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»Wer die Zeit des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts nicht miterlebt hat, weiß nicht, was leben heißt«, hat Talleyrand einmal gesagt und dies natürlich vom Standpunkt seiner bevorzugten Kaste, der jene Zeit alles gab, was man sich nur für ein glückliches Menschenleben träumen kann. Reichtum, Glanz, Vornehmheit, die höchsten Würden im Staate ohne schwere Arbeit, tausend Vorrechte und Vorzüge vor der Masse der anderen, die allein für die Steuern aufkommen, allein die Lebensmittel schaffen mußten und überall benachteiligt waren, wo immer sie in Erscheinung traten. Diese sozialen Ungerechtigkeiten hatten dann auch den Ausbruch der großen französischen Revolution zur Folge mit allen ihren Ergebnissen und Ausartungen. Anderseits aber kam jene bevorzugte Stellung eines kleinen Kreises von Familien Kunst und Kultur zugute und die herrlichsten Gebäude, die schönsten Bilder, mit Geschmack prächtig gebundene Bücher und künstlerische Stiche und Miniaturen zeugen davon.
Ein Kind dieser Zeit und zudem ein Sohn jenes fröhlichen, trinkfreudigen, einst so glücklichen Rheinlandes und dazu von Uradel, der auf das 14. Jahrhundert zurückgeht, war Franz Georg Metternich-Winneburg-Beilstein, in dessen Ahnenreihe drei Träger des Kurfürstenhutes von Mainz und einer von Trier zu verzeichnen waren. Er war nicht allzu tief angelegt, stolz auf seine Abstammung, oberflächlich gebildet, aber liebenswürdig, elegant, galant, mit gefälligen Formen und wenig Tatkraft. Ein besonderer Freund der Damenwelt, konnte er in deren Kreise auf beträchtliche Erfolge hinweisen. Seine große, stattliche Gestalt zeigte schon in früher Jugend den Ansatz zur Wohlbeleibtheit. Auch Graf Franz Georg bestätigte die alte Regel, daß wohlbeleibte Männer eher gutmütig und ohne Ehrgeiz zu sein pflegen, weshalb schon die römischen Herrscher solche Persönlichkeiten gerne um sich sahen.
Am Ausgange des 18. Jahrhunderts waren Verbindungen, Verwandtschaft, Titel und Würden sowie Protektion unendlich viel wichtiger als persönliche Kenntnisse und eigenes Talent. Über jene verfügte der Graf schon durch seine nahe Verbindung mit den Kurfürsten der beiden großen rheinischen Städte, welche Herren ihrerseits natürlich wieder mit dem kaiserlichen Hofe zu Wien stets die engsten Beziehungen pflogen. Denn von ihnen hing ja jeweils die Wahl des Kaisers ab und daher hatte auch dieser das Interesse, sich die Kurfürsten warm zu halten, bei denen Metternich in Gnade stand. Hiezu trachtete man deren vertraute Umgebung in das kaiserliche Interesse zu ziehen. Dies geschah nicht zuletzt auch dadurch, daß man Heiratsverbindungen solcher hoher Würdenträger an den kurfürstlichen Höfen mit Frauen stiftete oder zumindest förderte, die aus dem Kaiserhause besonders anhänglichen und vertrauten Familien stammten.
Der Einfluß großer Damen war ja überhaupt in dieser Zeit ein ungemein starker; auf zwei der mächtigsten Throne des Kontinents, auf jenem Rußlands und Wiens saßen Frauen, die Kaiserinnen Katharina und Maria Theresia, und am Hofe Ludwig XV. herrschte zwar nicht offiziell, aber in Wirklichkeit doch, eine verführerische Gestalt, Madame de Pompadour.
Nun sagt man, es sei im Jahre 1771 auch jener rheinische Graf Metternich auf Maria Theresias Veranlassung mit der Gräfin Maria Beatrix von Kageneck vermählt worden, weil sie aus einer alten Breisgauer Familie stammte, die von jeher Österreich besonders nahe stand. Mag auch die Kaiserin in Wirklichkeit nichts damit zu tun gehabt haben, das Ergebnis ist das gleiche. An die Seite jenes Staatsmannes tritt eine Frau, auf die der Kaiserhof zu Wien zählen kann, was um so mehr ins Gewicht fällt, als sie noch dazu neben lieblicher Schönheit ihrem nunmehr angetrauten Gemahl geistig und an Willenskraft unendlich überlegen ist Siehe darüber Dr. F. B. Schaeffers ausgezeichnete Darstellung in seinem »Metternich«, Bielefeld und Leipzig 1933, S. 10 f.. Es ist zuweilen nicht ungefährlich, dieser witzigen Gräfin zu nahe zu kommen; schlagfertig weiß sie die Fehler ihrer Mitmenschen mit ein paar treffenden Worten zu geißeln, gleichwie ein geschickter Karikaturist die besonders bezeichnenden Merkmale nicht immer schmeichelhafter Art scharf herauszuprägen versteht. Sofort aber mildert sie die manchmal verletzende Art durch Ironie, die auch vor der eigenen Person nicht Halt macht und dadurch gleich wieder versöhnt. Ihr Scharfsinn ist erstaunlich, aber auch die Gabe, ihre Gedanken kurz und elegant in Worte zu fassen. Ein wenig unbedenklich scheut sie vor kaum einem Mittel zurück, wenn es ihre Pläne und Entschlüsse fördern kann; beharrlich verfolgt sie diese und wendsam weiß sie sich der mannigfaltig wechselnden Lage anzupassen. Ehrgeizig wie sie ist, wünscht sie, daß ihr Gatte zu hoher Würde gelange und läßt ihre Verbindungen spielen, die bis in die höchsten Kreise Wiens reichen.
Bald erkennt sie, ihr Gemahl besitze nicht entfernt die Gaben, die dazu notwendig sind, aber das tut nichts; sie will dafür sorgen, daß er immer wieder mit den wichtigsten Aufgaben betraut wird; sollte er versagen, so wollte schon sie für ihn in die Bresche treten. Dazu hilft nicht wenig die äußere Erscheinung der jungen Frau. Man sieht ihr von weitem die aristokratische Abstammung an; die große, schlanke Gestalt, die sich mit unnachahmlichem Charme bewegt, das klug blickende, lebhafte Auge, die freigeschwungene Adlernase bilden zusammen mit der wie selbstverständlichen Ungezwungenheit ihrer gesellschaftlichen Formen ein Gesamtbild, das jedermann erfreut. Zählt man dazu ihre fast stets gute Laune, der oft und oft ein köstliches Scherzwort entspringt, so wird man sich leicht vorstellen können, wie dieses Geschöpf auf die Männerwelt überhaupt, aber auch auf deren mächtigen und maßgebenden Teil leichthin Einfluß gewinnen kann. So ist die Frau beschaffen, die am 15. Mai 1773 einem Sohne Clemens Wenzel Lothar in Coblenz das Leben gibt, den das Schicksal ausersieht, in der Welt einmal eine wahrhaft ungeheure Rolle zu spielen.
Da Gräfin Beatrix' Gatte schon seit 1773 als kaiserlicher Diplomat die Interessen Österreichs bei den Kurhöfen von Mainz, Köln und Trier vertritt, ist er zu häufigen Reisen nach Wien gezwungen, bei denen er stets von seiner jungen Frau begleitet wird, die alles tut, um solche Besuche möglichst gut für ihre und ihres Mannes Zwecke auszunützen.
Der Einfluß der Gräfin am Wiener Hofe ist vor allem anderen durch ihre Beziehungen zum Hause des Staatskanzlers Fürsten Wenzel Anton Kaunitz gegeben, der besonders viel für die lebensprühende schöne Dame übrig hat. Seinem überragenden Einfluß ist jede Ernennung zu danken, die in den folgenden Jahren Metternichs Vater zu Amt und Würden bringt und dies besonders auch, da die Gräfin in der Umgebung Kaunitzens einen Mann gewonnen hat, der für den Staatskanzler unentbehrlich ist und als Reichsreferendar und später Kommissar am Regensburger Reichstage beim Fürsten ein gewichtig Wort zu reden hat. Dieser Mann, Johann Georg Leykam, stammte aus einer bescheidenen Familie, die sich aus dem niederen Fürstlich Taxis'schen Postdienst emporarbeitete und 1788 erst den Freiherrntitel erwarb. Durch Brauchbarkeit, Fleiß und Geschicklichkeit hatte er sich eine besondere Stellung beim Staatskanzler Fürsten Kaunitz geschaffen. Die Gräfin Metternich zieht ihn in ihren Salon, den sie in vorbildlicher Weise nicht nur zu einem Schauplatz gemütlicher und liebenswürdiger Plauderei, sondern auch zu einem Terrain zu gestalten versteht, auf dem man unmerklich maßgebende Persönlichkeiten beeinflussen und für sein eigenes Interesse gewinnen kann. Da schadet es nicht, wenn die Hausfrau an und für sich reizend hübsch ist und sich nicht scheut, gegebenenfalls auch ein wenig Koketterie spielen zu lassen.
Das Milieu, in dem Herr von Leykam verkehren darf, wirkt umsomehr auf ihn ein, als er sich bewußt ist, daß er der Geburt nach bei der großen Exklusivität hochadeliger Kreise nicht dazu gehört und seine Aufnahme daher eine besondere Auszeichnung bedeutete. Und da der unsterbliche Snobismus damals seine groteskesten Blüten zeitigt, kann man den Einfluß ermessen, den die schöne Gräfin auf den der Staatslenkung so nahestehenden Beamten ausübt. Aber das ist noch lange nicht alles. Kaiser Joseph hatte in den letzten Jahren seines Lebens in einem Kreise von fünf liebenswürdigen und edlen Damen Trost und Erholung gesucht. Zu diesen fünf zählte die Fürstin Eleonore Liechtenstein, eine liebenswürdige, schöne und kluge Frau, die, 1745 geboren, alle entzückt, die ihr nahe kommen; als Gattin des Feldmarschalls Karl Liechtenstein wird sie in ihrem Kreise kurzweg die Karlin genannt. Sie ist eine Schwester der Gräfin Leopoldine Kaunitz, der Schwiegertochter des Staatskanzlers und Gemahlin des Grafen Ernst, die ebenfalls der Gesellschaft der fünf Damen des Kaisers angehörte. Durch sie sucht Gräfin Metternich-Kageneck dem Kreise Kaunitz noch näher zu kommen, obwohl das schwierig ist. Denn die Fürstin Karlin, als Verkörperung einer grande dame, vereint alles in ihrem Hause, was in der Hauptstadt vornehm ist und sie muß schon persönliche Sympathien hegen, um jemand Außenstehenden in ihrem Salon zu empfangen. Doch auch das gelingt, vornehmlich weil die Gräfin Beatrix bei dem alten Staatskanzler Fürsten Kaunitz einen solchen Stein im Brette hat. Sie verkehrt auch mit dessen Sohne und seiner Frau auf das allerfreundschaftlichste.
Dieser Ernst Kaunitz hat ein Töchterchen, das nach ihrer Taufpatin und Tante, der Fürstin Karlin, Eleonore heißt und Lorel genannt wird, ein rechter kleiner Wildfang, nicht allzu hübsch, aber sehr vernünftig. Sie ist um mehr als zwei Jahre jünger als Beatrix Metternichs ältester Sohn und diese behält die Enkelin des großen Staatskanzlers weitblickenderweise wohl im Auge.
Die Gräfin liebt alle ihre Kinder, wenn sie auch den älteren Sohn Clemens den anderen weitaus vorzieht. Er ist aber auch besser gestaltet, begabter, fleißiger und geschickter als sein jüngerer Bruder Joseph, und wird daher von der Mutter und später auch von seiner um ein Jahr älteren Schwester über alles geliebt und verhätschelt. Unwillkürlich bleibt Metternich zeitlebens etwas von dieser Verwöhnung von Jugend auf zurück. Auch weist sein Auftreten und Wesen immer einen gewissen Zug ins Weibliche auf. Im übrigen aber hatte er vor allem die Vorzüge der Mutter, die geistige Wendsamkeit, die gesellschaftlichen Gaben, das gefällige Äußere, die schöne französische Sprache und nicht zuletzt auch ihren Ehrgeiz geerbt. Vom Vater aber übernahm er die heißblütige Art der rheinischen Kavaliere und leichte Auffassung des Verhältnisses zu den Frauen, die ihn bei seiner anmutigen und verführerischen Erscheinung gleichwie Mutter und Schwester von frühester Jugend an herzten und verwöhnten.
Clemens Metternichs Äußeres lehnt sich gleichfalls weitgehend jenem der Mutter an; dieselbe schlanke, ebenmäßige Gestalt, dasselbe weiche blonde Haar, die gleiche, etwas blasse Gesichtsfarbe, die leichtgebogene Adlernase, der feingeschnittene, etwas sinnliche Mund, aber nichts Kraftvolles, Energisches, besonders Männliches in Gestalt und Auftreten. In früher Jugend gewohnt als hübsches Kind betrachtet zu werden, wurde er von seiner Umgebung förmlich zu großer Eitelkeit erzogen, was umso gefährlicher ist, als ja jeder Mensch den Keim zu jener weitverbreiteten Eigenschaft in sich trägt und vornehmlich ein äußerlich gut aussehender ihr ganz besonders ausgesetzt ist. Man konnte schon in frühem Jünglingsalter voraussehen, daß dieser junge Graf, der einen mit seinen großen blauen Augen so liebenswürdig ansieht und mit seinem angenehmen Organ so gar nicht scheu, nett und unterhaltend zu plaudern weiß, einmal ein Liebling der Frauen und Löwe der Salons werden würde. Zudem erhält er von seiner erfahrenen und in vielfältiger Salonintrige bewährten Mutter geschickte und psychologisch tief begründete Ratschläge, deren Nichtbefolgung so manchem schon sehr geschadet haben. Es war zwar der Vater, der ihm einmal schrieb, er solle liebenswürdig mit aller Welt sein, besonders aber nicht die alten Damen vernachlässigen, deren Gerede, mehr als man glaube, die Meinung über junge Leute beeinflusse. Siehe hiezu wie zu anderem Heinrich Ritter von Srbiks großangelegtes Werk »Metternich«, das auch eine Synthese der gesamten irgend erlangbaren Literatur über diesen Staatsmann darstellt. München 1925, S. 67. Aber das war sicher ein Wink der Gräfin, dem der Vater nur schriftlichen Ausdruck gab. Der junge Metternich wird so frühzeitig weltgewandt, weil ihn seine Eltern schon in zartem Knabenalter zur Gesellschaft der Großen zuzogen, deren Damen sogleich Gefallen an dem hübschen Jungen finden. So vorbereitet tritt er ins Leben.
