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Wir kommen nun zur Betrachtung des Standpunktes, den das Christentum und zunächst die römische Kirche dem Judentum gegenüber einnimmt. Ich folge in dieser Darstellung dem Werke des Pater Constant: »Les Juifs devant l'Eglise et l'histoire«. Pater Constant ist Doktor der Theologie und des kanonischen Rechtes und Priester des Predigerordens, jenes Ordens, der sich mit den Juden bekanntlich am eingehendsten befaßt hat. Das genannte Werk ist von der kirchlichen Autorität approbiert. Es wird also schwerlich vom katholischen Standpunkte aus etwas gegen die Benützung des Werkes einzuwenden sein. Sein Gedankengang ist folgender: »Im alten Rom genossen die Juden viele Freiheiten und Rechte, die jüdische Religion war eine autorisierte Religion im Staate. Ganz anders jedoch erscheint die Sachlage da, wo es sich um Völker handelt, »die vom Lichte des Evangeliums erleuchtet sind«. War der Jude für den römischen Staat harmlos, so ist er eine Gefahr für den christlichen. Nichts im Juden gefährdete den römischen Staat, alles was im Juden steckt, attackiert direkt den christlichen. Der christliche Staat hat vom Juden alles zu befürchten. Kein christlicher Gesetzgeber hat je daran gedacht, den Juden die Bibel zu entreißen. Nur gegen den Talmud ist eingeschritten worden. Der Dominikaner bedauert, daß die christlichen Machthaber in ihrer Verfolgung des Talmuds nicht jenen Erfolg gehabt haben, den ihr Eifer verdient hätte! Da der Jude für den christlichen Staat eine eminente Gefahr bedeutet, so ist die Kirche und die christliche Regierung gezwungen, sein Tun und Treiben zu beobachten und zu kontrollieren. Hierzu dienen zwei Mittel: das Ghetto und das gelbe Judenzeichen an der Kleidung.
Der Dominikaner Ferraris resumirt die päpstlichen Ghetto-Vorschriften in folgender Weise: Alle Juden sollen an ein und demselben Orte wohnen, zu welchem nur ein einziger Zugang, der zugleich der einzige Ausgang sein soll, führen darf. Der Zweck ist, das Zusammenleben von Juden mit Christen zu verhindern. Jeder neu angekommene Jude mußte im Ghetto absteigen und seine Glaubensgenossen waren verpflichtet, ihn aufzunehmen. Der Jude durfte aber kein Eigentum an Grund und Boden erwerben, auch nicht an dem Grund, worauf das jüdische Wohnhaus stand. Jeder Besitz von Grund und Boden gab im Mittelalter gewisse soziale Rechte von Über- und Unterordnung. Nun wollte aber die Kirche durch Ausschließung der Juden vom Grundbesitz verhindern, daß ein Christ in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Juden gerate. Im Ghetto war der Jude frei, er konnte Tags über ausgehen, nur mußte er Abends zur Zeit des Ave-Maria-Läutens wieder im Ghetto zurück sein. Ein christlicher Portier öffnete und schloß die Tore des Ghetto's. Nur so konnte der christliche Staat die Zahl und die Identität seiner Juden stets genau kontrollieren. So blieb der Jude stets unter dem Eindrucke der Furcht, »die allein aus ihm ein moralisches Wesen und seine Tolerierung möglich machen konnte.«
Was das Judenzeichen betrifft, so bemerkt Pater Constant: »Wie wäre es anders möglich gewesen, den seltsamen Gefährten nicht aus dem Auge zu verlieren, welchen die mitleidige Gastfreundschaft der Kirche dem Christen mitgab ... Seit dem großen Verrat am Calvarienberge hat der Geist des Ischarioten die Rasse der Juden infestiert. Im Herzen eines jeden Juden steckt Verräterblut. Ihre Dankbarkeit gegen die Fürsten von Spanien bewiesen sie durch das Hereinrufen der Araber Afrikas.«
Bezüglich des Privat- und Familienlebens der Juden sei zu bemerken, daß die Kirche das Recht, das jedem Menschen von Gott gegeben ist, eine Familie zu gründen, nicht antastet. Die Juden dürfen unter einander heiraten nach jüdischem Rechte. Kein Judenkind darf, bevor es sieben Jahr alt ist, getauft werden gegen den Willen seiner beiden Eltern. Doch soll das Kind getauft werden dürfen, wenn nur der Vater oder nur die Mutter es verlangen. Hat ein jüdisches Kind das 7. Jahr zurückgelegt, so kann es getauft werden auch gegen den Willen seiner beiden Eltern. Ist ein jüdisches Kind gegen den Willen der Eltern gültig getauft worden, so darf es den Eltern nicht zurückgegeben werden.
Die Kirche will nicht, daß ein Christ bei einem Juden diene. In erster Linie verbietet die Kirche, daß eine Christin in einem jüdischen Hause als Amme eines jüdischen Kindes in Dienst trete. Als Grund gibt nun Pater Constant, der doppelter Doktor ist, und im Jahre 1897 schreibt, Folgendes an. Man höre und staune. Ich übersetze wörtlich. Er schreibt Seite 166 des genannten Werkes:
» Der Körper des Christen, so lehrt uns der Glaube, ist der Tempel des heiligen Geistes. Derselbe Glaube lehrt uns, daß der Körper, der nicht gewaschen worden in der Taufe, der Wohnort des Teufels bleibt. Den Körper einer Christin mit dem eines Kindes in jene intimen Beziehungen bringen, die mit der Ammenschaft verknüpft sind, schien der Kirche einem Attentat nahe zu kommen, nämlich dem, den heiligen Geist mit dem Teufel in Verbindung zu setzen.«
Ein weiterer Grund, das Eintreten einer christlichen Amme in ein jüdisches Haus zu verbieten, war für die Kirche die Besorgnis, daß dieselbe Schaden leiden könnte am Glauben durch die Teilnahme an jüdischen religiösen Haus-Zermonien und daß ihre Schamhaftigkeit verletzt werden könnte durch das Beiwohnen bei der Zermonie der Beschneidung! Auch befürchtete die Kirche, es könnte die Amme in die Gelegenheit kommen, Blasphemien gegen das Altarsakrament, Beschimpfungen des Kreuzes und der geweihten Gegenstände der Christen anzuhören. Auch könnten ihr die gotteslästerlichen, jede gesunde Moral zerstörenden, zynischen und infamen talmudischen Schriften in die Hände fallen. (Kann man sich eine christliche Amme im Mittelalter, die hebräisch liest und versteht, überhaupt vorstellen?) Daher hat auch der Inquisitor die Pflicht, gegen die Juden aufzutreten, wenn sie talmudische oder andere, von der Kirche verurteilte jüdische Schriften besitzen und wenn sie sich über das allerheiligste Altarsakrament, das Kreuz und andere religiöse Gegenstände lustig machen. Ferner fürchtete die Kirche die Gefahr der Verführung der christlichen Amme von Seite des jüdischen Familienvaters und zwar umsomehr, da nach ihrer Auffassung durch eine solche Tat die Sünde der Unzucht respektive des Ehebruches noch qualifiziert würde durch das hinzutretende Sacrilegium. Das christliche Recht widersetzt sich unbedingt dagegen, daß ein Christ in jüdische Dienste trete wegen der hierdurch bedingten gesellschaftlichen Unterordnung des Christen unter den Juden. Der Christ soll über den Juden, der Jude aber nicht über den Christen Autorität haben. Dies wollte der heilige Paulus in seiner Epistel an die Galater ausdrücken, wenn er unter Bezugnahme auf die Geschichte der Sarah und Hagar schreibt: »Der Sohn der Magd wird nicht das Erbe teilen des Sohnes der Freien.«
Der Christ, der bei einem Juden auf Taglohn dient, darf nicht mit den Juden essen; eine Bestimmung, durch welche konstatiert werden soll, daß die für den Juden vom Christen geleistete Arbeit letzteren nicht zu seinem Diener macht und daß durch diese geleistete Arbeit die Superiorität des Christen über den Juden in keiner Weise geschmälert wird. Es ist den Christen verboten, den jüdischen Familien bei ihren Vorbereitungen zur Feier des Sabbats oder anderer Feste, irgend welche Dienste und würden dieselben auch nur einen Augenblick in Anspruch nehmen, zu leisten. Christen dürfen einem Juden keine Ehrenbezeugung leisten und sie nicht mit Dominus, d. h. Herr titulieren. Der Christ soll mit den Juden nicht nur nicht essen, sondern auch mit ihnen nicht spielen, oder gar tanzen.
In Straßburg durften die Juden nur bestimmte Stunden des Tages außerhalb des Ghettos zubringen. In Augsburg mußten sie für eine jede in der Stadt außerhalb des Ghettos zugebrachte Stunde einen Gulden, in Bremen ein Dukaten zahlen. In mehreren Städten durften sie während der christlichen Feste gar nicht aus dem Ghetto heraus; sogar der Besuch verrufener Häuser war ihnen untersagt. Ebenso durften sie sich keinem Frauenkloster nahen und sich mit einer Klosterfrau in kein Gespräch einlassen. Es folgen nun eine ganze Reihe von Beschuldigungen gegen die Juden. Sie zwingen christliche Ammen am Tage, wo sie kommuniziert, ihre Milch in die Latrinen zu werfen, sie kaufen den Dieben heilige Gegenstände, Kreuze, Kelche usw. ab, um sie den Christen, nachdem sie dieselben besudelt, wieder zu verkaufen und verkaufen ihnen als Reliquien Knochen von Eseln, Hunden und Schweinen.
Pater Constant bemerkt, daß ein christlicher Monarch das Recht hat, von seinem zum katholischen Glauben bekehrten Volke alles fern zu halten, was den Glauben zu erschüttern geeignet ist und beim geringsten Anzeichen von Feindseligkeit und Agression alle Juden und Ungläubigen, von welchen diese Agression herkommt, des Landes zu verweisen. Der Grund hierfür ist, daß die Kirche allein im Besitze der religiösen Wahrheit ist. Alles, was dieser Tatsache widerspricht, alles, was den Namen Religion beansprucht und dabei mit der Kirche nicht übereinstimmt, ist einfach nichts anderes als religiöser Irrtum. Daher hat der berühmte Consalvi Recht, wenn er sagt, die katholische Kirche ist ihrem Wesen nach intolerant. In jedem christlichen Staate verdient die Gesamtheit der Juden ausgewiesen zu werden, wenn sie den christlichen Glauben verunglimpfen, besonders aber, wenn zu dieser Verunglimpfung sich das Vergießen von Christenblut hinzugesellt. Ferner dürfen nach Auffassung der Kirche die Juden des Landes verwiesen werden, wenn sie Aufstände erregen, wenn sie auf irgend eine Art die christliche Bevölkerung in Gefahr bringen und selbst ohne irgend welche Aufstände, wenn sie in einem christlichen Staate so zahlreich wären, daß die Bevölkerung ihnen ausgeliefert scheint. »Denn die Kirche geht immer aus von dem Faktum, welches für sie feststeht, daß der Jude als solcher und schon darum, weil er Jude ist, zum Verrate prädisponiert sei.« Nicht umsonst, schreibt Pater Constant, glaubte die Kirche im feierlichsten Momente ihrer Liturgie am Fuße des blutigen Kreuzes ihres Herrn, in der Stunde, wo sie dem Himmel für alle Menschen jenes Blut darbringt, dessen unschätzbaren Wert sie in ihrer Hand hält, wo sie niemanden von ihren Gebeten ausschließt, in jener Stunde, die unter allen die Stunde ihrer Barmherzigkeit ist, jenes Erbarmen für die Juden nicht anders erflehen zu dürfen, ohne ihrer Benennung das Epitheton, welches die Gerechtigkeit erfordert, hinzuzufügen: »Beten wir auch für die treulosen Juden.«
Die Juden dürfen des Landes verwiesen werden, wenn sie sich weigern, die Gesetze zu beobachten, ferner wenn ihr Reichtum vermuten läßt, daß daraus eine Gefahr für die Christen entstehen könnte, denen sie das Geld weggenommen. So wurden die Juden unter Ferdinand und Isabella aus Spanien ausgetrieben. Ein christlicher Fürst hat das Recht, wenn er juristische Präsumptionen hat, die einem Beweise gleich kommen, daß der von dem Verdächtigten angemaßte Besitz ganz oder zum Teil auf betrügerische Art erworben, das Vermögen des Betreffenden zu konfiszieren und zwar ganz zu konfiszieren, wenn das Ganze auf betrügerische Art erworben wurde, sonst nur teilweise, und zwar je nach Verhältnis des stattgefundenen Betruges. Diese Grundsätze, meint Pater Constant, werden jedoch in der Praxis gemildert, und zwar darum, weil die Juden in der christlichen Gesellschaft nur aus Barmherzigkeit aufgenommen sind! und der Zweck der Kirche, die sie aufnimmt, der ist, ihnen nützlich zu sein, indem sie ihnen den Eintritt in den katholischen Glauben erleichtert, nicht aber um es ihnen möglich zu machen, mit jüdischer Perfidie ihren Kindern zu schaden. So hat der gerechteste aller Herrscher, der heilige Ludwig, mit einem Schlage ein Drittel ihres Gesamtvermögens konfisziert.
Es folgen nun eine Reihe von Bestimmungen, die darauf berechnet sind, sogar den Handel der Juden zu beeinträchtigen.
Kein Jude darf einen Christen in irgend einer Wissenschaft oder Kunst unterrichten; er darf keine Würde und kein öffentliches Amt bekleiden, durch welches er in irgend eine Beziehung zu den Christen treten könnte, auf keiner katholischen Universität einen Doktorgrad erhalten. Jüdische Ärzte dürfen nicht zu kranken Christen zugelassen werden; denn, bemerkt Constant, die Kirche dachte an die Gefahren, welchen die jüdische Perfidie das christliche Vertrauen aussetzte. Nichts in der Familie wäre mehr in Sicherheit; die Intimität erzeugt beklagenswerte Gelegenheiten. Es war ein jüdischer Arzt, der den kleinen Simon raubte, den berühmten Märtyrer von Trient.
Ferner war es den Juden verboten, Apotheker zu sein, wegen der dadurch den Juden gegebenen Gelegenheit zur Ausübung der Zauberei. Nur auf der Reise war es dem Juden gestattet, mit den Christen zu essen, zu trinken, die Nacht zuzubringen, oder mit ihnen in einem Gasthause abzusteigen.
»Die Juden leben in Dienstbarkeit bei den Christen nicht wie häusliche Sklaven, sondern wie bürgerliche Leibeigene«, schreibt Papst Benedikt XIV. Was würde dieser Papst gesagt haben, bemerkt Constant, wenn er den vierten Teil der Richterstellen bei der sehr christlichen Nation, der ältesten Tochter der Kirche, von Juden besetzt gesehen hätte?
Der Magistrat, sagt der heilige Thomas, muß eine solche Liebe zur Gerechtigkeit haben, daß bei ihm gleichsam eine Fleischwerdung dieser Gerechtigkeit eingetreten sein soll. Wie kann man, bemerkt Constant, von den perfiden Juden, den von der Kirche offiziell, feierlich und bewußt perfid Genannten, eine solche Gerechtigkeit erwarten?
Der Jude ist ausgeschlossen vom militärischen Beruf. Die dem Juden erlaubten Berufe waren: das Bankgeschäft, Goldschmied und Edelsteinhandel, das Trödlergeschäft, der Hausierhandel und das Druckereigeschäft.
Die Juden unterstanden der Inquisition in folgenden Fällen:
1. Wenn sie jene Wahrheiten ihrer Religion leugnen, die auch die Christen zu glauben verpflichtet sind.
2. Wenn sie Dämonen anrufen und ihnen Opfer bringen. Constant bemerkt, daß die jüdische Kabbala intimen Verbindungen der Rabbiner mit den Teufeln ihr Dasein verdankt und daß diese Lehre den Unterricht des Teufels weiterleite und daß darauf die nahen Beziehungen sich gründen, welche zwischen Judentum und Freimaurerei bestehen.
3. Wenn sie den Christen diese Lehre beibringen.
4. Wenn sie gegen den christlichen Glauben gotteslästerliche Reden führen.
5. Wenn sie einen Christen zum Abfall vom Glauben verleiten.
6. Wenn sie es verhindern, daß ein Ungetaufter sich zum katholischen Glauben bekehrt.
Ein Magister hatte den Auftrag, alle Wochen in den Synagogen Theologie zu predigen. Ferner wurde bestimmt, daß jüdische Kinder beider Geschlechter katholischen Religionsunterricht anhören mußten. Der erste Paragraph des stillschweigenden Vertrages zwischen Israel, das um Land und Wasser flehte und der Kirche, die ihm diese Gabe bewilligte, lautete: Alle Mittel, welche die Kirche für nützlich erachten wird, um Israel dem Bekenntnis des katholischen Glaubens zuzuführen, dürfen und werden tatsächlich von der Kirche in Anwendung gebracht werden. Die Kirche hat strenge verboten, daß die Juden am Sabbat ihre Feuer von Christen anzünden lassen, daß Christen jüdischen Zeremonien oder Predigten beiwohnen, namentlich der Zeremonie der Beschneidung.
Pater Constant schließt nun sein Werk mit einer Behandlung des sogenannten Ritualmordes.
Hiermit bin ich mit der Darstellung, die der gelehrte Dominikanerpriester, Doktor der Theologie und des kanonischen Rechtes, in einem von seinem kirchlichen Vorgesetzten approbierten Werke, das er im Jahre 1897, also knapp vor Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris, der Stadt des Lichtes, über die von der Kirche aufgestellten Gesetze und Maximen – betreffend die Beziehungen von Juden und Christen – geschrieben hat, zu Ende. Juden und Christen werden aus dieser Darstellung entnehmen, wie die römische Kirche gegen die Juden aufgetreten ist, als sie es konnte und wie sie gegen dieselben auch heute noch verfahren würde, wenn sie es könnte.
Es ist bemerkenswert, daß von allen Faktoren der Kirche derjenige, der sich gegen Israel am menschlichsten erwiesen hat, ihr Haupt, nämlich der Papst war, und zwar zu allen Zeiten, eine Tatsache, die auch die jüdischen Geschichtsschreiber wiederholt dankbar anerkannt haben. Papst Gregor der Große verordnete, daß kein Jude mit Gewalt zur Taufe gezwungen werden und daß man sie nur durch Sanftmut und Liebe zur Bekehrung zu veranlassen trachten dürfe. Diese Erklärung wurde gewissermaßen das Programm für die Behandlung der Juden bei allen seinen Nachfolgern. Die Päpste haben immer wieder ihre Stimme erhoben, so oft Christen die Juden gewaltsam zur Taufe zwingen wollten. Innocenz III., der dieses Verbot wiederholte, konnte sich bei dieser Gelegenheit bereits auf fünf seiner Vorgänger berufen und zwar auf die Päpste Kalixtus, Eugen, Alexander, Clemens und Cölestin. Er verbot, die Juden zu verfolgen und betonte ihr Recht auf Gewissensfreiheit und freie Ausübung ihres Kultus. Allerdings sind die hierfür angegebenen Gründe merkwürdig. »Die Juden«, schreibt Innocenz III., »sind die lebendigen Zeugen für die christliche Wahrheit. Der Christ soll sie nicht ausrotten, damit er selbst nicht die Kenntnis des göttlichen Gesetzes dabei verliere.« Gregor IX. wiederholte später diese Verordnungen. Es läßt sich behaupten, daß die Juden von den Päpsten sogar viel besser behandelt worden sind, als die Protestanten. Pater Constant bemerkt dazu: »Die jüdische Synagoge ist nicht in jedem Punkte im Irrtum, wie es in jedem Punkte, durch sein Protestieren allein, der Tempel des Protestanten ist.« Auch Alexander II. und III. beschützten die Juden, Letzterer belobte sogar jene Fürsten und Bischöfe, welche zur Zeit der Verfolgung den Juden Schutz gewährt hatten. Clemens V. und VI. verliehen ebenfalls den Juden ihren Schutz. Clemens VI. wies, als die Juden beschuldigt waren, durch das Vergiften der Brunnen den schwarzen Tod hervorgerufen zu haben, darauf hin, daß diese Beschuldigung unwahr sein müsse, da ja die Juden ebenso wie die Christen von der Pest dahingerafft werden. Auch ist hier zu erwähnen, daß nicht weniger als fünf Päpste, und zwar Innocenz IV. (1247 und 1253), Gregor X. (1272), Martin V. (1422), Paul III. (1540), und Clemens XIV. (dieser freilich zu einer Zeit, wo er noch Kardinal Ganganelli war, 1759) die Blutbeschuldigung ausdrücklich für eine Verleumdung erklärt haben. Als die Päpste sich in Avignon ansiedelten, zogen Massen von Juden in diese Stadt, um Schutz zu finden vor den blutigen Verfolgungen, denen sie in den Ländern der Christenheit ausgesetzt waren. Als sie von Spanien vertrieben wurden, nahm Papst Alexander einen großen Teil von ihnen bei sich auf. In dankbarer Erkenntnis dieser Tatsachen hat auch der große Sanhedrin, der sich im Jahre 1807 in Paris versammelte, in offizieller Form den Ausdruck der Dankbarkeit der Juden für den ihnen von vielen Päpsten und hochgestellten kirchlichen Würdenträgern so häufig gewährten Schutz zu Protokoll gegeben.
