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Viertes Kapitel.
Juden in nichtchristlichen Ländern.

Wir kommen nunmehr zur Betrachtung der Beziehungen der Juden zu den nichtchristlichen Völkern. Unsere Untersuchung hat gezeigt, daß der Antisemitismus der Griechen und Römer seinen Grund hatte im Auftreten und Benehmen und in der Gesinnung der damaligen Juden, und daß dieses Auftreten der Juden ausschließlich die Folge ihrer Religion gewesen ist. In der Geschichte der Beziehungen der Juden zu den christlichen Völkern habe ich nachgewiesen, daß die Verfolgungen, deren Opfer die Juden gewesen sind, ausschließlich religiösem Fanatismus entsprangen.

Es bleibt jetzt noch übrig, die Gefühle zu studieren, welche ihnen nichtchristliche Völker im Mittelalter und in der Neuzeit entgegengebracht haben und noch entgegenbringen. Zunächst kommt hier die Geschichte der Juden in den islamitischen Ländern, dann jene der jüdischen Gemeinden in Indien und in China in Betracht.

Der Verbreitung der Juden in Arabien ist bereits in einem anderen Kapitel dieses Werkes Erwähnung getan. Die jüdischen Stämme unterschieden sich nur wenig von den zahlreichen arabisch-heidnischen Stämmen in der Zeit vor dem Auftreten Mohammeds. Mohammed hat den größten Teil seiner Lehre dem Judentum entnommen, und es läßt sich geradezu behaupten, der Islam sei nichts weiter als reformiertes talmudisches Judentum plus das Gottes-Gesandtentum Mohammeds. Den Hauptinhalt seines Korans hat Mohammed zunächst dem Talmud, dann der Thora und den Evangelien, namentlich den apokryphen, entnommen. Es waren besonders seine ersten Lehren ganz jüdisch gefärbt. Am Anfange seiner großen Laufbahn ließ der Prophet nichts unversucht, um die Juden für sich zu gewinnen. Er gab ihnen zu verstehen, er wolle dem Judentum zur größten Ausbreitung in Arabien verhelfen. Als er im Jahre 622 bei seiner Flucht vor den Koreischiten Mekkas nach Jathrib, dem späteren Medina, kam, schloß er mit den dortigen Juden ein förmliches Bündnis, bestimmte ihnen zuliebe Jerusalem als Kiblah, d. h. die einzuhaltende Richtung bei den Gebeten und machte den jüdischen Versöhnungstag (Jom Kipur) zu einem mohammedanischen Fasttag (Aschura).

Bei näherer Bekanntschaft wurden sie aber stets mehr und mehr enttäuscht. Namentlich war es Mohammeds unersättliche Geschlechtsliebe und Genußsucht, welche in ihnen Zweifel an der Echtheit seines Prophetentums erweckten. »Bei Gott«, sagten die Juden, »er wird von keiner Speise satt und hat keine andere Sorge, als die Weiber.« Auch der Umstand, daß die Juden glaubten, daß sich nur in Palästina ein wahrer Prophet Gottes manifestieren könne, sowie die Tatsache, daß er sich vom Fleische und Käse der Kamele nährte, stießen die Juden ab. Die Hauptgegner Mohammeds waren die Juden Pinehas Ibn-Azura vom Stamme Kainukaa, ferner Kaab Ibn-Ascharaf, von einem arabischen Vater und einer jüdischen Mutter geboren, und der Dichter Abu-Afak, ein hundertjähriger Greis, die ihn verspotteten und verhaßt zu machen versuchten. Mohammed machte zum bösen Spiel gute Miene und ertrug die Verachtung der Juden anfangs mit scheinbarem Gleichmut. Einige Stellen des Koran schlagen sogar einen ziemlich freundlichen Ton gegen die Juden an. Als aber die Juden anfingen, ihm seine Getreuen wegzufischen, und seine Gläubigen in ihn drangen, seine Meinung über das Judentum auszusprechen, und ihm sagten: »Ist die Thora ein göttliches Buch, so laßt uns auch deren Vorschriften befolgen«, mußte Mohammed Farbe bekennen. Er offenbarte mehrere Suren, darunter die zweite Sure Bakarah, die Kuh genannt, in welcher er die Juden schmähte, statt Jerusalem Mekka als Kiblah bestimmte, das Aschurafasten des Versöhnungstages abschaffte und behauptete, in der Thora sei er als Prophet vorausverkündigt, die Juden hätten aber diese Stellen gefälscht und ausgemerzt.

