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Die alte Fehde zwischen den beiden noch übrigen Linien der Familie Crayshaw ging jetzt durch die dritte Generation. Ihr Ursprung war in ziemliches Dunkel gehüllt. Manche führten sie auf die unvermeidliche Dame zurück, andre auf ein Vermächtnis – sogar eine Kuh war als Streitobjekt genannt worden –, während die Eingeweihten den erbitterten Familienzwist auf einen Streit um den Vorrang in der Ahnengruft zurückführten – jedenfalls die giftigste Quelle für Haß und Feindschaft, die man sich denken kann. Ein Streit um ein Wegerecht und zwei kostspielige Prozesse hatten die Glut genährt (dafür sorgten die Anwälte) und neue Brände hinzugetragen in Gestalt erbitternder Anfragen und aufreizender Briefe über Pachtungen, Ausbesserungen, Besitztitel und Zinsen; denn beide Linien bezogen zum Unglück ihre Einkünfte aus derselben Quelle.
Die Fehde wurde noch verschärft durch den Umstand, daß Wilfred, der älteste Sohn des Obersten, der Erbe von Mr. Peter Crayshaws schönem Gute war – der Gemälde und Brillanten ganz zu geschweigen. Mr. Crayshaw, ein Witwer von einigen fünfzig Jahren, war ein lebhafter kleiner Mann mit scharfen blauen Augen, schmalem grauem Backenbart und rasierter langer Oberlippe. Er war ein vortrefflicher Gutsherr, ein eifriger Jäger, ein schwacher Vater und ein unerbittlicher Feind. Den größten Teil seines Lebens hatte er auf Crayshaw Court verbracht, einem stattlichen Gute im Binnenlande. Dort saß er auf der Richterbank und herrschte über seine Pächter und Nachbarn, während er selbst unter dem Pantoffel seiner ältesten Tochter Petronella stand. Petronella (ein Erbname) war ein schönes, begabtes Mädchen von einundzwanzig Jahren mit wunderbar sprechenden Augen und berückendem Lächeln. Sie war eine vortreffliche Hausfrau, saß brillant zu Pferde, ging eifrig auf alle Bestrebungen ihres Vaters ein und teilte dessen Neigungen und Abneigungen, einschließlich seines tiefgewurzelten Abscheus gegen die »Johns«. Sally, ihre Schwester, war weder so schön noch so selbständig, aber doch so weit von der Natur begünstigt, daß die Mädchen als »die hübschen Miß Crayshaws« bezeichnet werden konnten.
Oberst John Crayshaw, der seinem Vetter an Gestalt, Gemütsart und Jagdleidenschaft ähnlich war, hatte den größten Teil seines Lebens in der indischen Armee verbracht und erst kürzlich den Abschied genommen, um sich mit seiner Frau in London niederzulassen. Seine Familie bestand aus drei Söhnen: Wilfred, Artilleriehauptmann, Horace, Fähnrich bei den bengalischen Lancern, und Tom, der noch in Charterhouse war. Die Kinder der beiden Linien waren in dem Glauben erzogen, daß alles, was ihre Erbfeinde täten, unrecht sein müsse. Sie hatten einander nie gesehen und trugen auch kein Verlangen danach, verfolgten aber die beiderseitigen Unternehmungen mit einem gewissen scheuen Interesse. Durch Bekannte wurden sie ziemlich genau über die Taten und, schlimmer noch, über die Reden der Gegenpartei unterrichtet, und daraus entsprang ein heimlicher, aber beharrlicher Wetteifer.
Wenn die »Peters« in Irland angelten, pachteten die »Johns« unverzüglich einen Bach in Norwegen. Gingen die Johns nach Bath, so reisten die Peters nach Homburg. Als es letztes Jahr hieß, Oberst Crayshaw suche ein Moor in Schottland für seine auf Urlaub heimgekehrten Söhne, sicherte Mr. Crayshaw sich sofort eines der berühmtesten Moore in Perthshire und lud eine Anzahl Jagdfreunde ein. Er war ein vorsorglicher Mann, und ehe noch die Wallfahrt nach den Birkhuhnregionen anhob, machte er sich mit seinen Gästen und seinem ganzen Haushalt auf den Weg nach Lammietal, dem einsamen Jagdhaus, wo er die nächsten zwei Monate zubringen wollte. Die Gäste waren nahe und nahestehende Nachbarn: Sir George Kerr und Major Metcalfe, ältere Männer, aber vorzügliche Schützen, zäh und abgehärtet wie Hochländer und sehr begierig, die berühmte Jagd von Lammietal kennen zu lernen. Am Zwölften sollten die beiden andern Jäger nachkommen, und Mr. Crayshaw hoffte, in einer der nächsten Nummern des Scotsman einen Bericht über »das größte Jagdergebnis des Jahres« veröffentlichen zu können.
