lady Beechbrook und Mstrß. Falkland sich entschlossen hatten, die schönen Mündel ihrer Gatten zu begleiten. Adelaide sollte nur an den Morgenvergnügungen Theil nehmen, Lady Ambrosia aber sowohl an den Wettrennen als an den Bällen.
Die mannigfachen Anzüge zu dieser festlichen Gelegenheit beschäftigten Lady Ambrosia kaum so viel als ihre großmüthige Cousine, deren Gedanken und Aufmerksamkeit nur darauf gerichtet waren, Erstere mit allem Unentbehrlichen hierzu auszustatten, während sie die eigene Garderobe der Wahl Rosalindens überließ.
Endlich brach der wichtige Tag an, dem beide Mädchen mit Sehnsucht entgegen gesehen. Ambrosia in ungeduldiger Erwartung der tausend Eroberungen, die ihre Schönheit unfehlbar machen würde; Adelaide, voll Verlangen ein Vergnügen kennen zu lernen, von dem Alles mit Entzücken sprach. Die Gesellschaft langte noch zur rechten Zeit in Barham Downs an, um vortreffliche Plätze zu bekommen, und Ambrosia empfing die ersehnte Huldigung allgemeiner Bewundrung; obgleich der weniger glänzende, aber unendlich zartere Ausdruck der bescheidenern Schönheit ihrer Cousine, ihr selbst unbewußt, den Sieg davon trug.
Mstrß. Aspenfield hatte zum größten Erstaunen ihrer Tochter freiwillig erklärt, die Gesellschaft zu der Morgenbelustigung begleiten und Miß Bouverie am Abend Gesellschaft leisten zu wollen; und wirklich nahm sie anfänglich auch, mit wahrhaft jugendlichem Sinne an dem Wettrennen Theil. Doch bald trübten sich ihre Züge, und gegen Ende des zweiten Laufs schien eine innere, nicht zu überwindende Bewegung sich ihres Wesens zu bemeistern, und sie sank ohnmächtig um.
Falkland trug sie hinaus; die bestürzte Rosalinde eilte ihr von Lord Beechbrook begleitet nach, und Adelaide, voll Mitgefühl für ihre Freunde, sprang so schnell auf, daß sie eine Stufe zwischen ihren Sitz und der Vorhalle übersah, und unfehlbar gestürzt sein würde, wenn nicht ein ausgezeichnet schöner, noch sehr junger Mann sie aufgehalten hätte. Er begleitete sie nun zu ihrer Gesellschaft und zeigte sich so bereitwillig in seinen Dienstleistungen zur Wiederherstellung Mstrß. Aspenfields, daß man seinen Beistand nicht ablehnen konnte.
Endlich schlug Mstrß. Aspenfield die Augen wieder auf, und ihr erstes Wort war der Wunsch, auf der Stelle nach Seaview zurück zu kehren.
»Es sind traurige Erinnerungen, die mich überwältigt haben,« sagte sie, »deshalb muß ich diesen Ort sogleich verlassen; doch soll mich Niemand begleiten, denn so wie ich Barham Downs im Rücken habe, bin ich wieder wohl.«
Rosalinde wußte, daß ihre Mutter Mordaunts Bekanntschaft bei dem Wettrennen in Canterbury gemacht hatte; daß sie das Jahr darauf, ebenfalls bei dem Wettrennen in Canterbury, bemerkt, wie verderblich ihrer Schwester Helene, Rath, ihn mit Stolz zu behandeln, gewirkt. Denn anstatt seine Ketten noch fester anzuziehen, hatte sie dadurch alle Macht über sein Herz verloren. Deshalb versuchte sie jetzt auch nicht, sie zu einem längern Bleiben zu bereden, und wünschte nur, sie begleiten zu dürfen. Dieser Absicht setzte sich jedoch Mstrß. Aspenfield fest entgegen. Kaum mit ihrer Tochter fertig, mußte sie einen neuen Kampf mit Adelaiden beginnen, die ihr mit vieler Beredsamkeit auseinandersetzte, daß das Wettrennen ein grausames, ihr nicht zusagendes Vergnügen sei, und daß sie sonst nichts verlöre, da sie den Ball nicht besuchen sollte. Lady Ambrosia fand diesen Vorschlag sehr vernünftig und unterstützte ihrer Cousine Bitten mit auffallender Wärme. Nach vielen Hin- und Widerreden mußte sich Mstrß. Aspenfield endlich Adelaidens Wunsch fügen, und mit dem Versprechen, sie übermorgen zurück zu begleiten, fuhren sie nach Seaview.
Hier erholte sich die Generalin augenblicklich. Am folgenden Morgen, als sie mit Briefschreiben beschäftigt, und Adelaide in Gedanken über Ambrosias dringendes Verlangen, sie von Canterbury entfernt zu sehen, verloren in ihrer Gartenlaube saß, ward ihr ein Brief von Mstrß. Falkland gebracht, in welchem sie zu ihrem Erstaunen Folgendes las:
»Meine liebe Adelaide!
Ich bin nun entschlossen einen auf Fakta Hier und an einer späteren Stelle in der Vorlage: »Faktas«. gegründeten Roman, unter dem Titel: ›Die für einander bestimmten Liebenden, oder: Sympathetische Bestimmung,‹ zu schreiben. Sie, meine Theuerste, werden die schöne Heldin desselben sein; und der ausgezeichnet hübsche Jüngling, den das Schicksal zu Ihrer Errettung vom Fall auf den gefährlichen Lebensweg Ihnen entgegenschickte, ist der interessante Held.
Da nun zu erwarten steht, daß dem Wettrennen in Canterbury sehr bald das des Cupido und des Hymen folgen wird, möchte ich Ihnen rathen, sich im Voraus auf eine schnelle Vermählung bereit zu halten, damit sie Ihnen nicht wieder so überraschend komme wie die meinige.
Doch ernstlich gesprochen, meine beste Adelaide; der verliebte Jüngling scheint in einer so großen Eile der verständigen Wahl seines Bruders alle möglichen Huldigungen zu beweisen, daß er, anstatt gestern Abend auf dem Ball zu tanzen, Ihrem theuren Vormund, dem er von Mellifort vorgestellt worden, seine Zeit widmete.
Glücklicherweise ist Lord Beechbrook ein genauer Freund Lord Clydes, und immer gütig und gefällig hat er den bezauberten Theodor sehr glücklich gemacht, indem er Lord und Lady Clyde eingeladen, sich ihnen jetzt in Canterbury anzuschließen und dann einen längst versprochenen Besuch in Beechbrook abzustatten. Der von Freude und Dankbarkeit erfüllte Jüngling ist heute Morgen nach Lenham geeilt, Onkel und Tante von dem Zustande seines Herzens zu unterrichten und sie hierher zu begleiten. So kommen Sie denn nun auch, liebste Adelaide! mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln, ihrer magischen Schalkheit; aber lassen Sie die kindische Schüchternheit zu Hause, und waffnen Sie sich mit Muth – so kann Niemand Ihren Reizen widerstehen.
Mein caro sposo sieht sehr ernsthaft bei der Sache aus, und möchte mich gern überreden, daß Sie noch zu jung wären, eine Wahl zu treffen; aber ich merke wohl, er sucht nur deshalb einen Vorwand, weil ihm die Parthie nicht groß genug ist. Denn welchen andern Grund kann er möglicherweise gegen eine Verbindung haben, die Ihr Onkel wünscht? Mellifort sagt auch, daß ihn Montagu sehr erstaunt und getäuscht habe, indem er geglaubt, daß, während er von seinem Bruder gesprochen, er sich selbst gemeint, welche Parthie er passender für Sie gefunden hätte. Wir unterhalten uns von nichts Anderem, als von dieser romantischen Liebe; und da Sie so geneigt sind, Ihres Onkels Wünsche zu erfüllen, haben wir, wie Lady Beechbrook meint, nicht Ursache in Sorgen über diese Ungelegenheit zu sein.
Leben Sie wohl! Der morgende Tag führt Sie in meine Arme; dann will ich Ihnen erzählen, was meine Feder zu schwach zu beschreiben ist, vor Allem wie sehr Ihr Glück wünscht
Ihre
treu ergebene
Rosalinde Falkland.«
Adelaide brach nach Lesung dieses Briefs in einen Strom von Thränen aus, und in demselben Augenblick trat Mstrß. Aspenfield in die Laube.
»Verzeihen Sie, daß ich Sie störe, liebe Miß Bouverie,« sagte sie; »da ich aber auch einen Brief von Rosalinden habe, konnte ich es nicht unterlassen, Ihnen meinen Glückwunsch darzubringen; denn nach der Schilderung, die meine Tochter von Herrn Theodor Bouverie entworfen, geht hervor, daß Ihre pflichtvolle Erfüllung des Wunsches Ihres Onkels kein Opfer für Sie sein wird.«
»O, bedauern Sie mich lieber, verehrteste Mstrß. Aspenfield!« entgegnete Adelaide, »daß ich so thöricht, aus Unerfahrenheit so einfältig gewesen bin, die Wünsche dieses theuren Onkels laut auszusprechen. Denn nun, nachdem sie so bekannt geworden sind, ist es mir unmöglich, morgen in Canterbury zu erscheinen. Lesen Sie diesen Brief, Madame, und Sie werden daraus sehen, daß Jedermann um das Geheimniß weiß; und daß Lady Beechbrook mich natürlich für ein voreiliges Mädchen halten muß, das nicht erwarten kann, mit diesem Herrn Bouverie vor den Altar zu treten. O, ich unbedachtsames, leichtsinniges Geschöpf! nicht an die Folgen zu denken!«
Mstrß. Aspenfield las den Brief, und suchte dann das verwundete Zartgefühl des armen Mädchens durch Trostgründe zu beruhigen.
»Meine theure Mstrß. Aspenfield!« rief Adelaide in Tönen der Verzweiflung, »gern will ich mein Leben für Sie opfern, wenn Sie verhindern, daß ich morgen nicht nach Canterbury zu gehen brauche; ich würde vor Schaam auf dem Weg dahin sterben.«
»Antworten Sie mir aufrichtig, Miß Bouverie. Entsteht der Wunsch, den jungen Mann zu meiden, aus Abneigung gegen ihn?«
»Er ist seinem Bruder nicht ähnlich, wie ich ihn zu finden gehofft; doch da er mir von ihm empfohlen und meines theuren Onkels Wahl ist – eine Wahl, die mir um so heiliger zu erfüllen scheint, da es mir leider immer gewisser wird, daß er nie erfahren werde, wie sein Wille den meinigen geleitet hat. Wäre er gegenwärtig, dieser vielgeliebte Onkel, würde er mich nicht so willfährig finden; aber fern und unglücklich hielt ich mich durch mein Versprechen gebunden, und seit ich fürchten mußte, ihn nie wieder zu sehen, habe ich mein Herz an den Gedanken des Gehorsams, selbst wenn es ihm schwer werden sollte, gewöhnt.«
»Weshalb ihn denn fliehen, wenn Sie entschlossen sind, dem Pflichtgebot zu folgen?«
»Ich wünsche nur, der peinlichen Lage zu entfliehen, ihm und seiner Familie öffentlich vorgestellt zu werden, da ein Jeder, wie Sie sehen, von meiner Geneigtheit, die Seinige zu werden, überzeugt ist.«
»Die Motive Ihres Benehmens machen Ihrem Gefühl so viel Ehre, meine liebe Miß Bouverie, daß sie allen Ihren Freunden bekannt gemacht zu werden verdienen; und ich will selbst Ihre Rechtfertigung übernehmen.«
Adelaide dankte ihrer mütterlichen Freundin mit herzlichen Worten für ihre Güte. »Doch,« fügte sie hinzu, »wird sie nicht hinreichend sein, mich vor Demüthigungen zu bewahren. Manche, zum Beispiel Ambrosia, sind nicht im Stande, meine Gefühle zu verstehen. Ich weiß, daß sie einst in einer scherzhaften Laune den Miß Woodehouses und Birchs erzählt hat, ich wäre nach Montagus Beschreibung seines Bruders von romantischer Liebe für diesen entbrannt, und könnte den Augenblick nicht erwarten, wo er kommen und meine bereitwillige Hand in Empfang nehmen würde. Diese jungen Mädchen sind Alle in Canterbury, und nachdem, was ich in den letzten zwei Monaten, in Folge Ambrosias leichtsinniger Mittheilung, habe von ihnen erdulden müssen, weiß ich, was mir jetzt von ihnen bevorsteht. Sie sehen also, Mstrß. Aspenfield, daß ich unmöglich nach Canterbury gehen kann.«
Die Generalin versprach ihre Weigerung zu unterstützen, und schrieb einen Brief, in welchem sie Rosalinden die Beweggründe Adelaidens auseinandersetzte, und ihre eigene Billigung des Benehmens derselben hinzufügte.
Am folgenden Morgen, als Adelaide gleich nach dem Frühstück mit dem kleinen Friedrich spielte, der von der Priorie herübergekommen, seine Großmutter zu besuchen, ward Herr Theodor Bouverie gemeldet. Er überbrachte Briefe von Lady Beechbrook und Mstrß. Falkland an Mstrß, Aspenfield. Ersterer enthielt nur eine allgemeine Empfehlung dieses jungen Freundes, der einen Morgenritt dem Wettrennen vorgezogen, um gute Nachrichten von den Bewohnern von Seaview nach Canterbury zu bringen. Rosalinde aber begnügte sich hiermit nicht, sondern benachrichtigte ihre Mutter von ihrem ernstlichen Wunsch, Theodor mit Adelaiden verbunden zu sehen, und bat sie dringend, des jungen Mannes Werbung durch ihre Aufmunterung und ihren Beistand zu unterstützen, indem auch Lord und Lady Clyde diese Verbindung nicht allein sehr billigten, sondern auch begünstigten. Sie waren sogleich mit Theodor nach Canterbury gekommen, und hatten sich sehr getäuscht gefunden, Adelaiden dort nicht zu treffen.
Die arme Adelaide, deren verwundetes Zartgefühl bei dem demüthigenden Gedanken, daß auch Theodor von ihrer Bereitwilligkeit, die Seine zu werden, unterrichtet sein könnte, sehr litt, fand in ihrem jüngern Verehrer Friedrich einen sehr nützlichen Beistand; nicht allein beim ersten Eintreten Theodors, sondern auch noch in manchen andern Augenblicken im Lauf dieses für sie nicht sehr erfreulichen Tages. Denn obgleich jeder Blick, Ton und Wort des ausgezeichnet schönen jungen Mannes sie von seiner Neigung überzeugten, fühlte sie sich doch ungemein befangen, und dieser peinlich verlegene Zustand raubte ihr die natürliche Anmuth, den eigenthümlichen Zauber ihres Wesens. Mstrß. Aspenfield vermißte diesen sie so unwiderstehlich machenden Reiz; Theodor hingegen war so hingerissen von ihrer Lieblichkeit, Schönheit und Sanftmuth, daß er ihre Schüchternheit nur desto anziehender fand. Mit dem Ton des betrübten Erstaunens vernahm er um sieben Uhr die Meldung seiner wartenden Pferde und sagte, als er endlich zögernd aufstand:
»Mstrß. Aspenfield, ich finde Ihre gastfreie Wohnung so anziehend, daß nur ein Engagement mit einer jungen Dame mich vermögen kann, so bald daraus zu scheiden. Aber ehe Lady Beechbrook und Mstrß. Falkland mich zum glücklichsten Briefträger ernannt hatten, war ich von der lebhaften Lady Ambrosia Leyburn zu ihrem Tänzer für den heutigen Ball erwählt worden. Miß Bouverie, haben Sie mir keine Aufträge an Ihre schöne Cousine zu geben?«
»Versichern Sie sie meiner Liebe,« sagte Adelaide erröthend.
