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Diese bis jetzt ungedruckte Novelle des französischen Dichters ist von Herrn Universitätsprofessor Dr. H. Schoen in Paris übersetzt und uns zur Veröffentlichung mitgeteilt worden. Professor Schoen, der zu den näheren Freunden Coppées gehörte, fand sie in dessen handschriftlichem Nachlaß bei Gelegenheit der Vorstudien zu seinem jüngst erschienenen Buch » François Coppée. L'homme et le poète«. (Paris, Fischbacher. 1909.) Das Manuskript der Novelle stammt aus dem Sommer 1860. Coppée war ein Achtzehnjähriger, als er sie schrieb. Dem Verleger Lemerre, der sie in den demnächst erscheinenden Nachlaßband aufnehmen wird, war sie völlig unbekannt; Coppées Erben kannten nur den Namen. Wir betrachten es als einen Akt internationaler Höflichkeit, daß man uns in den Stand setzt, die Novelle dem deutschen Publikum eher zu bieten, als sie vom französischen gelesen werden kann. Für dieses wird sie den besonderen Reiz haben, das Erstlingswerk eines seiner Lieblingspoeten und in nicht wenigen Einzelheiten eine Autobiographie zu sein. Doch auch wir werden gern neben so manchen Spuren jugendlicher Unfertigkeit und einer oft fast noch kindlichen Naivität die feinen Züge wahrnehmen, die den gereifteren Dichter kennzeichnen: tiefes Gemüt, Liebe zu den Kleinen und Trostlosen, und neben einer gewissen mystischen Empfindsamkeit Anmut der Detailschilderung. – Die Redaktion (der »Deutschen Rundschau«).
In einer entlegenen Ecke des großen, alten Pariser Friedhofes, der sich zwischen dem geräuschvollen Westbahnhof und dem friedlichen Luxembourggarten im Montparnasseviertel ausdehnt, befindet sich ein unansehnliches Grab, das jahraus jahrein mit frischen Blumen und grünen Pflanzen geschmückt wird. Über dem kleinen Grabhügel erhebt sich ein einfaches kunstloses Kreuz aus rohem Tannenholz, auf dem nur fünf Worte stehen:
CLAUDE LAMBERT
Sculpteur.
Ving-trois ans.
Kein Zeichen der Trauer ist hinzugefügt; es fehlen sogar die in Frankreich gewöhnlichen Worte ci-git oder ici repose (hier ruhet in Gott) und die auf katholischen Grabmälern fast immer vorhandenen Buchstaben R. I. P. ( requiescat in pace). Rings um das Kreuz jedoch ist die Erde sorgfältig geebnet; die Blumen und Pflanzen werden regelmäßig begossen; und die Kränze, die ein ewiges Leid vorstellen und doch so rasch verwelken, werden auf dieser armen Begräbnisstätte immer und immer wieder erneuert. Beim ersten Blick erkennt man, daß eine zärtliche Hand die Ruhestätte mit größter Sorgfalt pflegt, daß die Tränen der trauernden Liebe die zarten Blumen benetzen und den Boden befruchten.
Der Bildhauer Claude Lambert würde zweifellos ein großer Künstler geworden sein, wenn er nicht so früh dahingerafft worden wäre. Er war ein mutiger, tatkräftiger junger Mann, der seine Kunst liebte und des Lebens Elend als Philosoph ertrug Auch Coppée hat lange Jahre hindurch in sehr beschränkten Verhältnissen gelebt. ( Anm.d.Übers.). Er hatte bereits einige anmutige Skulpturen im Salon ausstellen können; die Jury hatte ihm eine Medaille verliehen; mit Wohlwollen hatte die Kritik seine Erstlingswerke beurteilt; freundlichst hatte sie den jungen Künstler zu weiterer Arbeit und zu neuen Erfolgen aufgemuntert. Jetzt lag alles daran, diesen aufkeimenden Ruhm durch ein wichtigeres Werk zu bestätigen.
Claude Lambert hatte das deutliche Gefühl dieser Notwendigkeit. Unter den zahlreichen Entwürfen, die sich seinem Geiste dargeboten hatten, wählte er denjenigen, der, wie er dachte, das genaue Maß seines Talents geben würde. Es war eine schöne, keusche Allegorie. Eine herrliche, mit einem leichten, fast durchsichtigen Schleier bedeckte Frauengestalt, die auf der Stirne einen Halbmond trug, sollte die Nacht mit ihren ahnungsvollen Mysterien vorstellen. Schon schwebte dem Künstler jeder einzelne Zug vor Augen. Es war alles so einfach und doch so poetisch! Der Wuchs war schlank, der Körper leicht und sozusagen himmlisch. Der Anblick dieser Gestalt sollte in der Seele des Zuschauers keine verwerfliche Sinnenlust, sondern einzig und allein das Gefühl der idealen Schönheit erwecken, zu der man durch Ahnung besser als durch sinnliche Wahrnehmung gelangt. Ein träumerischer, melancholischer Zug, der in der Seele des Künstlers selten verschwand, war auch auf dem strahlenden Antlitz seiner Schöpfung zu bemerken Hier erkennt man etwas von des Dichters eigenem Charakter. ( Anm.d.Übers.). Die Arme waren, in einer edlen und keuschen Gebärde, über dem schönen Busen gekreuzt. In diesem Meisterstück sollte alles den Eindruck des Harmonischen, des Reinen und Edlen hervorrufen.