Von Perth bis zum Lammietale waren es fünf beschwerliche Meilen, die in einem mit starken schottischen Pferden bespannten Stellwagen zurückgelegt wurden. Die Dienerschaft, das Gepäck, die Flinten und Hunde fuhren voran, und es war ein stattlicher Zug, der sich über Berg und Tal dem Moore zuschlängelte.
Nach einer langweiligen Fahrt auf steiniger Chaussee bog die Prozession plötzlich in einen Hohlweg und schlug dann einen grasbewachsenen Saumpfad ein, der an einem hurtigen Bache entlang führte, über windige Moore und wackelige hölzerne Brücken – der romantischen Welt hochgetürmter Berge und wilder Schluchten zu, von wo einst zweihundert tapfere Hochländer ausgezogen waren, um für Bonnie Prince Charlie zu kämpfen und zu sterben. Im goldenen Sonnenlicht des Augustnachmittags war die Landschaft wunderbar schön; Wolkenschatten zogen über die Berge, wo das Heidekraut so dicht und farbenprächtig blühte, daß es aussah, als hätte ein sagenhafter Riese purpurne Teppiche darüber gebreitet. Hin und wieder flog ein Birkhuhn auf (ein ermutigender Anblick für die Jäger), eine Schar Kibitze schwirrte vorbei, oder eine einsame Möwe strich über den Weg. Kein Ton unterbrach das Schweigen der Bergeinsamkeit als der Ruf des Birkhahns und das Rauschen des Baches, der so lustig über Felsen und Steine tanzte, als sei er nie zur Winterszeit, manch ein Opfer fordernd, in wildem Schwall hinabgeschäumt. Endlich kam das Jagdhaus in Sicht, kein unwillkommener Anblick. Es lag herrlich, zwei Täler beherrschend, und war ein altersgraues winkliges Gebäude, das mehr dem Sitz eines hochländischen Häuptlings glich, als der gewöhnlichen langweiligen Schießbude.
Das Innere erwies sich gleichfalls als eine angenehme Überraschung. Es war unerwartet geräumig und voll wunderlicher alter Chippendale-Möbel, Kupferstiche, Himmelbetten und Wandschränke: kurz, seine Einrichtung war seit über hundert Jahren unverändert geblieben. Die neuen Ankömmlinge waren entzückt von Lammietal – die Männer wegen der Jagdaussichten, der Menge Wild und starker junger Vögel, wovon die Wildhüter berichteten, die Frauen wegen der eigenartigen Umgebung, der erquickenden Luft, des Heidekrautduftes, der wilden Schönheit der Gegend. Die Aussichten für den elften August waren günstig: die Treiber waren versammelt, die Ponies standen im Stall, die Hunde waren bereit, und es wimmelte von Vögeln. Das einzige, was Mr. Crayshaws Zufriedenheit beeinträchtigte, war der Umstand, daß zwei seiner Jagdgäste plötzlich abkommandiert worden waren, und daß es ein sehr nasser Abend war. Die weißen Dünste, die tagüber die Gipfel verhüllt hatten, senkten sich jetzt in die Täler, ein schlechtes Zeichen für die morgende Jagd. Es war acht Uhr, und die Gesellschaft hatte sich eben zu Tisch gesetzt. Die Tafel war mit Binsen und Heidekraut geschmückt, der Speisezettel war lockend, die rosa verschleierten Kerzen, das zierliche Gerät und die hellen Mädchengestalten standen in scharfem Gegensatz zu dem nassen, öden Moor, dem strömenden Regen und der undurchdringlichen Finsternis.
»Wildhüter Fraser meint, es wird morgen schön sein,« bemerkte Sir George bei der Suppe.
