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Im Jahre 1260 reisten die Brüder Maffeo und Nicolo Polo, zwei Kaufherren und Patrizier des damals sehr mächtigen Venedig, mit einem reich beladenen Kauffahrteischiff nach Konstantinopel, wo der Kaiser Balduin regierte. Von dort fuhren sie durch das Schwarze Meer nach der Krim und wurden durch Kriegswirren über die Wolga nach Buchara verschlagen, wo sie sich drei Jahre aufhielten. Ein Gesandter des Khans von Persien, der zum Grosskhan der Tataren Kublai reisen wollte, veranlasste sie wegen ihrer Sprachkenntnisse, ihn zu begleiten, und sie schlossen sich ihm an, da zurzeit wegen der Unsicherheit der Wege an eine Rückkehr in die Heimat doch nicht zu denken war.
Kublai, der inzwischen den Titel eines Kaisers von China angenommen und seine Residenz von Karakorum nach Peking verlegt hatte, empfing die Europäer sehr wohlwollend. Er beschenkte sie bei ihrer Rückkehr reichlich und gab ihnen eine Botschaft an den Papst mit, worin er diesen bat, ihm hundert kluge und in der Religion erfahrene Männer zu schicken, die das Christentum in China verbreiten sollten. Als Pass überreichte er den Reisenden eine goldene Platte mit dem kaiserlichen Wappen, die ihnen auch überall den Weg erleichterte. Immerhin wurden sie durch Ueberschwemmungen und andere Hindernisse häufig aufgehalten, so dass die Rückreise länger als drei Jahre dauerte.
Als die Gebrüder Polo nach neunjähriger Abwesenheit wieder in Europa anlangten, erfuhren sie, dass der Papst gerade gestorben war, und es dauerte fast zwei Jahre, bis Gregor X. zu seinem Nachfolger gewählt wurde. Dieser gab ihnen Briefe und reiche Geschenke an den Grosskhan mit, aber statt der hundert gelehrten Männer nur zwei Mönche, die noch dazu in Armenien, als sie von einem kriegerischen Zuge des Sultans von Babylon hörten, den Mut verloren und umkehrten.
Die Polos aber, die diesmal Nicolos Sohn, den siebzehnjährigen Marco, bei sich hatten, schlugen sich mutig durch und erreichten nach drei und einem halben Jahr Peking, wo sie von Kublai wieder mit grossen Ehren empfangen wurden. Besonders zog Marco Polo die Aufmerksamkeit des Kaisers in so hohem Masse auf sich, dass ihn dieser zu seinem Ehrenbegleiter ernannte und ihm häufig die wichtigsten Gesandtschaften und Aufträge gab, die Marco alle zu grosser Zufriedenheit seines Herrn ausführte.
Auf seinen vielen Reisen erwarb sich Polo eine sehr genaue Kenntnis Chinas und der angrenzenden Länder, was ihm später für die Beschreibung seiner Erlebnisse zugute kam.
Endlich, als die Venezianer schon über zwanzig Jahr am mongolischen Hofe gewesen waren, baten sie um Erlaubnis, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Der Grosskhan wollte sie anfangs durchaus nicht ziehen lassen, willigte aber doch schliesslich in ihre Bitten ein, wobei er Marco den Auftrag gab, eine kaiserliche Prinzessin dem Khan von Persien als Braut zuzuführen.
Auf vierzehn, wohlbewaffneten viermastigen Schiffen reiste die Abordnung, die reiche Schätze mit sich führte, unter der Führung Marco Polos ab. Die Seefahrt war eine wahre Odyssee. Unter schweren Stürmen erreichten sie nach drei Monaten Java, wo sie durch widrige Winde fünf Monate zurückgehalten wurden. Endlich gelangten sie über Ceylon nach dem Persischen Meerbusen und begleiteten die Prinzessin an den Hof des Khans. Dann reisten sie zu Lande weiter und gelangten nach vielen Gefahren und Mühen nach Trapezunt am Schwarzen Meer, von wo sie über Konstantinopel im Jahre 1295 ihre Heimat wieder erreichten.