Obwohl die Mohammedaner behaupten, daß sowohl die christlichen, als auch die jüdischen Schriften gefälscht worden sind, so erklären sie doch, daß sich trotzdem in den uns heute erhaltenen Texten immer noch Weissagungen befinden, die sich auf den Propheten Mohammed beziehen. Diese von den mohammedanischen Theologen mit Vorliebe angeführten Stellen sind die folgenden Deuteronomium 18, 17–22; Deuteronomium 32, 21; Deuteronomium 33, 2; Genesis 17, 20; Genesis 49, 10; Psalm 45, 1–18; Psalm 149, 1–9; Isaias 42, 9–17; Isaias 54, 1–17; Isaias 65, 1–6; Daniel 2, 31–45; Epistel des Judas 14, 15; Matthäus 3 und Matthäus 6; Matthäus 10, 7; Lukas 1, 2; Matthäus 21, 33–45; Apokalypse 2, 26–29; Johannes 14, 15-30

Wir haben hier wieder einen Beweis dafür, daß ein jeder in der Heiligen Schrift dasjenige findet, d. h. zu finden glaubt, was er für seine Beweisführung benötigt. Der protestantische Grundsatz, das Lesen der Bibel einem jeden Menschen zu gestatten, ist wohl der Hauptgrund der Zersplitterung des Protestantismus in ungezählte Sekten. In diesem Freigeben der Bibel liegt auch die Unmöglichkeit, eine Einheit im Protestantismus zu erzielen.

Um wieviel weiser tritt hier die römisch-katholische Kirche auf. Durch das Dogma, daß es einzig und allein des Amtes der Kirche ist, den Sinn der Heiligen Schrift zu erklären und auszulegen, und durch das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit ist die Einheit der Lehre für ewige Zeiten gesichert. Die Wichtigkeit dieser Dogmen und ihre Nützlichkeit für die Erhaltung der Ordnung, der Einheit und der Disziplin, der gewaltige Vorsprung an Macht, den die römische Kirche dadurch vor allen anderen Kirchen errungen, springen in die Augen. Man vergleiche diesbezüglich den wichtigen Inhalt der Enzyklika Leo XIII. Providentissimus, wodurch die durchgängige Realinspiration und die durchgängige Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift und aller ihrer Teile noch einmal ausdrücklich ausgesprochen und eingeschärft wird. [Fußnote aus technischn Gründen im Text wiedergegeben. Re]

Ferner behauptete er, daß die Juden den Esra als den Sohn Gottes verehren. Nach dem Siege bei Bedr trat Mohammed noch schärfer gegen die Juden auf. Eine Dichterin namens Asma aus jüdischem Stamme wurde nachts auf ihrem Bette von einem Manne namens Omeïr ermordet, weil sie Satiren gegen Mohammed gedichtet hatte, und dieser lobte den Mörder, »der Gott und seinem Propheten einen Dienst geleistet hat«. Einige Tage später wurde der jüdische Greis Abu-Afak vom Sohne Omeïrs ermordet und später auch Kaab Ibn-Ascharaf, weil er die in der Schlacht bei Bedr im Kampfe gegen Mohammed gefallenen Koreischiten in einer Elegie betrauert hatte.

Bald darauf forderte Mohammed den jüdischen Stamm der Kainukaa, dem sein Feind Pinehas angehörte, auf, sich zum Islam zu bekehren. Es kam zum Kampfe, Mohammed ließ alle Juden dieses Stammes fesseln und hätte sie gern abgeschlachtet, wurde aber daran verhindert und begnügte sich, sie zur Auswanderung nach Palästina zu zwingen. So nahm der Haß zwischen Mohammed und den Juden immer mehr zu; je mächtiger er wurde, desto größer wurde seine Abneigung gegen die Söhne Israels. Im sogenannten Grabenkriege gelang es ihm, den Stamm der Kuraiza in seine Gewalt zu bekommen. Nahe an 700 Juden wurden auf einem öffentlichen Platze in Medina geschlachtet und in eine Grube geworfen, selbstverständlich im Namen Gottes (Sure 33). Die Frauen wurden gegen Waffen und Pferde vertauscht, und eine schöne Jüdin namens Rihana behielt sich Mohammed selbst. Im Jahre 628 besiegte Mohammed die chaibarischen Juden, wodurch der letzte freie Stamm der Juden in Arabien zugrunde gerichtet war.

Aus diesem Kriege brachte Mohammed zwei schöne Jüdinnen in seinen Harem – Saphia und Zainab. Letztere stellte sich freundlich und verliebt, versprach ihm die Erfüllung seiner glühendsten Wünsche und Begierden und setzte ihm und seinen Tischgenossen eine vergiftete Hammelkeule vor. Einer der Tischgenossen starb daran. Mohammed hatte den Bissen rechtzeitig ausgespuckt und kam vorläufig mit dem Leben davon, erholte sich aber vom Genusse dieser Kotelette nie mehr ganz. Die Folgen des Giftes fühlte er noch in seiner Todesstunde. Mohammed fragte Zainab nach der Ursache ihrer Tat. Sie antwortete ihm: »Du hast meinem Volke unsägliche Leiden gebracht, so dachte ich denn, daß, wenn du ein bloßer Tyrann bist, ich meinem Volk durch deine Vergiftung Ruhe verschaffen kann. Bist du aber ein Prophet, so könne dir ja das Gift nichts schaden.« Mohammed gab den Befehl, sie hinzurichten. Er befahl seinen Truppen, die von den Juden erbeuteten Küchengeräte nicht eher zu benutzen, bis dieselben mit Wasser ausgekocht sein würden. Die Juden intrigierten, was sie konnten, und hetzten alle Unzufriedenen gegen Mohammed auf. Das Haus des Juden Simailim in Medina war der Sammelpunkt aller Unzufriedenen; als dies verraten wurde, wurde das Haus in Brand gesteckt. Nach dem Tode Mohammeds verbannte Omar sämtliche Juden aus der arabischen Halbinsel und motivierte diese Maßregel durch die Erklärung, daß der geheiligte Boden Arabiens von keinem Ungläubigen entweiht werden dürfe. Die Juden erhielten dafür Ländereien bei Kufa am Euphrat.

