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Erstes Kapitel.

Und mitten durch die Ruhe seiner Seele
Ein kühner Zug die inn're Glut verrieth;
– 's war irdisch Feuer, weichend dem Befehle
Des höhern Geists, wie Aetnas Glanz verglüht,
Wenn Phöbus Strahl den Horizont umzieht.

Gertrude von Wyoming.

 

Es war gegen den Schluß des Jahres 1780, als man einen einsamen Reisenden seinen Weg durch eines der zahlreichen kleinen Thäler von West-Chester Da jeder Staat der Amerikanischen Union seine eigenen Bezirke hat, so findet sich's öfters, daß mehrere denselben Namen tragen. Der Schauplatz dieser Erzählung ist der Staat Neu-York, dessen Bezirk West-Chester sich zunächst an die Stadt anschließt. verfolgen sah. Der Ostwind mit seiner feuchten Kälte und zunehmenden Heftigkeit war der untrügliche Bote eines herannahenden Sturmes, der seiner Gewohnheit nach voraussichtlich mehrere Tage andauern mochte. Das kundige Auge des Wanderers blickte vergeblich durch das abendliche Dunkel, um ein geeignetes Obdach zu erspähen, wo er, so lange es der Regen, welcher bereits die Atmosphäre zu einem dicken Nebel umwandelte, nöthig machte, die für seine Absichten erforderlichen Bequemlichkeiten finden konnte. Aber es zeigte sich nichts, als die kleinen unbequemen Hütten der geringeren Classe von Ansiedlern, welche in dieser Gegend in einem Rufe standen, daß er es weder für sicher noch für klug hielt, sich ihnen anzuvertrauen.

Der Bezirk West-Chester war, nachdem die Britten von der Insel Neu-York Besitz Die Stadt Neu-York liegt auf einer Insel, welche Manhattan heißt; sie ist an einem Punkte von dem Bezirk West-Chester nur durch eine Wasserstraße von der Breite einiger Fuße getrennt, über welche die sogenannte Königsbrücke führt. Während des Krieges war dort der Schauplatz vieler Gefechte, worauf auch in dieser Erzählung angespielt wird. genommen hatten, ein gemeinschaftlicher Boden, und beide sich bekämpfende Parthieen bedienten sich desselben zu Fortsetzung ihrer Operationen für den Rest des Revolutionskrieges. Ein großer Theil der Bewohner trug entweder aus alter Anhänglichkeit oder aus Furcht eine Parteilosigkeit zur Schau, welche sie in Wirklichkeit nicht fühlten. Die weiter unten liegenden Städte waren natürlich vorzugsweise unter der Herrschaft der Krone, während die mehr im Innern befindlichen, da sie durch die Nachbarschaft der Amerikanischen Truppen gesichert waren, kühn ihre revolutionären Ansichten und ihr Recht, sich selbst zu regieren, behaupteten. Eine große Anzahl trug jedoch Masken, welche sogar heut zu Tage noch nicht abgelegt worden sind, und mancher wurde zu Grabe getragen, mit dem Brandmale eines Feindes der Rechte seiner Landsleute, während er im Geheim ein nützlicher Agent der Leiter der Revolution war; indeß auf der andern Seite, wenn man die verborgenen Fächer manches glühenden Patrioten an's Licht hätte fördern können, die Beschützung der königlichen Sache unter Massen von brittischem Golde zu Tage gekommen wäre.

Die schallenden Huftritte des edlen Rosses, welches der Reisende ritt, mochten wohl hin und wieder die Gebieterin einer ländlichen Wohnung, an welcher er vorbei kam, veranlassen, die Thüre des Hauses vorsichtig zu öffnen und sich den Fremden zu betrachten, während sie vielleicht mit rückwärts gewandtem Gesichte das Ergebniß ihrer Untersuchungen ihrem Gatten mittheilte, welcher im Innern des Gebäudes sich vorbereiten mochte, im Nothfalle seinen gewohnten Versteck in dem anliegenden Walde aufzusuchen. Das Thal lag ungefähr in der Mitte des Bezirks und beiden Armeen hinreichend nahe, um die Rückerstattung gestohlenen Guts zu keinem ungewöhnlichen Begebniß in dieser Gegend zu machen. Allerdings erhielt man nicht immer dieselben Gegenstände zurück, sondern man nahm in Ermangelung gesetzlicher Rechtspflege seine Zuflucht zu einem Ersatz im Allgemeinen, welcher dem beiläufigen Schaden des Benachtheiligten gleichkam, wobei dieser es häufig mit einer nicht unbeträchtlichen Zugabe für die jeweilige Nutznießung seines Eigenthums nicht allzu genau nehmen mochte. Kurz, es herrschte Gesetzlosigkeit in diesem Bezirke, und die Gerechtigkeit, welche hier galt, stand unter dem Gewalteinflusse persönlicher Interessen und der Leidenschaften des Stärkeren.

Der Durchzug eines Reisenden, über dessen Charakter Niemand in's Klare kommen konnte, und der Anblick seines Pferdes, welches, obschon es nicht die Abzeichen des militärischen Dienstes trug, doch an der freien und kühnen Haltung seines Reiters Theil nahm, gab den nachstarrenden Bewohnern der verschiedenen Hütten Anlaß zu vielen Vermuthungen, welche bei Manchem, der sein Gewisses nicht frei fühlte, keine geringe Beunruhigung erweckten.