In Venedig waren sie inzwischen längst für tot gehalten worden und ihre Verwandten hatten sie schon beerbt und ihr Haus in Besitz genommen. Niemand wollte sie anfangs wiedererkennen, und es wird erzählt, dass sie erst durch ihre ungeheuren Schätze an Edelsteinen, die sie in China gesammelt hatten, die Venezianer überzeugen konnten. Jedenfalls wurden sie nachher wegen ihres Reichtums und ihrer Kenntnisse hoch geehrt, und als kurz darauf ein Krieg mit Genua ausbrach, erhielt Marco den Oberbefehl über eine Galeere. In der nun folgenden Seeschlacht wurde die venezianische Flotte geschlagen und Marco geriet in Gefangenschaft. Auch von den Genuesen wurde er sehr achtungsvoll behandelt und im Gefängnis zu Genua konnte er in aller Ruhe sein berühmtes Buch verfassen.
Marco Polos Reisebeschreibung ist das wichtigste Entdeckungswerk des Mittelalters. Leider ist es nicht ganz chronologisch angelegt; es vermischt persönliche Erfahrungen mit fremden Berichten und lässt durchaus nicht sicher erkennen, wie eigentlich die Reiseroute der Venezianer verlaufen ist. Dafür bringt es aber wirklich interessante Einzelheiten und schildert die einzelnen ostasiatischen Länder mit einer Genauigkeit, die für die damalige Zeit erstaunlich ist.
Das Buch berichtet zunächst von verschiedenen Völkerschaften Armeniens und erwähnt den Berg Ararat. Auf diesem hohen Berge war es, wo nach dem allgemeinen Glauben des Mittelalters, den auch Polo teilt, Noahs Arche nach dem Verströmen der Sintflut stehen blieb. Dann berichtet er offenbar von einer Petroleumquelle: Nördlich von dem Lande findet man eine starke Quelle, aus welcher eine Flüssigkeit, dem Oele ähnlich, hervorströmt. Sie ist nicht zum Genuss geeignet, aber sehr verwendbar zum Verbrennen und zu manchem anderen Gebrauche. Von Zeit zu Zeit kommen benachbarte Völker hierher und versehen sich in solchen Mengen damit, dass sie ganze Schiffe damit anfüllen. Trotzdem kann die Quelle durch diesen Abgang nie erschöpft werden.
Südlich vom Kaspischen Meer, westlich vom heutigen Teheran, kam er an die Residenz des berühmten und gefürchteten Alten vom Berge, des Grossmeisters der Ordensverbindung der Assassinen. Man hat lange Zeit die Angaben Polos für ein Märchen gehalten, neuere Forschungen haben sie aber bestätigt. Er erzählt über den Alten der Gebirge: Dieser Fürst mit allen seinen Untertanen verehrte den Mahomed und beging ganz eigene Niederträchtigkeiten. Er versammelte allerlei Banditen, die man gewöhnlich Totschläger hiess, und durch diese rasenden Halunken liess er alle diejenigen töten, deren Dasein ihm ein Anstoss war. Auf diese Art brachte er oft die ganze Gegend in Furcht und Schrecken. Auf eine sonderbare Art verstand er es auch, seine Anhänger oder Würgeengel sich ergeben zu machen. Er besass ein sehr schönes, zwischen hohen Bergen verstecktes Tal. Dieses liess er in einen bezaubernden Garten, reich an allen Früchten und Bäumen, verwandeln. Wundervolle Paläste standen darin, die mit dem kostbarsten Hausgerät und den seltensten Gemälden ausgeschmückt waren. Springbrunnen gab es, die von Wein, Milch und Honig strömten. Man vernahm überall die lieblichste Musik, und erlebte die herrlichsten Tänze und Freudespiele. Mit einem Wort, es fehlte an nichts, um diesen Ort für den schönsten der Erde, für das Paradies selbst zu halten. Wenn nun der Alte, dessen Name Ala-Eddin war, Jünglinge für seinen Dienst begeistern wollte, so liess er sie durch einen Schlaftrunk betäuben und in den Garten bringen, wo sie einige Tage in einem Uebermass der Lust verlebten. Dann wurden sie aufs neue betäubt und zurückgebracht und konnten sich nun kaum über den Verlust des Paradieses trösten. Das war der Augenblick, den der Alte erwartet hatte. Er machte die Betrogenen glauben, dass er ein Prophet Gottes sei. »Hört mich an«, rief er ihnen zu, »und beruhigt euch! Wenn ihr bereit seid, euch furchtlos allen Gefahren des Todes preiszugeben, wenn ihr alle meine Befehle treulich erfüllt, dann verspreche ich euch, dass ihr bald und auf immer diese Freuden geniessen sollt, von denen ihr schon einen Vorgeschmack erhalten habt.« Auf diese Art betrachteten diese Elenden den Tod als ein wahres Gut und waren gern bereit, sich dem Tyrannen aufzuopfern. Dieser aber benutzte sie, um ganze Gegenden zu verheeren und den Einwohnern Entsetzen einzujagen. Um solchen Schrecken zu entgehen, unterwarfen sich ganze Völker mit ihren Fürsten dem Alten vom Berge.
