Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Was magst das Herz du länger quälen?
Kannst ja die erste beste wählen!
's ist toll zu gehen, Tod – zu weilen;
Fort, fort, zu Orra laß mich eilen!

Lappländisches Liebes-Lied.

 

Dunwoodie's Schlummer war unterbrochen und unruhig, während seine Kameraden in tiefem Schlafe aller ihrer Wagnisse und Gefahren vergaßen. Der Major hatte sich die Nacht in fortwährender Aufregung auf dem schlechten Lager, auf das er sich in den Kleidern gelegt hatte, hin und her geworfen und stand, ohne irgend einen seiner Leute zu wecken, unerquickt wieder auf, um sich durch einen Spaziergang in der freien Luft Erleichterung zu verschaffen. Der sanfte Schimmer des Mondes verlor sich bereits in dem Dämmerlichte des Morgens; der Wind hatte sich gelegt, und die aufsteigenden Nebel ließen noch einen jener Herbsttage hoffen, welche unter diesem veränderlichen Himmelsstriche in zauberhaft raschen Uebergängen einem Sturme zu folgen pflegen. Die zum Aufbruche des Corps bezeichnete Stunde hatte noch nicht geschlagen, und da er keineswegs die Absicht hatte, seinen Kriegern die von den Umständen gestattete Erholung zu verkümmern, so streifte er in tiefem Nachsinnen über das Mißliche seiner Stellung und in innerem Widerstreite zwischen den Anforderungen seiner Pflicht und seiner Liebe über den Schauplatz hin, wo die Schinder ihre Strafe empfangen hatten. Dunwoodie hegte zwar ein unbedingtes Vertrauen zu der Unschuld des Capitän Wharton; aber er war keineswegs versichert, daß einem Kriegsgericht dieselbe Ueberzeugung beigebracht werden könne, und so fühlte er, abgesehen von der persönlichen Theilnahme, welche er für den englischen Officier hegte, nur zu sehr, daß Heinrichs Hinrichtung jede Hoffnung einer Vereinigung mit dessen Schwester unwiederbringlich zerstören müsse. Er hatte den Abend vorher einen Officier an den Obristen Singleton, der die vorgeschobenen Posten befehligte, abgeschickt, um die Gefangennehmung des brittischen Capitäns zu melden, die Ueberzeugung des Majors von der Unschuld des Gefangenen auszusprechen und um weitere Verhaltungsregeln zu bitten. Diese wurden nun mit jeder Stunde erwartet, und Dunwoodie's Unruhe nahm zu, je näher der Augenblick kam, der den Freund seinem Schutze entziehen konnte. In dieser wirren Gemüthsstimmung wanderte er, ohne zu wissen, wohin er ging, auf dem Baumgute weiter, bis ihm die Felsen, welche die Flucht der Schinder beschützt hatten, Halt geboten. Er wollte eben wieder umwenden, um zu seinem Quartier zurückzukehren, als ihm der befehlende Ruf an's Ohr schlug:

»Steh, oder Du bist des Todes!«

Dunwoodie drehte sich überrascht um und erblickte die Gestalt eines Mannes, der in kurzer Entfernung über ihm auf einem Felsenabhange stand und eine Muskete auf ihn gerichtet hielt. Da es aber noch nicht helle genug war, um die Gegenstände deutlich zu erkennen, so bedurfte es für ihn eines zweiten Blickes, und der Major entdeckte mit Staunen, daß ihm der Hausirer gegenüber stehe. Er erkannte augenblicklich das Gefährliche seiner Lage, verschmähte aber, sich zu ergeben oder die Flucht zu ergreifen, selbst wenn diese noch möglich gewesen wäre, und rief daher dem Krämer mit fester Stimme zu:

»Wenn ich gemordet werden soll, so gib Feuer; denn nimmermehr werde ich Dein Gefangener.«

»Nein, Major Dunwoodie,« sagte Birch und ließ seine Muskete sinken, »es ist nicht meine Absicht, Sie zu tödten oder Sie zum Gefangenen zu machen.«

»So sage, was Du von mir willst, geheimnißvolles Wesen,« sagte Dunwoodie, der sich kaum zu überzeugen vermochte, daß die vor ihm stehende Gestalt nicht ein Gebilde seiner erhitzten Phantasie sey.