»Gegenwärtig kann man das nicht behaupten,« sagte Mr. Crayshaw. »Die Nacht ist stockfinster, und der Regen strömt. Hört nur, wie es gießt!«
»Das ist nicht der Regen!« rief Petronella. »Es klingt wie Räderrollen. – Ob es in diesem Hause spukt? – Es hat ja zwei Jahre leer gestanden. Vielleicht hat es eine Geisterkutsche.«
»Unsinn! Geisterkutsche!« rief ihr Vater lachend. »Und was das Leerstehen betrifft, so hat dadurch das Moor Ruhe gehabt. Es ist lange nicht abgeschossen worden. Ich glaube, wir werden mehr alte Vögel haben, als wir bewältigen können. Ich möchte wissen, auf was für eine Art Jagd der alte Haudegen reingefallen ist und wie's den Indiern überhaupt gehen mag.«
»Sicher vorzüglich, Papachen. – Da, es waren wirklich Räder,« sagte Petronella aufstehend, »und die Campbells sind nun doch noch gekommen.«
»Bleib sitzen, Kind!« rief Mr. Crayshaw. »Wie sollten sie? Sie sind ja auf See. Sie liegen jetzt in der Bai von Biscaya, die Ärmsten!«
»Nun, irgendwer ist jedenfalls gekommen,« sagte Sir George. »Draußen scheint eine ganze Reihe Wagen zu halten.«
Während er sprach, öffnete sich die Tür und Fischer, Mr. Crayshaws Kellermeister, schritt auf seinen Herrn zu und sagte vernehmlich und ohne eine Miene zu verziehen: »Gnädiger Herr, draußen ist ein Herr mit einer großen Gesellschaft: drei Wagen voll Gepäck, und Dienerschaft, und Hunde – der sagt, dies wäre seine Jagd!«
»Seine verfluchte Unverschämtheit ist es, aber nicht seine Jagd!« rief Peter Crayshaw. »Ist er bei Sinnen?«
»Wie mir scheint, ja, gnädiger Herr; und er hat noch drei Herren und eine Dame bei sich. Ich denke, es wäre am besten, wenn Sie mit ihm redeten. Er tritt sehr bestimmt auf, läßt die Pferde in den Stall führen und bestellt Abendessen. – Sie sind alle schrecklich naß.«
Mr. Crayshaw stieß seinen Stuhl zurück und stürzte hinaus. Der Flur lag am Ende des Ganges, und als der Hausherr um die Ecke bog, bot sich ihm ein erstaunlicher Anblick. Die Tür stand weit offen, der Regen schlug herein, man sah dampfende Pferde und nasse Regenschirme, und davor stand ein untersetzter, entschlossen aussehender Herr, beschäftigt, seine triefenden Handschuhe abzustreifen. Er stierte zornig auf den Hausinhaber, der in tadellosem Gesellschaftsanzuge, noch mit der Serviette in der Hand, vor ihn trat.
»Guten Abend, mein Herr,« hob er laut und gebieterisch an. »Irgend eine unbegreifliche Verwechslung. Lammietal ist zufällig meine Jagd.«
»Entschuldigen Sie,« versetzte Peter Crayshaw mit einem anerkennenswerten Versuch, sich zu beherrschen. »Ich habe die Jagd gepachtet, und ich und meine Familie sind seit drei Tagen hier.«
»Das bezweifle ich nicht,« stimmte der Fremde höflich bei. »Aber in diesem Falle geht Besitz nicht vor Recht, und ich kann meine Ansprüche beweisen.« Er entledigte sich seines triefenden Regenmantels und übergab ihn einem fassungslosen Diener. »Ich habe die Papiere alle bei mir,« fuhr er, auf seine Brusttasche klopfend, fort. »Es tut mir aufrichtig leid, Sie stören zu müssen; natürlich behalte ich Sie gern die Nacht über hier und stelle Ihnen morgen unsre Fuhrwerke zur Verfügung.«
Er sollte die Nacht über in seinem eigenen Hause behalten werden! – Mr. Crayshaw erstickte beinahe. – »Darf ich vielleicht um Ihren Namen bitten, mein Herr?« fragte er in einem Tone, der das Herz manches Wilddiebs erschüttert hätte.
»Gewiß,« versetzte der Fremde. »Mein Name ist John Crayshaw – Oberst John Crayshaw!« wiederholte er deutlich.
