J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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XI.
Wildtöter in der Hand der Mingos

Am Lagerfeuer sah sich Wildtöter acht grimmig aussehenden Indianern gegenüber, sein alter Bekannter Spalt-Eiche war auch darunter. Er sprach einige Worte abseits mit den anderen, und aus dem beifälligen Gemurmel, das sich dann erhob, durfte Wildtöter entnehmen, daß er ihnen seinen Namen genannt hatte. Sie sahen ihn mit wilden und zugleich bewundernden Blicken an. Auch daß sie ihm nur die Beine fesselten, um ein Entkommen zu verhindern, die Arme aber frei ließen, durfte er sich hoch anrechnen, es schien ihm ein Beweis für ihre Hochachtung vor einem großen Gegner. Man gestattete ihm, sich ans Feuer zu setzen, um seine nassen Kleider zu trocknen, und auch sein Gegner von vorhin stellte sich ihm gegenüber, um mit dem wenigen Zeug, das er trug, dasselbe zu tun.

Als plötzlich die Alte mit geballten Fäusten und funkelnden Augen auf ihn zutrat und ihn wütend zu beschimpfen begann, wurde sie von Spalt-Eiche unsanft zur Seite geschoben. Dann fädelte der schlaue Häuptling mit Wildtöter ein Gespräch ein. Nach Austausch der üblichen Höflichkeiten kam er mit seinem Plan heraus, Wildtöter könne ungehindert auf die Wasserburg zurückkehren, wenn er ihnen Zugang wärend der Nacht verschaffen würde. Von der Beute könne er das Beste behalten, die Skalpe aber sollten ihnen gehören. Entrüstet wies Wildtöter diesen schändlichen Verrat an seinen Freunden zurück, und der Häuptling war klug genug, diesen Plan nicht weiter zu verfolgen.

Nach einer Weile saß er wieder neben seinem Gefangenen. »Falkenauge hat recht«, begann er, »er darf seine Freunde nicht verraten. Die Huronen wissen, daß sie einen großen Krieger in den Händen haben. Wenn er gemartert werden sollte, so werden seine Qualen derart sein, daß kein gewöhnlicher Mann sie ertragen kann, und sollte er als Freund behandelt werden, so wird es die Freundschaft von Häuptlingen sein.«

»Ich bin in eure Gewalt gegeben, und ihr werdet nach euren Gebräuchen mit mir verfahren. Ich will mich nicht rühmen, wieviel Qualen ich ertragen kann, aber ich will mich bemühen, dem Volke der Delawaren, das mich erzogen hat, keine Schande zu machen.«

Da stand plötzlich Hetty wie ein Gespenst an seiner Seite. Der Häuptling, in Sorge wegen eines nochmaligen Überfalls, ging zu seinen Kriegern zurück und gab ihnen den Auftrag, die Umgebung abzusuchen, und Wildtöter konnte sich mit dem Mädchen ungestört unterhalten. Hetty war von ihrer Schwester geschickt, um zu sehen, wie es Wildtöter gehe und was zu seiner Befreiung unternommen werden könnte. Wildtöter gab ihnen den Rat scharf aufzupassen und auf die Ankunft von Truppen aus der Garnison zu warten. Vor allen Dingen aber sollten Hutter und Hurry keine Versuche mehr unternehmen, auf Skalpjagd zu gehen. Wenn es auch hart kommen könne, so sollten sie sich um ihn keine Sorge machen.

Bevor Hetty weiter sprechen konnte, kam Spalt-Eiche zurück und Wildtöter schickte sie fort. Sie gesellte sich der Gruppe der Indianerweiber zu mit einer Selbstverständlichkeit, als gehörte sie zu ihnen, bereitete sich ein Lager und legte sich schlafen. Erst gegen Mitternacht stand sie auf, und ohne von den ausgestellten Wachtposten behelligt zu werden, ging sie zum Ufer zurück, wo Judith mit dem Boot auf sie gewartet hatte. Gemeinsam ruderten sie zu der Arche hinüber, die sie in der Dunkelheit zunächst verfehlten. Plötzlich zerriß ein lauter Knall das Stillschweigen der Nacht, dem Schuß folgte ein Aufschrei einer weiblichen Stimme.

»Das war ein Schrei in Todesangst!« rief Judith, die ihren ersten Schrecken überwunden hatte, »wir wollen sehen, ob wir helfen können.«

Ohne Zögern hielten die Mädchen mit dem Boot auf den Lichtschimmer zu, der sich in den Büschen zeigte, und bald sollte ihnen ein Anblick werden, der sie schaudern machte.

Am Abhang der Anhöhe sahen sie die Bewohner des Indianerlagers um ein junges Mädchen versammelt, das, aus einer Brustwunde stark blutend, bereits im Sterben lag. Der Schuß mußte von der Arche oder einem Kanu abgegeben worden sein. Mit brennenden Fackeln umstanden die Wilden die Sterbende. Das Bild hatte Judith stark erschüttert, noch mehr aber die Blicke, die die Huronen der aufrechten Gestalt Wildtöters zuwarfen, der mit einer Gebärde des Mitleids und der Entrüstung neben der Ermordeten stand. In diesen Blicken der Wilden glaubte sie schon die grausamen Martern zu lesen, die sie für ihren Gefangenen bereithielten.

Da die beiden Mädchen die Arche nirgends entdecken konnten, ruderten sie in die Mitte des Sees hinaus, wo sie sich am sichersten glaubten, und sanken aufs äußerste erschöpft, trotz des harten Lagers in einen wohltätigen Schlummer.


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