Als die Araber Palästina angriffen, waren ihnen die Juden überall behilflich und erleichterten ihnen die Eroberung in jeder Weise, da sie froh waren, die byzantinische Herrschaft mit der arabischen zu vertauschen. Im Jahre 636 nahm Omar von Jerusalem Besitz, gestattete den Juden aber nicht, in Jerusalem zu wohnen. Er verordnete, daß die Juden keine neuen Synagogen bauen, baufällige nicht herstellen dürfen und ihren Gottesdienst in aller Stille abhalten sollten. Sie durften kein Amt bekleiden, über Mohammedaner nicht Recht sprechen, nicht auf Pferden reiten, sich keines Siegelringes bedienen, mußten eine eigene Tracht tragen, ferner eine Kopf- und Grundsteuer zahlen. Trotz aller dieser Beschränkungen, die jedoch die Christen ebenso betrafen, finden wir die Juden bei den Kämpfen der Mohammedaner und Christen stets auf Seite der ersteren; sie begrüßten die Muslims überall als ihre Befreier vom christlichen Joche und öffneten ihnen in mehreren Städten Asiens und Ägyptens Tür und Tore. Unter Omar wurde ein Abkömmling aus dem jüdischen Hause Davids namens Bostanai als Oberhaupt der Juden anerkannt, und Omar gab ihm sogar eine Tochter des persischen Königs Chosru mit Namen Dara zur Frau.

Es ist wohl überflüssig zu bemerken, daß es religiöse Motive waren, die den Antisemitismus des »Semiten« Mohammed und seiner »semitischen« Anhänger hervorgerufen haben. Ein prachtvolles Beispiel von semitischem Antisemitismus.

Die Stellung der Juden im Kalifat gestaltete sich im allgemeinen günstig. Kremer in seiner Kulturgeschichte des Orients schreibt:

»Wir gehen nun zu den Juden über, deren geistliches Oberhaupt, der Fürst der Gefangenschaft, ebenfalls in Bagdad den Sitz hatte. Nach dem Berichte des Rabbi Benjamin von Tudela, der um 1170 n. Chr. Bagdad besuchte, stand der Fürst der Gefangenschaft als geistliches Oberhaupt der ganzen Judenschaft in hohem Ansehen. Ein Nachkömmling Davids, namens Rabbi Daniel Ben Chisdai, bekleidete damals diese Würde. Er hatte unter der Autorität des Kalifen den Oberbefehl über alle jüdischen Kongregationen, worüber der erstere ihm das Siegel verliehen habe. Jedermann, so Jude als Mohammedaner, mußte sich vor ihm erheben. Wenn er zur Audienz bei dem Kalifen sich begab, war er stets von einem großen Gefolge von Reitern begleitet; er selbst erschien dabei ganz in gesticktem Seidenanzuge, mit einem weißen, diademgeschmückten Turban, und vor ihm riefen Herolde laut aus: »Machet Platz für den Sohn Davids!« Seine Gewalt erstreckte sich über Mesopotamien, Persien, Chorâsân, Südarabien, Diarbekir, Armenien, Georgien bis zum Oxus, ja selbst bis Indien und Tibet. Er gestattet allen dortigen Gemeinden die Wahl ihrer Rabbiner und Tempeldiener, die aber erst von ihm die Weihe und Erlaubnis zu Funktionen erhalten, wofür ihm aus den fernsten Ländern wertvolle Geschenke zukommen. Dieser Fürst der Gefangenschaft hatte Wohnhäuser, Gärten, Baumpflanzungen und große Ländereien in Babylonien, ererbt von seinen Vorfahren, auch bezog er Einkünfte von den jüdischen Herbergen, Märkten und erhob einen Zoll von den Waren. Täglich speiste eine große Anzahl von Israeliten an seiner Tafel. Doch hatte er bei seiner Investitur große Summen an den Kalifen und Prinzen von dessen Hause zu zahlen. Seine Einsetzung und Bestätigung geschah durch das Auflegen der Hände seitens des Kalifen in dessen Palast, worauf er unter Musikbegleitung in seinen Wohnsitz zurückkehrte und daselbst durch Auflegung der Hände die Mitglieder und Vorsteher seiner großen Gemeinde einweihte.« –

Derselbe Reisende erzählt uns, daß in Bagdad viele und gelehrte Juden wohnten; teils in der Stadt, teils in der Vorstadt Karch befanden sich achtundzwanzig Synagogen. Die Hauptsynagoge war mit Säulen von buntem Marmor geschmückt, mit Gold und Silber reich verziert, auf den Pfeilern waren Inschriften und Stellen der Psalmen mit goldenen Lettern zu sehen. Der Altar, auf dem die Thorarolle lag, hatte zehn Marmorstufen, auf deren oberster der Standplatz des Fürsten der Gefangenschaft und der anderen Prinzen aus dem Hause Davids war.