»Ihre gute Meinung,« antwortete der Hausirer bewegt; – »ich möchte, daß alle guten Menschen mich mit Milde beurtheilten.«

»Es kann Euch wohl gleichgültig seyn, was die Leute von Euch halten, denn Ihr scheint außer dem Bereich ihres Urtheils zu seyn.«

»Gott erhält das Leben seiner Diener, bis ihre Stunde schlägt,« versetzte der Krämer feierlich. »Vor wenigen Stunden noch war ich Ihr Gefangener und mit dem Galgen bedroht; jetzt aber sind Sie der meinige; – doch Sie sollen frei ausgehen, Major Dunwoodie. Aber es sind Andere um den Weg, welche Sie mit weniger Schonung behandeln dürften. Was kann Sie ihr Säbel, einer Waffe, wie der meinigen und einer sichern Hand gegenüber, nützen? Lassen Sie sich von einem Manne rathen, der Ihnen nie ein Leides that und auch nicht die Absicht hat, es je zu thun, – wagen Sie sich nie ohne Gefolge und zu Fuß an die Gränzen eines Waldes.«

»Habt Ihr vielleicht Kameraden, die Euch zur Flucht behülflich waren, und die weniger großmüthig sind als Ihr selbst?«

»Nein – nein, ich bin ganz allein, und Niemand kennt mich, als Gott und Er.«

»Welcher Er?« fragte der Major mit einer Neugierde, welche er nicht zu beherrschen vermochte.

»Niemand!« fuhr der Krämer fort, indem er sich zusammen nahm; – »aber bei Ihnen, Major Dunwoodie, ist's ein anderer Fall. Sie sind jung und glücklich und haben in der Nähe Menschen, die Ihnen theuer sind. Denen, welche Sie am meisten lieben, droht Gefahr – Gefahr von innen und außen. Verdoppeln Sie Ihre Wachsamkeit – verstärken Sie Ihre Patrouillen und seyen Sie verschwiegen. Wenn ich Ihnen mehr sagte, so könnten Sie, bei der Meinung, welche Sie von mir haben, eine Hinterlist vermuthen. Aber erinnern Sie sich an die, welche Ihnen am theuersten sind, und sorgen Sie für ihren Schutz.«

Der Hausirer schoß seine Flinte in die Luft, warf sie von sich, so daß sie dem betroffenen Major vor die Füße rollte, und als diesem die Ueberraschung und der entschwindende Rauch wieder einen Blick nach Birch's Standorte gestattete, war die Stelle leer.

Der Hufschlag von Pferden und der Ton der Hörner weckten den jungen Mann aus der Betäubung, in welche ihn diese sonderbare Scene versetzt hatte. Der Knall der Muskete hatte eine Patrouille nach der Stelle geführt und das ganze Corps in Bewegung gebracht. Der Major kehrte, ohne sich gegen seine Leute irgend wie in Erörterungen einzulassen, schleunig nach dem Quartiere zurück und traf hier die ganze Schwadron, welche mit Ungeduld ihres Führers harrte, in den Waffen und zum Angriffe bereit. Der dienstthuende Officier hatte einigen Soldaten befohlen, den Schild am Hotel Flanagan herabzunehmen und den Pfosten für die Hinrichtung des Spions bereit zu halten.

Dunwoodie hatte inzwischen von der durch Lawton an den Schindern geübten Züchtigung Nachricht erhalten, und da er sein Zusammentreffen mit Birch geheim halten wollte, so machte er seinen Officieren glauben, er hätte die Muskete, welche wahrscheinlich von einem der Gauner verloren worden sey, selbst abgeschossen. Als man ihn jedoch daran erinnerte, daß es wohl geeignet seyn werde, den Krämer noch vor dem Abmarsche aufknüpfen zu lassen, kam ihm Alles, was er gesehen hatte, wie ein Traum vor und er folgte, von einigen seiner Officiere begleitet, dem Wachtmeister Hollister zu dem Orte, wo man den Hausirer aufbewahrt glaubte.

»Nun, Bursche!« sagte der Major zu der Schildwache an der Thüre, »ich hoffe, Du hast Deinen Gefangenen noch in sicherer Verwahrung.«

»Er schläft noch,« erwiederte der Soldat, »und macht dabei einen Lärm, daß ich kaum den Ruf der Alarmhörner davor hören konnte.«

»Macht die Thüre auf und bringt ihn heraus.«

Dem Befehl wurde Folge geleistet; als aber der ehrliche Veteran in das Gefängniß trat, fand er zu seiner äußersten Bestürzung das Gemach in keiner geringen Unordnung. Statt des Krämers war nur noch sein Rock vorhanden, und ein Theil von Betty's Garderobe war in wilder Verwirrung auf dem Boden zerstreut. Die Waschfrau selbst lag in völliger Bewußtlosigkeit auf dem Bette und hatte dieselben Kleider an, in welchen man sie das letztemal gesehen hatte, – eine kleine schwarze Mütze ausgenommen, welche sie beständig zu tragen pflegte, so daß im Allgemeinen angenommen wurde, sie verrichte den Dienst einer Tag- und einer Nachthaube. Das Geräusch der Eintretenden und die Ausrufe des Staunens weckten das Weib.