Dieses Werk sollte den jungen Künstler zum Meister krönen; und doch konnte er sich nicht entschließen, es zu verwirklichen. Ein Grund, gegen den nichts einzuwenden war, ließ ihn die Ausführung von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat verschieben.
Welcher leidenschaftliche Liebhaber hat nicht irgend einmal den Wunsch gehegt, das Haar, den Hals, die Stirne und die Arme seiner Geliebten mit kostbaren Perlen und Edelsteinen zu schmücken? Ein ähnliches Gefühl erfüllte Claude Lamberts Sinn seiner Statue gegenüber. Er wollte sie nur in ihrer ganzen Vollkommenheit vor sich sehen. Nur der schönste und reinste Marmor schien ihm seines Meisterwerks würdig. Leider aber ist karrarischer Marmor sehr teuer, und Claude Lambert war zu arm, um einen solchen Block zu kaufen. Es schien, als müsse er lange warten, bis er seine süßesten Hoffnungen verwirklichen könnte. Und je mehr er daran dachte, desto heftiger wurde sein Verlangen, desto melancholischer seine Stimmung. Denn nichts hat auf einen tatkräftigen, ehrbegierigen jungen Mann eine so herabstimmende Wirkung, als das Gefühl, daß er aus materiellen Gründen sein Lebensziel niemals wird erreichen können.
Claude Lambert wohnte sieben Treppen hoch in einem Hause der Rue de l'Ouest. Dort hatte er für hundertachtzig Franken eine große, öde und düstere Dachstube gemietet. Er war zu arm, um ein eigenes Atelier einzurichten, und arbeitete tagtäglich in dem eines Freundes. In dieser Stube, oder genauer in diesem Belvedere, hatte er seine Werkzeuge, seine Mappen, seine Zeichnungen untergebracht. Ein eisernes Bett, ein großer Koffer, ein langer Tisch aus weißem Holz und drei Stühle bildeten das ganze Mobiliar der armseligen Wohnung.
Dazu kamen noch die merkwürdigen Kleinigkeiten, die von den Pariser Künstlern »Kuriositäten« genannt werden; zerbrochene Gipsabdrücke, Modelle aller Art, zerrissene Ölgemälde, alte Waffen, staubbedeckte Bücher aus alter und neuer Zeit und tausend fast gestalt- und farblose Gegenstände und Trümmer ohne Wert und Nutzen.
Der ganze Kram lag rings um die Stube auf Brettern und Kisten, an den Wänden oder auf dem Boden, in einer entsetzlichen Unordnung: rudis indigestaque moles.
Am engen Fenster dieser Dachstube saß der junge Künstler eines schönen Sommernachmittags und betrachtete den kleinen Teil des blauen Himmels, der über dem Hof sichtbar war. Er rauchte eine Zigarette und dachte traurig an den nicht zu erringenden Marmor. Nebenan war ein hohes Gebäude, das mit seinem Haus einen rechten Winkel bildete. An einem Fenster, das sich dort ungefähr auf gleicher Höhe mit dem seinigen auf denselben Hof öffnete, zeigte sich eine reizende Erscheinung: ein junges Mädchen, das am geöffneten Fenster saß und auf einem hölzernen Stühlchen sanft eingeschlummert war. Sie schien achtzehn bis zwanzig Jahre alt zu sein. Das kleine niedliche Haupt, das ein schlanker Hals gar anmutig mit Nacken und Schultern verband, das blonde Haar, dessen breite Zöpfe fast zu schwer für das feine Köpfchen waren, der zierliche Mund, der zum Lächeln geschaffen schien, die frischen Wangen, das artige Stumpfnäschen, der schlanke Körper, die zarten, weißen Hände, die auf den Knien lagen und noch eine halb vollendete Stickerei hielten, das alles war für einen jungen Künstler wie Claude Lambert, das herrlichste lebende Bild, das man sich nur denken konnte. Um den künstlerischen Reiz noch zu erhöhen, bildeten einige Winden und Kapuzinerblumen, die sich an leichten Schnüren auf beiden Seiten des Fensters hinaufwandten, einen grünen und blühenden Rahmen für das reizendste aller Bilder Ganz wie Claude Lambert hat auch der achtzehnjährige Coppée eine junge Arbeiterin geliebt. Er hat der Heldin seiner Novelle die Züge der eigenen Geliebten gegeben. Auch diese war blond, schlank, zart; auch sie hatte blaue Augen; auch sie wohnte mehrere Treppen hoch und hatte ein Fensterchen, das mit Kapuzinerblumen geschmückt war, und von dem man den Luxembourgpark erblickte. »Es gibt,« erzählt der Dichter am Ende seines Lebens, »irgendwo ein Fensterchen, das ich jedesmal erblicke, wenn ich in einem gewissen Park spazieren gehe, und das ich nicht ohne Rührung sehen kann. Sobald ich nahe, klopft mein Herz, wie es einst in der Brust des achtzehnjährigen Jünglings klopfte, als ich zu dieser Wohnung eilte und sich das von Kapuzinerblumen umrankte Fensterchen plötzlich öffnete, und zwischen den Blumen ein blonder Kopf sich sehen ließ, der von weitem lächelte.« ( Anm.d.Übers.).