Diese Assassinen, die auch auf dem Libanon hausten und von dort aus die Kreuzfahrer in Schrecken setzten, wurden dann von den Tataren besiegt und zu vielen Tausenden mit ihrem letzten Fürsten Rocu-Eddin, dem Sohn des Alten vom Berge, hingerichtet. Der mörderische Orden verschwand dann allmählich, aber man sieht heute noch die Ruinen ihrer Schlösser.
Von Nordpersien aus zogen die Reisenden durch die Bucharei nach der Pamir-Hochebene. Unterwegs kamen sie durch ein Land Balascia, wo es ausserordentlich viele Ballasrubinen und Lapislazuli gab. Die dortigen Fürsten hielten sich für Nachkommen Alexanders des Grossen. Sie hatten eine besondere Pferderasse, die man wegen ihrer harten Hufe selbst auf dem felsigsten Boden nie zu beschlagen brauchte und die von Buzephalus abstammen sollten.
Auf dem Pamir-Plateau gab es zahlreiche wilde Schafe von besonderer Grösse, aus deren langen Hörnern die Hirten alle Arten von Schüsseln und Gefässen anfertigten. Auch war es so kalt, dass das Feuer gar nicht hell brannte und es sehr schwer war, Speisen zum Kochen zu bringen. Diese Beobachtung Polos ist übrigens auch durch moderne Forscher bestätigt worden.
Als er von diesen unwirtlichen Höhen heruntergestiegen war, sah er nach dem Mittelpunkt von Asien hin die fruchtbaren und blühenden Ebenen von Kaschgar, ein dem grossen Khan unterworfenes Königreich. Die Hauptstadt Samarkand war damals ausserordentlich reich, mit festen Schlössern besetzt und von herrlichen Gärten und Ländereien umgeben, in welchen Wein und Früchte edelster Art wuchsen.
Die Polos aber wandten sich nach Osten und gelangten nach vielen Mühseligkeiten an den Rand der Wüste Gobi, wo damals eine grosse Stadt Lop lag. Hier pflegten die Reisenden Maultiere und Kamele für den Transport durch das Sandmeer einzukaufen und sich auch mit Lebensmitteln und Wasservorräten zu versehen, denn es gab unterwegs nur wenige Quellen. Polo, der die Wüste an einer schmalen Stelle durchschritt, aber dazu auch so noch dreissig Tage gebrauchte, berichtet von nächtlichen Sinnestäuschungen, denen Reisende in der Wüste unterlagen, was übrigens auch andere Forscher bestätigen. Er schreibt sie dem Blendwerk böser Geister zu und sagt, die Reisenden müssten sehr auf der Hut sein, dass sie sich dabei nicht von der Karawane trennten oder gar zurückblieben. Denn nichts ist leichter, als dass sie in den vielen Bergen und Sandwolken sich verirren, und nichts gewöhnlicher, als dass die Dämonen sie mit nachahmenden Stimmen Bekannter von einem Ort zum andern nach sich ziehen und sie endlich ins Verderben locken. In der Luft vernimmt man zuweilen auch musikalische Instrumente, die meist den Klang von Tamburins haben, oder man sieht herannahende Reiterscharen und hört deutlich das Klirren der Waffen. Jedenfalls war der Weg durch diese Wüste mit grossen Gefahren verknüpft.