»Wollt Ihr das Frühstück haben?« sagte Betty und rieb sich die Augen aus. »Meiner Treu, es kommt mir vor als ob ihr mich selbst fressen wolltet – aber nur eine kleine Geduld, meine Guten, und Ihr sollt es besser als je gebraten haben.«

»Gebraten?« wiederholte der Wachtmeister, indem er seine religiöse Gelassenheit und die Anwesenheit der Officiere vergaß, »wir wollen Dich braten, Du Jesabel! – Du hast dem verdammten Hausirer durchgeholfen.«

»Behaltet die Jesabel und den verdammten Hausirer nur für Euch, Herr Wachtmeister,« schrie die leicht aufgebrachte Betty. »Was habe ich mit Hausirern und Durchhelfen zu thun? Ich könnte eine Hausirersfrau seyn und in Seide einhergehen, wenn ich den Sawny M'Twill geheirathet hätte, statt einem Haufen schuftiger Dragoner nachzuziehen, die nicht wissen, wie man eine verlassene Frau mit Anstand zu behandeln hat.«

»Der Bursche hat meine Bibel zurückgelassen,«, sagte der Veteran, indem er das Buch vom Boden aufnahm. »Statt darin zu lesen und sich wie ein guter Christ auf sein Ende vorzubereiten, hat er seine Zeit nur dazu verwendet, sein Entkommen zu bewerkstelligen.«

»Und wer wird da bleiben und sich wie ein Hund aufhängen lassen?« schrie Betty, welche den Fall allmählich zu begreifen anfing; »es ist nicht jeder dazu geboren, ein Ende zu nehmen, wie es Euch blühen wird, Meister Hollister.«

»Ruhig!« sagte Dunwoodie. »Meine Herren, die Sache muß auf's strengste untersucht werden. Es ist außer der Thüre kein weiterer Ausgang vorhanden, und da konnte er nicht durch, wenn nicht die Schildwache seine Flucht unterstützte oder auf ihrem Posten schlief. Ruft die Wachmannschaft zusammen.«

Da die abgelösten Soldaten nicht gerade auf ihre Wachstube beschränkt waren, so hatte die Neugierde sie bereits nach dem Platze gezogen; aber alle betheuerten, daß Niemand das Gemach verlassen habe, und nur die vorhin erwähnte Schildwache gestand zu, daß Betty an ihm vorbeigekommen sey, die er der Ordre zufolge hätte passiren lassen.

»Erlogen, Du Dieb – erlogen!« schrie Betty, welche mit Ungeduld seiner Entschuldigung zugehört hatte. »Willst Du einer verlassenen Wittwe die Ehre abschneiden, indem Du sagst, ich gehe mitten in der Nacht auf dem Felde herum? Ich bin die ganze lange Nacht hier gelegen und habe so fest geschlafen, wie ein Wickelkind.«

»Hier, Sir,« sagte der Sergeant, indem er sich ehrerbietig an Dunwoodie wandte, »ist etwas Geschriebenes in meiner Bibel, was vorhin nicht da stand; denn da ich keine Familien-Notizen einzutragen habe, so leide ich kein Geschreibsel in diesem heiligen Buche.«

Einer von den Officieren las laut:

»Gegenwärtiges mag bezeugen, daß, wenn ich meine Freiheit wieder erlange, dieses allein mit Gottes Hülfe geschieht, dessen heiligem Schutz ich mich demüthig empfehle. Ich bin genöthigt, die Kleider des Weibes zu nehmen, für die sie jedoch in ihrer Tasche eine Entschädigung finden wird. Kraft meiner eigenen Unterschrift

Harvey Birch.«

»Was,« tobte Betty, »hat der Spitzbube einer armen Wittwe ihr Alles mitgenommen? – Hängt ihn. – Fangen Sie ihn und lassen Sie ihn hängen, Major, wenn es anders noch Gesetze und Gerechtigkeit im Lande gibt!«

»Seht in Eurer Tasche nach,« sagte einer der jüngern Officiere, der sich, unbekümmert um die Folgen, an dem Auftritte belustigte.