Aus diesen Angaben ist ersichtlich, um wieviel toleranter als die Christen die Araber sich gegen das Volk Israel benommen haben.

Die höchste Blüte der jüdischen Dichtkunst und Philosophie entfaltete sich in dem von Mohammedanern regierten Babylonien und Spanien. In Granada wurde im Jahre 1027 ein Jude namens Samuel Ibn Nagrela Staatsminister des Königs Habus. Sein Sohn Abu Hassejim Joseph folgte ihm in allen seinen Würden; derselbe war Rabbiner und Vesir zu gleicher Zeit. Während er das Staatsruder lenkte, fand die erste Judenverfolgung im mohammedanischen Spanien statt, die jedoch keinen religiösen, sondern einen ausschließlich politischen Charakter hatte. Es hatte nämlich der berberische König Badis den Plan gefaßt, alle Araber seiner Hauptstadt niedermetzeln zu lassen, und der jüdische Vesir dieselben vor dem Anschlage heimlich gewarnt. Aus diesem Umstande erfolgten Verwicklungen, die zur Vertreibung der Juden und zur Niedermetzelung von 1500 jüdischen Familien an einem Tage führten.

Vom Jahre 1105–1145 lebte in Spanien der berühmte jüdische Dichter Jehuda Halevi, der größte aller Dichter Israels im Mittelalter. In Kleinasien, Syrien und Palästina nahm die Bevölkerung der Juden rasch zu. In jenen Gegenden dieser Gebiete, in welchen christliche Herrscher zur Zeit der Kreuzzüge regierten, gab es nur wenig jüdische Gemeinden; im christlichen Palästina kaum mehr als 1000 Familien. Wo der Halbmond herrschte, gab es deren bedeutend mehr, und sie befanden sich im blühenden Zustande. In Samarkand soll es im zwölften Jahrhundert an die 50 000 Juden, auf der Insel Ceylon an 23 000 gegeben haben, die allen übrigen Einwohnern gleichgestellt waren. Der König dieser Insel hatte sechzehn Minister; vier von seiner eigenen Religion, vier Christen, vier Juden und vier Mohammedaner. Auch nach Arabien waren wieder Juden eingewandert; sowohl nach Nordarabien, als auch nach Yemen. In Ägypten erlebten die Juden ebenfalls ruhige Zeiten.

Die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts ist das Zeitalter des großen Rabbiners Maimuni (Maimonides), des jüdischen Aristoteles, jenes großen Denkers, welcher, wie Grätz sich ausdrückt, die Zukunft des Judentums auf seinen starken Schultern getragen hat. Er betrachtete als seine Aufgabe, es zu betätigen, daß der Mensch das Ebenbild Gottes ist. Alles Unwahre war ihm in tiefster Seele verhaßt. Er ging darin so weit, daß er selbst der Dichtkunst wenig freundlich gesinnt war, weil in derselben vieles auf Erfindung beruht. Streng gegen sich, war er nachgiebig in der Behandlung und Beurteilung anderer. Er bekämpfte das, was er als Irrtum betrachtete, ohne jemals Haß gegen den Irrenden zu bezeugen. Bescheidenheit, Demut, Güte des Herzens, eine starke Willenskraft, ein scharfer klarer Verstand, ein unermüdlicher Fleiß und ein riesiges Wissen waren die Eigenschaften, die ihn auszeichneten. Sein Grab trug die Inschrift: »Hier liegt ein Mensch und doch kein Mensch, warst du ein Mensch, so haben Himmelswesen deine Himmelsmutter beschattet«, welche Zeilen später verwischt und durch folgende Worte ersetzt worden sind: »Hier liegt Mose Maimuni, der gebannte Ketzer«. Seine Verehrer pflegten zu sagen, von Mose dem Propheten, bis Mose Maimuni trat keiner auf, der diesem gliche. Maimuni war aufgeklärt genug, in einem berühmt gewordenen Ermahnungsschreiben an die jüdischen Gemeinden zu erklären, daß, wer gezwungen den Islam annimmt und ihn zum Scheine bekennt, im Herzen aber dem Judentume treu bleibe, deswegen nicht als Abtrünniger zu betrachten ist. Wer sich als Märtyrer opfere, um Mohammed nicht als Gottesgesandten anzuerkennen, habe ein hohes Verdienst. Wenn ihn aber jemand fragen würde, ob er verpflichtet sei, lieber sein Leben zu lassen, als die Bekenntnisformel des Islams auszusprechen, so antworte er mit einem entschiedenen Nein. Sehr interessant und für alle Religionen typisch sind die Ausführungen Maimunis in seinem Trostschreiben an die jüdischen Gemeinden in Yemen, betreffend den Grund der Judenverfolgungen von seiten der Christen und Mohammedaner. Er sagt, daß die Propheten diese Verfolgungen vorausverkündigt, überhaupt weil Gott uns Söhne Israels durch seine Gnade besonders ausgezeichnet und uns zu Trägern der wahren Religion, der wahren Erkenntnis gemacht hat, hassen uns die Völker, nicht um unserer selbst, sondern um des Göttlichen willen, das in unserer Mitte lebt, gewissermaßen, um den göttlichen Plan zu vereiteln. Seit der Gesetzesoffenbarung am Sinai sei das Judentum immer Verfolgungen ausgesetzt gewesen, entweder durch das Mittel des Schwertes, wie zur Zeit des Amalek, Sishera, Senaherib, Nabuchodonosor, Titus, Hadrian, oder durch sophistische Lügenkünste, die zum Abfall vom wahren Glauben führen sollten – Perser, Griechen, Römer – oder durch dem Judentum widersprechende, falsche göttliche Offenbarungen. Die neue Offenbarung von Nazareth und Mekka verhalte sich zum Judentum wie ein noch so kunstfertig ausgeführtes Menschenbild zu einem vollkräftigen Menschenleben, die nur Kinder und Toren miteinander verwechseln können. Diese in drei verschiedenen Gestalten auftretende Feindseligkeit gegen Israel hätten die Propheten und namentlich Daniel vorausverkündigt, aber auch den Sieg der jüdischen Religion über alle anderen Religionen geweissagt. Alle Leiden, die über Israel gekommen, habe Gott nur zugelassen, um zu bezeugen, daß nur sie im Besitze der wahren Religion sind.