Während Clemens in Straßburg auf die Universität geht und sich mehr unterhält als studiert, spielen sich große Ereignisse in der Welt ab. Die Zustände in Frankreich führen schließlich zu einer Krise, die es notwendig erscheinen läßt, Notablen einzuberufen, die den schwersten Mißständen im Staate abhelfen sollen. Die Versammlung, die am 5. Mai 1789 in Versailles zusammentritt, bildet den Ausgangspunkt für den nun gegen das Königtum und die bevorzugten Stände folgenden Aufruhr des Volkes, das sich zum erstenmal am 14. Juli 1789 in der Erstürmung der Bastille zu gewalttätigen Schritten hinreißen läßt. Noch kann man nicht absehen, wie weit diese Vorgänge in Frankreich führen werden, aber schon macht sich in den angrenzenden Ländern, in Belgien sowohl, wie im Elsaß Unruhe geltend. Wenn sich auch die im erstgenannten Lande ausbrechenden Wirren im Gegenteil als eine aristokratische Revolution gegen die von Joseph II. geplanten freiheitlichen und antikirchlichen Neuerungen darstellten, so ist es doch der sich von Frankreich her überall verbreitende Geist des Aufruhrs, der Josephs II. letzte Erdentage verbittert. Der Mann, der wie kaum ein anderer besten Willens, seiner Zeit weit voraus, von der Größe seiner Bestimmung ernst und leidenschaftlich erfüllt ist, muß sich vor grausamer Krankheit ebenso, wie vor dem Nichtverständnis seiner Ideen beugen.
Kurz bevor er am 20. Februar des Jahres 1790 seinen letzten Atemzug tut, klagt er dem aus Belgien stammenden Fürsten Ligne: »Es ist Ihr Land, das mich getötet hat.« Das letzte Schreiben, das er noch mühselig diktiert, gilt seinen vornehmen Freundinnen: »An die Gesellschaft der fünf Damen, die mich in der ihren duldeten«, ist die für Joseph II. bezeichnende Aufschrift. »Mein Ende naht heran«, heißt es weiter, »es ist Zeit, Ihnen noch durch diese Zeilen meine ganze Erkenntlichkeit für jene Güte, Höflichkeit, Freundschaft und liebenswürdige Freigeistigkeit zu bezeigen, die Sie mir während so vieler Jahre, die wir miteinander zugebracht haben, zu erweisen und angedeihen zu lassen die Gewogenheit hatten. Ich bereue keinen Tag, keiner war mir zu viel und die Entbehrung des Vergnügens, mit Ihnen umzugehen ist das einzige wahre Opfer, das ich bringe, wenn ich diese Welt verlasse. Haben Sie die Güte, sich meiner im Gebet zu erinnern.« Als die Fürstin Karlin Liechtenstein, wohl jene der Fünf, die Joseph II. am meisten verehrt hatte, diesen Brief mit umflorter Stimme vorliest, kommen allen die Tränen und ihre Schwester Kaunitz umarmt sie weinend in stummer Trauer. Beatrix Metternich aber schreibt all dies ihrem siebzehnjährigen Sohn, nicht ohne die Bemerkung daran zu knüpfen, daß des verstorbenen Kaisers Beispiel zeige, wie sehr ein Mann in dem Umgange mit edlen und schönen Frauen Erholung nicht nur, sondern auch Nützliches für sein Leben und seine Arbeit gewinnen könne.
»L'empereur est mort, vive l'empereur!« Einer der klügsten und besten Fürsten des Hauses Habsburg, Leopold II. von Toskana, ist Josephs Nachfolger und in dem Gedanken einer so würdigen und besonnenen Nachfolgerschaft finden die Damen wie das Reich zunächst ihren Trost.
Leopold ist ruhiger und nicht so himmelstürmend wie sein Bruder. Er sieht ein, daß man besonders in Belgien nicht alles so vom Zaun brechen dürfe, wie Joseph es versucht hatte. Er ist mehr Diplomat und gibt den Aufständischen in den Niederlanden und Belgien unerwartet gute Bedingungen, nicht ohne gleichzeitig militärisch ausreichende Vorsorge zu treffen. So wird die österreichische Herrschaft in Belgien wieder voll hergestellt. Am 15. November 1790 findet in Frankfurt die Krönung Kaiser Leopolds statt, an der Metternichs Vater als Wahlgesandter teilnimmt. Bei dieser Gelegenheit zeigt er zum erstenmal seinen ältesten Sohn Clemens in der Öffentlichkeit, den er, um ihm irgendeinen Platz bei den Feierlichkeiten einzuräumen, bei all seiner Jugend zum Zeremonienmeister des westphälischen Grafenkollegs ernennen läßt. Es ist dies eine rein gesellschaftliche Würde, die es aber dem jungen Clemens ermöglicht, sich bei den großartigen Feierlichkeiten in Frankfurt in der schmückenden Pracht des Malteserordens in seiner ganzen Frische und Schönheit zu zeigen. Bewundernd sehen die Damen der verschiedenen Fürstlichkeiten und ihrer Höfe, ebenso wie die Bürgerinnen Frankfurts zu diesem Bilde liebenswürdiger, schmucker Jugend auf.
Nach der Krönung des Kaisers kehrt Clemens Metternich nicht mehr an die Universität Straßburg zurück, sondern setzt seine Studien an der Mainzer Hochschule fort, in jener selben Stadt, wo der Kurerzkanzler von Erthal seinen glänzenden Hof hält, in dem schöne und geistvolle Frauen die Hauptrolle spielen und auch galante Damen leichteren Rufes Eingang in die gute Gesellschaft finden. Verführerisch ist der Glanz dieses Hofes, verführerischer noch die schönen Frauen, die ihn beleben. Ein vielleicht schlüpfriger, aber heiterer Boden für den charmanten, glänzenden Kavalier, dessen Vater mit dem Kurerzkanzler verwandt ist und daher für seinen Sohn dort alle Türen öffnen kann. Der etwas frivole Rokokogeist des ausgehenden 18. Jahrhunderts umfängt den jungen Mann da mit seinen liebenswürdigen Versuchungen. Es dient ihm zu einer Lehre fürs Leben, wenn er dort sieht, wie eine kokette, schöne, verschlagene Frau von Coudenhoven den Einfluß ihrer bestrickenden Erscheinung auf ihren Freund und Kurfürsten von Erthal nützt. Bald lernt er, daß man durch Damen oft viel leichter wichtige Dinge erfahren kann als auf normalem Wege. Frühzeitig zeigen ihm die Frauen, die er in Gesellschaft trifft, daß er ihnen gefällt, früh auch erkennt er, daß er den Spieß umkehren und sie für seine Zwecke benützen kann. Wenn er dann gleichzeitig ihre Reize genießt, umso besser. Sein ihm von der Mutter und durch jene Damen genährter Ehrgeiz wird so schon in früher Jugend entwickelt und bald lernt er aus Erfahrung, daß Kaiser Joseph in vielen Fällen recht hatte, wenn er einmal seinem Bruder Leopold schrieb: »Ich habe immer bemerkt, daß man um Frauen zu gefallen, sie vor allem unterhalten muß, das übrige ergibt sich dann leicht. Ich besaß das Talent, sie zum Lachen zu bringen, das ist meiner Ansicht nach der richtige Weg zu ihrem Herzen.« Kaiser Joseph an Großherzog Leopold von Toskana. 28. Juli 1768. Wien, Staatsarchiv.
Franz Georg Metternich ist inzwischen am 8. Juli 1791 als dirigierender bevollmächtigter Minister bei der wiederhergestellten Regierung der österreichischen Niederlande in Brüssel eingesetzt worden. Ein Gönner, Graf Philipp Cobenzl, hat diese Ernennung bei Kaiser Leopold II. befürwortet. Sohn Clemens weilt zwar in Mainz, besucht aber während der Ferien seine Eltern in Brüssel. Diese Stadt ist zur Zeit von französischen Adeligen und Offizieren überflutet, die vor der Revolution, die sich in diesem Lande mehr und mehr ausspricht, die Flucht ins Ausland ergriffen haben. Zu ihnen gehört auch ein Herzog Caumont-La Force, der in Nancy in Garnison stand und nun mit seiner jungen Frau Marie Constance de Lamoignon, der Tochter eines Großwürdenträgers des Königreichs, vor den Stürmen in Frankreich nach Brüssel geflohen ist. Die beiden waren als Kinder – sie stand im vierzehnten, er im sechzehnten Lebensjahre – von den Eltern, ohne eigene Willensmeinung äußern zu können, aneinander verheiratet worden.
Gelegentlich eines seiner Aufenthalte in Brüssel lernt Clemens Metternich das junge Paar kennen. Da Caumont-La Force eine Beschäftigung suchte, so war es vielleicht Metternich, der ihm riet, nach Mainz zu gehen und an derselben Hochschule zu studieren, die er selbst besucht. Dazu mag nicht wenig die reizende Erscheinung der jungen Frau beigetragen haben, die ihn nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihren Geist, Geschmack und Witz im Nu gefesselt hat. Die junge Herzogin ist weniger regelmäßig schön, als anmutig und fein und besitzt jenen persönlichen Reiz, den wir mit dem unübersetzbaren französischen Worte Charme bezeichnen. Lebhaft und angeregt, schlank und groß, mit schwebendem Schritt, atmet sie Elegance und süßen Frauenreiz bei einem fast kindlichen und jungfräulichen Ausdruck. Der Marquis Louis Josephe von Bouillé, auch einer der Emigranten am Mainzer Kurhofe, sagt von ihr, sie wäre das vollkommenste Modell für einen Maler, der eine Hebe oder eine Psyche darstellen wolle.
Bald werden das blutjunge Paar – Constance ist 1792 erst achtzehn, ihr Gatte zwanzig Jahre alt – und die beiden Anbeter der jungen Frau, der dreiundzwanzigjährige Marquis von Bouillé und Clemens Metternich mit seinen losen neunzehn Jahren – unzertrennlich. Die drei Franzosen haben den etwas leichtsinnigen, spielerischen, aber schillernd feinen Geist ihrer Heimat und deren verführerische Sitten mit sich gebracht. Dies mußte den deutschen Jüngling umso leichter betören und bestricken, als die Drei ja vermeinen, alles das, was da in Frankreich vor sich ginge, wäre ja nur ein toller Spuk, der in Kürze zu Falle kommen müsse, um dann wieder dem alten lockeren Vorzugsleben Platz zu machen.
Indessen haben sich am Welttheater schwerwiegende Ereignisse vollzogen. Der kluge, bedächtige, hochbegabte Kaiser Leopold II. war am 1. März 1792 einer bis zum heutigen Tag nicht ganz aufgeklärten plötzlichen Erkrankung erlegen, so daß man von Vergiftung raunte und auch Leute unter dieser Anschuldigung in Haft nahm. Es folgt ihm nun im Alter von vierundzwanzig Jahren sein Sohn Franz, der ungleich weniger begabt ist als sein Vater. Schon Kaiser Joseph hatte bei der Erziehung dieses Neffen manche Bedenken wegen der Beeinflußbarkeit seines Charakters geäußert. Kaiser Leopold hätte versucht mit anderen Mitteln als Krieg den Brandherd in Paris auszutreten und sich nur erst durch scharfen Zwang zu den äußersten Mitteln bewegen lassen. Anders Kaiser Franz; er war schon als Thronfolger für sofortiges aktives Einschreiten gewesen und läßt sich daher von der Kriegspartei viel leichter vor ihren Wagen spannen, als es Kaiser Leopold getan hätte, den ein unglückliches Geschick schon in seinem fünfundvierzigsten Lebensjahre hinwegraffte. Und wirklich schon am 20. April 1792 wird an Frankreich der Krieg erklärt und damit jene Politik begonnen, die dann überdies nicht kraftvoll und erfolgreich durchgeführt, statt der Rettung gerade im Gegenteil das furchtbare Ende des Königspaares beschleunigt.
Für den 14. Juli 1792, also den Jahrestag der Erstürmung der Bastille, wird die Krönung des neuen Kaisers in Frankfurt angesetzt. Darin liegt betonte Absicht und wieder sehen wir den jungen Clemens Metternich als Zeremonienmeister des westphälischen Grafenkollegiums an der Krönung teilnehmen. Diesmal ist auch das Ehepaar Caumont-La Force mitgekommen. Strahlenden Auges sieht die junge Frau zu, wie in dem glänzenden Aufzuge des Kaisers auch ihr guter Freund Clemens in scharlachrotem, goldgesticktem Malteserkleid einherschreitet und sie freut sich seiner schmucken, ja glänzenden Erscheinung. Sie ebensowenig wie ihr junger Kamerad können damals ahnen, daß der Kaiser, der da nun mit solcher Pracht gekrönt wird, dereinst in der Hand jenes Jünglings zeitweise fast zu Wachs werden würde.
Die junge Frau lacht von dem Fenster, das sie gemietet, fröhlich über die Kämpfe, die das Volk ausführt, um auch nur ein Korn von dem aus silberner Schale auf den Weg gestreuten Hafer zu ergattern, weil es heißt, daß dies gegen alle Krankheit schütze. Belustigt auch sieht sie zu, wie sich das Volk um den aus Brunnen sprudelnden roten und weißen Wein schlägt und dankt einem Kavalier, der ihr ein Glas davon reicht, mit reizendem Lächeln, denn auch da sagt man, daß ein Schluck Glück bringe. Dessenungeachtet kann sie sich einer leicht abergläubischen Regung nicht entziehen, als plötzlich ein Platzregen auf die feierliche Prozession niedergeht und ihre Umgebung dies als bedenkliches Vorzeichen auslegt.
Am Abend beim großen festlichen Krönungsball sieht sie neidvoll, wie ihr deutscher Kavalier in prachtvoll goldgesticktem, grünem Samtkleide der Zeit mit einer jugendschönen, blonden, blauäugigen Prinzessin von Mecklenburg tanzend den Ball eröffnen hilft. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit, denn die jungen Prinzessinnen von Mecklenburg waren in Darmstadt unter der Aufsicht ihrer Großmutter erzogen worden, die mit der Gräfin Beatrix Metternich auf vertrautem Fuße stand. Weder sie, noch das tanzende Paar, ahnten damals, daß diese Prinzessin dereinst die schönste aller Königinnen Preußens werden sollte, die es je gegeben hat. Doch der Anblick, den das Paar bietet, läßt Clemens Metternich in Marie Constance's Augen nur noch verführerischer erscheinen, was überdies durch die offenbar bevorzugte Stellung am kaiserlichen Hofe gefördert wird. Denn nichts läßt neben dem schönen Äußern eines Mannes die Liebe einer Frau höher auflodern, als wenn sie sieht, wie der Gegenstand ihrer Anbetung auch in der Umwelt glänzt und Ehren genießt. Als Constance Caumont-La Force des Abends in den Gasthof zum »Silbernen Schwan« zurückkehrt, kann sie lange nicht einschlafen, denn immer sieht sie ihren jungen Kavalier dort auf jener erhöhten Estrade im Kaisersaal stehen und sich ganz nahe von des Herrschers Majestät in der Herrlichkeit des Monarchen sonnen. So wird ihre Neigung für Clemens Metternich zur lodernden Flamme.