Wie wenig der Schutz der Päpste den Juden geholfen hat, wird aus dem Kapitel über die Verfolgung ersichtlich sein. Dieser Schutz konnte nicht wirksam sein, so lange die Päpste aus den bekannten religiösen Motiven die Juden unter Ausnahmsgesetze stellten, im Karfreitagsgebete für die Juden den Ausdruck »perfide Juden« beibehielten, so lange sie dieselben der hartnäckigen Verblendung, der Verstocktheit beschuldigten und sie als ein von Gott, wegen des Gottesmordes, verfluchtes Volk darstellten. War auch für den Christen des Mittelalters die Mißhandlung eines Juden, sowie dessen zwangsweise Bekehrung, das zwangsweise Taufen jüdischer Kinder, was nach kanonischem Rechte immer die gewaltsame Entfernung des Kindes aus dem elterlichen Hause zur gesetzlichen Folge hatte, durch päpstliche Reskripte strengstens verboten, so war es doch selbstverständlich, daß die ungeheure Mehrzahl der Christen jener finsteren Zeiten im Hinblick auf die Lehre der Kirche über das Judentum in einem solchen Vorgehen gegen die Juden keine besonders schwere Sünde erblicken konnten.
Stellen wir uns einen gläubigen christlichen Ritter des Mittelalters vor, in dessen Gewalt sich zufällig ein jüdisches Kind befindet. Er kommt nun in die Versuchung, dieses Kind taufen zu lassen und dadurch seinen unglücklichen Eltern für immer zu entreißen. Es ist ihm aber auch bekannt, daß der Papst ein solches Vorgehen ausdrücklich verboten und mit Strafen bedroht hat. Wie glaubt wohl mein geehrter Leser, daß der Kampf in der Brust des Ritters ausfallen wird? Derselbe wird in 100 Fällen vielleicht 99 mal folgendermaßen argumentiert haben: »Dieses jüdische Kind ist nun einmal in meine Gewalt geraten. Das ist kein Zufall, es ist ein Fingerzeig Gottes. Taufe ich dieses Kind, so hat unsere Kirche einen Gläubigen, der Himmel einen Heiligen mehr und ich rette seine Seele, die nun Gott gehören wird. Es ist unmöglich, daß mich Gott dafür ewig bestrafen sollte, wenn ich ihm auf diese Weise eine Kindesseele zuführe. Zwar werden sich die Eltern zu Tode grämen, aber was liegt mir an dem Kummer der Gottesmörder und der Feinde unserer Kirche. Ich begehe zwar eine Sünde, indem ich ein ausdrückliches Verbot des Papstes übertrete. Daß mir aber wenigstens diese eine Sünde leicht verziehen werden wird, des bin ich sicher. Also taufen wir dieses Kind in Gottes Namen. Denn ich kann ja unmöglich dereinst aus diesem Grunde in die Hölle geworfen werden, weil ich der Kirche, dem Himmel und Gott, wenn auch auf unerlaubte Weise, eine menschliche Seele zugeführt habe.«
Die Geschichte lehrt, daß die Päpste, wenn sie auch die Juden beschützen wollten, nicht imstande gewesen sind, diesen Schutz wirksam durchzuführen, und daß die Juden trotzdem aus theologischen Gründen auf das grausamste verfolgt wurden, solange die Kirche mächtig war. Das rettende Wort: »Die Juden sind Menschen und daher Kinder Gottes wie wir; der gute und brave Jude ist Gott dem Herrn ebenso wohlgefällig wie der Christ, notabene der gute Christ«, hat das Papsttum nie gesprochen und durfte es auch nicht sprechen. Denn würde heute die Kirche erklären, daß Ungetaufte, in gleicher Proportion wie Getaufte, zur ewigen Seligkeit gelangen können, wenn sie treu die Gebote ihrer eigenen Religion befolgen, so würde sich sehr bald gar kein Missionär mehr finden, der sich dazu hergeben würde, Leben und Gesundheit zu riskieren, allen Leiden, Strapazen, Entsagungen, Kränkungen, ja der Folter und dem schmerzvollsten Tode entgegen zu gehen, um ungläubige Heidenseelen für die Kirche zu gewinnen. Denn nicht irdischer Ruhm und Ehre, sondern bloß ein unbezähmbarer Drang, menschliche Seelen den Krallen des Teufels und dem künftigen ewigen Tode zu entreißen, führt die heldenmütigen christlichen Missionäre in die Länder der Ungläubigen, und diese Pioniere des Glaubens waren die eigentlichen Gründer der großen Macht und Herrlichkeit der römischen Kirche.
Jenes rettende Wort hat nicht die Kirche, sondern die moderne unchristliche Aufklärung gesprochen, denn sie war es, die die Juden den Christen gleichstellte und sie emanzipierte.
Die Stellung der römischen Kirche zu den Juden hat wenigstens Kopf und Fuß und Logik. Es liegt darin eine ganz andere Art Antisemitismus, als im Rassenantisemitismus, welch letzterer, wie bereits nachgewiesen, auf der ganz falschen Vorstellung fußt, daß es auf der Welt so etwas wie eine jüdische Rasse gibt; eine Behauptung, deren Unrichtigkeit die Anthropologie mit ihren Schädelmessungen mathematisch nachgewiesen hat, daher man sich einen logisch begründeten Antisemitismus außerhalb der Kirche nicht einmal recht vorstellen kann. Die Bestrebungen der Antisemiten decken sich fast gänzlich mit jenen Gesetzen und Bestimmungen, welche die Kirche im Mittelalter gegen die Juden überall dort durchgeführt hat, wo sie es konnte.
Was die schismatische, respektive orthodoxe Kirche betrifft, so ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß ihre Auffassung vom Judentum und ihre Wünsche, betreffend die Art und Weise, wie sie von den Christen zu behandeln, sich mit jenen der römischen Kirche decken. Die bei weitem größte und mächtigste aller schismatischen Kirchen ist bekanntlich die russische, neben ihr verschwinden die übrigen. Während nun in allen Staaten Europas die römische Kirche aufgehört hat, die Politik zu führen und ihr Einfluß auf Regierung und Gesetzgebung im Vergleiche zu jenem, dessen sie sich im Mittelalter erfreute, außerordentlich gesunken ist, hat die orthodoxe Kirche in Rußland ihre ganze ungebrochene Macht bewahrt. 1901 (A. d. H.) Wehe dem, der sich ihr zu widersetzen wagt. Sie verfügt über Mittel, den Zuwiderhandelnden die Köpfe bald wieder zurecht zu setzen. Wehe dem Zaren, der es wagt, in aufgeklärter Weise ihr entgegen zu treten ...
Nachdem die Wünsche der russischen Kirche in der russischen Gesetzgebung zum Ausdrucke kommen, die Gesetze gegen die Juden von der russischen Kirche inspiriert sind und noch immer bestehen, somit der Gegenwart angehören, so wird die Stellung der Juden in Rußland in diesem Werke an jenem Orte besprochen, wo von der Not der heutigen Judenschaft gehandelt wird.
Was die protestantische Kirche betrifft, so richten sich die Gläubigen in derselben mit Vorliebe nach den Lehren Luthers, welche in seiner Schrift: »Von den Juden und ihren Lügen«, die in Wittenberg im Jahre 1543 erschien, niedergelegt sind. Er nennt sie darin Lügner und Bluthunde, giftige Ottern, hämische Schlangen, Teufelskinder und zwar darum, weil sie die christologische Deutung der heiligen Schrift nicht anerkennen wollten. Er riet, daß man die Synagogen der Juden einäschern solle, »unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren«; dann sollen die Christen deren Häuser zerstören und sie unter ein Dach oder in einen Stall treiben, wie die Zigeuner. Alle Gebetbücher und Talmudexemplare, ja selbst die heilige Schrift des Alten Testamentes sollte man ihnen mit Gewalt nehmen, und selbst das Beten und Aussprechen des göttlichen Namens sei ihnen bei Verlust des Leibes und Lebens verboten. Ihren Rabinen sollte das Lehren untersagt werden.
Die Obrigkeit sollte den Juden das Reisen verbieten und die Straßen verlegen; sie müßten zu Hause bleiben. Der Wucher sollte ihnen nicht bloß untersagt, sondern alle ihre Barschaft sollte ihnen abgenommen werden. Luther riet, damit einen Schatz anzulegen und davon diejenigen Juden zu unterstützen, welche sich zum Christentum bekehren würden. Die starken Juden und Jüdinnen sollte die Obrigkeit zum Frondienste zwingen, sie streng anhalten, Flegel, Axt, Spaten, Rocken und Spindel zu handhaben, damit sie ihr Brot im Schweiß des Angesichts verdienen und nicht in Faulenzerei, in Festen und Pomp verzehren. Die Christen sollten keine schwache Barmherzigkeit für die Juden haben. Dem Kaiser und den Fürsten redete Luther zu Herzen: sie mögen die Juden ohne weiteres aus dem Lande jagen, sie in ihr Vaterland zurücktreiben. In der Voraussetzung aber, daß die Fürsten nicht eine solche Torheit begehen würden, ermahnte er die Pfarrer und Volkslehrer, ihre Gemeinden mit giftigem Hasse gegen die Juden zu erfüllen. Wenn er Gewalt über die Juden hätte, bemerkte er, würde er ihre Gelehrten und Besten versammeln und ihnen mit der Androhung: »ihre Zungen hinten am Halse herauszuschneiden, den Beweis auflegen, daß das Christentum einen einzigen Gott, und nicht drei Götter lehre«. Luther hetzte geradezu die Raubritter gegen die Juden. Er habe gehört, daß ein reicher Jude mit zwölf Pferden durch Deutschland reise, nämlich der reiche Michel. Wenn nun die Fürsten ihm und seinen Glaubensgenossen nicht die Straße verlegen wollten, so möge sich Reiterei wider sie sammeln, weil die Christen aus seinem Büchlein erfahren würden, wie verworfen das jüdische Volk sei.
Noch kurz vor seinem Ende ermahnte er seine Zuhörer in einer Predigt, die Juden zu vertreiben: »Über das andere habt ihr auch noch die Juden im Lande, die großen Schaden tun. ... Wiewohl ich Sorge trage, das jüdische Blut sei nunmehr wäßrig und wild geworden, sollt ihr ihnen ernstlich anbieten, daß sie sich taufen lassen – wo nicht, so wollen wir sie nicht leiden. Nun ist mit den Juden also getan, daß sie unsern Herrn nur täglich lästern und schänden – drum sollt ihr sie nicht leiden, sondern sie wegtreiben. – Wenn sie uns könnten alle töten, so täten sie es gerne und tun es auch oft, sonderlich die sich für Ärzte ausgeben – so können sie auch die Arznei, die man in Deutschland kann, da man einem Gift beibringt, davon er in einer Stunde, – ja in zehn oder zwanzig Jahren sterben muß, die Kunst können sie. – Das habe ich als ein Landkind euch nur wollen sagen zur Letzten – wollen sich die Juden nicht bekehren, so sollen wir sie auch bei uns nicht dulden, noch leiden.«
Vergleicht man das Auftreten Luthers und der protestantischen Kirche im Mittelalter gegen die Juden mit jenem der römischen, so fällt es in die Augen, daß sich letztere gegen dieses unglückliche Volk unvergleichlich menschlicher und toleranter benommen hat, als die protestantische. Nichts ist unrichtiger als die Behauptung, daß der (echte gläubige) Protestantismus aufgeklärter, fortschrittlicher und toleranter ist, als die römische Kirche.
Es sind erst wenige Wochen verflossen, – es war am 14. Februar d. J. 1901 (A. d. H.) – seit der neue König von England den Krönungseid auf die Verfassung geleistet und dabei gezwungen war, die Worte auszusprechen: »Daß die Anrufung oder Anbetung der Jungfrau Maria, oder irgendeines anderen Heiligen und das Meßopfer, wie es heute in der römischen Kirche dargebracht wird, abergläubisch und götzendienerisch sind.«
Der Protestantismus an und für sich ist um kein Haar toleranter und aufgeklärter als die römische und griechische Kirche; aber der Protestantismus hat den Boden geschaffen, auf welchem sich die Gedankenfreiheit und Aufklärung entwickeln konnte und so sind denn tatsächlich die fortgeschrittensten Gelehrten in der Bibelexegese, den vergleichenden Religionswissenschaften und vielen anderen Disziplinen Protestanten; freilich Protestanten, welche im Mittelalter von ihren eigenen Religionsgenossen verbrannt, geköpft, geschunden, gerädert, und gevierteilt worden wären.
An jene Antisemiten, die nicht müde werden, fortwährend zu wiederholen, daß das Bewuchern und Aussaugen der Christen und eine maßlose Habsucht den Juden angeboren sei, erlaube ich mir die Frage zu stellen, wie so es denn kommt, daß in den ersten christlichen Jahrhunderten von Seiten der Kirchenväter derartige Beschuldigungen gegen die Juden nie erhoben worden sind? Wer dies bezweifeln wollte, der sei höflichst verwiesen auf die in 80 Bänden erschienene Bibliothek der Kirchenväter: »Auswahl der vorzüglichsten patristischen Werke in deutscher Übersetzung«, herausgegeben unter der Oberleitung von Dr. Valentin Thalhofer, Domdekan und Professor der Theologie in Eichstätt, bischöflich-augsburgisch-geistlichem Rat, vormals Universitäts-Professor und Direktor des Georgianums in München usw. usw., Verlag der Josef Kösel'schen Buchhandlung in Kempten. Das Personen- und Sachregister dieser Bibliothek umfaßt allein zwei Bände. In dieser Bibliothek sind die folgenden Kirchenväter und Kirchenschriftsteller – im ganzen 55 Mann – enthalten und zwar:
1. Clemens von Rom, 2. Barnabas, 3. Ignatius von Antiochia, 4. Polycarp, 5. Hermas, 6. Der Verfasser der Lehre der zwölf Apostel, 7. Justin d. M., 8. Melito, 9. Tatian, 10. Athenagoras, 11. Hermias, 12. Theophilus von Antiochien, 13. Minucius Felix, 14. Irenäus, 15. Klemens von Alexandrien, 16. Hippolyt, 17. Der Verfasser der apostolischen Constitutionen und Canonen, 18. Tertullian, 19. Origenes, 20. Cyprian, 21. Gregorius Thaumat., 22. Laktantius, 23. Eusebius, 24. Hilarius, 25. Athanasius, 26. Der Verfasser der griechischen Liturgien, 27. Der Verfasser der ambrosianischen Liturgie, 28. Der Verfasser der mozarabischen Liturgie, 29. Dionysius Areopagita, 30. Basilius, 31. Ephraem, 32. Die Verfasser der ausgewählten Gedichte syrischer Kirchenväter, 33. Die Verfasser der ausgewählten Schriften syrischer Kirchenväter, 34. Zeno, 35. Cyrillus von Jerusalem, 36. Gregor von Nazianz, 37. Makarius, 38. Gregor von Nyssa, 39. Ambrosius, 40. Epiphanius, 41. Chrysostomus, 42. Sulpicius Severus, 43. Rufinus, 44. Hieronymus, 45. Augustinus, 46. Kassian, 47. Cyrillus von Alexandria, 48. Vincenz von Lerin, 49. Chrysologus, 50. Theodoret, 51. Leo der Große, 52. Salvian, 53. Gregor der Große, 54. Johannes von Damaskus, 55. Die Verfasser der Papstbriefe.
Schlagen wir im Register beim Worte Juden nach, so finden wir fünf Seiten, in welchen die von Juden handelnden Stellen dieser 55 Kirchenväter aufgezeichnet sind. Da finden wir nun, daß ihre Opfer und religiösen Übungen nunmehr ohne Wert sind, Traktate über ihre Verwerfung, daß dieselbe von Jesaias geweissagt worden, Berichte über ihre Beteiligung bei den Christenverfolgungen, Beweise für ihre Feindschaft gegen die Christen, Berichte über ihre Lage bei der Wiederkunft Christi, daß sie weder den Vater, noch den Sohn kennen, Klagen über ihren Unglauben an Christus, über ihre falschen Ansichten über den Messias, Berichte über ihre Sekten, über die Dauer ihres Aufenthaltes in Ägypten, über ihr Verhältnis zu den Ägyptern, über ihren an den letzteren verübten Raub, sie werden entschuldigt, daß sie das getan haben, um auf diese Weise den Lohn für ihre Arbeit einzukassieren, Berichte über den Auszug aus Ägypten, über den Durchzug durch das Rote Meer, ihren Zug durch die Wüste, über einen glücklichen Sieg, daß sie in Palästina einziehen durften, über die Herkunft der Wachteln, über ihre Chronologie und Geschichte als Beweis der göttlichen Vorsehung, über ihre Drangsale unter acht römischen Kaisern, über den Abgabenzwang, dem sie unterworfen, über die Antipathie des Philosophen Celsus gegen sie, über die Weisheit ihrer früheren gottesdienstlichen und staatlichen Anordnungen, über ihre Abstammung von Abraham, über ihren Charakter als auserwähltes Volk, die weder den Himmel, noch die Engel anbeten, über ihren Schutzgeist, über die Verschiedenheit ihrer Beschneidung und der der anderen Völker, über den Grund, warum gerade Christus zu ihnen gesendet wurde, über ihre schließliche Bekehrung, ihre Ungeduld, ihren Neid, ihre Hochschätzung der heiligen Bücher, ihre Ausschließung vom Rechte christliche Dienstboten zu halten, die frei werden, wenn sie ihnen entlaufen, Bestimmungen über ihre Sklaven und Diener, warum sie ein unfruchtbarer Weinberg Gottes und ihre Feste ungesetzlich sind, über ihre vergeblichen Versuche, den Tempel wieder aufzubauen, über Gott als ihren Heerführer im Kriege, warum sie dreimal im Jahr vor Gott erscheinen mußten, über ihre eigene Gerichtsbarkeit und ihre politische Macht zur Zeit der Apostel, warum sie Jesum nicht töten durften, über ihre Sündhaftigkeit und Strafbarkeit vor Christus, ihre Verschiedenheit und Vorzüge vor den Heiden, über ihren Sklavenstand gegenüber der christlichen Gotteskindschaft, über jene Juden, die an Christus glaubten, über ihren Fall, der das Heil der Heiden wurde, über ihre Freßlust, über ihren Charakter als das hartnäckigste Volk, als Beispiel des Nutzens der Drangsale, über den ihnen erteilten irdischen Segen, über den vorbildlichen Charakter ihrer Gerechtigkeit, über ihre Ähnlichkeit mit Schulkindern, über den Beweis, den die über sie hereingebrochenen Drangsale für die Existenz der Hölle liefern, über ihren Tempel, ihre Totentrauer, ihre Zerstreuung als Förderin des Christentums, über ihre babylonische Gefangenschaft, warum unter ihnen auch die Gerechten fortgeschleppt wurden, warum und inwiefern der Teufel ihr Vater ist, über ihren Charakter als Natternbrut, über das Wohlwollen, welches wir ihnen entgegenzubringen haben, über unsere Verpflichtung, für sie zu beten, über päpstliche Entscheidungen betreffend ihre Synagogen, über unsere Pflicht, sie vor Unrecht zu beschützen, das Verbot, sie zur Taufe zu zwingen, ihre Ausschließung vom Rechte heilige Geräte zu kaufen, neue Synagogen zu bauen und gegen die Christen Klage zu führen, über die Abgabenerleichterung im Falle ihrer Bekehrung und Unterstützung der Bekehrten, über das Verbot, sie an der Feier ihrer Feste zu hindern.
Hiermit ist die Liste zu Ende.
Ich habe nichts ausgelassen. Dagegen finde ich in der Rubrik »Wucher, Geldgier, Habsucht und Zinsennehmen« desselben zweibändigen Registers des 80 Bände starken Werkes keine Erwähnung von den Juden; wohl aber ist darin von einem habsüchtigen Einsiedler und Mönche und vom Wucher der Kleriker die Rede. Wenn diese Liste richtig ist und in den 80 Bänden der Werke der 55 Kirchenväter, die ich natürlich nicht ganz gelesen, denn ich habe Interessanteres zu tun, über die Juden nichts anderes drinsteht, als was diese Liste angibt, so muß konstatiert werden, daß diese Kirchenväter von einem Wuchern und Christenaussaugen seitens der Juden ebenso wenig wußten, wie von dem berühmten Blutrituale, denn es ist unzweifelhaft gewiß, daß sie Erwähnung davon getan haben würden. Dagegen wird ihnen Freßsucht zum Vorwurf gemacht; ein Vorwurf, den ihnen heute kein Mensch mehr machen kann. Hätten sie sich in diesem Punkte löblich gebessert, oder ist die notorische Abnahme der Freßsucht dadurch zu erklären, daß sie sich während ihrer Verfolgungen im Mittelalter ihre Mägen gründlich verdorben haben? Heute sind es die Juden, die den Christen denselben Vorwurf machen, und der Satz: »Er freßt wie ein Goi« ist bei den Juden ein stehender Ausdruck. Ich wünsche beiden den besten Appetit! Wenn aber die Juden einmal Fresser waren und es heute nicht mehr sind, so haben sie ihren Charakter geändert, und wenn sie heute den Wucher im großartigen Maßstabe betreiben, in den ersten Jahrhunderten des Christentums aber nicht, so haben sie sich zwar sehr zu ihrem Nachteile verändert, aber es wird kein vernünftiger Mensch behaupten können, daß ihnen das Wuchern und Geldabzapfen angeboren ist, sondern man wird sagen müssen, daß sie es gelernt und gut gelernt haben. – Wer waren aber ihre Meister?