»Ah, meiner Treu!« rief die Waschfrau, als sie eine Guinee hervorzog, »das ist ein Juwel von einem Hausirer! Möge er lange leben und sein Handel gedeihen; die Fetzen sind ihm wohl gegönnt – und wenn es bei ihm je zum Hängen kommen sollte, so ist schon mancher größere Schelm frei ausgegangen.«

Als Dunwoodie sich umwandte, um das Gemach zu verlassen, sah er den Capitän Lawton mit gekreuzten Armen dastehen und die Scene in tiefem Schweigen betrachten. Dieses Benehmen, so verschieden von dem gewöhnlichen Eifer und Ungestüm des Rittmeisters, fiel dem Major auf. Ihre Augen begegneten sich; dann gingen sie einige Minuten in ernster Besprechung miteinander auf und ab, und als Dunwoodie zurückkehrte, schickte er die Wache wieder nach ihrem gewöhnlichen Sammelplatze. Nur der Wachtmeister Hollister blieb noch länger bei Betty zurück, die in sehr guter Laune war, weil sie ihre Garderobe noch in einem Zustande gefunden hatte, der durch die Guinee des Krämers wahrlich mehr als ausgewogen wurde. Die Waschfrau hatte den Veteranen schon lange Zeit in besondere Affection genommen und war mit sich eins geworden, gewisse Ungelegenheiten zarterer Natur, welche dem Corps gegenüber mit ihrer Stellung in Verbindung standen, dadurch auszugleichen, daß sie den Wachtmeister zum Nachfolger ihres seligen Mannes machte. Der Dragoner schien seit einiger Zeit diesen Vorzug mit Vergnügen zu bemerken; und da Betty wohl einsah, daß sie ihren Verehrer durch ihr Ungestüm gekränkt habe, so entschloß sie sich, dieses Versehen nach Kräften wieder gut zu machen. Außerdem war sie trotz ihrer Rohheit und Ungeschlachtheit zu sehr Weib, um nicht zu wissen, daß die Augenblicke der Versöhnung die einflußreichsten sind: sie füllte daher ein Glas mit ihrem Morgentrunk, und reichte es ihrem Gefährten als Sühnopfer dar.

»Einige rasche Worte zwischen Freunden haben nichts zu bedeuten, wie Ihr wissen werdet, Sergeant,« begann die Waschfrau; »ich habe auf den Michel Flanagan nie ärger geschimpft, als wenn ich ihn am liebsten hatte.«

»Michel war ein guter Soldat und ein braver Mann,« erwiederte der Dragoner, indem er das Glas leerte. »Unser Zug deckte die Flanke des Regiments, als er fiel, und ich setzte selber an jenem Tage mit meinem Pferde über seine Leiche weg. Der arme Bursche! er lag so ruhig auf seinem Rücken da, als ob sich nach jahrelangem Krankenlager seine Kräfte in einem natürlichen Tode verzehrt hätten.«

»Ja, Michel hielt etwas auf's Verzehren, das muß wahr seyn; so zwei, wie wir, konnten einen tüchtigen Riß in die Vorräthe machen, Sergeant. Aber Ihr seyd ein nüchterner verständiger Mann, Meister Hollister, und würdet in der That einen recht brauchbaren Ehemann abgeben. –«

»Ach, Frau Flanagan! ich bin da geblieben, um mit Euch über einen Gegenstand zu sprechen, der mir schwer auf der Seele liegt, und ich möchte Euch wohl mein Herz öffnen, wenn Ihr Zeit habt, mich anzuhören.«

»Wenn ich Zeit habe?« rief das Weib ungeduldig; »ich würde Euch anhören, und wenn die Officiere nie mehr einen Mundvoll zu essen kriegen sollten; aber da – nehmt noch ein Tröpfchen, Schatz – es wird Euch Courage geben, frei mit der Farbe herauszugehen.«

»Ich habe für eine so gute Sache schon genug Courage,« versetzte der Veteran, ohne von ihrer Freigebigkeit Gebrauch zu machen. »Betty, glaubt Ihr, die Person, welche ich in der letzten Nacht in diese Kammer sperrte, sey wirklich der Krämerspion gewesen?«

»Und wer sollte es sonst gewesen seyn, mein Guter?«

»Der Böse.«

»Was? – der Teufel?«

»Ja, Niemand anders, als Beelzebub selbst in der Verkleidung eines Hausirers; und die Bursche, die wir für Schinder hielten, waren seine Gehülfen.«

»Wahrhaftig, Ihr seyd in einer Beziehung so ziemlich auf dem rechten Wege, denn wenn des Teufels Gehülfen in der Grafschaft West-Chester los sind, so darf man sie nirgend anders, als unter den Schindern suchen.«

