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Zweites Kapitel.

Wenn alle Welt den Armen läßt,
Und wenn kein Stern ihm bliebe,
Am ew'gen Himmel stehst du fest,
Stern heil'ger Mutterliebe.

(Immermann.)

Der Professor war von seiner Reise zurückgekehrt.

Magdalene entging es nicht, daß während der wenigen Tage, die der Vater in der Ferne geweilt hatte, eine große Veränderung mit ihm vorgegangen war. Sonst von einem unzerstörbaren Gleichmut und von einer vornehmen Ruhe in all seinen Bewegungen, legte er jetzt eine fast nervöse Hast und Zerstreutheit an den Tag, um gleich darauf still vor sich hinzulächeln, als wäre ein großes Glück über ihn gekommen. Ihr schwebte eine Frage über sein auffallendes Wesen auf den Lippen, aber im letzten Augenblicke nahm sie Abstand davon, die Frage auszusprechen.

Anders der Oberförster, der am Abend desselben Tages den Professor besuchte.

»Was hast du nur heute, Feldern?« fragte er. »Deine Augen leuchten ja förmlich, und um deine Lippen schwebt ein beglückendes Lächeln. Ist es erlaubt, zu fragen, worin die Ursache deines veränderten Wesens zu suchen ist?«

Der Professor umspannte mit einem kräftigen Druck des Oberförsters gebräunte Hand.

»Morgen sollst du alles erfahren,« sagte er, »heute erlaß mir die Beantwortung deiner Frage. Ich muß mich erst sammeln, muß erst meinen gewohnten Gleichmut wiedergewinnen, ehe ich euch an meinem Glücke teilnehmen lasse.«

Als hätte er schon zu viel gesagt, warf er hastig den Kopf zurück und fragte dann ganz unvermittelt, wie es mit des Oberförsters Bruder stünde.

»Ich denke, gut,« erwiderte der Forstmann. »Ich habe ernstlich mit ihm gesprochen, als er vor Jahresfrist nach Heidelberg ging, habe ihm gesagt, daß ich meine Hand von ihm ziehen müßte, wenn er seine Studien nicht bald zu einem befriedigenden Abschluß brächte, und da er weiß, daß ich mein Wort zu halten pflege, so wird er meine Mahnung sich zu Herzen nehmen und fleißig arbeiten. Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß er uns bald als Arzt überrascht.«

»Das würde mich freuen!« sagte der Professor. »Es ist schlimm, wenn ein Mensch, der sein Hauptaugenmerk auf ein bestimmtes Ziel richten muß, seine Kräfte zersplittert. Was man sein will, sei man ganz! Aus einem Mittelding zwischen Künstler und Dilettanten wird niemals etwas Rechtes.«

Ein feines Lächeln legte sich um des Oberförsters bärtige Lippen, das sein Gesicht seltsam verschönte.

»Ich mache ihm keinen Vorwurf daraus,« sagte er, »daß er seine Anlagen pflegt. Die Kunst veredelt und erhebt. Hat sich Harald eine feste Stellung im Leben geschaffen, so bin ich der letzte, der gegen seine künstlerischen Neigungen etwas einwenden möchte. In meines Bruders Wesen liegt ein genialer Zug, und diesen verkümmern zu lassen, dazu könnte ich ihn nimmermehr auffordern. Ich habe oftmals lebhaft bedauert, daß die Natur mir kein künstlerisches Talent beschieden hat; umsomehr weiß ich es zu schätzen, wenn andere es besitzen. Und für beneidenswert halte ich den, der seine Neigungen mit den ernsten Erfordernissen seines Berufes in Einklang zu setzen weiß. Wenn Harald, wie ich mit Sicherheit glaube, das Examen besteht und ein tüchtiger Arzt wird, mag er seine seltenen Anlagen zur Malerei nur nach Belieben pflegen und zu entwickeln suchen. Kann ich ihn dabei nach irgend einer Richtung unterstützen, so soll es mit warmem Eifer und brüderlicher Freundschaft geschehen.«

»Das waren schöne, herzliche Worte, Herr von Kroneck!« rief Magdalene und streckte ihm, einer augenblicklichen Regung folgend, die kleine Rechte entgegen. Zwar zog sie sie etwas verwirrt zurück, als sie einen leisen Druck zu fühlen glaubte. Doch beschäftigte sie sich mit dem Oberförster an diesem Abend mehr, als sie es bisher gethan. Es war ihr, als müsse sie ein Unrecht wieder gut machen, das sie an ihm begangen, und sie entfaltete eine heitere Liebenswürdigkeit, daß der Oberförster vollends von ihr bezaubert wurde. Zum ersten Male wagte er es, beim Abschied ihre Hand länger als sonst in der seinen zu halten, und, das Herz voll der schönsten Hoffnungen, trat er den Heimweg an.

