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Die schneegekrönten Berge der Sierra Nevada, das Wunderthal Yosémite und seine Riesenbäume lagen hinter mir, und in hastiger Eile trug mich das schnaubende Dampfroß neuen Zielen entgegen. Ich fuhr durch die südcalifornischen Ebenen. Aus dunklem Laube glühten die feurigen Granaten, goldgelb schimmerten am Boden die Melonen. Feigen-, Pomeranzen- und Pfefferbäume drängten sich neben hochstämmige Palmen, neben Bananen, Eukalypten und immergrüne Eichen. Auf den weiten Sandflächen sproß der Cactus in üppiger Fülle, die Agave reckte aus ihrem schwertergleichen Blätterkorbe den hohen, mit schneeweißen Blüthen gezierten Schaft empor. Und nun, inmitten dieser sonnigen Herrlichkeit, von ausgedehnten Weingärten, Orangen- und Limonenhainen umkleidet und von freundlichen Höhen umschlossen, erschienen die weißleuchtenden Häuser von Los Angeles, der ›Stadt der Engel‹.
Der ganze, eines 150jährigen Alters sich rühmende Ort, dessen Gründer denselben nicht bloß dem Schutze eines Heiligen, sondern gleich dem sämmtlicher geflügelten Heerschaaren empfohlen, ist ein einziger großer Fruchtgarten. Alles blüht und gedeiht hier in fröhlichster Üppigkeit, dank dem benachbarten Los Angeles-flusse, dessen Wasser durch künstliche Leitungen nach der Stadt und ihrer Umgebung geführt wird.
Hier ist California felix, das Italien Amerikas,
... Das Land, wo die Citronen blüh'n,
Im dunklen Laub die Goldorangen glüh'n,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrthe still und hoch der Lorbeer steht.
Nach Tausenden zählen hier die Orangenbäume, hat doch z. B. ein einziger, inmitten der Stadt gelegener Garten, ›the Wolfkill‹ genannt, allein 2600 Orangen-, 1800 Citronen- und 1000 Limonenbäume aufzuweisen, während dicht daneben ein 100 Acres großer Weingarten gelegen ist.
Los Angeles ist für die Passagiere des früh Morgens einlaufenden Zuges der Süd-Pacificbahn die Frühstücksstation, und wie allerorten an solchen amerikanischen Haltestellen, so wurden auch hier vor verschiedenen dem Bahnhofe gegenüber gelegenen Hotels die chinesischen Tamtams bearbeitet, deren weithin hallendes Dröhnen mich an die Kirchweihfeste der Heimat erinnerte, wo vermittelst dieses Lärminstrumentes die Menageriebesitzer dem hochverehrlichen Publikum die Kunde gaben, daß die Zeit der Fütterung der wilden Bestien gekommen sei.
Das Frühstück, aus gebackenem Fensterkitt und gänzlich ungenießbarem Beefsteak bestehend, war geradezu miserabel; gar bald schob ich die Teller beiseite und vertiefte mich in den Anblick einer jungen, die Gäste bedienenden Mexikanerin, die über ein Paar so wunderbar schöne, brennend schwarze Augen verfügte, daß dieser olivfarbene Engel von Los Angeles wohl schon manchem Fremdling den Abschied sauer gemacht haben wird.
In der Nähe von Los Angeles liegt San Gabriel mit seiner alten Mission, deren Orangenhain der älteste Californiens ist und der noch von jenen Patres stammt, welche, lange bevor die Pilgrimväter an der sturmgepeitschten Küste Neu-Englands landeten, die nördlich von Mexiko gelegenen Territorien durchzogen und überall an den malerischsten Punkten, au der blauen See wie im Schatten schneegekrönter Bergesgipfel ihre mit Colonnaden und Glockenthürmen versehenen Missionskirchen errichteten. Zum Theil noch erhalten, zum Theil schon Ruinen, weisen dieselben in ihrer Architektur einen seltsamen, halb spanischen, halb maurischen Stil auf. Die reiche Ornamentik der Thür- und Fensterbogen stammt noch von alten Meistern, und altersbraune Bilder reden von jener Zeit, wo die Conquistadoren, diese gigantischen Freibeuter, mit Kreuz und Schwert die Welt durchzogen und der Geschichte ihres Vaterlandes hohen Glanz verliehen.
Die ersten Jesuitenväter betraten im Jahre 1642 den Boden von Californien und gründeten 16 Missionen, von denen jede mit einer Kirche, mit Vorrathshäusern und einem ›Presidio‹, einem Forte versehen war. Mit zähem Fleiße wurde der Boden dienstbar gemacht, während die scheuen, widerstrebenden Wilden für die Arbeit und das häusliche Leben gewonnen wurden. Als die Jesuiten im Jahre 1767 das Land verlassen mußten, übernahmen die Franziskaner ihre Missionen, um bald darauf aber den Dominikanern das Feld zu räumen. Wie glaubhafte Chronisten versichern, waren die Väter dieser Orden nicht sehr wählerisch in Bezug auf ihre Mittel, die Indianer zu christianisiren: dieselben wurden ohne weiteres eingefangen, eine Zeit lang eingesperrt, bis sie sich zur Taufe bereit erklärten und dann mit Indianerinnen aus der Mission verheirathet. Entlaufene strafte man, wenn man sie wieder einfing, mit Stockprügeln, überdies wurden sie mit schweren Gewichten belastet, so daß sie nicht wieder entrinnen konnten. Die Peitsche war das gewöhnliche Instrument zur Zucht, doppelte Portionen beim Essen die vorzüglichste Belohnung.
Daß ein derartig aufgedrungenes Christenthum den armen Heiden nicht viel tiefer als bis unter die Haut zu dringen vermochte, ist ersichtlich, und die Missionen würden auch ohne die politischen Ereignisse verfallen und ausgestorben sein. Als Mexiko von Spanien abfiel, wollten die Patres die neue Ordnung der Dinge nicht anerkennen, und so zog der Staat das Vermögen der Missionen ein, gab die Indianer frei und ließ den Vätern nur die geistliche Sorge. Und als gar im Jahre 1848 das Land an die Vereinigten Staaten abgetreten wurde, da erhielten die Missionen vollends den Todesstoß. Die Indianer wurden von den weißen ›Squatters‹ rücksichtslos vertrieben, so daß den Kirchen die Kirchengänger fehlten. Hatten die Patres viel Luxus auf die innere und äußere Ausstattung der Kirchen verwendet, um die sinnliche Natur der Indianer zu fesseln, so fanden sich jetzt keine Hände mehr, die das zerfallene Gemäuer ausgebessert hätten, und so liegen die alten Missionen zum größten Theil in Ruinen. Die interessantesten und berühmtesten dieser Bauten sind die drei auf Seite 276 abgebildeten Kirchen, von denen diejenige zur Linken die Mission von San Carlos in Californien, die obere die Kirche San Xavier del Bac in Arizona, diejenige zur Rechten die Kirche San Miguel in Santa Fé, der Hauptstadt von Neu Mexiko, darstellt.
Savannah, Monte, Puenta, Spadra, Pomona und Cucamanga sind Stationsnamen von gutem Klang, aber wenig Belang; erst das 61 Meilen von Los Angeles entfernte Städtchen San Bernardino, an dem durch den Cajou-Paß nach den Minenregionen von Nevada und Arizona führenden alten › Trail‹ gelegen, ist von einiger Bedeutung. Interessant ist, daß diese Stadt eine Colonie der Mormonen und in gleicher Weise wie Salt Lake City angelegt und mit Wasser versehen ist. Bei San Bernardino führt die Süd-Pacificbahn über den 2591 Fuß über dem Meeresspiegel gelegenen San Gorgoniapaß, um nunmehr in die Sahara Amerikas, in die berüchtigte Coloradowüste einzutreten.
Öder und öder wird die Scenerie. Die plötzlich aus dem Thale aufsteigenden Bergwände, die bisher spärlich mit dunkel scheinendem Buschwerk versehen waren, zeigen sich nunmehr gänzlich kahl und nackt und bieten trostlose, nur durch ihr Colorit fesselnde Wände dar. Nur einzelne unansehnliche Cedernbüsche und Cacteen sind geblieben: kaum ein Vogel, kaum ein Nagethier ist mehr zu sehen; alles Leben scheint erstorben zu sein.
Schnell beginnt die Bahn in die Wüste hinabzusinken. Bei › Seven Palms‹ beträgt die Erhöhung über den Meeresspiegel nur noch 584 Fuß, dann aber erfolgt eine Depression bis sogar unter den Meeresspiegel. So liegen die Stationen Indio 20, Dos Palmos 254, Frink's Springs sogar 266 Fuß unter dem Niveau des Oceans. Wo in der ganzen Welt sind wieder solche Bahnstationen anzutreffen?
Und weit und breit kein Baum, kein Hälmchen Gras: leer wie eine Bettlerfaust dehnt sich eine nackte, sandige Fläche, welche gegen ihr Südende von mächtigen Wanderdünen durchzogen ist. Gegen Westen und Osten wird sie von ebenso vegetationslosen, rothbraunen, seltsam zerhackten Klippen eingefaßt, die sich in langen Zügen coulissenartig hintereinander emporschieben und in der grellen Sonnengluth all ihre zerrissenen Linien, Schründe und Klüfte zeigen. Sengende Hitze ist hier; die Atmosphäre bebt und flimmert über der dürren Ebene und zaubert die seltsamsten Trugbilder.
Drüben, wo einzelne schwarze Klippen dem Flugsande entragen, wallt ein langer Wasserstreifen, silbern und hell. Wie von leichtem Lufthauche gekräuselt erscheinen die blitzenden Wellen, die all' die scharfen Kontoure der Klippen auf's Treueste wiederspiegeln. Da plötzlich hebt sich ein Berg aus dem Silbersee, viele purpurfarbene Inseln mit wiegenden Palmenhainen; Wasservögel mit glänzend schönem Gefieder, weißbrüstige Schwäne, Reiher und Flamingos beleben die Küste, durchwaten das erquickende Naß und vervollständigen das traumhaft schöne Gemälde. – – Es ist das Gespenst der Wüste, – – und morsche, umherliegende Gebeine bekunden das Geschick der Unglücklichen, welche den Verlockungen dieses Gespenstes, der Fata Morgana, folgten.
Diese furchtbaren Wüsteneien nehmen einen bedeutenden Theil des südlichen Kaliforniens ein und sind namentlich auch gegen die Grenzen Nevadas hin, in den County's San Bernardino und Inyo von einer solchen grauenhaften Öde, daß die Menschen diese Stätte ›das Todesthal‹ nannten. Eine Tragödie der grausigsten Art war die direkte Veranlassung dazu. Eine Emigrantenkarawane, die im Jahre 1849 von Osten her nach den goldreichen Gefilden Californiens zog, gerieth in diese Wüsteneien hinein und verirrte sich in ein Thal, aus welchem kein Entrinnen möglich schien. Ringsum war nichts wie glühend heißer Sand, aus dem allenthalben düstere, schroffe Klippen emporragten. Tag für Tag irrten die Unglücklichen durch den weißen, glitzernden Sand, verzweifelnd nach einem Auswege suchend; aber überall ragten die schroffen Felswände in die Höhe, – in einem Riesengrabe irrten die dem Tode Geweihten umher! Einer nach dem Andern legte sich zum Sterben nieder, – aber nicht zum ruhigen, lebensmüden Entschlafen, nein, zum qualvollsten Verenden nach wahnsinnigem Ringen mit dem entsetzlichen Würger Durst. Nur Zweien gelang es endlich, mit Zurücklassung aller Habe, einen schroffen Berghang hinaufzuklettern und jenseits desselben Wasser zu finden. Sie waren gerettet und berichteten, als sie zu Menschen kamen, das schreckliche Schicksal der Karawane.
Seit jener Zeit wurde dies Todesthal als eine Region des Schreckens gemieden, als eine Stätte, die kein Mensch je erforschen werde. Aber die beiden Überlebenden hatten zugleich auch die Nachricht mitgebracht, daß sie während der Ersteigung des Bergabhanges, jenseits welches sie Wasser fanden, eine Goldmine von erstaunlicher Reichhaltigkeit entdeckten. Der Eine stach mit einem Messer ein Stück gediegenen Goldes aus dem Quarz und verhämmerte es zu einem Büchsen-Visir, da ihm ein solches verloren gegangen war. Beide Männer hatten aber nicht mehr den Muth, nach dem Fundorte zurückzukehren, und sie starben, ohne die Lage einem Dritten mitzutheilen. Die Sage aber von dieser › Gun-sight-Lode‹ erhielt sich bis auf den heutigen Tag, und alle californischen Goldgräber glauben noch heute an das Dasein derselben. Trotz der Schauergemälde, die von der Lage derselben entworfen wurden, unternahmen zahlreiche Glücksritter dorthin Expeditionen, aber fast alle büßten ihren Versuch mit dem Leben und kehrten niemals wieder.