Der geehrte Leser wird sich vielleicht erinnern, ähnliche Ausführungen auch anderswo schon gehört zu haben ... Nichts ist neu unter der Sonne.

Die Türkei hatte die aus Europa vertriebenen Juden ebenfalls gastfreundlich aufgenommen. Sultan Suleiman erlaubte ihnen, sich auf Rhodus anzusiedeln, und war diese Insel größtenteils von spanischen Juden bewohnt, und zwar, wie der berühmte Reisebeschreiber Breuning meint, »den Christen und besonders dem ritterlichen Orden zum Trutz, Hohn und Spott«. Nach Schweiger betrieben sie dort Kaufmannschaft, Wucher und Verräterei, das letztere an den Grenzen, wo sie wie die Zigeuner den Türken als Spione gegen die Christen gedient haben sollen. Als Gaukler, Komödianten und wandernde Musikanten hatten sie selbst Zutritt in die innersten Gemächer des Serails. Die Juden waren häufig Leibärzte der Sultane, die Jüdinnen waren bei den Sultaninen allgemein beliebt, angeblich wegen gewisser Zauberkünste. Die Juden gelangten im osmanischen Reiche bald zu Vermögen und Ansehen. Ohne ihren Beistand, bemerkt Zinkeisen, war im diplomatischen Verkehr kaum mehr etwas zu erreichen, und deshalb erforderte es schon die Klugheit, daß sich die Vertreter der christlichen Mächte um ihre Gunst bewarben.

Als Sultan Orkhan Brussa eroberte und er Kaufleute und Arbeiter der Nachbarländer einlud, sich dorthin zu begeben, folgten viele byzantinische Juden seinem Rufe. Als Sultan Murad I. Adrianopel nahm, kamen die jüdischen Gemeinden den Türken mit Begeisterung entgegen. Auch Sultan Murad II. war den Juden sehr wohlgesinnt und nahm einen Juden zu seinem Leibarzt. Ebenso war Mohammed II., der Eroberer, den Juden sehr wohlgesinnt. Jüdische Soldaten kämpften in seiner Armee, als er in Siebenbürgen Krieg führte. In diesem Feldzuge soll auch Rabbi Samuel Soncino gefallen sein, welcher dem Mönche Capistran den Kopf spaltete. Auch Mohammed II. hatte einen Juden zum Leibarzt. Ein anderer, Mose Capsali, ein frommer und gelehrter, asketisch lebender Jude, wurde von Mohammed II. zu den höchsten Würden des Reiches erhoben. Unter Bajesed II. erfolgte die Einwanderung in die Türkei der aus Spanien vertriebenen Juden. Derselbe erließ einen Firman an alle seine Gouverneure, die Juden nicht nur nicht zurückzuweisen, sondern überall freundlich aufzunehmen. Juden unterrichteten die Türken im Kanonengießen und in der Pulverfabrikation. Das war die Rache für ihre grausame Behandlung von seiten der Christen. Sultan Suleiman I. ließ zur großen Freude der Juden die Mauern Jerusalems und Tiberias' wieder herstellen und soll eine der Mauern der Stadt unter jüdischen Schutz gestellt haben. Wir entnehmen daraus, wie sehr tolerant sich die Mohammedaner gegen Israel benommen haben und um wieviel christlicher als die christlichen Staaten des Mittelalters. So ist es denn wirklich kein Wunder, wenn in den zahlreichen Kriegen des Christentums mit dem Islam die Juden immer und überall Partei für den letzteren ergriffen haben. Die größten Feinde der Juden im osmanischen Reiche waren natürlich stets die Griechen, die immer wieder die Blutbeschuldigung aufs Tapet brachten, so daß nicht weniger als drei Sultane, nämlich Suleiman I., Abdul Medjid und Abdul Aziz sich veranlaßt sahen, in eigenen Firmanen die Unwahrheit der Blutbeschuldigung zu erklären. Eine fürstliche Stellung nahm unter Sultan Suleiman und Selim II. der Jude Josef Nassi ein, welcher den Titel Herzog von Naxos und der übrigen elf Inseln erhielt und welchem der deutsche Kaiser eine Jahresrente von 2000 Taler zahlte.