Nach dieser furchtbaren Ankündigung herrschte einen Augenblick völliges Schweigen im Flur, ein eisiges Schweigen, das nur vom Prasseln des Regens und vom Klirren der Kinnketten unterbrochen wurde. Mr. Crayshaws wetterbraunes Gesicht war wachsbleich geworden, seine Lippen zitterten, seine Augen traten fast aus den Höhlen, und sein ganzes Aussehen ließ einen Schlaganfall befürchten. – Endlich polterte er: »Wie können Sie sich unterstehen? Sie heißen ebensowenig Crayshaw wie Crayfish. – Entweder erlauben Sie sich einen frechen Scherz, wofür Sie bestraft werden sollen, mein Herr, strenge bestraft! – oder Sie sind ein infamer Betrüger, und ich werde sorgen, daß Sie hinter Schloß und Riegel kommen!«
Der Eindringling hörte diesen Wortschwall ernsthaft an und wandte sich darauf zu einem stattlichen jungen Manne, der unterdessen eingetreten war und seine nasse Mütze auswand.
»Das ist eine schöne Geschichte, Wilfred! Wir sind falsch gefahren und ins Grafschaftsirrenhaus geraten.« Dann wandte er sich wieder zu seinem wutschäumenden Gegner: »Wir sind allesamt Crayshaws – Sie mögen es glauben oder nicht. – Meine Frau!« – er zeigte auf ein Bündel Mäntel – »meine drei Söhne und ich: fünf Crayshaws – und stolz darauf. – Darf ich jetzt um Ihren Namen bitten?«
Eine lange Pause, während deren es dem Hausherrn klar wurde, daß er seinen Vetter und Erbfeind vor sich hatte, und daß sie allem Anschein nach obenein dasselbe Moor gepachtet hatten.
»Mein Name ist – ist gleichfalls Crayshaw,« stotterte er endlich. »Peter Crayshaw – nicht zu dienen.«
»Großer Gott!« murmelte der Artillerieoffizier. »Wenn ein solches Zusammentreffen keine Sühne ist!«
Währenddessen war eine bunte Menge in den langen schmalen Flur gedrungen und selbst bis in die Speisekammer gebrandet. Sie bestand einesteils aus Mr. Crayshaws Töchtern und Gästen, sowie dem gesamten Dienstpersonal (selbst die Köchin und das Küchenmädchen spähten aus dem Hintergrunde). Zur Partei des Eindringlings gehörten zwei kräftige, regentriefende junge Offiziere und ein grinsender Kadett; eine Reihe Dienstboten und Kutscher stand hinter ihm auf den Stufen, und eine kleine vermummte Gestalt hatte sich in einen Lehnstuhl sinken lassen. Es waren mindestens zwei Dutzend Personen anwesend, die Hälfte davon naß und ausgehungert, und alle ärgerlich und aufgeregt.
»O, die Sache ist ganz erklärlich,« sagte Wilfred Crayshaw, mutig ins Vordertreffen springend. Er war ein hübscher, gutgewachsener, junger Mann mit kecken blauen Augen, der schon Pulver gerochen hatte und ein Bändchen im Knopfloch trug. An Wechselfälle gewöhnt, fand er sich rasch in die Enttäuschung. »Offenbar sind die Namen verwechselt worden, und der Agent hat geglaubt, wir seien ein und dieselbe Familie. – Wir wollen nicht länger stören ...«
»Komme, was da wolle; ich bleibe!« unterbrach ihn eine helle Frauenstimme aus der Tiefe einer Kapuze. Dann warfen zwei kleine Hände den Mantel zurück, und eine hübsche kleine Dame mit glänzenden dunkeln Augen und grauem Haar kam zum Vorschein. »Um keinen Preis fahre ich jetzt in der Dunkelheit noch einmal über diese halsbrechenden Brücken, und außerdem bin ich so müde, daß ich kaum aus den Augen sehen kann. Selbst wenn wir im Unrecht sind, so kann ich doch nicht glauben, daß Mr. Peter Crayshaw es übers Herz bringt, bei solchem Wetter uns vor die Tür zu jagen, und ich werde daher mit seiner Erlaubnis bis morgen früh im Wagenschuppen oder lieber in der Küche sitzen bleiben.«
Jetzt griff Petronella ein. Sie trat hervor – eine schlanke weiße Mädchengestalt – und sagte: »Gestatten Sie, daß ich Sie sogleich auf Ihr Zimmer führe, Mrs. Crayshaw. Mein Vater wird dafür sorgen, daß alle untergebracht werden und zu essen bekommen. Wir waren eben erst zu Tisch gegangen. Die Jagdfrage kann später erörtert werden; augenblicklich sind trockene Kleider und Essen wichtiger.«
»Petronella,« keuchte ihr Vater, aus einer Art Betäubung erwachend, unter ihrem bedeutsamen Blick, »du – du ...«
»Sprichst mir aus der Seele, wie gewöhnlich – nicht wahr, Papachen?« Petronellas dunkle Augen sprachen Bände.
