J. F. Cooper
Wildtöter
J. F. Cooper

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II.
Der geheimnisvolle Mokassin

Das Kanu war dem Kastell immer näher gekommen, und Wildtöter sah, daß das aus dicken Fichtenstämmen errichtete Gebäude viel besseren Schutz bot als die üblichen Blockhäuser. Es stand auf dicken Pfählen mitten im Wasser auf einer Sandbank.

»Habe mirs schon gedacht,« rief Hurry aus, als sie das Boot festmachten und ausstiegen, »keine Menschenseele zu Hause. Wahrscheinlich ist die ganze Familie auf Biberfang.«

Während sich Hurry mit den auf der Plattform ausgelegten Angelgeräten und Fallen beschäftigte, trieb Wildtöter die Neugierde ins Haus, das äußerlich von dicken rohen Fichtenstämmen gezimmert, im Innern recht behaglich eingerichtet war und von Sauberkeit glänzte. Neben groben Geräten, wie sie in Blockhäusern üblich sind, sah er auch manche feinen Einrichtungsgegenstände, die sich aus einem besseren Haus hierher verirrt haben mußten. Hinter einem großen Gemach, das als Stube und Küche zu dienen schien, lag die Kammer der beiden Mädchen.

»Tom Hutter versucht sich im Fallenstellen!« rief Hurry Wildtöter zu, als dieser nach seinem Rundgang durch das Haus wieder ins Freie trat, »wenn es euch Spaß macht, können wir uns beim Biberfang mit dem Alten einige schöne Tage machen.«

Wildtöter war stehen geblieben und sah mit großen Augen auf die gläserne Flut und die schwärzlichen Hügel im Hintergrund. »Hat der See eigentlich einen Namen?« fragte er unvermittelt, »es ist doch sicher auch ein Abfluß da?«

»Man nennt den See allgemein den Glimmersee – wegen seines glänzenden Spiegels –, und der Susquehannah, den ihr unten im Delawarengebiet wohl schon gesehen habt, ist sein Abfluß.«

»Gewiß, schon hundertmal habe ich an seinen Ufern gejagt.«

Inzwischen hatte Hurry unter den Gerätschaften des alten Tom ein altes Schiffsfernrohr gefunden und suchte damit die Buchten und Landzungen des Sees sorgfältig ab.

»Der alte Knabe treibt sich scheinbar im Süden herum, jagen wir ihn also in seinem Schlupfwinkel auf!«

Sie bestiegen wieder das Boot und ruderten hart am westlichen Ufer entlang, um sich nicht der Entdeckung durch umherstreifende feindliche Indianer auszusetzen. Mit angespannten Sinnen waren sie so dem Südende des Sees nahegekommen, als Hurry auf einen aus dem Wasser ragenden Felsen deutete. »Hier in der Nahe muß der Abfluß sein, in dem sich auch Hutter mit seiner Arche versteckt haben wird.«

Der Felsen war nur an die sechs Fuß hoch und war durch die Wirkung des Wassers, das ihn Jahrhunderte unablässig bespült hatte, oben vollkommen rund geworden, so daß er einem Bienenkorb ähnlich sah. Es war derselbe Felsen, an dem sich Wildtöter mit seinem Freunde, dem jungen Häuptling Chingachgook, treffen wollte.

Der Abfluß des Sees war kaum zu erkennen; Bäume und Buschwerk, die weit über das Wasser ragten, verdeckten ihn vollständig. Mit der Strömung ließen sie das Boot den Fluß hinuntertreiben, über dem uralte Bäume und üppiges Buschwerk ein dichtes Laubdach gebildet hatten.

Durch Festhalten an einem Busch brachte Hurry das Boot plötzlich zum Stehen. »Da ist er ja, der alte Knabe, und wie ich vermutet habe, bis an die Knie im Wasser und Schmutz, um den Bibern nachzustellen. Aber von der Arche bemerke ich noch nichts!«

In diesem Augenblick kam, in Reichweite von Wildtöters Ruder, in einer Oeffnung des Laubwerks ein auffallend hübsches Mädchengesicht zum Vorschein, und freundliches Lächeln begrüßte die beiden. Ohne es zu wissen, hatten sie neben der Arche haltgemacht, die in den Büschen sorgfältig versteckt lag. Judith Hutter brauchte nur die Büsche vor ihrem Fenster etwas wegzuschieben, um die Ankömmlinge willkommen zu heißen.