Unter dem Haufen der vor mir liegenden Schriften, für und gegen die Juden, befindet sich auch eine kleine Broschüre, die in Münster im Jahre 1894 unter dem Titel: »Der Kirchenväter Ansichten und Lehren über die Juden«, den Christen in Erinnerung gebracht von H. K. Lenz, erschien. In seinem Inhaltsverzeichnisse finden sich Seite 11 die Worte: »Handel mit Juden« und in Klammern das Wort »Wucher«. Sehr erfreut, endlich einmal vom jüdischen Wucher im ersten Jahrtausend n. Chr. Kunde zu erhalten, studierte ich das Kapitel mit besonderer Aufmerksamkeit und entdeckte bloß zwei Aussprüche über jüdischen Wucher. Der eine ist einem Gedichte des syrischen Klosterabtes Isaak von Antiochien, der zweite einem Schreiben des im Jahre 368 n. Chr. verstorbenen Bischofs von Poitiers, des heiligen Hilarius, entnommen. Die anderen von Herrn Lenz angeführten Stellen betreffen zwar das Geld der Juden, enthalten jedoch kein Wort von ihrem Wucher. Ob Isaak von Antiochien zu den Kirchenvätern zu zählen ist, ist mir nicht bekannt; jedenfalls gehört er unter ihnen nicht zu den Sternen ersten Ranges. Die größten und den Juden am feindseligsten gesinnten Kirchenväter schweigen über den Wucher der Juden ebenso, wie über das angebliche Blutritual, gerade so, wie auch das Verbannungsdekret Ferdinands des Katholischen, durch welches die Juden aus Spanien verbannt wurden, vom jüdischen Blutrituale und Wucher kein Wort erwähnt. Alle Vorwürfe, welche im ersten Jahrtausend n. Chr. gegen die Juden erhoben worden sind, haben ausschließlich einen religiösen Hintergrund, was ich den Feinden der Juden ganz besonders in die Erinnerung zu rufen mir erlaube.
Wer sich die Mühe nehmen will, die Werke der Kirchenväter zu durchfliegen und alle jene Stellen herauszusuchen, die sich auf die Juden beziehen, der wird also gestehen müssen, daß sich dort keine anderen Anklagen vorfinden, als jene, die sich auf Gottesmord, Unglauben und Verstocktheit beziehen. Dasselbe gilt aber nicht nur von den Werken der Kirchenväter, sondern auch von allen Werken profaner Geschichtschreiber des ersten Jahrtausends. Ich kann diese Behauptung getrost aufstellen, weil ich den bedeutendsten Teil der antisemitischen Broschüren gelesen habe. Selbst der mehrfach erwähnte Antisemitenkatechismus, der alle für die Juden ungünstige Urteile sorgfältigst gesammelt hat, gibt in seinem Kapitel: »Aussprüche berühmter Männer über die Juden« zuerst feindselige Urteile von vier römischen Schriftstellern, dann von drei Mohammedanern. Jetzt kommt aber ein Riesensprung, denn er muß beginnen mit Urteilen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Warum führt er denn keine Aussprüche an aus der ganzen langen Zeit von Vespasian bis zu jenem 12. Jahrhundert? Warum hat er nichts hineingenommen aus den zahlreichen antijüdischen Schriften der Kirchenväter, nichts von Chrysostomus, nichts von Agobard? Die Antwort liegt auf der Hand: Stoff wäre massenhaft vorhanden gewesen, aber alle jene Stellen betreffen nur die Religion, die soll aber nach der Meinung der Antisemiten mit der ganzen Frage nichts zu tun haben. Daher verschweigt er alle judenfeindlichen Aussprüche der ersten tausend Jahre und muß bis zum 12. Jahrhundert springen, weil er erst da Anklagen findet, die mit der Religion nichts mehr zu tun haben. Der erste feindliche Ausspruch, der die Juden des Wucherns beschuldigt und vom Antisemitenkatechismus angeführt ist, stammt von Peter Schwarz aus dem Jahre 1477. Ich behaupte daher mit apodiktischer Bestimmtheit, daß alle judenfeindlichen Aussprüche des ersten Jahrtausends ausschließlich religiöser Natur sind. Und diese Anklagen sind, wie gesagt, Gottesmord und verstockter Unglaube.
Gottesmord! Entsetzliches Wort. Wie ein Fluch hetzt diese Beschuldigung das unglückliche Volk seit zwei Jahrtausenden durch alle Länder der Christenheit. Welch ein Strom jüdischen Blutes ist geflossen, seit sie zum ersten Male erhoben worden ist, was für Leiden hat sie ihnen zugezogen! Aus dem von Gott auserwählten Volke sind die Juden nach christlicher Meinung Kinder des Teufels geworden; sie sind verflucht, und alle Jahre während der Charfreitagsfeier geschieht ihres Gottesmordes Erwähnung mit der Bezeichnung »perfide Juden«. Dabei wird die Genuflexion unterlassen zum Andenken daran, daß die Juden den Heiland durch spöttische Kniebeugungen verhöhnten.
Dieses berühmte Gebet lautet: Oremus et pro perfidis Judaeis: ut Deus Dominus noster auferat velamen de cordibus eorum; ut et ipsi agnoscant Jesum Christum Dominum nostrum.
Omnipotens sempiterne Deus, qui etiam judaicam perfidiam a tua misericordia non repellis: exaudi preces nostras, quas pro illius populi obcaecatione deferimus; ut, agnita veritatis tuae luce, quae Christus est, a suis tenebris eruantur. Per eumdem Dominum nostrum. Amen. Zu deutsch: »Lasset uns auch beten für die treulosen Juden: daß unser Gott und Herr den Schleier von ihrem Herzen wegziehe, damit auch sie Jesum Christum unsern Herrn erkennen.
Allmächtiger, ewiger Gott, der du auch die treulosen Juden von deiner Barmherzigkeit nicht ausschließest: erhöre unsere Bitten, die wir für dieses verblendete Volk darbringen, auf daß sie das Licht deiner Wahrheit, welches Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden – durch denselben Jesum Christum unsern Herrn ...«
Nun frage ich, welchen Eindruck müssen diese Worte auf einen Juden ausüben? Ich glaube, daß ein Jude, wenn er sehr edel und großmütig ist, darauf antworten wird: Ihr nennt uns alle Jahre öffentlich in Euren Kirchen beim feierlichen Gottesdienste »perfide Juden«, wir aber wollen Euch durch die Tat beweisen, wie sehr Ihr Euch irrt, welch ein Unrecht Ihr uns antut. Andere jedoch, – ich fürchte, es ist die Mehrzahl – werden sagen: Wohlan, Ihr nennt uns so; gut denn, Ihr sollt recht haben, wir werden gegen Euch so perfid sein wie nur möglich.
Zu bemerken wäre hier noch, daß dem klaren Texte der Evangelien zufolge es die römischen Soldaten gewesen sind, die durch spöttische Kniebeugungen den Heiland insultierten. Matth. 27, 27–32; Marc. 15, 16–21; Joh. 19, 2; – von spöttischen Kniebeugungen der Juden steht im Evangelium kein Wort.
Wohl ließe sich darauf vielleicht sogar vom christlichen Standpunkte aus einwenden, daß, ganz abgesehen vom großen Zeitraume, der seither verflossen – 1900 Jahre gibt etwas aus! – es ja nur ein Teil des jüdischen Volkes war, der gegen den Heiland intrigierte und seine Verurteilung bei Pilatus durchsetzte und daß, wenn auch damals Juden gerufen haben: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder«, dieser Ruf doch nicht vom ganzen Volke ausgegangen sein kann, was eine physische Unmöglichkeit wäre, unmöglich infolge des mangelnden Raumes vor oder im Palaste des Pilatus für ein ganzes schreiendes Volk. Auch erhellt aus dem 27. Kapitel, 20. Vers des Matthäus- und dem aus 15. Kapitel, 11. Vers des Markus-Evangeliums, daß das jüdische Volk von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten beeinflußt und aufgestachelt war, als es schreiend die Hinrichtung Christi verlangte. Nun sagt aber Jahwe selbst in der Thora, daß er die Sünden der Väter heimsucht bis ins vierte Geschlecht, und der Prophet Ezechiel schreibt in seinem 18. Kapitel, daß das Wort Jahwes an ihn erging des Inhaltes: Daß ein Sohn nicht die Schuld des Vaters mittragen soll und ein Vater nicht die Schuld des Sohnes; nur die Seele, die sich verfehlt, solle sterben. Nach diesen zwei göttlichen Aussprüchen müßte die heutige Judenheit schon lange straffrei sein, um so mehr, da Christus selbst am Kreuze Gott gebeten, ihnen zu verzeihen. Auch haben die Juden in ihrer Verteidigung nicht unerwähnt gelassen, daß, wenn Christus am Kreuze sterben mußte, sie, d. h. jene ihrer Vorväter, welche die Kreuzigung durchgesetzt, die Mandatare Gottes gewesen seien und daß, wenn sie den Heiland nicht gekreuzigt hätten, das Erlösungswerk nicht vollbracht worden und alle Segnungen der Erlösung den Christen dann entgangen wären. Es gäbe heute im Himmel keine triumphierende Kirche. Ferner beriefen sie sich darauf, daß nach der christlichen Lehre die Juden sich bekehren werden am Ende der Zeiten, täten sie dies nun jetzt gleich, so könne diese Weissagung nicht in Erfüllung gehen. Würden sie sich heute alle bekehren, so stünde der Untergang der Welt unmittelbar bevor, was keinem Menschen angenehm zu wissen wäre. Also wäre sowohl der ihnen imputierte Gottesmord, als auch ihre gegenwärtige Verstockung eines Teiles ihres Volkes im Heilsplane vorausbestimmt gewesen und daher notwendig; daher seien sie nicht verantwortlich. Doch diese Ausreden haben ihnen, wie die Geschichte lehrt, gar nichts genützt. Denn die Christen gehen offenbar von dem Standpunkt aus, daß die Juden dadurch schon, daß sie Juden bleiben und sich nicht bekehren, den von ihren Vorvätern begangenen Gottesmord gewissermaßen gutheißen, was natürlich nicht von jenen gilt, die keinen Unterricht in der christlichen Lehre erhalten haben, oder erhalten konnten. Damit es nun keine Juden geben könne, die aus Unwissenheit im Aberglauben verbleiben, wurden im Mittelalter die Juden gezwungen, christlichen Religionsunterricht regelmäßig anzuhören. Dies geschah offenbar, um ihnen die Gelegenheit zu geben, die Lehren der christlichen Kirche kennen zu lernen, weil die Lehrer der Kirche überzeugt waren, daß dieselben derart überzeugend sind, daß ein jeder ehrlich denkende und fühlende Mensch sie annehmen müsse, sobald er sie nur kennen lernt und daß ein jeder Jude, der trotz gehöriger Unterweisung in denselben dennoch in seinem Unglauben verharre, nicht im schuldlosen, sondern im sträflichen Irrtum verstockt und böswillig verharre. Keinem bekehrten Juden dürfte wohl je der Vorwurf gemacht worden sein, ein Nachkomme der Gottesmörder zu sein; im Gegenteil, sie wurden, wenn man Gründe hatte, an die Aufrichtigkeit ihrer Bekehrung zu glauben, mit offenen Armen in die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Daraus folgt, daß die Christen den Juden subjektiv bloß den Unglauben und die Hartnäckigkeit ihrer Verstockung übelnahmen oder objektiv betrachtet, das Differieren von ihrer eigenen theologischen Meinung; den Gottesmord nur indirekt, insofern sie nämlich denselben durch Verstocktheit gewissermaßen billigten.
Das eigentliche Schlachtfeld der Diskussion zwischen Christen und Juden war naturgemäß die Frage der Messianität Jesu Christi. Die christlichen Prediger gingen vom richtigen Standpunkte aus, daß sie den blinden, verstockten, hartnäckigen Juden zuerst beibringen müßten, Christus sei tatsächlich der in den jüdischen heiligen Schriften vorausgesagte Messias gewesen; würden die Verblendeten das einmal begriffen haben, dann wäre für sie die weitere Partie gewonnen.
Die Juden aber, die im Besitze der heiligen Schriften des Alten Testamentes waren, konnten trotz des »liebevollen« Unterrichtes und der christlichen Unterweisung nicht recht begreifen. Sie waren offenbar schrecklich verstockt, so daß das Licht nicht in ihre Herzen eindringen konnte. Ihren liebevollen christlichen Lehrern stellten sie in arger Verblendung immer dieselben Gegenargumente entgegen, die wir hier kurz erwähnen wollen. Der Messias, sagten diese Blinden, kann noch nicht gekommen sein, da eine große Zahl messianischer Weissagungen in Christus und zu seiner Zeit nicht erfüllt worden seien. Diese Prophezeiungen sind:
Diese Weissagungen, sagen die bösen ungläubigen Juden, sind noch nicht erfüllt worden, und der Messias kann nicht erscheinen, bevor sie erfüllt sind. (Vgl. noch Daniel 2 und 7 und Jesaias 60, 62, 63.)
Zur Widerlegung der christlichen Lehre, daß die Weissagungen sich in Christo erfüllt hätten, führten die Juden ins Feld, daß jene Prophezeiungen, wenn nicht aus dem Text des Alten Testamentes willkürlich herausgehoben, sondern vielmehr im Kontext gelesen, sich gar nicht auf Christus beziehen können. Ferner, daß viele jener Weissagungen sich in Christus gar nicht erfüllt, sondern, daß erst von späteren christlichen Schriftstellern Lebensumstände Christi erfunden worden seien und zwar zu dem Zwecke, um seine Biographie mit verschiedenen Weissagungen in Übereinstimmung zu bringen. Kurz, die Juden verblieben so verstockt als nur möglich. Das beste Mittel blieb daher, ihnen das Leben recht unangenehm zu machen. Das Mittel war radikal, denn bei den Verfolgungen bekehrten sich oft Juden zu Hunderten, ja Tausenden – scheinbar natürlich – zum Christentum, durch Predigten und Unterweisungen aber nur sehr wenige.
Man kann sich denken, welch ein wütender Haß infolge der zahlreichen Verfolgungen, Schikanen, Ausnahmegesetze und Rechtsbeeinträchtigungen sich im Laufe der Zeiten lawinenartig in den Herzen der Juden anhäufen mußte. Es ist jedoch sicherlich über allen Zweifel erhaben, daß jener Haß nicht von allem Anfange an in gleicher Intensität vorhanden war, sondern, daß er im Laufe der Zeiten stets crescendo zugenommen hat. Renan schreibt, daß es gewiß ist, daß die erste christliche Generation durch und durch jüdisch war; sie dachte nicht daran, sich außerhalb der jüdischen Nation zu stellen, sie hielt sich für das wahre Judentum und unterschied sich von den Juden einzig und allein dadurch, daß sie glaubte, der Messias sei bereits und zwar in Christus erschienen. Sie dachten nicht daran, das jüdische Gesetz abzuschaffen, sie übten die Beschneidung, hielten die Speisegesetze, besuchten den Tempel, feierten die jüdischen Feste. Die Apokalypse des Johannes ist begeistert für die jüdische Nation. Die Epistel des Clemens Romanus ist ganz orthodox jüdisch, ebenso ist dies bei anderen christlichen Schriften jener Zeit, dem Testament der zwölf Patriarchen, Pastor Hermas und anderen der Fall. Erst zur Zeit Marc Aurels scheint sich der definitive Bruch vollzogen zu haben. In Antiochien, zur Zeit des Johannes Chrysostomus, pflegten die Christen bei vielen Gelegenheiten die Synagoge zu besuchen, sie leisteten dort ihre Eide auf die Schrift, sie feierten das Osterfest mit den Juden. Es ist heute die Überzeugung der freien Wissenschaft, daß es der Apostel Paulus und seine Partei war, der das Christentum zu dem gemacht hat, was es ist, indem er die Abschaffung der Beschneidung und des jüdischen Zeremonialgesetzes durchdrückte, wodurch erst das Christentum aufhörte eine jüdische Sekte zu sein.
Durch die Dekrete des Konzils zu Illiberis wurde den Christen verboten, mit Juden zu verkehren, mit ihnen Eheverbindungen einzugehen und die Feldfrüchte von ihnen segnen zu lassen. Im Konzil zu Vannes wurde den christlichen Priestern verboten, an jüdischen Gastmählern teilzunehmen, woraus klar hervorgeht, daß damals der Verkehr zwischen Christen und Juden ein freundschaftlicher war. Selbst unter Heinrich dem Heiligen, bemerkt W. Roscher, konnte ein herzoglicher Kaplan zum Judentum übertreten, »ohne andere Strafe, als die einer gelehrten Widerlegung«. Nichts ist unrichtiger, als sich den Bruch zwischen Judentum und Christentum als etwas Plötzliches vorzustellen. Er hat sich sehr allmählich vollzogen. Doch ist dies die Ansicht der freien Wissenschaft, nicht aber der gläubigen.
Paulus war für das junge Christentum, was Omar für den Islam war. Der Boden für die Verbreitung des Christentums war gut vorbereitet durch die Gleichgültigkeit und die Toleranz der zahlreichen griechisch-jüdischen Gemeinden in Alexandrien, Syrien und Kleinasien und durch den Abscheu, den die gebildeten Griechen und Römer vor dem entarteten Heidentum empfanden. Auf diesem Boden erschien Paulus. Er erklärte die Beobachtungen der jüdischen Religionsvorschriften und besonders die Beschneidung für abgeschafft.
Hierzu kam, daß die Zerstörung des Tempels von vielen kleingläubigen Juden gewissermaßen als das Ende der jüdischen Nation betrachtet wurde und daß sie durch dieselbe den Glauben an ihre Religion verloren.
Kaiser Vespasian hatte die ehemalige Tempelsteuer in eine Art Leibzoll verwandelt, welcher die Juden hart bedrückte, so daß viele, um sich derselben zu entziehen, den jüdischen Glauben verleugneten, ja sich sogar eine falsche Vorhaut machten. Es scheint, daß der ganze Essäerorden und alle Jünger Johannes des Täufers in jener Zeit zum Christentum übertraten. So sehen wir denn schon in der apostolischen Zeit im jungen Christentume zwei große Parteien um die Herrschaft ringen; die Judenchristen und die Heidenchristen, die Judenchristen mit dem Judentum eng verknüpft, beobachteten streng das jüdische Gesetz eingedenk der Worte Christi, daß er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen und daß eher Himmel und Erde vergehen werden, als ein Jota vom Gesetze, und die Heidenchristen, welche das Gesetz des Moses für abgeschafft erklärten. Hier verdient die Hypothese des C. F. Bauer, des Begründers der Tübinger Schule, erwähnt zu werden, daß der in der apostolischen Zeit erwähnte Zauberer Simon Magus keinen andern bezeichnen soll, als den Apostel Paulus. Die Heidenchristen scheinen für eine Nachgiebigkeit gegen das heidnische Rom gewesen zu sein; die Judenchristen dagegen.
Der Kirchenvater Augustinus sagt, das jüdische Volk sei wie Kain, der auf der Stirne ein Zeichen bekommen, damit er nicht getötet werden könne, und das unter die Völker zerstreut worden, um als Zeuge zu dienen für die Wahrheit der Schrift, die das Heil in Christo vorausgesagt. Das jüdische Volk sei offenbar dazu gemacht, dem Messias als Zeuge zu dienen. Bossuet schreibt folgendes: »Gott hat ein Mittel gefunden, welches als einziges Beispiel in der Welt dasteht, die Juden außerhalb ihres Landes und in ihrer Vernichtung zu bewahren, und zwar länger als jene Völker, die sie besiegt haben. Man sieht keine Spuren mehr von den alten Assyriern, den alten Medern, den alten Persern, den alten Griechen, den alten Römern. Ihre Spuren haben sich verloren, und sie sind in den anderen Völkern aufgegangen. Die Juden, welche die Beute waren der anderen Völker, die in der Geschichte so berühmt gewesen, haben dieselben überlebt.« Der Abbé Bauer in seiner Broschüre: »Das Judentum als Beweis des Christentums« schreibt wie folgt: »Seit dem Sturze des assyrischen und medischen Reiches bis zu den Ruinen von Karthago, seit dem Sturze von Rom, von Babylon und Ninive bis zum Verschwinden der Westgoten, der Longobarden und der Hunnen, bestätigen alle toten Völker dasselbe Gesetz in derselben Erscheinung, denselben Untergang in demselben Verschwinden. Ein Volk, und zwar ein einziges, seit die Völker die Geschichte machen und die Geschichte Völker auflöst, ein einziges Volk, sage ich, gibt bis heute unter unseren Blicken diesem universellen Gesetze ein unfaßbares und kategorisches Dementi, und dieses Volk ist das jüdische. Einzig und allein unter allen Völkern des Weltalls hat das jüdische Volk sein politisches Element verloren, aber sein soziales und religiöses Element bewahrt, sogar seine Physiognomie. Dies ist eine Tatsache, die niemand leugnen kann, die der Gemeine (le vulgaire) seltsam nennt, die für den Denker ein Staunen, für den Geschichtschreiber ein Rätsel ist, die aber nur der Christ, erleuchtet von einem Lichte, das von höher kommt als von Menschen, bei seinem wahren Namen nennen kann; es heißt: »Ein Wunder!«
Ich aber sage zu dieser Theorie, die seit Jahrhunderten immer wieder aufgetischt wird, Sancta simplicitas! Ist es möglich, so etwas zu schreiben? so unwissend zu sein? Oder soll der Leser etwa mystifiziert werden? Studiert doch erst die Geschichte! Erst wenn ein Mensch, was natürlich unmöglich ist, alle Ereignisse der Geschichte, alle Gesetze der Natur samt allen ihren wirklichen und bloß möglichen Verkettungen im Kopfe hätte, also ein übermenschliches Wissen besäße, dann erst könnte er von einer gegebenen Erscheinung sagen: Das ist ein Wunder! Hier aber gilt Goethes Wort: »Von einem Wunder keine Spur!«
Es gibt ein zweites Volk, das einst Jahrhunderte als Großmacht bestanden hat, das erobert wurde, seine Existenz als Staat verlor, in alle Welt zerstreut wurde, seinen Glauben, seine Nationalität und seine Sitten aber bis heute in der Zerstreuung bewahrt hat, und dieses Volk sind, was jeder Gebildete wissen sollte, die Parsis.
