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Am nächsten Abend spät – wie voll war es wieder bei Nilus! – saßen Cäcilius und Cäcilianus neben dem Schenktisch gerade gegenüber der Tür, die sich unaufhörlich öffnete und wieder schloß, und aßen ihre Suppe. Sie hatten einander den ganzen Tag nicht gesehen und aßen nun Schulter an Schulter hungrig aus einem großen Teller. Sie schlürften die Fleischbrühe, fischten die Würstchen heraus und hatten einander so viel zu erzählen, als hätten sie sich seit Monaten nicht gesehen. Um die andern kümmerten sie sich nicht. Hier saß die ganze Grex, dort saßen die Galli und die Gladiatoren, sie aber erzählten, ihren Teller im Schoß und den Becher in den Fingern, immerfort.
»Weißt du nicht?« sagte Cäcilius – um sie her war ein wildes Stimmengewirr –. »Gerade, als der Parasit mitten in seiner großen Szene war ...«
Die Tür wurde geöffnet, und lärmend drängten sich die Matrosen aus Ostia mit Sila und den andern Frauen herein. Vor dem Hause des Taurus sahen die Knaben die Dirnen auf den hohen Stühlen sitzen, Matta, Flacca und Prisca und die andern. Sie riefen ihnen etwas zu, und die Knaben winkten zurück zum Scherz.
»Was dann?« fragte Cäcilianus neugierig.
Cäcilius lachte voll verhaltener Freude.
»Dann gingen die Gladiatoren am Theater vorbei, um nach dem Kolosseum zu gehen, und – denk dir nur! – das hörte das Publikum. Wir hörten ihre dröhnenden Schritte. Es entstand ein Gedränge, jeder wollte sie sehen, und da riefen sie alle ...«
»Kohl in Laserpicium geschmort!« bot Nilus an.
»Ja, Nilus! Ich danke sehr!«
Der leere Teller auf ihrem Schoße wurde gegen einen andern eingetauscht. Cäcilius fuhr fort: »Alle liefen zum Theater hinaus, um die Gladiatoren zu sehen.«
»Um die Gladiatoren zu sehen?«
»Ja. Da spielte der Parasit plötzlich vor einem leeren Raum. Wie der geflucht hat! Weil er fluchte, rief das Publikum: ›Maske herunter!‹ Der Parasit mußte seine Maske abnehmen und wurde ausgepfiffen.«
Die Knaben erstickten beinahe vor Lachen.
»Und dann?« fragte Cäcilianus.
»Erzählst du mir jetzt vom Kolosseum?« fragte Cäcilius.
»Nein, erzähl du mir erst vom Theater!« sagte Cäcilianus. »Ich bin sehr neugierig zu hören ...«
»Die Vorstellung war sehr schön,« sagte Cäcilius.
»War die Cavea voll?«
»Ja, die Orchestra auch und die Ritterbänke.«
»Der Kaiser war im Kolosseum?«
»Natürlich.«
»Auch die Kaiserin?«
»Natürlich.«
»Natürlich. Der erste Tag im Kolosseum!«
»Aber all die Tausende, die am ersten Tag keinen Platz gefunden hatten?«
»Die waren im Theater.«
»Es war wieder überfüllt,« sagte Cäcilius. »Erst kam wieder die Hymne und dann die Menächmi.«
»Wurde geklatscht, als du als Erotium auftratest?«
»Ja. Es wurde sehr lebhaft geklatscht. Die Tonstrix der Gymnasium hatte mich wieder hübsch frisiert, ganz anders als in den Bacchides.«
»Aber ich konnte dich nicht schminken.«
»Nein. Ich habe es selbst getan. Glaube mir, wir haben schön gespielt, alle, der erste Adulescens, aber der zweite auch, und der Senex. Du weißt, ich kann ihn nicht ausstehen.«
»Nicht ausstehen,« wiederholte Cäcilianus, während er den Senex, der es sich gut schmecken ließ, von der Seite ansah.
»Aber er spielte wundervoll. Wie er seine Maske hin und her drehte, einmal die gutmütige und dann wieder die bösartige Seite zeigte, ohne daß man die Absicht merkte! Herrlich! Der Parasit war auch sehr gut, obwohl man ihm ›Maske herunter!‹ zurief und ihn auspfiff.« »Füllte sich das Theater dann wieder?«
»Ja, nachdem sie die Gladiatoren gesehen hatten. Man kann ja nicht überall zugleich sein. Morgen, Brüderchen, spielen wir wieder zusammen.«
»Ja, Brüderchen, morgen wieder zusammen.«
»Unser Stück.«
»Die Bacchides?«
»Die Bacchides! Die Bacchides!«
Sie küßten einander. Ihre Lippen waren fett vom Kohl.