Einige Minuten blieb Claude Lambert in stumme Betrachtung vertieft. Bald aber siegte in ihm der künstlerische Trieb; er nahm ein Stück Papier aus einer Mappe, ergriff seinen Bleistift und entwarf mit raschen, aber sicheren und kräftigen Zügen eine hübsche Skizze des schlafenden Mädchens.
Von dieser Stunde an konnte Claude Lambert das Mädchen mit den blonden Zöpfen und dem lieblichen Gesicht nicht mehr vergessen. Es war der erste dauernde Eindruck, den ein weibliches Wesen auf ihn gemacht hatte. Während der Nacht erfüllte das Bild der schlummernden Nachbarin seine Träume, und am Morgen lief er wohl zwanzig Mal ans Fenster, um leise den Vorhang zu ziehen und nach der holden Gestalt zu schauen. Glücklich war er, wenn er sie am halboffenen Fenster oder auch nur hinter den Musselingardinen erblicken konnte.
Wie sollte er es jedoch anfangen, sich ihr zu nähern? Sobald das schüchterne Mädchen an einem benachbarten Fenster einen Mann gewahrte, schloß sich das von Blumen umrankte Dachfensterchen, und der junge Bildhauer hätte sich nicht getraut, ein junges Mädchen anzureden, ohne daß die Gelegenheit günstig war. Doch die Gelegenheit kam nicht. Nach langem Zögern faßte Claude endlich Mut. Er schrieb seiner hübschen Nachbarin einen langen Brief, in dem er ihr so vorsichtig und taktvoll wie möglich seine Neigung andeutete.
Gespannt erwartete er die Antwort. Doch sie blieb aus, und es war ihm, als ob sich das Fensterchen gegenüber seltener öffnete als zuvor.
Der Herbst war gekommen. An einem kühlen Vormittage sah Claude Lambert von seinem Fenster aus, wie das junge Mädchen das ihrige öffnete und sorgfältig mitten im Laub- und Blumenrahmen einen kleinen Käfig aufhing, in dem ein Zaunkönig sang. Doch in dem Augenblick, als die schöne Nachbarin behutsam das Türchen des Käfigs öffnete, um dem Vogel frisches Wasser zu geben, entwischte der kleine Gefangene und flog auf die Dachrinne, die sich gerade vor dem Fenster des Künstlers befand.
Das Mädchen stieß einen grellen Schrei aus. Der Jüngling versuchte, den Vogel mit der Hand zu fangen; der aber flatterte weiter und setzte sich hoch oben auf das Dach.
Doch der Künstler will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, etwas für die Geliebte zu tun. Er ist fest entschlossen, alles zu wagen, um den kleinen Flüchtling seiner unvorsichtigen Herrin zurückzubringen. Sofort hat er das Gefühl, daß keine Zeit zu verlieren sei. Er steigt aus dem Fenster auf das Dach; trotz aller Schwierigkeiten folgt er dem Vogel, der durch eine lange Gefangenschaft des Fluges im Freien entwöhnt ist. Nun beginnt ein zugleich wunderliches und gefährliches Rennen. Claude gleitet auf dem glatten Schieferdach aus; er hält sich an einem Schornstein fest. Er gleitet wieder; eine Dachrinne dient ihm als Stützpunkt. Er setzt sein Leben aufs Spiel; denn er hat das Gefühl, daß er alles wagen muß, um alles zu gewinnen. Und endlich gelingt es ihm, den von einem Schornstein aufgehaltenen Vogel zu erhaschen.
Mit Angst und Bangen hatte das Mädchen allen Vorgängen der gefahrvollen Jagd zugeschaut. Als ihr nun nach errungenem Sieg der Bildhauer den kleinen Liebling zurückbrachte, konnte sie ihre freudige Bewunderung nicht verbergen.