Unter Murad III. erlebten die Juden böse Tage. In einem Augenblicke schlechter Laune gab er einmal den Befehl, sämtliche Juden im ganzen Reiche umzubringen, weil er sich über den von den Juden zur Schau getragenen Luxus geärgert hatte. Es kam jedoch nicht zu dieser blutigen Maßregel. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die Juden in der Türkei unvergleichlich besser behandelt worden sind als in den christlichen Staaten. Da sie den Mohammedanern bürgerlich nicht gleichgestellt und ihnen die Bekleidung von Staatsämtern – wenige Ausnahmen abgerechnet – untersagt war, so betrieben sie eifrig den Handel, und es gelang vielen von ihnen große Reichtümer zu erwerben. War irgendwo nun eine Gemeinde reich geworden, so geschah gewöhnlich, was in der Türkei geradezu zur Regierungsmaßregel geworden ist. Man preßte den Schwamm aus, nachdem man ihn gerade dort hingelegt, wo er sich voll hatte saugen können, d. h. man ließ die reichen Juden furchtbar zahlen, wobei auch häufig, wenn man auf Widerstand stieß, Juden massakriert wurden. Oft war die Veranlassung zu Judenmassakers aber auch das Auftreten jüdischer religiöser Schwärmer, die sich infolge übermäßiger Lektüre der geistreichen Bücher Kabbala und Zohar einbildeten, sie seien der im Alten Testamente angekündigte Messias, und dadurch Unruhen im Reiche erregten. Im Niederwerfen solcher Unruhen sind die Türken seit jeher Meister gewesen. Der berühmteste von diesen Schwindlern war der Smyrnaer Jude Schabatai Zevi, der heute noch Anhänger zählt. Unter Sultan Mohammed II., welcher den griechischen Patriarchen Gregor in Konstantinopel hatte aufhängen lassen, weil einige Griechen ein Schiff mit mohammedanischen Mekkapilgern geplündert hatten, fand in Morea von Seite der Griechen ein Massaker gegen die Juden statt, welchem 5000 derselben zum Opfer gefallen sein sollen, weil sich dort das Gerücht verbreitet hatte, die Hinrichtung des griechischen Patriarchen sei auf jüdisches Anstiften erfolgt.

Unter Sultan Abdul Medjid erhielten die Juden die bürgerliche Gleichberechtigung. Im Jahre 1860 war Damaskus der Schauplatz der blutigen Exzesse gegen die Juden, welche beschuldigt wurden, den Pater Thomas und seinen Diener zu rituellen Zwecken ermordet zu haben, was einige von ihnen auch unter der Folter bekannten. Durch Vermittlung Montefiore's und Cremieux' wurden sie später freigelassen.

Es erübrigt noch einen Blick zu werfen auf die Stellung der Juden in Persien und Marokko. In beiden Ländern geht es ihnen herzlich schlecht. Es gibt vielleicht wenige Länder, in welchen die Juden sich in einer so traurigen Lage befinden wie im indogermanischen Persien, wo der Fanatismus der mohammedanischen Priester (Mollahs) die Bevölkerung beständig gegen die Juden aufstachelt. Noch im Jahre 1892 fanden dort verschiedene Judenhetzen statt – namentlich in Hamadan – wo die Bevölkerung den Juden 22 Ausnahmsgesetze auferlegen wollte. Dieselben sind:

 

Verbot des Ausgehens, wenn es regnet oder schneit.

Die jüdische Frau ist verpflichtet, auf den Straßen ohne Schleier zu gehen und einen zweifarbigen Mantel zu tragen.

Jüdische Männer dürfen sich nur in blaue Baumwolle kleiden, keine schönen Kleider und Schuhe tragen und müssen sich auf der Brust ein Stück roten Stoffes annähen.

Kein Jude darf einem Mohammedaner auf öffentlicher Straße vorausgehen, noch laut mit ihm reden.

Verlangt er die Zahlung einer Schuld, so darf dies nur im zitternden und ehrfurchtsvollsten Tone geschehen.

Ein Jude muß, wenn er Fleisch gekauft, es vor dem Blicke des Mohammedaners verbergen.

Der Jude darf keine schönen Häuser bauen.