»Ein angenehmer, aber ein schwerer Auftrag,« entgegnete Theodor lächelnd, »indem er den Ueberbringer in die gefährliche Versuchung bringt, ihn unterzuschlagen.«
Früh am folgenden Morgen langte Falkland in Seaview an, und vor dem Frühstück blieb ihm noch eine ganze Stunde, die er in ernstlicher Unterhaltung mit seiner Mündel über deren Verbindung mit Theodor, zubrachte. Er überließ ihrem Gefühl die Entscheidung und beschwor sie mit der liebenden Theilnahme eines zärtlichen Vaters, sich durch kein romantisches Ehrgefühl zur Erfüllung eines Versprechens verleiten zu lassen, welches sie im kindischen Sinn, ohne die Wichtigkeit des Gegenstandes zu kennen, gegeben.
Adelaide drang in ihren Vormund, ihr zu sagen, ob er etwas Erhebliches gegen Theodor einzuwenden habe?
»Nichts, als seine große Jugend,« entgegnete Falkland. »Meine Wünsche bestimmten Dich früh für das einzige Wesen, welches ich Deiner würdig fand, für Montagu Bouverie; doch die Seinigen scheinen nicht damit übereinzustimmen, da er mit dem letzten Schiff von Malta an seinen Bruder und Lord und Lady Clyde geschrieben, und sie dringend aufgefordert hat, eine Verbindung zu befördern, von welcher er sowohl Dein, als Theodors ganzes Glück erwartet. So in meinen schönsten Hoffnungen getäuscht, ist es leicht begreiflich, daß ich diese Idee nicht mit gleicher Wärme erfasse, besonders da mir vorkommt, als ob ihm die Lebhaftigkeit seines Bruders abginge, die so ganz zu Deinem Wesen zu passen schien.«
»Herr Theodor Bouverie war gestern sehr lebhaft und aufgeweckt,« erwiederte Adelaide, kaum wissend, was sie sagte, indem eine hohe Röthe ihre Wangen überflog, als sie sich bemühte, einen aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken. Auch ihre Wünsche hatten, ihr selbst unbewußt, dieselbe Richtung, wie die ihres Vormunds, genommen.
»Wenn Du ihn liebst, Adelaide, so –«
»Mein theurer Vormund!« rief das bestürzte Mädchen von einem noch höhern Purpur übergossen; »ich empfinde bis jetzt noch keine Vorliebe für ihn – wenigstens keine freiwillige, da ich es aber für meine Pflicht halte, die mir heiligen Wünsche meines unglücklichen Onkels zu erfüllen, bemühte ich mich gestern den ganzen Tag, mein Herz günstig für ihn zu stimmen. Und da er mit allen äußern Vorzügen so reich begabt ist, so viele achtungswerthe Eigenschaften besitzt; erscheint es mir sehr möglich, ihn bald ohne Gleichgültigkeit betrachten zu können. Doch wenn Sie anders von ihm urtheilen, und mich mit Ehren von meinem kindischen Versprechen entbinden wollen, verwerfe ich ihn ohne Weiteres.«
»Nein, meine Liebe, nein;« entgegnete Falkland. »Du sollst Deinen Entschluß durchaus nicht übereilen. Wenn der junge Mann nur die Hälfte der guten Eigenschaften besitzt, die ihm seine Familie zuertheilt, wirst Du sehr glücklich mit ihm werden; aber Du sollst Dich nicht durch einen phantastischen Traum in die Täuschung einer vermeintlichen Liebe versetzen.«
Hier ward die Unterredung durch die Frühstücksglocke unterbrochen, und nicht wieder aufgenommen, da Falkland, bevor er nach Canterbury zurückeilte, Rosalinden nach Barham Downs zu begleiten, erst noch einen Besuch in der Priorie bei dem kleinen Friedrich machen wollte.
Um allen Anschein zu vermeiden, als ob sie wieder einen Besuch von Theodor erwartete, eilte sie mit ihrer Norah, einige arme Hütten zu besuchen, worin sie sonst, so lange sie noch in Seaview wohnte, fast täglich einzusprechen und Trost und Hülfe zu bringen pflegte. Dieses Geschäft beendet, wollte sie eben die getreue Wärterin bereden, der heißen Mittagssonne zum Trotz, den Felsen zu ersteigen und Falklands Lieblingssitz aufzusuchen, als Lord Beechbrook ihr mit einem fremden Herrn entgegentrat.
»So finde ich Sie also hier, meine liebenswürdige Landstreicherin!« rief Se. Herrlichkeit, ihre Hand mit Herzlichkeit ergreifend. »Obgleich Sie keinen Leitfaden bei Mstrß. Aspenfield zurückgelassen hatten, Ihre Spur zu verfolgen, gelang es mir doch, Ihren wohlthätigen Weg auszukundschaften, und mich durch die in manchen Augen glänzenden Thautropfen der Dankbarkeit bis zu Ihnen zu finden. Und nun erbiete ich mich Ihnen zum Begleiter, was Mstrß. Obearn eben durch ein Kopfschütteln verweigerte. Kommen Sie, Adelaide! ich fordere Sie zu einem Wettlauf nach Falklands Sitz auf.«
So bestürzt Adelaide anfänglich bei Lord Beechbrooks Anblick geworden, da sie seine Scherze und Anspielungen auf Theodor fürchtete, so beruhigt fühlte sie sich jetzt, als sie ihn nicht dazu geneigt fand. Mit freundlichem Lächeln nahm sie seine Herausforderung an, hoffend, auf dem Wege bis zum Felsen die nöthige Fassung wieder gewonnen zu haben, um unbefangen nach ihren Freunden in Canterbury fragen zu können. Auf der Felsenspitze angekommen, sah sie erst, welch einen großen Vorsprung sie gewonnen, und rief ihm zu, daß wenn sie gewußt, welch einen schwerfälligen Mitbewerber sie gehabt, sie ihren Athem nicht so verschwendet haben würde.
Endlich langten beide Herren oben an, und kaum hatte sich Lord Beechbrook von der ungewohnten Anstrengung erholt, als er mit Adelaiden ein Gespräch in jenem scherzhaften. Ton anknüpfte, den er gewöhnlich bei ihr anzustimmen pflegte; und da sie sich durch keines Fremden Gegenwart gestört (den Begleiter des Lords hielt sie für einen seiner Pächter) und eingeschüchtert sah, entwickelte sie ihre ganze Anmuth und Liebenswürdigkeit.
Eine volle Stunde hatten sie auf ihrem erhöhten Sitz zugebracht, ohne daß Lord Beechbrook Theodors Namen genannt oder sich irgend eine Anspielung erlaubt hätte. Jetzt war es Zeit, wieder hinabzusteigen, und erst als sie Mstrß. Aspenfields Vorhalle erreicht hatten, rief Se. Herrlichkeit, wie sich plötzlich besinnend, aus:
»Ei, welch ein Vergehen! Habe ich doch ganz vergessen, meine Freunde einander vorzustellen. Adelaide, mein alter Schulkamerad Lord Clyde; Mylord, Miß Bouverie, die Verwandte Ihres Neffen.«
»Nun, nun!« fuhr Se. Herrlichkeit lachend fort, »nur nicht gleich die Farbe gewechselt, wie ein Chamäleon, und so stumm geworden, als wenn Sie nicht sprechen könnten, und die Augen so niedergeschlagen, als wenn außer dem Boden nichts des Ansehens werth wäre. Kommen Sie, Adelaide! seien Sie wieder, was Sie vorher waren, als Sie meinen Jugendfreund hier für einen ehrlichen Viehhändler hielten, der gekommen war, Geschäfte mit mir abzuschließen.«
Adelaide zürnte mit sich selbst, das Lord Clydes Name im Stande gewesen war, sie um ihre Fassung zu bringen; und so ernstlich bemühte sie sich, ihre vorige Unbefangenheit wieder zu erlangen, daß es ihr wirklich gelang, sich mit leidlicher Ruhe nach Lady Clydes Befinden zu erkundigen.
Da Lord Beechbrook Mstrß. Aspenfield seinen Freund vorgestellt hatte, ehe beide Herren Adelaiden aufzusuchen gingen, erwartete ihrer ein elegantes Frühstück. Die Unterhaltung dabei war sehr lebhaft, und als Mstrß. Aspenfield zufällig äußerte: »sie hoffte, daß ihre Freunde und Bekannte sich alle glücklich und behaglich in Canterbury fühlten,« erwiederte Lord Clyde lächelnd:
»Nicht Alle, Madame; ich kenne wenigstens ein Individuum dort, von welchem das Gegentheil zu behaupten wäre. Mein hoffnungsvoller Neffe findet in Seaview so viel Anziehendes, daß nur mein Befehl ihn diesen Morgen in Canterbury festhielt, Lord Beechbrooks und meinen Platz auszufüllen und Herrn Falkland beizustehen, die Damen zu dem Wettrennen zu begleiten.«
»Ich brauche wohl kaum zu fragen,« sagte Adelaide ängstlich bemüht, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, »wie meine schöne Cousine sich auf den Bällen ausnimmt, und ob sie ihre Abende angenehm zubringt?«
»Ihre Cousine, meine zärtliche, theilnehmende Adelaide!« entgegnete Lord Beechbrook, »war die Glücklichste der Glücklichen auf den Bällen, obgleich nicht die Schönste, da Ihre Tochter, Mstrß. Aspenfield, den Preis davon trug. Doch obgleich meine Mündel außerordentlich bewundert worden ist, habe ich dennoch kein Symptom einer ernstlichen Eroberung bemerkt, worüber Lady Beechbrook sich sehr betrübt, da sie Lady Ambrosia bald zu verheirathen wünscht. Die gute Frau hält den Ehestand für ein sicheres Mittel gegen ihre unbegrenzte Sucht bewundert zu werden, und ihre nicht geringere Neigung zu Liebeleien.«
Nachdem die Herren weggefahren waren, nahmen Mstrß. Aspenfield und Adelaide tête à tête ihr Mittagsmahl ein, und wollten eben den Thee beginnen, als Theodor Bouverie anlangte, sich am Abend schadlos für die Entbehrung des Morgens zu halten, die ihm seines Onkels Ungeduld, Adelaidens Bekanntschaft zu machen, auferlegt. Er war so liebenswürdig, so lebhaft und unterhaltend, daß Mstrß. Aspenfield ihm Abends elf Uhr beim Scheiden seine dringende Bitte, den Damen am folgenden Morgen Gesellschaft bei ihrem Frühstück leisten zu dürfen, nicht abschlagen konnte.
Theodors Entzücken über diese bewilligte Erlaubniß leuchtete in seinen Blicken; und als er immer noch neue Vorwände ersann, seinen Besuch zu verlängern, sagte ihm Mstrß. Aspenfield endlich lächelnd: ›daß er scheiden müsse, indem der Anstand einem jungen Herrn nicht gestattete, so spät in einer unverheiratheten Dame Wohnung zu verweilen.‹
Als Adelaide am Morgen die Augen öffnete, wartete ihrer schon ein Billet von Theodor, worin er sein unendliches Bedauern aussprach, des Glücks beraubt zu sein, sie an diesem Tage zu sehen, vielleicht noch manchen andern dazu, indem so eben ein Expresser von Lady Bowcastle, Lady Clydes Tante und seine Großtante, angelangt mit der Nachricht, daß sie todt krank liege und ihre Nichte und ihn augenblicklich zu sehen wünsche. Eine Aufforderung, welcher Folge geleistet werden mußte, und noch dazu so schnell, daß ihm nicht einmal die Zeit vergönnt würde, sein Morgenengagement zu halten und mit ihr und der gütigen und liebenswürdigen Mstrß. Aspenfield zu frühstücken.
So wie Falklands von Canterbury zurückgekehrt waren, stellte sich auch Adelaide bei ihnen in der Priorie ein, woselbst ihrer zwei Heirathsanträge, in Folge ihres kurzen Erscheinens an jenem Morgen in Barham Downs, warteten. Der eine von dem ältesten Sohn eines Vicomte, der andere von einem jungen Baronet. Beide wurden höflichst abgelehnt, und da Rosalinde wenig Geheimnisse vor Lady Beechbrook hatte, hörte auch Lady Ambrosia von diesen ernstlichen Siegen, und konnte ihren Gram, durch die eigenen Reize keinen so mächtigen Erfolg hervorgebracht zu haben, nicht ganz verbergen; doch suchte und fand sie Trost in der Ueberzeugung, daß nur ihrer Cousine bedeutendes Vermögen und noch größere Erwartungen den Triumph über ihre glänzendere Schönheit davon getragen habe.
Wenige Tage nach Lady Ambrosias Zurückkunft von Canterbury besuchte sie Adelaiden in der Priorie, und bat sie mit einiger Verlegenheit, ihr einen großen Gefallen zu erzeigen, nämlich einen wohlgesetzten, witzigen und scherzhaften Brief für sie zu schreiben.
»So gut ich ihn zu fabriciren vermag, sollen Sie ihn haben, meine faule Cousine,« entgegnete Adelaide lächelnd, »aber verlangen Sie nur nichts Witziges und Wohlgesetztes von mir. Ueber welchen Gegenstand, wenn ich fragen darf?«
»Ueber Sie selbst.«
»Unbarmherzige! Und Sie können glauben, daß ich auf meine eigenen Kosten witzig sein würde?«
»Warum nicht, und auf meine auch, so wie auf Kosten aller Familien im Umkreise. Ich brauche einen witzigen, scherzhaften Brief, enthaltend die Beschreibung, wie wir uns befunden und was wir seit Lord und Lady Clydes Abreise getrieben.«
»Und für wen ist dieser Brief bestimmt?«
»Für – für – Sie werden überrascht sein, Adelaide; aber bitte, werden Sie nur nicht eifersüchtig – für Theodor Bouverie.«
»Für Theodor Bouverie!!«
»Ja,« entgegnete Lady Ambrosia, einen Husten affektirend, um ihren Farbenwechsel zu verbergen; »ja, ich muß ihm schreiben oder mich des Vorwurfs der Unart aussetzen, wenn ich seinen heute Morgen erhaltenen Brief nicht beantworte.«
»Um Ihren Stellvertreter abzugeben, müßte ich aber doch wohl den Inhalt dieses Briefs erfahren?«
»Mehr noch wie dies, auch die Veranlassung dazu. Denselben Morgen nämlich, als Ihr unglücklicher Liebhaber abreisen mußte, hatte ich zufällig ein tête à tête mit ihm, welches er dazu benutzte, mich zu bitten, ihm das Glück einer Correspondenz mit Ihnen zu verschaffen, worauf ich ihm offen erwiederte, daß Sie eine unüberwindliche Spröde wären, die lieber stürbe, als sich die Unschicklichkeit zu Schulden kommen ließe, in solch eine Verbindung mit einem Mann zu treten, der seinen Antrag noch nicht gemacht.«
»Und das sagten Sie ihm wirklich, Ambrosia?« fragte Adelaide ernst und erröthend.