»Wenn Sie sich nicht glücklicherweise am Schornstein hätten halten können! Wenn Sie auf dem glatten Schieferdach gefallen wären! Ein einziger Fehltritt und Sie stürzten hinunter!« sprach sie, indem sie den Zaunkönig küßte und ihn in den Käfig zurückschob. »Haben Sie denn wirklich nicht an die Gefahr gedacht?«
»Ich wußte wohl, daß ich verunglücken könnte,« antwortete Claude.
»Und warum haben Sie Ihr Leben so kühn für einen Vogel gewagt?«
»Ich wußte, daß Ihnen das Vöglein lieb sei.«
Bei diesen Worten errötet das Mädchen. »O ja!« ruft sie aus, »mir ist dieser kleine Vogel sehr lieb. Er ist meine einzige Gesellschaft, die einzige Zerstreuung in meiner Einsamkeit.«
Im Gefühl seiner Heldentat verliert der Jüngling nach und nach die frühere Schüchternheit, und es entspinnt sich ein vertrauliches Gespräch zwischen beiden. Man scherzt und lacht, und während der kurzen Unterhaltung bemerkt Claude Lambert, wie im Kämmerlein seiner hübschen Nachbarin alles so sauber und nett ist.
Plötzlich hält sie inne; schüchtern fragt sie den neuen Freund, ob er ihr nach der großen Liebenswürdigkeit noch einen kleinen Dienst erweisen wolle? Natürlich ist er dazu bereit, und ein wenig beschämt fährt die Nachbarin fort:
»Ich habe vor einiger Zeit einen längeren Brief erhalten und weiß nicht, was darin steht. Denn ich kann nicht lesen. Wollen Sie vielleicht die Gefälligkeit haben?«
Sie sucht in der Tasche ihrer Schürze und reicht dem Künstler den Brief, den er selbst ihr geschrieben hatte.
»Sie wünschen, daß ich Ihnen den Brief vorlese?« ruft Claude Lambert aus, indem er fast erschrocken zurückfährt.
»Jawohl, wenn Sie so freundlich sein wollen.«
»Ich möchte aber Ihre Geheimnisse nicht erforschen.«
»Wenn ich Sie darum bitte …«
»… Es könnte unbescheiden von mir sein …«
»Keineswegs!«
»Doch,« versetzt der Bildhauer, »es gibt noch einen andern Grund …«
»Welchen?«
»Dieser Umschlag wird einen Liebesbrief enthalten.«
»Sie wissen es?«
»Ich errate es.«
»Dann werde ich eine Freundin bitten.«
»Ich möchte Ihnen etwas Besseres vorschlagen,« erwidert der Künstler, der plötzlich einen glücklichen Einfall hat; »verschieben Sie die Lektüre des Briefes, und wenn Sie gestatten, werde ich Sie lesen lehren.«
»Was wird aber der Liebhaber denken, er, der wohl ungeduldig auf die Antwort wartet,« versetzt schelmisch das Mädchen, das schon erraten hatte, wer der Verfasser des Briefes sei.
»Er kann warten,« entgegnete dieser, der seinerseits merkte, daß er sich verraten habe.
»Dann nehme ich den freundlichen Vorschlag dankbar an.«
»Und wann wird der Unterricht beginnen?«
»Wenn es Ihnen paßt … diesen Abend zum Beispiel.«
»Und könnte ich den Namen meiner reizenden Schülerin erfahren?« fragt Claude Lambert.
»Mein Name ist Luise, und ich bin Stickerin … und Sie, wie ist Ihr Name, wenn ich bitten darf.«
»Ich heiße Claude Lambert und bin Bildhauer … Auf Wiedersehen … heute abend.«
»Auf Wiedersehen!«
Am Abend erschien Claude Lambert pünktlich im Zimmer seiner Nachbarin, um mit dem Unterricht zu beginnen. An den folgenden Tagen kam er wieder. Und von der dritten Stunde an waren Lehrer und Schülerin gute Freunde.
Bald brachte der Bildhauer die Rede auch auf seine Kunst. Zuerst wurde er nicht recht verstanden. Doch zeigte er dem Mädchen seine Zeichnungen; er vertraute ihr seine Hoffnungen, seine Pläne; sprach von der Statue, die er schaffen wollte, und von dem gewünschten, leider wohl niemals zu erringenden Marmorblock.
Nichts teilt sich so leicht mit als der Enthusiasmus für etwas Großes und Schönes. Luise war bald so entzückt wie ihr Freund. Schon träumte sie für ihn von Ehren und Ruhm und Reichtum, wenn er sein Meisterwerk vollendet haben würde. Aber der Preis des Marmorblockes erschien auch der armen Arbeiterin unerschwinglich.
Tagtäglich kam nun Claude, um die Freundin lesen zu lehren. Aber die Zeit, die dem Unterricht gewidmet war, wurde immer kürzer, denn immer mehr hatten sich die beiden zu sagen – von ihrer täglichen Arbeit, von ihrer Vergangenheit, von ihrer Einsamkeit, von ihrer Zukunft – und eines Tages versprachen sie sich ewige Liebe; sie verlobten sich im einfachen Dachzimmer des Mädchens und wollten mit der Heirat nur warten, bis Claude Lambert eine sichere Stellung hätte.