Die Arche, wie Hutters schwimmende Festung allgemein hieß, bestand aus einer Art Fähre, auf die ein niedriges Holzhaus – ähnlich wie die Wasserburg, aber mit dünneren Brettern, die eben einer Gewehrkugel standhalten mochten – aufgesetzt war. Sie war zwar roh, aber recht geschickt zusammengezimmert, und enthielt zwei Gemächer; eins für den Vater, das andere für die beiden Mädchen. Die Küche befand sich auf dem freien Teil der Fähre unter freiem Himmel, da dies Hausboot doch nur während des Sommers benutzt wurde.

Hurry war gleich mit einem Satz an Bord gesprungen und begann mit Judith eine angeregte Unterhaltung. Wildtöter sah sich erst einmal das seltsame Bauwerk genauer an und prüfte mit fachmännischem Blick Sicherheit und Festigkeit, nicht ohne auch das Versteck noch einmal zu untersuchen, das sie selbst so genarrt hatte. Bei seinem Rundgang durch die beiden Räume traf er schließlich auf Hetty, die am anderen Ende der Fähre unter dem Laubdach des Buschwerks bei einer Nadelarbeit saß.

»Ihr seid wohl Hetty Hutter,« sprach er das junge Mädchen an, »Hurry Harry hat mir von euch erzählt.«

»Ja, ich bin Hetty«, gab das Mädchen mit sanfter Stimme zurück, »und wie ist euer Name?«

»Mein Vater hieß Bumppo, und mit Vornamen nannte man mich Natty. Nicht lange übrigens, denn bald fanden die Delawaren, unter denen ich aufwuchs, daß ich kein Freund von Lügen war, und nannten mich zuerst »Gerade Zunge«. Da ich schnell zu Fuß war, hieß ich bald die »Taube«.«

»Das war ein hübscher Name!« rief Hetty aus, »und Tauben sind schöne Vögel.«

»Aber ich trug ihn nicht länger, bis ich mir ein Gewehr einhandeln konnte; da zeigte sich, daß ich einen Wigwam wohl mit Wildbret zu versorgen verstand, und ich erhielt meinen jetzigen Namen »Wildtöter«. Nur Leuten, die mehr Wert auf den Skalp eines Mitmenschen als auf ein Hirschgeweih legen, gefällt er weniger.«

»Ich gehöre nicht zu diesen«, erwiderte Hetty schlicht, »Judith liebt Soldaten und bunte Federn und Röcke. Mir gefallen sie nicht, denn ihr Beruf ist das Umbringen ihrer Mitmenschen. Der eure gefällt mir besser und euer letzter Name ist sehr schön.«

Inzwischen hatte auch Tom Hutter mit seinem Kanu an der Arche angelegt und war keineswegs erstaunt, Besuch vorzufinden.

»Ich habe schon eine Woche nach euch ausgespäht«, begrüßte er Hurry freundlich. »Es kam ein Eilbote hier durch mit der Warnung an alle Jäger und Fallensteller, daß sich die Kolonie mit dem französischen Kanada wieder in den Haaren liegt. Da fühlte ich mich mit den beiden Mädchen einsam genug hier in den Bergen. Ihr seid auch nicht allein in diese Wildnis gekommen«, setzte er mit einem forschenden und mißtrauenden Blick auf Wildtöter hinzu.