»Warum nicht? Aber beunruhigen Sie sich nur nicht, denn ich war in einer sehr scherzhaften Laune. Der arme Mensch schien so betrübt über die Trennung von Ihnen, daß ich, als Ihre Freundin und Repräsentantin, Alles versuchte, ihn aufzuheitern und zuletzt versprach, ihm zu schreiben und zu melden, wie Sie seine Abwesenheit ertrügen, wie viel Thränen Sie vergössen, wie viel Seufzer Sie ausstießen u. s. w. Daß er mich beim Wort nehmen würde, dachte ich mir nicht, und Sie können sich leicht vorstellen, wie ich erschrocken bin, als heute dieser Brief ankommt. Er heischt eine augenblickliche Beantwortung, und Sie wissen ja selbst, wie schlecht ich schreibe.«
Adelaide durchlas den kurzen, aber zierlichen Brief, worin Theodor Lady Ambrosia an ihr gütiges Versprechen, ihm zu schreiben, erinnerte; und so augenscheinlich sich der Wunsch, etwas von Adelaiden zu hören, darin aussprach, hatte er doch nicht unterlassen, von dem großen Glück zu schreiben, welches er empfinden würde, wenn Lady Ambrosia ihn mit einer Antwort erfreuen wollte.
Um den Brief noch mit der heute abgehenden Post fortzubringen, verlangte Ambrosia, daß Adelaide ihn nicht allein aufsetzen, sondern, mit ihrer Cousine Namen unterzeichnet, als deren eigenes Machwerk abgehen lassen sollte. Hierzu wollte sie sich jedoch nicht verstehen, da Theodor in der Folge doch leicht einmal die Handschriften der Cousinen zu sehen bekommen könnte; und um Ambrosia die Demüthigung zu ersparen, einem jungen Mann ihr Gekritzel zu zeigen, versprach sie, der Schrift den nöthigen Nachdruck durch Corrigiren zu geben. Und so ward denn von Adelaiden ein höchst geistreicher, scherzhafter Brief entworfen, den Ambrosia möglichst gut copirte, und ihre gefällige Cousine nachher wieder verbesserte. Auch unterließ er nicht, den Eindruck auf den Empfänger zu machen, den sich Ambrosias Eitelkeit davon versprochen; und die Antwort zollte mit enthusiastischer Bewunderung den Tribut, welchen ein solches Meisterwerk verdiente.
Lady Ambrosia zeigte Adelaiden diesen Brief mit solchem Triumph, als ob das Verdienst wirklich ihr eigenes gewesen wäre. Als sie sie aber aufforderte, Theodorn durch eine zweite Epistel zu entzücken, konnte sie doch nicht umhin, zu bemerken, ›daß wenn ihre Cousine sich nur ein wenig anstrengen wollte, sie nicht lange nöthig haben würde, irgend eine Freundin bei ihrer Correspondenz zu Hülfe zu rufen.‹
Diese Bemerkung einer wohlmeinenden Freundin wirkte jedoch so niederschlagend auf Lady Ambrosias grenzenlose Eitelkeit, daß sie sich nicht entschließen konnte, diesen zweiten, noch schönern Brief wie den ersten, nachdem sie ihn abgeschrieben und Adelaide den Schriftzügen eine größere Festigkeit gegeben, abzuschicken; sie nahm vielmehr das Original mit nach Beechbrook und fügte mit ungeheurer Anstrengung ein Postscriptum hinzu, worin sie ihn bat, ihr keine Lobsprüche mehr über ihre Briefe zu sagen, und auch keine Antwort mehr von ihr zu erwarten, ›da Miß Bouverie großes Mißfallen an dieser Correspondenz zu finden scheine.‹
Lady Ambrosia hätte jedoch nicht nöthig gehabt, ein solches Complott zu schmieden, um zu verhindern, daß ihrer Cousine Eitelkeit durch Theodors Lob gesteigert würde, indem diesem vom Schicksal nicht bestimmt war, es zu sehen, denn ehe noch die Nachricht anlangte, daß Lady Bowcastle außer aller Gefahr sei, und Lady Clyde deshalb den folgenden Tag mit ihrem Neffen in Beechbrook eintreffen würde, ward der kleine Friedrich Falkland krank; da Adelaide ihn nicht verlassen wollte, und Lady Ambrosia sich scheute, die Krankenstube zu betreten, sahen sich die Cousinen an dem Tage, wo der Brief kam, nicht, und der nächste Morgen setzte ihren Zusammenkünften vorerst ein Ende. Falkland erklärte nämlich die Krankheit seines Sohnes für das Scharlachfieber, und weder Bitten, Vorstellungen noch Befehle vermochten die dankbare Adelaide von dem Bette des Kindes zu entfernen.
»Nein, mein theurer Vormund!« sagte sie, »ich will den kleinen Friedrich nicht verlassen. Seine Mutter darf sich ihm nicht nahen, da sie seinen Bruder stillt; ich fürchte mich nicht, werde daher ihren Platz als Pflegerin einnehmen und für ihn sorgen, wie für meinen Bruder.«
Falkland theilte Rosalinden mit liebevoller Schonung die betrübte Nachricht mit, so wie, daß Adelaide entschlossen sei, die Wartung des kleinen Kranken zu übernehmen, und überließ es nun ihrer Entscheidung: ob er fremde ärztliche Hülfe herbeirufen, und sich nebst ihr von dem Scharlachpatienten entfernt halten, oder sie und das jüngere Kind ganz meiden, und sich nur dem ältern widmen sollte.
Rosalindens Angst und Sorge kannten keine Grenzen. Ihr leidenschaftliches Gefühl für Falkland ließ sie zuerst den Entschluß fassen, den Knaben fremden Aerzten zu übergeben; als sie aber ihres Gatten stille Resignation bei diesem Ausspruch gewahrte, fiel sie ihm weinend um den Hals und bat ihn, ihr Kind zu retten. Der Gedanke, ihn der doppelten Gefahr, durch den Tod oder durch Adelaiden zu verlieren, auszusetzen, hatte sie im ersten Augenblick überwältigt; doch nach wenigen Stunden kehrte die Vernunft zurück, und so nahm sie mit schwerem Herzen Abschied von Falkland und seiner Mündel, beharrte aber standhaft auf ihrem Vorsatz, im Hause zu bleiben, weshalb denn Mstrß. Aspenfield nach der Priorie kam, ihre betrübte Tochter zu trösten.
Es ergab sich bald, daß. die Krankheit sehr gutartig war. Schon nach zehn Tagen erklärte Falkland den kleinen Friedrich für einen Reconvalescenten, und vier Tage darauf konnte mit der gehörigen Vorsicht ein Zusammentreffen der Familie wieder Statt finden. Rosalindens Freude äußerte sich eben so lebhaft wie ihr Kummer, und mit einem von Dankbarkeit erfüllten Herzen schloß sie Adelaiden in ihre Arme und segnete sie für ihre aufopfernde Pflege.
Die Familie Clyde war unterdessen in Beechbrook angelangt, wo Theodor zu seinem Entsetzen erfuhr, welcher Gefahr Adelaide sich freiwillig ausgesetzt. Er wollte sogleich nach der Priorie eilen, ihr in der Pflege des Kranken beizustehen; doch diesem Vorsatz widersetzten sich Lord und Lady Clyde mit solcher Festigkeit, daß er ihren Befehlen nicht entgegen zu handeln wagte; und so blieb ihm nur der Trost, täglich mehrere Mal selbst Nachrichten einzuholen, auf welchen Spaziergängen Lady Ambrosia, ebenfalls sehr besorgt um ihre Cousine, den jungen Mann begleitete, so daß sie wenig in Beechbrook zu sehen waren.
Adelaide erfuhr diese ängstlichen Nachfragen und erhielt zahllose Briefchen, voll ihrer gemeinsamen Besorgnisse, von Ambrosia. Deshalb fühlte sie sich in ihren Erwartungen sehr getäuscht, als am ersten Abend ihres Zusammenkommens das ängstlich besorgte Paar sie mit weniger Herzlichkeit empfing, als alle Andern, und Ambrosia bei ihrem Anblick ausrief: »Mein Gott! wie entsetzlich elend sehen Sie aus!« ohne der edelmüthigen Veranlassung dieser Veränderung zu erwähnen.
Im Ton des höchsten Unwillens über diese gefühllose Bemerkung entgegnete Rosalinde: »Sehr begreiflich, daß unserer lieben Adelaide Aussehen jetzt weniger blühend ist, wie gewöhnlich, da ihre großmüthige Aufopferung der Ruhe und des Schlafs, ihre stete Sorge um das ihr anvertraute Kind gleich nachtheilig auf ihren Körper und ihr Gemüth gewirkt haben.«
Ein hohes Roth der Schaam und des Verdrusses überzog Ambrosias Wangen. Sie stand rasch auf, Abschied zu nehmen, da, wie sie sagte, Lady Beechbrook ihr den Auftrag ertheilt, gleich zurückzukehren, nachdem sie die ganze Familie für den folgenden Mittag bei Mstrß. Falkland gemeldet. Adelaide fühlte ihr Erglühen bei der Verkündigung dieses Besuchs, auch Theodor erröthete, und sobald er das Zimmer mit seiner schönen Gefährtin verlassen hatte, rief Rosalinde:
»Welch ein absurdes, albernes Benehmen von Lady Ambrosia, den jungen Mann schon so bald wieder mit sich fortzureißen, da sie doch selbst wissen kann, wie gern er geblieben wäre, und daß nur Höflichkeit ihm gebot, sie zu begleiten!«
Gleich darauf verließ Falkland das Zimmer und kehrte erst spät zurück.
»Wo bist Du so lange gewesen, mein theurer August?« fragte Rosalinde. »Nach einer so grausamen Trennung darfst Du mich jetzt gar nicht verlassen.«
»Ich ging nach Beechbrook, um um dort zu sagen, daß wir uns sehr freuten, sie morgen bei uns zu sehen.«
»Das ließen wir ja schon durch Lady Ambrosia sagen!« entgegnete Rosalinde rasch.
»Allerdings; aber ich glaubte, sie würden mit größerer Beruhigung unser Haus betreten, wenn ich ihnen selbst sagte, daß alle Gefahr der Ansteckung vorüber sei.«
Das Gespräch wurde nicht weiter fortgeführt, doch entging Adelaiden nicht, daß sich ihres Vormunds sonst so heitre Stirn nach seiner Zurückkunft von Beechbrook getrübt hatte.
Sie stand am andern Morgen nach einem festen, sanften Schlaf gestärkt auf, und sah nicht mehr so entsetzlich elend aus, als am vergangenen Tage, welche Bemerkung ihr selbst nicht unlieb war, da eine leise Stimme ihr zuflüsterte, daß Theodor gewiß im Laufe des Morgens kommen würde. Und wirklich hatte sie sich in dieser Vermuthung nicht getäuscht; denn gleich nach dem Frühstück langte er mit Lady Ambrosia zu Pferde an, welche sagte, daß sie gekommen wären, Adelaiden zu einem Spazierritt abzuholen. Diese ließ sich hierzu nicht lange bitten, sondern eilte in ihr Zimmer, sich dazu anzukleiden,
»Aber warum kommen Sie in dem alten, verwachsenen Reitkleide?« fragte Rosalinde erstaunt, »da Sie doch ein weit schöneres, neues haben.«
Adelaide erwiederte erröthend: »– weil – weil – Sie wissen ja, Mstrß. Falkland, daß es mir durchaus nicht paßte.«
In diesem Augenblick trat Lady Ambrosia herein, und Rosalindens erster Blick auf sie gab ihr Aufschluß, was Adelaide mit ihrem neuen, schön verzierten, höchst wohlkleidenden Reitkleid gemacht hatte.
Miß Bouveries Pferd ward jetzt gemeldet, Falkland begleitete die Damen hinaus, wünschte ihnen viel Vergnügen und bat, nur Lady Ambrosia die Führung nicht anzuvertrauen.
»Weshalb?« fragte Adelaide.
»Weil sie,« entgegnete Falkland, »es gestern Abend auf ihrem Heimweg möglich machte, sich mit ihren Gefährten dergestalt zu verirren, daß sie nicht eher in Beechbrook anlangten, als in dem Augenblick, wo ich dort Abschied nahm.«
»In der That, ein wahres Kunststück!« sagte Adelaide lächelnd.
»Spotten Sie nur,« erwiederte Lady Ambrosia mit einem bezaubernden Lächeln; »aber wir hatten uns so sehr vertieft in der Unterhaltung über Sie, und Ihrer ausgestandenen Gefahr, daß wir den rechten Weg verfehlten.«
Adelaide erröthete bis an die Fingerspitzen, und Theodor zitterte so sehr, daß er kaum fähig war, den Damen beim Aufsteigen Beistand zu leisten.
Unsre Heldin, früh ans Reiten gewöhnt, zeigte sich als eine vortreffliche Reiterin, während Lady Ambrosia sich ängstlich und linkisch benahm, und ihres Begleiters Hülfe unaufhörlich in Anspruch nahm. Adelaide freute sich seiner geduldigen Güte, und kehrte höchst befriedigt von ihrem Ausflug nach Hause zurück, um noch vor Tische Toilette zu machen. Rosalinde hatte verlangt, daß sie sich ihr nach Beendigung derselben erst präsentiren sollte; und als sie nun mit Sorgfalt gekleidet, durch den Morgenritt von einer frischern Farbe belebt, vor Mstrß. Falklands prüfenden Augen erschien, mußte diese sich gestehen, daß, obgleich ihre Schönheit durch die kürzlich erlittene Anstrengung und Angst an Glanz verloren hatte, ihr ganzer Anblick doch etwas so Zartes, Anmuthiges und Elegantes gewährte, daß Niemand, wie sie hoffte, ihr zu widerstehen im Stande sein würde.
Lord und Lady Beechbrook, so wie Lord und Lady Clyde, überhäuften Adelaiden mit so vieler Güte und Freundlichkeit, daß sie sich schon aus Dankbarkeit verpflichtet fühlte, sich ihnen in ihrer ganzen Liebenswürdigkeit zu zeigen. Letztere konnten sich nicht genug über die vortreffliche Wahl ihres Pflegesohns freuen, und nur mit Mühe gewann es Lord Clyde über sich, nicht in Anspielungen auf die bevorstehende Verbindung auszubrechen.
Bei Tische saß Theodor zwischen den beiden Cousinen, schien aber so zerstreut, so unfähig, oder so wenig geneigt in irgend eine Art von Unterhaltung einzugehen, daß Adelaide nicht wenig erstaunt, beleidigt und gekränkt sich nach mehreren fruchtlosen Versuchen von ihm abwendete, und mit ihrem andern Nachbar, Lord Clyde, ein lebhaftes Zwiegespräch begann. Dieser, dem das sonderbare Benehmen längst aufgefallen war, konnte sich seines Neffen Geistesabwesenheit nicht anders erklären, als durch die Vermuthung, daß er den Pegasus bestiegen und seinen Flug auf den Parnaß genommen, die Reize der liebenswürdigen Adelaide in einem schönen Gedicht zu besingen. Dieselbe Idee erfüllte auch Lady Clydes Gemüth, und beruhigte sie über seine anscheinende Gleichgültigkeit.
Um sich die Demüthigung zu ersparen, eine untergeordnete Rolle zu spielen, welches Loos Lady Ambrosia zugefallen wäre, wenn der Nachmittag mit Musik ausgefüllt worden, schlug sie schnell einen Spaziergang in den nächsten Umgebungen der Priorie vor, zu welchem Adelaide und Theodor sich bereitwillig finden ließen. Hier nun begann Ihre Herrlichkeit ein loses, kindisches Spiel mit ihrem jungen Begleiter, fesselte ihn mit Blumenketten, schlug ihn mit schwanken Baumzweigen, und warf ihm Gras und Blumen ins Gesicht. Doch auch diese Unterhaltung genügte ihr nicht lange, weshalb sie vorschlug, die große Landstraße aufzusuchen, um Abenteuern zu begegnen.
