J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Hettys Befreiungsversuch

Hetty hatte sich, ohne zu zaudern, waldeinwärts geschlagen. Bald kam sie nicht mehr recht vorwärts, und wußte nicht mehr die Richtung. Erschöpft machte sie sich aus Laub eine Ruhestatt und schlief getrost ein, als läge sie unter ihres Vaters Dache.

Am anderen Morgen – der Tag graute gerade erst über den Bäumen – war ihr plötzlich, als berühre ihre Hand etwas Warmes und sie fühlte sich in die Seite gestoßen. Sie schrie den Namen ihrer Schwester und fuhr erschreckt empor. Ein kleiner brauner Bär sprang von ihr fort und blieb in einiger Entfernung stehen, er hatte offenbar Zweifel, ob er sich noch einmal heranwagen dürfe. Hetty, die schon öfter junge Bären aufgezogen hatte, wollte ihn einfangen, aber ein lautes Brummen zeigte ihr, daß die alte Bärin, die in einem hohlen Baum mit noch zwei anderen Jungen Honig schmauste, jede ihrer Bewegungen beobachtete. Jetzt kam sie, höchst verdrossen brummend, heran, und wiegte sich hin und her. Zum Glück lief Hetty nicht davon, sie kniete nieder und sprach ihr Gebet, wie sie es jeden Morgen hielt, und die Bärin ließ sich ganz friedlich wieder auf alle Viere nieder und sammelte ihre Jungen um sich. Mit Entzücken sah Hetty dem Spiel der kleinen Bären zu, als sie von der Mutter genährt wurden, und zu gern hätte sie eins davon auf den Arm genommen.

Dann ging sie langsam davon, am Ufer des Sees entlang, der durch die Bäume blinkte, und zu ihrer Überraschung machte sich die Bärenfamilie nun gleichfalls auf und trollte ihr nach, immer in einem gewissen Abstand, und offenbar mit Anteilnahme an allem, was sie tat.

An einem Bach, der unter Laub und Wurzeln brausend in den See sprang, wusch sich Hetty und trank von dem klaren Bergwasser. Erfrischt setzte sie ihren Weg fort, immer noch gefolgt von den seltsamen Gefährten. An einer leichten Anhöhe, die nicht weit vom Lager sein konnte, hob die Bärin die Nase und schnupperte, als wittere sie die Nähe von Menschen. Sie zeigte auch keine Lust, weiterzugehen, obwohl Hetty sie lockte und rief. Plötzlich legte sich eine Hand sanft auf Hettys Schulter.

»Wohin gehen?« fragte eine Mädchenstimme, »da unten wilde Indianer, böse Krieger!«

Es war ein Indianermädchen, kaum älter als Hetty, das freundlich, lächelnd und mit zarter singender Stimme auf sie einsprach.

Diese unerwartete Ansprache erschreckte Hetty nicht, das junge Mädchen, das so plötzlich vor ihr stand, war auch keineswegs geeignet, Schrecken einzuflößen. Ihr Haar war dicht und dunkel und fiel in schweren Flechten über die Schulter, in dem zarten, schönen Antlitz lag ein leichter Zug von Schwermut, und ihre Stimme war wie das Seufzen des Nachtwinds. Es war Wah-ta-Wah, die Braut Chingachgooks.

Sie gab sich zu erkennen und führte Hetty dem See zu, dort setzten sie sich nebeneinander auf einen Baumstamm. Hetty berichtete in ihrer treuherzigen Art, daß sie gekommen sei, um ihrem Vater zu helfen. Das Indianermädchen faßte schnell Zutrauen zu Hetty und erzählte, daß sie auf Chingachgook warte, der sie aus den Händen der Mingos befreien wolle, und Freude leuchtete auf ihrem schönen Gesicht, als ihr Hetty von der Ankunft Chingachgooks auf der Arche berichtete.

So plauderten die neuen Freundinnen noch eine Weile zusammen, Wah-ta-Wah unermüdlich mit immer neuen Fragen, die Hetty in ihrer einfältigen Art beantwortete. Als Hetty erzählte, daß man sie zu Hause für schwachsinnig halte, fühlte sie Mitleid und Ehrfurcht in einem, und indem sie rasch aufstand, bat sie Hetty, sie in das nicht weit entfernte Lager zu begleiten. Dieser plötzliche Uebergang von der bisherigen Vorsicht, Hetty vor den Wilden zu verbergen, zu ihrem Entschluß, das fremde Mädchen ganz offen zu dem Lager zu führen, entsprang der Überzeugung, daß ihr kein Indianer ein Leid antun würde in ihrer Einfältigkeit.