Nach der Sage erlosch in Persien im Augenblicke, in welchem Amina im Jahre 570 n. Chr. dem Propheten Mohammed in Mekka das Leben gab, das heilige Feuer der Magier plötzlich, nachdem es über tausend Jahre gebrannt. In Ktesiphon floß der See Sawa von unten ab und der Palast des Chosroes Anurshivan wurde durch ein Erdbeben derart erschüttert, daß 14 seiner Zinnen zusammenbrachen. Der Oberpriester (Mobed) der persischen Magier sah im Traume ein fremdes Volk auf Kamelen und arabischen Pferden den Tigris überschreiten und sich in Persiens Gefilde ergießen. Hadji Rahmet Ullah aus Delhi schreibt in seinem berühmten Werke, Iddhar ul Hakk, Chosroes habe den Abdul Masih zum Seher Satih entsandt, damit er ihm diese Zeichen und Wunder erkläre. Satih, der damals im Sterben gelegen, soll auf die Fragen des Schah folgendes geantwortet haben: »Wenn die Rezitation (des Gottesbekenntnisses) häufig werden wird, wenn der Mann mit dem Stabe (Mohammed) erscheinen wird, wenn der See Sawa austrocknen und das Feuer von Persien erlöschen wird, dann wird Babel nicht mehr ein Wohnort für die Perser, noch Damaskus ein Ruheort für Satih sein, es werden Könige und Königinnen in gleicher Zahl, wie die der eingestürzten Zinnen, regieren; was geschehen muß, wird geschehen.« Mit diesen Worten starb Satih. Als Chosroes Kunde von dieser Weissagung erhielt, soll er ausgerufen haben: »Bis 14 Könige regiert haben werden, ist noch eine lange Zeit!« Aber es folgten sich 10 Könige in vier Jahren, die anderen regierten bis zum Chalifate Othmans, in dessen Regierungszeit der letzte persische König Jezdedjerd starb. Eine Tochter dieses unglücklichen Schahs, Shahrabanu, war im Harem von Mohammeds Enkel Hussein; die Muslims sehen hierin eine Erfüllung der Prophezeiung des 45. Psalmes: »Töchter von Königen sind unter deinen geliebten Frauen.«
Im Jahre 628 schrieb Mohammed an den Negus von Abessynien, an den byzantinischen Kaiser Heraklius und an Chosroes Parviz, König von Persien, Briefe, in welchen er sie aufforderte, den Islam anzunehmen. Der persische Schah zerriß den Brief, wurde mit dem Überbringer des Prophetenschreibens Abdullah Ben Hudaqah grob und ließ den Brief unbeantwortet. Als Mohammed dies erfuhr, soll er ausgerufen haben: »Gott möge sein Reich zertrümmern!« Der Schah gab seinem Vizekönig Badau den Auftrag, durch zwei diskrete Kumpans dem Mohammed auflauern zu lassen, sich seiner zu bemächtigen und ihn vor seinen Thron zu bringen, ein Plan, der nicht gelang.
Die nun folgenden Details über die Parsis sind größtenteils den beiden Werken »Les Parsis« von Ménant, Paris 1898, und »History of the Parsis« von Dosabhai Framji Karaka, London 1884, entnommen.
Im Jahre 641 siegten die Araber in der Schlacht bei Nehavend und Persien war erobert, die Dynastie der Sassaniden war zu Ende, die Weissagungen waren erfüllt!
Dreißigtausend Perser blieben auf dem Schlachtfelde, achtzigtausend kamen in einem Wassergraben um. Der Sieger stellte den Besiegten die Wahl zwischen Annahme des Islams oder Auswanderung. Ob und wie viele Perser damals den Märtyrertod starben, ist nicht bekannt. Karaka erwähnt in seiner Geschichte nur einen einzigen Märtyrer des Zoroaster-Glaubens, Kamaji Homaji, der 1702 in Broatsch von Nawab Ahmed Bey vor die Wahl gestellt, Muselmann oder geköpft zu werden, das letztere vorzog und heldenmütig starb.
Persien wurde eine Provinz des Kalifenreiches. Die Mohammedaner erblicken im Schicksal Persiens eine gerechte Strafe des Himmels. Zeichen, Wunder und Weissagungen haben, wie sie sagen, die Ankunft ihres Propheten und seine göttliche Sendung vorausgekündigt und bestätigt. Mohammed hatte den Schah von Persien aufgefordert, den Islam anzunehmen, und ihm für diesen Fall Thron und Herrschaft garantiert, aber der Schah blieb hartnäckig und verstockt trotz der Zeichen, Wunder und Weissagungen.
So brach denn das Verhängnis herein. Ein großer Teil der Perser nahm, gewaltsam gezwungen, den Islam an, ein bedeutender Teil von ihnen jedoch zog es vor, auszuwandern und alles zu verlassen, um ihrem angestammten Glauben treu zu bleiben. Sie zogen nach Indien und zwar zuerst nach Sanyan, von wo aus sie sich in verschiedene Länder Indiens zerstreuten. Nur ein geringer Teil der Bevölkerung, welcher seiner Religion treu geblieben, blieb in Persien in den Provinzen Fars und Chorassan, wo er von Seite der Mohammedaner jeder Art von Mißhandlungen ausgesetzt war.
Die Parsiweiber in Persien zeichnen sich durch die hervorragende Keuschheit ihres Lebens, die Männer durch ihre Moralität aus, infolge deren sie mit Vorliebe zu Arbeiten in den Gärten des Schah verwendet werden.
Unter Nadir-Schah wurde den Unglücklichen wieder die Alternative gestellt, sich entweder zum Islam zu bekehren oder zu sterben. Ein großer Teil von ihnen wurde umgebracht, andere bekehrten sich, ihre Quartiere wurden zerstört.
Der Afgane Aga-Mohammed-Khan verfluchten Angedenkens – eroberte im Jahre 1494 die Stadt Kirman, in welcher viele Parsis lebten. Die Geschichte berichtet, daß der Sieger sich auf Schüsseln 35000 Paare menschlicher Augen bringen ließ. Im kleinen Dorfe Bam wurde Luftalikhan gefangen genommen und Aga-Mohammed vorgeführt, welch letzterer dem Unglücklichen, bevor er ihn töten ließ, mit eigener Hand die Augen ausriß. Noch im Jahre 1810 sah Sir H. Rottinger eine Pyramide von 600 Schädeln, welche damals zu Ehren des Siegers Aga-Mohammed aufgerichtet worden war. Natürlich wurden auch die Bücher der Parsis verbrannt. So fristete die unglückselige Gemeinde ein elendes Dasein bis zum Jahre 1854, in welchem Jahre die Parsis in Bombay sich entschlossen, auf diplomatischem Wege ihren unglücklichen Stammes- und Glaubensgenossen in Persien zu Hilfe zu kommen durch die Mittel des Persian Zoroastrian Amelioration Fund, eine Gesellschaft, die lebhaft an die Alliance Israélite erinnert. Dank den Bemühungen des Komitees, die auch von England unterstützt wurden, befreite der Schah Nasreddin im Jahre 1882 die Parsis Persiens von der drückenden Jazia-Steuer, die sie als Ungläubige bisher zu zahlen verpflichtet waren.
Dank ihrem Fleiße und ihrer Tüchtigkeit brachten es die Parsis in Indien mit der Zeit zu hoher Bildung und Kultur. Von 1872–1881 hat die Parsibevölkerung in Indien um zehn Prozent zugenommen. Sie haben sich eines bedeutenden Teiles des indischen Handels bemächtigt. Unter den 9584 Bettlern Bombays, welche die Volkszählung vom Jahre 1881 notierte, waren nur sechs Parsis. Diese Arier zeigen eine große Abneigung gegen Ackerbau und besonders gegen den Militärdienst, obwohl die Perser bekanntlich in früheren Jahrhunderten dem Ackerbau ergeben und kriegerisch waren. Aus Bauern wurden sie mit der Zeit Städter und Kaufleute, sie halten sich und mit Recht für das gebildetste und fortgeschrittenste Volk des ganzen indischen Kaiserreiches, sie sind jedenfalls von allen Indiern diejenigen, die dem Europäer am nächsten stehen, obwohl sie einen Teil der indischen Sitten angenommen haben. Auch unter ihnen gibt es, wie bei den Juden und auch anderswo zwei große Sekten, die Orthodoxen und die Reformierten. Die Parsis sind mäßig, trinken wenig, verabscheuen die Trunkenheit, dagegen kennen sie keine Askese. Auch in Indien zeichnen sich die Frauen der Parsis durch ihre Keuschheit aus. Mädchen schlechten Lebenswandels kommen bei ihnen nie vor. Heiraten ist ihnen zur Pflicht gemacht. Monogamie ist bei ihnen Regel. Sie haben viele Schulen gegründet und stets der Erziehung und Bildung die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Fast jeder Parsi spricht Englisch.
Noch am Anfange dieses Des XIX. (A. d. H.). Jahrhunderts war der Parsi im Handel von den Europäern in einer gewissen Abhängigkeit; heute ist er seinesgleichen. Sie zeichnen sich ferner durch große Wohltätigkeit und durch ihre Treue gegen England aus. Einige von ihnen sind bereits in den englischen Adelsstand erhoben, – einer von ihnen, Sir Dinsha Manakji, wurde im Jahre 1890 englischer Baronet – das Gebiet, auf welchem sie zerstreut sind, ist ein sehr ausgedehntes; man findet ihre Handelshäuser nicht nur im ganzen indischen Reich, sondern auch in Südarabien, namentlich in Aden, in Ceylon, Singapore, der Mozambique-Küste, in Zanzibar, Madagaskar, seit 1853 auch in China, Canton, Macao-Honkong, sogar in Australien.
Daß auch sie von Handelseifersucht zu leiden hatten, erhellt aus einem Werke von Mandelslo, der sie am Ende des 17. Jahrhunderts kennen lernte und unter anderm folgendes über sie schreibt: »Es fehlt ihnen Offenherzigkeit und Ehrlichkeit, man muß daher sehr acht geben, wenn man mit ihnen geschäftlich zu tun hat; es gibt kaum eine Ware, die sie nicht verschlechtern, und sie versuchen, bei jedem Geschäft den Gegner zu überlisten. Dies wissen die Holländer und Engländer aus Erfahrung, daher bedienen sie sich solcher Leute, um durch dieselben die Kniffe ihrer Stammesgenossen zu entdecken. Es gibt kein Geschäft, in das sie sich nicht hineinmischen, und keine Ware, mit der sie nicht Handel treiben.« Sie waren die ersten, welche in Indien die Branntweinbrennerei eingeführt haben. Seit Mandelslos Reise sind mehr als zwei Jahrhunderte vergangen. Dank der englischen Freiheit, der Bildung, dem Studium und der Arbeit sind sie aus einem kleinen ungebildeten, im ganzen indischen Reich zerstreuten, verachteten Völkchen auf den hohen Stand von Kultur emporgestiegen, auf welchem sie sich heute befinden. Sie sind die ehrlichsten Kaufleute in Indien geworden, offenbar, weil sie infolge der Bildung eingesehen haben, daß auch im Handel Ehrlichkeit und Treue einen Geschäftsmann besser vorwärts bringen, als Unehrlichkeit, weil der Kaufmann häufig des Kredites bedarf, welcher dem ehrlichen viel leichter bewilligt wird, als dem unehrlichen. Wie die Juden haben die Parsis ihre heiligen Schriften, die Zendavesta und den Vendidad, die in der Zendsprache geschrieben sind und nur von sehr wenigen Parsis verstanden werden; ihre Sitten und Gebräuche bei Geburten, Hochzeiten, Todesfällen, Begräbnissen usw. haben sie treu bewahrt und sind nie in die anderen Völker Indiens aufgegangen.
Aus dieser Darstellung wolle der geehrte Leser entnehmen, wie außerordentlich groß die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Völkern, den Juden und den Parsis, ist. Sehr viele der von mir hier angeführten Details aus der Geschichte der Parsis haben ihr Gegenstück in der Geschichte der Juden. Ja, es ist sogar physisch zwischen ihnen eine auffallende Ähnlichkeit. Wie man in einigen Teilen Europas – Polen, Ungarn, Galizien, namentlich in kleinen Dörfern am Land – fast in allem und jedem auf den Dorfjuden angewiesen ist, geradeso ist es in Indien und teilweise in Südarabien mit Bezug auf die Parsis der Fall. Der Parsi ist dort, was bei uns der Jude ist, er hat ein kleines Wirtshaus mit Zimmern und verkauft dem reisenden Europäer alles, was dieser benötigt, wie ich dies aus Erfahrung weiß und auf meinen Reisen in Indien wiederholt zu beobachten Gelegenheit hatte. Auch sie sind in fast der ganzen Welt zerstreut, ohne Land, das ihnen weggenommen wurde. Wie die Juden hatten auch die Parsis von ihren Eroberern namenlos zu leiden, wie die Juden hingen sie stets treu am angestammten Glauben, wie jene die Sprachen der Völker, unter denen sie wohnten, annahmen (Spanisch, Deutsch), so die Parsis Guzerati. Wie die Juden ihre Rabbiner, so hatten die Parsis ihren Panchayet. Wie jene, so zeichnen sie sich aus durch Wohltätigkeit und Bildungsdrang und erwarten alles vom Fortschritt und der Zivilisation, der sie, wie auch jene, ihre Gleichstellung verdanken. Wie bei jenen fällt der Begriff ihrer Nationalität mit dem ihrer Religion genau zusammen.
Auch die Zigeuner sind ein Volk, welches angeblich infolge einer von ihren Vorvätern begangenen Sünde über alle Welt zerstreut ist und dabei seine Sitten, Sprache, Gebräuche, also die Hauptmomente der Nationalität bewahrt hat.
Selbst die Armenier stellen ein uraltes Volk vor, das einst einen mächtigen Staat bildete, der zerstört wurde. Die Armenier finden sich unter vielen Völkern zerstreut, haben jedoch Sprache, Alphabet, Sitten, Gebräuche, ihre Religion und Nationalität trotz furchtbarer Verfolgungen treu bewahrt. Es ließen sich noch zahlreiche Parallelen dieser Art nachweisen, doch das Gesagte dürfte genügen, um die abgeschmackte Behauptung Bossuets und so vieler Anderer für immer zum Schweigen zu verurteilen.
Betrachten wir nun die Geschichte des Antisemitismus vom Zeitpunkte an, in welchem das Christentum zur Macht gelangt, also von der Regierungszeit Konstantins an. Noch vor seiner Bekehrung war er in erster Linie darauf bedacht, Religionsverfolgungen in seinem Reiche ein Ende zu machen. Er erließ im Jahre 312 das Toleranzedikt von Mailand, wonach ein Jeder sich frei und unbehelligt zu einer Religion bekennen konnte, ohne in die Acht zu geraten. In dieser Toleranz waren die Juden inbegriffen, sie erfreuten sich derselben Rechte wie die Christen. Doch das änderte sich bald und zwar, je mehr Konstantin sich dem Christentum näherte. Merkwürdig fürwahr, wenn man bedenkt, daß der Antisemitismus mit der Religion gar nichts zu tun hat, wie die Antisemiten behaupten. Schon im Jahre 320 verbietet Hosius, der Bischof von Kordova, auf der Kirchensynode von Elvira den Christen den gemütlichen Verkehr mit Juden. Das Judentum wird eine schädliche, ruchlose, gottlose Sekte genannt; ein kaiserliches Dekret verbietet den Juden Proselyten zu machen und droht dem Neuaufzunehmenden mit Strafen. Es wird den Juden verboten, ihre zum Christentum übergehenden Glaubensgenossen zu bestrafen, und der Feuertod angedroht für die Insultierung jüdischer Apostaten. Im Jahre 325 war das erste allgemeine Konzil in Nizaea; auf demselben wird bestimmt, daß das Osterfest nicht mehr gleichzeitig mit den Juden gefeiert werden soll. Konstantin erneuerte die Verordnung Hadrians, daß kein Jude in Jerusalem wohnen dürfe. Nur am Tage der Zerstörung Jerusalems dürfen jüdische Pilger an der salomonischen Tempelmauer beten. Ein neues Gesetz verbietet den Juden, ihre Sklaven zu beschneiden; tun sie es doch, so wird der Sklave dadurch frei.
Grätz bemerkt: Das erste Wort, welches das Christentum gleich am ersten Tage seines Sieges aussprach, zeugte von feindlicher Haltung gegen das Judentum, und daraus flossen jene feindseligen Dekrete Konstantins und seiner Nachfolger, welche den Grund zu den blutigen Verfolgungen der künftigen Jahrhunderte legten.
Unter Konstantius wird es für die Juden noch ungemütlicher; jüdische Gesetzeslehrer werden exiliert, mehrere wandern nach Babylonien aus. Auf Eheverbindungen zwischen Juden und Christen setzt Konstantius die Todesstrafe, ebenso auf die Beschneidung eines christlichen Sklaven. Er verbietet die Aufnahme heidnischer Sklaven ins Judenthum. Infolge dieser Ausnahmegesetze versuchten die Juden einen neuen Aufstand, der fehlschlug. Schließlich verfügte Konstantius, daß, wenn ein Christ sich den »gotteslästerlichen« jüdischen Gemeinden anschließt, sein Vermögen konfisziert werden soll.
Zur Zeit des Kaisers Julian, des »Apostaten«, der das alte klassische Heidentum wiederherstellen wollte und dem Christentum außerordentlich unfreundlich gesinnt war, geht es den Juden auf einmal wieder gut, obwohl Antisemitismus mit der Religion gar nichts zu tun haben soll. Julian bevorzugte das Judentum bei jeder Gelegenheit, war ein Bewunderer der jüdischen Mildtätigkeit, ihrer Vorsorge für die Armen, infolge deren es unter ihnen keine Bettler gab. In dieser Zeit sollen die Christen in Edessa sämtliche Juden der Stadt massakriert haben, die Juden wieder zerstörten Kirchen in Judäa und den Nachbarländern und sollen gedroht haben, den Christen so viel Böses zuzufügen, als sie von christlichen Kaisern erlitten. In die Regierungszeit Julians fällt die Geschichte vom verunglückten Versuch, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen.
Die Vereitelung dieser Absicht durch angebliche Naturereignisse führten die Christen auf ein Wunder, Julian und die Juden aber auf einen von den Christen angelegten unterirdischen Brand zurück. Welche von diesen beiden Versionen die wahrscheinlichere ist, möge der geehrte Leser selbst beurteilen. Merkwürdig ist immerhin, daß, wie Theodor Roth behauptet, die Juden trotz dieses Wunders in ihrer Verstocktheit verharrten.
Bald, nachdem Kaiser Julian »der Apostat« die Augen geschlossen, begannen neue Judenverfolgungen. Am Ende des 4. Jahrhunderts traten zwei Kirchenväter auf, die den Juden sehr feindlich gesinnt waren; Johannes Chrysostomus von Antiochien und Ambrosius von Mailand. Ersterer schrieb sechs Reden gegen die Juden und nannte ihre Synagogen schändliche Theater, Räuberhöhlen usw. Auch Ambrosius sagte ihnen wenig Liebenswürdiges.
Mit Kaiser Theodosius II, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n.Chr. regierte, beginnt, wie Grätz sich ausdrückt, für die Juden das eigentliche Mittelalter.
Der Bischof Cyrill vertrieb die Juden aus Alexandrien infolge einer Rauferei zwischen Christen und Juden. In der Stadt Magona auf der Insel Minorka verbrannte Bischof Severus die jüdische Synagoge und versuchte, die dortigen Juden gewaltsam zu Christen zu bekehren. In Spanien versammelte Bischof Osius von Kordova eine Kirchenversammlung in Illiberis, auf welcher den Christen bei Strafe der Exkommunikation verboten wurde, mit Juden zu verkehren, mit ihnen Eheverbindungen einzugehen und Feldfrüchte von ihnen segnen zu lassen. Aus diesen Forderungen ging klar hervor, daß bis zu jener Zeit die Beziehungen zwischen Christen und Juden freundschaftliche waren, daß also Eheverbindungen zwischen ihnen vorkamen, daß Christen ihre Feldfrüchte durch Juden segnen ließen und daß es die Geistlichkeit war, die aus Fürsorge für die christliche Rechtgläubigkeit das gute Einvernehmen gestört hat. Viele der ihrer Religion treu gebliebenen Juden Magonas flohen in die Wildnisse, wo sie eines elenden Todes starben.
Als Kaiser Theodosius befohlen hatte, die den Juden geraubten Synagogen zurückzuerstatten, war es der Säulenheilige Simon, der den Kaiser veranlaßte, diesen Befehl rückgängig zu machen. Am Ende der Regierung dieses Kaisers wurden Juden zu keinem Staatsamte, zu keiner militärischen Würde zugelassen. Auch eignete sich der Kaiser die Patriarchensteuer zu, zum großen Ärger der Judenheit. Um jene Zeit schrieb der heilige Hieronymus in seinem Schreiben gegen Raphinus II.: »Wenn es erforderlich ist, die Einzelnen und das Volk zu verachten, so verabscheue ich mit einem unnennbaren Hasse die Juden, denn sie verfluchen noch heute unseren Herrn in ihren Synagogen.« Auch der heilige Augustinus war den Juden das Gegenteil von grün gesinnt.
