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Viertes Kapitel.

O Lieb', wie bist du bitter,
O Lieb', wie bist du süß!

(Scheffel.)

Während der Heimfahrt versank Harald in seine frühere Schweigsamkeit, und als Kurt ihn nach dem Grunde hierfür fragte, erwiderte er zögernd:

»Ich dachte eben an etwas, aber es wird sich wohl nicht ausführen lassen.«

»Das wäre?«

»Es fuhr mir vorhin durch den Kopf, daß man kein geeigneteres Modell für die Rebekka finden könnte als deine Braut. Wenn sie mir einigemale als Modell sitzen wollte –«

»Warum denn nicht? Magdalene interessiert sich ja so sehr für Malerei und macht selbst recht gute Skizzen. Weshalb batest du sie nicht gleich darum?«

»Ich mußte doch erst wissen, wie du darüber denkst, und dann – sie war so ernst, so wortkarg.«

»Das brauchst du nicht auf dich zu beziehen. Sie wird es jetzt leider von Tag zu Tag mehr, weil sie sich nicht mit dem Gedanken, eine Stiefmutter zu bekommen, befreunden kann. Was nun dein Bild betrifft, so werde ich die Erlaubnis bewirken. Verlaß dich darauf! Willst's wohl später ausstellen?«

»Nein. Vielleicht findet sich in der Oberförsterei ein bescheidenes Plätzchen dafür.«

»Natürlich! Aber kein bescheidenes, sondern das allerbeste! Ich nehme es als Hochzeitsgeschenk.«

Harald machte eine zustimmende Bewegung. –

Als Kurt am nächsten Tage von einem Besuche bei Felderns heimkehrte, rief er dem Bruder entgegen:

»Alles bereits erledigt! Feldern hat nichts dagegen, daß du der Hauptfigur deines Bildes die Gestalt und die Züge seiner Tochter giebst.«

»Und Magdalene?«

»Nun – sie machte ein klein wenig Umstände, aus Bescheidenheit wohl. Aber sobald sie erfuhr, daß es sich um meinen Wunsch, um eine mir zugedachte Freude handle, da war es mit dem Widerstand vorbei. Du kannst die Arbeit gleich morgen beginnen. Na – hör' einmal, ich glaubte, dir eine recht frohe Nachricht zu bringen, war seelenvergnügt darüber, und jetzt bist du so stumm wie ein Fisch! Hast wohl schon wieder die Lust verloren?«

»Das nicht, Kurt, aber alles wohl erwogen, ist es wohl besser, wir lassen den Plan wieder fallen.«

»Das ist aber nicht mehr möglich! Stundenlang rede ich Lenchen zu wie einem eigensinnigen Kinde, und nun, da sie endlich nachgiebt, hast du Lust und Selbstvertrauen verloren!«

»Ach, Mangel an Selbstvertrauen ist es nicht, sondern eine geheime Scheu – – –«

»Ach was! Gieb dir nur Mühe. Und wer verlangt ein tadelloses Kunstwerk von dir? Ich nicht, und für mich ist das Bild doch bestimmt. Versuche dein Bestes, und wenn deine Rebekka nur annähernd meiner Magdalene gleicht, so bin ich vollkommen zufrieden. Aber jetzt wieder sagen: Harald hat die Idee aufgegeben, er mag nicht – nein, das darfst du mir nicht zumuten. Bleibe deinen Wünschen und Vorsätzen getreu, sobald du andere veranlaßt hast, für sie einzutreten.«

»Gut! Wenn du darauf bestehst –«

»Ich bestehe darauf.«

»Nun, dann will ich das Bild nach besten Kräften vollenden.«

»Siehst du, mein Junge! So gefällst du mir. Ich kann dich aber morgen nicht begleiten, weil ich zu thun habe. Bringe Lenchen meine Grüße.«

Mit der schönen Ueberzeugung, dem Bruder einmal eine heilsame Lehre gegeben zu haben, zog sich Kurt zurück. –

Harald nahm die bereits aufgegebene Arbeit in Angriff und setzte sie täglich fort. Dieses stundenlange Beisammensein übte einen wundersamen Reiz auf Magdalene aus. Der ganze Märchenzauber süßer Mädchenträume und halbverklungener Wünsche stieg wieder vor ihr auf, wie eine versunkene Stadt aus dem Meere, mit fernen, geisterhaften Glockenklängen.