Jenseits der Wüste kam Polo in ein Land Hamil, wo eine ausgedehnte Gastfreundschaft Sitte war. Wenn ein Fremder hier Unterkunft suchte, so empfängt ihn der Hausvater aufs freundlichste und befiehlt seinem Weibe und seiner Familie, für ihn die möglichste Sorgfalt zu tragen, ihm zu gehorchen und ihn in dem Hause zu lassen, solange es ihm darin gefällt. Er selbst bezieht indes eine andere Wohnung und kehrt nicht früher zu den Seinigen zurück, bis der Fremdling sein Haus wieder verlassen hat. In der Zwischenzeit gehorcht die Hausfrau ihrem Gaste, als wenn es ihr eigener Gatte wäre. Die Einwohner sagen, eine solche Gastfreundschaft sei der Wille der Götter, und schreiben ihr ihren Wohlstand und die Fruchtbarkeit ihrer Felder zu.
In einer anderen Gegend herrschte die Gewohnheit, dass, wenn ein Mann auf einer Reise über zwanzig Tage ausblieb, seine Frau nach Belieben einen anderen heiraten konnte, in welchem Falle sich dann die heimkehrenden Männer auch mit anderen Frauen nach ihrer Wahl vermählten.
In der Provinz Tschintschitales fand Polo Bergwerke, aus denen ein unverbrennlicher Stoff gewonnen wurde, den er Salamander nennt. Es war das aber der damals in Europa völlig unbekannte Asbest und man hielt lange Zeit diese Erzählung für eine Fabel.
In der Stadt Kantschou verblieben die Reisenden ein ganzes Jahr. Die Bewohner waren zum Teil Christen, wie überhaupt das Christentum in den älteren Zeiten bis weit nach China verbreitet war und erst später wieder ausgerottet wurde. Von Kantschou aus wurden sie durch Abgesandte des Kaisers Kublai abgeholt und über die chinesische Grenzstadt Hsining nach einer langen Reise bis in seine Residenz geleitet.
Marco Polo beschreibt sehr ausführlich die Sitten und Gebräuche der Tataren und lobt ihren kriegerischen Mut, ihre Einfachheit und ihren Fleiss. Sie ernähren sich, so erzählt er, von den gröbsten Speisen; ihre gewöhnlichsten Gerichte sind Fleisch, Milch und Käse. Sie essen aber auch das Fleisch unreiner Tiere und neben dem Pferdefleisch steht bei ihnen das Fleisch gewisser Schlangen in grossem Rufe. Sie trinken die Milch der Pferde und wissen sie dergestalt zuzubereiten, dass man sie für blanken Wein hält, und der Geschmack ist auch wirklich sehr angenehm. Dieses Getränk heisst bei ihnen Kumys. Die Tataren sind nicht weichlich, nicht weibisch und keineswegs an Vergnügungen gewöhnt. Dagegen sind sie wenig empfindlich gegen den Mangel, und oft genug kommt es vor, dass sie monatelang nichts geniessen als Stutenmilch und rohes Fleisch. Selbst ihre Pferde kennen während der Kriege kein anderes Futter als Gras.
Sie glauben auch an einen Gott, der die ganze Welt regiert, und beten zu ihm. Für ihre Kinder, ihre Herden und ihre Früchte aber beten sie zu einem Götzen, dessen Bild in jedem Hause steht. Stets, bevor sie essen, schmieren sie in den Mund des Götzenbildes, das gewöhnlich mit einem Weib und mit Kindern abgebildet ist, vom Fettesten, was sie haben. Ebenso sind sie fest von der Seelenwanderung überzeugt, und wenn einer ihrer Grossfürsten gestorben ist und sein Leichnam nach alter Sitte in das Altai-Gebirge überführt wird, so töten die Begleiter unterwegs alles, was ihnen begegnet, indem sie den Unglücklichen zurufen: »Geht und dienet in der anderen Welt unserem Herrn und Fürsten!« Auch alle Pferde, die ihnen begegnen, werden erdrosselt, und sie glauben bestimmt, dass diese Menschen und Pferde sofort in den Dienst des Toten eintreten. Als die Leiche des Vaters von Kaiser Kublai nach seinem Grabe geführt wurde, tötete man unterwegs zwanzigtausend Menschen.