Vor einer Reihe von Jahren gelang es einem deutschen Reisenden, dem um die Amerikaforschung hoch verdienten, leider zu früh verstorbenen Heinrich Semler, einen Blick in dies Thal des Grauens zu werfen, und entnehme ich seinem Berichte, vielleicht dem einzigen, der über diese Stätte gegeben wurde, folgende Stelle:
»Als wir dem Ostabhange des Cerro Gordo, – er steht auf jeder Specialkarte verzeichnet, – hinunterritten, lag vor uns eine Region der Öde und des Todes, – Thäler ohne Gründe, verbrannte Hügelgruppen, die sich scharf von einer nackten Hochebene abhoben, geborstene schwarze Felsenmauern: Verkörperungen des Schreckens vulkanischer Verheerungen und Fundamente für wildphantastische Berggipfel, auf deren nacktem Gestein sich die Sonnenstrahlen vielfarbig brachen. Nördlich lag Salina Valley, doch konnten wir seine schimmernden Felder von Salz-Soda nicht sehen, denn hohe Berge ragten zwischen uns und ihnen. Vor uns und nach Osten hin dehnte sich Panamint Valley, umsäumt von hundert Meilen langen Hügelketten, tief genarbt durch die Regengüsse vieler Jahrhunderte, – weithin strahlen sie ihre Calicofarbe, es ist, als glühten sie unter den heißen Sonnenstrahlen. Läge in der Nähe nicht ein noch schauerlicheres Schöpfungsstück, dann würde Panamint Valley den ersten Rang unter den Wüsten Nordamerikas einnehmen. Es liegt auf gleicher Höhe mit dem Meeresspiegel und ist von dem Todesthal durch die Telescope-Berge getrennt. Der Gedanke drängt sich auf: welchen Eindruck würde diese Scenerie unter dem trüben, bleigrauen Himmel des hohen Nordens machen? Denn hier wird das Grauen gemildert durch das klare, freundliche Blau des Firmaments, das tröstend über dieser Stätte des Todes leuchtet. Drei Tage ritten wir durch diese Stein- und Salzwüste, bald einen gefährlichen Saumpfad hinauf, bald einen steilen Hang hinunter, gelegentlich auf dem Kamme eines Hügels Rast haltend, um einige Augenblicke in kühlerer Luft zu athmen und dann, wenn der scheidende Tag gespenstige Schatten über die Schluchten-Einsenkungen warf, loderte unser Lagerfeuer auf. Höher und höher stiegen die schwarzen Linien den Bergen hinauf, – es war, als ob aus der Unterwelt die Fluth der Nacht emporsteige. So sieht man die Göttin auf den Bildwerken des Griechenvolkes: sie kehrt die Fackel, welche auszulöschen sie sich anschickt, abwärts gegen die Erde.
Höher, immer höher stieg die Nacht, ein Gipfel nach dem andern wurde von ihr ausgelöscht, und als nur noch die letzten Zacken erglühten, dann wandten sich die Blicke westwärts, und im Herzen stieg der Wunsch auf: bleibe bei uns, denn es will Abend werden. Es ist so einsam, und nun verläßt uns auch noch das tröstende Tagesgestirn! Blaugrün färbt sich der Himmel, noch einmal huscht ein fades Gelb darüber hin, und die schweigsame Nacht ist dem schweigsamen Tag gefolgt. Grabesstille herrscht überall, selbst die Maulthiere liegen von Furcht gebannt, stumm auf der Erde. Die ganze Welt scheint erstarrt zu sein, liegt doch selbst die Luft regungslos, – doch nein, dort oben die Sterne, sie ziehen ihre ewigen Bahnen, und nun kommt auch der Mond hinter einem hohen Grat herauf. Zuerst als ein Stern, dann ein Goldstück, endlich eine große Scheibe, in welche die Felsblöcke, die auf dem Grate liegen, schwarzzackig hineinragen. Und wie nun ›das Licht aus dem Lande der Todten‹ voll auf die Öde und Einsamkeit fällt, da begreift man, daß in allen Erdtheilen die Menschen ihre Wüsten mit Gespenstern und Dämonen bevölkert haben.
Je mehr wir uns dem Ziele näherten, desto mehr steigerte sich das drückende, beängstigende Gefühl, dem sich an diesem Orte auch der beherzteste Mann nicht entziehen kann. Mittag war's und mühsam keuchten unsere Maulthiere einen holperigen Saumpfad hinauf. Da! ruft unser Führer, der zuerst die Höhe erreicht hat, – da! und deutet mit der Hand abwärts. Ja, da lag zu unsern Füßen das gefürchtete, berühmte Thal, da blickten wir auf den tiefsten trocknen Punkt unter dem Meeresspiegel in der neuen Welt, und wenn das Thal von Jericho nicht wäre, müßte es heißen: auf der ganzen Erde. Hundert Meilen dehnt es sich von Nordost nach Südwest mit einer Breite, die zwischen dreißig und vierzig Meilen schwankt.
Ganz überblicken konnten wir das Thal nicht, doch zum größten Theile. Vor uns lag ein langes, tiefes, wüstes Becken mit scheinenden weißen Flecken auf dem Boden: das sind Felder von Salz, Soda und Borax, die im Gesammt viele tausend Acres bedecken und unter den heißen Sonnenstrahlen, die von dem wolkenlosen Himmel herunterschießen, schimmern, funkeln und leuchten, daß das Auge den Anblick nicht lange ertragen kann. Eingerahmt werden sie, nebst den hellen Sandflächen, die mit ihnen abwechseln, von schwarzen und grauen Bergen, die jäh abfallen und dadurch die Tiefe des Thals den Sinnen nachdrücklich zum Bewußtsein bringen. Nicht als geordneter Rahmen liegen sie da, so, wie ihn langsam wirkende neptunische Kräfte gebildet haben würden, sondern in wilder Konfusion sind sie aufgehäuft und als chaotische Massen durcheinander geworfen, just als ob seit altersgrauer Zeit hier ein Sportplatz der Erdbeben und Vulcane gewesen sei. Schwarz, wie die Lava zu sein pflegt, leuchten die Berge lebhaft durch die wunderbar klare Luft und bilden mit den weißen Feldern des Thalbodens einen Farbenkontrast, der überwältigend wirkt. Nicht losreißen mag man sich von dem Anblick der schauerlich erhabenen Berge, die da stehen und in Ewigkeit stehen werden als bildliches Zeugniß von der Kraft der Naturgewalten, doch ermüdet das Auge leicht, wenn es die Thalsohle sucht, die sich als eine Fläche dehnt: nur im Süden wölben sich niedrige Hügel von Sand und Kies, während im Norden eine leichte Bodenanschwellung zu bemerken ist.
Noch hatten wir einige Meilen nach dem Thal zurückzulegen und ein unheimlicher Weg war es! Er führte durch düstere Schluchten, die von senkrechten Felsen besäumt und gerade breit genug waren, um als Saumpfad zu dienen. Diese Felsmassen bestanden aus älterem Gestein: Granit, Porphyr und Schiefer, und waren von dem Zahn der Zeit zu seltsamen Formen benagt worden. Sie bilden den Sockel der jüngeren vulcanischen Berge. Das beschwerliche Überschreiten zahlreicher Felsblöcke, die sich von den Höhen gelöst und in die Schluchten gefallen waren, verzögerte unsere Ankunft im Thale bis zum späten Abend. Sie wird mir denkwürdig bleiben, diese Sommernacht, welche ich im Todesthal am Lagerfeuer verbrachte. Wohl blinkten die Sterne am klaren Himmel, aber die Berge warfen im Mondschein grausige Schatten, und die lange, weiße Ebene dehnte sich geisterhaft vor meinen Augen. Keine Möglichkeit einer Gefahr war vorhanden, und doch konnte ich die Angst nicht vollständig bemeistern, die in der Luft zu schweben, die aus der Erde zu quellen schien. Die Schwüle, welche in diesem Becken herrscht, war wohl die Ursache nicht allein, – es war so kerkerartig hier tief unter dem Meeresspiegel, und dann die traurige Geschichte der Emigranten und ihrer späteren Unglücksgenossen! Denn wenn auch die Schrecken des Todesthals von den Dichtungen entkleidet worden sind, so bleibt die nackte Wahrheit noch immer grauenerregend. Die Indianer, welche von Jugend auf das Todesthal und seine Tücken kennen, sind nicht zu bewegen, es über ihre alt ausgetretenen Pfade hinaus zu betreten. Der waghalsige Goldsucher wird zaghaft, wenn er an der Grenze dieses Beckens steht, denn er kennt seine Schrecken, und bleichende Gebeine warnen ihn zur Vorsicht. Wer sich auf diesem Grunde verirrt, dessen Schicksal ist besiegelt. Ohne Wasser, um den rasenden Durst zu löschen, treibt ihn die glühende Hitze zum Irrsinn. Mit verwirrten Sinnen wandert er ohne Ziel, und die Fieberphantasie treibt ihren Spott mit ihm. Das blaue Gewässer will er erreichen, und wie er ihm nachstrebt, so wird es von Zauberhänden weiter und weiter gerückt, und endlich kann er nicht mehr: er bricht zusammen, um auf glühend heißem Sande elend zu sterben. So hat sich schon Mancher für immer niedergelegt, ohne daß ihm die Todtenglocke geläutet, ohne daß ihm ein Hügel gewölbt wurde. Er gehörte fortan zu den Vermißten.
Einst war das anders. Da rauschten auch hier die Wellen, und wer kann sagen, ob nicht wilde Rothhäute mit ausgehöhlten Baumstämmen kreuz und quer segelten, wo jetzt der Flugsand die Gebeine von Verdursteten deckt? Leicht sind die Spuren des Sees erkenntlich: die Auswaschungen an den schroffen Felswänden, an denen sie brandete, und die Bänke von Kies und Geröll, die ihr Wellenschlag an den einmündenden Schluchten aufhäufte. Muscheln und Reste von andern Seethieren werden gefunden, und dann vor Allem: jene weißen, glitzernden Felder.«
Soweit der deutsche Reisende.
Daß trotz aller Schreckgeschichten die Sage von der › Gun-sight-Lode‹ ihre alte Anziehungskraft nicht verloren, das beweist ein kürzlich aus Los Angeles eingegangener Bericht, demzufolge es vor wenigen Monaten drei Männern gelungen sein soll, in das Todesthal vorzudringen und die sagenhafte Mine zu entdecken. Es waren drei Männer aus Los Angeles, Namens Judson, Spring und Carter, welche eines Tages ihre Absicht ankündigten, sich auf die Suche nach der › Gun-sight-Lode‹ zu begeben. Jedermann war überzeugt, daß sie ihren Todtengang antreten würden, denn so viele Expeditionen waren bereits unternommen worden und hatten mit Tod und Verderben geendet, daß man auch diese letzte für äußerst thöricht hielt.
Aber nach ungefähr sechs Wochen kehrten die Abenteurer wieder nach Los Angeles zurück, zerlumpt, ausgemergelt und elend. Carter war sogar so krank, daß er lange Zeit das Bett nicht verlassen konnte. Alle drei waren jedoch voll glühender Begeisterung über ihre Erfolge, und Jeder von ihnen hatte Goldklumpen in der Tasche, um beweisen zu können, daß es ihnen wirklich gelungen sei, die › Gun-sight-Mine‹ zu finden. Die Geschichte ihrer Reise wäre unglaublich, wenn sie selber nicht lebendige Zeugen für die Wahrheit derselben gewesen wären. Ihre Körper trugen nur zu deutliche Merkmale von den Leiden, welche sie auszustehen gehabt hatten.
Die Abenteurer wußten, daß die ersten Entdecker der Mine durch das Todtenthal hatten ziehen müssen und so versuchten sie es, dieselbe Tour einzuschlagen. Als sie die Mohave Wüste hinter sich hatten, kamen sie auf eine Ebene von weißem, glitzernden Sand, auf welcher kein Leben bestehen kann. Fast schon bei den ersten Schritten über dieselbe wurden sie von der glühenden Hitze beinahe überwältigt, die zugleich von oben und von unten auf sie eindrang. Ihre Füße schwollen derartig an, daß sie gezwungen waren, ihre Schuhe aufzuschlitzen. Die Staubbrillen, welche sie mitgenommen hatten, erwiesen sich für ihre Augen als ein zu schwacher Schutz.