»Frau Flanagan, ich meine wirkliche Geister des Abgrunds, die Fleisch angenommen haben. Der Böse wußte, daß man den Hausirer Birch am allerehesten aufgreifen werde, und so nahm er dessen Gestalt an, um in Eure Kammer zu kommen.«

»Und was sollte denn der Teufel von mir wollen?« schrie Betty entrüstet; »gibt es nicht bereits Teufel genug im Corps, ohne daß einer aus der bodenlosen Hölle zu kommen brauchte, um eine arme Wittfrau zu erschrecken?«

»Es wurde ihm nur um Eures Seelenheils willen gestattet, zu kommen. Ihr wißt, er verschwand in Eurer Gestalt durch die Thüre, und das ist ein Vorbild Eures künftigen Schicksals, wenn Ihr Euren Lebenswandel nicht bessert. O, ich habe es wohl gesehen, wie er zitterte, als ich ihm die Bibel gab. Glaubt Ihr, liebe Betty, irgend ein Christenmensch würde auf diese Weise in das heilige Buch geschrieben haben, wenn er nicht allenfalls Geburts- und Todesfälle, oder ähnliche wichtige Hausvorfallenheiten einzutragen gehabt hätte?«

So sehr die Waschfrau von der Zartheit in dem Benehmen ihres Verehrers erbaut war, so argen Anstoß erregte bei ihr seine Vermuthung. Sie zügelte jedoch den Ausbruch ihres Unwillens und erwiederte mit der Zungengeläufigkeit ihrer Landsleute:

»Und hätte mir wohl der Teufel die Kleider bezahlt, he? – ja und noch obendrein über den Werth bezahlt?«

»Ohne Zweifel ist das Geld falsch,« sagte der Sergeant, den eine solche augenscheinliche Ehrlichkeit von Seiten eines Wesens, welches bei ihm in so schlechtem Geruche stand, ein wenig in Verwirrung brachte. »Auch mich hat er mit blinkendem Golde in Versuchung geführt, aber der Herr gab mir Kraft, Widerstand zu leisten.«

»Das Goldstück sieht gut aus; aber Capitän Jack soll's mir auswechseln, und zwar heute noch; der kümmert sich kein Bischen d'rum, was immer für ein Teufel mit im Spiele seyn mag.«

»Betty, Betty,« versetzte der Wachtmeister, »sprecht nicht so unehrerbietig von dem bösen Feinde, er ist immer zur Hand und könnte Euch Eure Reden gedenken.«

»Pah, wenn er überhaupt ein Herz im Leibe hat, so kümmert er sich nichts um ein paar Nasenstüber von einer armen verlassenen Frau. Gewiß, kein anderer ehrlicher Christenmensch könnte das thun.«

»Aber der Schwarze hat kein Herz, wohl aber einen Rachen, womit er die Menschenkinder verschlingt,« sagte der Dragoner, indem er ängstlich um sich blickte; »und es ist am besten, wenn man sich allenthalben Freunde macht, denn man kann nie vorher wissen, was eine solche Erscheinung mit sich bringt. Aber, Betty, kein Mensch hätte unerkannt diesen Platz verlassen und durch alle Schildwachen kommen können. Laßt Euch daher diesen Besuch zu einer ernsten Warnung dienen –«

Hier wurde das Gespräch durch eine gebieterische Aufforderung an die Marketenderin, das Frühstück zu besorgen, unterbrochen und das Pärchen mußte sich trennen. Doch hoffte das Weib im Geheim, daß die Theilnahme, welche der Soldat an den Tag legte, mehr irdischer Natur sey, als er sich wohl selbst gestehen mochte, während dagegen der Wachtmeister ernstlich darüber nachsann, wie er eine Seele aus den Krallen des Bösen rette, der nach seiner Meinung lauernd durch das Lager ging, um Opfer auszusuchen.