»Warum auch nicht? Auch ein schlechter Reisegesell hilft immer noch den Weg verkürzen, und dies ist noch dazu ein guter. Es ist Wildtöter, alter Thomas, unter den Delawaren als Jäger berühmt, aber als Christenmensch aufgezogen wie du und ich. Wenn wir in die Lage kommen sollten, unsere Fallen und unser Land hier verteidigen zu müssen, wird er uns gut mit Wildbret versorgen können.«

»Ihr seid willkommen, junger Mann«, brummte Tom und streckte ihm seine starke, knochige Hand hin, »in solchen Zeiten ist ein weißes Gesicht ein Freundesgesicht, und ich rechne auf euren Beistand. Schon sind Wilde am Ufer des Sees, und keiner kann wissen, wie nahe sie schon herangekommen sind.«

»Wenn das wahr ist, Tom Hutter, dann steckt eure Arche in der schlechtesten Lage. Uns hat das Schutzdach ja getäuscht, aber ob sich ein Indianer, der auf Skalpe aus ist, an der Nase herumführen läßt, ist noch die Frage.«

»Ich denke wie ihr, Hurry, und wünsche, wir lägen in diesem Augenblick woanders als in diesem engen Loche, in dem wir verloren sind, wenn sie uns hier finden. Die Schwierigkeit ist nur, aus dem Fluß herauszukommen, ohne gesehen zu werden von Wilden.«

»Seid ihr sicher, Meister Hutter, daß die Rothäute, die ihr hier vermutet, auch wirklich von Kanada herübergekommen sind, und könnt ihr welche beschreiben?« fragte Wildtöter bescheiden.

»Gesehen habe ich zwar keine, aber als ich nach meinen Biberfallen schaute, fand ich eine halbe Stunde von hier eine frische Indianerfährte, und überdies einen abgetragenen Mokassin, den sein Besitzer fortgeworfen hatte.«

»Das sieht allerdings nicht nach einer Rothaut auf dem Kriegspfad aus«, meinte Wildtöter und schüttelte den Kopf, »ein erfahrener Krieger hätte dergleichen Spuren verbrannt oder eingegraben. Wenn ich den Mokassin sehen könnte, würde ich vielleicht Genaueres sagen können. Ich erwarte hier einen jungen Häuptling, vielleicht war es seine Spur.«

»Hurry Harry, ihr seid hoffentlich genau bekannt mit dem jungen Mann hier, der sich in einer fremden Gegend mit einer Rothaut verabredet«, fragte Hutter in einer Art und Weise, die über den Beweggrund zu seiner Frage keinen Zweifel ließ. »Möchte schon wissen, was er hier in dieser abgelegenen Gegend zu bestellen hat.«

»Ihr habt ein Recht, so zu fragen«, erwiderte Wildtöter mit ruhiger Stimme. »Ich bin ein junger Mensch, der bis jetzt noch nicht auf Kriegspfad gewesen ist. Als nun zu den Delawaren die Nachricht kam, daß ihnen das Kriegsbeil übersandt werden würde, da baten sie mich, in die Siedlungen der Weißen zu gehen, um auszukundschaften, wie es um ihre Sache steht. Das habe ich getan, und nachdem ich den Häuptlingen berichtet hatte, hielt Chingachgook, ein junger Häuptling, die Zeit für günstig, mit ihm gemeinsam zum ersten Mal auf Kriegspfad zu gehen. Er hat bisher auch noch mit keinem Feind zu tun gehabt. Ein alter Delaware schlug uns als Treffpunkt den Felsen am Ende des Sees vor. Ich will nicht verheimlichen, daß Chingachgook noch etwas anderes vor hat, doch davon kann ich noch nicht sprechen, das sind seine Angelegenheiten.«

»Und ihr meint, die Spur, die ich gesehen habe, sei vielleicht die eures Freundes gewesen, der sich verfrüht hat?« fragte Hutter.

»Wenn ich den Mokassin zur Hand hätte, wollte ich es in einer Minute heraushaben.«

»Hier ist er schon!« sagte die flinke Judith, die inzwischen zu Hutters Kanu gelaufen war, ihn zu holen, »nun sagt uns, ob Freund oder Feind!«

»Das ist keine Delawaren-Arbeit«, erklärte Wildtöter, »möchte fast behaupten, daß er aus dem Norden stammt.«

»Dann sollten wir nicht einen Augenblick länger hier liegen, als unbedingt notwendig ist. In einer Stunde ist es Nacht – und dann ohne Geräusch vorwärts zu kommen, dürfte unmöglich sein.«


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