Die Männer hatten zwei Fuhrwerke, deren jedes mit zwei Pferden bespannt war, und auf diesen Wagen befanden sich Wasserfässer und andere Vorräthe. Nach einer äußerst mühseligen Fahrt von etwa zwei Stunden wurde bei jedem Schritt die glühende Hitze unerträglicher und man beschloß, eine kurze Weile auszuruhen. Die armen Pferde stöhnten förmlich vor Leiden, und die Männer wagten es nicht, einander in die Augen zu sehen, um in den Blicken der Anderen nicht die Verzweiflung zu lesen, welche sich ihrer bemächtigt hatte. Mehrmals sahen sie die Überreste von Menschen, Pferden und Maulthieren, entweder wie Mumien zusammengeschrumpft oder als bleiche Skelette. Die Wagenräder dieser Expeditionen waren, trotzdem so manches Jahr über sie hingegangen, nicht verrostet; die Büchsenläufe blinkten wie an dem Tage, da sie den Händen ihrer Eigenthümer entfielen. Oben in den Lüften kreisten Geier mit heiserem Gekrächz, als ob sie sich der neuen Beute freuten.
Als die Nacht anbrach, folgten sie dem Nordstern. Einer versuchte zu schlafen, während die Anderen fuhren.
Am nächsten Morgen bot sich ihren Blicken wiederum derselbe glitzernde Sand, derselbe bleierne Himmel, dieselben felsigen Abhänge der Gebirge. Müde arbeiteten sich die Männer weiter und dachten schon, sie hätten das Schlimmste überwunden, als in Folge der fürchterlichen Hitze das Holz ihrer Fuhrwerke zusammenschrumpfte, so daß sie auseinander fielen. Auch die Wasserfässer zerplatzten und gossen den in ihnen verbliebenen Inhalt in den glühenden Sand. Jetzt wußten die Abenteurer, was ihrer wartete – der Tod.
Carter sah in einiger Entfernung einen Gegenstand, eilte hin und sah, daß es die Reste einer verunglückten Expedition waren. Ein zerbrochener Wagen lag dabei. Aus diesem und ihren eigenen Fuhrwerken zimmerten nun die Männer, so gut es anging, eines zurecht, bepackten dasselbe mit ihren Sachen und zogen weiter. Bald darauf stürzte ein Pferd todt zu Boden und Carter wurde so krank, daß seine Gefährten an seinem Leben verzweifelten.
Der fürchterliche Durst zwang sie, tief im Sande nach Wasser zu wühlen. Sie stießen auch auf Wasser, dasselbe war jedoch salzig. Es vermehrte nur ihren Durst; die Pferde weigerten sich von vornherein, es zu trinken.
Die warme Luft wurde heißer und heißer und zitterte und flimmerte unter dem Druck der Hitze, bis sie zur wildesten Verzweiflung aufgestachelt das Joch nicht länger tragen wollte. Dann bäumte sie sich auf in all ihrer Macht, brüllte wie ein zorniges Raubthier, mit heiserer, Unheil verkündender Stimme. Hierhin, dorthin raste sie, um einen Ausweg aus dem Kerker zu finden und da ihr Suchen vergeblich blieb, drehte sie sich zu einer wirbelnden Säule – schwarz wie die Mitternacht – und stieg mit Staub, Sand, Alkali und Allem, was sie in rasender Eile umarmte, aufwärts, um durch die höchsten Gebirgsschluchten donnernd, prasselnd und heulend in die unendliche Weite zu ziehen.
Mit äußerster Anstrengung ihrer Willenskraft zwangen sich die Abenteurer, die Reise fortzusetzen und erreichten endlich das Ende des Thales, mehr todt als lebendig, als sie den Aufstieg auf's Gebirge begannen.
Hier fanden sie einige Büschel Gras, über welches die Pferde sofort gierig herfielen, und eine Wasserquelle, die reichliche Erquickung bot. Nach mehrtägigem Verweilen hierselbst begaben sich dann die Abenteurer auf die Suche nach Gold. Eine ganze Woche lang bemühten sie sich vergebens, endlich, am achten Tage, stießen sie auf ein Lager von Kies, in dem sich Goldkörner im Werthe von 1 bis 5 Dollars befanden. Jetzt wußten die Männer, daß sie sich in der Nähe der berühmten › Gun-sight-Lode‹ befanden. Noch ein Tag und es gelang ihnen, genau die Stelle zu finden, wo 40 Jahre zuvor die › Gun-sight-mine‹ entdeckt worden war. Sie suchten sich sofort verschiedene werthvolle Klumpen Gold, um dieselben daheim zeigen zu können, und schlugen dann in einer anderen Richtung den Weg nach der Heimath ein. Das unbeschreiblich elende Aussehen der Abenteurer und die großartigen Goldproben, die sie mitbrachten, waren Bürge dafür, daß die Geschichte ihrer Reise auf Thatsachen beruhte.
Den letzten Nachrichten aus Los Angeles zu Folge sollen Vorbereitungen im Gange sein, eine neue Expedition nach dem Goldlande auszurüsten. –
Nur wenig stand hinter diesem Thale des Todes an Schrecken die Coloradowüste früher zurück, durch die wir jetzt mit der Schnelle des Dampfes dahinglitten.
Im Scheine der untergehenden Sonne erglühte die ganze Landschaft in einem wunderbaren rosigen Licht. Fast carminroth funkelten die Bergzüge, in deren Spalten blaue Schatten lagen. Bleich und kalt gegen diese Gluth dehnten sich die öden Sandflächen, aus denen hier und da phantastisch gestaltete Cacteen ragten. Die rosigen Tinten verblaßten immer mehr und mehr, der Himmel zeigte ein kaltes Grün, welches sich in stumpfes, bleiernes Blau umwandelte und endlich ganz im nächtlichen Dunkel aufging.
Aber wieder erglänzte Lichtschein aus diesem Dunkel, ein mächtiger Fluß kam in Sicht, über eine Brücke donnerte der Zug, wir waren in Yuma, am Colorado, in Arizona. Am Bahnhofe drängten sich Mexikaner, Indianer, Chinesen, Neger und Yankees bunt durcheinander; neben der englischen Sprache erscholl das Gurgeln der Yuma Indianer, der Wohlklang der spanischen Laute und das Kauderwelsch des Negers.
Yuma ist einer der sonnigsten Orte ganz Nordamerikas, und gilt als die größte Schattenseite dieser Ansiedlung, daß es eben keinen Schatten besitzt. Acht Monate im Jahre herrscht hier eine fürchterliche Hitze, 110-120° Fahrenheit sind die Regel, vor einigen Jahren soll das Thermometer sogar 130° im Schatten aufgewiesen haben. Man erzählt sich von einem in Fort Yuma stationirt gewesenen und daselbst verstorbenen Soldaten, der allnächtlich die Garnison durch sein Erscheinen als Geist in Gruseln versetzte. Endlich einmal angerufen und um den Grund seiner beständigen Wiederkehr befragt, sprach der Geist die Bitte aus, ihm einige wollene Decken zu geben, da er es nach dem Aufenthalte in Yuma in der Hölle vor Kälte nicht aushalten könne.
Wie die Gebäude aller mexikanischen Städte, so sind auch die Häuser von Yuma aus ›Adobe‹, sonngebrannten Lehmziegeln, errichtet und nur ein Stockwerk hoch. Die Wände sind 2-4 Fuß dick, die Dächer aus Holz, Leder- und Weidengeflecht gebildet und mit Erde beworfen. Verandas, roh aus Pfühlen und Weidengeflecht gefertigt, schieben sich nach allen Seiten zehn bis zwanzig Fuß weiter hinaus, um Schutz gegen die Sonnenstrahlen zu gewähren. Auffällig erscheinen noch die hohen Umzäunungen der Gehöfte. Eine Reihe von Pfählen wird dicht neben einander vier Fuß tief eingerammt und mittelst rohlederner Riemen fest verbunden. Manche dieser ›Fenze‹ haben ein originelles Aussehen, zumal die an Länge und Dicke sehr ungleichen Pfähle nicht zu einer gleichmäßigen Höhe abgeschnitten werden.
Eingeborene wie Weiße tragen während der Sommerzeit so wenig Kleider wie möglich; erstere, dem Stamme der Yumas angehörig, große, behende Gestalten von dunkler Hautfarbe, beschränken sich zumeist auf einen die Lenden umgürtenden Schurz; denkt man sich hierzu, daß sie sich das Gesicht kohlschwarz bemalen und es durch einen rothen Strich in zwei Hälften theilen, den übrigen Körper aber mit weißer oder orangegelber Erde bestreichen und mit den Fingernägeln allerlei Streifen in diesen Untergrund hineinreißen, so wird man der Versicherung christlicher Sendboten gerne Glauben schenken, wenn sie erzählen, es habe ihnen geschienen, als befänden sie sich in der Nähe leibhaftiger Teufel.
Im Gegensatze zu den hochgewachsenen, schlanken und wohlproportionirten Männern sind die Weiber klein, untersetzt. Auch sie tragen ihren Farbenschmuck, bunte Glasperlen um den Hals und ferner einen bis zum Knie reichenden Bastrock. Von weitem gleicht eine solche Indianerin beinahe unseren Ballettänzerinnen.
Rings um Yuma, etwa in einem Umkreise von zehn englischen Meilen am Coloradoflusse verstreut, leben etwa 2000 dieser Indianer, der letzte Rest des einst weitaus mächtigeren Stammes. Von Nahrungssorgen werden diese Rothhäute, die keinerlei Unterstützung seitens der Regierung genießen, auch nicht auf eine Reservation zusammengedrängt sind, nicht allzusehr geplagt, denn die reichlichen Niederschläge, welche durch die alljährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Coloradoflusses abgesetzt werden, bilden einen so fruchtbaren Boden, daß die hineingelegten Mais-, Kürbis- und Melonenkerne sowie Bohnen fast tausendfältige Früchte erzeugen. Fünfzigpfündige Wassermelonen und centnerschwere Kürbisse gehören gerade nicht zu den Seltenheiten. Viele der letzteren werden in lange Streifen zerschnitten und an der Sonne gedörrt; in diesem Zustande heißen sie Bichicores und können Jahre lang aufbewahrt werden.
Auch der Coloradofluß, sowie die zahlreichen ihn umgebenden Wasserlachen bieten Nahrung genug, denn sie wimmeln von schmackhaften Fischen, die der Yuma auf's Trefflichste mit seinen Pfeilen zu erlegen weiß. Ein vorzüglicher Bogenschütze, durchstreift er auch die felsigen Plateaus, auf denen Hasen, Kaninchen, Wachteln, Tauben und anderes kleines Wild vorhanden sind.
Von diesen Indianern, welche es in der Bodenbestellung so weit gebracht haben, daß sie sich vollständig selbst erhalten können, wurden am Bahnhofe von einem weißen Händler photographische Aufnahmen feilgeboten, darunter befand sich eine speciell ›für Liebhaber‹ angefertigte Collection, welche erwachsene Indianerinnen und – kleine Mädchen von drei bis vier Jahren in geradezu ausgesucht obscönen Positionen darstellten. Wie ich aus zuverlässiger Quelle erfuhr, waren die Weiber gegen gewisse Bezahlung zu derartigen Schaustellungen veranlaßt worden. Wer ist mehr zu verachten, die arme, unwissende Rothhaut, oder die weißen Schufte, welche, auf die Sinnlichkeit einiger verkommener Subjecte ihrer eigenen Rasse speculirend, aus derartigen Gemeinheiten Capital zu schlagen suchen?
Yuma ist an der Mündung des Gila in den Colorado gelegen, welch' letzterer, überaus schmutzige Strom, dessen Wassermenge ungemein wechselt, von seiner Mündung in den californischen Meerbusen mehrere hundert Meilen aufwärts schiffbar ist. In seinem mittleren Laufe dagegen ist der Strom absolut unfahrbar; denn hier sind fast unzugängliche Schluchten, die Cañons des Colorado, und Niemand anders ist hier Herrscher, als er.
Der Colorado ist eines der großartigsten Naturwunder. Ist sein unterer Lauf nur wenig über dem Meeresspiegel gelegen, so ist sein Quellgebiet hingegen im Bereiche jener Gebirgsketten, deren schneegekrönte Häupter bis zu 14,000 Fuß emporragen. Hier fällt den ganzen Winter hindurch Schnee, und so weit das Auge reichen mag, sind Wälder, Klippen und Thäler in einen weißen, leuchtenden Mantel gehüllt. Bringt der Sommer mit seinen Feuergarben den Schnee zum Schmelzen, so stürzen von allen Bergwänden Millionen von Kaskaden. Zehn Millionen dieser Kaskaden vereinen sich zu zehntausend schäumenden Bächen, zehntausend dieser Bäche bilden hundert tosende Flüsse voller Katarakte und Stromschnellen. Hundert dieser Flüsse bilden den Colorado. Alle diese Wasser graben und nagen sich Klüfte in die dürren Felslande, tiefer und immer tiefer, bis die Uferwände thurmhohe, unersteigliche Klippen bilden. Diese tiefen, engen Felsengassen heißen Cañons. Jeder Strom, jeder Bach, alle jenen winzigen, nur während der Regenzeit bestehenden Wässerlein haben ihre eigenen Cañons, so daß das ganze mittlere und obere Gebiet des Colorado ein ungeheueres Labyrinth tiefer, ineinander mündender Klüfte und Felsschluchten ist.