Mr. Crayshaw atmete einige Male tief auf und schluckte etwas hinunter, was ihn gewürgt zu haben schien, dann wandte er sich zu Mrs. John und sagte in förmlichem Tone: »Meine Tochter wird Ihnen behilflich sein, gnädige Frau, und ich werde für Ihre Begleiter sorgen. – Ich bitte, daß Sie mit uns essen, Herr Oberst, wenn Sie Toilette gemacht haben werden. – Fischer, führen Sie die Herren nach den Zimmern im Flügel, und sagen Sie Fraser, er soll nach den Dienern und dem Gepäck sehen.«
Diese Vorschläge liefen auf einen Waffenstillstand hinaus, und eine halbe Stunde später saßen die beiden feindlichen Parteien bei einem Mahle, das Tischtuch als weiße Flagge zwischen sich. Anfangs war die Unterhaltung sehr steif und wurde hauptsächlich von den beiden Unparteiischen, Major Metcalfe und Sir George Kerr, bestritten. Unter dem Einfluß des Sekts und einer vortrefflichen Mahlzeit begann jedoch allmählich das Eis zu schmelzen. Die junge Welt machte Bekanntschaft und erörterte die Reise und das Wetter, und die Älteren folgten ihnen. Aber das nächstliegende Thema, die Birkhahnaussichten, ward allgemein als viel zu heikel vermieden, da beide Parteien jagen wollten und eine morgen früh das Feld räumen mußte. Als die Damen aufgestanden waren, zündeten die Herren sich ihre Zigarren an, und die brennende Frage des Jagdrechts wurde erörtert. Der Oberst zog ein Schreiben aus seiner Brieftasche und reichte es mit unterdrücktem Triumph seinem Vetter. Mr. Crayshaw seinerseits brachte eine Kassette herbei und wies einen an ihn adressierten Schlüssel, eine Urkunde und einen Brief vor. Die Episteln wurden verglichen, und es stellte sich heraus, daß Lammietal an beide Herren verpachtet worden war. Jedenfalls hatte der Agent geglaubt, daß sie zu einer Familie gehörten. Daher diese nie dagewesene Situation.
»Ist das eine verzwickte Geschichte! – Was tun?« sagte Wilfred zu seinem Vater. »Ich sehe keinen andern Ausweg, als daß Mr. Crayshaw und du um die Jagd losen oder abheben. Der niedrigste gewinnt.«
Mr. Crayshaw runzelte die Stirn zu dieser Leichtfertigkeit, schwieg indessen.
»Es klärt sich auf,« berichtete Wilfred, der ans Fenster gegangen war. »Morgen wird jedenfalls wunderschönes Wetter sein.«
»Ich will Ihnen was sagen!« rief der Oberst, aufspringend. »Es wäre ein Jammer, wenn wir beide um den Zwölften kämen.«
Mr. Crayshaw zog die Brauen hoch. Es wäre allerdings ein Jammer gewesen, wenn er darum gekommen wäre!
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen,« fuhr sein Vetter unbeirrt fort.
»Nun? Lassen Sie hören!«
»Wie wäre es, wenn wir morgen in zwei Partieen auszögen, die Treiber und Hunde auslosten und um das Moor jagten? –«
Mr. Crayshaw war anfangs verblüfft: dann bedachte er, daß er selbst ein vorzüglicher Schütze sei und daß seine beiden Getreuen reichlich ebenso gut, wenn nicht besser, schössen. Die Aussichten waren entschieden günstig für ihn; außerdem konnte die gemeinsame Beute im Scotsman veröffentlicht werden.