Kublai, der Grosskhan der Tataren und Kaiser von China, war ein schöner, gut gebauter Mann von mittlerer Grösse, mit einem offenen, blühenden Gesicht, grossen Augen und wohlgebildeter Nase. Er besass vier rechtmässige Frauen, von denen jede im Palaste ihren eigenen Hofstaat hatte, und wohl hundert Nebenfrauen, die unter den schönsten und bestgebildeten Mädchen besonders für ihn ausgewählt wurden. Von seinen rechtmässigen Frauen hatte er nicht weniger als zweiundzwanzig Kinder.
Seine Residenzstadt war Kambalu, das heutige Peking. Im Sommer aber, zur Jagdzeit, zog er nach Handu, dem heutigen Tschöng-tö, wo er einen verschwenderisch mit Marmor und Gold ausgestatteten Palast besass. Nahe dabei befand sich ein mit einer Mauer umgebener Park von fünfzehn Meilen im Umkreis. Hier wurden Hirsche, Damhirsche, Rehböcke und Falken gehalten und der Grosskhan ging hier oft auf die Jagd. Er jagte zu Pferde und führte dabei einen abgerichteten Leoparden mit sich. In der Mitte des Parks erhob sich ein aus Rohr erbautes Lusthaus, das aussen und innen vergoldet war und mit den schönsten Gemälden ausgeschmückt war. Es konnte leicht auseinander genommen und an einem anderen Platz wieder aufgebaut werden und war wie ein Zelt durch zweihundert seidene Stricke befestigt.
Der Grosskhan wohnte hier im Juni, Juli und August. Am 21. August ging er, bevor er seinen Winterpalast bezog, nach einem zu religiösen Feiern bestimmten Ort, um hier das grosse Milchopfer darzubringen. Er besass wohl über zehntausend weisse Stuten, und alle Milch, die an diesem Tage von ihnen gemolken wurde, versprengte er über die Erde, damit die Götter sie tränken und ihm und seiner Familie gewogen seien.
Während der Wintermonate, Dezember, Januar und Februar, wohnte er in seiner Residenzstadt Kambalu, eigentlich Khanbaligh, mongolisch für »Stadt des Khans«. Der Name Peking entstand erst im fünfzehnten Jahrhundert. Polo beschreibt genau die Anlage der Tatarenstadt, die, wie heute noch, ein grosses Viereck bildete. Jede Seite war sechs Meilen lang und hatte drei Tore, vor denen dann noch von Kaufleuten und Fremden bewohnte Vorstädte lagen. Der eigentliche Palast des Khans war mit einer dreifachen Mauer umgeben und von verschwenderischer Pracht. Auch waren hier grosse Schätze aufgestapelt.
Es ist fast unglaublich, welch eine Menge von Kaufmannsgütern täglich nach Kambalu gebracht wurden. Polo meinte, sie dürften für den Bedarf der ganzen Welt hinreichen. Vorzüglich brachte man dorthin Edelsteine, Perlen, Seide und indische Gewürze, und es verging nicht ein einziger Tag, wo die fremden Kaufleute nicht wenigstens tausend Wagen allein voll Seide brachten, aus denen man dort alle möglichen Stoffe webte.
Die Verwaltung des damaligen Chinas scheint ebenfalls auf bedeutender Höhe gewesen zu sein. Das ungeheure Reich war in 34 Provinzen eingeteilt. Grosse Strassen gingen von der Hauptstadt nach allen Richtungen, an denen sich in Abständen von zwanzig bis dreissig Meilen Poststationen und Unterkünfte befanden. Magazine waren angelegt, um bei Missernten die ärmere Bevölkerung zu ernähren. Als Geld dienten keinerlei Metallmünzen, sondern eine Art von Papiergeld, das in Kambalu aus Baumfasern hergestellt wurde und neben dem Siegel des Khans die Wertangabe enthielt. Nachahmungen und Gebrauch von anderen Münzsorten waren bei Todesstrafe verboten, auch war es untersagt, ausländisches Geld einzuführen. Jedenfalls bestritt der Khan mit diesem Geld alle Staatsausgaben und sammelte selbst ungeheure Reichtümer an.