In Byzanz wurden die Juden als Gottesmörder gebrandmarkt. »Trotzdem schlug man sie nicht tot,« bemerkt Grätz, »sondern duldete sie, um sie zu entwürdigen, sie elend und verkümmert zu machen, damit sie als abschreckendes Beispiel ihrer gottesmörderischen Tat dastehen sollten.«
Als Kaiser Zeno Nachricht erhielt, daß bei einer Rauferei im Rennbahnspiel die Partei der Grünen unter anderen auch viele Juden ermordet und ihre Leichen ins Feuer geworfen, bemerkte er: »Die Grünen seien nur deswegen strafbar, weil sie nur die toten und nicht auch die lebenden Juden verbrannt haben.« Dieselbe Partei der Grünen zerstörte in Daphne in der Nähe von Antiochien eine Synagoge und massakrierte die in derselben versammelten Beter (507).
Ein großer Feind der Juden war der große Kaiser Justinian. Er ist der Urheber des Gesetzes, daß jüdischen Zeugen keine Glaubenswürdigkeit beizumessen sei in Aussagen gegen Christen. Das Zeugnis der Samaritaner sollte aber gar keine Gültigkeit haben. Auch untersagte er ihnen, über ihr Vermögen zu testieren. Justinian verbot den Juden, am Passahfeste Gottesdienst zu halten, so oft dieses Fest mit den christlichen Ostern zusammentraf, damit es nicht den Anschein habe, als feierten Christen jüdische Ostern. Auch zwang er die jüdischen Gemeinden, sich bei den jüdischen Vorlesungen am Sabbath in der Synagoge einer griechischen oder lateinischen Übersetzung der heiligen Schrift zu bedienen, und verbot die agadische Auslegung derselben. Es ist offenbar, daß er hiermit nur Bekehrungszwecke verfolgte und daß sein Antisemitismus nur aus der Religion entsprang.
Es wurde den Juden verboten, in den Synagogen den Satz des Einheitsbekenntnisses auszusprechen, weil man darin einen Widerspruch gegen die Dreieinigkeitslehre erblickte. Ebenso aus ähnlichen Gründen wurde ihnen das Sprechen des Verses: »Heilig, heilig, heilig, ist der Herr Zebaoth« verboten; auch durften sie nicht an Sabbaten gewisse Kapitel aus dem Propheten Jesaias öffentlich lesen und interpretieren. In der Stadt Borion in Mauretanien zwang Justinan die Juden, sich taufen zu lassen, und verwandelte ihre Synagoge in eine Kirche.
In Cäsarea metzelten die Juden ihre christlichen Gegner nieder und zerstörten die Kirche.
In Antiochien überfielen Juden ihre christlichen Nachbarn, töteten jene, die sie kriegen konnten, und warfen sie ins Feuer, geradeso, wie die Christen es seiner Zeit mit den Juden getan hatten. Kaiser Phokas schickte den Statthalter Bonosus, um die Ruhe herzustellen, was ihm auch bald gelang. Es ist erklärlich, daß im byzantinischen Kaiserreiche die Juden für die Christen wenig Sympathien haben konnten.
Als zur Regierungszeit des Kaisers Heraklius ein Krieg mit Persien entbrannte und der persische König Chosru II. seinen Feldherrn Scharbarza gegen Palästina schickte, welchem es gelang, Jerusalem im Sturm zu nehmen, hielten es die Juden mit den Persern gegen die Byzantiner, massakrierten 90 000 Christen, zerstörten die christlichen Heiligtümer und äscherten Kirchen und Klöster ein. Grätz bemerkt dazu: »In einer Zeit, wo die Religion die Köpfe benebelt und die Herzen ausgetrocknet hatte, war bei keiner Religionspartei Menschlichkeit anzutreffen. Religionseifer und Rachegefühl fanatisierten die Juden, die Gegenstände der Entweihung aus der heiligen Stadt verschwinden zu lassen.« In Tyrus überfielen die Juden die Christen in der Osternacht, um sie zu massakrieren, und es entstanden großartige Raufereien mit und ohne Blutvergießen. Grätz erzählt, daß, so oft christliche Tyrier die Nachricht von der Zerstörung einer Kirche erhielten, sie jedes Mal hundert von den gefangenen Juden töteten und ihre Köpfe über die Mauer warfen.
Im Jahre 628 wurde Judäa eine byzantinische Provinz. Als Kaiser Heraklius in Jerusalem einzog, verlangten, wie Grätz behauptet, die Mönche und der Patriarch Modestus von ihm, er möge alle Juden Palästinas ausrotten. Anfangs wollte Heraklius diesem Wunsche nicht nachkommen, ließ sich jedoch schließlich bereden, eine Hetzjagd auf Juden in ganz Palästina anzustellen und alle jene niederzumachen, die er erwischen konnte. Heraklius erneuerte das Edikt Hadrians und Konstantins, daß die Juden Jerusalem und dessen Weichbild nicht mehr betreten dürfen; er soll auf astrologischem Wege erfahren haben, daß das byzantinische Kaiserreich durch ein beschnittenes Volk vernichtet werden sollte. Da der Astrologe sich jedoch nicht deutlicher ausgesprochen, glaubte Heraklius, daß der Untergang von den Juden drohe, und soll daher den Befehl gegeben haben, alle Juden zu vernichten, ausgenommen jene, die sich taufen lassen würden. Nach einer Sage soll er sogar dem fränkischen König Dagobert einen Brief geschrieben und ihm geraten haben, alle Juden umzubringen, die sich nicht zum Christentum würden bekehren wollen. Im Jahre 641 versuchten die Juden sogar die Sophienkirche zu stürmen.
Also die Taufe war das einzige Mittel der Rettung, und da behaupten die Antisemiten, daß der Antisemitismus mit der Religion gar nichts zu tun habe.
Theodorich, König der Ostgoten, wünschte auch sehnsüchtig die Bekehrung der Juden. Er verbot den Juden, neue Synagogen zu bauen und alte zu schmücken. Im übrigen war er jedoch für die Juden gerecht. Grätz bemerkt: Es wirft ein günstiges Licht auf die italienischen Juden dieser Zeit, daß trotz der allgemeinen Verwilderung und Entsittlichung die politische und kirchliche Literatur ihnen kein anderes Verbrechen zur Last legt, als Verstocktheit und Unglauben.
Cassiodor, der in jener Zeit lebte, titulierte die Juden: »Skorpione und Löwen, wilde Esel, Hunde, Einhörner.« Papst Gregor I. der Große verbot den Christen, die Juden mit Gewaltmitteln zu bekehren; nur durch Sanftmut und Überredung sollten sie in den Schoß der Kirche geführt werden. Er verbot, die Juden zu belästigen, untersagte ihnen nur den Kauf und die Haltung christlicher Sklaven. Im fränkischen Reich lebten anfangs Christen und Juden in bester Freundschaft. Erst im Konzilium zu Vannes (465) wurde es den christlichen Geistlichen verboten, an jüdischen Gastmählern teilzunehmen, weil Juden, die bei Christen geladen waren, infolge ihrer religiösen Vorschriften nicht alle Speisen genießen wollten. Das Konzilium von Agdes (506) erneuerte diese Vorschrift. Beide Dekrete wurden aber wenig beachtet, was jedenfalls zugunsten der Vortrefflichkeit der jüdischen Küche in jener Zeit zu sprechen scheint. Das Konzil zu Epaone unter der Leitung des Bischofs Avitus verbot auch den Laien die Teilnahme an jüdischen Gastmählern, das Konzil von Orleans (533) anfangs nur den Ehebund.
Das vierte Konzil zu Orleans (538 und 545) verbot den Juden, sich während der Osterfeier auf Straßen und Plätzen sehen zu lassen. Bischof Avitus in Clermont stellte den Juden der dortigen Gemeinde die Alternative, sich taufen zu lassen oder auszuwandern. Es entstand eine Rauferei, bei welcher viele Juden ermordet wurden (576). Ein damals vom Dichter Venantius Fortunatus verfaßtes Gedicht lautet wie folgt:
Arger Zwist gärte damals im Schoß der Avernergemeinde,
Die vereint in der Stadt, aber im Glauben entzweit;
Ekler Judengeruch war Christi Getreuen zuwider,
Ein ungläubiger Stamm Ärgernis gläubigem Volk:
Stolzer Nacken, er will des Herrn Joch nicht ertragen,
Aufgeblähtem Gemüt schwillt gar so eitel der Kamm.
Oft zwar hat sie ermahnt in des Herren Liebe der Priester,
Daß der Bekehrten Saat sprieße zum Himmel empor;
Aber es hält ein Schleier den Geist mit Düster umfangen,
Daß ihr schändlicher Blick nimmer erschaue das Licht.
Nun ist gekommen der Tag, da der Herr zum Himmel hinauf fuhr,
Und der Menschensohn zog nach den Bahnen des Heils:
Da zerstöret das Volk, vom Glauben entflammt, der Juden
Synagoge – und wüst siehst du den Ort, wo sie stand!
So zur Zeit, wo Christi Macht in den Himmel emporstieg,
Stürzt, da Er sich erhebt, tief das verhaßte Geschlecht.
Aber zu Mosis abtrünnigem Volk spricht also der Priester
Sanft – es hatte der Zorn heftig gereizt ihr Gemüt:
»Sieh', was tust du, du Judenvolk, unbelehret, ob alt auch?
Daß du dein Leben erneu'st, lerne zu glauben als Greis!
Doch die Rede wird lang, und kurz ist die Zeit; nun so höre:
Folge dem bittenden Wort, sonst so ziehe hinweg,
Hier zwingt keine Gewalt! So pfleget denn Rat nach Belieben,
Folgt mir, dem Hirten, und bleibt – folgt der Verstocktheit und flieht!«
So sprach milde und fromm des Priesters Mund zu den Leuten,
Daß nach eigener Wahl jeglicher ziehe den Pfad.
Doch blind, wütend, empört, tobt wild die Judengemeinde,
Sammelt sich, birgt sich sodann drinnen im sichern Haus.
Christi Gläubige sehen die Bastardrotten sich scharen,
Hurtig sind sie am Platz, ahnend die tückische List.
Macht euch zittern das Schwert? Nehmt, wie euch recht ist, und sterbet,
Wo ihr leben gekonnt, hättet ihr Glauben gehabt!
Siehe, da wird dem Priester gebracht die eilige Botschaft:
»Nimm die jüdische Schar, Hirt, in die Herde denn auf!
Laß uns nicht sterben, erwirb dem Gotte uns lebend; denn Tod bringt
Jeder Verzug, und es sinkt hin, was du eben gewannst!
Eile, beflügle den Fuß, denn kommst du zu spät, dann beweine,
Vater, den kläglichen Tod, der dir die Söhne geraubt.«
Ich habe dieses Gedicht angeführt, um einen Beweis mehr für die Tatsache zu liefern, daß den Juden in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung durchaus nicht der Vorwurf des Wuchers, des Betruges, der Aussaugung, sowie überhaupt jener Missetaten gemacht wurde, ja man kann sagen, gemacht werden konnte, so daß sie einzig und allein verfolgt wurden wegen ihres Glaubens und ihrer Religion.
Das Konzil von Maçon (581) bestimmte, daß die Juden weder Richter noch Steuerpächter werden dürfen, »damit die christliche Bevölkerung ihnen nicht untergeben scheine«. In Gegenwart christlicher Priester durften Juden nur mit ausdrücklicher Erlaubnis sitzen. Es wurde ihnen verboten, ihre Sklaven ins Judentum aufzunehmen.
König Chilperich zwang seine jüdischen Untertanen zur Taufe, begnügte sich jedoch mit einer Scheinbekehrung. Auch zur Zeit König Guntrams wurden die Juden zur Taufe gezwungen. Im Jahre 629 befiehlt König Dagobert, daß alle Juden Frankreichs Christen oder als Feinde behandelt werden sollen.
In Spanien erfanden die Juden, um von den Christen in Ruhe gelassen zu werden, die Fabel, daß sie bereits vor Christi Tode in dieses Land eingewandert seien, somit keine Schuld hätten am Kreuzestode des Heilands. Auch im Reiche des Westgoten ging es ihnen schlecht.
König Reccared, welcher auf der Kirchenversammlung zu Toledo das arianische Glaubensbekenntnis mit dem katholischen vertauschte, verbot ihnen Ehebündnisse mit Christen, die Erwerbung christlicher Sklaven und öffentlicher Ämter; aus Mischehen entstandene Kinder mußten getauft werden. Isidor von Sevilla schrieb zwei Bücher gegen die Juden. Das Konzil von Toledo bestätigte die judenfeindlichen Gesetze und bestimmte, daß niemand im westgotischen Spanien bleiben dürfe, der nicht Katholik sei. Grätz behauptet, daß die Geistlichkeit über diese Vorschläge entzückt war, weil » durch die Frömmigkeit des Königs endlich der unbeugsame Unglaube der Juden gebrochen werden würde«.
Auf Befehl des westgotischen Königs Chintilla mußten sie treues Festhalten an der katholischen Religion und aufrichtiges Verwerfen der jüdischen Religion geloben. Natürlich blieben die zwangsweise bekehrten Juden im Geheimen Anhänger ihres angestammten Glaubens. Unter der Regierung des Königs Receswinth wurde ihnen wieder untersagt, christliche Sklaven zu besitzen, ein Amt zu bekleiden, als Zeugen gegen Christen aufzutreten. Auch mußten sie wieder einen Abschwörungsschein ausstellen. Grätz erwähnt, daß Toledo – die Hauptstadt der Juden – im Jahre 654 für den König Receswinth die folgende Erklärung unterschreiben mußte:
Sie hätten zwar schon unter dem König Chintilla gelobt, im katholischen Glauben zu verharren, aber ihr Unglaube und der angestammte Irrtum von ihren Vorfahren hätten sie gehindert, Christus als ihren Herrn anzuerkennen. Jetzt aber versprächen sie freiwillig für sich, ihre Frauen und Kinder, daß sie sich nicht mehr mit den Sitten und Bräuchen des Judentums befassen wollten. Sie wollten nicht mehr mit ungetauften Juden verdammenswerten Umgang pflegen, nicht mehr unter Verwandten (Bruder- und Schwesterkindern) heiraten, nicht mehr jüdische Frauen heimführen, nicht mehr jüdische Hochzeitsgebräuche beibehalten, nicht mehr Beschneidung üben, nicht Passah, Sabbat und andere jüdische Feste feiern, nicht mehr die Speisegesetze des Judentums beobachten, überhaupt nicht mehr das üben, was die Satzung der Juden und die verabscheuungswürdige Gewohnheit vorschreiben. Sie wollten vielmehr mit aufrichtiger Hingebung gemäß den Evangelien und der apostolischen Tradition glauben und bekennen und die Kirchenvorschriften ohne List und Schein beobachten. Nur das Eine sei ihnen unmöglich, Schweinefleisch zu genießen; sie könnten diesen Widerwillen nicht überwinden. Sie versprächen indeß, das, was mit Schweinefleisch gekocht ist, ohne Scheu zu genießen. Derjenige unter ihnen, welcher sich eine Übertretung des Versprochenen zu Schulden kommen lassen werde, sollte von ihnen selbst oder von ihren Söhnen mit Feuer oder durch Steinigung getötet werden; das Alles beschwören sie bei der Trinität. Doch stünde es dem Könige frei, ihn zu begnadigen, dann sollte der Übertreter aber als Leibeigner behandelt werden dürfen.
König Erwig hielt vor der Kirchenversammlung in Toledo eine Rede, die folgenden Passus enthielt:
»Mit einem Tränenstrom flehe ich die ehrwürdige Versammlung an, auf daß das Land durch euren Eifer von dem Aussatze der Entartung gereinigt werde. Erhebet euch, erhebet euch! rufe ich euch zu. Löset der Schuldigen Knoten, bessert der Übertreter schandbare Lebensgewohnheit, leget des Eifers Gürtel an, erleichtert die Bürde und was noch mehr ist, vertilget von Grund aus die Pest der Juden, welche stets zu neuem Wahnwitze sich verhärtet! Prüfet die Gesetze, welche von unserer Majestät gegen den Abfall der Juden neuerdings promulgiert sind. Denn wir müssen uns hüten, durch Auflösung der Kirchengesetze, die mit Anathema gegen deren Irrtümer erlassen wurden, uns nicht der Schuld der Juden teilhaftig zu machen, besonders wenn jenes Gesetz nicht gehandhabt wird, durch welches unser glorreicher Vorgänger Sisebut alle seine Nachfolger mit einer Fluchformel gebunden hat, daß sie nicht gestatten mögen, daß christliche Sklaven den Juden Untertan seien oder dienen.«
Erwig ließ die Juden wissen, daß, wenn sie nicht ihre Kinder und ihre Angehörigen binnen Jahresfrist taufen ließen, ihre Güter konfisziert sie hundert Geißelhiebe erhalten und ihnen Kopf- und Stirnhaut abgeschunden werden würden. Frauen, die ihre Kinder beschneiden lassen würden, solle die Nase abgeschnitten werden.
Unter König Egica, Erwigs Nachfolger und Schwiegersohn, ging es den spanischen Juden noch schlechter. Anfangs versuchte er es mit Milde, dann aber verbot er ihnen den Besitz von Ländereien und Häusern, die Schiffahrt und den Geschäftsbetrieb mit Christen. Zur Verzweiflung gebracht, verschworen sie sich mit den Mohammedanern Afrikas, um das westgotische Reich zu stürzen (694). Doch das Geheimnis wurde verraten und infolgedessen sämtliche Juden Spaniens als Sklaven erklärt, an Herren verschenkt und im Lande verteilt. Die Kinder von 7 Jahren wurden ihren Eltern entrissen und Christen zur Erziehung übergeben. König Witiza, Egica's Sohn, soll die verbannten Juden zurückgerufen und die feindseligen Gesetze gegen sie aufgehoben haben; doch es war zu spät. Die letzte Stunde des westgotischen Reiches hatte geschlagen. Im Jahre 711 eroberten die von Tarik angeführten Araber das westgotische Reich nach dem Tode des letzten westgotischen Königs Roderich.
Und nun frage ich, wie man sich darüber wundern kann, daß die Juden, als die Araber das westgotische Reich in Spanien angriffen, denselben zujubelten, sie begrüßten und ihnen überall Tore und Riegel der Städte öffneten.
Im byzantischen Reiche war Leo der Isaurier ein eifriger Verfolger von Ketzern und Juden; 723 erließ er einen Befehl, daß alle Juden sich taufen lassen sollten. Ein Teil derselben wanderte infolgedessen aus.
Im fränkischen Reiche dagegen war ihre Lage zur Zeit Karls des Großen und Kaiser Ludwigs eine günstige, bis Bischof Agobard zu hetzen begann. Er verbot seinen Christen den Umgang mit Juden, »denn es sei unwürdig, daß die Söhne des Lichtes sich mit den Söhnen der Finsternis beflecken sollten« und »daß die makel- und runzellose Kirche, die sich für die Umarmungen des himmlischen Bräutigams vorbereiten müsse, sich durch die Verbindung mit der befleckten, runzeligen und verstoßenen Synagoge entehren sollte«. In diesem Tone und Sinne schrieb und predigte er weiter, um eine vollständige Trennung im sozialen Leben zwischen Christen und Juden herbeizuführen. Aus jener Zeit stammt auch ein von ihm aus zwei anderen Büchern verfaßtes Synodalschreiben unter dem Titel: »Vom Aberglauben der Juden«, das von Anklagen und Beleidigungen der Juden wimmelt. Diese Hetzschrift bewegt sich ausschließlich auf religiösem Boden; dies hinderte jedoch nicht, daß damals ein Geistlicher und Edelmann namens Bodo öffentlich zum Judentum übertrat.
In Bischof Amolo von Lyon entstand den Juden ein neuer Feind, wie seine Sendschreiben beweisen. Grätz bemerkt: So weit ging die Verfolgungssucht des französischen Klerus, daß der jedesmalige Bischof von Béziers vom Palmsonntag an bis zum zweiten Ostertage die Christen durch leidenschaftliche Predigten aufforderte, an den Juden dieser Stadt Rache zu nehmen für die Kreuzigung Christi. Die fanatisierte Menge pflegte bei diesen Gelegenheiten die Juden mit Steinen zu bewerfen.
In Toulouse hatten die Grafen dieser Stadt das Recht, jährlich am Karfreitag dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde eine starke Ohrfeige zu versetzen. Bei einer dieser Gelegenheiten soll der unglückliche Vorsteher leblos zusammengebrochen sein. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts vertrieb Ansegisus, der Erzbischof von Sens, die Juden aus der Stadt. König Karl der Einfältige schenkte sämtliche Ländereien und Weinberge der Juden der Kirche von Narbonne. Ein schönes Präsent machte Boso, König von Burgund, der Kirche. Er schenkte ihr nämlich alle Juden seines Landes.
In Byzanz verordnete Kaiser Leo der Philosoph, daß alle Juden nach christlicher Vorschrift leben sollten; Abtrünnige sollten mit dem Tode bestraft werden. Als Otto der Große eine Kirche in Magdeburg erbaute und sie mit Subsistenzmitteln versehen wollte, schenkte er ihr die Einnahme von den Juden und anderen Kaufleuten. Otto II. schenkte die Juden von Merseburg dem Bischof dieser Stadt. Auch Heinrich II. verfolgte die Juden.
Die schrecklichste Zeit der Verfolgung für die Juden begann mit den Kreuzzügen. Es wäre dies außerordentlich merkwürdig, auch unerklärlich, wenn die Antisemiten Recht hätten mit ihrer Behauptung, der Antisemitismus habe mit der Religion absolut gar nichts zu tun. Schwärme von Kreuzfahrern, viele davon der Auswurf französischer, englischer, lothringischer und flandrischer Länder, wie Grätz sagt, begannen das Werk des Mordens und des Plünderns in Ermangelung von Mohammedanern mit den Juden. Tausende wurden massakriert. Wenn es wahr ist, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist, so können die Juden triumphierend hinweisen auf das Resultat der Kreuzzüge. Die Erfolge derselben waren vorübergehend, die Kirche hat zum Schlusse die Partie glänzend verloren.
