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Siebzehntes Kapitel.

Eines Morgens hatte sich Carpophorus ohne alle Umschweife zur Stunde der Salutatio beim Kaiser angemeldet. Es war nicht einmal die Promiscua Salutatio, der allgemeine Empfangstag, an dem sich jeder, der nur einigermaßen dazu berechtigt war, Domitian bis zu einem aufgezogenen Velum nähern und ihn sehen durfte, wie er düster in seinen Kissen lag, von einer großen Zahl von Prätorianern umringt. Der Kaiser sprach dann zu niemand. Er vergönnte den Zugelassenen nur, ihn zu begrüßen, Wann mußten sie weiter gehen. Es war heut die Admissio der Konsuln, Präsekten, Senatoren und konsularen Persönlichkeiten, und höchst verwundert waren die beiden Würdenträger, Parthenius und Sigerus, als sie inmitten der rot umsäumten, weitfaltigen Laciclaviae der bleichen, starr dreinschauenden, angesehensten Römer in dem vielsäuligen Warteraum die kolossale, muskulöse Gestalt des Lanista erscheinen sahen, der ganz unbefangen bat, man möge ihn zu dem göttlichen Augustus zulassen.

Plinius, Frontin und Quintilian umringten den alten Verginius Rufus und standen wartend in dem nächstgelegenen kleineren Warteraum, der auf die Galerie führte, an deren Ende man durch das aufgezogene Velum den Kaiser mehr liegen als thronen sah. Gleich allen andern waren auch sie höchlichst erstaunt, als sie Parthenius und Sigerus gewahrten, wie sie den Lanista vorüberfühlten die Galerie hinunter bis in den Kreis des Domitian. Neugierig und verstohlen schauten sie zu ihm hinüber und sahen, wie der Gladiator niederkniete und wie der Kaiser ihm flüchtig die Hand auf den Krauskopf legte. Der Kaiser bewegte kaum merkbar die Lippen. Carpophorus schien etwas zu fragen. Auch der Kaiser fragte. Der kniende Riese antwortete. Dann nickte der Kaiser, winkte matt dem Parthenius, sagte drei Worte. Carpophorus stand auf, wurde zurückgeführt.

Die ganze Admissio des Jägers hatte kaum drei Minuten gedauert, und er selber wunderte sich gar nicht über das, was er erreicht hatte, wunderte sich nur, daß er sich dies nicht früher in seinem beschränkten Hirn überlegt hatte. Er wartete nun draußen auf dem Platz vor dem Palast, auf der Area Palatina, und alle, die unten an den Treppen standen und auf die Sänften starrten, die kamen und gingen, und auf die Vornehmen, die ein- und ausstiegen, zeigten sich den Jäger Carpophorus, der im Kolosseum mit Löwen und Bären rang. Im Morgenlicht zwischen all dem weißen Marmor der Treppen, Wände, Säulen, Statuen funkelte seine, von einer ledernen Tunika umschlossene schwellende Riesenhaftigkeit mit barbarisch-rauher Schönheit. Geduldig wartete er, während seine gewaltige Hand auf den kreuzweis verschlungenen Linien des marmornen Gitters, auf dem Sockel der Siegesgöttin ruhte, die ihre Flügel über ihn breitete schwebend auf der goldenen, von einer Säule getragenen Kugel.

Die Herren traten heraus. Sie hatten nur schweigend den Kaiser begrüßt. Der Kaiser hatte kein Wort gesprochen. Dennoch wären sie der Todesstrafe verfallen gewesen, wenn sie der Admissio nicht beigewohnt hätten. Plinius näherte sich dem Lanista.

»Um welche Gunst hast du gebeten, Jäger?« fragte Plinius, der es schon erriet.

»Cäcilius mitnehmen zu dürfen,« antwortete Carpophorus.

»Und...?«

»Der Kaiser hat es gestattet.«

»Es gestattet...?« wiederholten alle staunend.