»Schön!« stimmte er bedächtig bei. »Mir ist's recht. Wir brechen morgen früh um neun Uhr auf, jagen bis Eins, machen dann Frühstückspause, jagen weiter bis Sieben, kommen nach Hause und zählen die Beute, und wer die meisten Vögel hat – bleibt.«
So wurde die große Frage freundschaftlich entschieden, und die Herren begaben sich ins Wohnzimmer, wo der Abend dank einem vortrefflichen Klavier recht angenehm verlief. Petronella war sehr musikalisch, Wilfred Crayshaw hatte eine hübsche Stimme, und so unterhielten sie denn gemeinschaftlich ihr zusammengewürfeltes Publikum. Die beiden älteren Herren saßen bärbeißig weitab voneinander an verschiedenen Enden des Zimmers; Sally und die jungen Crayshaws jedoch spielten lustige Rundspiele mit Sir George und Major Metcalfe. Um halb Zehn ging die Gesellschaft auseinander, und Peter Crayshaw geruhte tatsächlich, aus der Hand seines Erben ein angezündetes Licht entgegenzunehmen. Wilfred hatte einen guten Eindruck auf ihn gemacht; er sagte »Sir« und schien ein einsichtiger junger Mann zu sein.
Der Zwölfte erwies sich als ein herrlicher Tag. Gleich nach dem Frühstück brachen beide Parteien auf, und man hörte sie nach einiger Zeit in entgegengesetzten Richtungen losknattern. Die Damen hatten sich bereits über einer gemeinsamen Putzmacherin angefreundet (die beiden Mädchen erklärten unter sich Mrs. John für »ganz reizend«) und fuhren verabredetermaßen zum Frühstück nach. Das Mahl wurde am Ufer eines Baches eingenommen, der zwischen großen Steinen durch eine hübsche Schlucht rauschte, etwa dreiviertel Meilen vom Jagdhaus. Die Jäger schienen in bester Laune; die Vögel waren scheu, aber sehr zahlreich gewesen und wie Krähen in Flügen von vierzig, fünfzig Stück aufgegangen. Trotzdem waren sie sämtlich ausgewachsen, und die Taschen waren schwer. Peter und John Crayshaw, die nie vergnügter waren, als wenn sie einen Hinterlader trugen, unterhielten sich behaglich bei ihrem Whisky mit Sodawasser und ihren belegten Broten, verglichen die Treiber und prahlten mit Fernschüssen.
»Nun, wie's auch kommen mag, ich habe jedenfalls einen schönen Tag gehabt,« erklärte der Hauptmann, während er Petronella half, einen Kessel am Bache zu füllen. »Einen Tag, den ich rot anstreichen werde, auch wenn wir verlieren, was nicht unwahrscheinlich ist, da mein alter Herr jeden zweiten Vogel fehlt.«
»Inwiefern?« fragte Petronella unumwunden.
»Insofern, als ich das Glück gehabt habe, Sie kennen zu lernen.«
»Was fällt Ihnen ein!« protestierte sie und wandte den Kopf ab. »Ich, ich möchte wissen, wie Sie stehen?« fragte sie nach einer Pause.
»Das möchte ich auch wissen. – Ich hoffe, wir werden gewinnen.«
»Wie garstig von Ihnen, das zu sagen!« rief Petronella.
»Aber ich möchte Lammietal nicht verlassen.«
»Wir auch nicht,« versicherte sie, »und wir waren zuerst da.«
»Hören Sie mich, bitte, an,« sagte Wilfred, sich mit dem Kessel in der Hand aufrichtend. »Wenn wir die Jagd gewinnen, bleiben Sie natürlich.«
»Das leuchtet mir durchaus nicht ein! Offen gestanden, packt unsre Jungfer jetzt – es ist immer gut, auf das Schlimmste gefaßt zu sein.«
»Wenn Ihr Herr Vater gewinnt, packen wir selbstverständlich; aber wir werden höher stehen. Dies ist eine wundervolle Gelegenheit.«
»Wozu?« fragte die junge Dame kurz.
»Nun, die Streitaxt zu begraben. Die Fehde hat fast sechzig Jahre gedauert.«
»Ihre Familie hat angefangen,« unterbrach Petronella aufflammend.
»Um Gottes willen!« rief der Hauptmann, indem er tat, als wolle er sich die Haare raufen. – »Aber wie dem auch sei, lassen Sie uns ein Ende machen. Ich bin überzeugt, Sie und ich fragen keinen Pfifferling nach der Ahnengruft, und ob jemand außer der Reihe begraben wurde oder in die falsche Nische kam.«
»Allerdings nicht; ich für mein Teil möchte am liebsten auf einem von den verlassenen Kirchhöfen hier oben in der Bergeinsamkeit begraben werden.«
»Ich auch, und zwar auf dem, den Sie sich aussuchen. – Bitte, durchbohren Sie mich nicht!« rief Wilfred.
