Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20

Am nächsten Morgen meldete Lonny im Büro daß sie um ihre Entlassung bitten müsse. Man war um so mehr überrascht, als gestern Mister Stanhope eingetroffen war und schon seine Freude darüber geäußert hatte, daß Miß Straßmann seine Privatsekretärin werden wolle.

Man überließ es Lonny, Mister Stanhope zu eröffnen, daß nichts daraus werden würde. Sie war in sein Privatkontor bestellt worden, und sie begab sich dahin. Mister Stanhope begrüßte sie sehr freundlich und sprach ihr seine Freude aus, daß er nun endlich wieder eine Privatsekretärin gefunden habe, mit der zu arbeiten ein Gewinn sein würde, zumal sich während seines sehr nötigen Erholungsurlaubs bei ihm eine Menge Arbeit angehäuft habe.

Lonny sah ihn etwas verlegen an.

»Es tut mir leid, Mister Stanhope, daß ich Ihnen wieder eine Enttäuschung bereiten muß. Es hat sich inzwischen in meinem Leben eine große Änderung vollzogen. Ich – ich werde mich verheiraten.«

Betroffen sank der Trustmagnat in seinen Sessel zurück.

»Verheiraten? Miß Straßmann, Sie sind ein schönes Mädchen, aber daß Sie so schnell in New York einen Mann gefunden haben, wundert mich doch sehr.« 217

Mit einem fast schelmischen Lächeln sah Lonny zu dem allmächtigen Mann auf.

»Ich habe ihn auch nicht hier gefunden, Mister Stanhope; er – er ist mir von Deutschland hierher gefolgt, um mich zurückzuholen.«

Es sah sie eine Weile prüfend an. Dann sagte er trocken:

»Well, ich hätte es ihm wohl nachgetan, wenn ich ein junger Mann wäre. Aber ich bin wahrhaftig sehr betrübt, daß mir mein Wunsch nun nicht in Erfüllung gehen soll. Was hätten Sie getan, wenn ich zufällig zu Hause gewesen wäre und bereits einen mehrjährigen Vertrag mit Ihnen gemacht hätte, wie ich das heute nachholen wollte? Ich werde Mister Yacht sehr böse sein, daß er Sie nicht gleich auf Jahre hinaus für mich verpflichtet hat.«

Lonny preßte die Handflächen fest zusammen.

»Das wäre für mich sehr schlimm gewesen, Mister Stanhope, und für meinen Verlobten auch; aber Sie hätten mich schließlich doch freigeben müssen.«

Mit einem humoristischen Lächeln sah er sie an.

»Das wäre vielleicht sehr teuer geworden; billigen Kaufes hätte ich Sie nicht wieder hergegeben.«

Wieder flog ein Schelmenlächeln über Lonnys Gesicht.

»Mein Verlobter hätte doch wohl die Ablösungssumme aufgebracht.«

»Hm! Dann hätte er sehr reich sein müssen.«

»Ist er auch, Mister Stanhope.«

»Ah, Sie machen eine gute Partie?«

Sie machte eine hastig abwehrende Bewegung.

»Bitte, sagen Sie das nicht, das ist eine abscheuliche Bezeichnung. Ich liebe meinen Verlobten, und er war sehr arm, als ich ihn kennenlernte. Als er plötzlich 218 durch eine große Erbschaft sehr reich wurde, bin ich davongelaufen – hierher, nach Amerika, weil ich nicht wollte, daß er glauben sollte, ich würde ihn seines Geldes wegen heiraten.«

Kopfschüttelnd und verständnislos, aber entschieden interessiert sah er sie an.

»Ich habe schon in Deutschland gemerkt, daß Sie viel Stolz haben, Miß Straßmann. Wie unklug von Ihnen, vor einem reichen Mann davonzulaufen, den Sie doch schon geliebt haben, als er ein armer Mann war.«

Sie nickte zustimmend.

»Ja, es war sehr töricht, das hat mir mein Verlobter gestern nach seiner Ankunft auch klargemacht.«

Wieder sah er sie eine Weile prüfend an, wie eine Kuriosität.