Der Monat Dezember war gekommen. Der Frost hatte seine weißen Arabesken auf die Scheiben gezeichnet Die fleißige Schülerin hatte rasche Fortschritte gemacht. Immer besser verstanden sich Claude und Luise. Immer inniger wurde ihre Liebe, und als eines Abends der Künstler fragte, indem er sich eine Zigarette wickelte, wann sie den Brief denn nun lesen würden, lächelte Luise, nahm den Umschlag aus einer Schublade und rief, sie sei jetzt so weit, lesen zu können, sie wisse schon, was in dem Briefe stehe.
»Längst habe ich ihn gelesen, aber jetzt braucht es keiner Liebeserklärung mehr!«
Und sie nahm den Brief aus dem Umschlag, faltete ihn, hielt ein Ende ins Feuer und reichte das brennende Papier dem Geliebten zum Anzünden seiner Zigarette.
»Wenn man sich liebt, wie wir uns lieben, sind Liebesbriefe nicht mehr nötig,« sagte sie.
Man müßte das Leben der Künstler mit seinen Gegensätzen, seinen Freuden und Sorgen, seiner Schaffenslust und seinem Elend kennen, um die Hoffnungen und Träume, die Enttäuschungen und den Enthusiasmus dieser beiden zu begreifen. Nur wer ein solches Künstlerleben mit eigenen Augen gesehen hat, wird verstehen, wie glücklich sie trotz ihrer Armut waren.
Der Künstler hatte seine Verlobte langsam zur Höhe seiner Bildung emporgehoben. Denn die junge Pariserin war nicht nur in ihrer Handarbeit geschickt, sie war auch intelligent und klug. Ihr hatte nur die Gelegenheit gefehlt, sich zu bilden; aber jetzt erwachte ihr Sinn für die Kunst, und nur wenige Mädchen aus gut bürgerlicher Familie hätten den jungen Künstler so gut verstanden wie diese arme Stickerin. Und wenn der Künstler entmutigt war, wenn er in Stunden des Zweifels die Hoffnung aufgab, so tröstete ihn Luise wie eine Schwester, sie ermutigte ihn, sie feuerte ihn an
Ebenso hat auch Coppée bei seiner Geliebten Trost und Aufmunterung gefunden, Auch sie ermutigte ihn und konnte ihm manchmal einen guten Rat geben. Denn ihr gelten die folgenden Verse:
Quelquefois tu me prends les mains et tu les serres,
Tu fixes sur les miens tes yeux bous et sinc
ères,
Et, me parlant avec cette ferme douceur,
Qui tient du camarade et qui tient de la s?ur,
M
êlant daus tes discours les douces réprimandes
Aux encouragements tendres, tu me demandes
Quelles longues douleurs et quels chagrins aigris
M
'ont fait le front si pâle et les yeux si meurtris.
(Intimit
és.)
(Anm.d.Übers.)
, sie ward die gute Fee seines Lebens.
Luise hatte so oft an den Grund der Traurigkeit und Mutlosigkeit ihres Freundes, an seinen Marmorblock, gedacht, der ihm seine glänzende Laufbahn zu versperren schien, daß sie auf einen heroischen und rührenden Gedanken kam. Sie faßte den Entschluß, die zur Anschaffung erforderliche Summe zu sparen. Doch wie schwer war die Aufgabe! Luise konnte täglich nur ungefähr 35 Sous verdienen, und ein Marmorblock, wie Claude Lambert ihn brauchte, kostete beinahe 2000 Franken.
Glücklich diejenigen, für welche Selbstverleugnung eine Freude und Notwendigkeit ist. Undank kann sie nicht entmutigen. Denn für sie ist der Dank nicht eine Münze, mit der man Wohltaten bezahlt. Wenn sie im Leben Dankbarkeit ernten, so wird ihre Freude desto größer sein. Doch ihr wahrer Lohn besteht in der inneren Zufriedenheit, die sie in der Aufopferung für ein geliebtes Wesen finden, und die ihnen kein Eingriff der Menschen, kein Schlag des Schicksals rauben kann.
Luise arbeitete fleißiger als jemals. Sie stand täglich zwei Stunden früher auf, um einige Sous mehr zu erwerben. Sie versagte sich alles, was nicht ganz unentbehrlich war; sie lebte in freiwilligen Entbehrungen. Sie sparte sichs sogar am Munde ab, ohne daß Claude Lambert eine Ahnung davon hätte haben können. Wohl wurde sie etwas bleicher; die Wangen verloren ihre frischen Farben, und das schwache Kind war von der ungeheuren Anstrengung beinahe erschöpft. Doch sie verzweifelte keinen Augenblick, und ihr Mut wuchs mit den Schwierigkeiten.