Am andern Vormittag ließ der Professor seine Tochter abermals auf sein Zimmer bitten.

»Du hast mich rufen lassen, Papa,« sagte Magdalene, nachdem sie eingetreten war, und als sie den feierlich bewegten Ausdruck seines Gesichts sah, fügte sie in eigentümlicher Beklemmung hinzu: »Hoffentlich ist die Veranlassung keine unangenehme!«

»O nein, mein Kind, es ist etwas sehr Erfreuliches, das ich dir mitzuteilen habe, etwas, das, wie ich hoffe, uns allen zum Segen gereichen soll.«

Liebkosend glitt seine Hand über ihr dunkles Haar, während sie erwartungsvoll zu ihm aufblickte.

»Es ist dir bekannt,« begann er, »daß seit der Mutter Tode die Erziehung deiner beiden Geschwister eine Quelle fortwährender Sorge für mich gewesen ist. Nachdem vor kurzem auch Doktor Gruber sich außer stande erklärt hat, ihren Bildungsgang zu leiten, habe ich mich zu einer tiefgreifenden Aenderung entschlossen.«

»Du willst die Armen doch nicht etwa in eine Pension geben?« unterbrach Magdalene besorgt den Vater.

»Keineswegs! Ich würde meine Lieben auf die Dauer zu sehr vermissen, wollte ich sie aus dem Hause geben. Aber anders muß es werden. Was sollte denn so daraus hervorgehen? Ein Wechsel des Lehrers würde nur zur Verschlimmerung der Sache beitragen, mir selbst fehlt es an der erforderlichen Zeit, um der Kinder Erziehung zu leiten, und was dich betrifft, so sind dir die beiden längst über den Kopf gewachsen. Das soll kein Vorwurf für dich sein. Du bist eben noch zu jung, und die Mutter wurde dir zu früh entrissen.«

»Viel zu früh!« Ihre Augen füllten sich mit Thränen.

»Deshalb soll dir eine schwere Last, der deine jugendlichen Schultern nicht gewachsen sind, abgenommen werden.«

»Wie meinst du das, Papa?« fragte sie, während lebhafte Spannung sich in ihrem blassen Gesichtchen malte.

»Ich werde dir und deinen Geschwistern eine neue Mutter geben.«

Als habe sie einen Schlag ins Gesicht erhalten, taumelte Magdalene zurück. Starr waren ihre Augen ins Leere gerichtet, die Lippen zuckten, und die rechte Hand griff zitternd nach dem Herzen, während die linke schlaff herunterhing. Endlich löste sich die Frage von ihren Lippen:

»Wie? Was sagtest du?«

»Daß ich euch eine neue Mutter geben werde.«

»Das wirst du nicht thun!«

»Magdalene!«

»Es ist nicht möglich, kann nicht möglich sein! Du hast ja doch unsere Mutter geliebt!«

»Gewiß habe ich sie geliebt, und ihr Andenken ist mir heilig. Aber das kann mich nicht abhalten, etwas zu thun, was ich als richtig, ja als unumgänglich nötig erkannt habe, wenn anders nicht das Glück meiner Kinder gefährdet werden soll.«

»Deiner Kinder? Was mich anlangt, so machst du mich unglücklich, wenn du mir eine Stiefmutter giebst.«

»Wer hat dich gelehrt, diesem Wort eine so häßliche Bedeutung beizulegen?«

»Ich dulde keine Fremde auf dem Platze, den meine Mutter eingenommen hat, und willst du gleichwohl einer andern die Rechte der teuren Dahingeschiedenen einräumen, so treibst du mich aus dem Hause!«

»Magdalene, du weißt nicht, was du redest!«

»Wohl weiß ich es! Wer von den Rechten meiner verstorbenen Mutter Besitz ergreift, ist meine Feindin.«

Magdalenens Finger zogen sich wie im Krampf zusammen. Die dichten Augenbrauen bildeten jetzt eine einzige schwarze Linie und gaben im Verein mit dem wilden Feuer, das in ihren Augen loderte, dem jugendlichen Gesicht etwas auffallend Düsteres, beinahe Unheimliches. Plötzlich wankte sie und wäre zu Boden gefallen, hätte der Professor sie nicht noch rechtzeitig in seinen Armen aufgefangen und auf einen Sessel gleiten lassen.