Der Professor kam oft auf eine halbe Stunde herein und mußte gestehen, daß Harald wirklich Talent besitze. Auch die Kinder kamen zuweilen und sahen kichernd die erwachsene Schwester an, die wie ein Steinbild dastand, wagten sich aber nicht näher, denn Magdalene spielte und scherzte jetzt nie mehr mit ihnen. Sie konnte es ihnen nicht verzeihen, daß sie der künftigen Stiefmutter und dem Major stets entgegenliefen. Das baute gleichsam eine Scheidewand zwischen ihr und den Geschwistern auf.

Harald und Magdalene sprachen wenig miteinander, und doch bestand eine ununterbrochene, seelische Wechselwirkung zwischen ihnen. Es war, als läge ein verborgener Zündstoff in der Luft und als würde ein einziger Funke genügen, um diesen in ein verheerendes Flammenmeer zu verwandeln. Der gefährliche Funke konnte aus einem Wort, aus einem Blick hervorsprühen, das fühlten beide, und deshalb lastete ein peinlicher Druck auf ihnen, ein geheimes Schuldbewußtsein, ein unklares Gefühl schmerzlicher Reue und unbezwinglicher Sehnsucht.

Magdalene schlief mit dem Gedanken an diese reiz- und qualvollen Stunden ein und wachte mit ihm auf. Oft wünschte sie, das Bild möge vollendet sein, und meinte dann doch wieder, von diesem Augenblicke an müsse sich ödes Grau über die ganze Welt herabsenken.

Aehnlich empfand Harald, und so kam es, daß das Werk nur langsam Fortschritte machte. Es gab beständig zu ändern und zu verbessern, bald an dem Faltenwurf des Gewandes, bald an dem üppig und fessellos niederwallenden Haar. Der letzte Pinselstrich wurde nicht gethan, beide fühlten das Herannahen einer Gefahr und hatten doch weder die Kraft noch den festen Willen, ihr auszuweichen.

Aber endlich kam doch die Stunde, wo Harald erklären mußte, daß er seine Arbeit für beendet halte. Schweigend legte er Palette und Malstock nieder und trat langsam, mit schleppenden Schritten, auf Magdalene zu. Aber während seine Lippen fest geschlossen blieben, wälzte sich eine Flut von heißen Wünschen durch sein leicht entzündbares Herz. Jetzt, da er zum letztenmale mit Magdalene allein war, da er sich sagen mußte, daß in wenigen Minuten der stille Reiz, der beseligende Zauber dieses ungestörten Beisammenseins aufhören werde, aufhören müsse, jetzt erst fühlte er, in welch unzerreißbare Fesseln das Mädchen sein Herz geschlagen, jetzt erst wurde es ihm völlig klar, was er an Magdalene verloren, als er sich dem Zauber ihrer Schönheit entziehen zu sollen geglaubt hatte.

So leicht sich Harald auch sonst über seine Neigungen und Gefühle täuschte, diesmal war er ehrlich gegen sich selbst. Eine tiefe Neigung für Magdalene hatte ihn ergriffen, und der Gedanke, sie einem anderen – und noch dazu dem eigenen Bruder – lassen zu müssen, war ihm schmerzlich. Aber er war auch ehrlich genug, sich zu sagen, daß er seine Rechte auf sie und damit sein Glück selbst verscherzt hatte. Hätte er, bevor er nach Heidelberg ging, ein Wort zu ihr gesprochen, so hielte er jetzt das lachende Glück in seiner Hand, und keine Macht der Erde hätte es ihm entrissen.