Während des Frühstücks langten mehrere Eilboten an, von denen einer Nachrichten über die Stärke und den Zweck der am Hudson operirenden feindlichen Streitkräfte mittheilte, indeß ein anderer Befehl brachte, den Capitän Wharton unter guter Bedeckung nach dem ersten Posten in den Hochlanden zu senden. Dieser letztere Befehl, von dessen buchstäblicher Vollziehung nicht abgegangen werden durfte, machte bei Dunwoodie das Maaß des Kummers voll. Beständig stand ihm Franciska's Verzweiflung vor der Seele, und wohl fünfzigmal versuchte er es, sich auf's Pferd zu werfen und nach den Locusten zu eilen, aber ein unbezwingliches Gefühl hielt ihn immer wieder zurück. Zufolge des höhern Befehls wurde ein Officier mit einer kleinen Anzahl Dragoner nach dem Landhause geschickt, um Heinrich Wharton nach dem Ort seiner Bestimmung zu bringen. Dunwoodie übergab zugleich dem Führer der kleinen, mit dem Vollzug der Ordre beauftragten Abtheilung einen Brief an seinen Freund voll der innigsten Versicherungen, daß diese Maaßregel seine Sicherheit nicht gefährde, und daß er unablässig bemüht seyn werde, die baldige Befreiung des Gefangenen zu erwirken. Lawton wurde mit einem Theile seines Zuges zum Schutz der Verwundeten zurückgelassen, und sobald die Soldaten ihren Morgen-Imbis zu sich genommen hatten, brach das Lager auf und das Hauptcorps rückte nach dem Hudson vor. Dunwoodie prägte dem Capitän Lawton seine Befehle in öfterer Wiederholung ein, weilte bei jedem Wort, das der Hausirer hatte fallen lassen, und erwog mit allem ihm zu Gebote stehenden Scharfsinn die wahrscheinliche Bedeutung der geheimnisvollen Warnungen, bis er für eine weitere Verzögerung seiner Abreise keinen Entschuldigungsgrund mehr aufzufinden wußte. Da fiel ihm auf einmal ein, daß über den Obristen Wellmere noch keine Verfügungen getroffen worden seyen, und nun erst gab er seinen geheimen Wünschen nach und schlug, statt der Nachhut seines Corps zu folgen, den Weg nach den Locusten ein. Dunwoodie wurde von seinem Pferde mit der Schnelligkeit des Windes dahin getragen, und es war kaum eine Minute vergangen, als sich ihm von der Höhe aus die Aussicht nach dem einsamen Thale aufthat. Als er das Gebirg hinab sprengte, erblickte er in der Entfernung Heinrich Wharton mit seinem Geleite, welcher eben auf einen Engpaß, der nach den Standquartieren der Hochlande führte, zuritt. Dieser Anblick vermehrte die Eile des bekümmerten jungen Mannes, und als er um einen Bergvorsprung, hinter welchem sich das ganze Thal öffnete, herumbeugte, traf er plötzlich auf den Gegenstand seiner Wünsche. Franciska war der Abtheilung, welche ihren Bruder abgeführt, von ferne gefolgt, und fühlte sich nun, als sie ihren Augen entschwand, auf einmal von Allem, was ihr auf der Welt am theuersten gewesen, verlassen. Dunwoodie's unerklärliches Fernbleiben und der Schmerz, sich von Heinrich unter solchen Umständen trennen zu müssen, hatten alle ihre Standhaftigkeit gebrochen. Sie war auf einen Stein am Wege niedergesunken und schluchzte, als ob ihr das Herz brechen wolle. Dunwoodie sprang vom Pferde, warf die Zügel über den Hals des Thieres und befand sich in einem Augenblicke an der Seite des weinenden Mädchens.

»Franciska, – meine Franciska!« rief er, »warum diese Betrübniß? – Lassen Sie sich die Lage Ihres Bruders nicht so tief zu Herzen gehen. Sobald es mein gegenwärtiger Dienst gestattet, will ich mich zu Washington's Füßen werfen und seine Befreiung erbitten. Der Vater seines Vaterlandes wird einem seiner Lieblingskinder diese Gunst nicht versagen.«

»Major Dunwoodie, ich danke Ihnen für den Antheil, den Sie an meinem armen Bruder nehmen,« sagte das bebende Mädchen, indem sie ihre Augen trocknete und sich mit Würde erhob; »aber eine solche Sprache ist sicherlich mir gegenüber am unrechten Orte.«

»Am unrechten Orte? Sind Sie nicht mein – durch die Einwilligung Ihres Vaters – Ihrer Tante – Ihres Bruders – und durch die Stimme Ihres eigenen Herzens, meine süße Franciska?«

»Major Dunwoodie, ich wünsche nicht, einer Dame, welche frühere Ansprüche auf Ihre Zuneigung hat, in den Weg zu treten,« versetzte Franciska mit einer Stimme, deren leichtes Beben die erzwungene Festigkeit verrieth.

»Niemand anders, ich schwöre es bei dem Himmel, – niemand anders hat irgend einen Anspruch an mich!« rief Dunwoodie mit Feuer; »Sie allein sind die Herrin meiner innigsten Gefühle.«

»Sie haben eine so vielseitige und erfolgreiche Erfahrung, Major Dunwoodie, daß es mich nicht befremdet, wenn Sie mit geringer Mühe die Leichtgläubigkeit unseres Geschlechts zu täuschen wissen,« erwiederte Franciska, indem sie ein Lächeln versuchen wollte, das jedoch unter dem Beben der Gesichtsmuskeln in der Geburt erstickte.