Eines Tages, als Luise wie gewöhnlich an ihrem Fensterchen arbeitete, brachte man ihr einen Brief.
Sie war eine Waise, die nur entfernte Verwandte und keine Freunde hatte. Wer konnte ihr schreiben? Abermals ein Liebhaber? Doch nein; der Brief war groß und breit und sorgfältig versiegelt, er hatte etwas Würdevolles und Offizielles an sich.
Luise brach das Siegel und las … wir wissen es, jetzt konnte sie lesen. Doch sobald sie die ersten Zeilen überflogen hatte, stieß sie einen Freudenschrei aus.
Dieser Brief, dieser glückselige Brief sollte aller Not ein Ende machen. Er meldete, daß ein Vetter des Mädchens gestorben sei und ihr testamentarisch 2000 Franken vermacht habe. Die Summe lag beim Notar N***, der Luise bat, sie bei ihm in Empfang zu nehmen.
Zweitausend Franken! … Das war die Summe, die sie durch Arbeit und Entbehrungen hatte verdienen wollen. – Zweitausend Franken! … Das war die Erfüllung der Hoffnungen ihres Freundes, ihres Geliebten! … Das war der Marmorblock, den sie beide so oft und so lang ersehnt hatten.
Ihr erster Impuls war, die gute Nachricht ihrem Verlobten sogleich mitzuteilen. Doch befürchtete sie, er würde ihre Gabe nicht annehmen wollen.
Einen Augenblick blieb sie unentschlossen. Dann plötzlich dachte sie an einen Freund Claude Lamberts, einen reichen, jungen Mann, der aus Liebhaberei Bildhauerei trieb, ein großes, schönes Atelier besaß und im Begriffe stand, für längere Zeit nach Italien zu reisen.
Zu diesem jungen Herrn eilte Luise.
»Wollen Sie mir einen Dienst leisten?« bat sie.
»Sehr gern, wenn es mir möglich ist,« war die Antwort.
»Es handelt sich um folgendes … Ich habe soeben eine Summe von 2000 Franken geerbt. Es ist der Preis eines Marmorblockes, wie Claude Lambert ihn braucht, um seine Statue zu verfertigen. Ich möchte Sie also bitten, erstens mir zu helfen, den Marmorblock zu wählen, und zweitens unserm Freunde Ihr Atelier zu belassen, um das ihm vorschwebende Kunstwerk zu verwirklichen.«
Der junge Herr, der Luisens Opferwilligkeit bewunderte, war augenblicklich bereit. Sie gingen zum Notar, der ihnen ohne Schwierigkeit die betreffende Summe überreichte; darauf begaben sie sich zu einem großen Marmorhändler und kauften einen prachtvollen Block, den sie in das Atelier des Freundes transportieren ließen.
Als Luise zu ihrem Verlobten zurückkam, sah er, wie ihr Gesicht vor Freude strahlte.
»Was hast du?« fragte er sie.
Ohne sich zu verraten, erzählte sie ihm nun, daß sie 2000 Franken geerbt habe.
»Hurra!« rief der Künstler. »Zweitausend Franken! Das kommt dir zugut, meine teure Luise. Jetzt kannst du dir Kleider kaufen und deine Wohnung besser möblieren. Wirst du aber deinen armen Claude nicht verlassen, da du nun reich bist und eine solche Mitgift hast?«
Statt jeder Antwort schloß Luise den Geliebten in ihre Arme.
Für den folgenden Tag hatte Claudes Freund die beiden Verlobten zum Mittagessen eingeladen. Er hatte in seinem Atelier einen Tisch neben dem Marmorblock decken lassen, und als seine Gäste eintraten, fiel ein Sonnenstrahl auf den reinen Marmor, den Claude sogleich bemerkte.
»Parbleu!« rief er aus. »Da hast du einen prachtvollen Block gekauft!«
»Nein,« antwortete der Freund, »er gehört nicht mir.«
»Wem denn?« fragte Claude Lambert.
Jetzt konnte Luise nicht länger schweigen. »Hast du meine kleine Erbschaft vergessen? … Und kostet ein solcher Marmorblock nicht grade zweitausend Franken?«
Da verstand der Bildhauer. Er blieb stumm, aber Tränen stürzten ihm in die Augen.
»Laßt uns froh sein, laßt uns trinken!« rief der Freund; »ein Hoch auf Claudes zukünftiges Meisterwerk!«
Ohne Furcht, ohne Zaudern machte sich Staude Lambert an die Arbeit. Es war ihm eine Wonne, diesen herrlichen weißen Marmor unter den Händen zu haben. Niemand außer ihm, auch kein Gehilfe sollte ihn berühren. Vom frühen Morgen bis es dunkelte war er im Atelier, in dem Luise mit ihrer Handarbeit neben ihm saß. Es waren glückliche Tage, in denen Claudes Werk rasch vorwärts schritt. Schon fing man an, die anmutigen Umrisse der schönen Frauengestalt zu unterscheiden. Der junge Bildhauer war zum kritischen Wendepunkt gelangt, wo der Künstler der arbeitenden Hand die innere Begeisterung mitteilen soll, wo er seinem Werk eine Seele einflößen muß.