»Ja, edle Herren. Die Gunst, die ich erbitte, gewährt mir der Kaiser immer. Aber ich bitte fast nie, um nicht Mißbrauch zu treiben.«

»Also darf Cäcilius mitgehen?«

»Mit mir, ja, edler Plinius. Ich warte auf ihn.«

»Wohin bringst du ihn?«

»Nach Nomentum.«

»Bring ihn lieber nach Laurentum! Besser noch: laß den Knaben mit mir nach Laurentum gehen! Hole den Cäcilianus und sage dem Dominus, daß ich die Knaben für einige Zeit zu mieten wünsche!«

»Ich werde es tun, edler Herr,« sagte der Jäger, stieg die Treppen hinunter und verschwand in der Menge.

»Wir wollen mit Euch warten,« sagten die Freunde. Sie warteten, während die Angesehenen mit Begrüßungen und feierlichen

Höflichkeitsbezeigungen an ihnen vorbei die Treppen hinunterstiegen zu ihren Tragstühlen. Der Fall, daß der Jäger auf der konsularen Admissio des Kaisers sofort vorgelassen worden sei, wurde eifrig besprochen. Dann sahen die Freunde von der Seite her, wo sich der tiberische Palast mit der Prätorianerkaserne und dem Sklauengebäude erhob, Cäcilius kommen. Earinus ging ihm zur Seite. Der junge Komödiant erschien bleich und abgemagert in seiner langen, seidenen Tunika. Seine dunklen Augen waren trübe. Plinius ging Earinus entgegen.

»Earinus!«

»Edler Plinius!«

»Cäcilius ist frei. Carpophorus hat darum gebeten, und der Kaiser hat ihm gestattet, was er nicht einmal Martial gewährte. Cäcilius, du gehst mit mir nach Laurentum. Bald wirst du Cäcilianus wiedersehen.«

»Wie Ihr befiehlt, edler Herr,« sagte Cäcilius.

Er sagte Earinus Lebewohl, der ihn umarmte, während Cäcilius dem jungen Patrizier die Hände küßte. Begleitet von seinen Klienten, stieg Pliuius ein, nachdem er von seinen Freunden Abschied genommen. Cäcilius setzte sich bescheiden ihm gegenüber, so wie sich ein kleiner Komödiant einem sehr vornehmen Herrn gegenübersetzt, der ihn nach Hause mitnimmt zu Gesang, Spiel und Saltativ.

»Dies ist der Weg, den ich schon kenne, edler Herr,« sagte Cäcilius. »Aber damals war ich gesund. Nun bin ich wohl ein wenig krank, wenn ich nachher vor Euch singen und spielen soll.«

»Du brauchst weder zu singen, noch zu spielen,« sagte Plinius. Als sie in Laurentum anlangten vor dem Landhaus, rief Plinius Hermes, den Freigelassenen.

»Hermes!« befahl er. »Geleite Cäcilius in eine Zelle, die Aussicht auf die See hat, und sage Zosimos, er solle ihm Gesellschaft leisten!«

Hermes führte Cäcilius in eine der Zellen mit Ausblick auf die See, welche die Sklaven bewohnten. Zosimos kam.

»Bist du krank gewesen?« fragte Zosimos.

»Ja,« sagte Cäcilius. »Der edle Plinius meint, die Seeluft könne mich heilen. Er hat mich gemietet mit meinem Brüderchen. Der kommt nachher. Dann werden wir wohl alle drei zusammen spielen müssen, Zosimos.«

Zosimos schaute sich in der Zelle um.

»Dein Brüderchen erhält eine Zelle neben dir,« sagte Hermes.

»Das ist nicht nötig,« sagte Cäcilianus. »Eine Zelle genügt. Wir schlafen doch meistens auf einer Matratze. Es ist eine schöne Zelle, und wir haben hier alles, was wir brauchen. Es ist eine sehr bequeme Zelle mit all den Nischen, in denen man seine Sachen verwahren kann. Die hübsche, kleine Lampe!«

»Du darfst des Morgens in der See baden,« sagte Hermes, »bevor der Gebieter aufgestanden ist.«

»Das wird köstlich sein,« sagte Cäcilius. »Wir werden sehr früh wach, Cäcilianus und ich. Dürfen wir dann zusammen baden, bevor der Gebieter aufgestanden ist?«

»Ja, dann baden wir alle,« sagte Zosimos.