»Bin ich denn ein Elender, Miß Wharton, daß Sie mich mit solcher Rede empfangen? – Wann hätte ich Sie je getäuscht, Franciska? und wer hat den Samen des Zweifels in Ihr reines Herz gestreut?«

»Warum hat der Major Dunwoodie das Haus seines künftigen Schwiegervaters in der letzten Zeit nicht mit seiner Gegenwart beehrt? Hat er vergessen, daß es einen Freund auf dem Krankenlager und einen andern in tiefster Bekümmerniß birgt? Ist ihm sein Gedächtniß so untreu geworden, daß er sich nicht mehr erinnern konnte, es befinde sich dort sein verlobtes Weib? Oder fürchtete er vielleicht, noch eine Zweite zu treffen, die auf diesen Titel Anspruch machen könnte? O Peyton, Peyton, wie haben Sie mich hintergangen! O der thörichten Leichtgläubigkeit der Jugend, welche mich in Ihnen den Inbegriff alles Rechtlichen, Edeln und Hochherzigen zu suchen veranlaßte!«

»Franciska, ich sehe, wie sehr Sie sich selbst täuschen,« rief Dunwoodie und seine Züge sprühten Feuer; »Sie sind ungerecht gegen mich; bei Allem, was mir theuer auf Erden ist, Sie thun mir Unrecht.«

»Schwören Sie nicht, Major Dunwoodie,« unterbrach ihn Franciska und ihr Gesicht leuchtete in der Gluth weiblichen Stolzes. »Die Zeit ist vorbei, wo ich auf Eide baute.«

»Miß Wharton, wollen Sie mich zum Thoren machen? Soll ich in meinen eigenen Augen so verächtlich werden, mich dessen zu rühmen, was mich die Wiedererlangung Ihrer Achtung hoffen läßt?«

»Bilden Sie sich nicht ein, Sir, daß dieß so ein leichtes Geschäft seyn dürfte,« entgegnete Franciska und trat den Rückweg zum Landhaus an. »Wir sprechen das letztemal allein mit einander; – aber – vielleicht – ist meinem Vater der Verwandte meiner Mutter willkommen.«

»Nein, Miß Wharton, ich kann jetzt sein Haus nicht betreten, ohne meines selbst unwürdig zu handeln. Sie treiben mich in Verzweiflung von sich, Franciska. Ich gehe einem ernsten Dienste entgegen, aus dem ich vielleicht nicht mehr wiederkehre. Wenn mich die Hand des Schicksals erfaßt, so lassen Sie wenigstens meinem Andenken Gerechtigkeit widerfahren, und denken Sie, daß der letzte Hauch meines Lebens ihrem Glücke geweiht war.« Mit diesen Worten setzte er den Fuß in den Steigbügel; aber ein Blick des geliebten Mädchens drang ihm durch die Seele und hinderte die Ausführung seiner Absicht.

»Peyton – Major Dunwoodie,« sagte sie, »könnten Sie je die heilige Sache vergessen, für die Sie das Schwert ergriffen haben? Die Pflichten gegen Gott und gegen das Vaterland verbieten Ihnen jede übereilte Handlung. Das Letztere bedarf Ihrer Dienste, und zudem –« ihre Stimme brach und sie konnte nicht weiter fortfahren.

»Und zudem?« hallte es von dem Munde des Jünglings wieder, der an ihre Seite eilte und ihre Hand mit der seinigen faßte. Franciska sammelte sich jedoch schnell wieder, stieß ihn kalt zurück und ging der Heimath zu.

»Müssen wir so scheiden?«, rief Dunwoodie im schmerzlichsten Seelenkampfe; »bin ich ein Nichtswürdiger, der eine solch' grausame Behandlung verdient? Sie haben mich nie geliebt und wollen nur Ihren eigenen Wankelmuth durch Beschuldigungen bemänteln, die Sie nicht einmal auszusprechen wagen.«

Franciska hielt an und sandte einen Blick so voll Unschuld und Innigkeit zurück, daß Dunwoodie zermalmt hätte zu ihren Füßen sinken und um Vergebung bitten mögen; sie winkte ihm jedoch ruhig zu seyn, und begann:

»So hören Sie mich denn, Major Dunwoodie – zum letztenmale. Es ist eine bittere Erfahrung, wenn wir zum erstenmale zur Erkenntniß unserer eigenen Unwürdigkeit kommen, und diese Wahrheit habe ich leider kürzlich selbst empfinden müssen. Ich lege Ihnen nichts zu Last und habe gegen Sie keine Beschuldigungen – nein, nicht einmal in Gedanken. Wären auch meine Ansprüche an Ihr Herz gerecht, so wäre ich Ihrer doch nicht würdig. Nein, Peyton, Sie sind für die Größe und den Ruhm, zu Thaten des Muthes und der Tapferkeit bestimmt und bedürfen einer Seele, die der Ihrigen gleich ist, die sich über die Schwäche ihres Geschlechtes zu erheben vermag. Ich wäre eine Last, die Sie in den Staub zöge; aber mit einem Wesen an Ihrer Seite, welches das Gegentheil von mir wäre, könnten Sie sich zu dem Gipfel menschlichen Ruhmes aufschwingen. Einem solchen trete ich Sie, zwar mit schwerem Herzen, aber freiwillig ab, und will – ach, wie glühend will ich beten, daß Sie mit ihm glücklich seyn mögen.«

»Liebenswürdige Schwärmerin!« rief Dunwoodie, »Sie kennen weder sich selbst, noch mich. Nur ein Weib, so sanft, so edel und hingebend, wie Sie, kann meine Seele erfüllen. Täuschen Sie sich nicht mit träumerischen Ideen von Großmuth, die mich nur elend machen könnten.«

»Leben Sie wohl, Major Dunwoodie,« sagte das bewegte Mädchen, und hielt einen Augenblick inne, um Athem zu gewinnen. »Gedenken Sie der Ansprüche, welche das verblutende Vaterland an Sie hat, und seyen sie glücklich.«

»Glücklich!« wiederholte der junge Krieger mit Bitterkeit, als er ihre leichte Gestalt durch das Hofgitter gleiten und hinter dem Gehäge verschwinden sah; »– ja, jetzt bin ich in der That recht glücklich.«

Er schwang sich in den Sattel, drückte seinem Pferde die Sporen in die Seite und holte bald seine Schwadron ein, welche auf unebenen Pfaden langsam gegen die Ufer des Hudson vorrückte.

So peinlich auch Dunwoodie's Gefühle bei diesem unerwarteten Ausgang der Unterredung mit seiner Geliebten seyn mochten, so standen sie doch in keinem Vergleich mit denen, welche das zärtliche Mädchen selbst empfand. Das scharfe Auge der Eifersucht hatte Franciska bald in Isabella Singleton die Leidenschaft für Dunwoodie entdecken lassen. Ihrer zarten Rückhaltung schien es unmöglich, daß diese Liebe sich ohne Erwiederung hätte entfalten können, denn obgleich ihre warmen Gefühle, welche sie kunstlos an den Tag legte, frühe das Auge des jungen Soldaten angezogen hatten, so war doch Dunwoodie's ganze männliche Freimüthigkeit und die hingebendste Huldigung nöthig, um ihre Gegenliebe zu gewinnen. Sobald aber diese gewährt war, gab sich das Mädchen derselben mit der ganzen Kraft und Ausdauer ihrer Seele hin. Aber die ungewöhnlichen Begebenheiten der letzten paar Tage, das veränderte Benehmen ihres Geliebten während dieser Ereignisse, seine Kälte gegen sie, vor allem aber die romanhafte, fast abgöttische Leidenschaft Isabellens, hatten in Franciska's Seele fremdartige Empfindungen erweckt. Mit dem Verdacht gegen die Aufrichtigkeit ihres Liebhabers stieg auch der nie fehlende Begleiter uneigennütziger Liebe auf – das Mißtrauen gegen den eigenen Werth. Im Augenblicke der Aufregung schien ihr die Aufgabe, den Geliebten einer Würdigeren abzutreten, leicht, aber die Phantasie versuchte es vergeblich, das Herz zu täuschen. Dunwoodie war kaum verschwunden, als unserer Heldin das ganze Schmerzensgewicht ihrer Lage auf die Seele fiel. Dem Jünglinge mochten die wichtigen Obliegenheiten seines Commando's einige Zerstreuung gewähren, dagegen fand das Mädchen in der Erfüllung ihrer kindlichen Pflichten nur eine armselige Erleichterung, ihres Kummers, obgleich der Zustand ihres Vaters, dessen geringe Thatkraft durch die Entfernung seines Sohnes beinahe völlig zernichtet war, die zärtlichste Sorgfalt von Seite der ihm gebliebenen Kinder in Anspruch nahm, um nur den alten Mann nur so weit aufzurichten, daß er die gewöhnlichen Lebensverrichtungen zu vollziehen im Stande war.

 


 << zurück weiter >>