»Ihr Knaben!« rief Colosseros und Carpophorus. »Was kost ihr da?«
»Wir haben uns doch den ganzen Tag nicht gesehen!« rief Cäcilianus.
»Den ganzen Tag nicht. Jetzt erzähl du, Cäcilianus!«
Cäcilius hörte aufmerksam zu, während Cäcilianus vom Kolosseum erzählte.
»Ich bin mit Nilus hingegangen und mit seiner Mutter und mit Taurus uud den acht Dirnen,« sagte Cäcilianus. »Es war sehr schön und spaßig. Ich habe es noch nie so gesehen, nicht einmal in Alexandria.«
»Nicht einmal in Alexandria?«
»Nicht zu vergleichen! Soviel wilde Tiere kamen hier in die Arena! Die war in einen Wald umgewandelt mit Hügeln und Bäumen und Sträuchern, dazwischen liefen wilde Tiere. Carpophorus hat erst Pfeil auf Pfeil fünf Leoparden erlegt. Die kamen an den Hügeln entlang und hinter den Bäumen hervor auf ihn zu. Mir ward angst um ihn.«
»Verfehlte er nicht einen einzigen?«
»Nicht einen. Dann hat er einen Eber, den man auf ihn losließ, mit einem eisernen Spieß gereizt, bis das Tier wild wurde, und dann es mit seinem Schwerte durchstochen.«
»Mit seinem Schwerte durchstochen?«
»Ja. Dann? Dann wurde es entsetzlich. Dann hörte man einen Löwen brüllen, einen großen numidischen Löwen mit riesiger Mähne. Denk dir nur! Mit dem hat Carpophorus gerungen.«
»Mit dem numidischen Löwen?«
»Ja. Er war ganz umhüllt von einem kupfernen Panzer, auch sein Kopf. An den Händen trug er kupferne Handschuhe. Er packte den Löwen, der sich auf ihn stürzen wollte, bei der Gurgel, und dann kämpften sie zusammen wie Ringkämpfer. Es war entsetzlich! Mir ward bange um Carpophorus.«
»Und dann?«
»Dann standen sie zusammen wieder auf. Der Löwe stand wie ein Mensch auf seinen Hinterpfoten. Dann kämpften sie wieder. Und dann, denk dir nur!«
»Dann?«
»Packte Carpophorus den Löwen, riß ihm den Rachen auseinander, und der Löwe brüllte. Aber wir haben alle so laut geklatscht, daß man den Löwen nicht mehr hörte. Dann lag der Löwe tot da mit schlaffem Schweif und aufgerissenem Rachen.«
»Cäcilianus!« rief Carpophorus. »Komm einmal her!«
»Komm einmal her, Cäcilius!« rief Colosseros.
Die Knaben standen auf und kamen herbei. In jeder Hand hielten sie einen Honigkuchen, an dem sie knabberten.
»Wovon spracht ihr?« fragte Carpophorus.
»Von dir,« sagte Cäcilianus. »Ich habe Cäcilius erzählt, wie du mit dem Löwen kämpftest.«
»Hast du von mir nichts erzählt?« fragte Colosseros.
»Noch nicht,« sagte Cäcilianus. »Denk dir, Cäcilius! Colosseros war als Herkules verkleidet.«
»Mit einer Keule und einem Löwenfell?«
»Ja. Sehr schön sah er aus. Er setzte sich auf einen Stier, und der Stier stieg mit ihm empor wie in einer Apotheose.«
»Ich hätte von dem Tier herunterfallen, oder mit ihm zusammen herabstürzen können,« sagte Colosseros.