»In uralter Zeit – vor vielen Jahrtausenden – herrschte ein mächtiger, weiser Häuptling über die Stämme von Arizona. Der Tod raubte demselben sein Lieblingsweib, und so tief und ergreifend war des Häuptlings Klage hierüber, daß Ta-vwoats, einer der indianischen Götter, sich seiner erbarmte und ihm versprach, ihn für kurze Zeit in's bessere Land zu der verlorenen Gattin zu führen, falls er nach seiner Rückkunft nicht mehr trauern wolle. Der Häuptling sicherte ihm dies zu, und nun nahm der ›Große Geist‹ eine ungeheuere Kugel in die Hände und rollte sie vor dem Häuptlinge über den Boden, und wo die Kugel rollte, da schnitt sie tief in die Erde ein und bildete einen viele tausend Fuß tiefen Engpaß. Durch diesen führte Ta-vwoats den Indianer zu jenem glücklichen Lande, wo er sein Weib wiederfand. Nachdem der Gott den Häuptling zurückgeleitet, nahm er die Schneewasser der Hochgebirge, die Regenströme, die auf die Ebenen niederfielen, und leitete einen furchtbaren, brausenden Strom durch den Engpaß, damit Niemand im Stande sei, auf's Neue durch die Schlucht nach den Ländern der Seelen vorzudringen.«
So lautet die indianische Sage über die Entstehung der mächtigen Cañons des Colorado, über welche auch an den Lagerfeuern der westlichen Jäger und Goldgräber manche wunderbare Erzählung verbreitet wurde. Nach Powell. Report of the Exploration of the Colorado River.
Man berichtete von verwegenen Abenteurern, welche mit ihren Booten in den Engpaß hineingefahren, dort aber mit fürchterlicher Schnelligkeit in die Strudel und Wirbel des Stromes hinabgerissen und durch die Gewalt der Wogen erdrückt worden waren. Andere wußten von Reisenden zu erzählen, die wochenlang an dem Rande des Cañons hinwanderten, von Durst gefoltert, ohne zu dem tausende Fuß unter ihnen dahinschießenden Strome gelangen zu können. Angesichts des Wassers mußten sie in der sie umgebenden Dürre elendiglich verschmachten und verkommen. Allgemein wurde auch geglaubt, daß der Fluß für mehrere hundert Meilen unter der Erde dahineile, an anderen Stellen wieder so mächtige Wasserfälle bilde, daß das Getöse derselben auf den Gipfeln ferner Berge wahrgenommen werden könne.
Nur einem einzigen Sterblichen war es gelungen, freilich gegen seinen Willen, im Jahre 1867 das fürchterliche Cañon des Colorado lebend zu passiren, dem Goldgräber James White. Er gehörte einer größeren Reisegesellschaft an, die aber von Indianern überfallen und gänzlich niedergemacht wurde. White nebst einem Gefährten waren die einzigen Überlebenden, die dem Massacre entkamen. Die rothhäutigen Verfolger hart auf den Fersen, gelangten die Flüchtlinge an den Lauf des Colorado, und glücklicherweise an eine Stelle, wo ein Abstieg an den Rand des Flusses möglich war. Aus einigen Stämmen Treibholzes bildeten sie ein Floß und ließen sich nun von den Fluthen des Stromes abwärts tragen, aber bald gerieth das primitive Fahrzeug in so reißende Strömungen und Katarakte, daß der Gefährte White's von dem Floße geschleudert wurde und ertrank. Für den Überlebenden begann nun eine schreckliche Zeit des Leidens und der Entbehrungen. Ohne Aufenthalt wurde das Floß von den reißenden Fluthen fortgetragen; dasselbe zu landen war nicht möglich, und wenn dem Goldgräber dies auch gelungen wäre, so hätten die nackten, himmelhohen Felswände des Ufers doch nichts geboten, was ihm zur Nahrung hätte dienen können. So strichen sechs schreckliche Tage, sechs noch schrecklichere Nächte dahin und noch immer ging die grausige Fahrt ohne Unterbrechung weiter. Gelegentlich erweiterte sich die fürchterliche Felsengasse, und einiges Buschwerk bekleidete die Ufer. Der Unglückliche war aber bereits durch Hunger so geschwächt, daß es ihm an Kräften fehlte, das Floß an's Land zu treiben. Endlich am Nachmittage des siebenten Tages wurde er durch den Klang menschlicher Stimmen aus seiner dumpfen Verzweiflung geweckt und, als er sich mit Aufgebot aller Kräfte auf einen Arm stützte und nach der Richtung hinblickte, woher die Stimmen gekommen, sah er einige Menschen am Ufer stehen. Es waren Yampai Indianer, die nun in den Fluß schwammen und das Fahrzeug an's Ufer zogen. Diese Wilden lebten seit langen Jahren auf dem Boden des Cañons, auf einem Streifen Alluviallandes, wohin der Weg von oben her nur ihnen allein bekannt war. Während einer der Indianer das Floß befestigte, ergriff ein anderer den Goldgräber und stieß ihn vor sich her auf die Uferbank. Widerstand vermochte der Unglückliche nicht zu leisten. Als er versuchte zu sprechen, entrang sich kein Laut seinen Lippen, und nur durch Zeichen vermochte er seine flehentlichen Bitten um Nahrung auszudrücken. Anstatt denselben zu entsprechen, begann der Wilde hingegen, der den Unglücklichen an's Ufer geschleppt hatte, ihn der wenigen Kleider zu entledigen, die ihm noch geblieben waren, aber einer der Indianer stieß den Räuber zurück und gab dem Verhungernden etwas Fleisch und Bohnen, welche sofort auf's Gierigste verschlungen wurden. Nachdem der erste Hunger gestillt war, machte White durch Zeichen verständlich, daß er zu dem nächsten Punkte zu kommen wünsche, wo weiße Menschen seien. Die Indianer wiesen auf den Fluß und bedeuteten, daß er auf seinem Fahrzeuge innerhalb zwei Tagen eine Ansiedlung der Bleichgesichter erreichen werde. So vertraute er sich am nächsten Morgen, nachdem er seinen Revolver gegen einige Mesquite Bohnen und die Hälfte eines geschlachteten Hundes eingetauscht hatte, auf's Neue dem gebrechlichen Floße an. Noch war das Verlangen nach Nahrung so groß, daß die mitgenommenen Vorräthe bereits am ersten Tage aufgezehrt wurden, und doch fühlte der Goldgräber seine Gier nach Speise keineswegs befriedigt. Wiederum strichen drei lange Tage, drei lange Nächte dahin, und noch waren keinerlei Zeichen befreundeter Menschen zu sehen. Da sank die Energie des Mannes zusammen, seine Sinne begannen sich zu verwirren, und lang ausgestreckt lag er auf den ihn tragenden Baumstämmen, in vollstem Stumpfsinn dem Tode entgegensehend. Da in der Dämmerung des dritten Tages hörte er abermals Stimmen und den Schlag regelmäßig einsetzender Ruder. Er verstand die Worte, vermochte aber nicht, eine Antwort zu geben. Er fühlte nur, wie ein starker Arm sich unter seinen Nacken schob, wie er in ein Boot gehoben wurde und er sah, wie bärtige Gesichter voll Mitleid sich über ihn neigten. Der Kampf um's Leben war nun zu Ende; die Bewohner der mormonischen Ansiedelung erwiesen sich als barmherzige Samariter und ließen dem Manne alle Pflege angedeihen, der von den Wassern so wunderbar aus den Eingeweiden der unbekannten Cañons hieher getragen worden war. Geraume Zeit dauerte es, bis der Zustand des Geretteten, der infolge der überstandenen Leiden ganz das Aussehen eines alten Mannes erhalten hatte, sich wieder so weit gebessert hatte, daß er die Geschichte seiner schrecklichen Fahrt durch die Cañons des Colorado erzählen konnte.
Von dem Vorhandensein dieser furchtbaren Engschluchten hatte man schon seit Jahrhunderten Kenntniß, aber diese war eine höchst beschränkte und mangelhafte, da die ungeheuere Dürre, die endlose Zerrissenheit der ganzen Landschaft, die Unzugänglichkeit der Cañons aller Erforschung unüberwindliche Schranken entgegensetzten. Die spanischen Mönche und Conquistadoren, die im 16. und 17. Jahrhundert diesen Theil Amerikas berührten, hatten sich damit begnügen müssen, einen Blick in die grausigen Abgründe geworfen zu haben; sie zu erforschen oder zu überschreiten, war ihnen nicht beschieden.
Auch verschiedene Expeditionen, die in den fünfziger Jahren von der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesandt wurden, um den Colorado bezüglich seiner Schiffbarkeit zu erforschen, blieben erfolglos, und erst in den Jahren 1869 bis 1872 ward das Cañonland zum ersten Male in seiner ganzen Länge von dem amerikanischen Major J. W. Powell befahren. Die unerhört kühnen und heldenmüthigen Bootfahrten dieses Gelehrten bilden eines der glänzendsten, wenn nicht das glänzendste Kapitel in der Erforschungsgeschichte des amerikanischen Westens.
Wohlversehen mit Vorräthen ging Major Powell mit vier besonders für diese Fahrt erbauten Booten am 24. Mai des Jahres 1869 von dem am Green River, dem westlichen Quellflusse des Colorado gelegenen Örtchen Green River City ab, und gelangte mit seinen 9 Begleitern am zweiten Tage der Reise in eine Gegend, von der er schreibt, daß ein Bewohner grünbekleideter Hügellandschaften sich dieselbe kaum vergegenwärtigen könne. Eine wüste Einöde breitete sich vor ihnen aus, und doch war Schönheit in der Scenerie. Überall erhoben sich phantastische Formationen, architectonische Formen nachahmend und rohen, fremdartigen Bildsäulen gleich, geschmückt mit den leuchtendsten, fremdartigsten Farben. (Vgl. das Lichtdruckbild ›Scenerie im südlichen Utah‹). Im weiteren Verlaufe der Fahrt wurden diese Formationen immer seltsamer, man kam durch Felsschluchten, deren Wände feuerroth gefärbt waren und die man darnach Flamming Gorge, ›die Flammenschlucht‹, benannte. Beständig mit gefährlichen Stromschnellen kämpfend, gelangten sie dann in das wunderbare Cañon von Lodore. Hier stiegen die Felswände bereits bis zur Höhe von 3000 Fuß empor. Weiter stromab durchschnitten die Reisenden das Hochland des südöstlichen Utah, eines der regenärmsten Gebiete der Vereinigten Staaten und doch der Schauplatz der großartigsten Erosion und Abrasion, denn alle Wasserläufe rinnen in unzugänglichen Schluchten dahin, und über die tafelförmigen Hochebenen ziehen sich weit fortsetzende, mauerförmige Terrassenstufen, welche das Gepräge langsam fortschreitender Felszerstörung tragen.
Je mehr die kühnen Forscher nun nach Süden eilten, desto tiefer sanken die Sohlen der Cañons unter das Niveau der Hochebenen, desto mehr schien der braunrothe Strom sich der Oberfläche der Erde zu entziehen. Ein Cañon reihte sich an das andere, es folgten das Whirlpool- und das Yampa-Cañon, das Cañon of Desolation, das Grey-, Labyrinth- und Stillwater-Cañon. Und nun kam man an die Stelle, wo der Green River sich mit dem Grand River vereinigte. Diese Vereinigung vollzieht sich in einer engen, 2000 Fuß tiefen Schlucht und hier beginnen nun die eigentlichen Cañons des Colorado.
Das erste, vierzig englische Meilen lang, ist das Cataract Cañon genannt, und der an Wassermasse dem Niagara gleichstehende Strom schießt durch diese Gasse mit einer Schnelligkeit, die der eines Eisenbahnzuges gleich ist. Gewaltige, festungähnliche Felsgebilde stemmen sich mitunter trotzig der Fluth entgegen und lassen dieselbe in fürchterlichen Strudeln und Wirbeln aufschäumen. Die Wände all dieser Cañons sind von geringerer Tiefe, immerhin aber mehr als fünfmal so hoch als der Kölner Dom.