Der Anfall ging indessen schnell vorüber. Es blieb jedoch in Magdalene eine Müdigkeit und Weichheit zurück, die erst allmählich dem früheren Trotz und Starrsinn Platz machte.

»Nicht wahr,« stammelte sie, als ob ihr das Sprechen und Denken unsägliche Pein bereitete, »ich träumte nur, Papa? Du denkst nicht daran, dich zum zweiten Male zu vermählen?«

Er zögerte mit der Antwort, hielt es aber schließlich doch für zweckmäßiger, auf eine vollendete Thatsache hinzuweisen.

»Nein, es war kein Traum,« lautete daher die ruhige und entschiedene Antwort.

»Habe doch Mitleid mit mir, Papa!« kam es flehend von ihren Lippen.

»Das wäre ein falsches Mitleid, Magdalene!«

»Dann hast du weder die Mutter noch mich jemals geliebt.«

»Niemand hat je meinem Herzen so nahe gestanden.«

Sie lachte schneidend auf, und aus ihren Augen sprühte wieder der ganze Zorn, mit dem die Absicht des Vaters sie erfüllte. Mit den schmalen Fingern über die Stirn gleitend, als wolle sie etwas fortwischen, was dort haften geblieben, fuhr sie fort:

»Mir ist jeder Gegenstand heilig, den die Hand der Verewigten berührte, ich könnte den Boden küssen, über den ihr Fuß schritt. Für mich ist sie nicht tot, nie besuche ich die ehedem von ihr bewohnten Räume, ohne die Empfindung zu haben, daß ihr Geist immer noch dort weilt. Und nun soll alles anders werden? Du willst mir diesen Tempel, in den ich andachtsvoller als in eine Kirche trat, zerstören und glaubst wirklich, daß ich das ruhig mit ansehen werde?«

»Deine zweite Mutter kommt mit einem Herzen voller Zärtlichkeit zu dir.«

»Ich weise diese Zärtlichkeit zurück, sie würde mich verletzen.«

»Und an deine Geschwister denkst du gar nicht? Deiner Mutter Nachfolgerin will doch nur thun, wozu deine Kräfte nicht ausreichen, sie will weiter aufbauen, was die Verklärte unvollendet lassen mußte.«

»Sie soll's nicht wagen!«

»Wenn ich dich nicht kennte, Magdalene, so würde mich die maßlose Heftigkeit deines Wesens ernstlich beunruhigen. So aber hoffe ich, daß du bald ruhiger und vernünftiger denken wirst.«

»Nein! In alle Ewigkeit nicht!«

Ein unbeugsamer Wille klang aus ihren Worten, und als müsse sie ihm noch Nachdruck geben, hob sie die Rechte wie zum Schwur. Nun war es aber auch mit des Professors Geduld und Nachsicht vorbei.

»Ich verbiete dir, in diesem Tone mit mir zu sprechen!« rief er zürnend. »Du wirst gehorchen und meinen Willen achten! Mein Entschluß wurde wohl überlegt und steht unwiderruflich fest. Fräulein von Hillern ist meine Braut und wird als deine Mutter in dieses Haus einziehen.«

Sie sah den Vater starr an. Dann kam es langsam und kühl von ihren Lippen:

»Deine Braut? Gut, dagegen kann ich nichts machen. Meine Mutter? Nein, den Namen werde ich ihr niemals geben!«

»Thu', was du glaubst, verantworten zu können,« klang es schroff zurück, »ich thue, was ich für gut und unumgänglich nötig halte. Dein kindischer Trotz wird daran nicht das Geringste ändern. Wohl aber verlange ich auf das nachdrücklichste von dir, daß du der Dame, der ich meinen Namen zu geben gewillt bin, mit Achtung und Ehrerbietung begegnest.«

Ohne ein Wort zu erwidern, wandte sich Magdalene der Thür zu. Dieses Schweigen rührte den Professor. Er kannte die fast abgöttische Liebe, die seine Tochter der Mutter auch über das Grab hinaus bewahrte, und der Widerstand, den Magdalene seinem Willen entgegensetzte, war ihm daher verständlich, wenn er ihn auch nicht zu billigen vermochte.