»Bitte, erzählen Sie mir das. Wie kam das alles? Es ist von Interesse für mich; ich muß sehr viel arbeiten mit Deutschen, und man kann lernen von allem.«

Lonny berichtete nun in kurzen Worten, was sie Mister Stanhope preisgeben konnte. Sie berichtete von Lutz' Schicksal, wie er kurzerhand Chauffeur geworden war, als es keine andere Existenzmöglichkeit mehr für ihn gab, obwohl er ein Freiherr von Hennersberg war, und wie sie beide trotz ihrer Armut hatten heiraten wollen. Sie sprach dann auch von Lutz' Onkel, von seinem Abenteurerblut, seinen Tierdressuren und seinem Testament. Da richtete sich Mister Stanhope sehr interessiert auf.

»Wie heißt dieser Onkel Ihres Verlobten?«

»Freiherr Karl Henner von Hennersberg, aber er trat nur unter seinen beiden Vornamen Charles Henner auf.«

»Ah, Charles Henner! Ich habe ihn gekannt, habe seine großartigen Tierdressuren bewundert. Und ihn 219 selbst. Ich hörte auch von seinem im Januar erfolgten Tod, den ich sehr bedauerte. Also das war der Onkel Ihres Verlobten! Sie müssen ihn mir vorstellen, Miß Straßmann, ich muß ihn kennenlernen. Warten Sie – Sie kommen morgen mit ihm zum Lunch in meine Wohnung; meine Frau wird sich freuen, so interessante Leute kennenzulernen – und eine so feinfühlige Deutsche, die vor ihrem Mann davonläuft, weil er Geld hat.«

»Ich nehme diese Einladung für meinen Verlobten und mich sehr gern an, Mister Stanhope, aber ich bitte Sie, mich Ihrer Frau Gemahlin nicht noch sentimentaler zu schildern, als ich in Wirklichkeit bin. Nicht vor seinem Geld lief ich davon, sondern weil ich fürchtete, er könnte glauben, daß mich sein ererbter Reichtum zu irgend etwas verlocken könne, was ich nicht für gut und recht halte«, sagte Lonny lachend.

»Gut, es genügt auch so. Sie sind und bleiben eine Deutsche in Reinkultur. Und tüchtig – wie es die Deutschen bei aller Sentimentalität sein können. Man kann doch von ihnen lernen. Ihre Anstellung ist natürlich beendigt, ich will Sie nicht gegen Ihren Willen halten.«

»Ich werde meine Stellung gern noch bis Ende dieses Monats ausfüllen, Mister Stanhope. Mein Verlobter reist erst noch nach San Francisco, und erst, wenn er zurückkommt, werde ich mit ihm die Heimreise antreten.«

»Deshalb brauchen Sie aber doch nicht mehr zu arbeiten, Sie können sich doch die Wartezeit angenehmer vertreiben.«

»Ich liebe meine Arbeit, und wenn ich arbeite, wird mir die Zeit schneller vergehen.«

Wieder sah er sie forschend und erstaunt an.

»Gut, dann arbeiten Sie in dieser Zeit mit mir! Ich habe sehr viel zu tun, gerade jetzt, wo sich so viel in 220 meiner Abwesenheit aufgehäuft hat. Wenn Sie so arbeitshungrig sind, dann helfen Sie mir aus dieser Arbeitslast heraus, die meine Nerven gleich wieder sehr überanstrengen würde.«

»Mit Vergnügen, Mister Stanhope; ich habe mir immer gewünscht, mit einem so bedeutenden Mann, wie Sie sind, arbeiten zu können. So kann ich mir diesen Wunsch wenigstens einige Wochen erfüllen.«

»Gut, und ich werde wenigstens einige Wochen meinen Wunsch erfüllt sehen, Sie als meine Privatsekretärin zu beschäftigen.«

Sie sah ihn schelmisch an.