An das Cataract Cañon schließt sich das 9½ Meilen lange Narrow Cañon, durch welches die tosenden Wasser mit einer Schnelligkeit von 40 engl. Meilen per Stunde durchschießen. Dann folgt das 149 Meilen lange Glen Cañon, um weiter in das 65½ Meilen lange Marble Cañon überzugehen. Hier sind die Wände der Schlucht aus rosenroth, weiß, braun, grau, purpurn und schieferblau gefärbtem Marmor gebildet, und die Härte desselben bedingt, daß die Wände, wenig zerschnitten, große einfache Flächen darbieten, die je nach der Windung der Stromrinne bald in ungeheueren Halbcylindern vorragen, bald in gewaltigen Hohlkehlen zurückweichen. Und nun, nachdem der Strom diese marmorne Gasse durchjagt hat, tritt er in das Grand Cañon ein, dessen Länge 217 engl. Meilen beträgt. Da wogt der Fluß sechstausend bis siebentausend Fuß unter der Oberfläche der Erde, unzugänglich im wahrsten Sinne des Worts; denn die vertikalen Wände des Cañons bestehen für tausend Fuß aus Granit, dann folgen sehr steile Abhänge und darüber erheben sich wieder himmelhohe Klippen, eine über der anderen. Unten ist die Schlucht schwarz und finster, die Klippen oben flammen leuchtend roth und grau, und scheinen, von zahllosen Rissen und Seitencañons durchbrochen, ein endloses Felsenwirrsal zu sein. –
Über drei Monate dauerte die Fahrt Powell's durch diese schrecklichen Abgründe, und ein Wunder war's, daß er mit seinen Genossen den tausendfältigen Gefahren dieser Unterwelt glücklich entrann.
Seit jener denkwürdigen Stromfahrt sind mehrfach Expeditionen entsandt worden, um die Geheimnisse dieser Wunderwelt zu erschließen. Neuerdings hat der Unternehmungsgeist der Amerikaner auch dem Touristen den Einblick in das Grand Cañon des Colorado, diese großartigste Sehenswürdigkeit Nordamerikas, ermöglicht und zwar durch die Fertigstellung der von Neu Mexiko quer durch Arizona nach Südcalifornien führenden Pacificbahn. Von der an dieser Bahn gelegenen Station Peach Springs aus vermag der Reisende zu Pferde bis an den Rand des Großen Cañons zu gelangen, um sich dort in den erdrückenden Anblick dieser Wunderwelt zu vertiefen.
Der Punkt, wo sich diese gewaltige Aussicht eröffnet, ist Point Sublime, ein weit in das Herz des Cañons hineinragendes Vorgebirge, das wohl vor vielen anderen an Größe des Panoramas ausgezeichnet ist.
Dutton, Dutton. Tertiary History of the Grand Cañon District ein Theilnehmer an den Powell'schen Erforschungsreisen, und der eigentliche Biograph dieses wunderbaren Landes, äußert sich über dieses Panorama wie folgt:
»Wo immer man sich auf dem Kaibab Plateau dem Cañon nähert, thut sich dasselbe plötzlich, mit einem Schlage vor unseren Füßen auf; nur selten, daß ein Anzeichen die Nähe des fürchterlichen Abgrundes verkündet. Der Wald reicht bis an den Rand der Steilschlucht, und die Fichten lassen ihre Zapfen in die bodenlose Tiefe fallen. Anders ist die Scenerie, wenn man sich dem Point Sublime nähert. Schon eine Meile vorher verrathen allerlei Anzeichen, daß wir uns dem Rande der Schlucht nähern, und wenn wir denselben erreicht haben, wird uns ein Schauspiel zu Theil, das wohl das überwältigendste dieser Erde genannt werden kann.
Eine neue Welt eröffnet sich uns hier, ein neuer landschaftlicher Typus mit neuen Vorstellungen von der Schönheit, Großartigkeit und Gewalt der Naturerscheinungen; aber um diese Welt verstehen, fassen zu können, bedarf man Wochen, Monate. Man muß dieselbe in ihren Einzelheiten studiren, muß sich an dieselbe gewöhnen, um in ihren Geist einzudringen, denn der Einblick in diese Gegend versetzt dem Naturfreunde, der seinen Blick in den Alpen, in Italien, in Deutschland, in den Cordilleren, in Schottland oder Colorado gebildet hat, einen gewaltigen Stoß; er wird von Schrecken überwältigt sein. Dinge, die er mit den Worten ›schön‹, ›reizend‹ zu bezeichnen pflegte, wird er hier selten oder niemals erblicken. Die Formen erscheinen grotesk, die Farben hart und bizarr; harmonisch abgetönte Lichtpartien und Schatten scheinen gänzlich zu fehlen. Aber mit der Zeit ändert sich dieser Eindruck. Was zuerst wild, fast brutal erschien, erweist sich nun als großartig und ausdrucksvoll. Die Formen, die zuerst grotesk aussahen, sind voller Kraft und Majestät; die grellen, unvermittelt nebeneinander stehenden, schreienden Farben zeigen sich allmählich ebenso zart, wechselnd und effektvoll als irgend andere.
In das 50 Meilen lange und 12 Meilen breite Gesichtsfeld, welches sich vom Point Sublime darbietet, drängt sich eine ungeheuere Menge von Objecten, so riesenhaft, so majestätisch, so unendlich mannigfaltig in ihren Details, daß man sich nur allmählich faßt und auf's Tiefste bewegt wird von dem gewaltigen Eindruck. Vor allem groß und überwältigend tritt uns die jenseitige Cañonwand entgegen. Kann sich der menschliche Geist eine Vorstellung machen von einer eine Meile hohen Felswand, die, in einer Entfernung von 7-10 Meilen uns gegenüber liegend, sich rechts und links in die Unendlichkeit zu verlieren scheint? Da der Geist die gewaltigen Verhältnisse einer solchen Felsenmauer nicht zu fassen vermag, fühlt er sich erdrückt und sinkt in ein Nichts zusammen. Wäre diese Mauer nur eine senkrechte und glatte Wand, so fände sich wohl ein Ruhepunkt, hier aber ist dieselbe voll der größten Mannigfaltigkeit. Tiefe Einschnitte zerreißen die Wände, gewaltige amphitheatralische Vorsprünge treten weit heraus, in herrlichen Giebeln ausladend. Unzählige Buchten eröffnen sich, unzählige Zacken und Felsnadeln springen hervor, gigantische Pfeiler, die aber trotz ihrer gewaltigen Höhe in der Masse der Formationen so sehr verschwinden, daß der Beschauer sie fast übersieht und kaum gewahrt, daß sie in Wirklichkeit von der Wand losgelöst stehen und eine oder zwei Meilen von derselben entfernt sind.
Am Fuße dieser gewaltigen Palissadenmauer ist eine Ebene, in welche nun das innere, weit engere Cañon hineingeschnitten ist, in dessen dunklen Tiefen der Colorado fließt. Diese innere Kluft ist wiederum 1000-1200 Fuß tief und in den dunklen Schatten derselben tiefunten gewahren wir einen blassen, schmutzig rothen Streifen, ohne Schimmer und Schein, ohne wahrnehmbare Bewegung. Und doch wissen wir, daß dieser Streifen der Colorado ist, ein mächtiger, l50 Yards breiter Strom, der in rasender Eile über tausend Felsen schäumt und fürchterliche Kaskaden und Stromschnellen bildet.«
Und dieses Bette hat sich der Colorado selber gegraben, hineingeschnitten in die übereinander liegenden, an den grellen Farbencontrasten deutlich erkennbaren Schichten verschiedener Epochen, deren jede ein Weltalter bezeichnet. Millionen von Jahren gehörten dazu, Zeiträume, denen gegenüber die wenigen Jahrtausende unserer historischen Zeit eine sehr unbedeutende Rolle spielen, Zeiträume von einer Länge, für die uns jede Vorstellung fehlt. Wer die Sprache des Universums zu studiren wünscht, wer einen Blick in die Geheimnisse der Weltschöpfung thun will, der versenke sich in den Anblick dieser Wunderwelt, in den Anblick des Grand Cañons des Colorado. –
Nach Yuma zurückgekehrt, setzte ich meine Fahrt durch die an Schrecken nur wenig hinter der Coloradowüste zurückstehende Gilawüste fort. Nur in den Flußniederungen ist strichweise guter Boden, der von den Pima Indianern ausgenutzt wird. Die Binnenländer dagegen sind auch hier unfruchtbar und dürr, die ausgesprochensten Einöden. Durch sie pilgerte Cabeza de Baca, der Kuhkopf genannt, besser aber Löwenherz heißend; durch sie unternahm im Jahre 1539 Marcos de Niça seinen berühmten Zug; durch sie drangen 1540 die verwegenen Abenteurer Coronado, Pedro de Tohor und Lopez de Cardenas bis zum Grand Cañon des Colorado und bis über die östlichen Grenzen des heutigen Neu Mexiko vor. Ihre Reiseschilderungen berichten von großen, seltsam gebauten Städten, von Wunderströmen, deren Gestade sich 3-4 Stunden hoch in die Lüfte erhebe. Kein Roman kommt der Beschreibung der zehnjährigen Wanderung gleich, die der erstgenannte Abenteurer unternahm, der in den Chroniken jener Zeit als der schönste und stattlichste unter allen Conquistadores beschrieben wird. Hatten ihm doch seine Tapferkeit, seine Ruhe in der Gefahr, seine Standhaftigkeit und seine Ausdauer unter den größten Beschwerden den stolzen Titel ›Erlauchter Kämpfer‹ eingetragen. Ein Odysseus seiner Zeit, durchzog derselbe mit nur drei Gefährten die weiten Lande von Florida bis zum Golfe von Californien, eine Irrfahrt, die mit unsäglichen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden war. Er berichtet in seiner ›Irelacion‹ von wilden Barbaren, von denen sie gefangen genommen und tagtäglich auf's Grausamste gegeißelt wurden; wie sie von Mosquitos gepeinigt wurden, deren Biß die ›Schwären des heiligen Lazarus‹ am Körper hervorbrachte; wie sie, in der Wüste schier verschmachtend, Hundefleisch mit Gier verzehrten und sich elendiglich von Mesquitfrüchten und Wurzeln nähren mußten.
Vielfach waren die Abenteurer einzig auf den Genuß der Cacteen angewiesen, die in diesen Einöden fast die einzige Flora bilden, dafür aber auch in geradezu überraschender Mannigfaltigkeit vertreten sind. Welche Formen, Gestalten und Farben der Pflanzenwelt anzunehmen überhaupt möglich ist, hier bei den Cacteen Arizonas sind sie zu finden. Da klammern sich kugelrunde Mammillarien an die von der Sonne durchglühten Felswände an, von Faustgröße bis zum Umfange von mehreren Fuß wechselnd und strotzend von Saft. Dort bilden die aus lauter flachen Gliedern sich zusammensetzenden und mit flammendrothen Blüthen gezierten Opuntien mächtige undurchdringliche Gebüsche; in fingerdünnen langen Seilen hängt von den Klippen der Schlangencactus herab, ferner fällt der Spitzencactus auf, der in geringem Abstande den Eindruck erweckt, als ob er mit einem Spitzenschleier bedeckt sei. Da stehen ferner hohe Stangen von grauem Holz mit kleinen grünen Blättchen, hinter denen sich schrecklich widerhakige Dörner verstecken. All' diese Cacteen aber werden weit überragt von der Pitahaya und dem Saguarro, Cereusarten, die eine Höhe von 40 ja 60 Fuß erreichen. Ihr Stamm ist zwischen 2 bis 2½ Fuß im Durchmesser und theilt sich nach oben in einige dem Stamme parallel laufende Äste, so daß ein mit mehreren Seitenarmen versehener Riesencactus mitunter einem gewaltigen Candelaber gleicht, um so mehr, da die aufwärts strebenden Zweige gewöhnlich symmetrisch am Stamme ansetzen. Große weiße Blüthen schmücken in den Monaten Mai und Juni die Spitzen der Zweige wie des Hauptstammes, und die im August zur Reife gelangenden wohlschmeckenden Früchte dienen den Indianern als Speise.
Ganz sonderbar ist der Anblick einer mit derartigen Riesencacteen besetzten Hochebene, namentlich, wenn zwischen den dunkelgrünen gesunden Exemplaren abgestorbene stehen, deren verwitterte Oberhaut in Fetzen herunterhängt, während das weiße, von der Sonne gebleichte Holz gleich einem Skelett von dem tiefblauen Himmel sich abhebt.