Als die beiden Mädchen in den Bereich des Lagers traten, stieß Hetty beim Anblick ihres Vaters einen leisen Schrei aus. Er saß, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, im Grase, und Hurry stand neben ihm, gedankenlos an einem Zweig herumschnitzend. Dem Anschein nach waren sie genau so frei wie jeder andere im Lager, man hätte sie allenfalls für Gäste, nicht für Gefangene halten können. Wah-tah-Wah führte ihre neue Freundin zu ihnen und ließ sie allein.

Hettys Vater zeigte keine Spur von Überraschung oder Besorgnis, als sie plötzlich neben ihm stand, er blieb kalt und beherrscht wie ein Indianer. Er wußte ganz genau, daß er ihnen nur mit Unerschütterlichkeit Achtung abgewinnen konnte. Auch die Rothäute ließen sich nicht die geringste Erregung anmerken.

»Du hättest nicht hierher kommen sollen, Hetty, du wirst Übles erfahren bei diesen Wilden«, meinte der trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit von seines Kindes aufopfernder Treue gerührte Vater.

»Ich hoffe, Vater, ihr habt euch keine Grausamkeiten gegen die Indianer zuschulden kommen lassen, und keine Skalpe von ihnen erbeutet, ehe sie euch gefangen nahmen. Dann kann ich offen mit ihnen sprechen«, erwiderte Hetty. »Sobald alles abgemacht ist, und es euch freisteht, zurückzukehren, will ich euch benachrichtigen.«

Als Hetty nicht lange danach zu den Häuptlingen trat, wurde sie mit würdevollem Schweigen empfangen. Ein älterer Krieger bedeutete ihr, auf einem umgefallenen Baumstamm Platz zu nehmen, und vor den versammelten Kriegern begann Hetty, den Zweck ihres Besuches zu erklären. Wah-ta-Wah wurde als Dolmetscherin hinzugeholt. Die Indianer hörten schweigend zu, als ihnen Hetty durch den Mund Wah-ta-Wahs auseinanderzusetzen versuchte, daß Hutter und Hurry nur wegen der ausgesetzten Geldprämien viel Skalpe machen wollten, und folgten wie gebannt ihren Bewegungen, als sie eine kleine englische Bibel hervorholte und mit steigendem Eifer und mit brennenden Wangen ihnen alles vorlas, was von den Geboten der Christenmenschen darin geschrieben steht. Doch Hetty hatte sich in der Wirkung ihrer Worte auf die Indianer getäuscht. Diese, die oft genug erfahren hatten, wie sich das Tun der weißen Männer nicht mit den Vorschriften der Bibel vereinbaren ließ, und die eine erwiesene Wohltat nach den religiösen Gesetzen ihres Stammes wohl nie vergaßen, ebensowenig aber eine angetane Beleidigung verzeihen konnten, schrieben das, was ihnen an Hettys Worten töricht vorkommen mußte, ihrer Geistesschwäche zu.

Der Häuptling hatte inzwischen Hutter heranbringen lassen und fragte nun ihn, warum er in das Lager gekommen sei. Hutter wußte, daß mit Ausflüchten nicht viel gewonnen sei, war auch viel zu halsstarrig, um vor den Folgen seiner Handlungsweise zurückzuschrecken. Er erklärte deshalb ohne Umschweife, daß er Skalpe erbeuten wollte, auf die hohe Preise ausgesetzt seien. Die Indianer nahmen dies Bekenntnis mit Beifall auf, es zeigte ihnen, daß sie einen Gegner gefangen hatten, der ihre Rache wert war. Auch Hurry sah ein, daß es keinen Zweck haben würde, um die Dinge herumzureden, und gestand die reine Wahrheit. Die Häuptlinge wußten jetzt genug und entfernten sich, nicht ohne scharf darauf zu achten, daß sich die Gefangenen nicht etwa der herumhängenden Waffen bemächtigen konnten.


 << zurück weiter >>