Eines Tages waren die beiden Verlobten wie gewöhnlich im Atelier. Claude Lambert meißelte fleißig, und Luise arbeitete an ihrer Stickerei, von der sie nur zuweilen aufblickte, um das entstehende Kunstwerk zu bewundern.
Plötzlich hielt der Bildhauer inne. Ein Schrei des Schmerzes wurde laut im Atelier. Erschrocken sprang Luise auf. Claude war vor dem Marmorblock in die Knie gesunken. Mit beiden Händen hielt er die Augen bedeckt.
»Eile, Luise!« rief er, »eile; einen Arzt! Ein paar Marmorsplitter sind mir in die Augen gesprungen … ich sehe nicht mehr … ich leide furchtbar.«
Als Luise nach einer halben Stunde mit dem Arzt zurückkam, lag Claude Lambert am Boden vor seiner Statue. Seine Augen waren voll Blut. Er sah nicht mehr. Der Arzt untersuchte lang und gewissenhaft, legte eine Binde über die Augen des Leidenden, verschrieb ein Rezept und reichte es Luisen, der er, indem er sie beiseite nahm, leise sagte: »Er ist blind und wird blind bleiben.«
Während sich Luise mit dem Arzt unterhielt, hatte Claude Lambert alle Qualen des furchtbarsten Bangens durchgemacht. Er zweifelte noch. Aber des Mädchens herzzerreißender Ausruf, als sie des Arztes schreckliches Wort vernommen, offenbarte dem Unglücklichen die ganze Tiefe seines Elendes … Er wußte jetzt – er war blind! …
Da raffte er sich zitternd auf. Die Hände an die Stirn gedrückt, näherte er sich tastend der Statue, umarmte sie mit leidenschaftlicher Liebe, fiel vor ihr nieder, stieß einen entsetzlichen Schrei aus, einen Schrei der Verzweiflung, und fing an wie ein Kind zu schluchzen.
Am Abend dieses Tages ward Claude Lambert von einem heftigen Fieber befallen, und der Arzt verordnete, daß er sich zu Bett legen solle. Doch der Kranke wollte sich von seiner Statue nicht trennen, und so bereitete man ihm ein Lager neben dem Marmorblock, aus dem er ein Meisterwerk hatte schaffen wollen, und das er nun nicht mehr sehen konnte. Auf eine kurze Weile mußte Luise sich entfernen, um alle Vorbereitungen zu treffen.
Des Bildhauers Schmerz gehörte zu denen, die menschliche Kunst nicht zu beschreiben vermag. Als Luise nicht mehr neben ihm stand, um ihn zu ermutigen, fing er an, namenlos zu leiden. Er, der geborene Künstler, der Liebhaber der Natur, er, dessen reinste Freude die Betrachtung des Schönen war, er sollte nun dem holden Licht des Tages für immer entsagen! Er sollte in ewiger Finsternis leben! Alles, was er bewundert, studiert, leidenschaftlich geliebt hatte, sollte von nun an für ihn verloren sein!
Endlich wurde der Arme von der Ermattung überwältigt. Er schlief ein. Aber es war kein sanfter Schlaf, es war ein fieberhafter, beunruhigender Schlummer, der ihn mehr erschöpfte als das Wachen und sogar das Leiden.
Da hatte er einen quälenden Traum. Er sah die angefangene Statue, deren weiße Gestalt im dunklen Atelier zu leben schien. Auf ihren marmornen Schultern glaubte er Luisens Kopf zu erblicken; es waren des geliebten Mädchens goldenes Haar und blaue Augen; es waren ihre frische Gesichtsfarbe und liebliches Lächeln. Was ihm hienieden am teuersten war, seine Kunst und die erkorene Braut, das Ziel seiner künstlerischen Laufbahn und die süßeste Hoffnung seines Lebens hatten sich vor seinem aufgeregten, irrewerdenden Geist verbunden.
Jeder andre Beobachter hätte ein solches Schauspiel häßlich und schrecklich gefunden. Claude Lambert jedoch empfand weder Furcht noch Widerwillen. Seine Gefühle waren ängstliche Besorgnis, zärtliche Aufregung; eine doppelte mystische Leidenschaft, von keinem Willen mehr gezügelt.
Endlich war es ihm, als ob die Lippen der Gestalt sich bewegt hätten. Luisens Bild sprach zu ihm, und ihre Stimme hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Echo der religiösen Musik unter der Wölbung eines weiten Doms.