Finden sich in einem derartigen Cactus schadhafte Stellen und Wunden, so schlägt in diesen Löchern hurtig ein Buntspecht seine Wohnung auf. Eine Eigenthümlichkeit dieses namentlich in Californien häufigen Vogels ist, daß er, wo irgend ein mit Wurmlöchern versehener Stamm sich findet, diese Wurmlöcher mit Eicheln verschließt. In diesen Eicheln entwickeln sich mit der Zeit Maden, die nun ihrerseits wieder dem Spechte zur Beute fallen, der sich so im wahrsten Sinne des Wortes Vorrathskammern großartigsten Stiles bildet. –
In diesen Wüsten, wie auch in einigen Strichen von Texas und Mexiko leben noch andere seltsame Thiere, die Honigameisen, kleine, ungemein lebhafte rothe Insecten, deren Nester manchmal wie kleine Hügel aussehen und sich über eine Fläche von 20-30 Fuß im Geviert erstrecken. In der Regel gehen diese Ameisen nur nachts auf die Arbeit aus, um von den Blumen der Umgegend den Honig zu holen. Eine bestimmte Anzahl der Ameisen gibt sich nun dazu her, für die Anderen als Honigspeicher zu dienen und füllen sich so voll mit süßem Saft, daß sie wie große Rosinen aussehen. Von den Anderen werden sie dann für künftigen Gebrauch in einer bestimmten Vorrathskammer aufgehängt. Öffnet man behutsam ein derartiges Ameisennest, dann hängen die mit Honig gefüllten Ameisen in demselben umher, wie volle Rosinen.
Dem Beispiele der Indianer folgend, welche diese Ameisen verzehren, haben auch manche Weiße Wohlbehagen an dieser seltsamen Speise gefunden und so ist dieselbe bisweilen in Arizona, Mexiko und Texas käuflich zu haben.
Einen solchen menschlichen ›Ameisenfresser‹ beobachtete ich in Tucson. Vor ihm stand ein Teller, der anscheinend große, bernsteinfarbige Rosinen enthielt. Aber sobald der Gast eine dieser anscheinenden Rosinen nahm, um sie zum Munde zu führen, krümmte sie sich wie ein Wurm und machte augenscheinlich alle Anstrengungen, um den sie umklammernden Fingern zu entrinnen. Doch der Gourmand führte die lebendige Rosine an den Mund, biß, wie bei einer Kirsche den Stengel, einen runden Theil der sonderbaren Speise ab und verzehrte sie dann mit allen Merkmalen großen Wohlbehagens. Die Köpfe wurden in die Schüssel zurückgeworfen.
Die im Inneren der Ameise angesammelten Süßigkeiten sollen so angenehm schmecken, wie der feinste Honig, eine Thatsache, die das Ameisenessen ebenso erklärlich, wenn nicht noch erklärlicher erscheinen läßt, als die Verspeisung von lebendigen Austern und abgekochten Weinbergschnecken.
Zweihundertsiebenundvierzig Meilen östlich von Yuma ist Tucson gelegen, die zweitälteste Stadt der Vereinigten Staaten. Bereits im Jahre 1560 gründeten hier die Spanier eine Niederlassung und hat sich dieselbe, namentlich seitdem die Eisenbahn den Ort erreichte, zu der größten und wichtigsten Stadt Arizonas emporgeschwungen. In ihrem Aussehen eine echt mexikanische Stadt, ist ihre an 10,000 Köpfe starke Bevölkerung vorwiegend aus Mexikanern und Indianern zusammengesetzt, auch eine Anzahl Deutsche sind vorhanden, die im Sommer 1881 einen eigenen Turnverein gründeten. Das Interessanteste, was die Umgebung von Tucson bietet, ist die 10 Meilen südlich gelegene Mission San Xavier del Bac, das größte jener Baudenkmäler, die von den spanischen Mönchen in diesen Landen errichtet wurden. (Vergl. Illustration Seite 276.)
Östlich von Tucson liegt Benson und im Süden von diesem Orte befinden sich berühmte Silberminen, wo jahraus, jahrein Tausende von geschäftigen Händen die Schatzkammern der Erde durchwühlen. Was den Reichthum Arizonas an edlen Metallen betrifft, so sind die Silbergruben die bedeutendsten, aber auch an anderen Edelmetallen ist Arizona ein reich gesegnetes Land.
Schon zu den Zeiten, als die spanischen Mönche hier ihre Missionen hatten, wurde nach Silber und Gold gegraben, und noch lebt in der Erinnerung die Auffindung eines der größten Silberklumpen, welcher jemals der Erde entrissen wurde. Derselbe wurde unter der Regierung des Königs Philipp V. (1700-1746) in Pimeria alta aufgefunden und soll ein Gewicht von 2700 Pfund gehabt haben. Blöcke, die einige Centner schwer waren, wurden mehrere Male im Quellgebiete des Santa Cruzflusses gewonnen.
Diese alten Gruben kamen aber während der mexikanischen Unabhängigkeitskriege gänzlich in Verfall, auch waren die Minendistricte durch die Apachenindianer so unsicher gemacht, daß kein Mensch es wagen durfte, dort seine Niederlassung aufzuschlagen. Als das Land in den Besitz der Union überging, befand sich nicht eine einzige Grube mehr im Betriebe und Schritt für Schritt mußte unter blutigen Opfern der Boden wiedererkämpft werden.
Unstreitig ist der Reichthum an edlen Metallen der mächtigste Faktor, der zur allmählichen Besiedelung von Arizona führte, da ohne denselben das Land wohl heute noch in derselben trostlosen Beschaffenheit sich befinden dürfte, in der es sich noch vor 10, 15 Jahren befand.
In den sechziger Jahren wurden durch die Entdeckung von Gold in den Alluvialgebieten des Colorado bei La Paz (Yuma County) und auf dem Antelop Peak (Yavapay County) Tausende von Menschen nach Arizona gezogen, desgleichen durch die im Jahre 1878 erfolgte Entdeckung der reichen Silberminen zu Tombstone. Desgleichen stachelte die Entdeckung mehrerer Kupferlagerstätten, sowie einzelne Funde von Malachit, Rubinen und anderen Edelsteinen zu immer neuen Anstrengungen an. Diesen Thatsachen gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß man sich bald Wundergeschichten von dem Reichthume Arizonas erzählte, und daß die von solchen Wundergeschichten aufgeregte Menge in ihrer Leichtgläubigkeit vielfach Schwindlern zum Opfer fiel und in der raffinirtesten Weise ausgebeutet wurde.
Eine der großartigsten dieser echten Yankeeschwindeleien wurde Anfangs der siebziger Jahre verübt. Einige Abenteurer wollten in Arizona Rubinen- und Diamantengruben entdeckt haben und zeigten die Steine vor, welche sie an einer näher bezeichnten Stelle angeblich gefunden hatten. Auf diese Angabe hin bildete sich eine Gesellschaft, die sich die › San Francisco and New York Mining Company‹ nannte und in der californischen Bank für 150,000 Thaler Diamanten niederlegte, von denen etwa ein Dutzend geschliffen war. Darunter befand sich ein ungeschliffener Diamant von 102 Karat, daneben auch Rubine, Saphire und Smaragde. Hierdurch wurde die allgemeine Aufmerksamkeit in hohem Grade erregt, zumal als angebliche Sachverständige von den Schwindlern an Ort und Stelle geführt wurden und daselbst auch wirklich eine ganze Anzahl von Rubinen und Diamanten fanden. Der Bericht dieser Sachverständigen fiel demnach selbstverständlich glänzend aus, und nun fanden sich genug Leichtgläubige, die ihr sauer erworbenes Capital an die Gesellschaft einzahlten, um als Actionäre derselben beizutreten. Das Aufregungsfieber griff, künstlich genährt, um sich, und nun wollten die Leute um jeden Preis kaufen.
Die Summen strömten massenhaft zu, da, mit einem Male wurde der Schwindel entdeckt und es stellte sich heraus, daß die gewissenlosen Arrangeure desselben eine Anzahl von Diamanten in New York aufgekauft und an Stelle der angeblichen Minen zwischen dem Kieselgeröll verstreut hatten, woselbst sie von den ›Sachverständigen‹ aufgefunden worden waren. Mit der Entdeckung des Schwindels waren aber die ›Unternehmer‹ mit den von den Actionären eingezahlten beträchtlichen Summen verschwunden.
Es war wohl dieser Vorfall, welcher zu jener humoristischen Schilderung Veranlassung gab, die Prentice Mulford im › Overland Monthly‹ Eine Übersetzung dieses trefflichen Artikels findet sich auch im ›Globus‹ Bd. XXIV S. 76. veröffentlichte und in vortrefflicher Weise die im Westen herrschende ›Grubenmanie‹, das Treiben der Schwindler und die Leichtgläubigkeit ihrer gewinnsüchtigen Opfer zeichnet. Lassen wir den mit Sachverhältnissen augenscheinlich völlig Vertrauten selbst erzählen:
» Buster ist wieder einmal in rühriger Bewegung. Er ist ein Yankee aus Neu England, wo man Wallnußholz als Muscatnüsse verkauft, und hat sich ein Feld für seine sinnreiche Betriebsamkeit in Californien gesucht. Hier ›arbeitet‹ er in Minen und verkauft Actien von Gold- und Silbergruben, gleichviel ob diese existiren oder nicht. Seine Zunge ist gut gelöst und seine Unterhaltung überaus lebhaft. Er hat in seinen Rocktaschen Quarzproben, in welchen gelbes Gold schimmert; er hat sie, wie er sagt, aus der König-Salomo-Grube im Todtschießerthale, Territorium Arizona, mitgebracht. In dieser Grube liegen, ihm zufolge, Millionen, und sie ist eben jetzt in Betrieb genommen worden. Eine Tonne Erz (20 Centner) enthält für 100 bis 1000 Dollars Gold. Es sind nur noch einige Anlagecapitalien erforderlich, um den Ertrag in's wahrhaft Großartige zu steigern; die König-Salomo-Grube wird einen Weltruf erlangen. Es wäre doch Jammer und Schade, wenn solch ein Schatz ungehoben bliebe, weil es an Kapital fehlte, das kaum der Rede werth sei im Vergleich zu dem Ertrage, der unbedingt sicher ist.
Der Mann hat vielerlei um die Ohren, und mehr als ein Eisen im Feuer; er hat, so sagt er, große Interessen zu vertreten. In Californien kann er nur wenige Tage verweilen, weil er in der nächsten Woche eine wichtige Besprechung in Colorado hat; nach sechs Wochen muß er in London sein. Es wäre schade, wenn die König-Salomo-Actien nicht in Amerika blieben, sondern in die Hände John Bull's gelangten, wirklich schade.
Das zieht. Du hast einhundert Actien von ihm genommen; er hat sie Dir aus Freundschaft möglichst billig abgegeben; sein Wahlspruch ist ja: leben und leben lassen.
Aber wir müssen uns die König-Salomo-Gruben ansehen, die Reise verlohnt sich schon der Mühe. Also treten wir unsere Wanderung nach Arizona an.
Es ist heiß, sehr heiß, aber die vielen Skorpione befinden sich trefflich wohl, wenn die Sonne brennt, uns dagegen schmerzen die Augen von dem salzhaltigen Staube, welchen der Wind uns entgegen treibt. Wir sind aber doch froh, daß uns keine Apachen begegnen, denen es nach unserem Skalp gelüsten könnte. Ach ja, man hatte gar nicht unrecht, als man uns das Land als eine Wüstenei bezeichnete: es ist wirklich recht nackt und sehr kahl, ganz desolat und kein Baum zu sehen. Es ist ein Vorhof zur Hölle und in dem wandern wir nun einen Tag nach dem andern. Die Gerippe von Pferden, Maulthieren und Ochsen und hier und da das Grab eines ermordeten Menschen berühren uns mit nichten angenehm. Wenn wir Rast halten, dreht sich die Unterhaltung gewöhnlich um Grausamkeiten, welche in der jüngsten Zeit von den Apachen verübt worden sind: sie haben da einem Manne bei lebendigem Leibe die Haut abgeschunden, dort einen bei den Beinen aufgehängt und ihn über dem Feuer geröstet. Solche Geschichten vergegenwärtigen sich uns dann im Traume und der Schlaf ist keineswegs erquickend. Wir wachen auf; der Vollmond bestrahlt hell den stacheligen Riesencactus.
Wie froh sind wir, als wir endlich die Niederlassung Hieristmanfroh erreichen. Sie bildet den am weitesten in die Einöde vorgeschobenen Minenposten, die äußerste Vorhut der christlich amerikanischen Civilisation. Wir sehen eine Reihe von Zelten und Bretterbuden: von je zweien ist eins eine Branntweinschänke. Dort sitzen und stehen die Grubenarbeiter, die Spieler von Handwerk, die Abenteurer der schlimmsten Sorte. Hier machen sie die Schule durch, welche sie befähigt, Gesetzgeber der amerikanischen Republik zu werden und für den Congreß zu ›laufen‹. Der Thermometer zeigt Tag für Tag 115° Fahrenheit, der heiße Wind wirbelt salzhaltigen Staub auf und jagt ihn durch Thüren und Fenster hinein.
Wir trinken Wasser oder vielmehr eine Auflösung von Arsenik, Schwefel, Soda und Kupfer. Wir müssen Branntwein hineingießen, aber dieser ist weiter nichts als verdünnter und gefärbter Alkohol: man nennt ihn aber Brandy, Cognac. Eine Tasse Kaffee mit einem Stück zähen Rindfleisches kostet nur einen Dollar!