Auf die Krönung folgen großartige Festlichkeiten beim Kurfürsten in Mainz, wohin das Caumont'sche Viereck mittlerweile zurückgekehrt ist. Hunderte von adeligen Emigranten nehmen daran teil, alles hofft auf baldigen Glückswechsel und die schönen Frauen spannen ihre bestrickenden Fäden, als gäbe es keine Schreckensherrschaft in Paris, als gäbe es keinen Krieg und würde das Königspaar dort sich nicht in äußerster Lebensgefahr befinden. Constance gibt ihrem jungen Anbeter bald zu verstehen, daß auch sie von Liebe zu ihm erfaßt ist und das steigert Clemens' Neigung für die »Französin aus einer der besten Familien voll Geist, Geschmack und Verständnis«, wie er sich in späteren Jahren zu einer anderen Herzensfreundin äußert. Metternich an die Fürstin Lieven. Coblenz, 1. Dezember 1818. Jean Hanoteau, Lettres du Prince de Metternich à la Comtesse de Lieven, 1818-19. Paris 1909 Seite 41. »Sie, die nichts Besseres zu tun hatte«, meint Metternich weiter, »liebte mich ›den ganzen Tag‹. Ihre Nächte verbrachte sie bei ihrem Manne, aber ich glaube, sie beschäftigte sich mehr mit mir als mit ihm.« Clemens liebt sie, »wie ein junger Mann liebt«, das heißt natürlich mit dem Herzen und mit den Sinnen und sie erwidert diese Liebe. Er beteuert in späteren Jahren, sie wäre unerfüllt geblieben, obwohl er gewiß nicht der Mann war, sich damit zufrieden zu geben. Doch ein leidenschaftlicher, wenn auch vorsichtiger Briefwechsel setzt in dem Augenblick ein, wo die beiden Liebenden sich zeitweilig trennen müssen und diese engen Beziehungen dauern volle drei Jahre, bis das Leben die beiden gänzlich auseinanderreißt.
Die Hoffnungen auf schnelle Rückkehr der Emigranten in ihre Heimat und Wiedereinsetzung in ihre alten Vorrechte erfüllen sich nicht. Die Heere der französischen Revolution überfluten nach der Schlacht von Jemappes am 6. November 1792 Belgien abermals, das Statthalterpaar, die Tochter Maria Theresias, Marie Christine und ihr Gemahl verlassen Belgien für immer und kurz nach ihnen flieht auch Vater Metternich aus Brüssel. Er kehrt erst wieder, als durch des jungen Erzherzogs Karl Sieg bei Neerwinden im März 1793 Belgien wieder erobert ist, und ihn begleitet auch Clemens, der sich nur schweren Herzens von seiner jungen Liebe losreißen kann. Damals plant man schon einen Angriff auf seine Freiheit, da der General Carl Joseph Fürst de Ligne aus einer der ersten Familien Belgiens, Gemahl einer Prinzessin von Liechtenstein und einer der reichsten Grundbesitzer des Landes, seine dritte Tochter Euphémie mit Clemens vermählen will. Trotzdem sein Herz noch durchaus mit Constance La Force beschäftigt ist, verhält sich der junge Clemens nicht ablehnend angesichts der in jeder Beziehung großartigen Partie, die ihm da geboten wird. Ligne ist ja auch der Schwager der Fürstin Eleonore Liechtenstein, die in der Wiener Gesellschaft tonangebend ist. So hätte Metternich durch eine solche Heirat in Wien wie in Belgien gleichzeitig mächtig Fuß fassen können und ein wundervolles Sprungbrett für seine künftige Laufbahn erworben.
Aber das Jahr 1794 bringt Ereignisse, die vor allem auch die Vermögenslage des künftigen Schwiegervaters Fürsten de Ligne grundlegend verändern. Zunächst ist im Februar 1794 der Staatskanzler Österreichs Fürst Kaunitz gestorben, bei dem die geschickte Gräfin Metternich soviel galt und so ihren nicht gerade hervorragend staatsmännisch begabten Gatten an hohen Stellen in kaiserlichem Dienst erhielt. Dieser Schutzherr fällt nun weg und das frühere Statthalterpaar von Belgien, das nun in Wien weilt, verhehlt dort nicht, daß es von des Grafen Metternich Fähigkeiten nicht viel hält und seiner Ansicht nach ihm ein gerüttelt Teil von Schuld an dem drohenden Verlust der österreichischen Niederlande beizumessen sei.
Zudem nimmt der Feldzug gegen Frankreich, das im Jahre 1793 sein Herrscherpaar auf dem Schafott hingemordet hat, nun eine böse Wendung; die revolutionären Truppen dringen im Sommer des Jahres 1794 in Belgien ein und in den ersten Tagen Juli müssen Regierung sowie österreichische Truppen und mit ihnen Franz Georg Metternich Brüssel räumen. Die Kaiserlichen werden bis hinter die Maas zurückgetrieben und damit hat die siegreiche französische Revolution fast ganz Belgien in der Hand. Gleichzeitig ist natürlich auch Fürst de Ligne als österreichischer General und Parteigänger des Kaisertums gezwungen, seinen herrlichen Palast in Brüssel und sein wunderschönes Schloß Beloeuil zu verlassen. Mit einem Schlage hat er, der durch die Revolution auch seine Besitzungen in Frankreich verloren hatte, nun auch seine großen Güter in Belgien und damit sein bedeutendes Stammvermögen in nichts zerfließen sehen. Mit einigen wenigen wertvollen Bildern und beweglichen Kostbarkeiten sucht er nun als Flüchtling in Wien am Leopoldsberg Zuflucht. Er hat es nicht leicht, dort von den wenigen geretteten Trümmern seines Vermögens sein Leben zu fristen, »de vivôter«, wie er selbst sagt. Und dies umsomehr, als der nun nach dem Tode Kaunitzens allmächtige Minister des Äußern Freiherr von Thugut ihn wenig schätzt und er infolgedessen bei Kaiser Franz, der damals fast so tanzt, wie Thugut singt, in verhältnismäßiger Ungnade steht. Der Fürst nimmt die Sache von der heiteren Seite, bescheidet sich mit seiner neuen Lage und schreibt einfach auf seine Visitenkarte statt »Prince de Ligne« – »Prince hors de ligne«, womit er andeuten will, daß er aus all seinen alten Lebensverhältnissen herausgerissen worden sei. A. Graf Thürheim, Feldmarschall Carl Joseph Fürst de Ligne, die letzte Blume der Wallonen. Wien 1877, S. 192.
Die französischen Truppen besetzen bis auf Mainz fast das ganze linke Rheinufer und damit gehen auch Coblenz, die Stadt der Herkunft der Metternich, sowie Trier, Köln und Bonn an sie verloren. Der Vater kann also auch da keine Zuflucht mehr finden. So bleibt ihm, der damit auch alle Güter am linken Rheinufer und den Großteil seiner Einkünfte verliert, kein anderer Zufluchtsort als der Kaiserhof zu Wien, trotz der dort für ihn ungünstigen Änderung der Verhältnisse. Metternich besitzt ja in Böhmen noch die Herrschaft Königswart und das Indigenat. Die Gräfin will ihre gesellschaftlichen Talente und Verbindungen spielen lassen, um den Ihren dort wieder eine Stellung zu schaffen und insbesondere dem Lieblingssohn Clemens die Aussicht auf eine Laufbahn zu eröffnen. Dieser hat die schweren Monate in den Niederlanden nicht mitgemacht, denn sein Vater hat ihn zu Studienzwecken nach England gesandt. Als er zurückkommt, findet er sich heimatlos, Sohn eines fast zugrundegerichteten Vaters. Zum Glück ist er noch nicht mit der Tochter des ebenso mitgenommenen Fürsten de Ligne vermählt, ja nicht einmal formell verlobt, wodurch der Abbruch der bezüglichen Verhandlungen wesentlich erleichtert wird. Denn beide Elternteile haben nun an dieser Heirat kein solches Interesse mehr. Da sie beide ruiniert sind, hätte ja nur der Hunger den Durst geheiratet, wenn ihre Kinder sich verbunden hätten. Vor allem ist Gräfin Metternich jetzt unbedingt dagegen und denkt, ihr Sohn sei mit seinen einundzwanzig Jahren ja noch so jung, daß er noch lange nicht zu heiraten brauche. Einmal in Wien, in dem ruhigen, gefestigten, reichen Kaiserstaate und seiner prächtigen, lebensfrohen Hauptstadt, in der die überreichen, großen Familien in wundervollen Palästen hausen und über weite Landgüter gebieten, würde sich schon für ihren schmucken, liebenswürdigen Sohn eine passende, nützliche Braut finden.
Als Clemens einen Monat nach seinen Eltern im November nach Wien kommt, ist schon von seiner Verehelichung mit der Tochter Ligne's keine Rede mehr. Dieser pflegt nur mit etwas sarkastischem Unterton Metternich seinen »fallierten Schwiegersohn« zu nennen, womit er das Wort »il faillit devenir mon beaufils« variierte.
Wenn aber die Gräfin Metternich meint, es würde ihr ein Leichtes sein, ihren Gatten in Wien wieder so schnell zu einflußreicher Stellung zu verhelfen, so irrt sie, denn der mächtige Thugut, der das Ohr des Kaisers besitzt, steht im Wege. Der Staatsminister beim inländischen Staatsrat Karl Graf Zinzendorf, der Gemahl einer Prinzessin von Schwarzenberg, ist eine der dreihundert Personen, die damals die Spitzen des Adels und der sogenannten Hofgesellschaft bilden und mehr oder weniger in allem maßgebend sind. Er erscheint einmal knapp nach Thugut vor Kaiser Franz und hört von ihm, wie sehr er sich über die Nachlässigkeit Metternichs in Belgien beklagen müsse, in dem er sich gründlich geirrt habe Tagebuch des Grafen Karl von Zinzendorf. Wien, 16. Juli 1794. Wien, Staatsarchiv..
Gräfin Beatrix Metternich erkennt bald, daß ihre Bemühungen für den Gatten unter solchen Umständen unfruchtbar bleiben müssen und es vielleicht besser wäre, ihren liebenswürdigen und begabten Sohn Clemens, der noch politisch und staatlich ein unbeschriebenes Blatt ist, in den Vordergrund zu schieben. Dieser wünscht seiner Neigung entsprechend einmal in diplomatischem Dienste verwendet zu werden, aber auch da ist Thugut hinderlich. So muß die Gräfin daran denken, ihm vorerst dort einen Weg zu bahnen, wo des Ministers Hand nicht hinreicht, das heißt im Rahmen der vornehmsten Familien.
Zu ihnen gehörte Thugut nicht, sein Vater noch war bürgerlich gewesen und seine Familie hatte vielleicht nicht ohne Grund einmal Thunichtgut geheißen. So hat er gerade in den Kreisen der großen Familien heftige Widersacher und dort schadet die Feindschaft Thuguts für die zugewanderten Metternich nicht nur nicht, sondern nützt sogar. Immerhin ist es auch da nicht leicht, denn Gräfin Beatrix findet auch bei der Fürstin Lori Liechtenstein, der Karlin, der engen Freundin der einstigen Statthalterin der Niederlande, einige Zurückhaltung. Das ist sehr ungünstig, denn die Wiener sagen von der Fürstin, sie sei es, die hinter so ziemlich allen Heiratsverbindungen der großen Familien der Hofgesellschaft zu suchen sei und deren Wort diesbezüglich geradezu diktatorische Macht ausübe. Gräfin Beatrix ist dies besonders unangenehm, weil die Fürstin Karlin die Tante der Eleonore Kaunitz ist, der jungen Trägerin eines so stolzen Namens und dazu reichen Erbin. Das läßt vielleicht leichter vergessen, daß das Mädchen recht klein, etwas starkknochig, dabei mager ist und ihre Zähne nicht sehr gut angeordnet sind. Auch scheint sie schwächlich, dafür aber sehr distinguiert und von liebenswürdigem Charakter. Die Verbindung mit einem Mädchen, das Kaunitz heißt, kann bei dem mit diesem Namen eng verbundenen, überragenden Rufe der Laufbahn eines Mannes, der in der Diplomatie sein Glück versuchen will, gewiß nicht schaden.
Gräfin Beatrix beschließt so, erst einmal die persönlichen Vorzüge ihres schmucken und trotz seiner Jugend schon sehr weit- und gesellschaftsgewandten Sohnes ins Treffen zu führen und stattet im Hause Kaunitz mit ihm Besuch ab, wobei sich die jungen Leute kennenlernen. Und was sich schon bei der jungen Herzogin Caumont-La Force, bei Frau von Coudenhoven und anderen Damen der Gesellschaft des Kurfürsten von Erthal in Mainz bewährt hat, zeigt sich auch hier. Der Eindruck, den der junge Mann auf das nicht besonders hübsche Mädchen macht, ist vom ersten Augenblick an tief und Eleonore ist umso geneigter, dem Folge zu geben, als sie weiß, daß man über ihren Kopf hinweg an andere Freier denkt, die von dem Glanz ihres Namens und Vermögens angezogen werden. Die Mutter Kaunitz hätte sie gerne mit dem dritten Sohn ihrer Schwester Lori, dem jungen Moritz Liechtenstein, vermählt, aber dem gefiel sie erstens nicht allzu sehr und dann ist auch seine Mutter bei aller Verwandtschaft für ihre gleichnamige Nichte, die zum Unterschied zu ihr Lorel genannt wird, nicht sehr eingenommen. Denn einmal ist sie eine Gegnerin der Heiraten zwischen nahen Verwandten, schon in Erinnerung an Kaiser Josephs vernünftige Ansichten in dieser Beziehung, und zudem ist ihr der Charakter dieser kleinen Lorel etwas unheimlich. »Sie hat«, sagt sie, »ihren Vater ganz in der Tasche, ist verwöhnt, leichten Sinnes, allen neuen Eindrücken zugänglich; ich habe nicht bald einen so leichten und doch so entschiedenen Charakter kennengelernt. Sie läßt mich für ihre Zukunft zittern.« Adam Wolf, Fürstin Eleonore Liechtenstein, 1745-1812. Wien 1875, S. 245. So fällt es der Fürstin Lori nicht allzu schwer, ihren Sohn anderweitig abzulenken.