»Und vielleicht überzeugen Sie sich in dieser Zeit, daß ich gar nicht so gut für diesen Posten tauge, wie Sie annahmen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Diese Überzeugung werde ich nicht bekommen. Schade! Also morgen um ein Uhr zum Lunch in meiner Wohnung, mit Ihrem Verlobten. Und – nun können wir gleich an die Arbeit gehen.«

Und Mister Stanhope und Lonny schafften schon heute gemeinsam einen guten Teil der Arbeit, die sich aufgehäuft hatte.

Am anderen Tag speiste Lonny mit Lutz im Hause des Trustmagnaten, und dieser und seine Frau genossen mit vielem Vergnügen die Gesellschaft der beiden glücklichen und tüchtigen Menschen.

Lutz reiste drei Tage später nach Kalifornien, brachte seine Erbschaftsangelegenheit in Ordnung, ließ die wertvolle Sammlung seines verstorbenen Onkels verpacken und nach Deutschland verfrachten. Er konnte in diesen Tagen auch gleich das Landhaus verkaufen, für das der Rechtsanwalt Fleed schon einen ernsthaften Liebhaber gefunden hatte. 221

Harry Fleed übergab Lutz auch das versiegelte und an ihn adressierte Päckchen, das seines Onkels Tagebuch enthielt. Das nahm Lutz mit sich, las es mit brennendem Interesse auf der Rückreise nach New York durch und hielt es in Zukunft hoch in Ehren, wie auch die sehr kostbare und interessante Sammlung.

Das Vermögen seines Onkels ließ er vorläufig zum Teil auf amerikanischen Banken und nur einen Teil desselben auf deutsche Banken überweisen. Harry Fleed zeigte sich ihm bei dieser Gelegenheit als ein tüchtiger und zuverlässiger Berater. Als Lutz ihm dafür dankte, wehrte er diesen Dank ab.

»Charles Henner hat mir einst einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Ich versprach ihm, Ihnen in der Erbschaftsangelegenheit jeden nötigen Dienst zu erweisen. Ich habe mein Wort gehalten. Das ist alles.«

So wickelte sich alles schneller ab, als Lutz geglaubt hatte, und nach reichlich drei Wochen konnte er wieder nach New York zurückkehren. Er bedauerte sehr, daß Lonny nicht mit ihm hatte die Schönheiten Kaliforniens genießen können, doch tröstete er sich damit, daß er später einmal mit ihr diese Reise machen würde; er konnte sich das jetzt leisten.

In New York angekommen, wurde Lutz mit Lonny nochmals zu Mister Stanhope eingeladen. Lutz mußte von San Francisco berichten und konnte Mister Stanhope erzählen, daß in seines Onkels Tagebuch wiederholt der Name John Stanhope vorkomme. Der Onkel hatte verschiedene Begegnungen mit dem Trustmagnaten geschildert. Das interessierte John Stanhope sehr, und er freute sich, daß Lutz ihm diese Stellen zeigte. Er war darin als ein sehr interessanter, gediegener und kluger Mann geschildert.

Mister Stanhope sagte dann freimütig zu Lutz: 222

»Ich wäre nicht böse gewesen, wenn Sie viel länger in San Francisco zu tun gehabt hätten, denn dann hätte ich meine außerordentlich tüchtige Sekretärin länger behalten können. Aber ich will nicht egoistisch sein; ich glaube, die deutsche Art hat von Miß Straßmann ein wenig auf mich abgefärbt. Ich bin so selbstlos, ihr zu gönnen, daß sie an Ihrer Seite glücklich wird. Sie hat in diesen Wochen Enormes geleistet, alle Rückstände sind restlos aufgearbeitet, und ich kann nun zur Not noch eine Weile ohne Sekretärin auskommen. Das werde ich wohl müssen, ich bin durch Miß Straßmanns Dienste noch anspruchsvoller geworden und werde so leicht keinen Ersatz für sie finden. Sie sind jedenfalls ein beneidenswerter Mensch, Herr von Hennersberg, daß Sie so eine Frau heimführen dürfen.«

»Das weiß ich, Mister Stanhope«, sagte Lutz, strahlend zu Lonny hinübersehend.