Ja, hätte er damals gesprochen! Aber konnte er denn ahnen, daß die reizende Knospe sich zu einer so herrlich schönen Blüte erschließen würde? In thörichter Eitelkeit hatte er mit ihrem Herzen gespielt, hatte er die schlummernde Liebe in ihrer Brust geweckt, um dann in seiner Verblendung, in verächtlicher Feigheit sich von ihr zu wenden. Jetzt war sie die Braut seines Bruders, dem er tief verpflichtet. Jedem andern hätte er sie abgetrotzt, aber bei seinem Bruder, der ihn zu dem gemacht hatte, was er war, bei ihm konnte er es nicht.

Solchergestalt waren die Gedanken, die in Harald tobten, als er vor Magdalene trat. Das Köpfchen gesenkt, stand sie vor ihm, ein Bild holdester Verwirrung. Sie fühlte es, daß er kam, um ihr zu sagen, daß das Bild vollendet wäre, und sie zitterte ebenso sehr in dem Gedanken, daß dieses das letzte ungestörte Beisammensein, wie sie sich fürchtete, durch einen Blick, durch eine Bewegung ihm verraten zu können, wie schwer ihr das Auseinandergehen würde. Als sie sich ihrem Bräutigam verlobte, hatte sie geglaubt, die Liebe zu Harald aus dem Herzen gerissen zu haben. Jetzt, in dieser Minute, fühlte sie deutlich, was ihr all die letzten Wochen hindurch schon, wenn auch noch verworren und unklar, ins Bewußtsein gedrungen war, daß sie ihn heißer liebte denn je, und daß sie unrettbar dem Zauber seines Wesens, seiner Persönlichkeit verfallen war.

Eine Minute etwa standen beide sich wortlos gegenüber. Sein Auge ruhte auf ihr, während sie bebend seinem Blick auswich. Endlich brach Harald das Schweigen.

»Das Bild ist fertig, Fräulein Magdalene,« sagte er, »haben Sie den Wunsch, es in seiner Vollendung noch einmal zu sehen?«

Ein leichtes Neigen des Kopfes antwortete ihm. Er bot Magdalene seinen Arm und führte sie nach der Staffelei.

Ganz in das Anschauen des Bildes versunken, stand sie schweigend neben ihm. Dann streckte sie ihm plötzlich beide Hände entgegen und sagte:

»Das Werk ist Ihnen prächtig gelungen, Herr von Kroneck, und da es, wie mir Kurt mitteilte, für unser künftiges Heim bestimmt sein soll, so lassen Sie mich Ihnen aufs herzlichste danken!«

Er zog ihre Hand an seine Lippen und drückte einen heißen Kuß darauf. Dann sagte er, ohne ihre Hände freizugeben:

»An mir ist es, Ihnen zu danken, denn Ihre geradezu bewunderungswürdige Geduld war es, die meine Arbeit einigermaßen gelingen ließ. Nun, die heutige war ja die letzte Sitzung, von jetzt an sind Sie frei.«

Wie ein Keulenschlag traf sie das Wort. Sie war frei, ja, und doch unfrei, gebunden mit allen Fasern ihres Herzens! Sie fühlte, wie ihr die Thränen in die Augen schossen und neigte den Kopf, um es ihn nicht sehen zu lassen.

»Haben Sie mir nichts mehr zu sagen?« klang seine bebende Stimme an ihr Ohr.

Sie hob unwillkürlich das Haupt, und als er sah, daß zwei helle Thränen über ihre Wangen glitten, da konnte er nicht länger an sich halten. Er beugte sich nieder und flüsterte sinnlose, heiß bethörende Worte in ihr Ohr, Worte, die sie nicht hätte hören dürfen und deren süßem Zauber sie sich doch nicht entziehen konnte. Wie ein mit dem Tode des Verdurstens Ringender, wenn ihm eine Schale Wasser gereicht wird, nicht erst fragt, ob er auch trinken darf, so sog ihre Seele seine Worte in sich hinein, sorglos, lechzend.