In Rouen trieben die Kreuzfahrer die Juden in eine Kirche, setzten ihnen das Schwert an die Brust und ließen ihnen die Alternative zwischen Tod oder Taufe. In Trier töteten einige Juden ihre Kinder und sich selbst mit Messern schon auf die bloße Nachricht hin, daß das Kreuzheer nahte. Jüdische Mädchen beschwerten sich mit Steinen und stürzten sich in die Mosel. Um ihr Leben zu retten, nahmen viele zum Schein das Christentum an. In Speyer schleppten Kreuzfahrer zehn Juden in eine Kirche, ihnen die Wahl lassend zwischen Tod und Taufe. Sie wählten das erstere und starben den Märtyrertod.
In Worms töteten die Kreuzfahrer eine Menge Juden, die mutig dahinsanken unter den Streichen ihrer Angreifer und mit den Worten starben: »Der Herr unser Gott ist einzig.« Nur sehr wenig ließen sich taufen, die meisten zogen den Tod durch Selbstentleibung vor. Frauen schlachteten ihre Kinder, um sie vor der Taufe zu bewahren. Hier muß ich bemerken, daß Bischof Allebrandus – was ihm ewig zur Ehre gereichen wird – seine ganze Macht und seinen Einfluß einsetzte, um die Juden vor der Wut der fanatisierten Banden zu schützen. Derselbe nahm sogar einen Teil in seinen Palast auf; doch vermochte er nicht den Schutz durchzuführen. Er erklärte ihnen, daß er ihr Leben nicht mehr beschützen könne, wenn sie sich nicht der Taufe unterziehen wollten. Dieselben erbaten sich eine kurze Frist zur Beratung aus; draußen tobten die Wallbrüder. Da sich längere Zeit nichts regte, ließ der Bischof die Tür öffnen. Im Zimmer schwammen alle Juden tod in ihrem Blute; sie hatten sich gegenseitig das Leben genommen. Im Ganzen sollen damals in Worms 800 Juden zugrunde gegangen sein.
In Mainz fand das Massakre eine lustige Fortsetzung. Die Kreuzfahrer stürmten die Türen des Palastes der bischöflichen Residenz, in welche die Juden sich geflüchtet hatten. 1300 Märtyrerleichen wurden aus dem Palaste in Wagen fortgeführt; die Schätze der Juden behielt der Erzbischof. Nur wenige apostasierten resp. konvertierten. Zwei Männer und zwei Mädchen – Urijah und Isaak mit seinen beiden Töchtern – welche aus Angst und Schwäche sich hatten taufen lassen, trieb ihr Gewissen zu einer furchtbaren Tat. Isaak schlachtete seine beiden Töchter in seinem Hause und zündete es an; hierauf ging er mit Urijah in die Synagoge, legte Feuer an, und Beide fanden den Tod freiwillig in derselben.
Auch in Köln wütete die Verfolgung. Mar-Isaak starb freiwillig den Märtyrertod. Er wollte sich nicht retten und verharrte betend zu Hause, bis ihn die Kreuzfahrer in die Kirche zerrten. Als ihm das Kruzifix hingehalten wurde, spuckte er es an und wurde massakriert. Hier verdient erwähnt zu werden, daß der edle und würdige Bischof von Köln Hermann III. sein Möglichstes tat, die Juden zu retten, was ihm auch bei vielen gelang.
In Neuß schlachteten sie alle Juden, welche dort ihre Zuflucht genommen hatten. In Wevelinghoven wurden jüdische Flüchtlinge aus Köln von den Kreuzfahrern ermordet. Samuel ben Jechiel schlachtete, wie Grätz berichtet, seinen schönen kräftigen Sohn mitten in einem Gewässer, in welches sie sich geflüchtet. Dabei sprach er den Segen, und das Opfer fiel mit dem Worte »Amen« ein, während die Umstehenden die Worte anstimmten: »Höre Israel, der Herr dein Gott ist einzig« und sich ins Wasser stürzten. Hierauf reichte der Greis das Messer dem Synagogendiener Menahem und ließ sich durch ihn töten. Ein Jude Namens Isaak Halevi, welcher von den Kreuzfahrern gemartert und in der Ohnmacht getauft worden war, ertränkte sich im Rhein. Im Dorfe Altenahr töteten sich sämtliche Juden gegenseitig; der letzte von ihnen bestieg einen Turm und stürzte sich hinab. In Sinzig wurden die Juden in der Synagoge massakriert. In Mörs ebenfalls. Viele entleibten sich selbst, andere wurden gewaltsam getauft. In Kerpen und Regensburg fanden damals ebenfalls Judengemetzel statt. Im ganzen sollen in den rheinischen Städten 12 000 Juden getötet worden sein. In Böhmen wurden die Juden vollständig ausgeplündert und ihnen nur so viel belassen, um ihr Dasein zu fristen.
Als im Jahre 1099 das Kreuzheer unter Gottfried von Bouillon Jerusalem eroberte, richtete es ein entsetzliches Blutbad an, trieb die Juden in die Synagoge und steckte dieselbe in Brand, so daß die Juden lebendig verbrannten.
Ich empfehle den Antisemiten, die Geschichte zu studieren der Eroberung Jerusalems und Palästinas durch den semitischen und ungetauften Kalifen Omar und deren Eroberung durch den indogermanischen und getauften Gottfried von Bouillon, um das Auftreten der indogermanischen und der semitischen Eroberer miteinander zu vergleichen. Es wäre liebenswürdig, wenn sie sich dieser kleinen Mühe unterziehen wollten.
Im zweiten Kreuzzug wurde der Grundsatz ausgesprochen: Wenn es ein gutes Werk ist, ungläubige Muslims zu erschlagen, so kann es keine Sünde sein, ungläubige Juden niederzumetzeln.
Damals schrieb Peter von Clugny:
»Was nützt es, in entfernten Gegenden die Feinde des Christentums aufzusuchen, wenn die gotteslästerlichen Juden, weit schlimmer als die Sarazenen, in unserer Mitte ungestraft Christum und die Sakramente schmähen dürfen! Glaubt doch der Sarazene gleich uns, daß Christus von einer Jungfrau geboren, und ist doch fluchwürdig, weil er dessen Fleischwerdung leugnet, um wie viel mehr die Juden, die alles leugnen und verspotten? Doch fordere ich nicht, die Fluchbeladenen dem Tode zu weihen; denn es steht geschrieben: »Töte sie nicht«. Gott will nicht, daß sie ausgerottet würden, sondern sie sollen wie der Brudermörder Kain zu großen Qualen, zu größerer Schmach, zu einem Leben ärger als der Tod aufbewahrt bleiben. Sie sind abhängig, elend, seufzend, furchtsam und flüchtig und sollen es bleiben, bis sie sich zu ihrem Heile bekehren. Nicht töten sollst du sie, sondern sie auf eine ihrer Niederträchtigkeit angemessene Weise bestrafen.«
In Würzburg wurden wieder Juden getötet. Drei Juden erlitten den Märtyrertod, da sie sich weigerten, sich taufen zu lassen. In Carenton widersetzten sich die Juden und wurden zuletzt sämtlich niedergemetzelt. Nun machte sich der deutsche Kaiser zum Schirmherrn der Juden; sie wurden Kammerknechte, für den Schutz aber mußten sie natürlich gehörig zahlen. In diese Zeit fällt auch eine Judenverfolgung in Blois, die dadurch denkwürdig ist, weil zum ersten Male die Behauptung aufgestellt wurde, daß die Juden zu Ostern Christenblut brauchen. Graf Theobald gab den Befehl, sämtliche Juden von Blois lebendig zu verbrennen. Sie wurden auf ein Holzgerüst gebracht und als die Scheiterhaufen angezündet werden sollten, forderte sie der Geistliche auf, zum Christentume überzutreten. Sie blieben jedoch standhaft, und 34 Männer und 17 Frauen starben im Feuer, die Worte singend: Höre Israel, der Herr dein Gott ist einzig.
Im Jahre 1191 ließ Philipp August nahe an 100 Juden lebendig verbrennen.
Im Jahre 1189 wurden die Juden aus England ausgewiesen. In Canterbury wurden viele Juden getötet, andere töteten sich selbst, um der Taufe zu entgehen, die meisten jüdischen Häuser wurden verbrannt, die Synagogen zerstört. 1190 wurden die Juden von Stanford mißhandelt. In York beschlossen die Juden, freiwillig in den Tod zu gehen, sie verbrannten alle Kostbarkeiten, legten Feuer an die Türen, und dann tötete einer den andern. Der Gemeindeführer Joceus tötete eigens seine Gattin; im ganzen sollen an 500 Menschen umgekommen sein, kein einziger Jude blieb in York übrig. Am folgenden Tage mordeten die Kreuzzügler in St. Edmund 57 Juden. Eine Gemeinde von lauter Proselyten – 20 Familien – erlitt den Feuertod.
Unter Heinrich IV. Regierung hatte ein jüdischer Narr in Neuß in Gegenwart vieler Menschen einem christlichen Mädchen den Hals abgeschnitten. Derselbe wurde getötet, natürlich mit Recht; aber das genügte den Beleidigten nicht. Mutter, Schwester und Oheime wurden vor die Wahl gestellt, entweder sich taufen zu lassen, oder zu sterben. Die Schwester wurde Christin, die Mutter ertrug alle Folterqualen und wurde lebendig begraben, die Brüder gerädert und zur Schau gestellt. Ähnliches wiederholte sich um diese Zeit in Speyer und in Wien. Im Jahre 1199 verordnete Papst Innocenz III., daß Juden nicht mit Gewalt getauft, nicht ohne richterliches Urteil beraubt, verletzt oder getötet, in ihren Festzeiten nicht durch Peitschen und Steinwürfe gestört, daß ihre Begräbnisplätze respektiert, ihre Leichname nicht ausgegraben und geschändet werden sollen. Eine allerliebste Zeit fürwahr, wo solche Befehle von allerhöchster Stelle eingeschärft werden mußten. Es ist dies offenbar ein Beweis dafür, daß derartige Schandtaten an der Tagesordnung waren. Innocenz III. bemerkte in seiner Konstitution, die Juden dürften darum nicht ausgerottet, sondern müßten erhalten werden, damit sich dereinst die Prophezeiung ihrer Bekehrung zum Christentum erfüllen könne. Auch während des Albigenserkreuzzuges im Jahre 1209 wurden an die zweihundert Juden erschlagen, andere wurden verbrannt wegen für die Kirche beleidigender Äußerungen. In England ließ im Jahre 1210 der englische König Johann ohne Land sämtliche Juden Englands einkerkern, um Geld von ihnen zu erpressen. Im Jahre 1212 wurden in Toledo mehrere Juden von den Kreuzzüglern totgeschlagen. In der Pariser Synode desselben Jahres wurde verordnet, daß nicht nur keine christliche Amme ein jüdisches Kind nähren, sondern auch keine Hebamme einer jüdischen Frau in den Geburtswehen Beistand leisten dürfe, und zwar wurde als Grund angegeben, daß die Christen in jüdischen Häusern nur Vorliebe für das Judentum gewinnen könnten.
Im 4. Lateran-Konzil unter Papst Innocenz III. wurde bestimmt, daß sämtliche jüdische Familienväter sechs Groschen jährlich zum Osterfeste zahlen müßten. Ferner verordnete das Konzil, daß die Juden ein eigenes Abzeichen zu tragen hätten, die sogenannten Judenflecken; die Männer an ihren Hüten, die Frauen an ihren Schleiern.
Professor Dr. Grätz schreibt: »Die tiefste Erniedrigung der Juden in Europa während eines Zeitraumes von sechs Jahrhunderten datiert vom 30. November 1215. Die Juden gewöhnten sich nach und nach an eine demütige Stellung, verloren Selbstgefühl und Selbstachtung, sie verwahrlosten nach und nach auch in ihrer Sprache, verloren männliche Haltung und Mut, wurden nach und nach verächtlich, wie ihre Feinde es wünschten.«
Im Jahre 1217 ließ die Gattin Simon von Montforts, die Gräfin Alice von Montmorency, sämtliche Juden von Toulouse samt Weibern und Kindern verhaften und stellte ihnen die Wahl zwischen Tod und Taufe. Es kam jedoch nicht zum Äußersten. Sie ließ alle jüdischen Kinder unter sechs Jahren gewaltsam taufen, und diese Kinder wurden später ihren Eltern nicht mehr zurückerstattet. So mehrten sich immer mehr die judenfeindlichen Vorschriften und Schikanen, Hetzereien gegen Juden wegen angeblichen Kindermordes und Hostienschändung. In Fulda wurden 1235 von Kreuzzüglern und Bürgern der Gemeinde 34 Juden ermordet, weil auf die Juden der Verdacht gefallen war, fünf junge Söhne eines Müllers erschlagen zu haben.
Als Papst Gregor IX. 1236 einen neuen Kreuzzug anordnete, überfielen die Kreuzzügler mehrere jüdische Gemeinden in Aquitanien, zertraten viele unter den Hufen ihrer Pferde, schonten weder Kinder noch Schwangere, ließen ihre Leichen unbegraben zum Fraße der wilden Tiere, verbrannten die Häuser der Juden und nahmen ihnen alles, was sie besaßen. Mehr als 3000 kamen dabei ums Leben, über 500 ließen sich taufen. Im Jahre 1241 entstand in Frankfurt eine Rauferei zwischen Juden und Christen, bei welcher 180 Juden ums Leben kamen. In Kissingen (Bayern) wurden im Jahre 1243 mehrere Juden gefoltert und gerädert, wahrscheinlich wegen der Anklage des Blutgebrauches beim Osterfest.
Im Jahre 1246 bestimmte die Kirchenversammlung von Béziers, daß Christen nicht von jüdischen Ärzten sich behandeln lassen dürfen. Als Ludwig IX. von Frankreich seinen Kreuzzug unternahm, verschaffte er sich das Geld durch Konfiszierung des Vermögens der Juden. Der heilige König quälte überhaupt die Juden, wie er nur konnte.
Alfonso X. von Spanien erklärte in seinem Gesetz, codex, obwohl die Juden Christus verleugnen, werden sie in allen christlichen Ländern nur deswegen geduldet, damit sie allen in Erinnerung rufen, daß sie von demjenigen Stamme sind, der Jesus gekreuzigt hat. Das Gesetz verhängte Todesstrafe wegen Bekehrung der Christen zum Judentum; wegen ihrer Untat an Jesu dürfe kein Jude ein öffentliches Amt in Spanien bekleiden. 1279 trat eine Kirchenversammlung in Ofen zusammen, in welcher eine große Zahl judenfeindlicher Verordnungen gemacht wurde. Im Jahre 1283 metzelten Christen in Mainz viele Juden nieder, und es wurde das Gerücht verbreitet, die Juden hätten ein Kind erschlagen, um ihm das Blut abzuzapfen. Dasselbe geschah in Brückenhausen. In Mellrichstadt wurde ein Teil der jüdischen Gemeinde verbrannt. Um dieselbe Zeit wurden die Juden in München beschuldigt, einer alten Frau ein christliches Kind abgekauft und dasselbe umgebracht zu haben. Es entstand ein Tumult, die Juden flohen in die Synagoge, die Christen zündeten dieselbe an, und es verbrannten darin 180 Personen. Ähnliches wiederholte sich in Oberwesel und in Boppard. Unter der Anklage des Mordes eines Christenkindes wurden im Jahre 1288 in Troyes 13 Juden zum Tode verurteilt, darunter Frauen und Kinder; sie starben standhaft, das jüdische Bekenntnis auf den Lippen. Im Jahre 1278 wurden in England infolge von aufgetauchten falschen Münzen sämtliche Juden Englands verhaftet, 293 davon gehenkt. Unter der Anklage der Kreuzigung eines Christenkindes wurden im Jahre 1279 in London viele Juden von Pferden auseinandergerissen und die Leichen an den Galgen gehenkt. 1290 wurden sämtliche Juden aus England verwiesen. Ein Schiffskapitän, der mehrere Familien auf der Themse nach dem Meere bringen sollte, führte das Schiff auf eine Sandbank und ließ sie aussteigen, bis die Flut steigen würde. Als diese sich einstellte, bestieg er mit den Matrosen das Schiff, fuhr ab und rief den Verzweifelten höhnisch zu: »Sie möchten den Moses anrufen, der ihre Vorfahren trocken durch das Meer geführt, und ihn bitten, sie ans trockene Land zu bringen.« Die armen Juden ertranken.
Im Jahre 1298 fanden wieder Judenhetzen in Deutschland statt. In Röttingen wurden die Juden beschuldigt, eine Hostie in einem Mörser zerrieben zu haben. Unter der Anführung eines gewissen Rindfleisch wurden infolgedessen massenhaft Juden erschlagen, die jüdische Gemeinde in Würzburg wurde vollständig aufgerieben, in Nürnberg alle Juden ermordet. Viele Eltern, fürchtend, daß ihre Kinder dem Glauben nicht standhaft bleiben könnten, warfen dieselben mit eigenen Händen in die Flammen.
Ob die Herrn Antisemiten, die immer behaupten, der Antisemitismus habe mit der Religion gar nichts zu schaffen, nicht so liebenswürdig sein möchten, zu erklären, wie es denn kommt, daß bei allen diesen Verfolgungen die Juden sich immer retten konnten durch den Empfang der Taufe und daß Tausende von ihnen sich auch durch dieses Mittel tatsächlich gerettet haben?
Die blutige Verfolgung kam von Franken und Bayern nach Österreich, zerstörte über 140 Gemeinden und kostete 100000 Juden das Leben. Gottfried von Ensmingen bemerkt, Rindfleisch habe, wie man sagt, den Tod von 100000 Juden verursacht. Philipp IV. von Frankreich konfiszierte den Juden ihr Vermögen und trieb sie aus dem Lande (1306). Seine Motive waren aber keine religiösen, sondern reine Geldgier. Eine Synagoge von Paris schenkte er seinem Kutscher. Unter Ludwig X. (1315) durften sie wieder zurückkehren. In Verdun (1320) nahmen sich viele Juden gegenseitig das Leben, da sie von den Kreuzzüglern bedrängt und mit der Zwangstaufe bedroht waren. In Toulouse wurde der größte Teil der Gemeinde niedergemacht; im ganzen sollen 120 Gemeinden in Frankreich und Nordspanien durch die Kreuzzügler des sogenannten »Hirtenkreuzzuges« vernichtet worden sein.
Unter dem Verdachte, Brunnen vergiftet zu haben und zwar mit einer Mischung aus Menschenblut, Urin, Pflanzen und einer Hostie, wurden im Jahre 1321 in Chinon 160 jüdische Männer und Frauen ums Leben gebracht. Es wurde in einer Grube Feuer gemacht, Männer und Frauen hineingeworfen, die singend den Feuertod starben. Die Mütter warfen zuerst ihre Kinder hinein, um ihnen die Zwangstaufe zu ersparen. Im ganzen Lande sollen damals an fünftausend Menschen verbrannt worden sein.
Im Jahre 1328 entstand in Estalla ein arges Judengemetzel. Der Pöbel, angeführt von einem gewissen Pedro Olligoyen, stürzte sich auf die Juden mit dem Geschrei: »Tod den Juden oder Bekehrung«. Fast sämtliche Juden der Stadt wurden umgebracht. Die Metzeleien wiederholten sich in vielen anderen Städten Navarras, wobei 6000 Juden umkamen.
In Deutschland wütete vom Jahre 1336–37 die Judenschlächterei von neuem. Es gab eine eigens organisierte Schar, die sich Judenschläger nannte. Ihr Zweck war, den Kreuzestod Christi an den Juden zu rächen. In Deggendorf fand im Jahre 1337 eine bedeutende Judenschlächterei statt und zwar infolge einer geschändeten Hostie. Im Jahre 1348 wurde Europa durch die unter dem Namen »der schwarze Tod« genannte verheerende Pest dezimiert. An derselben sollen auf der ganzen Welt 25 Millionen Menschen zugrunde gegangen sein. Selbstverständlich gab die christliche Bevölkerung den Juden die Schuld an dieser Katastrophe, indem sie behauptete, die Juden hätten die Brunnen vergiftet. Weder den Mongolen, noch den Mohammedanern war so etwas eingefallen. Judenverfolgungen fanden statt in Frankreich, Spanien, Italien, der Schweiz, Deutschland und in vielen anderen Ländern. In Worms, Straßburg, Oppenheim, Frankfurt, Mainz, Köln, Wien, Augsburg, Magdeburg und Brüssel wiederholten sich die scheußlichsten Massakres; ein ewiger Schandfleck für das Mittelalter.