Indessen hat sich eine Fürstin Pálffy, geborene Gräfin Colloredo, bei den Eltern Kaunitz bemüht, die Tochter für ihren Sohn Johann heimzuholen. Doch die Mutter des Mädchens kann da nicht mehr lange mitreden. Am 28. Februar 1795 wird sie vom Tode ereilt. Da es nun einmal mit der Ehe Liechtenstein nicht geht, steigen Metternichs Aussichten und in der Wiener Gesellschaft spricht man schon davon, als wären die beiden verlobt. Ein großes Ereignis jedenfalls, ist ja doch die Prinzessin Lorel eine der besten, wenn nicht die reichste und stolzeste »Partie« in der Haupt- und Residenzstadt. Aber mittlerweile hat Gott Amor das Mädchen gänzlich gewonnen; Clemens' hübsches Gesicht und sein höchst liebenswürdiges, einnehmendes Wesen hat auf allen Linien gesiegt und Lorels Herz lodernd Feuer gefangen. Es macht ihr nichts aus, »daß der Rhein«, wie er sagt, »durch seine Adern fließt«, und nicht die Donau. Es nützt nichts, daß Graf Colloredo, der einstige Erzieher des Kaisers Franz, neben Thugut der bedeutendste Mann an des Monarchen Seite, sich bei Vater Ernst Kaunitz für den jungen, ihm verwandten Pálffy einsetzt, obwohl jener dem jungen Metternich anfangs gar nicht sehr geneigt ist. Er glaubt ihm seine Liebe zur Tochter noch nicht, hält ihn für nicht ganz aufrichtig, für seine Jugend sehr erfahren im Umgang mit Frauen und angesichts der bedrängten Lage der Metternich mehr oder weniger für einen Mann, der nach einer großen Partie jagt; aber den stärkeren Charakter der beiden hat die Tochter. Ernst Kaunitz hat keineswegs die großen Geistes- und Charaktergaben seines weltberühmten Vaters geerbt; er läßt sich in den meisten Dingen von seiner Tochter und seinem Sekretär Kienmayer leiten und beeinflussen. Lorel hat sich auch hinter diesen Mann gesteckt; er vermittelt Briefe und Nachrichten zwischen den beiden Liebenden und wirkt bei seinem Herrn im Sinne des jungen Metternich.
Noch traut sich Lorel nicht, Clemens ihr Bild zu schenken; sie gibt es einem ihrer Lakaien, der einen Brief zu den Metternich bringt, damit der Sohn des Hauses es ansehen könne, er muß es aber gleich wieder zurückgeben. Er beklagt sich, daß er das Bild nur wenige Augenblicke behalten durfte und meint zu Lorel: »Ich glaube, Sie sind mehr als überzeugt davon, welch unaussprechliches Vergnügen mir einmal jenes Bild bereiten wird.«
Lorel ist in diesen Tagen auf einer Treppe gestürzt und hat sich leicht verletzt. Clemens ist voller Sorge: »Ich bin geradezu gräßlich unruhig, meine gute, ausgezeichnete Freundin«, schreibt er ihr, »und werde es bis zum Augenblicke bleiben, da ich Sie wieder von Schmerzen frei wissen werde.« Clemens Metternich an Lorel Kaunitz. 7. Juni 1795. Bisher unveröffentlicht. (Von nun an B. u.) Státní Archiv Zemìdìlksy Praha (von nun an abgekürzt St. A. Z. P.). Die junge Prinzessin ist völlig im Bann der Liebe; wenn Clemens nur einen Tag nicht schreibt, ist sie außer sich, obwohl er doch in der gleichen Stadt weilt, und glaubt sich schon vergessen. Ganz unglücklich ist sie, daß das Medaillon mit Clemens' Haaren, das sie sich erbeten hat, noch immer nicht da ist. »Wie wagen Sie es mir zuzutrauen, Sie auch nur einen Augenblick zu vergessen … es ist einfach die Schuld des Juweliers, wenn Sie meine Haare nicht früher bekommen haben«, Clemens Metternich an Lorel Kaunitz, ohne Datum, nach dem 11. Juni 1795. B. u., St. A. Z. P. beruhigt Clemens die Ungeduldige.
Lorel Kaunitz gibt nun klar zu verstehen, daß sie den jungen Pálffy nicht heiraten möchte, angeblich weil sie ihn zu wenig kenne, und macht bald kein Hehl mehr aus ihrer Neigung zu Clemens. Befriedigt sieht dessen Mutter dieser Entwicklung zu und soll selbst dafür gesorgt haben, daß die Hofgesellschaft in Wien bald von dieser Neigung zu raunen und zu tuscheln begann. Dies geschieht allerdings nicht immer in günstigem Sinne. Fürstin Eleonore Liechtenstein verhält sich nach wie vor zurückhaltend, läßt sich aber doch schon herbei, die Metternich »recht artige, manierliche Leute« zu nennen, wenn sie auch über ihre Denkungsart und ihre Vermögensverhältnisse zu wenig unterrichtet sei. Immerhin, sie beginnt schon einzulenken, da sie ihre Nichte und ihren Schwager zu gut kennt, als daß sie nicht wüßte, daß die erstere obsiegen würde. Sie muß sich eingestehen, wenn sie Pálffy mit Clemens Metternich vergleicht, ist es begreiflich, daß ein junges Ding den letzteren vorzieht. »Es ist einer von den jungen Leuten, in die ein Mädchen sich rasch verliebt«, bemerkt sie, »denn er ist scheu und unternehmend zugleich.«
Lorel sieht nach dem Verlust ihrer Mutter in Tante Lori nunmehr ihre engste Vertraute und bittet sie eines Tages mit ihr in den Kaunitzschen Garten nach Mariahilf zu kommen, sie möchte ihr das Herz ausschütten. Dort überkommt die beiden die Erinnerung an die verstorbene Schwester und Mutter; mahnt doch jede Bank, jede Allee, jede Blume an die Dahingegangene und beide klagen, wie sehr, wie sehr sie ihnen fehle. Und da auf einmal läuft Lorel das Herz über. »Wenn Mutter noch lebte, liebe Tante, würde ich so zu ihr sprechen, wie ich es jetzt Dir gegenüber tun will und ich bitte Dich, höre mich ruhig an. Ich habe eine Schwäche für Clemens Metternich. Er gefällt mir ausnehmend gut und ich habe Vertrauen zu ihm. Er ist sehr gebildet, dabei verständig und gemäßigt, immer Herr seiner selbst, mag keine Romane, sondern zieht ihnen ernste Bücher vor. Dabei ist er auch religiös und meinem Vater anhänglich, von allertiefster Verehrung für meinen Großvater erfüllt. Ihn könnte ich lieben und ihm eine gute Frau sein, viel, viel mehr als Pálffy. Bitte, sprich mit meinem Vater darüber.«
Der Fürstin Lori ist dieses Geständnis nicht sehr angenehm, denn was für eine Rolle würde sie vor ihrem eigenen Sohne, aber auch vor dem Neffen des an der Seite des Kaisers stehenden mächtigen Colloredo spielen, wenn sie selbst eine Partie vermitteln wollte, die jene beiden Kandidaten ausschließt; und dies um so mehr, als sie weiß, wie man an hoher Stelle über die Metternich denkt. Auch finden viele Familien, deren Mitglieder den obersten Dreihundert angehören, wie zum Beispiel die Starhemberg, daß diese zugewanderten Metternich ja Fremde, und außerdem zu wenig vornehm und angenehm wären. So verhält sich die Fürstin auch ihrer Nichte gegenüber weiter zurückhaltend und mahnt das Mädchen, sich die Sache noch sehr zu überlegen. Es sei doch der entscheidendste Schritt im Leben. Doch auf das Drängen Lorels verspricht sie endlich dem Vater Ernst Kaunitz die Sache zu sagen, aber ohne ihn irgendwie zu beeinflussen, denn sie fühlt sich hiezu nicht berechtigt. Sie will sich nicht einmischen, um den sonst zweifellos zu erwartenden Vorwürfen zu entgehen. Dergleichen meint sie, kann nur dem Willen des Vaters und der Neigung des Mädchens allein zur Entscheidung überlassen werden. So geschieht es auch; Lorel begibt sich unmittelbar nach der Unterredung zu ihrem Vater und sagt ihm, was sie mit ihrer Tante besprochen habe.
Der alte Graf Metternich hatte gleichfalls schon zweimal versucht, mit der Fürstin Lori über seinen Sohn zu sprechen, jedesmal aber hatte sie ihn unter irgendeinem Vorwande nicht empfangen. Nun aber erkundigt sich der Graf, wann die Fürstin gewöhnlich im Garten ihres Hauses in der Landstraße weile, geht dahin, überfällt sie förmlich und zwingt sie auf diese Art ihn anzuhören. Als die Fürstin ausweichend über politische Dinge sprechen will, erwidert er: »Nun habe ich einmal angefangen und höre nicht mehr auf. Man kann mir Ja oder Nein sagen, aber eine Entscheidung muß fallen.«
»Warum sagen Sie das mir? Das ist doch eine Angelegenheit, in der allein der Wille des Vaters und die Neigung des Mädchens entscheiden dürfen. Ich will mich da nicht einmischen.«
»Liebe Fürstin, man sagt von uns, wir wären Bettler. Ja, es ist wahr, wir haben den Großteil unseres Vermögens verloren, aber doch nicht für immer. Die Lage muß sich doch einmal wenden und wir werden wieder zu unserem Hab und Gut gelangen. Im übrigen haben wir noch Besitzungen im Böhmischen und was die Herkunft und das Alter meiner Familie betrifft, so kennt man sie vielleicht hier zu wenig, aber sie kann sich mit den ältesten und vornehmsten Familien des Landes messen.«
Fürstin Lori hält dies zwar für nicht ganz richtig, denn die Metternichsche ununterbrochene Ahnenreihe beginnt erst um 1400, und alles, was vorher ist, kann nur dem Bereich der Legende zugeschrieben werden. Aber immerhin, die Familie war in diesen Jahrhunderten groß und reich geworden, hatte Kurfürsten gestellt und war bis zur Revolution in Belgien und dem Vordringen der Franzosen an das linke Rheinufer auch sehr vermögend gewesen. Dazu war Clemens' Mutter als Gräfin von Kageneck einem uralten breisgauischen Geschlecht entsprossen, Graf Metternich konnte also mit Berechtigung so sprechen, wie er getan.
»Glauben Sie mir, Fürstin«, bemerkt er, »mein Sohn ist ein kluger, fleißiger junger Mensch, ich will ihn in der österreichischen Diplomatie unterbringen und er wird ihr Ehre machen. Seine Majestät ist mir gnädig und ich habe ihm sowohl, wie Seiner königlichen Hoheit dem Erzherzog Karl von dem Heiratswunsche meines Sohnes bereits gesprochen.«
Fürstin Lori bleibt bei ihrer ausweichenden Taktik, aber sie sieht klar, da ist ein Großangriff vorbereitet und man wird um ein entscheidendes Wort nicht herumkommen. Sie begibt sich also zu ihrem Schwager Ernst Kaunitz und berichtet ihm von der Unterredung mit dem Vater des jungen Metternich. Da aber sieht sie mit Erstaunen, daß sich mittlerweile alles geregelt hat; als Lorel nämlich von überall auftauchenden Einwänden und Bedenken hört, setzt sie sich einfach über alle ihre Verwandten hinweg und schreibt Clemens in einem durch den Sekretär Kienmayer vermittelten Billett, sie wünsche seine Frau zu werden, komme was da wolle und bitte ihn, zu ihrem Vater zu gehen und um ihre Hand anzuhalten.
Clemens Metternich empfindet bei dieser Nachricht ein Gefühl des Triumphes, hat ihn doch wieder einmal sein »charmanter Charakter«, wie seine Schwester Pauline bemerkt, zu großem Erfolg geführt. Darein mischt sich nur ein schwaches Bedenken, sich schon so früh, so jung zu binden. Lorel Kaunitz ist ein liebes Ding, aber besitzt zudem rein äußerlich genommen nicht jene Schönheit und jenen Reiz, der ihn allein bisher bei Frauen entzücken konnte. Aber weg mit all dem, der Stolz über die Eroberung, der von der Mutter ererbte Ehrgeiz und deren Einfluß machen sich geltend; sie braucht ihm nicht erst vorzustellen, daß die erkorene Braut nicht nur Erbin eines großen Vermögens, sondern auch dieses klangvollen Namens und der mit diesem verbundenen Stellung in der großen Welt ist. Das bedeutet einen ungeheuren Glücksfall für einen jungen Mann, der nur ein geringes Erbe zu erwarten hat, noch gar nichts ist und dessen Eltern als Flüchtlinge am Kaiserhofe einen schweren Stand haben. Da gibt es kein Schwanken, da gibt es nur zugreifen. In späteren Jahren schrieb er über seinen Entschluß: »J'étais fâché de me marier, aber mein Vater wünschte es und ich tat, was er wollte.« Metternich an Gräfin Lieven. Coblenz, 1. Dezember 1818. Hanoteau a. a. O. S. 42. Und weiter: »Man heiratet, um Kinder zu haben und nicht um die Wünsche des Herzens zu befriedigen.« dto. 2. Februar 1819. Hanoteau a. a. O. S. 177. Aber dies sind Bemerkungen nach der Hand, die für die Zeit der Verlobung nicht gelten, denn auch Clemens zeigt sich in dem Maße verliebt, als die Neigung des Mädchens seiner Eitelkeit schmeichelt.
Nun erobert ihn die Liebe Lorel Kaunitz' restlos. Von nun an setzt ein inniger Briefwechsel zwischen den jungen Leuten ein, der dies außer Zweifel stellt. So kann man nicht schreiben, wenn man nichts fühlt. Ein Vierteljahrhundert später sieht man die Dinge anders, oder aber will sie einer Rivalin gegenüber anders sehen lassen. Auf Lorels Aufforderung jedenfalls begibt sich Clemens augenblicklich zu dem Vater des Mädchens und bittet ihn in einer Unterredung im Parke des Kaunitzschen Hauses in Mariahilf um die Hand seiner Tochter, die der Fürst, schon durch seine Lorel und den Sekretär wohlvorbereitet, ihm auch zubilligt. Er erklärt sich zugleich bereit, seiner Tochter die für die damalige Zeit hohe Jahresrente von nahezu 17.000 Gulden zuzugestehen. So kehrt Metternich als erklärter Bräutigam zurück und weiß genau, dies verdankt er vor allem jenen körperlichen Vorzügen und seinen gesellschaftlichen Talenten; von nun an wird er sie stets wieder spielen lassen, wann und wo immer sich Gelegenheit bietet, daraus Vorteil zu ziehen.