Überall sind die Leute sehr geschäftig – beim Monte- und beim Kartenspiel. Wir sehen uns um, ob es etwas zu lesen gibt, und richtig, wir finden einen Kalender vom vorigen Jahre. Manches Fenster hat ein rundes Loch; man hat eine Kugel hindurchgeschossen. Das Nachtquartier können wir nicht loben, denn in unserem Gemache werden wir von den Stechmücken arg geplagt, und über uns wird von Mitternacht bis Sonnenaufgang Monte gespielt. Es geht dabei recht laut und lärmend zu.
Man erzählt uns, daß in der Umgegend eine Indianerbande umherstreife; sie hat erst in der vorigen Woche ganz in der Nähe zwei Männer todtgeschossen und dann mit den Skalpen das Weite gesucht. Nun, dergleichen gehört nicht zu den seltenen Vorkommnissen und man macht davon weiter kein Aufhebens. Der ›Richter‹ zeigt uns im Vertrauen seine wohlgeladenen Pistolen und giebt uns dabei die Versicherung, daß er Schießaffairen nicht liebe, aber wenn er seine amtliche Rundreise mache, müsse er seine Pistolen doch haben; denn wenn die Indianer ihn fingen, würde er sich doch lieber eine Kugel durch den Kopf jagen, als sich erst martern und dann noch skalpiren lassen.
Es versteht sich, daß wir uns nach der König-Salomo-Grube erkundigen. Die Leute scheinen nicht viel von ihr zu wissen. Wir äußern: »Aber sie soll ja im Todtschießdistricte liegen?« Antwort: »Haben nie etwas von ihr gehört. Im vorigen Jahre hat kein Mensch im Todtschießdistricte gelebt; es sind gar zu viele Apachen dort.« – »Wie weit ist der Todtschießdistrict entfernt?« – »Mögen wohl achtzig, vielleicht auch hundert Meilen sein.«
Das stimmt nun freilich Alles nicht mit dem, was der biedere Yankee Buster uns hoch und theuer versicherte. Der brave Mann hatte uns doch eine Karte vorgelegt, auf welcher die Lage der Grube klar und deutlich eingetragen war; sie lag ja zwischen den Flüssen Carambo und Carajo ›in einem leicht zugänglichen, reichlich bewässerten und bewaldeten Thale‹. Nun ist der ›Carambo‹ weiter nichts als ein sehr breites, trockenes Bett mit vielem Steingeröll, zwischen welchem abgestorbene Pappelbäume liegen, die herabgeschwemmt waren, wenn im Gebirge Regenstürme Verwüstung angerichtet hatten. Seit sieben Monaten hat dieser trocken liegende Carambo auch nicht einen Tropfen Wasser gesehen. Vom Flusse ›Carajo‹ hat man nie ein Sterbenswörtchen gehört und doch hatte Buster, der Ehrenmann, so viel von ihm gesprochen!
Hier liegt wohl ein Irrthum vor und wir müssen uns mit eigenen Augen vom Stande der Sache überzeugen. Also aufgebrochen nach der König-Salomo-Grube! Wir miethen vier Maulthiere und nehmen drei Raufbolde in Sold, die uns erforderlichen Falls Beistand gegen die Apachen leisten sollen. Diese Burschen hätten uns von vornherein sagen können, welche Bewandtniß es mit unserer unermeßlich reichen Goldgrube eigentlich hat, aber wozu das? Wir sind wie Gänse, denen man die Federn ausrupfen kann. Sie schweigen. Werden sie doch dafür bezahlt, daß sie uns keine Revolverkugeln in den Leib jagen und Sorge tragen müssen, daß die Indianer uns unsere Schädelhaut nicht nehmen sollen.
So ziehen wir fürbaß in kurzen Tagereisen und leben von Speck und Mehl; unterwegs wächst nichts. Wir fühlen uns bald unwohl und verschlucken nun Pillen. Aber wir kommen doch an's Ziel und finden wirklich die König-Salomo-Grube. Sie liegt im Todtenschattenthale, einer rauhen Gebirgsschlucht, einem Cañon der schlimmsten Art. Die Wände fallen steil ab, das Gestein derselben ist vulcanisch. Wasser finden wir allerdings, aber es schmeckt bitter wie Glaubersalz mit einer Zuthat von Wermuth und Seifenschaum. Von Bäumen, Gras und Pflanzen ist auch nicht eine Spur, aber Stachelcactus giebt es in Menge. Da raschelt etwas, – es ist nur eine Klapperschlange; sie kriecht über das heiße Gestein hin, und einer unserer Raufbolde schickt ihr eine Kugel zu: sie zuckt, klappert aber noch. Dort, auf einer Höhe, geht ein Stachelschwein: auch das erhält eine Kugel und rollt nun den Abhang hinunter; die Hunde springen hinzu, kehren aber heulend um, denn Maul und Nase sind durch die feinen Stacheln über und über zerstochen worden. Mit noch einem Schusse wird eine gehörnte Kröte erlegt, und als wir uns dieselbe näher betrachten, übersehen wir fast, daß eine abscheuliche, haarige Tarantel an unseren Füßen vorbeikrabbelt. In dieser Gegend hat Alles, Insect, Schlange, Pflanze, was es sei, Gift oder Stacheln an sich. Oben in der Luft fliegt ein großer Geier; er wartet ab, vielleicht werden wir für ihn ein leckeres Mahl; er mag wohl schon mehrmals an Menschenfleisch sich eine Güte gethan haben.
Es ist still in jenem öden und rauhen Cañon. Wir stehen an der König-Salomo-Grube und sehen ein etwa zwei Ellen tiefes Loch, über demselben eine Winde oder Kurbel mit einem Seil und einem schadhaft gewordenen Fasse. Ringsum liegen leere Blechbüchsen, alte Schuhe, zerbrochene Branntweinflaschen; also ›Miners‹ sind wirklich einmal hier gewesen. Auf einem Brette ist Folgendes ›Zur Nachachtung‹ zu lesen:
»Wir, die Unterzeichneten, › claim‹ (nehmen in Anspruch) Jeder von uns von dieser König-Salomo-Goldader 300 Fuß in der Länge bei 150 Fuß Tiefe zu beiden Seiten dieser Kundmachung, und › claim‹ zugleich alle Gänge, die in die Tiefe, in Winkeln, nach den Seiten hin und in die Kreuz und Quere laufen. Wir wollen diese Grube bei Gelegenheit in Betrieb nehmen.« Unterzeichnet: Buster, Fluster, Duster.
Wir sehen, wie Buster sie in Betrieb genommen und ausgebeutet hat. Die Grube ist also ein Schwindel. Und nun fort! Packt die Maulthiere wieder, ihr drei Raufbolde, ihr vogelfreien Gauner, und nun zurück aus dem Todtenschattenthale nach Hieristmanfroh.
Das ist die Geschichte von der König-Salomo-Grube.« –
Unter welchen Mühseligkeiten und Gefahren der Minenbetrieb Arizonas wieder in Scene gesetzt wurde, ist aus mehreren Werken über Arizona ersichtlich, so hat vornehmlich Roß Browne in seinen ›Reisen und Abenteuer im Apachenlande‹ eingehendere Schilderungen aus dem Leben der Goldgräber und Ansiedler daselbst gegeben. Diese unsicheren Zustände hielten bis in die neueste Zeit an, so wurde noch im Jahre 1878 den Entdeckern der berühmten Silberminen von Tombstone prophezeit, daß sie in dem von Apachen durchzogenen Gebiete wohl schwerlich Reichthümer, sondern höchstens ihren Grabstein ( Tombstone) finden würden. Dieser Warnung ihrer Freunde aber trotzend, legten die Gebrüder Scheiffelein den Grund zu dem jetzt über 5000 Einwohner zählenden Städtchen, welches sie in dankbarer Anerkennung der ihnen gemachten Prophezeiung ›Tombstone‹ benannten, ein Name, der für den Ort immerhin characteristisch ist, da hierselbst von Minenarbeitern und Cow-boys unzählige Schießereien und Mordthaten verübt worden sind.
Wie lebhaft es noch zur Zeit meiner Anwesenheit in Tombstone herging, mag die folgende Geschichte illustriren, die sich wenige Tage nachher ereignete. Die handelnden Figuren waren die vier Viehzüchter Ike und Billy Clanton und Tom und Frank McLowry einerseits, und die Gebrüder Virgil, Wyatt und Morgan Earp, sowie deren Freund Doc Holliday andererseits. Obwohl die Earps öffentliche Ämter bekleideten und einer derselben sogar › City Marshal‹ war, duldeten sie doch die Freundschaft des Holliday, der ein professioneller Spieler war und überdies in dem Geruche stand, ein › Road-agent‹, ein Posträuber zu sein.
Sämmtliche acht Personen waren mit einander befreundet, und diese edle Freundschaft blieb ungestört, bis ein in jener Gegend nicht gerade ungewöhnlicher Vorfall die allgemeine Harmonie bedenklich erschütterte.
Die Post war wieder einmal beraubt worden, und diesmal hatten die Räuber dabei so viel Blut vergossen, daß die Obrigkeit einen hohen Preis auf die Verbrecher setzte, gleichviel, ob man dieselben todt oder lebendig einliefere. Die Earps erfuhren nun, daß der Aufenthalt der Räuber ihren Freunden, den Clantons, wohl bekannt sei. Da war ein schönes Stück Geld zu verdienen, und flugs machte sich einer der Earps auf und ersuchte die Clantons, die Räuber in einen Hinterhalt zu locken, wo man sie gefahrlos niederschießen und sich auf diese Weise die ausgesetzte Belohnung sichern könne. Doch die Clantons, die zweifelsohne mit den Räubern unter einer Decke lagen, wiesen den Antrag mit Entrüstung ab, und aus den früheren Freunden wurden Feinde.
Einige Tage später begann der Krieg damit, daß die Earps den Ike Clanton wegen eines kleinen Vergehens verhafteten, und nun gab es böses Blut auf beiden Seiten. Die Viehzüchter kamen in die Stadt, lösten den Gefangenen aus, trafen aber, als sie den Heimweg antreten wollten, mit den Earps und deren Freunde Holliday zusammen. Das Erste war, daß ihnen Virgil Earp zurief, die Hände in die Höhe zu halten. Anstatt dessen begann die Schießerei sofort und fünf Minuten lang flogen die Kugeln in der Nachbarschaft umher, wie Hagelschloßen, und das achtfache Duell nahm seinen tödtlichen Gang, ohne daß einer der Betheiligten der Menge geachtet hätte, welche die Straßen belebte.
Als der Pulverrauch sich verzogen hatte, lagen drei der Viehzüchter todt auf dem Boden, der vierte, Ike Clanton, war entkommen. Die Earp-Partei ging als Siegerin hervor. Natürlich sagten sie bei dem Verhör vor Gericht aus, sie hätten nur in Selbstvertheidigung gehandelt, und die Folge war, daß sie freigesprochen wurde.
Einige Wochen später spielte Morgan Earp eines Abends Billard in einem Saloon. Die Fensterscheiben der Billardstube waren übertüncht, bis auf eine, die erst neu eingesetzt war. An diese Scheibe hielt ein Mörder, ohne daß Jemand die Anwesenheit desselben ahnte, seinen Revolver, zielte auf Morgan und schoß. Im Augenblick lag Morgan auf der Erde, und gleich darauf hörte man Hufe klappern: der unbekannte Mörder war aus der Stadt entflohen.
Man holte sofort Wyatt Earp, den Bruder des Verwundeten, herbei. Derselbe neigte sich zu dem Sterbenden und fragte hastig: »Wer hat's gethan?« Morgan hatte nur noch die Kraft, seinem Bruder etwas in's Ohr zu lispeln, sank dann zurück und war todt.
Am nächsten Morgen aß Frank Stilwell, ein Anhänger der Viehzüchter-Partei, neunzig Meilen weit von Tombstone in Tucson sein Frühstück. Es lag absolut keine Wahrscheinlichkeit vor, daß Stilwell den tödtlichen Schuß auf Morgan Earp abgefeuert hätte, aber die Earps behaupteten rundweg, kein Anderer als er habe den Mord verübt. Wechsle man unterwegs die Pferde, so sei es für einen Durchschnitts-Grenzer ein Leichtes, 90 Meilen in einer Nacht zurückzulegen. Stilwell habe recht wohl am Abende vorher noch in Tombstone sein können.
Stilwell verfiel der Rache der Gebrüder Earp. Zwei Tage später kamen sie in Gesellschaft einiger Gesinnungsgenossen nach Tucson und waren noch nicht von ihren Pferden gestiegen, als sie auf Stilwell trafen, der gerade einen Eisenbahnzug besteigen wollte. Kurz entschlossen feuerten die Ankömmlinge auf Stilwell los, und als sie aufhörten, war der Körper desselben von Kugeln durchlöchert wie ein Sieb.