Theodor zeigte sich auch hierin ihren Wünschen geneigt, und Adelaide wollte Falklands Gästen nicht entgegen sein, so wenig anziehend sie den Vorschlag auch fand. Das Betragen des jungen Mannes erschien ihr höchst sonderbar. Zwar verlangte sie nicht, daß er ihr seine Aufmerksamkeit ganz widmen sollte; aber so ganz als ein Nichts von einem Menschen betrachtet zu werden, von welchem es bekannt war, daß er mit Bewilligung seiner Freunde und Verwandte als ihr ernstlicher Bewerber in diesem Kreise aufgetreten, kam ihr doch sehr wunderbar vor. Theodors Benehmen hatte sich seit seinen Besuchen bei Mstrß. Aspenfield auffallend verändert, und sie fühlte, daß ihre Cousine sich nicht so betrug, wie sie sich hätte betragen sollen.
Jetzt hatten sie die Landstraße erreicht, und nun schlug Ihre Herrlichkeit einen Seitenweg durch ein weites Hopfenfeld ein, der zu schmal für drei Personen war. Mechanisch hatte sie Theodors Arm ergriffen. Er bot sogleich Adelaiden den andern an; doch nicht gewohnt, sich solche Vertraulichkeit mit Männern zu gestatten, außer in Schutz bedürftigen Fällen, und keineswegs mit seinem Betragen zufrieden, dankte sie ihm höflich, aber kalt und ging allein hinter her. Ambrosia und Theodor schienen ihre Anwesenheit bald gänzlich zu vergessen, und eilten im eifrigen Gespräch so schnell vorwärts, daß Adelaide ihnen nicht mehr folgen konnte. Sie kehrte deshalb wieder um bis an den Eingang in das Hopfenfeld, wo sie sich in Erwartung ihrer Rückkehr niedersetzte, fest entschlossen, den Schatten eines Liebhabers nicht zu verfolgen, wenn er sich in der Wirklichkeit von ihr gewendet.
Obgleich zum ersten Mal in ihrem Leben allein auf einer Landstraße, fühlte Adelaide doch keine Besorgniß, da sie in der Ferne eine Hütte sah, deren Bewohner ihrer und Mstrß. Falklands Güte viel verdankten. Anfänglich verlor sie sich in Betrachtungen über das jüngst Erlebte; als ihr aber einfiel, daß ein solches müssiges Nachdenken von dem jungen Paar für Schmerz getäuschter Hoffnung angesehen werden könnte, zog sie ihre Schreibtafel hervor und begann eben einige Umrisse zu entwerfen, als sie die Flüchtlinge zurückkehren sah. Lady Ambrosia bestürmte sie mit Vorwürfen über ihre unverantwortliche Flucht, und versicherte halb todt vor Angst zu sein, daß sie von Walton, oder irgend einem andern Glücksjäger entführt worden sein könnte.
»Die Flucht war nicht von meiner, sondern von Ihrer Seite, Ambrosia!« entgegnete Adelaide, ihre Schreibtafel ruhig wieder einsteckend. »Und da ich mich nicht aufgelegt zu einem einsamen Spaziergang fühlte, ließ ich mich hier, Ihrer wartend, nieder, um die Honneurs bei Herrn Falklands Gästen, welche die Anlagen um die Priorie besehen hatten, zu machen. – Sie haben den Schlüssel, Herr Bouverie; wollen Sie so gütig sein, uns die Pforte zu öffnen, wenn Sie und meine Cousine ihren Spaziergang beendet haben?«
Um seine Verwirrung zu verbergen, flog Theodor an die Thür; und als er weit genug von ihnen entfernt war, sagte Lady Ambrosia hastig:
»O, Adelaide! ich kann es nicht ertragen, von Ihnen verkannt zu werden. Herr Bouverie fühlte sich beleidigt, daß Sie seinen Arm ausgeschlagen, und beredete mich deshalb, rasch mit ihm vorwärts zu gehen; und – und – dann; aber verrathen Sie mich nicht – aus Furcht, Sie möchten nur aus Achtung vor den Wünschen Ihres Onkels sein werden, ohne ihn zu lieben, hat er mich überredet, ihm beizustehen, Ihr Gefühl für ihn auf die Probe zu stellen, indem ich Sie zur Eifersucht reizte.«
»Und wie bewundrungswürdig, gefällig und freundschaftlich haben Sie sich gegen diesen neuen Verbündeten benommen, liebste Ambrosia! Doch möchte ich Ihnen rathen, ihm bei der ersten Gelegenheit von der höchsten Autorität zu versichern, daß Sie in dieser Verschwörung eine Rolle übernommen, die niemals günstig ausfallen wird. Was noch nicht existirt hat, kann nicht auf die Probe gestellt werden; und alle Ihre mächtigen Reize, meine theure Cousine! möchten in dem Unternehmen scheitern, das grünäugige Ungeheuer in meinem Innern zu erwecken.«
Die Thüre zu den Anlagen um die Priorie war nun geöffnet. Adelaide wollte rasch hineingehen, besann sich jedoch und ließ ihrer Cousine den Vorrang, die mit schlecht verhehltem Mißmuth über Adelaidens Ungläubigkeit, vor ihr eintrat.
Gekränkt und betrübt über diese offenbare Falschheit einer Verwandten, die sie aufrichtig liebte, und gegen welche sie sich so freundschaftlich bewiesen, bemühte sich Adelaide dennoch, ihre gedemüthigte Eitelkeit zu überwinden und den Gästen ihres Vormunds die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen. Aber so sehr sie auch darnach strebte, eine gewöhnliche Unterhaltung mit Lady Ambrosia und Theodor in Gang zu bringen, scheiterten doch alle ihre Bemühungen an Ihrer Herrlichkeit übler Laune, während Theodor stumm und zerstreut, im Bewußtsein seines unredlichen Benehmens, sich nicht zu fassen im Stande war. Durch Bethörung zu einem unverantwortlichen Betragen verleitet, lebte er in steter Furcht vor einer Erklärung, die ihn mit Schaam überhäufen und unvermeidlich von einem Wesen trennen würde, das sein besseres Gefühl durch Schmeichelei erstickt und ihn vermocht hatte, jedem Tadel Trotz zu bieten.
»Unsre Vermuthungen sind nicht gegründet,« rief Lady Clyde lächelnd aus, als die drei Fußgänger wieder eintraten. »Wegen Ihres langen Ausbleibens fürchteten wir, daß Theodor mit einer der liebenswürdigen Cousinen die Flucht nach Hymens Tempel jenseits des Tweeds ergriffen, und daß die Andere ihnen freundschaftlichst Gesellschaft geleistet.«
Adelaidens und Theodors Erröthen ward Allen sichtbar; Lady Ambrosia entging jedoch der Beobachtung, weil Niemand sie in dieser Beziehung angesehen. Adelaide nahm ihren Platz zwischen Lord Beechbrook und Lord Clyde, weit von Theodor entfernt; doch Ersterer wartete nur eine passende Gelegenheit ab, um plötzlich aufzuspringen und eine Frage an Falkland zu richten, und Lord Clyde rief jetzt seinen Neffen herbei, sich bei ihm nach etwas zu erkundigen.
Mechanisch nahm Theodor den leeren Stuhl ein, und gleich darauf stand auch Lord Clyde auf, sich in das Gespräch der Damen Clyde und Falkland zu mischen. Nicht gesonnen, die erzwungenen Huldigungen ihres abtrünnigen Ritters abzuwarten, rief Adelaide ihre Cousine zum Beistand herbei; aber auch hierdurch fühlte sich Theodor nicht erleichtert, und verharrte in seinem verlegenen Schweigen, so daß Lady Beechbrook, in der Meinung, daß Ambrosias Gegenwart ihm Zwang auferlegt, diese zu sich entbot und ihr Vorwürfe machte, sich bei dem jungen Paare einzudrängen, welches, nun bald für immer verbunden, jede Gelegenheit suchte, sich allein zu unterhalten.
»Meine Cousine rief mich zu sich, es ist ihr fatal mit Herrn Bouverie allein zu sein, da sie so übertrieben verschämt ist,« entgegnete Lady Ambrosia mit unnachahmlicher Keckheit.
Falkland, dem jeder Zug in Adelaidens Gesicht die Gefühle ihrer schuldlosen Seele verrieth, sah, daß sie unter dem Schleier der Heiterkeit eine große Unruhe zu verbergen strebte, und, den Grund vermuthend, beobachtete er Theodor und Lady Ambrosia genauer, und ehe noch seine Gäste Abschied genommen hatten, war die Vermuthung zur Gewißheit bei ihm geworden. Er beschloß, falls Adelaide ihm ihr Vertrauen nicht freiwillig schenken sollte, es am folgenden Morgen von ihr zu fordern und ihr gedrücktes Herz zu erleichtern.
Kaum waren die Gäste fort, als Adelaide, nach Einsamkeit und Ruhe verlangend, Ermüdung vorgab und sich in ihr Zimmer zurückziehen wollte. Im Fortgehen wandte sie sich jedoch noch einmal um, und bat ihren Vormund um Erlaubniß, den nächsten Morgen nach Seaview gehen, und ein Bad nehmen zu dürfen.
»Ich werde Sie begleiten und ebenfalls baden,« sagte Mstrß. Aspenfield.
»Dann könnten wir bei Ihnen frühstücken, liebste Mstrß. Aspenfield,« entgegnete Adelaide schmeichelnd, »und hernach nach Dover fahren, um Spielsachen für Friedrich zu kaufen.«
»Wozu dieses Weglaufen?« rief Rosalinde lachend. »Ich verwette mein Leben, Sie haben eine Ahnung, daß Ihnen morgen eine fürchterliche Frage vorgelegt werden soll.«
»Nein, Mstrß. Falkland!«erwiederte Adelaide, bemüht ihre innere Bewegung zu verbergen; »aber ich wünsche allerdings ein Bischen aus dem Wege zu gehen, um nicht den Anschein zu haben, als säße ich zu Hause in Erwartung der Leute, die da kommen könnten.«
»Nun, so rathe ich Ihnen, sich vorzubereiten auf das, was der morgende Tag bringen kann,« sagte Rosalinde. »Wir essen in Beechbrook, und Ihr Davonlaufen am Morgen wird die Sache nur beschleunigen. Ich sehe, Sie sind trotz Ihrer Jugend bewundrungswürdig schlau.«
»Der morgende Tag wird vielleicht unerwartete Begebenheiten zum Vorschein bringen,« sagte Adelaide stockend; denn die Aussicht auf das Mittagsessen in Beechbrook erfüllte sie mit Angst, wegen einer Wiederholung der Leiden und Kränkungen der letztern Tage; und um das Gespräch abzubrechen, bot sie ihren Freunden eine gute Nacht und eilte in ihr Zimmer.
Hier nun überlegte sie die Begebenheiten der jüngsten Vergangenheit, prüfte, ob ihres Onkels Wunsch sie allein willig zur Erfüllung ihrer Pflicht gemacht, oder ob Vorliebe für Theodor sich dazu gesellt. Je mehr sie sein Betragen zergliederte, desto gewisser überzeugte sie sich von seiner Unbeständigkeit. Er war nicht der Mann, wie ihn Montagu geschildert; nicht dazu geeignet, ihr Herz auszufüllen. Auch fühlte sie, daß ihr Onkel, falls er je zurückkehren sollte, nicht bedauern würde, ihre Verbindung mit ihm aufgehoben zu sehen. Nach dieser Erkenntniß schlug ihr Herz ruhiger, eine Last war von demselben genommen; die Vernunft gewann wieder die Oberhand und bezeichnete ihr den Plan, den sie morgen zu verfolgen hatte.
Da Mstrß. Falkland den längern Ausflug nach Dover nicht gebilligt hatte, begnügte sich Adelaide damit, nach eingenommenem Bade die ferner liegenden Hütten in Seaview zu besuchen, ehe sie nach der Priorie zurückkehrte. De Moreland Schloß lag in ihrem Weg; da sie den Schlüssel zum Garten bei sich hatte, trat sie hinein und sah ihren theuren Vormund darin auf und nieder wandeln.
»Adelaide, mein geliebtes Kind!« sagte er, ihre Hand ergreifend und ihr scharf ins Auge blickend; »wie ist Dir Dein Bad bekommen? Ich ritt herüber, mich selbst davon zu überzeugen, denn ich müßte ja ein Ungeheuer von Undankbarkeit sein, bewachte ich Dich nicht mit der zärtlichen Sorgfalt eines Vaters.«
»O,« entgegnete Adelaide mit bewegter Stimme, »ich habe zu befürchten, daß Sie mich für ein Ungeheuer von Undankbarkeit halten könnten, weil ich diesen Morgen ihr väterliches Dach verließ, ohne Ihnen zu vertrauen, welch eine demüthigende Entdeckung ich gemacht; aber ich wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, die mir Ihre Sorgfalt nun herbeigeführt.«
Und somit erzählte sie, erröthend und mit bewegter Stimme, was sich seit den letztern Tagen zugetragen, und erwähnte auch Ambrosias Behauptung, daß diese ganze Scene nur gespielt worden sei, ihre Liebe auf die Probe zu stellen.
»Nein, meine Liebe!« rief Falkland unwillig; »die Scene war kein bloßes Spiel. Ich habe diesen Morgen den unleugbarsten Beweis erhalten, daß Deine Cousine falsch und Bouverie schlecht und treulos ist. Mellifort, der dankbare Mellifort, wohl wissend, wie mir das Glück meines Kindes am Herzen liegt, suchte mich heute ganz früh auf, mir zu sagen, daß er auf seinem Morgenspaziergang Lady Ambrosia und Theodor tête à tête, und in so ernstlicher, selbstvergessener Unterhaltung gefunden, daß ihm kein Zweifel an ihrer gegenseitigen Liebe mehr geblieben.«
Der trauernde Blick und die überfließenden Augen seiner geliebten Mündel erweckten Falklands Mitgefühl, und er drückte ihr bewegt die Hand.
»Mein theurer, theurer Vormund!« rief Adelaide. »Ich verstehe Ihren sprechenden Blick. Sie fürchten, daß ich eine zärtliche Neigung für den treulosen Mann im Herzen trage; das ist aber nicht der Fall. Denn obgleich ich gestern nahe daran war, in diesen betrüglichen Abgrund zu stürzen, diente mir sein Betragen noch zeitig genug als Warnung; und heute habe ich das volle Bewußtsein der entgangenen Gefahr. Wenn ich jedoch Symptome eines tief verwundeten Gefühls verrathen habe, sind sie nicht minder wahr und aufrichtig. Ich liebte Ambrosia wie eine Schwester, und ich glaubte unsre Anhänglichkeit gegenseitig. Nie würde ich Theodor geheirathet haben, selbst wenn ich die zärtlichste Liebe für ihn gefühlt, hätte ich ahnen können, Ambrosia dadurch weh zu thun; aber sie hat ihn, ohne Rücksicht auf meine Empfindungen, von mir gelockt; sie hat mich betrogen, während sie Sorge für meine Gesundheit heuchelte; sie sucht mich immer noch zu hintergehen, und diese Ueberzeugung kränkt mein liebendes, getäuschtes Herz. Nach dieser Entdeckung kann ich Theodor Bouverie nicht länger als meinen Bewerber betrachten; doch bitte ich Sie, dieses Geheimniß fürs Erste unter uns Beiden bestehen zu lassen. Wenn Sie meine Gründe hören, werden Sie sie billigen.