»Oh!« sagte Cäcilius verdrießlich. »Kann ich denn nie so etwas sehen? Ich muß jeden Tag auftreten. Ich kann Colosseros niemals sehen.«
»Cäcilius! Da war auch ein Elefant, der kniete vor dem Kaiser, als bete er ihn an.«
»Das hätte ich auch sehen mögen!«
»Ein Rhinozeros und ein Bär haben gegeneinander gekämpft, und Frauen habe ich fechten sehen, Mannweiber, so wie Nigrina eins war. Darauf füllte sich die Arena mit Wasser. Es gab eine Naumachie. Aber am schönsten fand ich es doch ... Nilus, gib uns doch noch ein wenig Honigkuchen!«
»Ja, ja, Nilus, gib uns noch ein wenig Honigkuchen!«
»Als lauter kleine Schwimmer, Knaben und Mädchen, das Wasser durchschwammen und während des Schwimmens Figuren darstellten.«
»Figuren?«
»Ja,« sagte Carpophorus. »Einen Dreizack, nicht wahr?«
»Und einen Anker,« sagte Colosseros.
»Ja,« sagte Cäcilianus. »Und allerlei Sternbilder und ein Schiff mit geblähten Segeln.«
»Oh!« sagte Cäcilius traurig und schmollend.
»Was hast du, Brüderchen?«
»Das hätte ich auch gern gesehen, die Sternbilder und das Schiff. Ich muß immerfort auftreten.«
Des Cäcilius Augen wurden feucht. Sein Mund verzog sich. Colosseros hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn wie ein Kind auf seinen Schoß.
»Wird ein kleiner Knabe, der Rhetorik gelernt hat und in den Bacchides so prachtvoll tanzt und singt und spielt, wirklich weinen?« fragte neckend Colosseros. Er sprach zu Cäcilius, gleich als sei er ein ganz kleines Kind.
»Oh!« sagte Cäcilius. »Ich kann nie etwas im Kolosseum sehen. Morgen spielen wir wieder die Bacchides.«
»Übermorgen die Menächmi,« sagte Cäcilianus. »Auf diese Weise sieht Cäcilius nie etwas. Weißt du, was ich tun werde?«
Cäcilianus hatte eine Eingebung.
»Was denn?« fragten die Gladiatoren mitleidig.
»Was denn?« fragte Cäcilius mit Tränen in den Augen.
»Übermorgen werde ich deine Rolle in den Menächmi spielen. Dann kannst du ins Kolosseum gehen. Ich spiele genau so gut wie du.«
»Ja, das glaube ich schon. Aber dann sind wir wieder einen Tag getrennt. Weißt du, was ich vorschlage?«
Cäcilius hatte eine Eingebung.
»Was denn?« fragten die Gladiatoren neugierig.
»Was denn?« fragte Cäcilianus mit geröteten Wangen. Er saß auf des Carpophorus Knien.
»Übermorgen soll Clarus die Erotium in den Menächmi spielen. Dann gehen wir beide zusammen ins Kolosseum.«
»Ja, Clarus soll übermorgen ...« jubelte Cäcilianus.
»Clarus!«
»Clarus!«
»Wo bist du, Clarus?« liefen die Knaben und die Gladiatoren. Clarus saß zwischen dem Senex, dem Parasiten und Syrus, der in den Bacchides seine Sklavenrolle so schön gespielt hatte, und verzehrte Moretum.
»Nilus tut zuviel Knoblauch herein,« meinte Cäcilianus.
»Ja, etwas zuviel,« stimmte Cäcilius bei. Er wischte sich die Augen.
Clarus bahnte sich einen Weg zwischen den Gästen hindurch.
»Was gibt es?« fragte Clarus.
»Ein rechter Knabe für die Rolle der Matrona,« meinte Cäcilianus, »genau wie ein altes Weib!«
»Clarus!« sagte Cäcilianus mit seinem sanftesten Stimmchen. »Möchtest du nicht übermorgen einmal ...«
»An Stelle des Cäcilianus ...,« meinte Cäcilius seinen Satz ergänzend.
»In den Menächmi ...«
»Erotium spielen?« fragte Cäcilianus Clarus, während er ihn verführerisch anlächelte.
»Ich möchte schon spielen,« sagte Clarus. »Aber ihr spielt immer die schönen Rollen, und ich soll immer nur die Matrona spielen.«
»Übermorgen kann Linus einmal die Matrona spielen,« sagte Cäcilianus bestimmt.
»Ja, Linus kann wohl ...«
»Dominus!« rief Cäcilianus.
»Dominus!« rief Cäcilius lauter.
»Dominus! Dominus!« brüllten die Gladiatoren, die für die Komödiantenintrige das größte Interesse hegten.
Lavinius Gabinius kam herbei.
»Was gibt es?« fragte er.