»Du hast vergessen, mir die Hand zu geben,« sagte er weich, indem er ihr den Weg vertrat. »Ich meine es so gut mit dir und deinen Geschwistern. Seid ihr mir doch das Teuerste auf der Welt!«

Er trat auf sie zu und wollte sie liebevoll umfassen. Da duckte sich die zierliche Gestalt zusammen, und lautlos, wie ein Schatten, glitt sie an ihm vorüber aus dem Gemache.

Ein herbes Wort schwebte auf des Professors Lippen. Aber gewöhnt, sich zu beherrschen, drängte er es zurück. Er hoffte, Magdalene würde sich mit der Zeit beruhigen und sich an den Gedanken, eine zweite Mutter zu erhalten, gewöhnen. Diese Hoffnung verscheuchte denn auch gar bald die Schatten, die die erregte Scene auf seine Stirn gerufen, und als er kurze Zeit darauf das Haus verließ, um sich nach der Universität zu begeben, deutete nichts an ihm darauf hin, welch heftige Gemütsbewegung soeben an ihm vorübergegangen war.

Magdalene war inzwischen auf ihr Zimmer geeilt und hatte die Thür hinter sich verschlossen. Keine Thräne kam aus ihren in düsterem Feuer brennenden Augen, nur ein krampfartiges Schluchzen erschütterte von Zeit zu Zeit ihren Körper, während in ihrem Hirn ein Gedanke den andern verjagte, ein Plan den andern ablöste. Aber so wild es in ihrer Seele gärte und stürmte, so wirre und abenteuerliche Bilder sich ihr aufdrängten, mit grausamer Deutlichkeit beherrschte sie das Gefühl, daß der Tag, an welchem die verhaßte Fremde hier einziehen würde, für sie selbst der letzte sein müßte, den sie im elterlichen Hause zubringen könnte.

Sie trat an den zierlichen Schreibtisch, auf dem in einem einfachen, braunen Holzrahmen ein einziges Bild, das Porträt ihrer Mutter, stand. Lange haftete ihr Auge auf demselben, und der Anblick der milden, gütigen Züge löste allmählich die starre Spannung, die bisher ihr Denken und Empfinden eingeengt hatte. Zwei helle Thränen rannen über ihre Wangen, und ihre Hände falteten sich zum Gebete, um von dem Lenker aller Geschicke den verlorenen Frieden zu erflehen.

Was sollte sie nun beginnen? An wen sich wenden? Wohin die Schritte lenken?

So wenig sie mit dem Leben bisher in Berührung gekommen, so war sie doch erfahren genug, um zu wissen, wie schwer es für ein junges Mädchen ist, auf eigene Füße gestellt, den Kampf mit dem Dasein aufzunehmen. Sie hatte reiche Kenntnisse gesammelt und konnte als Erzieherin ihren Lebensunterhalt gewinnen. Aber sie war ehrlich genug, sich zu sagen, daß sie hierzu der erforderlichen Willensstärke ermangelte. Hatte sie doch nicht einmal die eigenen Geschwister leiten können!

Da kam ihr ein rettender Gedanke. Sie wollte an Harald schreiben, ihm die furchtbare Lage schildern, in der sie sich befand, ihn um Rat und Hilfe bitten. So einfach schien ihr dieser Ausweg, daß sie sich wunderte, nicht sogleich darauf gekommen zu sein.

Aber gleich darauf wies sie den Gedanken weit von sich, während gleichzeitig eine heiße Glutwelle ihr Gesicht in tiefen Purpur tauchte. War sie denn von Sinnen? Hatte sie denn alles weibliche Empfinden verloren? Sie wollte an Harald schreiben und wußte nicht einmal, ob er auch nur noch an sie dachte, geschweige denn sie liebte?

»Ich muß krank sein,« flüsterte sie vor sich hin und preßte die Hand auf die brennende Stirn. Doch schon nach wenigen Augenblicken nahm sie ihre Gedankenarbeit wieder auf.