Sein Haus darf nicht höher sein als das seines mohammedanischen Nachbars.

Er darf seine Zimmer nicht mit Kalk weißen.

Die Eintrittstür zu seinem Hause muß niedrig sein.

Er darf sich nicht in seinen Mantel einhüllen, sich nicht den Bart scheren, die Stadt nicht verlassen, noch Ausflüge in das Land machen.

Jüdische Ärzte dürfen nicht reiten.

Eine Jude, der im Verdachte steht, Branntwein getrunken zu haben, darf unter Androhung der Todesstrafe nicht auf die Straße gehen.

Jüdische Hochzeiten sind in aller Stille zu feiern.

Juden dürfen kein gutes Obst essen.

 

Als diese Gesetze verfaßt wurden, liefen die Muslims schreiend in der Stadt herum und verlangten unter lauter Anrufung Alis, die Juden sollen getötet werden, oder sich bekehren. Vierzig Tage waren die Juden Hamadans in ihren Häusern belagert und starben fast vor Hunger und Angst. Der Urheber dieser Bewegung war ein mohammedanischer Priester Namens Abdullah; ein zweiter Fanatiker dieser Sorte war Seyed Abdul Medjid. Jüdischen Frauen wurde auf offener Straße der Schleier heruntergerissen, um sie auf diese Weise zum Rang von Prostituierten zu degradieren. Dem 60jährigen Rabbiner Abraham ließ Abdul Medjid die Bastonade erteilen, weil er das Judenzeichen nicht getragen. Es kam so weit, daß die Regierung sich gezwungen sah, Truppen nach Hamadan zu senden, um die Ruhe wieder herzustellen.

Ähnliche Unruhen fanden noch im Jahre 1896 in Kirmanschah statt, wo das Judenviertel geplündert wurde. Da ein allgemeines Judenmassaker bevorstand, traten viele Juden zum Islam über. Ein Gesetz bestimmte, daß, wenn ein Jude stirbt, sein ganzes Vermögen jenen seiner Angehörigen zufallen solle, die sich zum Islam bekennen. Es waren immer wieder die Mollahs, die das Volk aufhetzten.

Im Jahre 1897 fanden Unruhen gleicher Art in Teheran statt. Der Anstifter war der Priester Seyed Rihan Allah, welcher die Juden zwang, das Judenzeichen und eine andere Haartracht als die Muslims zu tragen. Damals schrieb der Bagdader Korrespondent der Alliance Israélite: »In Persien läßt sich die konstante Tatsache beobachten, daß, sooft ein Priester aus seinem Dunkel heraustreten und sich einen Namen als frommer Mann machen will, er den heiligen Krieg gegen die Juden zu predigen beginnt.« Die jüdische Bevölkerung Teherans ist arm; es gibt dort höchstens zwei oder drei Juden, die 39–40000 Francs besitzen. Also auch in Persien haben die antisemitischen Unruhen einen ausschließlich religiösen Charakter.

Nicht viel besser ist die Lage der Juden in Marokko. Gewalttätigkeiten gegen dieselben sind auch dort an der Tagesordnung. Noch vor 12 Jahren fühlte sich der Sultan Muley-Hassan veranlaßt, seinem Caid in Schetschuan, Muhammed Ben Ahmed, den Befehl zu erteilen, Sorge dafür zu tragen, daß den antisemitischen Plackereien ein Ende gemacht werde. Im Jahre 1892 beauftragte der Sultan seinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Judengemeinde zu schreiben, wie sehr ihn die vielen Ungerechtigkeiten und Mißhandlungen, denen die Juden ausgesetzt gewesen, mißfallen haben, und daß sie sich in Zukunft bei solchen Gelegenheiten mit ihren Klagen immer direkt an den Sultan wenden mögen.

Als im Jahre 1894 Sultan Muley-Hassan starb und sein Sohn, damals beinahe noch ein Kind, ihm auf dem Throne folgte, begannen wieder Judenverfolgungen, da die schützende Hand des alten Sultans fehlte. Viele Stämme im Innern revoltierten gegen den neuen Sultan, und alle diese Unruhen begannen mit Judenhetzen. Alle Wochen dringen aus Marokko Berichte von Attentaten, Plünderungen, Fällen von Notzucht, Bastonaden und Zwangsbekehrungen. Ich muß aber hier ausdrücklich bemerken, daß diese Untaten nicht bloß aus religiösem Fanatismus erfolgen, der hier im semitischen Marokko eine kleinere Rolle spielt als im indogermanischen Persien, und daß Diebstahl und Raubsucht die Hauptmotive jener Verbrechen sind. Nur bei den Gerichten spielt dann wieder der Fanatismus die Hauptrolle, indem den Juden das Recht gewöhnlich verweigert wird und zwar darum, weil sie keine Mohammedaner sind.