Unzählige Juden gingen mit ihren Kindern bei dieser Gelegenheit freiwillig in den Tod. Während des Krieges in Kastilien unter Don Pedro in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts hatten die Juden ebenfalls unsägliches zu leiden. Im Prag fand im Jahre 1389 eine blutige Judenverfolgung statt, weil einige jüdische Kinder einen Priester auf seinem Wege zu einem Sterbenden beleidigt hatten. Wiederum dieselbe Geschichte! Man stellt den Juden die Wahl zwischen Tod und Taufe, viele werden massakriert, ein Teil entleibt sich selbst. Ganz furchtbar wütete das Gemetzel in Spanien im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts. Die Folge davon war, daß ein großer Teil der Juden zum Christentume überging. Diese Neuchristen wurden Marranen oder die Verdammten (?) genannt. Sie bekannten dem Anscheine nach das Christentum, das sie im Herzen jedoch selbstverständlich furchtbar haßten. In Sevilla fand im Jahre 1391 wiederum ein blutiges Judengemetzel statt. Von der reichen Gemeinde, die aus 20 000 – 30 000 Seelen bestand, blieb nur wenig übrig. 4000 Juden kamen um, die meisten ließen sich taufen. Von den 23 Synagogen Sevillas wurden die meisten zerstört, die anderen in Kirchen umgewandelt. Von Sevilla aus wälzte sich die Verfolgung in die umliegenden Städte und Dörfer, nach Carmona und nach Ecija, wo nicht ein einziger Jude übrig blieb. 70 Judengemeinden wurden von dieser Verfolgung heimgesucht. In Valencia wurden 250 Juden umgebracht; nur die jüdische Gemeinde von Murviedro blieb übrig. Die wütende Verfolgung kam nun nach der Insel Mallorca, 300 Juden fielen in der Stadt Palma zum Opfer. Jetzt kam die Reihe an die Judengemeinde Barcelona. 250 Juden wurden im ersten Anlaufe massakriert, viele Juden starben durch Selbstmord, 11 000 Juden ließen sich taufen. Dann kamen die jüdischen Gemeinden Burgos und Leridas an die Reihe. Ein großer Teil der gehetzten Juden entfloh nach Portugal. In diese Zeit fällt eine zweite Ausweisung der Juden aus Frankreich. In den Jahren von 1411 bis 1414 wurden die Juden in Spanien auf das Äußerste gequält. Sie mußten in eigenen Vierteln, Ghettos wohnen, eine eigene Tracht tragen und durften sich den Bart nicht scheren. Not entstand bei allen; Kinder starben auf dem Schoße der Mütter vor Not und Nacktheit. Die Synagoge in Salamanca wurde in eine Kirche unter dem Namen »Das wahre Kreuz« umgetauft. Es folgten wiederum eine Reihe außerordentlich schikanöser Gesetze. Im ganzen sollen 20000 Juden in Castilien und Spanien zwangsweise zum Christentum übergegangen sein. In diese Zeit fällt der Beginn der christlichen Hetzjagd gegen den Talmud und die dazu gehörigen Schriften.
Nie vielleicht, so lange die Welt steht, haben Menschen der Raserei ihrer lieben Mitmenschen mit größerem Heldenmut einen passiven Widerstand entgegengesetzt, als die Juden in der großen Verfolgung des 14. Jahrhunderts taten. Mit ganz wenigen Ausnahmen verschmähten sie es, durch Abschwören ihres Glaubens Habe, Familie und Leben zu retten.
Papst Benedikt XIII. erließ im Jahre 1415 eine judenfeindliche Bulle, die nur einen für die Juden günstigen Punkt enthält, nämlich den, daß sie nicht mit Gewalt zur Taufe gezwungen und nicht vergewaltigt oder totgeschlagen werden dürfen, was sonnenklar beweist, daß derartige Verbrechen an der Tagesordnung waren.
Während der Hussitenkriege wurden die Juden von katholischer Seite beschuldigt, den Hussiten heimlich Geld und Waffen geliefert zu haben. Erzherzog Albrecht ließ im Jahre 1420 alle Juden seines Landes ins Gefängnis werfen, weil drei Christenknaben auf das Eis gegangen, eingebrochen und ertrunken waren und der Verdacht entstand, die Juden hätten sie zu rituellen Zwecken ermordet. Die Güter der Juden wurden konfisziert, 300 Juden in Wien verbrannt, viele Tapfere zogen den Selbstmord der Taufe vor. Erzherzog Albrecht erließ einen Befehl, daß in Zukunft kein Jude in Österreich verweilen dürfe. Eine große Zahl von Juden ließ sich taufen, darunter ein Jüngling, der später ein Liebling des Herzogs Friedrich, des späteren Kaisers, wurde und an seinem Hofe lebte. Derselbe empfand jedoch bald Reue über seine Apostasie. Herzog Friedrich gab sich alle Mühe, ihn von seinem Vorhaben, zum angestammten Glauben zurückzukehren, abzuhalten. Er schickte ihm Geistliche, um ihn zu bereden, in der christlichen Religion zu verbleiben. Da alles umsonst war, schritt man zum letzten Argument der Theologie, zum Scheiterhaufen, und verbrannte ihn – kurz und bündig; er starb mit einem hebräischen Gesang auf den Lippen. Mittlerweile wütete das Kreuzheer, das gegen die Hussiten ausgesandt war, wider die Juden.
Das alles geniert aber die Antisemiten nicht im geringsten, und sie behaupten lustig weiter, daß der Antisemitismus mit der Religion gar nichts zu schaffen habe. Glück auf! Lassen wir ihnen diese Freude.
Im Jahre 1435 fand auf der Insel Mallorca wieder eine Judenhetze statt, bei welcher eine große Zahl Männer, Weiber und Kinder unter Torturen zum Christentume überging. Vom Galgen wurden die Juden in Prozessionen in die Kirche geleitet, getauft und dann ein Te Deum angestimmt, womit die jüdische Gemeinde von Palma ein Ende hatte. So ging es lustig weiter. Besonders feindlich gegen die Juden trat um diese Zeit der Mönch Capistran auf. Dank seiner Tätigkeit wurden im Jahre 1453 43 Juden wegen angeblichen Christenkindermordes verbrannt. Um diese Zeit herrschte in Polen König Kasimir IV., ein aufgeklärter Fürst, der den Juden viele Privilegien verlieh. Er verordnete unter anderem, daß, wenn ein Christ gegen einen einzelnen Juden mit der Anklage auftreten würde, daß dieser Christenblut gebraucht habe, er seine Anklage durch inländische, glaubwürdige, jüdische und durch ebensolche christliche Zeugen beweisen solle und in diesem Falle der des Verbrechens überführte Jude allein die Strafe erleiden solle, ohne seine Glaubensgenossen hineinzuziehen, und daß, wenn der christliche Ankläger diesen Beweis nicht erbringen könne, er selbst mit dem Tode zu bestrafen sei.
1453 wurde das byzantinische Kaiserreich von den Türken erobert. Eine Menge Juden, die aus Spanien geflohen waren, sollen bei dieser Gelegenheit dem türkischen Heere Hilfe geleistet haben, gerade so, wie sie seinerzeit den Arabern bei ihrer Eroberung des westgotischen Reiches in Spanien alle erdenkliche Hilfe geleistet hatten. Nach dieser Behandlung kann ihnen dies kein vernünftiger Mensch übel nehmen. Den Juden ging es im türkischen Reiche brillant. Sie hatten bereits die Erlaubnis in Sion eine Synagoge zu bauen, da erließ der Papst eine Bulle, daß kein christlicher Schiffseigner den Juden zur Überfahrt nach Palästina behilflich sein sollte.
In Toledo entstand im Jahre 1467 wiederum ein Mordgemetzel der Marranen, d. h. der jüdischen Zwangsgetauften, bei welchem 1600 Gebäude und mehr als 4000 Neuchristen eingeäschert wurden. Nun kommt die für die Juden ewig fluchwürdige Regierung Ferdinands des Katholischen. Es wurde das Gerücht verbreitet, daß die Juden in der kleinen Gemeinde Sepulveda ein Christenkind gemartert und gekreuzigt hätten. Dadurch entstanden neue Schlächtereien und Massakres. In der Osterwoche des Jahres 1475 fand der berühmte Trienter Prozeß statt. Die Juden wurden beschuldigt, ein dreijähriges Kind gemartert, getötet und ins Wasser geworfen zu haben. Unter der Folter bekannten die Juden alles, was man wollte. Die Juden wurden verbrannt, der jüdische Arzt Tobias endete durch Selbstmord, vier Personen wurden Christen und dadurch begnadigt. Die Folge dieser Geschichte waren Judenhetzereien in Regensburg und an anderen Orten und natürlich wieder eine Menge Anklagen des Christenkindermordes gegen die Juden.
In Passau ließ der Bischof im Jahre 1478 eine große Menge Juden wegen Hostienschändung hinrichten.
In schrecklicher Weise verfuhr die spanische Inquisition gegen die Marranen und Juden. In einer Vorstadt Sevillas wurde ein eigener Platz zum Verbrennen von Ketzern und Juden errichtet, welcher die Brandstätte el Quemadero hieß. Kaum war die Judeninquisition eingesetzt, so wurde mit dem Verbrennen begonnen. Grätz bemerkt: »Mehr als drei Jahrhunderte sah man das entsetzliche Schauspiel, wie der Rauch verkohlter Unschuldiger wiederholt zum Himmel stieg.« Eine solche öffentliche Verbrennung hieß: »Auto da fe«, das ist Glaubensakt.
In Aracena wurden 23 Marranen verbrannt, in Sevilla allein in kaum einem Jahre 280 Marranen. Der Grund war: ihr geheimes Bekennen des Judentums und scheinbares Leben als Christen nach außen. Viele der Opfer starben standhaft und versuchten gar nicht zu leugnen, daß sie im Herzen ihrer angestammten Religion stets treu geblieben waren.
Die Inquisition verpflichtete alle Bürger des Landes, innerhalb drei Tagen alle ihr bekannten Personen namhaft zu machen, welche sich der jüdischen Ketzerei, oder des Rückfalles ins Judentum schuldig gemacht hätten. Als Anhaltspunkt, um die besagten Verbrechen zu erkennen, wurde nach Grätz folgendes angegeben: »Wenn getaufte Juden Messiashoffnung gehegt, Moses Gesetz für das Seelenheil eben so wirksam gehalten als Jesus, den Sabbat oder einen der jüdischen Festtage gefeiert, die Beschneidung an ihren Kindern vollzogen, die Speisegesetze beobachtet haben. Wenn jemand am Sabbat ein sauberes Hemd oder bessere Gewänder getragen, den Tisch mit dem Tafeltuch bedeckt, kein Feuer an diesem Tage angezündet, oder wenn er am Versöhnungstage ohne Fußbekleidung gegangen oder einen Andern um Verzeihung gebeten, oder wenn der Vater auf das Haupt seiner Kinder seine Hände segnend gelegt, – ohne das Kreuzeszeichen dabei zu machen; ferner wenn jemand beim Gebete mit dem Gesichte zur Wand gekehrt oder dabei den Kopf bewegt, über einen Weinkelch einen Segensspruch (Baracha) gesprochen und davon den Tischgenossen zu kosten gegeben.«
Natürlich war das Unterlassen kirchlicher Bräuche der stärkste Verdächtigungsgrund zur Anklage. »Wenn ein Neuchrist die Psalmen hersagt, ohne zum Schlusse hinzuzufügen: ›Preis dem Vater, dem Sohne usw.‹ oder wenn er in der Fastenzeit Fleisch genossen, wenn eine Frau sich nicht vierzig Tage nach ihrer Niederkunft in der Kirche eingefunden, wenn Eltern ihren Kindern einen jüdischen Namen beigelegt. Auch Handlungen unschuldiger Natur wurden, wenn sie auch als jüdischer Brauch vorkamen, als Zeichen arger Ketzerei angesehen. Wenn Jemand am jüdischen Hüttenfeste Gaben von der Tafel der Juden empfangen oder solche geschickt, oder ein neugeborenes Kind in Wasser gebadet, worin Gold und Getreidekörner gelegt wurden, wenn der Sterbende beim letzten Atemzug das Gesicht zur Wand gekehrt.«
Besonders schlecht erging es den Juden, als Thomas de Torquemada zum General-Inquisitor ernannt wurde. In Villa-Real wurden 40 Marranen verbrannt, darunter schwache Frauen und ein in der christlichen Religion geborener Kanonikus, Pedro Fernandez de Alcaudete, welcher Jude geworden war. Einigen Marranen wurden peinliche Bußen auferlegt, viele durften ein Jahr hindurch oder lebenslänglich sich öffentlich nur in dem Büßerkleide zeigen. Es war von rötlichbrauner Farbe und hinten mit einem Kreuz bemalt. Büßer wurden öffentlich zur Schau gestellt.
Im Jahre 1487 wurden 23 Marranen verbrannt, darunter auch ein Kanonikus. Das folgende Jahr in Toledo verlangte noch mehr Opfer; einmal 20 Männer und 7 Frauen. Die Gebeine verstorbener Marranen, von denen man glaubte, daß sie als geheime Bekenner des Judentums gestorben, wurden ausgegraben und verbrannt, so in Toledo einmal an einem Tage die sterblichen Überreste von über 100 Marranen. In den 13 Jahren, in welchen Torquemada Groß-Inquisitor blieb, nämlich 1485–1498, wurden mindestens 2000 Marranen verbrannt, geächtet über 17 000. In Avila wurden infolge angeblicher Kreuzigung eines Kindes 70 Marranen innerhalb acht Jahren verbrannt, ein Teil davon nur in effigie, da sie sich rechtzeitig geflüchtet hatten. Zwischen den Marranen und den Juden herrschten selbstverständlich geheime Sympathien und Verbindungen. Im Jahre 1492 erfolgte die berühmte Ausweisung sämtlicher Juden aus Spanien. Als Grund wurde angegeben, ihre gefährlichen und frevelhaften Taten gegen den christlichen Glauben. Das Edikt Ferdinands und Isabellas, worin die Ausweisung dekretiert wird, legt ihnen kein anderes Verbrechen zur Last, als daß sie ihrem Glauben treu bleiben und ihre marranischen Stammesgenossen in demselben zu erhalten und zu befestigen trachten. Es waren also ausschließlich religiöse Gründe, die zu dieser Ausweisung führten. Wie nimmt sich da die antisemitische Behauptung aus, daß der Antisemitismus mit der Religion gar nichts zu schaffen habe? In den letzten vier Jahren vor dieser Ausweisung wurden in Toledo mehr als 40 Männer und mehr als 20 Frauen verbrannt, darunter ein Weltgeistlicher und zwei Mönche. Eine Marranin bekannte auf dem Scheiterhaufen laut, sie wolle im Gesetze Mosis sterben, welches die einzige Wahrheit sei; ihr letztes Wort war: Adonai. Natürlich ließen sich sehr viele Juden zwangsweise taufen, dreimalhunderttausend Juden verließen das Land. Die genuesischen Schiffer benahmen sich gegen die jüdischen Auswandrer, die sich ihnen anvertraut hatten, am grausamsten und warfen viele ins Meer.
Ein Schiffskapitän wollte der Tochter eines jüdischen Auswanderers Gewalt antun; sie wurde von ihrer eigenen Mutter ins Meer gestürzt, die ihr dann mit den übrigen Töchtern nachsprang. Höchst grausam benahm sich auch der portugiesische König Johann II. Derselbe machte viele Juden zu Sklaven, den Eltern wurden die Kinder von drei bis zu zehn Jahren weggenommen, um sie auf den »Verlorenen Inseln« im Christentum erziehen zu lassen. Eine Mutter, welcher man sieben Kinder geraubt hatte, warf sich dem König zu Füßen und flehte ihn an, ihr wenigstens das jüngste zu lassen. Der König ließ sie wegdrängen und wehklagen »wie eine Hündin, der man die Jungen entzieht«. Unter König Emanuel wurde es den Juden verboten, öffentlichen Gottesdienst zu halten, und ihre Synagogen wurden gesperrt. Im Jahre 1497 befahl er, daß alle jüdischen Kinder beiderlei Geschlechts bis zum vierzehnten Lebensjahr ihren Eltern entrissen und gewaltsam getauft werden sollten. Die Verzweiflung der Eltern war entsetzlich. Es wiederholten sich wieder die bekannten Jammerszenen; die Verzweifelten töteten ihre Kinder und dann sich selbst. Tausende von portugiesischen Juden waren zum Scheine Christen geworden, einige starben den Märtyrertod, darunter Simon Maimi. 1498 verbannte Karl VIII. die Juden aus der Provence.
In der Türkei erlebten die Juden glückliche Zeiten. Spanische Marranen verfertigten für die Türken Kanonen, Feuer und Pulver und lehrten den Türken Kriegskunst. Auf diese Weise lernten die Türken, sich gegen die Christen gerüstet zu machen. Kaiser Maximilian vertrieb die Juden aus Ober-Österreich; unter seiner Regierung fanden auch viele Judenhetzen statt. Im Jahre 1499 wurden die Juden aus Nürnberg vertrieben, in Polen fanden sie günstige Aufnahme.
In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts fand der berühmte Streit zwischen Reuchlin und Pfefferkorn über den Talmud statt. Mittlerweile kam die Reformation. Luther war den Juden anfangs freundlich gesinnt. Doch das änderte sich bald; denn in was hätte Luther nicht seine Meinung geändert! Man vergleiche nur die Art, wie er im Anfange seiner Laufbahn über die katholische Kirche und das Papsttum geschrieben mit den Worten, die er ihnen am Schlusse desselben entgegenschleuderte.
Im Jahre 1506 entstand in Portugal wieder ein Judengemetzel, das mehrere Tage dauerte und bei welchem 500–600 Marranen das Leben verloren. Schwangere Frauen wurden aus den Fenstern geworfen, von den draußen Stehenden auf Spießen aufgefangen und die Frucht oft weithin geschleudert. Es sollen um diese Zeit 2–4000 Marranen umgekommen sein. Auch in Italien, im Gebiete von Mailand fanden damals Judenverfolgungen statt. Im Jahre 1532 wurde in Mantua der Jude Molcho, der Christ geworden und dann wieder abgefallen war, als Ketzer zum Feuertod verurteilt. Als die Henkersknechte schon bereit waren, Molcho, dessen Mund geknebelt war, ins Feuer zu werfen, kam ein Bote des Kaisers, löste den Knebel und versprach Begnadigung, wenn er in den Schoß der Kirche zurückkehren würde. Molcho erwiderte, daß er sich lange nach dem Märtyrertod gesehnt habe und sich freue, als Opfer auf dem Altare des Herrn aufzusteigen. Er bereue nur das eine, in seiner Jugend Christ gewesen zu sein, und hoffe, daß seine Seele zu Gott eingehen werde. In Lissabon wütete die Inquisition unter dem Richter Joan de Mello. De Mello hat selbst für den König einen Bericht des Scheiterhaufenschauspieles in Lissabon gegeben und schilderte dasselbe mit folgenden Worten: »Etwa hundert Verurteilte bildeten den prächtigen Zug. Der Laienrichter führte sie in Begleitung der Klerisei von zwei Kirchenspielen. An dem Richtplatz angekommen, sang man die Hymne: Veni creator Spiritus. Ein Mönch bestieg die Kanzel, die Predigt war kurz, weil die Tagesarbeit viel Zeit erforderte. Die Verurteilungen wurden verlesen, zuerst derjenigen für Verbannung und zeitlicher Haft, dann derjenigen für ewigen Kerker und endlich derer, die zum Tode verurteilt waren. Es waren zwanzig. Sieben Frauen und zwölf Männer wurden an den Pfahl gebunden und lebendig verbrannt. Nur eine Frau wurde wegen überzeugend reumütigen Bekenntnisses begnadigt.«
Der entmenschte Ketzerrichter de Mello machte die Bemerkung, daß der Himmel an dem Tage der Menschenbrandopfer voller Glanz war, gegen die stürmischen Tage vorher, als wenn der Himmel zu dem Bluttribunal gnädig gelächelt hätte. Er fügte noch hinzu, daß noch eine Menge solcher Sünder in den Kerkern lägen, welche nächstens zu einem neuen Scheiterhaufen geschleppt werden würden. Der König war seiner Diener wert; er hatte seine Freude an dem Tod der Sünder.
Ein Umstand machte auf den gefühllosen Mello einen tiefen Eindruck. Die Schlachtopfer stießen beim Anblick der Flammen nicht einen Laut aus und vergossen keine Träne, sondern nahmen Abschied voneinander, Eltern von ihren Kindern, Frauen von ihren Männern, Bruder von Bruder, als wenn sie gewärtig wären, einander bald wiederzusehen. Die Väter erteilten den Kindern in der letzten Stunde den Segen, und die Eheleute gaben einander den Abschiedskuß.
Im Jahre 1550 wurden sämtliche Juden aus Genua vertrieben. 1553 entstanden neue Anklagen gegen den Talmud, deren Exemplare zu Hunderten und zu Tausenden verbrannt wurden. 1555 erschien die Bulle Pauls IV., in welcher alle kanonischen Beschränkungen der Rechte der Juden wieder aufgefrischt wurden. Die Ghettos, das Verbot der Haltung christlicher Ammen, das Verbot, mit Christen umzugehen, mit ihnen zu essen und zu spielen, wurde wieder aufgefrischt. Die Juden sollten Barette, die Jüdinnen grüne Schleier tragen, Juden durften nicht mit »Herr« angesprochen werden, jüdische Ärzte christlichen Kranken keinen Beistand leisten, dazu selbstverständlich religiöse Plackereien. 1556 wurden 24 portugiesische Marranen in Ancona verbrannt; sie starben wieder mit dem Rufe: »Der Herr unser Gott ist einzig«. 1559 wurden wieder massenhaft hebräische Bücher verbrannt. Als im Jahre 1559 in Prag in der Judengasse ein Feuer ausbrach, wurden viele Juden, auch schwache Weiber, in die Flammen gestürzt, ihre Habseligkeiten geplündert. In demselben Jahre wurden die Juden aus Niederösterreich und Görz vertrieben, 1561 aus Prag. 1570 wurden die Juden aus dem Kirchenstaate vertrieben; die meisten zogen nach der Türkei und Polen. Dort entstand sogar bei Christen eine derartige Schwärmerei fürs Judentum, daß viele Christen zum Judentum übergingen. Die Witwe eines Krakauer Ratsherrn, Katharina Zelazewska, bekehrte sich zum Judentum, wurde natürlich in Krakau verbrannt und starb begeistert den Märtyrertod. Im Jahre 1603 ging ein Franziskaner-Mönch Fray Diego de la Asumçao von altchristlichem Blute zum Judentum über. Nachdem er zwei Jahre im Kerker zugebracht hatte, wurde er in Lissabon in Gegenwart des Vizekönigs lebendig verbrannt.