Clemens wird nun im Juli 1795 nach Schloß Austerlitz, dem Kaunitzschen Sommerheim eingeladen, wo Lorel und ihr Vater die warmen Monate verbringen. Es sind glückliche Tage, die die beiden jungen Leute da verleben. »Die Worte fehlen mir«, schreibt Clemens, »um Deinem ausgezeichneten Vater für alle Güte zu danken, mit der er mich während meines hiesigen Aufenthaltes überschüttet hat, den ich zu den schönsten Augenblicken meines Lebens zählen werde … Vergiß mich nie und sei wohl überzeugt, daß unter allen Menschen, die Dich hätten lieben können, ich am eifersüchtigsten darauf bin, Dir Beweise davon zu geben. Adieu, meine liebste Freundin, denke manchmal an mich; ich werde alles, was von mir abhängt tun, um die Zeit (bis zu unserer Heirat) abzukürzen, die mir eine Ewigkeit erscheint. Dieser Zeitpunkt wird das Glück meines ganzen Lebens ausmachen …, dessen Schmied Du bist … Die wenigen Tage, die ich mich von Dir getrennt sehe, scheinen mir wie Jahrhunderte … Ich liebe Dich, wie ich wünsche von Dir geliebt zu sein … Deine Briefe beweisen mir, daß Du mich ein wenig liebst. Du kennst mich genügend, um nicht zu wissen, daß ich Dich tausendmal mehr liebe als mich selbst.« Clemens Metternich an Lorel Kaunitz. 1. August, Prag, 4. August, Königswart, 11. und 14. August 1796. B. u., St. A. Z. P. Nun, das ist reichlich viel gesagt, aber der Aufenthalt in Austerlitz, die verzehrende Neigung, die Lorel ihrem Bräutigam dort gezeigt hat, hat ihn aufs tiefste ergriffen und die Worte in den Briefen sind nicht nur Phrasen; auch ihn hat dieses Gefühl überwältigt, wenn es auch nicht so stark ist wie das Lorels. Sie ist Clemens völlig verfallen.
Als die Post – zumindest schiebt der Bräutigam alles auf sie – drei Tage ausbleibt, während er mit der Ordnung der Angelegenheiten auf Schloß Königswart beschäftigt ist, gerät Lorel einfach außer sich und ein Brief voller Unruhe und Besorgnis ist die Folge. »Hältst Du mich wirklich für fähig«, antwortet Clemens, »in drei Tagen das einzige Geschöpf zu vergessen, das ich für mein künftiges Glück gewählt habe? Sei meiner ebenso sicher, wie Deiner selbst, mehr kann ich Dir nicht sagen … Ich komme mir vor, als wäre ich allein auf der Welt, alles was sich nicht auf Dich bezieht, hat keinerlei Reiz für mich! … Ich lebe nun viel mehr in der Zukunft als in der Gegenwart.« Clemens Metternich an Lorel Kaunitz. Königswart, Briefe vom 17., 18. und 25. August 1795. B. u., St. A. 2. P. Bis zur kleinsten Einzelheit muß Clemens der Braut seine Lebensweise in Königswart schildern: Man steht spät auf im Schlosse, besonders bei schlechtem Wetter, man geht ein wenig spazieren, liest viele Zeitungen, diniert und soupiert, empfängt einige Nachbarn – das Schloßleben der guten alten Zeit.
Inzwischen ist die Nachricht von der erfolgten Verlobung nach der Residenz gedrungen und wird von der Wiener Gesellschaft der Dreihundert nicht allzu freundlich aufgenommen. Die stolzeste Partie des Landes geht an einen eingewanderten, mehr oder weniger doch nicht zum engsten Kreise gehörigen Fremden. Die Erzherzogin Marie Christine, die einstige Statthalterin der Niederlande, meint, »ich kenne den Vater sehr gut, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und da kann man nichts Gutes prophezeien. Die Metternich sind intrigante Leute.« Die Liechtenstein und der Fürst de Ligne sind doch auch persönlich gekränkt, Ligne im Gedanken an seine Tochter, das Haus Liechtenstein, weil doch einer aus der Familie sich einst für das Mädchen interessierte. Auch sonst zerreißt man sich über diese Verlobung fleißig den Mund. Lorel Kaunitz ist dies ganz gleich; sie liebt den jungen Mann, für sie existiert nur mehr er und die Leute mögen reden, was sie wollen. Aber mitteilen muß sie es ihrem Anbeter doch, Clemens denkt wie sie:
»Der getreue Kienmayer schreibt mir auf Deinen Befehl, daß sich in Wien alles gegen mich entfesselt. Ich könnte mir fast irgendwelche Bedeutung beimessen, wenn ich die Ruhe bedenke, die all die Beller gehalten, solange ich anwesend war; und auch wenn ich nicht eine Menge Wetterfahnen gleichender Menschen kennen würde, die ein Atemzug in Bewegung setzt und die Lärm machen, wenn sie sich drehen, ohne deswegen mehr Schaden zu tun. Zu einem Ohr hinein und zum anderen hinaus, bellen lassen, und seinen geraden Weg gehen ist das einfachste Spiel, das die Leute am meisten außer Fassung bringt … Wenn nur Du, meine beste Freundin, mich liebst und Dein Vater nur seine Güte bewahrt, spotte ich aller anderen. Du wirst mich niemals anders kennen, als so, wie Du mich gesehen hast, ohne Falsch und Prunk, einzig vom Wunsch beseelt, Dich zu lieben und von Dir geliebt zu werden.« Clemens Metternich an seine Braut Lorel Kaunitz. Königswart, 14. August 1795. B. u., St. A. Z. P.
Der Heiratsvertrag wird nun aufgesetzt, alles genau vorbereitet und Fürstin Eleonore Liechtenstein, die sich ihrer Nichte zuliebe als erste mit allem abgefunden, erklärt sich bereit, die Ausstattung zu besorgen, die die schönste wird, die Wien seit langem gesehen. Der Trousseau wird ausgestellt und die hohe Gesellschaft Wiens bewundert die entzückenden Toiletten und Spitzen, die trotz aller Feindschaft und allen Schwierigkeiten doch irgendwie von Paris und Brüssel nach Wien kommen.
Nun wird die Hochzeit für den 27. September 1795 auf dem Kaunitzschen Besitz Austerlitz in Mähren bereitet. Als erster Gast findet sich schon am 21. Eleonore Liechtenstein im Schlosse ein, erst vier Tage später kommen Vater und Mutter Metternich an, ängstlich bestrebt, nicht zu zeigen, wie innig froh sie sind, sondern geltend zu machen, daß es sich um eine ganz ebenbürtige Heirat handelt und sie keineswegs gegenüber der Familie der Braut zurückständen. Mit ihnen kommt ihre Tochter Pauline, die wohl ein braves und nettes Mädchen ist, aber im geraden Gegensatz zu ihrem Bruder häßlich und dick, im ersten Augenblick auf jeden einen wenig guten Eindruck macht.
Man beabsichtigt, die Hochzeit nur ganz »en petit comité« zu veranstalten und erst dann später in Wien, wenn die großen Familien von ihren Schlössern zum Winteraufenthalt in die Residenz zurückkehren, mit einem nachträglichen großen Hochzeitsdiner das junge Paar in die Wiener Gesellschaft einzuführen. Demgemäß kommen nur mehr Eleonores Sohn Fürst Karl Liechtenstein mit seiner Frau Karl Liechtenstein 1765-1795, vermählt 1789 mit Gräfin Marianna Josepha von Khevenhüller. und ein Graf Sickingen, die als Zeugen fungieren. Die Stimmung ist keine gute; etwas gepreßt sitzt man beieinander, Clemens Metternich hat bei aller Freude einen Augenblick doch das Gefühl, in Ketten gelegt zu werden, wenn sie auch goldene sind. Lorel ist aber überglücklich und drängt das Gefühl leiser Sorge zurück, das sie zu erfassen droht, wenn sie ihren Bräutigam betrachtet. Denn sie ist klug und fürchtet, daß sie nicht imstande sein werde, ihm dieselbe unendliche Liebe einzuflößen, die Clemens in ihr zu erwecken verstanden hat. Aber sie drängt all diese Gedanken zurück und sagt sich, sie werde durch die Allmacht ihrer Liebe endlich ihren Gatten so sehr zu fesseln lernen, daß jene glückliche Ehe entsteht, die sich jedes Mädchen von diesem ernstesten Schritt im Leben erhofft. Sie sind ja beide noch so jung, die Braut zwanzig, der Bräutigam nur zwei Jahre älter, in ihrer Jugend werden sie übereinstimmen und Glück finden.
So vergeht der 26. September mit der Unterzeichnung des Heiratskontraktes durch die Verlobten und ihre Väter und ernsten Abreden zwischen diesen beiden. Nach dem Souper versucht Karl Liechtenstein, der junge, blendend schöne Kavalier und einstige Liebling Kaiser Leopold II., eine etwas heitere Stimmung durch ein Lottospiel zu erzielen, wobei witzige Geschenke die Gewinne bilden und das Hauptgeschenk – eine Babypuppe – natürlich der Braut zugeschanzt wird.
Der nächste Morgen, der 27. September, ist ein Sonntag; das Datum wurde gewählt, weil man es als Glückszeichen betrachtet, gerade an einem Sonntag in die Ehe zu treten. Wundervoll geschmückt wird die Braut zum Altar geführt und der Schloßkaplan vollzieht nach einer rührend-mahnenden Rede die Trauung. Nach dieser führt der Schloßherr persönlich noch sechs weitere Brautpaare aus dem Kreise seiner Gutsbauern zum Altar, die er bei dieser Gelegenheit fürstlich beschenkt und ausstattet. Dann folgt das Hochzeitsmahl: um das Schauessen des kaiserlichen Hofes bei solchen Gelegenheiten im Kleinen etwas nachzuahmen, ist die Tafel mit Vermeil-Service herrlich gedeckt und die gesamten Angestellten des Schlosses und Gutes, sowie die Bauern des Fürsten dürfen dabei zusehen. Dann schmaust alle Welt im Parke an riesiger Tafel, worauf ein Bauernball folgt. Der engere Kreis der Gäste und die Brautleute spielen nachmittags wieder Lotto und nehmen abends an einem Ballfest teil, zu dem die Nachbarn geladen sind. Tags darauf vereint das Frühstück das junge Paar und die Familie, worauf die ganze Hochzeitsgesellschaft noch an einer Fasanenjagd teilnimmt. Dann kehren die Gäste nach Wien zurück, während Ernst Kaunitz und die Neuvermählten in Austerlitz bleiben.
Nun ist die Verbindung verwirklicht. In der Hofgesellschaft ist es nun einmal nicht anders: im Vorbereitungsstadium einer nicht ganz passenden Heirat wird dagegen gewühlt und gearbeitet, soviel es nur geht; ist sie aber einmal vollzogen und nicht mehr zu ändern, so findet man sich damit ab, und will damit zeigen, daß die Mitglieder jener Gesellschaft so hoch stehen, daß ihr Glanz auch jemanden, der nicht zu ihnen gehört, vergolden kann. Die Familie Metternich ist zudem wohl zugewandert, doch auch von edelstem, altem Adel. Mit einem Schlag eröffnen sich ihr nun auch die zurückhaltendsten Salons, die nun gegebene Verwandtschaft mit dem dem Hofe zunächst stehenden Hause Liechtenstein tut ein übriges und so sind nur mehr die persönlichen Widerstände bei Thugut und bei der Erzherzogin Marie Christine zu überwinden.
Dabei hilft dem jungen Paare eine Freundin Lorels, die Gräfin Rombeck, Schwester des Grafen Ludwig von Cobenzl, dieses ausgezeichneten Diplomaten und Staatsmannes, der so lange Gesandter in Petersburg gewesen und zu dem vertrauten Kreise der Zarin Katharina II. gehörte. Sie empfängt bevorzugt Fremde und Emigranten aus Frankreich, um ihnen in ihrer schweren Lage zu helfen. Clemens Metternich hat viel in ihrem Salon verkehrt und sie zeigte eine besondere Schwäche für den charmanten jungen Mann; auf sie kann er jederzeit zählen. Der Minister Thugut dagegen bleibt auch nach Clemens' Eheschließung den Metternich abgeneigt, aber er hat ihnen gegenüber jetzt einen viel schwereren Stand. Die Familie Liechtenstein nimmt jetzt die Partei der Metternich. Sie hat ohnehin Thugut niemals geschätzt; Fürstin Karlin sprach von ihm stets wegwerfend als von »diesem schlechterzogenen Sohn eines Bootsmannes«. Thuguts Vater hatte nämlich die Donauschifffahrt sehr in Gang gebracht, und sich um sie hohe Verdienste erworben; aber das gilt nicht, denn er gehört nicht zum Kreise der großen Familien. Der unterirdische Krieg, den die Eltern Metternich nun gegen Thugut beginnen, wird dadurch besonders gefördert.
Mit Einbruch des Winters 1795 wird das junge Paar auch formell in die Hofgesellschaft eingeführt und am 8. Dezember vereinigt ein großes, gleichsam nachträgliches Hochzeitsdiner im Hause Metternich fast alles, was zu den Auserlesenen, der crème de la crème, gehört. Da kommt aber die Nachricht, und Abergläubische nehmen dies für ein schlechtes Vorzeichen, daß am selben Tage früh der junge Fürst Karl Liechtenstein, der Sohn der Fürstin Karlin, in einem Duell mit einem Domherrn Freiherrn von Weichs durch einen Stich in die Lunge lebensgefährlich verletzt wurde. Der Streit war um eine sehr schöne Frau von Tschernitschew entbrannt, die beide Herren entflammt hatte, obwohl der eine ein Geistlicher, der andere verheiratet war. Die Dinergesellschaft stiebt auseinander und die gute Stimmung ist vorbei. Wirklich stirbt auch der unglückliche Fürst Karl wenig später, just am Weihnachtsabend, zur größten Verzweiflung seiner Mutter an der erhaltenen schweren Wunde. Graf Zinzendorf, Tagebuch. 8. Dezember 1795. Wien, St. A. Siehe auch Gräfin Lulu Thürheim, Mein Leben. München 1913, I/40. Der Herausgeber hat nicht recht, wohl aber die Verfasserin; es handelte sich richtig um Frau von Tschernitschew, nicht um Fanny von Arnstein.
Inzwischen dehnte die fast überall siegreiche französische Republik ihr Machtgebiet weiter aus; Preußen hat sich im April 1795 zurückgezogen und schließlich ruht die Last des Kampfes nur mehr auf den Österreichern allein. Während sie im Jahre 1796 gegen die über den Rhein zwischen die fränkischen und obersächsischen Kreise vorgedrungenen, auch den Kaunitz'schen Besitz Rittberg und seine Landeshoheit bedrohenden Franzosen Erfolge erzielen, siegt der geniale General Bonaparte 1796 überall in Italien, gründet dort neue Republiken, besetzt selbst Venedig und droht vom Süden her weit ins Österreichische einzufallen.