 

Einige Tage später traten Lutz und Lonny die Heimreise an. Es war eine wundervolle Fahrt für die beiden Liebenden. Zum ersten Mal hatten sie beide Zeit, ihr Glück auszukosten. Ungestört konnten sie ihre Gedanken austauschen und erkannten dabei immer mehr, wie sehr sie füreinander geschaffen waren. Die Trennung hatte ihre Liebe noch vertieft; sie wußten nun, daß sie einander zum vollen Lebensglück notwendig waren.

Pfingsten war freilich längst vorbei, der Sommer ging schon zu Ende, als sie endlich Hochzeit halten konnten. Und diesmal war es ihnen nicht schwer, eine passende Wohnung zu finden; nach eingehenden Beratungen mit Lonny hatte sich Lutz entschlossen, die Villa Doktor Friesens zu kaufen. Dort schlug das junge Paar seinen Wohnsitz auf, nachdem es von der Hochzeitsreise zurückgekehrt war. 223

Frau Hermine war glimpflich davongekommen; man ging über ihre Verfehlungen hinweg, ohne nochmals mit einem Wort darauf zu sprechen zu kommen.

Lutz hatte für seinen Schwiegervater noch einige gebrauchte Autos gekauft, und dieser hatte sein Amt als Versicherungsagent niedergelegt und leitete die Geschäfte. Er rechnete mit den Chauffeuren ab, kontrollierte sie und tat alles, um das Geschäft zu fördern. Er lebte förmlich dabei auf und war seinem Schwiegersohn sehr dankbar, daß er ihm einen so befriedigenden und einträglichen Wirkungskreis erschlossen hatte. Sein Einkommen vergrößerte sich immer mehr, und er konnte immer wieder neue Wagen einstellen. So führte er nun als Autodroschkenbesitzer ein sorgloses und zufriedenes Leben. Was Lutz einst für sich erstrebt und geplant hatte, das ging jetzt für den Major in Erfüllung.

In der Garagenwohnung, die Lutz einst innegehabt, wohnte jetzt der erste Chauffeur, den Lutz damals eingestellt hatte. Er war von Lutz engagiert worden. Zwei schöne neue Wagen standen in der Garage für das junge Paar bereit.

Die Sammlung Henner von Hennersberg war in zwei Parterreräumen der Villa Friesen aufgestellt, und sie war eine Fundgrube für eifrige Wissenschaftler, denen Lutz gern gestattete, ihre Studien daran zu machen.

Als Lutz mit Lonny von der Hochzeitsreise zurückgekommen war, hatte er gesagt:

»So, Lonny. Du hast nun Arbeit in Hülle und Fülle, um deinen Hausfrauenpflichten nachzukommen, und ich werde mich nach einem Unternehmen umsehen, damit auch ich mein wohlgerütteltes Maß an Arbeit bekomme. Ohne Arbeit, ernste, ausfüllende Tätigkeit, ist das Leben nicht lebenswert für mich. Onkel Henners 224 Erbe soll der Grundstock sein, auf den ich aufbaue. Sein Erbe soll auch noch vielen anderen Menschen, die ich in meinem neuen Unternehmen beschäftigen werde, Segen bringen.«

Lonny nickte ihm mit strahlenden Augen zu.

»Das wußte ich, Lutz; ich kenne dich doch. Hast du schon bestimmte Pläne?«

»Ja, Lonny, und diese Pläne will ich mit meiner tüchtigen Frau besprechen; ich weiß, daß sie deine Billigung finden werden.«

Sie sah ihn mit ihren klaren, leuchtenden Augen an.

»Zu einem Drohnendasein haben wir beide kein Talent, Lutz. Ich freue mich, daß du mich für wert hältst, alles mit dir zu besprechen.«

Er zog sie in seine Arme und sah ihr mit heißer Zärtlichkeit in die Augen.

»Meine süße Frau – mein guter Kamerad«, sagte er innig.

Und sie küßten sich beide in andachtsvoller Zärtlichkeit.

 


 


 << zurück