»Das wird köstlich sein,« wiederholte Cäcilius. »Dann sind wir genau so wie die Vornehmen, die bei Antium oder bei Bajae in der See baden. Darf ich einmal nach meinem Brüderchen Umschau halten?«

»Komm nur mit!« sagte Zosimos, während Hermes ins Haus zurückging.

Zosimos und Cäcilius gingen an den weitläufigen Gebäuden entlang in den Garten. An der Seite der Portikus, die mit einem D Zugang zu dem Landhaus verlieh, hielten sie Umschau.

»Da kommen sie!« sagte Zosimos.

»Ja, da kommen sie!« sagte Cäcilius sehr ruhig.

Es war Carpophorus auf seinem großen Roß, vor sich Cäcilianus, den er an sich preßte, und auf einem Maulesel der Dominus. Hermes hatte Plinius benachrichtigt, und dieser trat in die Portikus hinaus. Die Reiter stiegen ab und begrüßten Plinius.

»Dominus!« sagte er. »Ich möchte deine beiden Knaben für einige Zeit mieten.«

»Ich werde es als einen großen Vorzug erachten, alleredelster Herr,« sagte der Dominus, »an Euch die Knaben zu vermieten. Alles, was Ihr mir vorschlagen werdet, halte ich für einen unschätzbaren Vorteil, für mich sowohl als auch für sie.«

»So tritt denn näher zur Besprechung!«

Der Dominus betrat mit Plinius das Haus. Cäcilius und Cäcilianus umarmten sich ganz schlicht. Dann lächelten sie und sahen einander an.

»Du bist ein wenig bleich,« sagte Cäcilius.

»Du bist ein wenig bleich,« sagte Cäcilianus mit Nachdruck.

Sie gingen mit Carpophorus und Zosimos zurück durch den Garten nach der Zelle.

»Dies ist unsere Zelle,« sagte Cäcilius,

»Du darfst«, sagte Zosimos zu Cäcilianus, »auch deine besondere Zelle haben, hier nebenan.«

»Das ist nicht nötig,« sagte Cäcilianus. »Eine Zelle genügt. Wir schlafen immer auf einer Matratze. Es ist eine schöne Zelle, und wir haben...«

»Ja, wir haben hier alles, was wir brauchen. Es ist eine, ja, eine sehr bequeme Zelle mit all den Nischen, in denen man seine Sachen verwahren kann. Was für eine hübsche, kleine Lampe!«

»Morgens«, sagte Cäcilius, »dürfen wir in der See baden, bevor der Gebieter aufgestanden ist,«

»Köstlich!« rief Cäcilianus aus. »Dann sind wir gerade wie die Vornehmen, die bei Antium oder Bajae in der See baden.«

»Es bleibt sich ganz gleich, ob man den einen hört oder den andern,« sagte Zosimos,

Sie hockten alle vor der kleinen Zelle nieder.

»Bist du nicht müde, mein Junge?« fragte der Jäger, als Cäcilianus sich an Cäcilius anlehnte. »Willst du dich nicht an mich lehnen?

»Nein,« sagte Cäcilianus. »Ich lehne mich jetzt nur an Cäcilius, weil ich ihn so lange nicht gesehen habe.«

»Ja!« sagte Cäcilius. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«

Sie lehnten sich still aneinander, sie schlossen beide die Augen.

»Ich werde etwas spielen,« sagte Zosimos. Er nahm die Flöte aus den Falten seines Gewandes. Er blies leise. Die Knaben lagen auf dem Boden an der Wand, gleich als schliefen sie. Der Jäger saß auf der Schwelle titanisch und düster.

Eine Sklavin kam.

»Plautilla sendet mich,« sagte sie. »Dies sind die Gewänder für die kleinen Komödianten, weil es hübscher ist, wenn sie gleich gekleidet sind.«

»Leg sie nur hin!« sagte der Jäger düster.

Die Sklavin legte die Kleider auf das schmale Bett, auf dem die Knaben zusammen schlafen sollten. Zosimos spielte sehr leise. Der Jäger starrte schwermütig auf die Knaben, die fest schliefen Hand in Hand, Blondkopf an Blondkopf, auf dem Boden an der Wand.


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