Die Stimmen, die von Frankreich herüberdringen, lassen auch nichts Gutes erwarten. »Die Neuigkeiten aus Paris sind schrecklich«, schreibt Clemens seiner Frau. Clemens Metternich an seine Frau. 24. August 1797 aus Mitzomieøitz. B. u., St. A. Z. P. »Ich schwöre Dir, daß der Schlaf mich flieht, aus Furcht sie zu erfahren. Ich sehe neues Unglück ohne Ende; es wird aus diesem allgemeinen Umsturz eine vielleicht ebenso grausame Schreckensherrschaft hervorgehen, wie die erste war. Der vielleicht mehr als je entfernte Friede wird sich nur unter furchtbaren Bedingungen und Opfern schließen lassen und ich sehe keine Rettung mehr für das linke Rheinufer. Ich habe unglücklicherweise den Verlust Italiens und der Niederlande vorausgesehen, da viele Leute daran zweifelten. Ich sage jetzt einen neuen vorher, den ich ebenso inauguré (nicht erwartet) glaube.«
Bei so schlechten politischen Aussichten, die auch den Rest Metternich'schen Vermögens in Gefahr zu bringen drohen, findet Clemens Trost in seinem jungen Familienglück. Lorel hat ihm an 17. Jänner 1797 ein Töchterchen geschenkt, ein zartes, herziges Ding, das den Namen Marie erhält und das die beiden Eltern »zum Fressen« gerne haben. Als Clemens wieder einen kurzen Abstecher nach Böhmen macht, um nach seinem Gute zu sehen, gehen ihm Frau und Kind »auf jedem Tritt und Wege« ab. »Millionenmale« küßt er die beiden und ist außer sich vor Wut, als eine Gräfin Colloredo Lorel empfängt, obwohl sie Scharlach im Hause hat. »Es genügt, daß es eine Colloredo ist«, faucht er empört, »damit die ganze Welt daran nur Leichtsinn finde.« Clemens Metternich an seine Frau. 18. September 1797. dto. St. A. Z. P.
Überhaupt mag Clemens Wien nicht. Alles ärgert ihn dort. Er spürt versteckte Feindschaft gegen sich. Der Minister des Äußern Thugut schürt sie, ohne daß Clemens es genau weiß. Nur die Wirkungen spürt er. »Ich schwöre Dir, meine gute Freundin«, schreibt Metternich seiner Frau, Clemens Metternich an seine Frau. Mitzomieøitz, 22. September 1797. B. u., St. A. Z. P. »daß nur Du allein mich mit Ungeduld den Augenblick erwarten läßt, da ich wieder dorthin zurückkehre; außerdem würde ich sofort ein Versprechen unterschreiben, meinen Fuß nie mehr wieder dahin zu setzen. Du ahnst nicht, wie leichthin ich eine Luft einatme, von der ich weiß, wie entfernt sie ist von allen üblen Ausdünstungen der Sekkatur. Wie zufrieden bin ich, mich durch eine Entfernung, die ich gerne verhundertfachen möchte, von soviel Leuten getrennt zu sehen, die ich nie mehr wiedersehen möchte; aber ich denke an meine gute kleine Frau und meine kleine Marie und vergesse alles, allzu glücklich, nur sie aus all dem Wirbel zu sehen, den ich hasse und der sie umgibt.«
Auch die neugewonnenen Verwandten und Vettern der Kaunitz'schen Familie ärgern Metternich und er hat gar nichts für sie übrig. »Ich wäre versucht zu glauben, daß Du eine Bastardin bist«, meint er zu Lorel, dto. 23. September 1797. B. u., St. A. Z. P. »wenn ich nicht der Tugend Deiner Mutter trauen würde und nicht Zeit gehabt hätte, die guten Eigenschaften Deines Vaters kennen zu lernen; aber sicher ist, daß die Quintessenz eines Dutzends der übrigen Familie nicht entfernt Deinen einfachsten Eigenschaften nahe kommen würde. Du bist eine gute, unendlich gute Frau und Mutter, so recht wie ich sie mir gewünscht habe. Der Himmel wird Dich dafür belohnen und mit seiner Hilfe werden unsere Kinder besser geraten als all diese »Cousinaille«.
Politisch hat Metternich mit seinem Pessimismus recht. Bonaparte zwingt im Oktober 1797 den Kaiserstaat zum Frieden von Campoformio, der Frankreich das linke Rheinufer nebst Mainz zubilligt. Das bedeutet die Aufgabe der Metternich'schen Hoffnungen auf ihren verlorenen Besitz links des Rheins. Im Frühling dieses selben Jahres stirbt auch Clemens' Schwiegervater Ernst Kaunitz und dessen Bruder Dominik wird Erbe des Fürstentitels und des Fideikommisses. Fürstin Eleonore Liechtenstein, die Schwägerin des Verstorbenen, ist in der Zwischenzeit ziemlich für Clemens Metternich gewonnen worden, er zeigt dieselben politischen Ansichten, haßt alles, was Republik heißt, erklärt, ein Friede mit Frankreich sei unmöglich, bevor nicht das ganze System der Revolution gestürzt würde. Nun gefällt er der Fürstin Karlin sogar etwas besser als seine Frau, ihre Nichte, von der sie so manche Meinungsverschiedenheit und Auffassung trennt.
Die politischen Vorgänge haben aber des Ministers des Äußern Thugut Stellung etwas geschwächt und dafür den Einfluß des Unterhändlers von Campoformio Grafen Ludwig Cobenzl gestärkt. Metternich, Vater und Sohn, die eine Verwendung anstreben, nützen die Lage und der Erfolg zeigt sich in der Ernennung des ersteren zum Vertreter des Reichsoberhauptes beim Rastatter Kongreß. Dabei müssen freilich Meinungsverschiedenheiten entstehen, die im Gegensatz des Vaters Metternich zu Thugut begründet sind. Wie soll jener auch der Abtretung des linken Rheinufers an die Franzosen günstig gegenüberstehen, die den Verlust seiner Güter in dieser Gegend besiegelt? Metternich nimmt den Sohn, vorerst ohne amtliche Bestallung, als Privatsekretär mit zum Kongreß nach Rastatt, der dort im Dezember 1797 zu tagen beginnt. Thugut hat es verhindert, daß Clemens von Wien aus eine amtliche Aufgabe am Kongreß bekomme; er sollte überhaupt von der Geschäftsführung nicht einmal Kenntnis erhalten. Da das dem Vater peinlich war, so erlangt er wenigstens, daß sein Sohn in ähnlicher Weise wie bei den beiden Kaiserkrönungen wieder als Bevollmächtigter des westfälischen Grafenkollegs und Bannerherr des unmittelbaren Adels fungiert.
Clemens trennt sich schwer von seiner jungen Frau. Hatte sie doch erst im Herbst ihren Vater verloren, dem sie sehr nachtrauerte, und zudem ist sie aufs neue in der Hoffnung. Clemens fürchtet, sie werde unter der durch seine Abreise nach Rastatt nötig werdenden Trennung sehr leiden. Darum schreibt er gleich aus der ersten Nachtstation an seine Frau: Clemens Metternich an seine Frau. Stremberg, 25. November 1797, 11 Uhr nachts. B. u., St. A. Z. P. »Ich rate Dir, meine gute kleine Freundin, Dich zu zerstreuen, wenig zu Hause zu bleiben – die Einsamkeit ist nichts für Dich, es ist in Deinem Zustand noch wichtiger als je Dich zu unterhalten, man neigt da natürlicherweise Traurigkeit zu und Du mußt gutes Blut für zwei haben.«
In Augsburg angekommen, hört Metternich, daß Bonaparte mit einem Gefolge von siebzig Personen und unter »wahnsinnigem Aufwand« in Rastatt eingetroffen ist. dto. Augsburg, 30. November 1797. B. u., St. A. Z. P. Er meint, er und sein Vater werden dort den einen Flügel des Schlosses von Rastatt bewohnen, Bonaparte den anderen. Aber als die beiden Metternich am 2. Dezember dort ankommen, ist der General nachts vorher wieder nach Paris abgereist und sie bleiben allein mit den »Noyeuren und Guillotineuren«, die Frankreich vertreten, und all die »Eingeweide Clemens' empören sich«. dto. Rastatt, 5. Dezember 1797. St. A. Z. P. Nachgelassene Papiere, a. a. O., I/349. Sonst aber fühlt sich der fünfundzwanzigjährige, elegante junge Graf »so glücklich«, als er es »fern von seiner kleinen Familie, die er bis zum Wahnsinn liebt, nur sein kann.« Der beste Beweis dafür, daß dies wirklich wahr ist, ist sein fast tägliches Schreiben an Lorel, seine steten Versicherungen, »daß ihm die Worte fehlen, um zu sagen, wie sehr er seine Frau liebe« und er »nur zur Hälfte in Rastatt ist, weil die Seele bei ihr weile«. Clemens Metternich an seine Frau. Rastatt, 4. und 6. Dezember 1797. B. u., St. A. Z. P. Genauest beschreibt er die komischen Leute, die nun nach der Revolution Frankreich vertreten. Ausführlich schildert er Lorel die Moden, amüsiert sich darüber, daß nicht nur Männer und Frauen, ja auch Kinder Perücken tragen, ja selbst ein zwei Monate altes Baby soll mit einer wohlgelockten Perücke geschmückt gewesen sein. Clemens verspricht Lorel, ihr Kleider machen zu lassen, die genau so wären, als kämen sie direkt von Paris und berichtet getreulich, daß die Taillen immer noch so hoch sind, wie Lorel sie trägt.
Mit den Vertretern des neuen Frankreich ist Clemens sonst aber recht wenig zufrieden, er nennt sie »Spitzbuben«, ja »Werwölfe«, spricht von ihrem »scheußlichen« Chef, macht sich lustig über ihre riesigen Hüte mit noch größeren roten Kokarden. »Ich glaube alles zu sagen, wenn ich sie Revolutionäre nenne«, meint er zu Lorel.
Ein Auftrag führt in dieser Zeit Vater und Sohn nach Karlsruhe zum greisen Markgrafen von Baden; sie lernen dabei die Kronprinzessin kennen, die Mutter der Großfürstin Alexander und der Königin von Schweden. Sie hat noch drei weitere Töchter, deren eine Clemens »gar nicht« schön findet. Er wird ihr im Leben noch unter ganz anderen Umständen begegnen. Sonst aber findet er, daß nichts »anständiger und höflicher sein kann als dieser ganze Hof«. Die Kronprinzessin fragt sehr nach Lorel. »Ich habe da viel von Dir gesprochen«, berichtet Clemens seiner Frau, »die Thronfolgerin wollte absolut Dein Bild sehen, ich hatte es nicht bei mir, aber selbst wenn ich es gehabt hätte, hätte ich es nicht gezeigt, ich will nicht, daß Stroely von Dir einen falschen Begriff gibt, ich bin viel zu eitel auf Dich (j'ai beaucoup trop de coquetterie pour vous).« Clemens Metternich an seine Frau. 11. Dezember 1797. Nachgelassene Papiere I/351. St. A. Z. P. Stroely hatte ein sehr ähnliches, aber gar nicht geschmeicheltes Bild von Lorel gemacht, die lieb und gut, aber keineswegs hübsch ist. Wenn Clemens seine Frau im Geiste mit den vielen reizvollen französischen Schauspielerinnen vergleicht, die mit dem Theater hier sind und sich mit zahllosen Diamanten schmücken, was, wie er meint, »nicht verfehlt sehr vorteilhaft zu wirken«, dto. 12. Dezember 1797. dto. I/352. St. A. Z. P. muß er sich sagen, daß es doch viel verführerischere Geschöpfe unter der Sonne gibt als seine Lorel.
Clemens liebt große Gesellschaft, ihr Leben und Treiben, ihr Scherzen und – Lieben. Er ist jung verheiratet und seiner Frau herzlich zugetan, aber es ist doch auch nicht zu verachten, sich einige Zeit fern von beobachtenden Verwandten und der ihm ja doch nicht sehr gewogenen Hofgesellschaft wieder etwas freier bewegen zu können. Es ist viel los in Rastatt; die verschiedenen Gesandten halten offene Tafel, das Theater öffnet seine Pforten und nachher geht man oft mit den Künstlern und Schauspielerinnen, zum Beispiel dem Fräulein mit dem blumenduftigen Namen Hyacinth und ihrem naiven, blühenden Gesichtchen hinüber in die gastlichen Gemächer des Grafen Cobenzl oder noch besser in das von hunderten Kerzenlichtern erleuchtete funkelnde Kaffeehaus des Herrn Saglio, wo man so erlesen essen und pokulieren und auch rasch ein kleines, recht hohes Spielchen machen kann.
Der Kongreß hat so manche leichte Dämchen nach Rastatt geführt, deren Versuchungen sich nicht nur der junge Clemens vielleicht nicht ganz stichfest zeigt, sondern auch der Vater, der bei seinen einundfünfzig Jahren noch lange nicht seine galanten Neigungen aufzugeben plant. Mit heimlichem Augenzwinkern sieht die in Rastatt versammelte Gesellschaft diesem Treiben der beiden fern von ihren Frauen weilenden Männer zu, da aber so ziemlich jedermann hier ein etwas schlechtes Gewissen hat, so wird davon nicht allzu viel Aufhebens gemacht. Erst die bösen Literaten wissen, sicherlich mit einiger Übertreibung, allerdings ohne Namensnennung, in satirischen Gedichten, ja Theaterstücken, auf dieses Gehaben hinzuweisen. So ist es fast sicher, daß August von Kotzebue, der allerdings mit der Familie ein Hühnchen zu pflücken hat, in seinem noch heute hie und da aufgeführten und seine Komik bewahrenden Lustspiel »Die beiden Klingsberg« Metternich Vater und Sohn gemeint hat. Sie steigen sich darin bei galanten Abenteuern gegenseitig ins Kraut.
Nun, in den Briefen Clemens' an Lorel ist natürlich davon nicht die Rede; im Gegenteil, sie sind innig und herzlich und zeigen, wie sehr er sich nach seiner Frau sehnt: »Wenn der Kongreß sich noch sehr lange hinauszieht, werde ich keine Ruhe haben, bis Du nach Rastatt gekommen bist … Ich küsse Dich in Gedanken ein Millionenmal und würde gerne diese Million gegen einen einzigen kleinen Kuß bien vrai und bien en personne austauschen.« Clemens Metternich an seine Frau. 2. Dezember 1797. In nachgelassenen Papieren ausgelassen. St. A. Z. P. Neben solchen Liebesbeweisen verfehlt Clemens aber auch nicht, seiner kleinen Frau Einblicke in die große Politik und seine Besorgnis darüber zu geben, wie diese vierzig Millionen Revolutionäre »Europa bis in seine Grundfesten erschüttern« werden.