Kurz darauf erhielt aber auch Virgil Earp eine Kugel, die ihm den rechten Arm auf Lebenszeit lähmte. Diese Warnung beherzigten die Earps, sie verkauften Alles, was sie hatten, und verließen die Gegend. –
Von ähnlichen dunklen Ehrenmännern wimmelte der Ort, der seinen bedeutungsvollen Namen, wie man sieht, nicht ohne Grund trägt.
Diesem Namen entsprechend waren zur Zeit meiner Anwesenheit auch die Bezeichnungen einiger Biersaloons gewählt, wie The Coffin (»Der Sarg«), The Poison-box (»Die Giftschachtel«), The Tombstone-gem (»Der Grabsteinschmuck«) u. s. w. Eine hier erscheinende Zeitung hatte als Titel das Wort The Epitaph (»Die Grabschrift«) angenommen.
In einem Exemplar dieser ›Grabschrift‹ fand ich den nachstehenden Nekrolog, den der Redakteur einem eben verstorbenen Mitbürger widmete:
»Wir lassen eine Thräne auf's Papier fallen, indem wir den Tod des armen Billy Muckrow verzeichnen. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und sein herzliches Lachen liehen den erlesensten Schnapsstuben unserer aufstrebenden Stadt einen Reiz, den dieselben bis dahin nicht gehabt hatten. Wir sagen es ohne Furcht auf Widerspruch zu stoßen: Billy war so gerade wie eine Kegelbahn, und so einfach, wie eine alte einläufige Reiterpistole. Auch ließ er sich nie lumpen. Von den drei Menschen, die er todtgeschossen, hatte er nur mit Einem einen Wortwechsel, der länger als fünf Minuten gedauert hat. Niemals hat man eine Weigerung von ihm gehört, zu irgend einer Tages- oder Nachtzeit sich an der Jagd auf einen Pferdedieb zu betheiligen, und zu einem rechtschaffenen Poker hätte man ihn noch von seinem Sterbebett fortholen können, wenn gerade Jemand auf den Gedanken gekommen wäre, ihm seine letzten Augenblicke in dieser Weise verschönern zu wollen. Die Krönung seiner Tugenden und seiner unvergeßlichen Thaten aber wird für uns immer darin bestehen, daß er uns noch eine Woche vor seinem Tode ein dreijähriges Abonnement vorausbezahlte, und wir bitten hiermit seine Erben, uns ihre Adresse zu schicken, denn wir glauben dem abgeschiedenen Geist eines solchen Ehrenmannes nicht besser gerecht werden zu können, als indem wir unsere Verpflichtungen gegen ihn auf's Getreueste zu erfüllen gedenken. Fremdling gehe hin und thue desgleichen wie Billy Muckrow!«
Als die Gebrüder Scheiffelein, die Gründer von Tombstone, auszogen, waren die von ihren Freunden ausgesprochenen Befürchtungen keineswegs unbegründete, denn die ganzen Ländereien des östlichen und südlichen Arizona waren durch die kriegerischen Apachen geradezu unbewohnbar gemacht.
Wenngleich auch die Zahl der indianischen Bevölkerung von Arizona nur 30,000 Köpfe beträgt und davon die zusammen 25,000 Seelen zählenden Moquis, Pimas, Maricopas, Mohaves, Chimohuevis, Papayos und Yumas friedlich gesinnt sind, so haben sich dagegen die 5000 Apachen mit um so blutigeren Lettern in die Chronik von Arizona eingezeichnet. Neben den Sioux ist ihr Stamm der gefürchtetste und ruheloseste aller nordamerikanischen Indianerstämme. In verschiedene kleinere Abtheilungen zerfallend, wie die Tontos, Chiricahuas, Coyoteros, Mescaleros u. s. w., leben sie auf einem unermeßlichen Gebiete zerstreut, und die vielen koulissenartig hintereinander aufsteigenden, wenig gekannten und wasserarmen Gebirgszüge dieses Gebietes mit ihren wilden Schluchten und Pässen bilden den unbezähmbaren Apachen willkommene Schlupfwinkel und Vertheidigungsplätze. So sind namentlich die schwer zugänglichen Chiricahua-, Huachuca-, dos Cabezas- und Dragoonberge voll von grausigen Reminiscenzen an die Blutherrschaft der Häuptlinge Cochise, Mangas, Colorado, Vittorio und Geronimo. Äußerst gewandte Reiter, muthig, entschlossen und verschlagen, unempfindlich für Hunger, Ermüdung oder körperliche Schmerzen, mit Muskeln versehen wie von Stahl, dabei grausam wie Hyänen, sind die Apachen seit Jahrhunderten die wahre Geißel für ganz Arizona, Neu Mexiko und Nord Mexiko und haben ganze Länderstriche geradezu entvölkert.
Seit Generationen herrscht zwischen Weißen und Apachen ein Guerillakrieg, wie er grausamer und erbitterter wohl auf keinem Punkte des Erdballes geführt worden ist, und der wahrscheinlich erst dann sein Ende finden wird, wenn der letzte Apache sein Leben unter dem Revolver eines Bleichgesichtes verhaucht. Beide Theile, weiße wie rothe Barbaren, haben einander in Betreff der Grausamkeit nichts vorzuwerfen.
Seitdem man in Amerika die Politik verfolgt hat, die Indianer auf sogenannte ›Reservationen‹ einzupferchen, seitdem hat man auch beständig von Ausbrüchen der Indianer aus denselben gehört. Diese Ausbrüche erfolgten vielfach aus dem Grunde, weil die den Indianern zugewiesenen Reservationen so trostlos öde und unfruchtbar waren, daß es sogar den in Bezug auf Nahrung wenig wählerischen Wilden unmöglich war, daselbst ihren Lebensunterhalt zu finden. Allerdings bewilligt die Bundesregierung zumeist die Mittel, um dem Mangel abzuhelfen, aber die Agenten und Lieferanten eignen sich von den für die Indianer bestimmten Vorräthen so Vieles an, daß in der Regel für die Letzteren wenig übrig bleibt. Um nicht Hungers zu sterben, verlassen nun die Rothhäute die Reservationen und begeben sich in das fruchtbare Land, das früher ihnen gehörte und von welchem man sie zwangsweise vertrieb.
Damit ist der Casus belli gegeben, denn nach einem Armeebefehle der amerikanischen Regierung werden solche Indianer, welche die Grenzen ihrer Reservation überschreiten, ohne Weiteres als vogelfrei betrachtet, und wer einen derartigen Indianer todtschießt, begeht keinen Mord.
Von Seiten der Weißen werden dagegen die Reservationen niemals beachtet. Gefällt ihnen das Land oder brauchen sie dasselbe, so verdrängen sie auch dort die Indianer, und wenn sie etwa offene Gewalt scheuen, so chicaniren sie dieselben hinweg, reizen sie bis zur Verzweiflung und legen die Dinge so an, daß ein Krieg gegen die mißhandelten ›rothen Teufel‹ für unumgänglich nothwendig erklärt wird. Solche Gauner haben in der Regel im Congresse und bei der Regierung ihre Helfershelfer und Fürsprecher; denn jeder Krieg gegen die Indianer ist überaus kostspielig, und wirft für die Lieferanten, die schamlos betrügen, ungemein viel Geld ab.
Das Ergebniß des Krieges ist nun stets das gleiche. Bald werden die Indianer in offenem Kriege von einem Ort zum andern gejagt, bald ihre Krieger durch täuschende Friedensversprechungen von ihren Wohnstätten weggelockt, während gleichzeitig eine verbündete Schar der Eindringlinge die indianischen Ansiedlungen überfällt und Weiber und Kinder, jung und alt niedermetzelt.
So waren auch die Zustände in Arizona, schreibt doch sogar ein Amerikaner, Professor Raphael Pumpelly zu Newport, Rhode Island, einer der ausgezeichnetsten Männer der Union, der in den Jahren 1860-61 in Arizona, unter beständiger Bedrohung an Leib und Leben durch die Apachen, als Bergbeamter thätig war und Freunde vor seinen Augen durch deren Hand verbluten sah, trotzalledem: »Kein Vertrag, keine Friedensflagge ist zu heilig, keine Waffe zu grausam oder zu heimtückisch, um in den Kämpfen gegen die Indianer von Amerikanern nicht empfohlen oder gebraucht zu werden. Wenn gesagt wird, die Indianer wären verrätherisch und grausam, so muß man antworten, daß es keinen Verrath, keine Grausamkeit giebt, die nicht gegen sie geübt worden wäre. Vergiftung mit Strychnin, die absichtliche Ausbreitung der Blattern und unaussprechliche Unthaten, das sind die heroischen Handlungen unserer Grenzer.« Pumpelly. Across America and Asia.
In den siebziger Jahren wurden mehrfach friedlich gesinnte Apachenhorden ohne jeden Anlaß überfallen. So ermordeten im Jahre 1871 eine Anzahl Weiße bei dem Camp Grant eine Truppe Indianer, die friedlich in ihren Zelten lagen. Unter den Ermordeten befanden sich 118 Frauen und Kinder.
Im September 1872 wurden wiederum vier Lagerplätze überfallen, 40 Apachen niedergemacht, viele verwundet und die Frauen und Kinder gefangen genommen. Einige Tage später wurden von einer Streifpartie 17 Apachenkrieger erschossen und im Januar 1873 wurden mehr als 100 niedergemacht.
Die Apachen rächten sich nun ihrerseits dadurch, daß sie Gleiches mit Gleichem vergalten und jeden Weißen erwürgten, dessen sie habhaft werden konnten. So machte namentlich in den Jahren 1878 bis 1880 der Häuptling Vittorio die Gegend von Socorro nach der südwestlich von da gelegenen Stadt Silver City und von hier wieder westlich bis in die Gegend von Tucson so unsicher, daß es nahezu unmöglich war, sie zu bereisen.
Die Verwegenheit dieses Häuptlings kannte keine Grenzen; bald da, bald dort auftauchend, mordete und plünderte er ohne Erbarmen und verstand es mit großer Geschicklichkeit, zwei Jahre hindurch mit einer verhältnißmäßig kleinen Schaar sowohl den Truppen der Union als auch denjenigen der Republik Mexiko Trotz zu bieten. Erst am 18. Oktober 1880 gelang es den Mexikanern, ihn in den Castillos Bergen des Staates Chihuahua zu einer Schlacht zu zwingen, in der er selbst, 77 Krieger und 18 die Waffen führende Indianerweiber getödtet wurden.
Wie erbittert und grausam dieser Guerillakampf geführt wurde und noch wird, geht daraus hervor, daß die mexikanische Regierung in den vierziger Jahren für jeden Apachenskalp einen Preis von 100 Dollars (425 Mark) bezahlte. Die Schädelhäute von Frauen standen mit 50, die von Kindern mit 25 Dollars im Preise. Derartige Prämien wurden vom Staate Chihuahua noch im Jahre 1880 gezahlt, als die unter Führung des Obersten Terrazas stehenden mexikanischen Freiwilligen die Skalpe des Apachenhäuptlings Vittorio und seiner 77 Krieger in feierlichem Triumphzuge in die Hauptstadt Chihuahua einbrachten.
Mit diesem Siege der Weißen waren die Unruhen aber keineswegs unterdrückt, denn bereits im Jahre 1882 begannen dieselben auf's Neue und hielten mit nur kurzen Unterbrechungen bis heute an. Namentlich im Frühjahre 1882 und 1883 durchstreiften zahlreiche Indianerbanden Alt- und Neu Mexiko, in der Umgebung des Ortes Hermosillo wurden innerhalb neun Tagen 32 Personen durch die Apachen getödtet. Die Führer während dieser Unruhen waren namentlich die Häuptlinge Nachez, Mangas und Geronimo.
Eine Hauptschwierigkeit in der Bekämpfung der Apachen bestand darin, daß die Rothhäute, wenn von den Truppen des einen Landes verfolgt, stets auf das Gebiet des benachbarten Staates übertraten, wohin ihnen dann die Soldaten nicht folgen durften. Erst neuerdings, nachdem die Regierungen von Mexiko und der Union in der Apachenfrage gemeinschaftliche Sache gemacht und ihren Truppen, wenn diese in Verfolgung von Apachenhorden begriffen waren, das Betreten des angrenzenden Staates freigestellt haben, ist eine entschiedene Wendung zum Besseren eingetreten, und dürfte mit der im Sommer 1886 erfolgten Gefangennahme des Häuptlings Geronimo und seiner Verpflanzung nach Florida einstweilen Ruhe und dem Lande die Aussicht verschafft worden sein, nunmehr in Frieden der Weiterentwickelung entgegenzugehen.