Plötzlich aber entwand sie sich ihm. Ihr sonst so blasses Gesicht war wie in Purpur getaucht, und aus ihren schwarzen Augen traf ihn ein Blitz, so grell, so drohend, daß er nicht wagte, sie zu berühren.

»Wir sind beide schlecht,« sagte sie hart, »Sie, der Sie den Bruder, und ich, die ich den Verlobten betrog. Gehen Sie, wir dürfen uns nie mehr begegnen.«

Harald erbleichte. An den Bruder hatte er in dem Rausche, der jäh und plötzlich über ihn gekommen war, ebenso wenig gedacht, wie daran, daß Magdalene verlobt war. Aber sollte er jetzt sich das Glück wieder entflattern lassen, nachdem es ihm soeben erst zugeflogen? Sollte er still und ergeben das herrliche Geschöpf, das er soeben in seinen Armen gehalten, dessen Liebe ihm gehörte, für immer verlassen? Nimmermehr!

Sein Arm umschlang abermals die Geliebte, und nun bedeckte er ihren Mund, ihre Stirn, ihre Augen mit glühenden Küssen.

»Magdalene,« rief er, »mein süßes Lieb, was sprichst du da! Ich soll dich lassen, wo ich überselig bin, dich gefunden zu haben? Mein Bruder liebt dich wohl, aber er wird es ertragen können, wenn du ihm sein Wort zurückgiebst. Ich dagegen würde zu Grunde gehen, müßte ich dir entsagen, und du willst von mir gehen, mich meiden und dem Elend preisgeben? Du kannst es nicht wollen!«

Von namenlosem Schmerze gefoltert, hatte sich Magdalene erhoben, um nach der Thür zu eilen, doch kraftlos brach sie zusammen. Harald sprang ihr rasch zur Seite und gestützt auf seinen starken Arm sank sie wie betäubt auf ihren früheren Sitz nieder.

»Magdalene, Magdalene,« flehte Harald, »so antworte doch,« und wieder ergriff er ihre Hand und bedeckte sie mit seinen Küssen.

»Magdalene, wenn du mich lieb hast, so sprich mit ihm. Sage ihm, daß du zu der Ueberzeugung gekommen, daß eure Verlobung eine Uebereilung war, und du kannst sicher sein, daß er dich deines Wortes entbindet.«

Sie heftete erstaunt die Augen auf ihn.

»Was meintest du, Harald? Ich soll mit ihm sprechen? Wenn du mich liebst, mußt du es dann nicht thun?«

»Wo denkst du hin, Geliebte? Kurt würde es mir nie verzeihen. Sobald einige Monate verflossen sind, halte ich bei deinem Vater um dich an und führe dich dann als mein geliebtes Weib heim.«

Sie sah ihn noch immer mit dem erstaunt fragenden Blick an, den sie vorher auf ihn geheftet. Aber plötzlich überflog ein Lächeln ihr Antlitz, und sie sagte:

»Du hast recht, Harald, ich sehe es ein, daß du, nachdem er dir so große Opfer gebracht hat, nicht über unsere Liebe mit ihm sprechen kannst. So will ich denn ihn bitten, mir mein Jawort zurückzugeben. Ich denke, wenn er die Gründe hört, die mich zur Lösung des Verlöbnisses drängen, so wird er meine Bitte erfüllen.«

Vergebens bat Harald, daß sie den wahren Grund Kurt vorenthalten möchte, doch Magdalene blieb fest.

»Alles will ich thun, was du verlangst,« sagte sie mit rührender Demut, »aber das vermag ich nicht. Einmal, weil ich unsere Liebe nicht durch den Schatten einer Lüge befleckt sehen möchte, und dann, weil Kurt am wenigsten es verdient hat, daß wir ihn hintergehen. Und nun geh'! Zu gewaltig sind die Eindrücke der letzten Stunde gewesen, als daß ich nicht noch etwas der Sammlung bedürfte, ehe ich Kurt von dem Geschehenen Mitteilung mache.«

Harald ging, aber auf seiner Stirn lagen tiefe Schatten, und nur mit Mühe unterdrückte er eine häßliche Bemerkung, die ihm der Aerger über Magdalenens Weigerung nahelegte. Er war gerade jetzt mehr denn je auf Kurts Unterstützung angewiesen, die er zur Begründung seiner Praxis so dringend gebrauchte.