Da Unbeständigkeit mich meines Liebhabers beraubt hat, halte ich es meiner Würde nicht für angemessen, daß dieser Bruch durch mich oder meinen Vormund bekannt wird, als ob wir uns durch diese getäuschte Hoffnung erzürnt fühlten. Und da meine eigene Cousine, von der man weiß, daß sie mir Verbindlichkeit schuldig, die Ursache dieser Untreue ist, widerstrebt mein Gefühl, sie dem Tadel, und vielleicht selbst durch Einmischung der Verwandten, dem Verlust des Mannes auszusetzen, um dessen Besitz sie so viel Liebenswürdiges aufgeopfert hat. Im Lauf der nächsten Tage wird das rücksichtslose Betragen dieses noch heimlichen Liebespaares sie Allen verrathen; und dann kann mein theurer, mein verehrter Vormund ganz so handeln, wie es ihm sein Schicklichkeitsgefühl und seine Liebe für mich eingiebt.
Als zweiten Grund führe ich an, daß, selbst wenn es in Lord und Lady Clydes Macht stände, mir das Herz ihres Neffen wieder zuzuwenden, ich es nicht annehmen würde. Ich weiß, mein geliebter Onkel und Montagu Bouverie würden mir nicht zürnen, wenn ich es abwiese; doch wünsche ich, daß mein Onkel, sollte er je zurückkehren und es erfahren, davon benachrichtigt würde, daß ich keine kleinliche Eifersucht zum Vorwand genommen, mich seinem Willen zu widersetzen.
Eine neue Demüthigung ist es für meinen Stolz, daß selbst meine Freunde glauben müssen, ich erwartete gehorsamst die Anträge des Herrn Bouverie; doch hoffe ich, soll mein Benehmen, fern von Aufmunterung, obgleich keineswegs zurückstoßend, diesem irrigen Wahn entgegenarbeiten.«
Falkland, welcher befürchtet hatte, Rosalindens unglücklichem Hange zur Eifersucht durch diese aufgelös'te Verbindung neue Nahrung zu geben, willigte freudig in Adelaidens Wunsch, die Sache geheim zu halten und sagte:
»Wenn diese Art und Weise des Verhaltens den Gefühlen meines lieben Kindes am meisten zusagt, wollen wir sie ebenfalls für einige Tage annehmen, aber, liebe Adelaide, bist Du auch gewiß, Scenen, gleich den gestrigen, ertragen zu können, ohne Deinen weiblichen Stolz verwundet zu sehen?«
»Da ich sie gestern unvorbereitet zu ertragen im Stande war, brauchen Sie heute nicht für mich zu fürchten. Ich hoffe, Ihnen zu beweisen, daß Ihre zwölfjährige Erziehung an mir nicht erfolglos gewesen, und daß ich meinem gütigen Lehrer Ehre machen werde.«
Nach diesem Gespräch kehrte Adelaide zu Mstrß. Aspenfield zurück, wo ein Billet Rosalindens ihrer schon harrte, in welchem sie Adelaiden verbot, von Hütte zu Hütte zu laufen und sich bis zum Tode zu ermüden, da, wie sie erfahren, eine große Gesellschaft in Beechbrook sein würde. Der Wagen ward in diesem Augenblick gemeldet, und so fuhren die Damen sogleich nach der Priorie zurück.
» Nun,« rief Rosalinde im Ton des Erstaunens, als sie Adelaiden erblickte, was haben Sie mit dem liebekranken Theodor angefangen?«
»Es stand nicht in meiner Macht, ihm Gutes oder Böses zu erweisen,« sagte Adelaide, indem sie sich herabbeugte, den kleinen Danvers zu küssen, da ich ihn heute noch nicht gesehen habe.«
»Sie sehen mich in Erstaunen! Als ich Ihr sehr passendes Geschenk, die Fische, an Lady Beechbrook sandte, erhielt ich einen schriftlichen Dank, worin sie erwähnt, daß Ihr blöder Schäfer, nachdem er von meinem Boten erfahren, daß Sie in Seaview wären, sich eiligst mit Lady Ambrosia auf den Weg gemacht, Sie dort aufzusuchen.«
»Das würde heute ein schweres Geschäft gewesen sein,« entgegnete Adelaide, erröthend, »da ich mich in labyrinthischen Wegen herumgetrieben.«
Rosalinde beschleunigte ihre eigene Toilette, um bei der Adelaidens gegenwärtig zu sein. Falkland kehrte erst spät zurück, so daß ihm nur die nöthige Zeit blieb, sich umzukleiden, weshalb Rosalinde erst im Wagen fragen konnte, wo er so lange geblieben?
»Ich bin mit Lord Beechbrook in Hythe in den Barracken gewesen,« entgegnete er, »um aus ein Paar gemeinen Schiffern zwei Cavallerieofficiere zu machen.«
»Und durch welchen Prozeß ward, diese Umwandlung bewerkstelligt?« fragte Rosalinde.
»Durch den einfachen des Kleiderwechsels. Zwei Husarenofficiere hatten sich nämlich den Spaß gemacht, in der vergangenen Nacht als Fischer verkleidet, so nahe an die französische Küste zu fahren, als die Klugheit erlaubt, um das dortige Lager in Augenschein zu nehmen. Diesen Morgen kehrten sie mit einer großen Quantität Fische zurück, welche sie dem Eigenthümer des Boots in Seaview zu verkaufen gestatteten.«
»Ach!« rief Adelaide, »dann habe ich wohl von diesen Fischen heute Morgen gekauft; denn ich war sehr erstaunt, ein Paar ungewöhnlich weiße Hände sie ausbieten zu sehen, während der Verkäufer sich so linkisch und unbeholfen bei dem Geschäft benahm, daß ich nachher zu Norah sagte: ›ich bin überzeugt, der Fischverkäufer war ein verkleideter Gentleman.‹«
»So war es also Dein Einkauf, den er an den Ort seiner Bestimmung brachte, als Lord Beechbrook, welcher auf den Fischhandel ausging, ihn anrief und einen Bruder Pair in ihm erkannte. Nun folgte eine Auseinandersetzung, und Lord Beechbrook lud den jungen Abenteurer nebst seinem Freund ein, diesen Mittag bei ihm zu essen, wo sie einen ihrer Oberstlieutenante, Sir Charles Longuiville, mit seiner jungen Frau, der reichen Miß Beverly, von Yorkshire, finden würden. Da er je doch befürchtete, sie möchten nicht Wort halten, beschloß Lord Beechbrook selbst noch einmal nach Hythe zu reiten. Ich begegnete ihm; er wünschte meine Begleitung, und wir mußten eine geraume Zeit warten, bis das Boot mit Adelaidens vornehmen Fischern nach Hythe zurückkehrte.«
»Haben diese Abenteurer keinen Namen?« fragte Rosalinde.
»Der Eine ist ein Capitain Clayton, der Andere ein ehemaliger Anbeter von Lady Ambrosia, wie sie uns benachrichtigt hat, Lord Aberavon.«
»So ist Lady Ambrosia wohl der Magnet, der ihn heute nach Beechbrook zieht, nachdem er eine schlaflose Nacht im Boot auf der See zugebracht?«
»Sehr möglich, Rosalinde,« entgegnete Falkland lächelnd. »Aber Adelaide, wie kamst Du dazu, Se. Herrlichkeit mit Deinem Einkauf nach Hause zu schicken?«
»Ich hatte es ihm nicht aufgetragen,« sagte Adelaide erröthend, »sondern dem Manne, den ich dafür bezahlte; da bot aber dieser verkleidete Pair seine Dienste an und sagte, er wollte sogleich selbst gehen, wenn ich ihm nur meinen Namen und Wohnort nennte. Schon war ich im Begriff, es zu thun, als Norah, die ihm aber nicht recht traute, mir rieth, ihn an Mstrß. Aspenfield mit ein Paar Worten zu schicken. So schrieb ich mit Bleistift einige Zeilen, und ersuchte Mstrß. Aspenfield die Fische an Mstrß. Falkland zu schicken, auf daß sie nach Belieben damit schaltete und waltete.«
»Welche Zeilen Sie ihm offen mitgaben,« sagte Rosalinde, »und woraus er Ihren Namen und Wohnort ersah. Aber nun vertraute er Lord Beechbrook doch wohl, wer ihn gesandt?«
»Keineswegs,« erwiederte Falkland. »Er sagte nur, daß er der Käuferin versprochen, die Fische nach Hause zu tragen, und da sie das schönste Mädchen sei, das er je gesehen, möchte er sein Wort nicht um zehn tausend Welten brechen.«
Unterdessen waren sie in Beechbrook angekommen, und beim Eintritt ins Haus erhielt Adelaide von Lady Ambrosia die Botschaft, sie doch vorher in ihrem Zimmer aufzusuchen, ehe sie zur Gesellschaft ginge.
Mit Zittern und Herzklopfen folgte Adelaide dieser Aufforderung, der sie keinen andern Zweck, als Ambrosias Wunsch sich zu rechtfertigen und zu entschuldigen zuschrieb. Doch aus dieser Verlegenheit sah sie sich bald gerissen, indem sie Ihre Herrlichkeit bei der Toilette beschäftigt fand, und sogleich erfuhr, daß sie ihres Beistandes hierzu bedürfe.
»Adelaide, wie sehen Sie heute schön aus!« rief Ambrosia mit einem Ausdruck, der nicht allzu viel Zufriedenheit darüber verrieth. »Ich glaube wirklich, Sie haben es dem allerliebsten Perlenhalsband zu verdanken; denn nichts ist wohlkleidender als ein solcher Halsschmuck mit einem Schloß von Smaragden. O! daß ich doch auch eins hätte, es würde zu meinem Gesicht sehr gut stehen!«
»Dieser Wunsch kann bald erfüllt werden,« entgegnete Adelaide ruhig; »Sie brauchen ihn nur gegen Herrn Theodor Bouverie auszusprechen, und ein Perlenhalsband mit smaragdenem Schloß wird das erste Geschenk sein, das er seiner liebenswürdigen Braut überreicht.«
»Pah!« rief Lady Ambrosia höchst verlegen. »Herrn Bouveries Geschenke an seine Braut können mir nichts helfen, da ich heute ein solches Halsband zu tragen wünsche, heute – weil Lord Aberavon diesen Mittag hier speisen wird. Er wußte, daß ich hier war, und führte sich deshalb selbst bei meinem Vormund ein, um eingeladen zu werden.«
»Lord Aberavon kann Ihnen jetzt doch nur ein gleichgültiger Gegenstand sein,« sagte Adelaide. »Nachdem Sie Herrn Theodor Bouverie so viel Aufmunterung gegeben, ist es nicht mehr zweifelhaft, welcher von beiden Liebhabern der Begünstigte ist. Sie müßten sonst ehrgeiziger sein als ich Ihnen zugetraut, und dem Zauber der Grafenkrone die Macht zugestehen, Sie von dem Pfad der Beständigkeit abzuziehen.«
»Nein,« sagte Ambrosia, deren Eitelkeit durch die Voraussetzung, daß sie nur unter zwei Liebhabern zu wählen habe, zu sehr beleidigt war, um ihr zu gestatten, über ihre deutlich ausgesprochene Falschheit zu erröthen; »das Einzige, was mich zur Unbeständigkeit veranlassen könnte, wäre der Wunsch, einen meiner Liebhaber derjenigen zu überlassen, die so lange nach ihm getrachtet hat.
»Das ist in der That eine neue Güte, die Sie dieser armen, in Liebe versunkenen Dame erweisen,« entgegnete Adelaide mit dem Lächeln unbesiegbarer guter Laune.
»Aber wir sind ganz von der Hauptsache abgekommen,« sagte Lady Ambrosia, sich wieder fassend. »Liebe, liebe Adelaide, Sie sind immer so gut und freundlich gegen mich, daß Sie mir auch jetzt gewiß nicht die Bitte abschlagen werden, an deren Erfüllung mein ganzes Herz hängt. Lassen Sie mich nur heute Ihr Halsband tragen.«
»Es thut mir leid, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können, liebe Ambrosia; Mstrß. Falkland hat selbst dieses Halsband heute für mich erwählt, und es würde sie beleidigen, wollte ich es Ihnen. geben.«
»Hol' der Kuckuck Mstrß. Falkland!« rief Lady Ambrosia im Ton des Zorns. Ihr Anzug war nun vollendet, und sie schlug Adelaiden vor, Arm in Arm in die Gesellschaftszimmer zu treten, wie ihre Schwestern immer zu thun pflegten, was einen vortrefflichen Eindruck machte.
Und so gingen denn die schönen Cousinen durch die geöffneten Zimmer, die Eine mit dem Bewußtsein ihrer Reife, die Andre mit niedergeschlagenen Augen, mit dem Ausdruck der Bescheidenheit, weder Bewunderung fördernd, noch erwartend.
Und doch ruhte ein Blick, den sie am wenigsten erwartet hatte, bewundernd auf dem Ebenmaaß ihrer schönen Gestalt, und innerlich rief Theodor Bouverie aus:
»Wie bezaubernd schön ist sie! Wer sollte es glauben, daß solch eine vollkommene Hülle ein so kaltes Herz enthielte!«
Aber ein Blick aus Lady Ambrosias Liebe lehrenden beredten Augen, rief seine abschweifende Verehrung ausschließend zu ihr zurück; und in dem Glanz ihrer Reize, ihrer schwärmerischen Anhänglichkeit, ihrer schmelzenden Zärtlichkeit, ihres Reichthums geistiger Schätze, ihrer bezaubernden Briefe, die ihn zuerst auf ihre Vorzüge aufmerksam gemacht, ging alle Erinnerung an das Wesen, für das er bestimmt war, verloren.
Adelaide nahm ihren Sitz so fern von Theodor wie möglich, und wußte es geschickt so einzurichten, daß die beiden ältesten Kinder Lord Beechbrooks, ein Knabe von neun und ein Mädchen von sieben Jahren, sich zutraulich zu ihr setzten und eine lebhafte Unterhaltung begannen. Auch vergaß sie sich wirklich so ganz darüber, daß sie nicht bemerkte, welche Künste Lady Ambrosia anwandte, Lord Aberavon und Theodor an ihre Seite zu fesseln. Mit Ersterm sprach sie wie mit einem alten Bekannten, während sie Theodor durch kurze, aber inhaltsreiche Worte festzuhalten wußte, worüber Lord und Lady Clyde ihr Erstaunen nicht ganz verbergen konnten.
Die Gesellschaft war nun beisammen, und bestand außer der Falklandschen Familie, aus Sir Charles und Lady Longuiville, Lord Aberavon und Capitain Clayton.
Lady Longuiville, obgleich schon seit drei Monaten verheirathet, trat jetzt zuerst als junge Frau in dem Quartier, wo ihres Mannes Regiment stand, auf. Da sie eine reiche Erbin, volljährig und im Besitz ihres Vermögens war, wunderte sich Niemand, daß sich der hübsche, elegante Sir Charles um sie beworben; denn obgleich sie keine äußern Vorzüge hatte, zeichnete sie sich doch durch einen so gebildeten Geist, durch so viel heitere Laune und anziehendes Wesen aus, daß Jedermann überzeugt war, Sir Charles würde glücklich mit ihr werden, und sich belohnt fühlen für das Opfer, – welches er seinen Empfindungen, seiner großen Abneigung gegen reiche Heirathen gebracht. Es war unumgänglich nöthig gewesen, um für sieben Geschwister zu sorgen, die durch ihres Vaters blinde Zärtlichkeit für die Mutter, welche er im Besitz des ganzen Vermögens gelassen, das sie bald darauf mit einem elenden Verschwender verpraßt, arm und verlassen ihm anheimgefallen waren.
Lord Aberavon hatte eben sein vier und zwanzigstes Jahr angetreten, und war so ausgezeichnet schön und anziehend in seinem Wesen, daß sich Lady Ambrosias lang gehegte, heftige Leidenschaft für ihn erklären ließ, obgleich er im Gefühl seiner Gefährlichkeit, und in Folge seines Hangs zur Freiheit und zum ungebundenen Leben zu den öffentlich bekannten Verächtern des Ehestands gehörte.