Unter den vielen Wundern, die Marco Polo in China vorfand, waren auch die damals in Europa noch nicht bekannten Kohlen. In China, so erzählt er, gräbt man eine schwarze Steinart aus den Bergen, die im Feuer ebenso wie das Holz brennt und, wenn sie einmal in Brand ist, ausserordentlich lange fortglimmt. Denn brennt man diese Steine des Abends an, so dauert ihr Feuer bis zum anderen Tage fort.
Als Ersatz für den Wein gab es ein sehr gutes Getränk, das aus Reis und verschiedenen wohlriechenden Dingen hergestellt war. Polo fand es lieblicher als den Wein selbst, auch wurden diejenigen, die zuviel tranken, sehr schnell dadurch berauscht.
Die grösste Stadt Chinas war übrigens damals immer noch die frühere Hauptstadt Quinsai, jetzt Hangtschou. Der Name Quinsai bedeutete soviel wie Stadt des Himmels, und Marco Polo schildert sie als ein wahres Paradies. Der Umfang dieser Stadt betrug hundert Meilen. In ihr befanden sich zwölftausend steinerne Brücken, deren Bogen so hoch waren, dass unter ihnen die grössten Schiffe mit ausgespannten Segeln fahren konnten. Sie war ähnlich wie Venedig auf einem Sumpf gebaut und das Seewasser drang durch Kanäle überall hin. Man schätzte damals die Zahl der Bewohner Quinsais auf 600 000 Familien, jede aus dem Hausvater, der Mutter, den Kindern und dem Dienstgesinde bestehend. Es gab über dreitausend Bäder in der Stadt, denn Reinlichkeit und Körperpflege setzten die Bewohner über alles. Polo erwähnt auch, dass die Stadt eine christliche Kirche hatte; sie gehörte den Nestorianern. Die Einkünfte, die der Grosskhan aus Quinsai und seiner Umgebung zog, schätzt Marco Polo auf über 15 Millionen Goldgulden jährlich.
Ueber Japan, das er die Insel Zipangu (Nippon) nennt, ist Marco Polo weniger gut unterrichtet. Er hält die Einwohner für Mohammedaner. Die Insel, so erzählt er, erzeugt Gold in grossen Mengen, doch erlaubt der König nicht, dass etwas davon aus dem Lande herauskommt. Deshalb gibt es auch keinen Handelsverkehr nach Zipangu. Der König bewohnt einen prächtigen Palast, dessen Dach aus echten Goldplatten besteht, so wie man in Europa ein Prachtgebäude mit Blei oder Kupfer deckt. Auch die Höfe und Zimmer sind von diesem edlen Metall bedeckt. Das Land ist überreich an grossen Perlen, auch Edelsteine anderer Art findet man häufig. Marco Polo berichtet auch von einem verunglückten Versuch Kublais, sich Zipangus zu bemächtigen.
Im letzten Teil seines Buches beschreibt der Venezianer Indien und die südöstlichen Inseln. Von den indischen Schiffen sagt er, dass sie aus Tannenholz gemacht sind und nur ein Verdeck haben, auf dem sich etwa vierzig Baracken für Kaufleute befinden. Jedes Schiff hat ein Steuerruder, vier Maste und vier Segel. Grosse Schiffe können zweihundert Menschen fassen, ausserdem aber noch sechstausend Kisten Pfeffer. Ferner führen sie noch kleine Schaluppen mit sich, um sich in Notfällen helfen zu können.
Der Grosskhan hatte auch versucht, das Königreich Ziamba (das heutige Siam und Anam) zu erobern. Der Versuch misslang aber, jedoch willigte Ziamba ein, dem Grosskhan jährlich zwanzig seiner schönsten Elefanten zu schicken.
Südöstlich von Ziamba liegt Java, worunter Polo wahrscheinlich Borneo versteht. Man findet auf dieser Insel Pfeffer im Ueberfluss. Ferner Muskatnüsse, Gewürze, Galgant und andere Spezereien. Sie wird des Handels wegen stark besucht, denn die fremden Kaufleute gewinnen viel an den Waren, die sie von dort ausführen. Jenseits der malaiischen Halbinsel besuchte Polo das jetzige Sumatra, das er Klein-Java nannte. Hier war es, wo er auf seiner Rückreise mit seinen zweitausend Begleitern fünf Monate wegen widriger Winde liegen musste und sich durch Blockhäuser und Gräben gegen Angriffe schützte.