Im höchsten Grade mißgestimmt, suchte er in der freien Natur Zerstreuung, um in Ruhe zu überlegen, was ihm zunächst zu thun übrig bliebe. Aber so angestrengt er auch darüber nachdachte, wie er die Folgen von Magdalenens Entschluß abwenden könnte, es fiel ihm kein rettender Ausweg ein, und müde und abgespannt trat er endlich den Weg nach der Oberförsterei an, um hier sein Grübeln fortzusetzen.

Magdalene hatte sich, nachdem Harald sie verlassen, auf ihr Zimmer zurückgezogen und noch einmal vor ihrem geistigen Auge die Ereignisse des bedeutungsvollen Tages vorübergleiten lassen. Ihr Herz klopfte fast hörbar vor freudiger Aufregung, aber in ihren Jubel mischte sich nach und nach auch ein großer Teil Sorge, wenn sie an die bevorstehenden Unterredungen mit Kurt und ihrem Vater dachte.

Nicht daß sie im Ernst geglaubt hätte, Kurt könnte verlangen, daß sie sich ihm vermähle. Aber sie fürchtete den ernsten, traurigen Blick seiner guten Augen, die sie bisher nur in Freude und Glück auf sich hatte ruhen sehen. Und that sie nicht auch wirklich ein Unrecht, daß sie sich von ihm wandte, jetzt, da er sich dem Ziele seiner Wünsche so nahe glaubte? War es nicht ihre Pflicht, zu ihm zu halten, ob sie auch darüber zu Grunde ginge?

Aber, so fuhr sie in ihrem Selbstgespräch fort, das wäre ja eine fortgesetzte Lüge! Die Liebe zu Harald würde stets in ihr leben, und wäre er von ihr auch durch Tausende von Meilen geschieden.

Eheleute sind zur vollsten Offenheit gegeneinander verpflichtet, nichts von dem, was der eine denkt und fühlt, darf dem andern verborgen bleiben. Sie sind unlöslich miteinander verbunden, und nur der Tod kann sie scheiden.

Ganz anders bei Verlobten! Die Zeit von der Verlobung bis zur Vermählung ist eine Prüfungszeit, in ihr sollen Braut und Bräutigam sich gegenseitig kennen lernen. Ergiebt es sich, daß beide nicht zu einander passen, glaubt der eine oder andere Teil, in der Ehe nicht das Glück finden zu können, das er erhofft hat, was ist da natürlicher, als daß die beiden auseinander gehen, solange es noch Zeit ist? Besser doch, einen begangenen Irrtum eingestehen, als ihn durch Täuschung des anderen und durch Selbstbetrug zu einer schweren Sünde machen.

Befand sie sich nicht Kurt gegenüber in dieser Lage? Hatte sie sich nicht mit ihm verlobt, um bis zur Vermählung sich an ihn zu gewöhnen, und war es nun, da sie erkannt hatte, daß ihre Ehe niemals eine glückliche werden könne, nicht ihre Pflicht, die Verlobung zu lösen?

Mit solchen und ähnlichen Gedanken suchte Magdalene sich mit ihrem Gewissen und ihrem Gott zu versöhnen. Durchdrungen von der Heiligkeit der Ehe wagte sie den Kampf, der ihr bevorstand, und ein beseligender Friede neigte sich über ihr Gemüt und gab ihr die Kraft, wenige Stunden später ruhig und gefaßt Kurt entgegenzutreten.