Capitain Clayton war ein hübscher, martialisch aussehender junger Mann, der stets in den Fesseln der Liebe zu liegen glaubte; dabei aß er aber mit gutem Appetit, schlief vortrefflich, und sah aus wie der helle Sonnenschein.
Endlich langte der letzte Gast, Lady Caroline Wilmot, eine in der ganzen Umgegend sehr geachtete Wittwe, an, ihr spätes Kommen durch einige Vorkehrungen zu einer morgenden Reise nach Ramsgate entschuldigend. Und da durch ihren Eintritt die bisherige Ordnung unterbrochen worden war, bemächtigte sich Lord Aberavon Adelaidens Fächer, den die kleine Marie hatte fallen lassen, und beeilte sich, ihr ihn mit vieler Anmuth zu überreichen und den neben ihr leer gewordenen Stuhl einzunehmen. Seit er sie mit Lady Ambrosia eintreten gesehen, und in ihr die liebliche Fischkäuferin erkannt, hatte sein Herz in beständigem Krieg mit seiner Abneigung gegen den Ehestand gelebt, und er fühlte sich zum ersten Mal von einer wahren, ernstlichen Leidenschaft erfaßt.
Vergebens bemühte sich Lord Clyde seinen in Träumereien versunkenen Neffen durch Zeichen und Geberden aus seiner Apathie zu reißen, und als Adelaidens anerkannten Bewerber zu seinem Platz an ihre Seite zurückzuführen. Er überließ ihn Lord Aberavon sogar bei Tisch und der erstaunte, betrübte und halb errathende Onkel sah den verblendeten Theodor wie festgebannt neben Lady Ambrosia sitzen.
Als der Fisch auf der Tafel erschien und als Adelaidens Geschenk allgemein anempfohlen wurde, fragte Lord Beechbrook sie: ›Was Sie dazu veranlaßt habe, diesen Kauf zu machen, ohne welchen die Gesellschaft das vortreffliche Gericht entbehrt haben würde?‹
»Das will ich Ihnen sagen, Mylord,« entgegnete Adelaide erröthend; »meine Aufmerksamkeit ward durch ein schönes Boot erregt, das ich einlaufen sah –«
»Oder durch das, was es enthielt?« fragte Se. Herrlichkeit mit schlauer Miene.
»Vielleicht um es genauer zu untersuchen,« erwiederte sie mit erhöhtem Colorit, doch ohne seine Meinung verstehen zu wollen; »denn ich bemerkte Steinbutten und Hummer in großem Ueberfluß, und da ich Lady Beechbrook gestern hatte darüber klagen hören, daß sie wegen Krankheit ihres Fischers Lord und Lady Clyde heute keine Fische vorsetzen könnte, glaubte ich, daß sie mir bei dieser Veranlassung erlauben würde, auch mit für ihre Tafel zu sorgen.«
»Und wie gelang es Ihnen,« fuhr Se. Herrlichkeit fort, der wie Montagu großen Gefallen daran fand, sie erröthen zu sehen, »Ihren Fisch nach Hause zu schaffen?«
»O, es befand sich unter diesen Leuten ein ausgezeichnet artiger Mann, der sich erbot mir ihn hinzutragen, wohin ich ihn zu haben wünschte,« entgegnete Adelaide in Lord Beechbrooks Scherz eingehend.
»Und was gaben Sie ihn für seine Bemühung?«
»Nur meinen Dank.«
»Da hatte er wahrscheinlich noch einen höhern Lohn zu erwarten. Der Mensch ist ein selbstsüchtiges Geschöpf. Was meinen Sie, Lord Aberavon?«
»Ich glaube, daß Jedermann, selbst Menschen aus der niedrigsten Classe, sich ein Vergnügen daraus machen, Miß Bouverie einen Dienst zu erweisen,« erwiederte Lord Aberavon, nicht minder erröthend, als Adelaide selbst; »doch stimme ich Euer Herrlichkeit vollkommen bei in der Meinung, daß dieser Mann nicht so ganz uninteressirt dabei gewesen ist, wie die liebenswürdige Käuferin Ihres Steinbutts wähnt.«
Lady Ambrosia war wie von einem elektrischen Schlag getroffen. Sie sah Lord Aberavon in Bezug auf ihre Cousine erröthen. Was konnte dies zu bedeuten haben? Ihre Eitelkeit ward erregt, doch diese Sorge wich bald einer größern; denn Lady Caroline Wilmot lud sie über Tisch ein, sie morgen nach Ramsgate zu begleiten; und Lord Beechbrook nahm diese Einladung, ohne sie weiter zu fragen, mit großer Bereitwilligkeit für sie an. »Ich fürchte, ich werde nicht so schnell zur Abreise bereit sein können,« stammelte Lady Ambrosia.
»Das ist unmöglich, nachdem Ihre Garderobe erst zu dem Wettrennen in Canterbury so edelmüthig ergänzt worden ist,« sagte Lord Beechbrook, dessen Verdacht durch mehrere Beobachtungen rege geworden, mit ernstem Ton.
Lady Ambrosia vermochte nur mit Anstrengung der halb beleidigten Lady Caroline ihre Zustimmung durch eine Verbeugung zu zu erkennen zu geben; und sobald die Damen das Eßzimmer ließen, entfernte sie sich eiligst, während Adelaide den Weg in die Kinderstube zu ihren kleinen Lieblingen einschlug.
Als Adelaide wieder in das Gesellschaftszimmer zurückkehrte, fand sie Lady Longuiville und Mstrß. Falkland beschäftigt, die weiblichen Zuhörer durch ihren Gesang zu entzücken, und Rosalinde rief ihr gleich beim Eintreten entgegen, daß sie Lady Clyde in ihrem Namen versprochen, eine schottische Ballade zu singen, ehe die Herren sich wieder eingefunden; »denn dann,« fügte sie hinzu, »könnte man sie eben so gut auffordern, einen jeden Einzelnen zu umarmen.«
Adelaide versprach, allen Muth zusammen zu raffen, und sang zu Rosalindens meisterhafter Begleitung, so vortrefflich, daß lauter Beifall und der Wunsch, noch eine Ballade zu hören, ihr Lohn waren.
»Wollten Sie Lord Clyde und Theodor nicht gestatten, an diesem allgemeinen Entzücken Theil zu nehmen, liebste Miß Bouverie?« fragte Lady Clyde ängstlich.
»Ums Himmelswillen! welch eine Zumuthung!« rief Mstrß. Falkland. »Noch ein solches Wort, und wir müssen für immer dem Vergnügen, Miß Bouverie singen zu hören, entsagen.«
Adelaide sang jetzt mit gesteigertem Muth, aber auch mit vermehrtem Zauber, nicht ahnend, daß sie einen Zuhörer hatte, dessen Gegenwart ihr augenblicklich Schweigen aufgelegt haben würde. Lord Aberavon war unbemerkt von ihr hereingekommen und hatte, Lady Beechbrooks Wink gemäß, Platz in einem versteckten Winkel genommen, wo er den Zaubertönen mit Begeisterung lauschte. Plötzlich aber, beim Umblättern des Notenblatts, gewahrte Adelaide den unerwarteten Zuhörer im Spiegel; ihr Gesang verstummte, und voll Entsetzen über die Kühnheit, die sie unbewußt geäußert, flog sie beschämt in Rosalindens Arme.
»Wer doch im Stande wäre, meiner lieben Adelaide einigen Muth einzuflößen, auf daß ihre Töne nicht versagten, so wie ein fremdes Ohr sie in sich aufzunehmen kömmt.«
»Nein, nein, Mstrß. Falkland!« rief Lord Aberavon mit dem Ausdruck des höchsten Enthusiasmus; »wünschen Sie keine Aenderung, wo Alles unwiderstehlicher Zauber ist.«
»Wenn aber unsre Macht zu bezaubern in einer wohlverwahrten Schachtel eingepackt ist, was nützt sie uns dann?« fragte Rosalinde: lächelnd über sein unverholenes Entzücken. »Was hilft zum Beispiel eine bezaubernde Stimme, wenn die schüchternen Lippen unserm Ohr die süßen Töne verschließen?«
»Miß Bouverie wird Ihrem Familiencirkel die Freude nicht versagen, sie zuweilen zu hören,« entgegnete der junge Lord; »und diejenigen, die sich am wärmsten für sie interessiren, werden gewiß der Meinung sein, daß der häusliche Cirkel die Sphäre ist, in welcher ihr Zauber am hellsten glänzt.«
»So tadeln Ew. Herrlichkeit wohl jede Oeffentlichkeit, und Lady Longuiville und ich dürften nur für unserer Ehemänner würdige Ohren singen, wenn wir Ihren Beifall zu erhalten wünschten?«
»Verzeihen Sie, Mstrß. Falkland; Ihre und Lady Longuivilles Kenntniß der Welt hat Ihnen gelehrt, wie Sie, während Sie durch Ihre Vorzüge bezaubern, durch die Ihnen eigenthümliche Würde, sich des allgemeinen Beifalls werth machen; aber Miß Bouverie, mit sechzehn Jahren, mit der lieblichen, zurückgezogenen Grazie jugendlicher Schüchternheit ist ganz so, wie jedes Elternpaar sich ein geliebtes Kind wünschen kann; wie jeder Mann, der ein glücklicher Gatte zu werden hofft, auf seinem Lebensweg zu finden wünscht.«
»Und nach solch einem Lob der jugendlichen Schüchternheit,« rief Mstrß. Falkland, »wer kann hoffen, meine gefühlvolle Schülerin aus dieser zitternden Furchtsamkeit heraus zu predigen oder zu schmeicheln?«
Der Thee ward gebracht und getrunken, ehe Lady Ambrosia wieder bei der Gesellschaft erschien. Hierauf wurden die Spieltische arrangirt, und Lady Longuiville und Mstrß. Falkland erfreuten abermals ihre Zuhörer durch ihr musikalisches Talent; doch kein Theodor ließ sich sehen, zum großen Verdruß Lord und Lady Clydes, welche seinen Platz von Lord Aberavon eingenommen sahen, der, trotz dem, daß er von Lady Ambrosia und Capitain Clayton in ihre lebhafte Unterhaltung über die lustig verlebten Stunden in Roscoville mit hineingezogen wurde, doch noch Zeit behielt, sich Adelaiden zu widmen, von deren muthmaßlichen Verlobung mit einem Andern er noch nicht unterrichtet worden war.
In dem Augenblick, als die Gesellschaft im Begriff war, aufzubrechen, trat Theodor herein, und Onkel und Tante eilten ihm ängstlich entgegen, nach dem Grund seiner seltsamen Entfernung zu forschen.
Sein ungeduldiger, unstäter Blick, seine hastige Antwort, ›daß er mit Schreiben beschäftigt gewesen,‹ bestärkte sie in ihrer Vermuthung, daß er dem poetischen Zuge seines Herzens folgend, ein Gedicht auf Adelaiden gemacht; doch tadelten sie ihn im Stillen über die dazu gewählte Zeit.
»Gute Nacht, Ambrosia; ich wünsche Ihnen Alles, was Ihr Herz in Ramsgate zu finden hofft,« sagte Adelaide freundlich zu ihrer Cousine, als sie schieden; worauf diese nur mit einem zitternden Händedruck erwiederte.
Theodor hingegen gab Adelaiden keine Gelegenheit, ihm ein Lebewohl zu wünschen, da er in demselben Augenblick verschwand, als die Falklandsche Familie sich zur Abfahrt anschickte; und Lord Aberavon ward das Glück zu Theil, den Gegenstand seiner Verehrung an den Wagen zu geleiten.
Kaum sah sich Rosalinde mit den Ihrigen darin allein, als sie sich in den heftigsten Ausdrücken über Theodor Bouverie ausließ, und versicherte, daß, ›wenn Falkland seine geliebte Adelaide diesem Menschen gäbe, sie sich in der nächsten Stunde von ihm trennen würde.‹
»Ich glaubte,« entgegnete Falkland, »Du wünschtest diese Heirath?«
»Erbittere mich nicht durch diese kalte, spöttische Ironie,« rief Rosalinde entrüstet. »Ich mag nicht daran denken, daß wir auch nur einen Augenblick gesonnen waren, unser anvertrautes Gut diesem leichtsinnigen Mann zu opfern. Und was Lady Ambrosia, diese undankbare Schlange, betrifft, so versichere ich, daß ich aus dem Hause gehe, sollte sie jemals wieder darin eingeladen werden.«
Sie drückte Adelaiden mit mütterlicher Zärtlichkeit an ihr Herz, und forschte mit sanfter Schonung, welchen Eindruck Theodors unbegreifliches Benehmen auf sie gemacht, indem sie hinzufügte: »Wenn es ein schmerzlicher ist, reicht mein Zorn nicht hin, und ich fühle, daß dieser Gedanke mich rasend machen könnte.«
»Mstrß. Falkland,« sagte Adelaide, »ich kannte die veränderten Gesinnungen Herrn Bouveries, ehe ich heute nach Beechbrook kam; hieraus werden Sie ersehen, daß ich keinen Schmerz darüber empfand.«
Nach diesem Bekenntniß beruhigte sich Rosalinde einigermaßen, besonders da sie Lord Aberavons Huldigungen mit Wohlgefallen bemerkt, und aus seiner Entschuldigung der jugendlichen Schüchternheit richtig geschlossen, daß sein Herz zum ersten Mal wahre Liebe empfunden. »Was war der Gegenstand Deiner langen und ernsthaften Unterhaltung mit Sr. Herrlichkeit?« fragte sie ihren Gatten.
»Noch suchte er zwar nicht um meine Erlaubniß nach, sich um meine Mündel zu bewerben,« entgegnete Falkland; »doch glaube ich selbst, daß er Adelaiden nächstens seine Grafenkrone antragen wird, da er mich mit verdächtiger Bewegung fragte: ›ob die ihm eben von Lady Ambrosia als gewiß versicherte Nachricht, daß Herr Bouverie mit Miß Bouverie versprochen, wahr sei?‹ Da er bis jetzt diesen Gentleman als Lady Ambrosias Bewerber betrachtet, war ihm die Behauptung sehr auffallend gewesen.«
»Adelaide! Adelaide!« rief Mstrß. Falkland, »nach solch einer falschen Behauptung ihren Triumph noch dadurch zu erhöhen, daß sie Ihnen Ihren erklärten Liebhaber raubt! Wollen Sie noch behaupten, daß Lady Ambrosia ein gutes Herz hat?« –
»Meine liebste Mstrß. Falkland, noch hoffe ich, daß Ambrosia mich nicht nöthigen wird, ihr meine Liebe zu entziehen. Sobald sie von Ramsgate zurückgekehrt ist, will ich sie fragen, weshalb sie Lord Aberavon etwas Unwahres erzählte? Nicht als ob ich wünschte, ihn als meinen Liebhaber zu sehen; denn darnach strebe ich nicht. Und obgleich er Ambrosia, wie ich sehr wohl weiß, ausnehmend gefiel, so kann ich ihn doch nach dem, was sie mir von ihm erzählt hat, niemals achten.«
»Ich bitte Sie, liebste Adelaide, seien Sie nicht stolz und spröde,« sagte Mstrß. Falkland schnell.