Und plötzlich durchzuckte es sie wie ein greller Blitz. Wenn sie Kurt von Kroneck –

Sie wagte nicht, den Gedanken auszudenken. Schwer stützte sie sich auf den Schreibtisch, als wollten ihr die Füße den Dienst versagen, und schloß die Augen. Aber das Bild, das sie heraufbeschworen, wollte nicht wieder weichen. Im Gegenteil, es verdichtete sich zusehends, nahm eine immer greifbarere Gestalt an, und so sehr es sie anfänglich erschreckt hatte, so sehr verlor es nach und nach seine Schrecken. Sein gerader Sinn, der reiche Schatz an Liebe, über den er verfügte, und den sie erst kürzlich kennen gelernt, als er ihr den Irrtum über sein Verhältnis zu Harald benahm, konnten sie nicht die Gewähr eines glücklichen Lebens geben? Freilich war er ihr jetzt noch gleichgültig. Aber war es nicht möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß seine treusorgende Liebe auch ihr Herz erwärmen würde?

Als Kurt von Kroneck gegen Abend zu kurzem Besuche vorsprach, empfing ihn Lene freundlicher als sonst. Nach den Aufregungen des Tages war es ihr geradezu ein Bedürfnis, in seine treuen, ehrlichen Augen zu blicken und ein teilnehmendes Wort zu hören. Freilich lag über ihrem Wesen eine gewisse Traurigkeit, aber gerade dieser Zug, den er noch niemals an ihr wahrgenommen, war dem Oberförster sympathisch, vielleicht, weil er übereinstimmte mit dem ruhigen, gelassenen Ernste, der Kurt von Kroneck selbst eigen war. Kaum konnte er dem Verlangen widerstehen, seine Lippen auf die kleine schmale Hand zu pressen, die ihm die Theetasse und das Körbchen mit dem gerösteten Weißbrot reichte. Das war auch eine von jenen blaugeäderten Händen, von denen Heine singt, daß sie des Nachts auf krankem Herzen ruhen.

Als er heimritt, verhehlte sich der Oberförster nicht, daß Magdalene anders gewesen war als sonst, viel weicher und schmiegsamer. Einigemal hatte er wahrgenommen, daß ihr Blick verstohlen und sinnend auf ihm ruhte, und es hatte ihn dies mit Hoffnungen erfüllt, wie er sie bisher zu hegen kaum gewagt hatte. Er nahm diesmal etwas wie eine unausgesprochene, wunderbar süße Verheißung mit, und als er das alte, schloßartige Forsthaus betrat, um dessen graue Mauern hundertjährige Eichen und Buchen rauschten, fand er es nicht nur schön und interessant, sondern er sagte sich auch, daß es ungemein traulich hier sein müßte, wenn ein geliebtes junges Wesen in diesen Räumen walte. Sie sollte nichts entbehren und keineswegs etwa ausschließlich Hausfrau sein, die nur in Küche und Keller geschäftig schaltet, nein, er wollte auch ihrem Geist reichliche Nahrung bieten und ihr litterarische wie künstlerische Anregungen geben, so weit es in seinen Kräften stand.

Kroneck sah in Gedanken immer nur Magdalenens reizvolle Gestalt durch die lange Reihe der altertümlich ausgestatteten Gemächer und durch den großen Garten wandeln. Wenn ihm wirklich das Glück beschieden war, sie heimzuführen, dann mußten Rosen, die prächtigsten Arten, angepflanzt werden, und ein zahmes Reh sollte der jungen Herrin auf Schritt und Tritt folgen. Kam er dann von seinen Streifzügen im Walde heim, so würde er die starken Arme um das liebe, anmutige Weib schlingen und es jubelnd und scherzend die Treppe hinauf tragen.

Der reife Mann wurde zum Kinde, das der Weihnachtsbescherung entgegenjubelt, als er sich alles dies ausmalte. –

Wochen waren verstrichen, als der Professor eines Tages zu seiner Tochter sagte:

»Morgen trifft Fräulein von Hillern mit ihrem Vater zu kurzem Besuch hier ein. Ich rechne darauf, daß du sie freundlich empfangen wirst.«

Magdalene stand schweigend auf und trat an das Fenster.