In diese Zeit fallen die zahlreichen Auswanderungen der Juden nach Holland, welches für sie zu einem Asyl wurde, wohin sie sich vor der Verfolgung flüchten konnten. In Deutschland dagegen wurden die Juden noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts als verworfene Geschöpfe behandelt, gegen welche es keine Mitleidspflicht gab, die man mit Kot bewarf, denen man den Bart anzündete. Es gab damals nur noch 3–4 bedeutende Judengemeinden in Deutschland. Frankfurt mit ca. 2000, Worms mit 1400, Prag mit 10 000, Wien mit 3000 Seelen, welche allen möglichen Plackereien, Verbot der Haltung christlicher Dienstboten und Ammen, Verpflichtung zum Tragen des Judenzeichens und einer eigenen Kopfbedeckung zu ertragen hatten. Dies galt namentlich in Frankfurt, wo sie an ihren Häusern besondere Schilder mit wunderlichen Namen und Zeichen haben mußten, z. B.: »Zum Knoblauch, zum Esel, zum grünen, weißen Schild, Rothschild usw.«
Im Jahre 1614 wurden sie aus Frankfurt vertrieben, nachdem ihnen ihr gesamtes Eigentum abgenommen worden war. Nicht minder wurden die Juden in Worms geplagt. In Wien wurde ein Mittel erfunden, die Juden zur Finanzquelle für den Krieg zu gebrauchen. Reiche Juden wurden zu Hofjuden ernannt und ihnen eine günstige Ausnahmsstellung gewährt. Man kann sich denken, um welchen Preis. Bei der Einnahme Prags durch die Protestanten und später durch Wallenstein geschah den Juden nichts Unangenehmes.
In Polen waren die Juden gründlich verdorben und in die tiefste Unmoralität versunken. Sie hielten es treu mit dem Adel und der Geistlichkeit und drückten das arme Volk – namentlich die Kosaken – auf die grausamste Weise. Dies führte zu blutigen Judengemetzeln. Ein gewisser Zinwil Bogdan Chmielnicki stellte sich an die Spitze der Kosaken, entflammte die ganze Ukraine zu einem fanatischen Kriege gegen Polen und verbündete sich zu diesem Zwecke mit den Tartaren, die von Tugaibey befehligt wurden. Chmielnicki schlug die Polen in die Flucht, dann plünderte er das Land östlich vom Dniepr zwischen Kiew und Pultava und ließ massenhaft Juden massakrieren. Es sollen damals an mehrere tausend Juden ums Leben gekommen sein. Viele Juden nahmen zum Scheine das griechisch-orthodoxe Christentum an, andere ergaben sich den Tartaren, wurden von denselben in die Türkei verkauft und von den türkischen Juden ausgelöst.
In Tulczyn fand im Jahre 1648 bei dieser Gelegenheit ebenfalls ein schreckliches Gemetzel statt. Nachdem die Polen den Juden alles weggenommen hatten, stellten sie den Letzteren die Wahl zwischen Tod und Taufe, jedoch keiner von ihnen apostasierte. Gegen 1500 Juden wurden in Gegenwart der polnischen Edelleute gemartert und starben für ihren Glauben. Ebenso standhaft starben die Juden in Homel, wo gleichfalls 1500 Mann, darunter Frauen und Kinder, den Märtyrertod erlitten. Ähnliche Gemetzel fanden an verschiedenen Orten in Polen statt, einzelne Gemeinden wurden völlig aufgerieben. Diese Verfolgung erstreckte sich nicht bloß auf die Juden, sondern auch auf die Katholiken. In Spanien dagegen wütete die religiöse Verfolgung am Anfange des 17. Jahrhunderts in großartiger Weise. Im Jahre 1632 ließ Philipp IV. ein großes Auto da fé im Beisein des Hofes und der Gesandten feiern wegen angeblicher Mißhandlung eines Jesubildes. Sogar in Lima, in Peru, wurden im Jahre 1639 dreiundsechzig Juden von der Inquisition verurteilt, 17 Marranen lebendig verbrannt, darunter auch ein Arzt Francisco Maldonad da Silva, welcher das Judentum nicht nur öffentlich bekannt, sondern auch gepredigt hatte.
Auch in Mexiko erlitt um diese Zeit ein Marrane den Märtyrertod, ebenso ein christlicher Adliger Namens Don Lope de Vera y Alarcon von San-Clemente. Derselbe war 20 Jahre alt, als er sich vom Christentum zum Judentum bekehrte. Er wurde eingesperrt, legte seinen adligen Namen ab und nannte sich Juda der Gläubige. Umsonst war das Flehen seiner Eltern und die Bekehrungsversuche der Geistlichkeit. Nachdem er mehrere Jahre im Kerker geschmachtet, wurde er am 25. Juli 1644 verbrannt. Mitten aus den Flammen ließ er die Worte der Psalmen erschallen: »In deine Hand o Herr, empfehle ich meinen Geist«. Der Inquisitor Moscosco soll damals in einem Briefe an eine Gräfin geschrieben haben: »Niemals habe man einen solchen Drang zum Sterben, ein solches Vertrauen auf Seligkeit gesehen, wie bei Lope«. Ebenso standhaft starb im Jahre 1647 in Lissabon der junge Marrane Isaak de Castro Tartas, der gerade dazu entschlossen gewesen zu sein scheint, den Märtyrertod zur Verherrlichung seines Glaubens zu sterben. Auch er rief aus den Flammen: »Höre Israel, dein Gott ist einzig«.
Im Jahre 1654 wurden in Cuenca in Spanien 10 Marranen, in Granada 12 verbrannt.
Berühmt ist das große Auto da fé vom 30. Juni 1680, welches in Madrid abgehalten wurde. Sechzehn Meister mit ihren Gesellen sollen mehrere Wochen daran gearbeitet haben, Estraden und Schauplätze für den Hof, den Adel, die Geistlichkeit und das Volk zu erbauen. Vier Wochen vorher war das Datum des lustigen Festes in der Stadt verkündigt worden. Grätz schreibt darüber folgendes:
»Endlich erschien der von der Bevölkerung Madrids und von den auswärts herbeigeströmten Zuschauern sehnsuchtsvoll erwartete Tag (Sonntag, 30. Juni 1680). Eine so große Zahl Opfer der Inquisition war schon lange nicht vereint gesehen worden. 118 Personen jedes Alters und Geschlechts! Siebzig oder noch mehr Judaisierende hatten die verschiedenen Tribunale geliefert; die übrigen waren sogenannte Hexen, Männer, die mehr als eine Frau hatten, ein verheirateter Priester und ähnliche Verbrecher. Des Morgens früh wurden alle diese Unglücklichen barfuß, in Hemden und Papiermützen, mit Teufeln und Flammen bemalt, mit brennenden Kerzen in Händen, zur Prozession geführt, begleitet von Geistlichen und Mönchen aller Orden, Rittern und Familiaren der Inquisition mit flatternden Fahnen und Kreuzen. Kohlenbrenner mit Hellebarden eröffneten den Zug nach altem Brauch und Vorrecht. Bilder von verstorbenen und flüchtigen Ketzern, mit Namen bezeichnet, und Särge mit den Gebeinen der Unbußfertigen wurden von Henkersknechten der Inquisition getragen. Der geistesschwache König, die junge Königin Maria Louise d'Orléans, Hofdamen, Großwürdenträger, der hohe und niedere Adel, alle diese waren von morgens an auf dem Schauplatz versammelt und hielten in der drückenden Hitze bis spät abends aus. Wer von bedeutenden Persönlichkeiten, selbst von Damen, ohne Grund fehlte, kam dadurch in den Verdacht der Ketzerei. Die Geistlichkeit bot allen Tand auf, um das Schauspiel imposant und denkwürdig zu machen. Beim Anblick der Schlachtopfer rief das ganze Volk, wie zu erwarten war, abermals: »Es lebe der Glaube!« Plötzlich hörte man die flehentliche Stimme einer kaum siebzehnjährigen Marranin von wunderbarer Schönheit, welche in der Nähe der Königin zu stehen kam, ausrufen: »Großmütige Königin! erbarmen Sie sich meiner Jugend! Wie kann ich der Religion entsagen, die ich mit der Muttermilch eingesogen?« Maria Louise de Bourbon, selbst nicht viel älter, unterdrückte eine Träne. Der Großinquisitor Diego de Sarmento ließ die feierliche Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen, den König beim Evangelium und dem Kreuze an seine Pflicht als allerchristlichste Majestät zu ermahnen: Daß er die Ungläubigen und Ketzer verfolgen, sie ohne Ansehen der Person bestrafen, der heiligen Inquisition seinen Arm leihen und sie mit seiner königlichen Macht unterstützen wolle. Laut rief Karl: »Das schwöre ich bei meiner königlichen Würde«. Denselben Eid wiederholten die Großwürdenträger, die Ritter und die Bürgerschaft, und die Menge bekräftigte ihn mit einem weithinschallenden Amen. Der König fügte die Tat dem Worte hinzu und zündete zuerst mit einer ihm gereichten Fackel den Scheiterhaufen an, und zu diesem waren achtzehn Marranen verurteilt, welche sich offen zum Judentum bekannt hatten. Darunter war eine 60jährige Witwe mit zwei Töchtern und einem 66jährigen Schwiegersohn, welche acht Jahre im Kerker zugebracht hatten. Noch zwei andere Frauen, von denen die eine erst 30 Jahre alt war, die meisten Männer kräftigen Alters zwischen 27 und 38 Jahren, einfache Leute, Tabakspinner, Goldarbeiter, Handelsleute, sie alle starben mit Standhaftigkeit den Flammentod. Einige stürzten sich in die Glut. »Ich hatte nicht den Mut, dieser entsetzlichen Hinrichtung der Juden beizuwohnen. Es war ein erschreckliches Schauspiel, wie man mir sagte. Man konnte aber nur durch eine Bescheinigung des Arztes von der Anwesenheit dispensiert werden. Was für Grausamkeit man beim Tode dieser Elenden gesehen hat, kann ich Ihnen nicht beschreiben.« So berichtet die Marquise de Villars an ihren Gemahl. Eine andere französische Dame berichtete darüber. »Ich ging nicht zur Exekution, ich war schon von Schmerzen ergriffen, als ich die Verurteilten am Tage sah ... Man muß aber nicht glauben, daß ein so strenges Beispiel imstande wäre, die Juden zu bekehren. Sie werden nicht im geringsten davon gerührt, und es gibt selbst in Madrid eine beträchtliche Anzahl, welche als solche bekannt sind, und die man in ihren Stellungen als Finanzbeamte läßt.« Die übrigen 54 Marranen wurden teils zu den Galeeren, teils zu mehrjährigem und manche zu ewigem Kerker verurteilt.«
Im Jahre 1682 wurden in Lissabon wieder drei jüdische Märtyrer verbrannt.
Als Wien von den Türken belagert wurde, standen die Juden im sicher begründeten Verdachte, es heimlich mit den Türken zu halten. In Ungarisch-Brod massakrierte die Bevölkerung aus diesem Grunde eine kleine jüdische Gemeinde; aus demselben Grunde fanden in Padua Judenverfolgungen statt. Merkwürdig ist, daß um diese Zeit in Amsterdam drei Christen zum Judentum übertraten. Doch das Licht der Aufklärung dämmerte bereits, und vor dem Lichte derselben erblaßte und erlosch das Licht der Scheiterhaufen. Der Judenhaß dauerte jedoch weiter, er dauert noch fort bis zum heutigen Tag. Wo er jedoch auftritt, trägt er nur mehr den Charakter der Willkür und nicht mehr den der Gesetzlichkeit.
Lecky schreibt in seiner Geschichte der Aufklärung:
»Gewiß erblaßt der Heroismus der Verteidiger jedes anderen Glaubens in nichts vor diesem Märtyrervolk, das dreizehn Jahrhunderte lang allen den Leiden die Stirn bot, welche der wildeste Fanatismus erdenken konnte, das lieber Schmach, Beraubung, Verletzung der teuersten Bande und die Auferlegung der schrecklichsten Qualen erduldete, als seinen Glauben verließ. Denn die Juden waren keine asketischen Mönche, abgestorben allen Hoffnungen und Leidenschaften des Lebens, sondern Menschen, welche die weltlichen Vorteile, die sie aufgaben, im hohen Grade würdigten, und deren Liebe dafür, wegen des engen Kreises, auf welchen sie beschränkt waren, um so lebhafter geworden war. Enthusiasmus und die sonderbaren Erscheinungen von Ekstase, welche ihren so großen Einfluß in der Geschichte der Verfolgung geltend gemacht, welche so viele Märtyrer mit übermenschlichem Mut gestählt und die Angst vor so vielen fürchterlichen Torturen gescheucht oder vernichtet haben, waren hier fast unbekannt. Die Verfolgung kam über die Juden in den schrecklichsten Formen, doch umgeben von jeder Art kleinlicher Quälerei, die ihr das Großartige nahm, und so blieb sie Jahrhunderte lang ihr dauerndes Teil. Aber trotz all' dem schwang sich der Geist dieses wunderbaren Volkes empor. Während die um sie her in Finsternis und betörter Unwissenheit herumkrochen, während täuschende Wunder und lügenhafte Reliquien die Themata waren, über die fast ganz Europa verhandelte, während der Geist des Christentums, im Joche von grenzenlosem Aberglauben, in eine Todesstarre versunken war und alle Liebe zur Untersuchung und alles Forschen nach Wahrheit aufgegeben waren, beharrten die Juden auf dem Pfade des Wissens, Kenntnisse sammelnd und den Fortschritt mit derselben unerschrockenen Ausdauer anspornend, die sie in ihrem Glauben an den Tag gelegt hatten. Sie waren die geschicktesten Ärzte, die befähigsten Finanziers und zählten zu den tiefsten Philosophen, während sie nur in der Pflege der Naturwissenschaften den Mauren nachstanden. Sie waren auch die Hauptdolmetscher der arabischen Wissenschaft für Westeuropa. Aber der wichtigste Dienst, den sie der Welt geleistet haben und der uns hier ganz besonders beschäftigt, ist die Wachhaltung kaufmännischer Tätigkeit, deren Vertreter sie fast allein für Jahrhunderte waren.«
Die Geschichte berichtet sehr wenige Maßregeln, die einen so überaus großen Jammer erzeugten, – Trübsale so schrecklicher Art, daß ein alter Geschichtsschreiber sie kaum übertrieben hat, wenn er die Leiden der spanischen Juden als gleich denen ihrer Ahnen nach der Zerstörung Jerusalems schildert. In drei kurzen Monaten mußten alle nicht bekehrten Juden bei Todesstrafe den spanischen Boden verlassen. Obgleich man ihnen gestattete, ihre Habseligkeiten zu verkaufen, verbot man ihnen doch wieder andererseits, Gold oder Silber aus Spanien wegzuführen, und diese Maßregel machte sie, gegenüber der Raubgier ihrer Verfolger, fast hilflos. Unzählige, welche in die Hände der um die Küste schwärmenden Seeräuber fielen, wurden alle ihres Besitztums beraubt und in die Sklaverei geführt; Unzählige starben an Hunger oder Pest oder wurden mit schrecklicher Grausamkeit gemordet oder von den afrikanischen Wilden gemartert oder von Stürmen an die spanische Küste zurückgeschleudert. Zarte Frauen, aus glänzenden Wohnungen inmitten der Orangenhaine von Sevilla oder Granada verjagt, Kinder, kaum den Mutterarmen entwöhnt, Greise, Kranke und Sieche kamen zu Tausenden um. Ungefähr 80 000, die sich auf das Versprechen des Königs verlassen hatten, flüchteten nach Portugal, aber auch dort verfolgte sie der Haß der Spanier. Eine Mission wurde organisiert. Spanische Priester stachelten die Portugiesen zur Wut auf, und der König wurde bestimmt, ein Edikt zu erlassen, welches sogar das der Isabella in den Schatten stellte. Alle erwachsenen Juden wurden aus Portugal verbannt, vorher jedoch alle ihre Kinder unter vierzehn Jahren ihnen entrissen, um als Christen erzogen zu werden. Da, fürwahr, war der Kelch der Bitterkeit bis zum Rande voll. Die heitere Standhaftigkeit, mit welcher die Vertriebenen so viele und so schmerzliche Trübsale ertragen hatten, ließ nach, und an ihre Stelle trat der wildeste Paroxismus. Herzzerreißende Angstrufe füllten das Land. Frauen stürzten ihre Kinder in tiefe Brunnen oder zerrissen sie lieber gliederweise, als sie den Christen auszuliefern. Als sie schließlich kinderlos und gebrochenen Herzens das Land zu verlassen suchten, fanden sie, daß die Schiffe absichtlich zurückgehalten wurden, und da die anberaumte Zeit verstrichen war, so wurden sie in die Sklaverei geführt und gewaltsam getauft. Durch die gnädige Vermittlung Roms erlangten zuletzt die meisten von ihnen ihre Freiheit wieder, aber die Kinder wurden ihnen für immer entrissen. Ein großer Freudenschall füllte die Halbinsel und verkündigte, daß der Triumph der Spanier vollkommen wäre.
»Alle Gesetze,« sagt Herder, »die den Juden ärger als Vieh achten, ihm nicht über den Weg trauen und ihn damit täglich, ja stündlich ehrlos schelten: sie zeugen von der fortwährenden Barbarei des Staates, der aus barbarischen Zeiten solche Gesetze duldet. Montesquieu hat Recht, daß die ehemalige Barbarei in Europa zu der Verderbnis des jüdischen Stammes und Charakters durch ein gewalttätiges und häßliches Benehmen gegen das jüdische Volk mit beigetragen, welches wir ihm, der Geschichte zufolge, nicht ableugnen können; daher ist es der Europäer Pflicht, die Schulden ihrer Vorfahren zu vergüten und die durch sie ehrlos wurden, der Ehre wiederum fähig und wert zu machen«.
Sogar der abessynischen Kirche ist es noch, und zwar in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, plötzlich eingefallen, die Juden (Falaschas) ihrer Religion wegen zu verfolgen. Bis zum Regierungsantritt des Königs Theodoros konnten die Juden Staatsämter bekleiden. Theodoros, welcher die Einheit des Kultus anstrebte, entfernte sie gewaltsam daraus. Dann kamen, wie Halévy berichtet, die christlichen Missionäre, die alle Hebel in Bewegung setzten, um die Juden zum Christentum zu bekehren, die jüdische Religion auszurotten und in Europa die Nachricht vom Sturze des abessynischen Judentums, dessen letzte Stunde geschlagen zu haben schien, zu verkünden. Viele jüdische Priester wurden nach Gondar in das Palais des Negus berufen, um sich dort in Gegenwart desselben einer religiösen Disputation mit den Christen zu unterziehen. Es wurde in großartiger Weise gegen die jüdische Religion agitiert, ein panischer Schrecken verbreitete sich unter den Falaschas. Hunderte von Gläubigen hatten die Priester ins Palais begleitet, die Diskussion beginnt, die Gemüter erregen sich. Die jüdischen Priester beharren auf ihren Behauptungen und wollen sich durch die Argumente ihrer Gegner nicht überzeugen lassen. Der Negus, empört über den Widerstand der jüdischen Priester, befiehlt seinen Soldaten, die Schießwaffe auf sie anzulegen. In diesem Augenblicke erheben sich alle Falaschas, entblößen die Brust und rufen dem erzürnten Herrscher zu: »Schießen Sie nur, König, wir sind alle bereit, für unsere Religion zu sterben.« Der ritterliche Theodoros entließ hierauf die jüdischen Priester mit Geschenken.
Aus Furcht, daß sich derartige Auftritte wiederholen könnten, verließen bald darauf Tausende von Falaschas ihre Wohnsitze, um sich nach Jerusalem zu begeben. Dieser Exodus mißlang natürlich vollkommen; die meisten kamen um, nur ein kleiner Teil kehrte erschöpft in seine alten Wohnsitze zurück. Halévy, der über die Falaschas Abessyniens im Jahre 1868 einen hochinteressanten Bericht veröffentlichte, bemerkt über diese Verfolgung: »Europa ahnt bis heute nicht, was für Ströme von Tränen und Blut die Apostel des Heiles in diesen fernen Gebieten fließen gemacht haben.«
Hiermit bin ich mit der Darstellung der schrecklichen Verfolgungen, welche die Juden von Seiten der Christen durchzumachen hatten, zu Ende. Der geehrte Leser wird sich mit mir freuen, diesen grauenhaften Stätten von Blut und Tränen den Rücken zu kehren. Die Juden, die in diesen blutigen Verfolgungen treu blieben ihrem angestammten Glauben, die lieber Spott, Hohn, Verachtung, die Parkierung des Ghettos, das schmachvolle Judenzeichen, die Beschränkung in allen bürgerlichen Rechten, ja Unfreiheit, Verfolgungen, Armut, Elend, Martern und Qualen, ja sogar den peinvollsten Tod standhaft ertrugen, sie waren sicherlich weniger als schlau. Sie hätten ebenfalls wie so viele ihrer Stammesgenossen scheinbar zum Christentum übergehen und dabei ruhig an ihre mosaische Religion weiterglauben können, denn ins Herz schaut kein Mensch hinein. Sie taten es aber nicht und litten. Das war nicht weise, und ich bedauere es lebhaft. Aber in dieser Standhaftigkeit liegt ein so kolossaler Heldenmut, eine so überirdische Größe, eine derartige Majestät des Charakters, daß ich nicht umhin kann, mich vor diesen Duldern ehrfurchtsvoll zu beugen in grenzenloser Bewunderung, und rufe statt »Jude, Jude hep, hep, hep«: »Juda, Juda hip, hip, hurrah!«