»Und ich bitte Dich, mein theures Kind,« nahm Falkland das Wort, »Dich nicht durch sein einnehmendes Aeußeres bestechen zu lassen, wenn Du etwas gehört hast, was ihn verdammt auch – nicht den Wunsch aufkommen zu lassen, ihm Aufmunterung zu geben, um Deine undankbare Cousine zu demüthigen.«
Unter diesen Gesprächen hatten sie die Priorie erreicht; doch wollte Rosalinde von keinem Auseinandergehen hören, bis sie alle Umstände in Bezug auf Theodors augenscheinliche Untreue erfahren. Noch viel wurde über diesen Gegenstand gesprochen, und die besten Maaßregeln erwählt, Adelaiden Unannehmlichkeiten zu ersparen. Der folgende Morgen zeigte jedoch schon, wie überflüssig ihre mitternächtlichen Berathungen gewesen; denn er brachte die Nachricht, daß Theodor Bouverie und Lady Ambrosia in der Nacht nach Schottland entflohen waren.
Lord Beechbrook kam selbst, seiner geliebten Adelaide diese Botschaft beizubringen, und Doktor Falkland zu bitten, sich sogleich zu Lady Clyde zu verfügen, welche sich über Theodors leichtsinnige Flucht, und sie für ihn daraus entstehenden Folgen eines unglücklichen ehelichen Lebens so sehr erschrocken hatte, daß man eine ernstliche Krankheit befürchtete.
Lord Beechbrook fand die Falklandsche Familie weit besser auf diese Hiobspost vorbereitet, als man in seinem Hause gewesen, obgleich er zuletzt Verdacht geschöpft und seine Mündel deshalb nach Ramsgate hatte schicken wollen.
Falkland eilte gleich nach Beechbrook und fand Lady Clyde wirklich so angegriffen, daß er einen nervösen Anfall befürchtete und deshalb Veränderung des Orts und eine längere Reise verordnete. Lord Clyde schlug einen Abstecher nach Irland vor, woselbst eine Freundin seiner Frau lebte, die sie in mehreren Jahren nicht gesehen. Der Vorschlag ward dankbar angenommen und noch denselben Morgen die Reise angetreten.
Im Laufe dieses Morgens, als Adelaide in Gedanken über die Flüchtlinge verloren, an ihrer Arbeit saß, wurden die beiden Miß Birchs gemeldet, und Marie und Elise, sonst nie in der Priorie zu sehen, traten herein. Da die Absicht ihres Besuchs leicht zu errathen war, kam ihnen Adelaide mit möglichster Ruhe entgegen, und erkundigte sich gleich nach den ersten Höflichkeitsbegrüßungen: ›Ob man in Seaview nichts Neues wisse?‹
Die Schwestern sahen sich erstaunt an, wagten jedoch nicht, gleich mit der Hauptsache hervorzutreten.
»Die Flucht meiner Cousine wird dort gewiß allgemein besprochen?« fuhr Adelaide fort.
»Allerdings; und da Sie selbst des Umstandes erwähnen, kann ich wohl sagen, daß von nichts Anderm in der ganzen Nachbarschaft die Rede ist,« erwiederte Elise.
»Von nichts Anderm, ausgenommen von Lord Aberavons Verzweiflung!« rief Miß Marie.
»Lord Aberavon widmete Lady Ambrosia niemals seine Huldigungen,« entgegnete Mstrß. Falkland, wenn dies der Fall gewesen wäre, würde sie den Herrn Theodor Bouverie gewiß nicht angenommen haben.«
»So meinten wir auch,« erwiederte Miß Marie. »Aber, Miß Bouverie, Sie wissen, daß Lydia Woodehouse in Lady Ambrosias Geheimnisse eingeweiht war, und erst gestern noch erzählte sie ihr auf einem Spaziergang mit triumphirendem Blick, daß Lord Aberavon nur ihretwegen Besuch in Beechbrook gemacht, und sich darum bemüht habe, von Hythe nach Seaview versetzt zu werden.«
»Ich weiß von ihren vertraulichen Mittheilungen an Miß Woodehouse, und wie ich vermuthe auch an Sie, Miß Birch, nur so viel, daß ich geneigt wäre, Lord De Morelands Wünsche zu erfüllen, und Herrn Bouverie als Bewerber anzunehmen.«
»So erzählte sie uns allerdings,« entgegnete Miß Elise, höchlichst betroffen, Adelaiden weder niedergeschlagen, noch gebrochenen Herzens über den Triumph ihrer Cousine zu finden. »Und wir hatten eine Art von Wette mit Ihrer Herrlichkeit in Canterbury, daß sie eher verheirathet sein würde – doch das bleibt unter uns. Lydia Woodehouse beredete sie zu dem Schritt, den sie jetzt gethan, als zu einem kühnen Unternehmen, und um Miß Bouverie wegen ihres abgeschmackten Gehorsams zu bestrafen. Auch berichtete Mstrß. Crow an Lady Leyburn, was ihre Tochter beabsichtigte; und diese meldete Lady Ambrosia, daß sie ihren Plan billigte, fügte auch zugleich die Versicherung hinzu, daß Theodor der nächste Erbe einer Grafschaft sei.«
»Pfui! Elise! Du darfst nicht verrathen, was uns Lydia vertraut hat,« rief Miß Marie entrüstet, daß ihr das Vergnügen es zu thun genommen war.
»Ei! jetzt ist es nicht länger nöthig zu schweigen; früher bewahrten wir das Geheimniß sorgfältig.«
»Das ist sehr lobenswerth von Ihnen,« bemerkte Mstrß. Falkland ironisch. »Aber darf ich fragen, oder ist es auch noch ein Geheimniß, wann sich Miß Lydia Woodehouse mit dem Herrn Capitain Walton verheirathen wird?«
Elise wurde todtenbleich und konnte sich kaum aufrecht erhalten.
»An diesem Gerücht ist nichts wahres, Mstrß. Falkland,« sagte Miß Marie. »Ich weiß es ganz genau. Capitain Walton wird sie niemals heirathen, obgleich sie mehr, als die Vernunft erlaubte, dazu gethan hat, ihn zu dem Entschluß zu bringen.«
»Wir kamen hierher,« begann jetzt Miß Elise mit zitternder Stimme, ängstlich bemüht ein anderes Thema aufzubringen, »den Damen zu erzählen, daß heute Abend in dem großen Saal des neuen Gasthofes eine theatralische mélange Statt finden wird, wozu alle Welt kömmt. Doch vielleicht ist es Ihnen, nach dem eben Vorgefallenen nicht angenehm, sich dort zu zeigen.«
»Ich wüßte nicht, was uns abhalten könnte, mit den Ladys Beechbrook und Longuiville hinzugehen, wie wir verabredet hatten. Meinen Sie nicht auch?« sagte Adelaide mit unerschütterlicher Ruhe.
Rosalinde bejahte die Frage; und nachdem sich die Miß Birchs gehörig ausgeruht und durch Erfrischungen gestärkt hatten, empfahlen sie sich, fest überzeugt, daß Lady Ambrosia keinen Triumph über ihre Nebenbuhlerin gefeiert, und Miß Bouverie niemals gesonnen gewesen, aus Gehorsam gegen einen entfernten Onkel einen Mann anzunehmen, aus dem sie sich augenscheinlich nichts machte. Doch beschlossen sie, diese Bemerkung in sich zu verschließen, um der Welt glauben zu machen, daß diese große Schönheit, Falklands Stolz und Freude, wirklich die Demüthigung erlitten, wie allgemein vorausgesetzt wurde.
Gleich nach Miß Birchs Entfernung kam Lady Beechbrook, deren traurige Freunde sie so eben verlassen, ihre Reise nach Irland anzutreten. Nachdem die Entweichung und Lady Clydes Gram darüber besprochen, berichtete Mstrß. Falkland den schadenfrohen Vorwand des sie eben verlassenen Besuchs.
Lady Beechbrook entbrannte in gerechtem Zorn gegen diese elenden Menschen; und da sie Adelaiden, den Liebling ihres Herzens, so stark und ungebeugt fand, stimmte sie ganz in den Vorsatz, an der heutigen Abendparthie Theil zu nehmen, ein. Mstrß. Falkland wünschte selbst den projektirten Morgenbesuch bei Lady Longuiville nicht aufzuschieben, von welchem sie jedoch Adelaiden freisprach, aber die beiden andern Damen fuhren hin.
Im Begriff, sich wieder zu entfernen, ward Lord Aberavon gemeldet. Bei Rosalindens Anblick erröthete er, als ob es Adelaide selbst gewesen wäre, so sehr überraschte es ihn, einen Theil dieser Familie hier zu sehen, welche, wie ihm berichtet worden, in der höchsten Trauer und Bestürzung über die Flucht des jungen Paares versetzt sei. Er war gekommen, Sir Charles seinen Dank auszusprechen für die Versetzung von Hythe nach Seaview, die er sehnlichst gewünscht, nicht ahnend, hier zu er fahren, daß ihn am Abend das Vergnügen noch erwarte, Miß Bouverie zu sehen.
Zur bestimmten Stunde fanden sich Lord und Lady Beechbrook, Sir Charles und Lady Longuiville und Falklands, nebst Adelaiden, bei Mstrß. Aspenfield ein, deren Wohnung dem Ort der Aufführung am nächsten war. Man verfügte sich zusammen in den Saal, wo sich bald Erstaunen und Besorgniß aller jungen weiblichen Herzen bemächtigte, beim Anblick der augenscheinlichen Heiterkeit Lord Aberavons und seines eifrigen Bemühens, den Platz neben Miß Bouverie zu erhalten und ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Doch so sehr er geneigt war, nur mit ihr zu sprechen, vermied sie, ihm die geringste Auszeichnung zu gewähren, und bezeigte sich so allgemein liebenswürdig, so ruhig und gesammelt, daß selbst der Neid nicht wagte, ihrem Benehmen eine falsche Auslegung zu geben.
Während Adelaide auf diese Weise Aufmerksamkeit erregte, nahm sie sie doch nicht so sehr in Anspruch, daß man die Bemühungen der Miß Woodehouses und Birchs um Capitain Walton darüber hätte unbeachtet gelassen. Jedermann sah, wie vergeblich die strengen Blicke der Väter blieben, während die verblendeten Mütter mit ihren Töchtern rivalisirten, diesem Mann des Lasters immer neue Aufmunterungen zu geben, obgleich er seinerseits anscheinend die größte Gleichgültigkeit gegen sie bezeigte, und sein ganzes Bestreben darauf richtete, Adelaidens Herz zu gewinnen, die ihm an diesem Abend bezaubernder wie je erschien. Und wirklich legte er seine Bewunderung so deutlich an den Tag, und behandelte seine bethörten Bewerberinnen dagegen mit einer so schneidenden Kälte, ja Miß Elise Birch sogar mit verächtlichem Widerwillen, daß die Unglückliche, nicht länger fähig, ihr gekränktes Gefühl zu bemeistern, endlich ohnmächtig umsank. Der elende Walton, obwohl nicht im Zweifel über die Veranlassung hierzu, überließ ihrem erschrockenen Vater und Mellifort das Geschäft, sie herauszutragen und nach Hause zu bringen, während Mstrß. Birch, nicht gesonnen den Woodehouses das Feld zu räumen, mit ihren andern Töchtern ruhig sitzen blieb, indem sie vorgab, Elisens Unwohlsein nur der Hitze des Zimmers zuzuschreiben.
Mstrß. Aspenfield hatte ihre Gesellschaft noch zu einem kleinen Souper in ihrem Hause eingeladen, und dorthin begab sie sich nach beendetem Schauspiel. Dieser Abend entschied über Lord Aberavons Schicksal. Adelaidens Zauber hatte sein Herz nicht flüchtig berührt, wie es wohl schon öfterer geschehen; sondern ihm die feste Ueberzeugung gegeben, daß, so abschreckend ihm auch früher der Gedanke ernstlicher Fesseln erschienen, die Aussicht Adelaidens Gatte zu werden, die beglückendste, reichste, erfreulichste war, die ihm die Zukunft bieten konnte.
Als Lord Beechbrook eben die Rückfahrt angeordnet hatte, stürzte Mellifort blaß und athemlos, mit dem Ausdruck der Verzweiflung ins Zimmer, und beschwor Falkland, sogleich mit ihm zu gehen, das Leben ihres alten Freundes Dr. Birch zu retten, welcher von einem sehr beunruhigenden Zufall befallen worden war.
Falkland bediente sich des ersten angespannten Wagens, der Aufforderung Folge zu leisten, fand jedoch leider, daß seine Kunst hier nicht im Stande sein würde, dauernd zu helfen. Der würdige alte Mann kam nur wieder zum Bewußtsein, seiner trauernden Familie Veranlassung zu herzzerreißenden Klagen über die Zerstörung seiner Sinne zu geben.
Elisens, im halben Wahnsinn über Waltons unwürdige Behandlung, in Gegenwart einiger Dienstboten ausgestoßenes Bekenntniß, daß sie von dem Elenden verführt, nächstens der allgemeinen Schande Preis gegeben sein würde, hatte den Geist des Vaters verwirrt. und kaum war Falkland wieder bei den Seinigen angelangt, denen er diese Trauerbotschaft mitgetheilt, als er abermals in das Birchsche Haus gerufen wurde, seinen Beistand bei einem neuen Unglücksfall zu leisten.
Der älteste Sohn des Doktors, ein liebenswürdiger junger Mann, hatte, in der ersten Aufwallung des Schmerzes über die befleckte Familienehre, den schändlichen Verführer seiner Schwester, den Zerstörer der Geisteskräfte seines Vaters, gefordert; doch anstatt die gehoffte Rache zu nehmen, schoß ihm der ruhigere Walton eine Kugel durch den Leib; und Falkland bemerkte beim Herausziehen derselben, daß das Rückgrat gestreift war, und der Unglückliche wohl für den Rest seines Lebens ein Krüppel bleiben würde.
Mstrß. Birchs Angst und Verzweiflung, durch Gewissensbisse über die eigene Beförderung der zunehmenden Vertraulichkeit ihrer Tochter mit einem anerkannten Wüstling, vermehrt, beschreiben keine Worte. Nichts als Unglück und Verderben zeigte sich ihrem Blick. Der zweite Sohn war Cadet in Indien, der dritte ein Knabe von vierzehn Jahren. Aller Trost, alle Hoffnung auf Unterstützung, auf Aufrechterhaltung der Familienehre, war ihr jetzt in dem ältesten Sohn geraubt. Wer sollte nun die Schule fortführen?
Diese Frage ward oft von jedem einzelnen Gliede der unglücklichen Familie wiederholt; und Mellifort erbat sich endlich eine geheime Unterredung von Falkland, ihm die Frage vorzulegen: »Ob seine Fähigkeiten wohl dem wichtigen Unternehmen angemessen wären?«
Ueberwältigt von diesem Beweis aufopfernder Tugend des wahrhaft reuigen Sünders, war Falkland anfänglich nicht im Stande, seine Meinung auszusprechen, welche Pause der bestürzte Mellifort für ein böses Omen hielt.
»Ach!« rief er aus, »was soll dann aus ihnen werden? Ich sehe wohl, mein heißer Wunsch, dem Besten der Menschen meine Dankbarkeit zu beweisen, ließ mich die eigenen Kräfte überschätzen.«
»Liebster Mellifort,« entgegnete Falkland. »Sie legen mein Schweigen falsch aus; es war der Beifall meines Herzens, der mir für den Augenblick die Sprache raubte. Allerdings sind Sie dem Unternehmen gewachsen; und was Ihnen an Erfahrung abgeht, wird Ihnen jeder gern verzeihen und nachsehen. Mein Rath, mein Beistand, meine pekuniäre Hülfe sollen Ihnen nie fehlen.«
»Wollen Sie denn, theuerster Freund, Mstrß. Birch, in meinem Namen den Antrag machen, die Schule so lange zu übernehmen, bis der Doktor, mein geliebter William, oder einer seiner Brüder sie selbst führen können?«
Falkland trug das großmüthige Anerbieten vor, das der Familie zu viel Vortheile darbot, um nicht freudig angenommen zu werden. Mstrß. Birch sollte wie bisher das Häusliche verwalten und Mellifort als Leiter der Anstalt eine Vergütung erhalten; doch beschlossen Lord Beechbrook und Falkland, daß dies nicht der einzige Lohn seiner Tugend und seiner Anstrengungen bleiben sollte, und damit ihn die Schulden des Doktors Birch nicht zu übermäßigen Arbeiten veranlassen möchten, traten sie, von Adelaidens Wohlthätigkeit unterstützt, zusammen, sie alle zu bezahlen.