Kurts Augen leuchteten froh und glücklich, als er seiner Braut die Hand bot und wie üblich einen Kuß auf ihren Mund drücken wollte. Aber der frohe Glanz erlosch, als Magdalene ihn zurückhielt und mit tiefem Ernst sagte:

»Ich kann keinen Kuß mehr von dir annehmen, Kurt. Wir müssen uns trennen!«

Aufs äußerste bestürzt, starrte der Oberförster sie an. Aber schon fuhr Magdalene fort:

»Ja, Kurt. Ich habe eingesehen, daß weder du noch ich, wenn wir uns fürs Leben verbinden, das Glück finden werden, das wir beide ersehnen, und deshalb ist es nötig, daß wir rechtzeitig von einander gehen.«

»Was ist geschehen, was verstehst du unter Glück, Magdalene?« fragte Kurt erschrocken.

Sie dachte einen Augenblick nach. Ein wundersames Leuchten stieg in ihren dunklen Augen auf.

»Nur auf der Grundlage einer innigen Herzensneigung,« entgegnete sie, »kann ich mir das erhabene Gebäude des ehelichen Glücks vorstellen. Die beiden, die vor den Traualtar treten, müssen einer in des andern Seele lesen können, müssen ganz ineinander aufgehen und von dem ernsten Willen durchdrungen sein, alles was ihnen begegnet, ob Lust, ob Leid, ob Freude, ob Schmerz, gemeinsam zu tragen.«

»Und du meinst,« sagte er mit zuckenden Lippen, »daß dies bei dir und mir nicht zutrifft?«

»Ja, Kurt. Als ich deine Werbung annahm, da glaubte ich, daß aus Achtung und Vertrauen Liebe emporwüchse. Doch Liebe ist ein Ding für sich. Die Liebe, die als zarte Pflanze sich mein jugendliches Herz zur Heimat erkor, die lebt auch heute noch in mir. Ich ahnte nicht, daß Jugendliebe so vollberechtigt sei, doch er, dem mein Herz gehörte, als ich noch ein Kind war, besitzt es noch heute.«

Ein Blitz des Verständnisses zuckte durch des Oberförsters Seele.

»Harald?« stöhnte er in banger Frage und blickte sie so todestraurig an, daß es ihr in die Seele schnitt. Aber unbeirrt fuhr sie fort:

»Ja, Harald! Ich liebte ihn bereits, als er noch hier studierte, und meine Liebe folgte ihm, als er nach Heidelberg ging, um seine Studien zu beenden. Als dann Jahr und Tag verging, ohne daß Harald mir eine Nachricht zukommen ließ, glaubte ich, er erwidere meine Neigung nicht, und wähnte, meine Gefühle für ihn aus dem Herzen reißen zu können. Es war eine Täuschung gewesen. Als Harald zurückkehrte, da wußte ich, daß er in meinem Herzen noch lebte, und vor wenigen Stunden hat er mir gestanden, daß auch ich ihm teuer bin.«

»Harald!« brach es abermals aus Kurts Brust hervor, aber diesmal klang es drohend, und in seinen Augen blitzte eine nur mühsam verhaltene Wut.

»Ich weiß, daß ich dir einen herben Schmerz zufüge, Kurt,« fuhr Magdalene fort. »Aber ich kann nicht anders. Lieber führte ich weiter ein Leben einsam für mich, fern von der Heimat, als drei Menschen durch eine unbedachte Ehe unglücklich zu machen. Kurt, gieb mir mein Wort zurück, gieb mich frei! Du bist stark und wirst den Schmerz überwinden, den ich dir bereiten muß. Kurt, gieb mich frei!«

»Du bist es!« kam es tonlos von seinen Lippen.

Einen Augenblick noch ruhte sein Blick tiefernst und traurig auf ihr. Dann wandte er sich zum Gehen. Aber Magdalene vertrat ihm den Weg.