Zurzeit wird nur von einer beabsichtigten Landung in England gesprochen. »Die tollsten Projekte werden da gemacht und selbst diejenigen, die es am wenigsten scheinen, sind genau so undurchführbar«, meint damals Metternich, Clemens Metternich an seine Frau. 12. Dezember 1797. Nachgelassene Papiere I/257. Orig. St. A. Z. P. während wir heute an Jules Vernes zur Wirklichkeit gewordene Phantasieromane denken müssen: »Ein gewisser Tillorier will im Ballon, ein Mann namens Garnier in ›patins élastiques‹ … nach England hinüber, ein dritter behauptet eine Art Boot erfunden zu haben, mit dem man unter Wasser fahren und daher nicht gesehen werden kann und ein vierter, der tollste von allen, wünscht, man solle versuchen Geschütze zu konstruieren, die auf fünfzig Meilen schießend England aus den Batterien Frankreichs niederschmettern könnten!« Zweitausend solche Projekte sollte Bonaparte angeblich bekommen haben.
Lorel ist gerührt, daß Clemens ihr so viel und so ausführlich schreibt und bittet ihn in allen Briefen, sich doch nicht so sehr damit zu plagen. Clemens aber schickt ihr schöne, neue, moderne Atlasbänder, belehrt sie, wie sie anzubringen sind und meint: »Tausend und tausend Küsse, liebes, gutes, kleines, hübsches, artiges, bestes Weibchen … fürchte nicht, daß das Schreiben mich geniert, ich schwöre Dir, es sind die einzig guten Stunden im Tage.« Clemens Metternich an seine Frau. 25. Dezember 1797. B. u., St. A. Z. P.
Lorel freut sich über die Nachrichten, folgt aber auch dem Rate ihres Gemahls, bleibt nicht zu Hause, geht viel aus, lacht und unterhält sich besonders einmal im Hause eines Herrn von Nassau. Sofort finden es einige alte Damen »unpassend für eine junge Strohwitwe« und Lorel beklagt sich darüber bei ihrem Mann. Der aber lacht der »fünf oder sechs alten Vetteln oder Zierpuppen«, Clemens Metternich an seine Frau. 29. Dezember 1797. B. u., St. A. Z. P. meint, Lorel solle das gleiche tun, sich weiter unterhalten, ihr Gatte weiß, daß sie mehr wert ist, als all diese Schreierinnen es jemals waren.
Allerdings verlangt Clemens das gleiche Recht auch für sich, bemüht sich aber, seiner jungen Frau daheim die wahre Lage dadurch etwas zu verdunkeln, daß er über die langweiligen offiziellen Bälle klagt, die da in Rastatt stattfinden und an denen wegen des Kongresses wohl Hunderte von Männern, Minister und Abgeordnete, aber nur verschwindend wenige und meist über fünfzig Jahre alte Frauen teilnähmen. Er meint damit die paar anwesenden Damen der Bevollmächtigten, verschweigt aber wohlweislich, daß es neben diesen offiziellen, steifen Festen auch viel lustigere, nette kleine Soupers mit Damen gibt, die weit unter fünfzig Jahre alt sind und wobei es keineswegs steif zugeht. Nun, dies geht leichter an, solange die Ehefrauen ferne weilen, und man sie durch herzliche Briefe beruhigen kann. Doch nun ergibt sich vielleicht bald eine Gelegenheit, nach Lorel zu sehen, die sich bereits wieder in Erwartung befindet. Wichtige Depeschen sind nach Wien zu bringen. »Wenn ich denke, daß ich Dich in drei Wochen werde umarmen können, möchte ich vor Freude in die Höhe springen«, schreibt er am 4. Jänner 1798, und hofft so zur Geburt jenes zweiten Kindes zurecht zu kommen.
Die politischen Nachrichten, die er bringen wird, sind aber nicht günstig, der oft angesagte Bonaparte kommt nicht und es ist schon klar, das linke Rheinufer ist unrettbar verloren, man sieht nur zu, daß Entschädigungen an die Betroffenen am rechten zugebilligt werden. Daran sind die Metternich ja auch persönlich interessiert und Lorel hatte in einem ihrer Briefe Zweifel darüber laut werden lassen, ob dies auch wirklich gelingen werde. Clemens aber beruhigt sie: Clemens Metternich an seine Frau. 6. Jänner 1798. Dieser Passus in den nachgelassenen Papieren I/360 ausgelassen. St. A. Z. P. »Sei fröhlich und zufrieden; in einem Zeitalter, da jeder nur an sich denkt, wäre man wahnsinnig, sich zu vergessen und wir für unseren Teil haben in dieser Beziehung Vorteile vor allen anderen. Wir werden auf der einen Seite verlieren und vielleicht auf der anderen das Doppelte gewinnen …«
Hier in Rastatt, glaubt Clemens, entscheidet sich nun das Schicksal der Welt, der Friede Europas. Und schon finden wir ein Wort in den Briefen an Lorel, das er tausendmal wiederholen wird, auch wenn es gewiß nicht so war: »Alles was ich voraussah, geschieht!« Sonst findet Clemens Rastatt »détestable«, nur dann weniger, wenn Cobenzl wieder einmal ein Souper gibt, zu dem alle Mitglieder der Comédie Française geladen sind. »Du weißt, daß er eine wahnsinnige Passion dafür hat und infolgedessen für alles, was damit zusammenhängt. Die Comédie ist gut, aber die Schauspieler sehr wenig liebenswürdig. Diese Nation ist nicht wiederzuerkennen.« Ob da auch die Schauspielerinnen damit gemeint sind? Jedenfalls ist es besser, wenn Lorel direkt von ihrem Gatten über diesen Abend hört als vielleicht von dritter Seite! Doch der Brief schließt beruhigend: »Adieu, meine gute ausgezeichnete Kleine, lieber, guter, bester Engel, ich liebe Dich, Dich und meine kleinen Kinder, und immer Dich und sie; der ganze Rest des Weltalls bedeutet mir nichts.« Gegen Ende des Monats unternimmt Clemens die Reise nach Wien und bleibt dort, bis seine Frau am 21. Februar 1798 einen Sohn zur Welt bringt, der den Namen Franz erhält.
Clemens ist höchst erfreut, denn über Familiengefühl verfügt er und ist stolz auf seine wachsende Nachkommenschaft. Der kleine Franz besitzt allerdings, wie sich bald herausstellt, eine sehr zarte Gesundheit, so daß man gleich fürchten muß, er werde nicht aufkommen. Auch die Mutter kann sich lange nicht erholen und schon werden Andeutungen laut, daß die Gräfin an der Lunge heikel ist und sehr auf sich achthaben muß.
Anfang März muß Clemens wieder nach Rastatt zurück und trennt sich schwer von seiner Familie. Als er von der kleinen Marie Abschied nimmt, glaubt sie, der Vater verlasse das Zimmer nur für einen kurzen Gang, vergießt aber trotzdem ein paar Tränen. Gleich aber lacht und spielt sie wieder. »Ein Spielzeug tröstet sie«, philosophiert der Vater, »ein Nichts läßt sie vergessen, worüber sie gerade geweint, warum sind wir nicht alle wie die Kleine? Wie schnell würden alle Übel aus diesem Leben verschwinden, das unglücklicherweise von solchen erfüllt ist.« Clemens Metternich an seine Frau. 22. März 1798. B. u., St. A. Z. P.
In Rastatt geht nun wieder das alte Leben an; in den politischen Fragen kommt man nicht recht weiter, Soupers und Diners, Karten- und sonstige Hazardspiele lassen die müßige Zeit verstreichen. Clemens ist noch ganz erfüllt von den Tagen, die er inmitten seiner Familie verbracht hat. Er freut sich über jede Zeile seiner Frau: »Ein Wort von Dir ist wie ein Blitz, der meine fern von allem, was ich liebe, eingeschläferte Seele erhellt … Ihr Drei seid so eng mit meiner Existenz und meiner Seele verwachsen, daß ich immer glaube, daß wir nur eins bilden dto. 5. April 1798. dto. … Der Frühling ist plötzlich gekommen und ich glaube zu träumen, wenn ich alle Bäume in Blüte sehe … Ich liebe diese Jahreszeit über alles. Alle meine Sinne sind wach und mein Herz wäre der größten Genugtuung fähig, wenn Du, meine gute Freundin, bei mir wärest; ohne Dich und meine kleinen Kinder gibt es kein Glück und wäre ich in einem irdischen Paradiese.« dto. 7. April 1798. In nachgelassenen Papieren I/367 ausgelassen. St. A. Z. P. »Wie mächtig ist doch der Zauber einer echten Verbindung, eine solche allein ist der Gipfel des Glücks, die einzige Quelle reinen und dauerhaften Vergnügens, das alle Schicksalsschläge oder Ereignisse nur leicht berühren, niemals aber zerstören können …« So schreibt Clemens, in einem Atem aber berichtet er auch über seine Spielleidenschaft, die ihn oft Hunderte gewinnen oder verlieren läßt. Von anderen Frauen weiß er seiner Lorel freilich nichts zu berichten und doch pflegt er den wenigen Schönen, die Rastatt aufzuweisen hat, nach wie vor nicht aus dem Wege zu gehen. So kämpfen in des jungen Clemens Seele die besten und gesündesten Gefühle immer wieder mit solchen, die zu Leichtsinn neigen und umsomehr freie Hand haben, als Lorel nicht um ihn ist. Aber dadurch wächst in der jungen Frau besonders der Wunsch, nun auch nach Rastatt zu kommen und ihren Gatten dort aufzusuchen. Er selbst äußert doch fortwährend und in den sehnendsten Ausdrücken den Wunsch nach Wiedervereinigung: Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 11. April 1798. In nachgelassenen Papieren I/368 ausgelassen. St. A. Z. P. »… Ich kann nicht leben ohne Dich, jeder Augenblick erscheint mir wie ein Jahrhundert, ich sehe Glück nur in den Armen meiner guten, meiner ausgezeichneten kleinen Frau, umgeben von meinen guten Kindern. Keinen Zweifel bitte darüber oder ich werde böse … Ich küsse Dich so recht vom Kopf bis zu den Füßen …«
Clemens flüchtet sich in solche Gedanken, denn die Politik wird ihm immer unleidlicher. Er beginnt die Revolutionäre zu hassen und zu verachten, mit denen er notgedrungen zusammen sein muß, obwohl er immer gezwungen ist, ihr Gast zu sein. »Ich habe gestern bei Treilhard gegessen«, berichtet er am 7. April. »In der Mitte des Tafelaufsatzes gab es eine Art Pyramide aus Grillage mit einer ungeheuren Tricolore; ich schwöre Dir, ich verlor allen Appetit bei dem Anblick dieses verabscheuungswürdigen Aushängeschildes.«
Sowie Clemens kann, flieht er von Rastatt und macht Ausflüge besonders gern an den Hof von Baden. So auch am 12. April in großer Gesellschaft. »Der berühmte Postillon meiner Eltern«, berichtet er Lorel, »hat glücklich Mittel und Wege gefunden, uns alle drunter und drüber in den Straßengraben umzuwerfen. Ich habe aber den Sturz kommen sehen, habe mich auf das Abenteuer gefaßt gemacht und daher nur einen blauen Fleck davongetragen.« Sogar das will Clemens vorausgesehen haben. Daß die Dinge am Kongreß aber so gar nicht weiterkommen, hat er doch nicht vorausgesehen. »Ich werde mich jedoch nicht viel darum kümmern, wenn einmal unser persönliches Interesse gerettet ist, kann mir das ganze gestohlen werden (je m'en n'embarasse plus et je m'en fiche); mögen sich die Perücken aller Formen und Sorten raufen und sich nach ihrem Geschmack einrichten, mich soll's nicht in Ungelegenheit setzen und ich denke nur daran, Dich zu küssen, oben, unten und von allen Seiten. Ich glaube sicher, daß unter allen Menschen dieser Erde keiner Dich hätte so lieben können. Ja, meine gute kleine Frau, Du bist alles, was ich in der Welt am meisten liebe und ich werde niemals eine andere lieben …« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. Briefe vom 13. und 16. April 1798. B. u., St. A. Z. P.
Stolz hat Lorel ihrem Mann einmal geschrieben, sie hätte bei einer Soirée in der Gesellschaft großen Erfolg gehabt. »Ich bin gar nicht erstaunt darüber, meine gute kleine Freundin«, antwortet Clemens. »Du wirst Dich erinnern, daß ich Dir zu Beginn unserer Ehe mindestens zwanzigmal gesagt habe, daß Du Furore machen wirst. Ich kenne die Welt besser als Du und war sicher, mich nicht zu irren. Sei überzeugt, daß Du immer noch mehr gewinnen wirst. Du bist schön und wirst Weltläufigkeit und mehr Mut gewinnen. Mit einem Wort, ich behaupte, daß man Dich lieben muß, wenn man Dich kennt. Ich spreche aus Erfahrung, denn ich habe Dich das erstemal, da ich Dich gesehen, gleich geliebt und dann immer noch mehr und mehr … Ich bin allein über dem Gedanken, Dich zu besitzen, glücklicher als über alle Genüsse, die mir die Welt bieten könnte.
Die Art, wie Carl Harrach über Dich nach Deinem hübschen kleinen Kopf urteilt, hat mich der großen Wahrheit wegen, die ich darin finde, lachen lassen … Ganz Wien weiß …, daß Du eine vortreffliche Mutter bist – sinnliche Liebe liest man in Deinen großen Augen, und in Deinem ganzen Gesichtsausdruck … liegt Eitel- und Weiblichkeit, das ist wahr, soweit sich dies mit den besten Eigenschaften vereinen läßt … Denke nur ein Viertel so viel an mich, wie ich an Dich denke und ich bin schon zufrieden.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. Briefe vom 16., 17. und 19. April 1798. Das Zitierte unveröffentlicht. St. A. Z. P.