Die Insel Ceylon überschätzt er den damaligen geographischen Begriffen nach in ihrer Grösse ganz gewaltig. Er nennt sie eine der schönsten Inseln der Welt, auf der man viele Rubine, Saphire, Topase, Amethyste und andere Edelsteine findet. Der König der Insel besitzt einen Rubin, den man für den kostbarsten in der ganzen Welt hält, denn seine Länge beträgt drei flache Hände und seine Dicke drei Finger. Er brennt wie das hellste Feuer und ist ganz ohne Makel.
Sechzig Meilen von Ceylon liegt die Provinz Maabar (das heutige Malabar) im Südwesten Indiens. Hier werden an gewissen Stellen, wo das Meer sehr heiss ist, viele Perlen gefischt. Kaufleute kommen hierher mit grösseren und kleineren Schiffen, lassen Menschen in das Meer tauchen und die Perlenmuscheln auffischen. In diesem Meeresarm hausen auch grosse Fische (Haifische), die mit Leichtigkeit einen Menschen verschlingen können, doch schützt man sich gegen sie durch Magier, die die Fische beschwören können. Die Bewohner gehen alle nackt, auch der König, doch trägt er ein goldenes Halsband, das mit Saphiren, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen besetzt ist. Auch eine seidene Schnur mit Perlen hängt ihm um den Hals, und er betet danach zu seinen Götzen wie mit einem Rosenkranz. An jedem Arme und an jedem Beine trägt er drei goldene, mit Diamanten besetzte Ringe. Selbst seine Fusszehen und Finger sind mit kostbaren Ringen geziert. Die Zahl seiner Weiber ist etwa fünfhundert.
Marco Polo ist der erste gewesen, der über das eigentliche Indien nach wirklicher Anschauung berichtet und mit den bis dahin immer noch geglaubten phantastischen Märchen aus der Zeit Alexanders des Grossen aufgeräumt hat. Er beschreibt die freiwillige Witwenverbrennung und die hohe moralische Kultur der Brahmanen. Von den Brahmanen sagt er, dass sie die Lüge verabscheuen, die Vielweiberei hassen sowie das Stehlen und den Ehebruch. Sie bedienen sich weder des Weins noch des Fleisches; auch schonen sie das Leben aller Tiere. Zur Zeit Polos muss auch die Seeräuberei sehr stark in den indischen Gewässern geherrscht haben. Die Seeräuber hatten ihre Weiber und Kinder bei sich und lebten den ganzen Sommer über auf dem Meere, wo sie die engen Pässe verschlossen, so dass ihnen selten ein Schiff entging. Man nahm aber den Schiffen nur die Ladung ab und liess die Mannschaft unbehelligt.
Es wird dann die Ostküste Afrikas beschrieben. Ganz im Süden liegt die grosse Insel Madagaskar, eine der grössten und wichtigsten Inseln der Welt, die ungeheuer fruchtbar ist und einen ausgebreiteten Handel betreibt. In Sansibar fand er die eigentlichen Neger und beschreibt sie als sehr hässlich mit ihrem grossen Mund und den breiten, aufgestülpten Nasenlöchern. Er erzählt auch von einem Wundertier, das Giraffe hiess. Es ist mit einem drei Fuss langen Hals versehen, hat vorn weit längere Füsse als hinten, einen kleinen Kopf und ist auffallend gefärbt. Das Tier ist sanft und schadet keiner Seele.
Abasia nennt Polo das heutige Abessinien. Es ist ein grosser Landstrich, der sieben selbständige Königreiche umfasste, von denen vier christlicher und drei mohammedanischer Religion waren. Die Provinz Aden hatte schon damals mit ihrem ausgezeichneten Hafen einen ausgedehnten Handelsverkehr. Die Kaufleute von Alexandria kamen hierher und bezogen die orientalischen Güter, um sie nach dem Nil überzuführen.
Damit schliesst das Reisewerk Marco Polos. Es hat wie kein anderes Buch auf die nachfolgenden Jahrhunderte einen entscheidenden Einfluss ausgeübt, und vieles von dem, was er berichtet hat, konnte erst in unseren Tagen durch die wissenschaftlichen Forschungen bestätigt werden.