Und so sahen sich denn die Miß Birchs genöthigt, zu ihrem eigenen Unterhalt und zur Unterstützung ihres unglücklichen, hülflosen Vaters den Beistand eines Mannes anzunehmen, den sie wegen früherer Vergehungen, und weil er von ihres Vaters Güte gelebt, zu verachten gewohnt gewesen. Oft hatten sie sich gewundert, und Miß Bouverie darüber getadelt, daß sie Mellifort mit so viel Achtung und Auszeichnung behandelte, und jetzt war derselbe ihr einziger Trost, ihre einzige Stütze geworden!
Waltons verderblicher Einfluß fand in der Familie Birch noch kein Ziel; denn erbittert, und vom Geist der Rache gegen die arme Lucy getrieben, die er für den einzigen Grund von Adelaidens Verachtung hielt, war er gleich nach dem Duell in ihre Hütte geeilt und hatte ihr durch seine plötzliche, unerwartete Erscheinung und die Heftigkeit seiner wüthenden Schmähreden einen so schrecklichen Paroxismus zugezogen, daß ihr schwacher, hinfälliger Körper ihn nicht zu ertragen vermocht. Zwei Tage darauf erlag die erschöpfte Natur den irdischen Leiden, und sie fand endlich die Ruhe und den Frieden, den ihr Walton auf Erden geraubt.
Adelaide hatte ihr in den letzten Kämpfen beigestanden, und war eben, nachdem sie der armen Lucy letzten Seufzer vernommen, zu Rosalinden zurückgekehrt, an deren theilnehmendem Herzen sie ihren Schmerz ausweinte, als Lord Aberavon gemeldet wurde und sie in ihr einsames Zimmer trieb.
Se. Herrlichkeit hatte sich schon an den beiden letztern Tagen in seinen Erwartungen, Adelaiden zu sehen, getäuscht gefunden, indem sie nur für die arme Lucy gelebt; als er sie nun aber auch heute wieder vergeblich suchte, trug er die Qual nicht länger, sondern gestand Mstrß. Falkland den Zustand seines Herzens und beschwor sie, ihm ihren Beistand und Rath nicht zu versagen.
Ersteren verhieß sie ihm willig, und entzog ihm auch ihren Rath nicht, obgleich er der Ungeduld des jungen Lords schwer zu erfüllen schien. »Sie müssen,« sagte sie, »Adelaidens Herz nicht durch einen raschen, kühnen Angriff, sondern durch eine langsame, versteckte Belagerung zu gewinnen suchen, indem Ihnen die schwere Aufgabe zu Theil wird, Vorurtheile zu überwinden, ehe Sie auf glücklichen Erfolg rechnen können. Nach den Berichten, die Lady Ambrosia Leyburn von Ihren jugendlichen Streichen gegeben hat, ist unserer Adelaide ein ungünstiger Eindruck geblieben, den Sie nothwendig erst wieder zu verwischen suchen müssen.«
Lord Aberavon, nicht gewohnt, einen Sieg auf solchen Umwegen zu erreichen und die Qualen der Ungewißheit auf unbestimmte Zeiten zu ertragen, fühlte sich zwar durch diesen Rath gekränkt und aus seinem Himmel herabgestürzt, dankte jedoch Mstrß. Falkland herzlich dafür, da ihm kein Preis zu theuer schien, Adelaidens Herz und Hand zu gewinnen.
Gleich nach Lucys Beerdigung bat Adelaide ihren Vormund, Montagu Bouverie diese Trauerbotschaft mitzutheilen; da er jedoch wünschte, daß sie ihm den Fall selbst schreiben möchte, that sie, wie er verlangte, und meldete dem fernen Freund das unglückliche Ende ihres beiderseitigen Pfleglings.
Unterdessen bemühte sich Lord Aberavon, von seinen Freunden unterstützt, den ungünstigen Eindruck zu verwischen, den er durch Ambrosias Mittheilungen auf Adelaiden gemacht; und wirklich war es ihm gelungen, ihr einen andern, bessern Begriff von seinem Charakter beizubringen, doch zeigte sie noch keine Spur von aufkeimender Neigung, und nach Verlauf von zwei Monaten begann Rosalinde eben so ungeduldig wie der Liebhaber selbst zu werden, und sie der Blindheit für Lord Aberavons Verdienste zu beschuldigen.
Der October neigte sich seinem Ende zu, als Adelaide folgenden Brief von Lady Ambrosia aus Roscoville erhielt:
»Meine theure Adelaide!
Da Sie immer so gütig und nachsichtig gegen mich gewesen sind und die Fehler der ganzen Welt so mild richten, darf auch ich jetzt wohl hoffen, Vergebung bei Ihnen zu finden für meinen ächt mädchenhaften Streich, Ihnen einen Liebhaber abspenstig zu machen.
Es geschah dies nicht aus Vorsatz, sondern aus heißer, nicht zu überwindender Liebe, die sich meines Herzens bei seinem ersten Anblick bemeisterte. In Barham Downs, als ich Theodor für den Marquis von Glendale, den von Ihnen verschmähten Bewerber, hielt, machte er den tiefen Eindruck auf mich, der später so viel Gewalt über mich erlangte, daß ich handeln mußte, wie ich gehandelt habe.
Auch bin ich von Ihrer Gutmüthigkeit überzeugt, daß Sie sich freuen werden zu hören, welch ein zärtlicher, feuriger, liebevoller Ehemann Theodor ist; und täglich äußert er noch seine Verwunderung, wie es möglich gewesen, Sie mir auch nur einen Augenblick vorziehen zu können.
Sie werden erstaunt sein, uns in Roscoville zu wissen; aber meine geliebte Mutter empfing uns mit offnen Armen, als wir von Cumberland, wo wir unsre Flitterwochen verlebt, zurückkehrten. Die muckischen Clydes haben es nicht für gut befunden, meines angebeteten Theodors Briefe zu beantworten, und so habe ich ihn beredet, sich nicht wieder so weit herabzulassen, an sie zu schreiben.
Mama trägt mir auf, Sie zu bitten, uns Weihnachten hier zu besuchen; und ich hoffe, Sie werden es thun, besonders wenn ich Ihnen die Versicherung gebe, daß Theodor Sie ohne alle Gefahr wiedersehen kann. – Mama liebt meinen Mann so zärtlich und ist so eitel auf mich, daß es eine wahre Freude ist, sie mit uns zusammen zu sehen.
Sie läßt Sie auch fragen: ›ob ihr Bruder einen kleinen goldenen Schlüssel von künstlicher Arbeit mit sich fortgenommen habe?‹ In allen zugänglichen Theilen der Abtei hat sie darnach suchen lassen, wie auch Mstrß. Crow im Schloß De Moreland gethan; doch vergebens.
So haben sich denn die Birchs und Woodehouses selbst gebrandmarkt! Ich für meinen Theil wundere und betrübe mich nicht darüber, es waren solche kecke, neidische und eitle Dinger. A propos! Capitain Walton ist einen Monat hier zum Besuch bei Lord Leyburn gewesen, dessen Freund und Gefährte er war, als Letzterer sich bei Doktor Birch in der Schulanstalt aufhielt.
Zu seinem großen Verdruß ist er aber jetzt von seinem unthätigen Posten in Seaview abgerufen und beordert worden, eine Fregatte zu commandiren, die auf drei Jahr nach Grönland, Lappland oder irgend wo anders hin bestimmt ist. Er war in einer fürchterlichen Wuth darüber, besonders weil er nun alle Aussicht verloren, Sie noch für sich zu gewinnen, und er glaubt, Lord Beechbrook sei Schuld an dieser gräßlichen Versetzung.
Der arme Walton zeigte mir einen Brief, den er eben von meiner vormaligen Freundin Lydia. Woodehouse erhalten, worin sie ihn anfleht, zurückzukommen und sie zu heirathen; aber er lacht nur zu diesem Vorschlag. Ueber Elise Birch äußerte er sich, daß ihm diese eitle Person sehr bald zuwider geworden sei, weil sie so fürchterlich in ihn verliebt gewesen. Demohngeachtet haben wir Beide ihrer freundlichst gedacht und eine Heirath für sie ausgemacht. Wenn sie nämlich ihre kleine Sünde bereut, wird sich Mellifort aus Sympathie zu ihr finden, und als ein Paar bußfertige Sünder werden sie glücklich mit einander leben.
Theodor ist so trostlos, daß ich ihm mein bezauberndes Lächeln, wie er sich, galant ausdrückt, so lange entziehe, daß ich mich unmöglich auf genauere Details über die betrübenden Nachrichten, die uns von unserm armen Onkel zugekommen sind, einlassen kann. Nur so viel, daß er nicht mehr lebt. Baronello ist angekommen mit dieser Trauerpost; und an Montagu Bouverie, nunmehrigen Lord De Moreland, hat meine Mutter geschrieben, da er zu ihrem größten Kummer und Erstaunen als einziger Vollstrecker ernannt ist, und das in Herrn Cokes Händen niedergelegte Testament nicht vor seiner Ankunft eröffnet werden soll.
Leben Sie wohl. Immer und unverändert
Ihre
Ambrosia Bouverie.«
N. S. Wir haben Nachrichten von Cyrus, der bei mehreren Gefechten gewesen ist, viel Beute gemacht und großes Lob von seinem Admiral eingeerndtet hat.«
Das Gefühl mitleidiger Verachtung über Ambrosias nichtige Entschuldigung ihres Betragens wich in Adelaidens Brust bald dem Erstaunen über Lady Leyburns Einladung, das Weihnachtsfest in Roscoville zuzubringen. Freude über die Gewißheit, den bewußten goldenen Schlüssel in guten Händen zu wissen, folgte diesem Erstaunen, und gab gleich darauf dem Entsetzen Raum über ihrer Cousine Leichtfertigkeit, mit einem so anerkannten Wüstling wie Walton über seine Schändlichkeiten zu sprechen. Doch ehe sie sich noch hierüber gefaßt, fiel ihr Auge auf die zuletzt mitgetheilte Trauerbotschaft; und unfähig, ihren Schmerz durch einen Laut zu erkennen zu geben, sank sie bewußtlos zu Falklands und Rosalindens Füßen.
Nichts glich der Bestürzung und der zärtlichen Theilnahme Mstrß. Falklands bis sie die Todesangst ihres Gatten gewahrte. Sein Erblassen, seine beinahe wahnsinnigen Ausrufungen, das Zittern seines Körpers wurden Dolchstiche für sie; und ihre Bemühungen, die ohnmächtige Adelaide ins Leben zurückzurufen, waren nicht länger Eingebungen der Zärtlichkeit, sondern nur Hülfsleistungen bloßer Menschlichkeit, und ihr angstvoller Ausruf:
»O, August! sie ist todt! sie ist todt! unsre geliebte Adelaide ist auf immer von uns geschieden!« erstarb in den eiskalten Schluß: »was wünschest Du zur Wiederherstellung von Miß Bouverie gethan?«
Adelaide gab jetzt wieder Zeichen des Lebens von sich, und Falkland hatte Zeit, die Veränderung in seinem geliebten Weibe wahrzunehmen; aber so sehr sie ihn auch schmerzte, wollte er ihr doch keine Wirkung auf sich gestatten, und er fuhr fort, im zärtlichsten Ton mit dem Kinde seines Herzens, der Freude und dem Stolz seiner väterlichen Sorge zu sprechen, und sie zu beschwören, ihm zu sagen, ›welch ein Unglück sie befallen?‹
Der zärtliche Ton ihres Vormunds rief das Bewußtsein in Adelaiden zurück; sie schlug die Augen auf, und als sie den schrecklichen Ausdruck der Angst und Verzweiflung in Rosalindens Zügen las, den sie für Theilnahme hielt, entzog sie sich Falklands Armen, umschloß Rosalinden mit Wärme und klagte sich an, sie so erschreckt zu haben. »Aber ich konnte nicht anders. Es war nicht meine Schuld,« setzte sie schluchzend hinzu.
»Nein, es war nicht Ihre Schuld,« sagte Rosalinde, mit dem Ausdruck beunruhigender Wildheit.
»Rosalinde! Rosalinde!« rief der bestürzte Falkland, sie in seine zitternden Arme schließend. »Was soll dies bedeuten? Was hat Dich so erschüttert?! suche Dich zu fassen und stehe mir bei, unsern geliebten Zögling über einen Unglücksfall zu trösten, der uns bis jetzt noch unbekannt ist.«
Adelaidens zarte Besorgniß, sie erschreckt zu haben, bannte zwar den bösen Dämon in Rosalindens Busen, der ihr zugeflüstert, daß sie es darauf angelegt, ihr das Herz ihres Gatten zu entreißen; aber weder Falklands zärtliche Blicke noch Worte vermochten ihr den schrecklichen Wahn, seine Liebe verloren zu haben, zu benehmen. Nur mit Anstrengung gelang es ihr, eine theilnehmende Frage nach der Veranlassung ihres Kummers hervorzubringen.
Adelaide berichtete nun den Trauerfall, den ihr Ambrosia so schonungslos verkündet; und da des theuren Onkels Güte und Freundlichkeit einen tiefen Eindruck auf ihr zartfühlendes Herz gemacht, seine schwache Gesundheit und der geheime auf ihn lastende Kummer ihre ganze Theilnahme in Anspruch genommen, seine Aehnlichkeit mit ihrem verstorbenen Vater sie unwiderstehlich an ihn gezogen hatte, fühlte sie jetzt auch eines Kindes Schmerz bei der Nachricht seines Verlustes. Ihr Körper war nicht stark genug, den unerwarteten harten Schlag zu ertragen, und nach wenigen Tagen warf sie ein Fieber auf das Krankenlager.
Sobald Rosalinde sah, daß Adelaide wirklich krank war, überwand das bessere Gefühl in ihr jeden Anflug von Eifersucht, und sie wartete und pflegte ihres Mannes Mündel mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt. Kaum aber war sie wieder hergestellt, als sie sich hin und wieder kleine Härten und unverdiente Vorwürfe gegen sie erlaubte, wodurch die arme Adelaide, deren Dankbarkeit ihr auch nicht die leiseste Klage gestattete, unbeschreiblich litt. Auch betrübte es sie, zu bemerken, daß ihr theurer Vormund nicht mehr der glückliche Gatte war, der er gewesen, und gern befolgte sie jetzt seinen Rath, veränderte Luft zu versuchen, und hielt sich manchmal mehrere Tage in Beechbrook oder bei Mstrß. Aspenfield auf.
Während Adelaidens Krankheit hatte Lord Aberavon keine Gelegenheit vorübergehen lassen, seine Theilnahme und Aufmerksamkeit an den Tag zu legen; als sie aber eben wieder so weit hergestellt war, daß er von neuem wieder auf das Glück, sie zuweilen sehen zu können, rechnen durfte, ward er zu seinem größten Leiden und zu Mstrß. Falklands Verdruß, plötzlich von seiner Mutter nach Schottland berufen, indem ein Unglücksfall den ältern Zweig ihres Hauses betroffen hatte.
Ende des ersten Theils.