»Hast du gehört?« fragte er mit starkem Nachdruck. »Vielleicht ist es gut, wenn ich dir's ins Gedächtnis rufe, daß du vorläufig noch die Wirtin dieses Hauses bist und die Pflichten der Gastfreundschaft nicht verletzen darfst.«

»Sei unbesorgt, es soll den Herrschaften nicht an Aufmerksamkeit fehlen.«

»Und ebenso wenig an herzlicher Aufnahme?«

»An höflicher gewißlich nicht.«

»An herzlicher, habe ich gesagt.«

»Das heißt mehr fordern, als ich versprechen kann.«

Der Professor trat näher, legte seine Hand auf das dunkle Haar der Tochter und sah ihr mit warnendem Ernst ins Gesicht.

»Magdalene,« sagte er, »man braucht viel Geduld dir gegenüber. Ich übte sie bisher, aber alles hat seine Grenzen. Das Kind hat dem Vater unbedingt, ohne Vorbehalt, zu gehorchen.«

»Dann darf er aber auch nichts Unmögliches verlangen,« erwiderte sie kalt.

»Du wirst Fräulein von Hillern lieben lernen, sobald du sie kennst.«

»Glaubst du das wirklich? Meinst du, ich würde mich je an dem Andenken meiner Mutter versündigen?«

»Beschwören wir den zwecklosen Streit nicht von neuem herauf! Ich habe kein Mittel, deinen Starrsinn zu beugen, wohl aber befehle ich dir, diese gänzlich unbegründete Abneigung gegen Fräulein von Hillern sorgfältig zu verbergen. Meine Gäste sollen keinen peinlichen Eindruck empfangen. Sei darauf bedacht!«

»Soweit es in meiner Macht steht.« –

Der Major, dessen freundliches, intelligentes Antlitz kurzgeschnittenes graues Haar umrahmte, traf mit Alexandra, einer etwa fünfundzwanzig Jahre alten Blondine mit angenehmen Gesichtszügen, zur bestimmten Stunde ein. Seine jüngere Tochter Leonore weilte zur Zeit bei einer Verwandten in der Schweiz und sollte erst später in das Haus des Vaters zurückkehren.

Magdalene begrüßte die Fremden mit vollendeter, aber zurückhaltender Höflichkeit.

»Welch ein liebes, anmutiges Kind!« rief der alte Offizier und reichte ihr die Hand, die sie nur flüchtig mit den Fingerspitzen berührte. »Etwas scheu, nicht? Nun, wir werden uns schon näher kommen! Habe die Jugend immer lieb gehabt und mich vortrefflich mit ihr verstanden. Mein grauer Schnurrbart darf Sie nicht abschrecken, mein verehrtes Fräulein. Ich kann trotz meines verwitterten Gesichtes und meines beträchtlichen Alters noch immer mit der Jugend fröhlich sein.«

Er wurde von seiner Tochter unterbrochen, die sich dem jungen Mädchen näherte, um es in die Arme zu schließen. Doch mit einer abwehrenden Bewegung wich Magdalene zurück.

Bestürzt blickte Fräulein von Hillern von Magdalene auf ihren Bräutigam, der seiner Tochter einen flammenden Blick zuwarf und mit sichtlicher Mühe einen heftigen Ausbruch seines Zornes zurückhielt. Auch auf des Majors Stirn zeigte sich eine tiefe Falte.

»Was hat das zu bedeuten, lieber Feldern?« fragte er.

»Die Thorheit eines verwöhnten, sich selbst zu viel überlassenen Kindes,« lautete die kurze Antwort. »Meine Tochter soll Abbitte leisten.«

»O nein, nicht so!« sagte Alexandra, »ich bin ihr noch eine Fremde. Mit der Zeit wird es mir schon gelingen, ihr Herz zu gewinnen; um Liebe und Vertrauen muß mit Sanftmut geworben werden.«

»Ich begrüße dich als den guten Engel meines Hauses, Alexandra!« sagte der Professor bewegt.

»Ich will mir wenigstens alle Mühe geben, es zu werden.«

»Du wirst viel Geduld nötig haben.«

»Die habe ich. Sei nur unbesorgt, Theo.«

Magdalene hatte währenddessen in trotzigem Schweigen verharrt. Jetzt schritt sie der Thür zu, nachdem sie die Gäste gebeten hatte, ihr nach dem Speisezimmer zu folgen.