»Nicht so scheide von mir, Kurt!« sagte sie, ihm die Hand zitternd entgegenstreckend. »Sage mir, daß du mir verzeihst, wenn du auch ein freundliches Gedenken mir nicht bewahren kannst.«

Er that, als ob er die Hand nicht sah, die sie noch immer ihm entgegenhielt, und seine Stimme klang fast rauh, als er erwiderte:

»Ich habe dir nichts zu verzeihen, Magdalene, ich kann nur Gott bitten, daß niemals die Stunde kommen möge, da du bereuest, was du gethan. Lebe wohl!«

Magdalenens Augen feuchteten sich unwillkürlich, als sie dem Manne nachblickte, dessen Herz sie eben so grausam getroffen, und ein fast banges Gefühl kam über sie. Noch einmal wandte sie sich zu Kurt und mit gerungenen Händen rief sie ihm fast flehend die Worte nach:

»Kurt, verzeihe mir! Was auch die Zukunft bringen möge, ich kann als Weib nicht anders handeln.« Dann atmete sie tief auf und ging, das Haupt hoch erhoben, mit festen Schritten nach dem Arbeitszimmer ihres Vaters, um diesem von dem Geschehenen Mitteilung zu machen.

Feldern war tief erschüttert, als er vernahm, was sich zugetragen. Er hing mit treuer Liebe an Kurt und fühlte mit ihm den Schmerz, der das Lebensglück seines Freundes noch in der Blüte vernichtet hatte. Gleichzeitig aber regte sich auch ein heftiger Zorn gegen Harald und Magdalene in ihm.

»Das ist ja ein sauberer Patron, dieser Herr Doktor!« rief er. »Lohnt seinem Bruder all die Liebe und Güte, die dieser an ihn verschwendet hat, damit, daß er ihm das Herz seiner Braut stiehlt! Und du meinst, ich würde deine Zukunft diesem Manne anvertrauen?«

»Ich hoffe es, Papa, da ich selbst gegen deinen Willen mein Los an das seine ketten würde. Im übrigen bitte ich dich, von Harald nicht in einem Tone zu reden, den zu ertragen ich nicht vermag.«

»Ich spreche von ihm nicht anders, als er es verdient!« gab Feldern kurz zurück. »Begreifst du denn gar nicht, daß Harald sich an seinem Bruder versündigt hat?«

»Vater, ich flehe dich an! Schilt nicht auf Harald; die Liebe hat ewige und heiligere Rechte.«

»Dann komme ich zu der Ueberzeugung, daß dein Herz verblendet ist. Sonst wäre es nicht möglich, daß du mit deinem Glücke und dem Frieden eines Mannes spielen konntest.«

»Ich habe nicht gespielt, als ich mich mit Kurt verlobte. Ich achte, ich schätze ihn, doch lieben kann ich ihn nicht. Ich hätte seine Ruhe gefährdet, wenn ich mit der Liebe zu Harald im Herzen ihm an den Traualtar gefolgt wäre. Meine Pflichten würde ich nicht verletzt haben, aber glücklich wäre er nicht geworden, und er verdient es, glücklich zu sein.«

»Und was soll nun werden? Wie hast du dir die nächste Zukunft gedacht?«

»Ich bitte dich, Papa, mich auf einige Zeit zu Tante Elfriede, der Schwester meiner Mutter, reisen zu lassen. Inzwischen wird Harald die Entscheidung über den Ort treffen, wo er seine ärztliche Praxis ausüben will, und da ich bei seinen reichen Kenntnissen nicht daran zweifle, daß er in kurzem so weit sein wird, sich und mir eine gesicherte Existenz zu schaffen, so hoffe ich, in nicht allzu ferner Zeit mich mit ihm vereinigen zu können.«

»Gegen die Reise zu Tante Elfriede habe ich nichts einzuwenden, die weitere Zukunft aber lege ich in die Hand dessen, der unser aller Geschicke leitet. Er gebe dir seinen Frieden!«

»Ich danke dir, guter Papa!«

Sie reichte ihm die Hand, die er nur zögernd nahm. Dann wandte sie sich der Thür zu und ließ den Vater allein.

Lange noch saß der Professor voll schwerer Sorge in seinem Zimmer, bis die Natur ihr Recht forderte und ihn den ersehnten Schlummer finden ließ.


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