Über die Stellung der Juden in nichtmonotheistischen, also in den sogenannten heidnischen Ländern haben wir nur spärliche Nachrichten. Es ist jedoch unzweifelhaft, daß sie nirgends weniger verfolgt worden sind, als gerade in heidnischen Ländern. Der persische König Jesdegerd III., der vom Jahre 440–457 regierte, verfolgte in gleicher Weise die Manichäer, Christen und Juden; ebenso König Firuz, welcher die Hälfte der jüdischen Einwohner von Ispahan töten und die jüdischen Kinder im Tempel von Horvan gewaltsam für den Feuer-Kultus erziehen ließ. Da es den alten Persern Jahrhunderte hindurch niemals eingefallen war, anderen ihre metaphysischen Privatansichten aufzudisputieren, und sie den ersten Versuch in dieser Richtung erst dann unternahmen, nachdem sie mit den zwei »monotheistischen« Religionen nähere Bekanntschaft gemacht hatten, so liegt der Gedanke ganz besonders nahe, daß die Zoroasterianer das religiöse Verfolgen zuerst den Christen und Juden abgeguckt haben. In jene Zeit fällt wahrscheinlich die Auswanderung eines Teiles der babylonischen Judenschaft nach Indien, wo es bis heute noch zwei Klassen von Juden gibt, die sich in Hautfarbe, Gesichtszügen und Sitten unterscheiden; die weißen und die schwarzen Juden. Nichts deutet darauf hin, daß dieselben jemals Verfolgungen ausgesetzt worden sind. Ebenso habe ich nirgends eine Notiz über Judenverfolgungen in China auffinden können.

Auch in China existiert seit uralten Zeiten eine jüdische Gemeinde. Wann dieselbe dorthin eingewandert ist, läßt sich nicht bestimmen, ebensowenig wie bei den Juden im Kaukasus, Buchara, Yemen und Indien. Es ist jedoch aus gewissen Anzeichen wahrscheinlich, daß bereits nach der Eroberung Samaria's durch die Assyrer und Jerusalems durch die Babylonier Scharen von Juden in die genannten Gegenden verpflanzt worden sind. Die chinesischen Juden residieren in Kai-feng-khu und sind heute auf ein geringes Häuflein zusammengeschmolzen. Die erste Nachricht über diese Gemeinde stammt von Trigaltius, welcher 1617 berichtet, daß ein Jude aus jener Stadt zu Pater Ricci nach Peking gekommen ist, um, wie er vermutete, die Bekanntschaft eines seiner Glaubensgenossen zu machen. Das interessante Gespräch dieses chinesischen Juden mit Pater Ricci ist uns durch Trigaltius aufbewahrt. Pater Ricci zeigte dem Juden ein Bildnis von Christus und Maria, vor welchen Johannes kniet. Der Jude hielt diese Darstellung für die der Rebekka mit ihren beiden Söhnen Jakob und Esau. Eine Gruppe der Apostel hielt der Jude für die zwölf Söhne Jakobs. Auf die Frage: »Bist du ein Jehudi?« antwortete er: »Ich bin ein Israeli«. Er glaubte, daß die Nazarener das mosaische Gesetz beobachteten, und hatte von der Existenz eines Neuen Testamentes nie etwas gehört. Im Jahre 1704 besuchte sie der Jesuitenmissionär Pater Gozani, welcher berichtet, daß sie sehr erstaunt waren, als sie den Namen Jesus, des Messias, aus seinem Munde hörten. Sie hätten wohl von diesem Namen gehört, doch sei dieser Jesus der Sohn des Syrach gewesen und nicht der Mann, von dem Gozani sprach. Sie hatten also von Jesus Christus in ihrem Leben nichts gehört. Wie interessant wäre es doch zu wissen, ob diese Juden auch unter dem Fluche stehen, den sich das Judentum infolge der Kreuzigung Christi zugezogen. Ich würde meine geehrten Leser gern über diese Frage aufklären, kann dies leider jedoch nicht tun, da mir die diesbezüglichen theologischen Kenntnisse total fehlen. Die chinesischen Juden haben ihren liturgischen Dienst längst aufgegeben und dürften recht bald im Mohammedismus und Buddhismus zerschmelzen, falls es den Bemühungen der Alliance Israélite nicht gelingen sollte, sie dem Judentume zu erhalten. Vor 40 Jahren starb der letzte ihrer Rabbinen, der noch etwas Hebräisch verstand. Die Kinder werden nicht mehr beschnitten, sie heiraten öfters chinesische Frauen, die dann ihre Religion annehmen.

Über die Zahl der chinesischen Juden sind die Berichte sehr schwankend. Herr von Brandt hält sie für eine verschwindend kleine; nach anderen soll sie eine halbe, ja sogar eine Million betragen. Es ist dies äußerst unwahrscheinlich und dürfte auf einer Verwechslung mit Mohammedanern beruhen. Es scheint, daß sie im toleranten China niemals verfolgt worden sind; wenigstens war es mir nicht möglich, irgend etwas über Judenverfolgungen in China in Erfahrung zu bringen.

Auch hat sich die chinesische Toleranz darin bewährt, daß die chinesischen Juden ganz von selbst dazu gekommen sind, den Confucius geradeso zu verehren, wie die Chinesen selbst – das Gescheiteste, was sie tun konnten.


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