»Komm, mein Geliebter, komm!« sagte die Stimme, »Komm und zögere nicht! So will es dein Geschick. Wenn du vor Sonnenaufgang diesen marmornen Körper nicht vollendet hast, so wird er immer unbeweglich bleiben, und ich werde in diesem Gefängnis ersticken! Gehorche deinem Schicksal, nimm deinen Meißel und rasch zur Arbeit! Und vor allem vollende das Werk vor Tagesanbruch … Komm, Geliebter, komm!«
Da bemühte sich der Künstler die Gestalt zu erreichen … Er will sie fassen … er möchte sie umarmen. Doch alles verschwindet … Tiefe Finsternis umgibt ihn … Claude Lambert erwacht.
O, wie schrecklich ist das Erwachen des Blinden! Für ihn ist der Schlaf Erinnerung, Wärme, Natur, Licht, Leben; das Erwachen Finsternis, Kälte, Tod.
Der Bildhauer denkt an seinen seltsamen Traum. Diese wunderbare Verbindung seiner Kunst und seiner Liebe erregt seine Phantasie. Bald meint er, daß ihn das Bewußtsein seines Unglücks sogar im Schlaf nicht verlasse: bald flößt ihm eine tolle Hoffnung neuen Mut ein.
Ja, wenn er in diesem Augenblick meißeln könnte! Aber warum es nicht wagen? … Warum es nicht können? … Wer weiß? Der Tastsinn hat manchmal Wunderbares geleistet, und vielleicht war sein Traum eine himmlische Offenbarung.
Vom Delirium überwältigt, springt Claude Lambert aus seinem Bett, tastet sich zum Marmorblock hin, ergreift seine Werkzeuge und fängt an zu arbeiten. Vor jedem Hiebe befühlt er den Marmor mit zitternden Fingern. Bald fliegen die Marmorstückchen umher. Er arbeitet mit fieberhafter Hitze. Eine sonderbare Glut, eine Art Wahnsinn hat sich seiner bemächtigt. Und ach! Der arme Blinde bemerkt nicht, daß er ein unvollendetes, aber schon vielversprechendes Kunstwerk zerstört, von dem bald nur noch eine gestaltlose Masse übrig bleibt.
Als Luise zurückkam, erschrak sie über das Aussehen ihres Verlobten.
»Was hast du?« rief sie. »Was ist dir?«
»Ich habe die ganze Zeit gearbeitet,« erwiderte er.
»Du? Gearbeitet?«
»Ja, sieh nur, bald ist mein Werk vollendet; sage mir aufrichtig, ist es gelungen?«
Luise kehrte sich um, die Statue zu betrachten. Als sie die furchtbare Verstümmelung wahrnahm, erriet sie alles, und sie mußte einen Schrei der Verzweiflung unterdrücken.
»Nicht wahr,« fuhr der Kranke fort, »meine Arbeit ist gelungen?«
Eine Träne aus Luisens Augen glitt auf Claudes Hand.
Diese Träne sagte ihm alles. Der Unglückliche hatte verstanden.
Seit sechs Tagen lag Claude Lambert auf seinem Schmerzenslager; als die letzten Augenblicke nahten, rief er die Geliebte zu sich.
»Luise,« sprach er mit matter Stimme, »ruhig und getrost sehe ich dem Tod entgegen, denn das Leben ohne Licht wäre mir entsetzlich gewesen. Aber dich, o meine Luise, hätte ich wohl ein letztes Mal noch sehen mögen. Doch Gott hat es nicht erlaubt. Sein Wille geschehe.«
Darauf drückte er Luise an sein Herz und fuhr mit den abgemagerten Fingern über ihr blondes Haar, dann sprach er ein inbrünstiges Gebet. Die Prüfung hatte ihn zum Gott seiner Kindheit und seiner Mutter zurückgeführt
In den letzten Jahren seines Lebens und auf feinem Schmerzenslager hat Coppée selbst die gleiche Wandlung erfahren:
Un jour béni, quand la douleur m'a visité,
J
'ai prié, demandant aprdon de mon offense;
Humblement j
'ai rouvert au Dieu de mon enfance
Mon
âme, cet asile impur et ténébreux.
.
Er starb am Abend desselben Tages; Luise wachte allein zwei Nächte neben dem Leichnam des Geliebten. Von ihrer Bestürzung, von ihrem Jammer laßt uns nichts sagen. Doch die Liebe hielt sie aufrecht, bis alles zu Ende war.
Am zweiten Morgen kam der Arzt der Toten, um seine traurige Pflicht zu erfüllen. Luise empfing ihn, ohne ein Wort sprechen zu können, und als am dritten Tage die Männer erschienen, um den Toten einzusargen, fiel Luise vor der verstümmelten Statue auf die Knie und hielt sie schluchzend umschlungen, während die Nägel in die Bretter des Sarges eindrangen.
Luise hat den Geliebten nicht vergessen. Jahre sind vergangen, aber niemals haben frische Blumen auf seinem Grabe gefehlt.