»Ich möchte ernsthaft mit Ihnen reden,« hob er dann wieder an. »Setzen Sie sich – ja? Ich glaube, wir beide könnten den Riß flicken.«
»Wie das?« fragte sie zweifelnd.
»Einfach, indem wir unsre Väter beeinflussen – und wie ich sehe, haben Sie den Ihren gut gezogen. Die beiden sind sich in Wahrheit keineswegs abgeneigt – im Gegenteil: ohne diese verwünschte Fehde würden sie famos miteinander auskommen – beide sind ja gleichermaßen auf Politik, Jagd und Wilddiebe erpicht. Sie würden die besten Freunde werden, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf ließen.«
»Ich würde mich herzlich freuen, wenn sie es würden.«
»Sie und ich sind jedenfalls Freunde, hoffe ich, Cousine?« fragte er ernst.
»Ja, wenn Sie's so wollen.«
»Geben Sie mir, bitte, die Hand darauf.«
Petronella hielt ihm schweigend die Hand hin, nachdem sie sie bedächtig abgetrocknet hatte.
»Und nun sagen Sie mir, warum wir nicht Haus und Jagd teilen und in Frieden und Freundschaft leben sollen? In dem Hause haben wir zweimal Platz; das Moor ist prima, Mama führt die Wirtschaft und bemuttert Sie, wenn's Ihnen recht ist. Sie liebt junge Mädchen sehr, und ich weiß, sie würde sich freuen, Sie und Ihre Schwester um sich zu haben.«
»Das klingt alles sehr schön und arkadisch. Aber hören Sie, die Treiber werden zusammengerufen – Sie müssen gehen.«
»Dann wünschen Sie mir Glück,« bat der Artillerieoffizier kühn.
»Warum nicht gar! Das ist zu viel verlangt,« antwortete Petronella.
»Dann will ich Sie um etwas andres bitten – nur um das Heidekrautreis von Ihrem Hut.«
»Nur!«
*
»Was mögen die beiden nur da unten am Bach aushecken?« sagte Major Metcalfe zu dem Baron. »Ein Kessel Wasser ist manchmal ein schöner Vorwand.«
»Sie rühren die alte Fehde auf, und der Topf nennt den Kessel schwarz, darauf können Sie sich verlassen.«
»Nein, ich glaube, der Topf nennt den Kessel etwas viel Schmeichelhafteres. – Sie würden ein hübsches Paar abgeben, he? – Was meinen Sie?«
»Ich meine, daß Sie ein alter Kuppler sind.«
»Jedenfalls hat er einen Stengel weißes Heidekraut an seiner Mütze, und wenn mich nicht alles täuscht, sah ich beim Frühstück den nämlichen an Petronellas Hut. – Nun auf zum Wettjagen!«
Bald nach Sieben zog eine müde, sonnverbrannte Gesellschaft hinter den schwer beladenen Ponies zum Jagdhaus hinunter; die beiden Nebenbuhler gingen unleugbar steifbeinig und Wilfreds Gesicht war purpurrot – sie waren alle abgehetzt.
Die drei Damen eilten den Jägern entgegen und sahen gespannt zu, wie die Ponies abgeladen und Paar auf Paar der feisten braunen Vögel ins Gras gelegt wurden. Auf einem Berge oberhalb des Hauses blies ein Schäfer den Dudelsack, und seine klagende Weise mischte sich in das eintönige Zählen der beiden Treiber. Endlich waren die Körbe geleert und der entscheidende Augenblick war gekommen. Der erste Wildhüter verkündete ahnungslos das Urteil: »Oberst Crayshaws Partei: zweiundsiebzig Paar Birkhühner, elf Hasen, ein Kaninchen, einen Habicht und einen Kuckuck. – Mr. Crayshaws Partei: siebzigeinhalb Paar Birkhühner, acht Hasen und zwei Hühnergeier.«
Bei der letzten Ankündigung erhob sich ein Gemurmel unter den Umstehenden. Ein Hühnergeier ist in einem Moor dasselbe wie ein Fuchs in einem Walde.