Bei Tisch versäumte sie nichts, was die Pflicht als Wirtin ihr gebot. Ihr Gesicht jedoch war wie versteinert in eisiger Zurückhaltung, und als Feldern einen Toast auf die künftige Herrin des Hauses ausbrachte, hob sie das Glas wohl an die Lippen, setzte es aber, ohne getrunken zu haben, wieder vor sich nieder. Dabei zitterte ihre Hand nervös, und einige Tropfen, purpurn wie Blut, fielen auf das Tischtuch.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester schlossen sich die jüngeren Kinder des Professors sofort aufs innigste an den freundlichen alten Herrn und dessen liebenswürdige Tochter an. Max lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit den verschiedenen Schwänken und Abenteuern, die der Major aus seiner Militärzeit zum Besten gab, und Lise schmiegte sich zärtlich an Alexandra, die ihr versprach, die schönsten Märchen zu erzählen.

Das wäre ein reizvolles, sonnig heiteres Familienbild gewesen, hätte nicht Magdalenens tiefe Verstimmung und frostiges Benehmen einen häßlichen Schatten darauf geworfen.

Mit dem Anbruch des Abends nahmen der Major und seine Tochter wieder Abschied. Magdalene geleitete sie mit dem Vater bis zum Wagen, aber ihr Auge blickte fremd und starr, und der kleine Mund blieb herb geschlossen.

Dann schritt sie schweigend neben dem Professor die Treppe hinauf. Auf dem Korridor aber blieb sie stehen und fragte:

»Wirst du dich wirklich mit ihr vermählen, Papa?«

»Die Frage konntest du dir ersparen,« erwiderte er in scharfem Tone. »Laß dir diesen edlen, herrlichen Frauencharakter zum Vorbild dienen. Der Tag wird kommen, wo du dich deines Trotzes schämen und um Verzeihung bitten wirst.«

Sie schüttelte leise den Kopf und sagte wie traumverloren:

»Ich bleibe dem Andenken meiner Mutter treu.«

»Glaubst du denn,« sagte er, wider seinen Willen von ihrer unauslöschlichen Liebe tief gerührt, »ich dächte nicht mit Wehmut und Verehrung an sie? Wenn die Verklärte von jenen Höhen herniederblickt, wird sie mir es danken, daß ich ihren verwaisten Kindern eine treue und liebevolle Mutter gebe. Ihr reiner, von allen Schlacken des Irdischen befreiter Geist segnet diesen Bund, dessen bin ich gewiß. Kannst du nicht um meinetwillen versuchen, Alexandra lieb zu gewinnen?«

»Nein, Vater, und ich will's auch nicht versuchen. Ja, mehr noch: Wenn ich je vergessen sollte, daß sie nimmt, was meiner Mutter war, würde ich mich selbst hassen und verachten. Und jetzt richte ich an dich die Gegenfrage: Kannst du nicht mir zu Liebe, nein, nur aus Mitleid mit mir den Gedanken an eine zweite Ehe aufgeben?«

»Nein!«

»Gut!«

»Was bedeutet dieses beinahe drohende Wort? Treibe die Sache nicht auf die Spitze, Kind, dein Vertrauen in meine Nachsicht und Güte könnte dich täuschen! Ein liebender, treusorgender Vater bin ich stets gewesen, ein schwacher nie. Das solltest du wissen. Ich habe nicht allein an dich, sondern auch an deine Geschwister zu denken. Ihr Wohl soll mir nicht minder am Herzen liegen als das deine. Du sahst, wie ihre unschuldigen, liebebedürftigen Herzen sich der mütterlichen Beschützerin öffneten.«

»Es sind eben unvernünftige Kinder, die eines eigenen Urteiles ermangeln.«

»Sie sind vernünftiger als du.«

»Sage, was du willst, Papa! Das wird an meiner Ansicht ebenso wenig ändern –«

»Wie dein Starrsinn an der meinigen. Ich habe deinem Trotz und Eigensinn schon mehr Zugeständnisse gemacht, als ich vor mir selbst verantworten kann, und bin jetzt auf der äußersten Grenze meiner Geduld angelangt!«

Sie wandte sich rasch ab und schritt in der Richtung nach ihrem Zimmer davon. Feldern sah ihr kopfschüttelnd nach. Dann suchte er achselzuckend sein Zimmer auf und verließ bald darauf das Haus, um mit einem Berufsgenossen eine wichtige neue Arbeit zu erörtern.


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