»Dominus!«
»Dominus!« huben die Knaben an, und Cäcilianus sprach rasch für sein Brüderchen:
»Morgen die Bacchides, nicht wahr? Übermorgen die Menächmi?«
»Nein, wieder die Bacchides,« sagte der Dominus bestimmt. Cäcilius begann zu weinen.
»Dann sehe ich niemals ...,« begann er.
»St!« sagte Cäcilianus und legte dem Brüderchen seine Hand auf den Mund. »Dominus!« fuhr er fort. »Cäcilius ist müde, weil er jeden Tag eine große Rolle zu spielen hat. ›Bacchides‹, ›Menächmi‹, ›Bacchides‹, ›Menächmi‹.«
»Was möchte Cäcilius?«
»Zur Abwechslung mit einem Löwen kämpfen,« sagte Carpophorus.
»Nein, auf einem Stier in die Luft entschweben, wie ich heute mittag,« sagte Colosseros.
»Nein!« sagte Cäcilianus, während er Carpophorus ärgerlich an den Ohren zupfte. »Sprich jetzt nicht so albern! Die Sache ist sehr ernst. Cäcilius sollte sich wirklich einmal ausruhen!«
»Ausruhen?« fragte der Dominus, der die Sache nicht durchschaute.
»Ja,« sagte Cäcilianus. »Cäcilius ist müde. Wenn wir nur morgen noch die Bacchides gespielt haben, sollten wir übermorgen beide einmal ausruhen.«
»So? Ausruhen?« sagte fragend der Dominus.
»Ja,« meinte Cäcilianus.
»Ruhe ich mich etwa während der Megalesia aus?«
»Nein, Dominus,« sagte Cäcilianus. »Aber wenn wir müde sind und anfangen, schlecht zu spielen ...«
»Dann werden sie doch nicht geprügelt,« warf der Senex ein.
»Wäre Euch das wohl recht, Dominus?«
Cäcilianus am Arm des Dominus schmiegte sich schmeichelnd an ihn.
»Darum solltet Ihr übermorgen lieber die Menächmi aufführen lassen mit Clarus als Erotium und Linus als Matrona!«
»Ohne Probe?« rief der Dominus.
»Wir können die Menächmi alle schon im Schlafe,« sagte Cäcilianus.
»Wir können die Rollen bereits,« sagten Clarus und Linus, die sich freuten, endlich einmal Aussichten zu haben, weil Cäcilius und Cäcilianus zusammen ins Kolosseum gehen wollten.
»Also meinethalben!« sagte der Dominus. »Aber paßt auf, wenn ihr nicht gut spielt!«
Clarus und Linus fürchteten sich nicht. Nilus ließ die Krüge füllen.
»Wollt Ihr einmal mit mir die Brüderschaft der Isis besuchen, Dominus?« fragte Nilus.
»Nach den Megalesia vielleicht, Freund Nilus,« meinte der Dominus. »Jetzt habe ich den Kopf zu voll. Dazu noch diese verfluchten Schlingel, die immerfort etwas anderes wollen!«
Auf des Carpophorus und des Colosseros Knien blickten Cäcilius und Cäcilianus schelmisch drein.
»Übermorgen!« riefen sie erfreut. »Übermorgen gehen wir zusammen ins Kolosseum.«
»Cäcilius!« fuhr Cäcilianus fort. »Weißt du, was am allerhübschesten ist? Das sind die Häschen. Sie laufen ganz frei umher, sie laufen sogar durch den Rachen des zahmen Löwen.«
»Wie reizend!« sagte Cäcilius. »Werde ich sie übermorgen auch sehen?«
»Ja!« sagte Cäcilianus. »Du wirst sie übermorgen auch sehen. Ich habe Martial dort gesprochen. Er war mit all den andern edlen Herren dort und sagte, er werde Epigramme dichten auf all diese Dinge: auf Carpophorus ...«
»Natürlich auf mich!« sagte der Jäger prahlerisch.
»Auf Colosseros ...«
»Er sollte sich auch nur erdreisten, es zu unterlassen!« brüllte der kolossale Eros.
»Auf den Elefanten, auf das Rhinozeros, auf den Bären ...«
»Auf die kleinen Schwimmer?«
»Auf die kleinen Schwimmer auch und auf die Häschen.«
»Köstlich!« rief Cäcilianus jubelnd aus. »Übermorgen ins Kolosseum! Wir beide zusammen!«
Die Nachtwache ging vorüber. Es war die Stunde, da geschlossen werden mußte. Das Haus des Taurus war bereits geschlossen.