»Sehr nahe, fast gleich!« rief der Oberst. »Denn die beiden Hühnergeier wiegen es auf.«
»Nun, jedenfalls gehört das Moor Ihnen,« sagte Mr. Crayshaw mit bedeckter Stimme. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte ins Haus, wahrscheinlich um über die Launen des Schicksals nachzudenken.
Trotz des Einpackens, wovon sie gesprochen hatte, kam Petronella in ihrem hübschesten Kleide zu Tisch, und Sir George bemerkte, daß Hauptmann Crayshaw einen Zweig weißes Heidekraut im Knopfloch trug. Mr. Crayshaw saß während der Mahlzeit schweigsam, fast feierlich da und wurde nur zuweilen lebhaft, wenn von den Jagdereignissen die Rede war. Als der Nachtisch aufgetragen war und die Diener sich entfernt hatten, erhob Oberst Crayshaw sich und sagte: »Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir die Versicherung, daß ich nie einen schöneren Jagdtag erlebt habe als diesen zwölften August. – Ich freue mich, meine Verwandten kennen gelernt zu haben; es ist mein lebhafter Wunsch, ihnen näher zu treten, und ich erlaube mir daher den Vorschlag, daß Mr. Crayshaw und seine Töchter uns das Vergnügen machen, in Lammietal zu bleiben, daß wir Haus und Jagd teilen und in Wahrheit werden, wofür der Agent uns hielt: eine glückliche Familie.«
Bei den letzten Worten begann der Pfeifer draußen plötzlich einen feurigen Marsch zu blasen.
Mr. Peter Crayshaw, der sich viel auf seine Rednergabe zu gute tat, sprang unverzüglich auf und gab eine äußerst wohlgesetzte und verbindliche Antwort. So war es denn geschehen: in fünf Minuten war die hundertjährige Fehde beigelegt! – Mr. Crayshaw hatte Gefallen an seinem Erben gefunden. Der Erbe hatte Gefallen an Petronella gefunden. Es ist erstaunlich, wie leicht Familienzwistigkeiten sich schlichten lassen, wenn die Damen gut miteinander stehen und die Herren gemeinsame Liebhabereien und politische Ansichten haben. Nicht lange – und die beiden Crayshaws nannten sich »Peter«, »John« und »bester Freund«. Hauptmann Crayshaw und Petronella nannten sich – aber nein, das wäre unzart. – Zu diesem Höhepunkt gedieh die Sache bei einem Sonntagnachmittagspaziergang, wo sie sich in Schluchten und Klingen, Moor und Heide verirrten und gerade rechtzeitig nach Hause kamen, um eine ausziehende Rettungsgesellschaft zu beruhigen.
Die Wochen, die auf diesen Tag folgten, waren ideal, für Liebende wie für Jäger. Das Wetter war schön, es gab großartige Birkhuhn- und Hasentreiben, und die Beute erreichte erstaunliche Ziffern. Die übrigen Tage benutzte man zum Angeln, zu Ausflügen und zu gemächlichen Wanderungen längs der klaren Bäche und nach den in Felsen gebetteten kleinen Bergseen.
Als das Gerücht aufkam, daß die beiden Familien Crayshaw ein und dasselbe Moor gepachtet hätten, ward diese Angabe mit Spott und Hohn aufgenommen (namentlich von ihren Anwälten), und ein Herr, der erklärte, er habe die ganze Gesellschaft vergnügt zusammen frühstücken gesehen, wurde niedergeschrieen.
Allmählich wurde es jedoch bekannt, daß die ehemaligen Feinde jetzt die besten Freunde waren, daß Petronella den Erben ihres Vaters heiraten sollte – der Bericht über das größte Jagdergebnis des Jahres und die Verlobungsanzeige erschienen zugleich und in der nämlichen Zeitung – und daß alle ein Herz und eine Seele und lächerlich glücklich über die Verlobung waren.
Eine Frage blieb indessen dunkel und erregte lebhafte und nicht unberechtigte Neugier: Wie kam es, daß die beiden Todfeinde dieselbe Jagd gepachtet hatten? – Der einzige, der darüber hätte Aufschluß geben können, war der Agent; aber er wird schwerlich erzählen, daß er Lammietal doppelt verpachtet hatte – um so weniger, als er nicht weiß, daß sein Versehen das Mittel gewesen ist, zwei Familien zu einen.