Für die französische Nation, wie sie sich nun am Ausgang der Revolution darstellt, hat Clemens nur schärfste Worte: »Wo sich nur ein Franzose zeigt, wird niemals Frieden herrschen«, dto. Frankfurt, 22. April 1798. St. A. Z. P. meint er und flüchtet sich wieder zu den zahlreichen Briefen seiner Frau, die ihn »allein alle Widerstände und Unannehmlichkeiten des Augenblickes vergessen lassen.« dto. Rastatt, 30. April 1798. In nachgelassenen Papieren ausgelassen. St. A. Z. P. Clemens wünscht, daß sie vor einem bestimmten Zeitraum nicht wieder in die Hoffnung komme. »Du wirst so neue Kraft bekommen, um mir dann noch einen festen Buben geben zu können … Habt mich alle dann recht lieb, sicher hat kein Mann sein Weib und kein Vater seine Kinder lieber als ich die meinigen.« dto. 8. Mai 1798. In nachgelassenen Papieren ausgelassen. St. A. Z. P.
So scheint alles eitel Wonne, da kommt auf einmal ein Brief Lorels, die sich bitter beklagt, daß Clemens ihr nicht von einer angeblich in Aussicht stehenden Heirat seiner Schwester Pauline mit dem Herzog Ferdinand von Württemberg, dem in Österreich dienenden Bruder des regierenden Königs dieses Landes berichtet hat. »Ich sollte Dir zur Strafe acht Tage lang keine Nachricht von Deinen Kindern geben«, meint Lorel. Clemens aber weiß nichts davon. »… Ich lasse mich hängen, wenn ich weiß, von welcher Heirat Du sprichst«, läßt er sich erbost hören. »… Wie kannst Du Mißtrauen in meinen Wunsch legen, Dir von allem zu sprechen, was Dich interessieren kann oder Dir Freude machen könnte.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 12. Mai 1798. B. u., St. A. Z. P. »Aber ich kann Dir von keiner Hochzeit erzählen, von der ich nichts weiß.« Clemens geht der Sache nach, erfährt schließlich, worum es sich handelt und stellt fest, das ganze wäre bloß ein grundloser Wiener Tratsch. »Es ist niemals von einer solchen Heirat die Rede gewesen, ebensowenig, wie daß unsere (ein Jahr alte) Marie den Sohn des Beys von Algier heiraten sollte; ich erkenne an diesem Gerücht das Gekläff (la clabauderie) von Wien … dessen ganze Gesellschaft dadurch drunter und drüber geraten ist … und wegen dergleichen ist meine kleine Frau erbost und pikiert über ihren besten Freund … Ein andermal, meine kleine Freundin, glaube, was ich Dir sage und verneine, was ich Dir nicht mitgeteilt … Vertrauen ist von Liebe untrennbar und macht den Charme des Lebens zweier Menschen aus, die durch die Bande des Herzens und alles, was am heiligsten ist, miteinander verbunden sind. Du weißt, daß ich Dich mehr liebe, als ich sagen kann, Du das einzige Wesen bist, das mein Herz ausschließlich beschäftigt und da machst Du mir wirklich abscheuliche Vorwürfe, gib zu, daß darin viel Ungerechtigkeit liegt.« dto. (Rastatt) 13. Mai 1798. B. u., St. A. Z. P.
Diese kleine Trübung in den Beziehungen der beiden Gatten geht aber schnell vorüber und der alte, zärtliche und vertraute Ton in den Briefen kehrt wieder. Clemens beschäftigt sich mit seiner Zukunft. Er möchte gern in die Diplomatie eintreten und sein Vater spricht mit dem Grafen Cobenzl darüber, der sich zustimmend äußert. Schon beraten die beiden, welchen diplomatischen Posten man Clemens anvertrauen könnte. »Ein Ereignis, dem ich entgegensehe und das Dir, meine gute kleine Frau, sicher Freude machen wird, ist meine Ernennung zu einer Gesandtschaft. Ich glaube, daß jene in Den Haag mir gefallen könnte, was ganz meinen Wünschen entspräche und den geradesten Weg zu jener in England darstellt, wohin meine Wünsche zielen. Herr von Cobenzl bestimmt mich dafür und wird mich dem Kaiser und Baron von Thugut vorschlagen, auf den ich auch zählen zu können glaube und der nichts dagegen haben wird.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. 15. Mai 1798, B. u., St. A. Z. P. Da irrt sich Clemens allerdings, er ahnt scheinbar noch nicht, daß Thugut ihm ebensowenig wie seinem Vater gewogen ist.
Die lange und fruchtlose Dauer des Hin- und Herredens am Kongreß bei Abwesenheit Bonapartes langweilt Clemens schon unendlich. »Ich gebe Dir mein Ehrenwort«, schreibt er Lorel, dto. Rastatt, 21. Mai 1798. B. u., St. A. Z. P. »daß, wenn ich hätte voraussehen können, daß die Sache so lange dauern würde, ich niemals diese verdammte Aufgabe auf mich genommen hätte, in der ich mich nun unglücklicherweise verstrickt finde.« Nun denkt Clemens doch endlich den Bitten seiner Frau nachzugeben, die ihm unzählige Male geschrieben hat, sie wolle ihn besuchen kommen. »Es ist unmöglich vorauszusehen, ob der Kongreß in drei Monaten zu Ende sein wird, Du mußt also endlich kommen.« Clemens gibt Lorel genaue »Marschroute«, aufs peinlichste schreibt er ihr alle Einzelheiten, Fahrt, Geld, Schlafenszeit vor, gibt gute Ratschläge, zeigt höchste Sorgfalt bei all dem und Freude über das Kommen seiner kleinen Frau. »Wenn ein jäher Berg ist, so lasse immer einhemmen und den Radschuh anlegen; seht den Wagen selbst nach, ob ihm nichts fehlt.« Clemens Metternich an seinen Bruder. 23. Juni 1798. B. u., St. A. Z. P. »Alles, was ich Dir da gesagt habe, ist nur von meinem Herzen diktiert«, Clemens Metternich an seine Frau Lorel. Briefe vom 14., 17., 18. und 23. Juni 1798. B. u., St. A. Z. P. betont Clemens und »im Augenblick Deiner Ankunft werde ich der glücklichste aller Menschen sein.« Clemens Metternich an seine Frau Lorel. Briefe vom 14., 17., 18. und 23. Juni 1798. B. u., St. A. Z. P.
Lorel trifft auch ohne Zwischenfall pünktlich in Rastatt ein und stellt fest, daß ihr Kommen ganz gut war, denn trotz allen brieflichen Versicherungen hat sich der Gatte doch dort an ein recht lockeres Leben gewöhnt, das er selbst bei Anwesenheit seiner Frau nicht ganz aufgibt. Ja, es kommt vor, daß er sie zu langweiligen, steifen Empfängen entsendet unter dem Vorgeben, er sei mit Arbeit zu sehr überhäuft, die Zeit aber in Wirklichkeit bei Spiel in einem weitaus heitereren Kreise verbringt. So übernimmt er Sitten der französischen Gesellschaft des ancien régime ohne Bedenken, gibt seiner Frau äußerlich jede gebührende Ehre, läßt sich aber im übrigen in seinen Gewohnheiten keineswegs stören. Eleonore Metternich kränkt sich anfangs ein wenig über diese Haltung ihres Gatten, wenn er aber dann wieder nach Hause kommt, zu ihr zurückkehrt, seinen Charme spielen läßt und ihr sagt: »Du stehst doch hoch über allen, denn Du bist mein einziger größter Schatz, so klein Du auch schon immer bist«, Clemens Metternich an seine Frau Lorel. Rastatt, 13. Jänner 1798. B. u., St. A. Z. P. da schmilzt ihr Ärger und ihr Kummer dahin, sie glaubt ihm und begreift, daß er aller Welt so wie ihr gefällt.
Die bisher nur heimlich zugestandene Abtretung des linken Rheinufers wird nun auch vom Reich bewilligt. Bald aber spitzen sich die Gegensätze so zu, daß Clemens Metternich, der ja nur eine nebensächliche Rolle spielt, erkennt, daß der Kongreß sich schließlich nicht gerade freundlich auflösen werde. So beschließt er, Mitte März 1799 mit Frau und Kind nach Wien zurückzukehren, noch bevor die Lage in Rastatt bedrohliche Formen annimmt. Der Ausbruch des zweiten Koalitionskrieges gegen Frankreich unterbricht endlich jäh die langwierigen Verhandlungen. Die französischen Gesandten werden bei ihrer Abreise am 28. April 1799 von ungarischen Husaren überfallen und zwei von ihnen ermordet. Clemens schätzt sich glücklich, da nicht mehr in Rastatt geweilt zu haben. Bis zum heutigen Tage ist dieser Vorfall nicht ganz aufgeklärt, ganz unschuldig scheint aber die österreichische Regierung dabei nicht gewesen zu sein, denn Kaiser Franz ist äußerst besorgt, was mit den Papieren über diese Angelegenheit geschehen sei; die wichtigsten darüber blieben im Besitze des Erzherzogs Karl und nicht bei dem Hofkriegsrat, waren versiegelt und mit einer Aufschrift Kaiser Franzens versehen. Als man dies dem Monarchen meldete, schrieb er auf Colloredos bezüglichen Bericht die Randbemerkung: »Ich bin sehr froh, dieses zu vernehmen, nur ist es fatal, daß mehrere Menschen davon wissen.« Bericht Graf Colloredos an Kaiser Franz. 19. Oktober 1804. Wien St. A.
Metternich Vater und Sohn verfolgen nun mit äußerster Spannung die Wechselfälle des zweiten Koalitionskrieges. In Wien nehmen Clemens und seine Frau das gewohnte Leben in der großen Gesellschaft wieder auf. Sehr häufig ist er besonders im Salon der Gräfin Rombeck zu sehen, der geistreichen und auch einflußreichen Schwester des Grafen Louis Cobenzl. Denn ganz in Gegensatz zu dem, was er später wahr haben will – läßt er doch in den nachgelassenen Papieren über diesen Zeitraum sagen: »Ich hatte keinerlei Lust in Dienst einzutreten« Nachgelassene Papiere I/31 f. – wünscht der junge Mann in dieser Zeit sehnlichst eine diplomatische Verwendung und wird nur durch Thugut daran verhindert, von dessen Abneigung er nun erst richtige Kenntnis erhält.
In der jungen Ehe aber ereignen sich zwei schwere Schicksalsschläge. Am 10. Juni bringt Lorel wieder einen Knaben zur Welt, der nach seinem Vater benannt wird, aber schon fünf Tage nach seiner Geburt stirbt. Lorels Gesundheit wird ernstlich angegriffen; sie erholt sich nur sehr schwer seelisch und körperlich und wird von neuem zurückgeworfen, als am 3. Dezember desselben Jahres auch noch der schon bald zweijährige Franz, der seinen Namen zu Ehren des Kaisers bekommen hatte, plötzlich dahingerafft wird. Nun bleibt die kleine Marie allein zurück und Clemens' Stolz, seine beiden Buben, sind nicht mehr. Doch die Hoffnung auf neue Nachkommenschaft bleibt bestehen und darin finden die jungen Eheleute Trost.
Der Krieg gegen Frankreich geht indes für die Koalition ungünstig aus, da Rußland sich bald von ihr zurückzieht und Bonaparte als Erster Konsul die Herrschaft in Frankreich an sich reißt. Er erringt am 14. Juni 1800 den entscheidenden Sieg von Marengo, der allerdings um ein Haar gegenteilig ausgegangen wäre. Die Folge ist der höchst ungünstige Friede von Lunéville, der endlich die Revolutionskriege gegen Frankreich beendet. Nun ist der Rhein wirklich Frankreichs Grenze und der Kaiser gedemütigt. Die Fürsten, die dabei ihr Land und Gut verlieren, sollen durch Einziehung kleiner geistlicher und weltlicher Territorien (Säkularisation) entschädigt werden. Dazu gehören auch die Metternich, die die Herrschaften Winneburg und Beilstein verlieren. Der so ungünstige Friede besiegelt das Schicksal Thuguts, der, obwohl er außenpolitisch höchst weitblickend ist und wie die Folge zeigt, die Entwicklung vollkommen richtig voraussieht, über Druck der siegreichen Franzosen seinen Stein im Brette des Kaisers Franz verliert und bitteren Herzens seine Entlassung gibt. Darauf übernimmt vorübergehend Graf Trauttmansdorff die Geschäfte, um sie bald darnach dem guten Freunde der Metternich, dem noch in Frankreich weilenden Grafen Ludwig Cobenzl zu übergeben.
Kaiser Franz hat da einem Mann den Abschied geben müssen, der bisher alles bei ihm galt. Wie der Monarch geartet ist, braucht er jemanden, der für ihn entscheidet und beschließt. Schon Graf Franz Colloredo wurde scherzend wegen seines vorherrschenden Einflusses auf Kaiser Franz II. Franz I. genannt. Doch ein geeigneter Mann ist nicht leicht zu finden. In Thugut hat der Kaiser einen sehr fähigen Mann entlassen, man höre nur, was dieser voraussichtig wenige Monate nach seinem Rücktritt schreibt: »Wir würden uns sehr weit von unserer Rechnung entfernen, wenn wir uns schmeicheln würden, von nun an in Europa einige Ruhe genießen zu dürfen. Wenn Bonaparte am Leben bleibt, wird er niemals seinen Plänen auf allgemeinen Umsturz entsagen und wenn er im Augenblick das Bedürfnis nach etwas Ruhe empfindet, um seine Autorität zu stärken und zu befestigen, so wird dies nicht von langer Dauer sein.« Thugut an Colloredo. 13. August 1801. Interzept Wien St. A. Und wenig später, als Thugut Siege der Flotte Nelsons erwartet, sagt er: »Ich schmeichle mir immer, daß britische Tapferkeit das übrige Europa rächen wird, indem es den Korsischen Konsul für seine unverschämten Pläne der Vernichtung und des allgemeinen Einbruches in alle Länder bestraft.« Thugut an Colloredo. 26. August 1801. Interzept Wien St. A.
Für die Metternich aber ist der Rücktritt Thuguts von höchster Bedeutung; nun ist ihr ärgster Feind aus dem Wege geräumt. Ihr Beschützer, Graf Ludwig Cobenzl, Bruder jener Gräfin Rombeck, in deren Salon der junge Metternich ein so beliebter Gast ist und auf die er gleichwie auf so viele andere Frauen den angenehmsten Eindruck gemacht hat, wird nun Minister des Äußern. Und wirklich, Ende Jänner 1801 wird der junge, achtundzwanzigjährige Clemens Metternich, der keinerlei diplomatische Studien gemacht hat und noch dazu gar kein Österreicher ist, sogleich zum Gesandten in Dresden ernannt, ohne auch nur Sekretär gewesen zu sein.
Der Name Kaunitz und der Ruhm, der sich an ihn knüpft, die nun hinter ihm stehende Clique der Cobenzl, Liechtenstein und der ihr angegliederten Familien hat gesiegt, das Sprungbrett für eine atemraubende Laufbahn ist gegeben und die Zeit wird zeigen, daß Metternich zu springen versteht.