Durch die Anstrengung des Tages ungewöhnlich ermüdet und besorgt, schnell ein Obdach gegen die stets sich mehrende Gewalt des Sturmes zu gewinnen, durch welchen der Regen in großen Tropfen niederzustürzen anfing, entschloß sich der Wanderer, aus der Noth eine Tugend zu machen, und bei der nächsten Wohnung, welche sich ihm darbot, um Einlaß zu bitten. Er fand hierzu bald Gelegenheit, ritt durch ein Paar vernachlässigte Schranken und klopfte, ohne aus dem Sattel zu steigen, laut an die Thüre eines sehr unscheinbaren Gebäudes. Auf diesen Anruf erschien ein Weib von mittlerem Alter, deren Aeußeres wenig einladender war, als das ihrer Wohnung. Die erschreckte Frau drückte furchtsam die Thüre halb wieder zu, da sie bei dem Strahle des großen Küchenfeuers einen berittenen Mann in so unerwarteter Nähe ihrer Schwelle sah, und ein Ausdruck des Schreckens mischte sich mit ihrer natürlichen Neugierde, als sie nach seinem Begehren fragte.

Obgleich die Thüre zu dicht schloß, um eine Untersuchung der im Innern befindlichen Bequemlichkeiten zu gestatten, so hatte doch der Reiter genug gesehen, um veranlaßt zu werden, mit verlangenden Blicken noch einmal durch das Dunkel zu spähen, ob er nicht ein wirthlicheres Dach entdecken könne, ehe er mit übelverhehltem Widerwillen seine Lage und seine Wünsche kund gab. Seine Bitte wurde mit augenscheinlichem Mißmuth angehört, und ehe er sie noch geendigt hatte, schnell durch eine Erwiederung unterbrochen.

»Ich kann nicht sagen, daß ich es liebe, einem Fremden in so kitzlichen Zeiten Quartier zu geben,« sagte das Weib in einem frechen und schneidenden Tone; »ich bin nichts, als ein einsames verlassenes Geschöpf, oder, was ebenso viel heißt, es ist Niemand als der alte Herr zu Haus; aber eine halbe Meile weiter unten liegt ein Haus an der Straße, wo Ihr ein Unterkommen finden könnt, ohne etwas dafür ausgeben zu müssen. Ich weiß, daß es für jene passender seyn wird, und mir ist es lieber, weil Harvey, wie ich vorhin sagte, fort ist. Ich wollte, er ließe sich rathen, und gäbe das Wanderleben auf; er weiß sich in dieser Zeit gut in die Welt zu schicken und sollte sein unsicheres Umherstreichen aufgeben, – ja, und sich einen ordentlichen Hausstand gründen, wie es andere Leute von seinen Jahren und seinem Vermögen auch machen. Aber Harvey Birch will seinen eigenen Weg gehen und wird zuletzt als Landstreicher sterben.«

Der Reiter achtete nach dem Rathe, seinen Weg auf der Straße fortzusetzen, der keifenden Rede nicht weiter, sondern wendete langsam sein Pferd gegen die Schranken und schlug, zur Vorsorge gegen den Sturm, die Falten des weiten Mantels um seine männliche Gestalt, als etwas in den Worten des Weibes plötzlich seine Bewegung anhielt.

»Das ist also die Wohnung des Harvey Birch?« fragte er unwillkührlich, brach aber schnell ab, augenscheinlich seine weiteren Worte unterdrückend.

»Ei, man kann kaum sagen, daß es seine Wohnung sey,« erwiederte die Andere, indem ihr in der Hast der Antwort beinahe der Athem versagte; »er ist nie, oder doch so selten darin, daß ich mich kaum seines Gesichts erinnere, wenn er's einmal der Mühe werth hält, es seinem armen Vater und mir zu zeigen. Doch mir liegt wahrlich wenig daran, ob er je wieder zurückkömmt oder nicht; – kehrt nur bei dem ersten Gitter zur Linken an; – nein, was mich anbelangt, ich kümmere mich nichts darum, ob Harvey je sein Gesicht wieder sehen läßt, oder nicht – ich gewiß nicht.« – Mit diesen Worten schlug sie ohne Umstände die Thüre vor dem Wanderer zu, der in der frohen Hoffnung, ein Unterkommen zu finden, welches ihm mehr Bequemlichkeit und Sicherheit verhieß, eine halbe Meile weiter ritt.

Es war noch hell genug, um den Reisenden in den Stand zu setzen, die Verbesserungen Verbesserungen ( improvements) nennen die Amerikaner jede durch menschliche Bemühung hervorgebrachte Veränderung in dem Urzustande des Landes; sie bedeuten in dem gegenwärtigen Falle das Fällen von Bäumen, wodurch der Boden in seinem Preise steigt. zu unterscheiden, welche sich in der Kulturbeschaffenheit und dem Gesammtanblick des Bodens um das Gebäude, dem er sich jetzt näherte, aussprachen. Es war ein langes, niedriges, steinernes, an jedem Ende mit einem Flügel versehenes Haus. Eine aus zierlichen hölzernen Säulen bestehende Halle lief an der Front des Gebäudes hin und gab, im Einklang mit den geordneten und in gutem Stand erhaltenen Einzäunungen und Außenbauten, dem Platze ein weit geselligeres Aussehen, als dieses bei den gewöhnlichen Wohnungen der Gegend der Fall war. Unser Wanderer leitete sein Pferd hinter einen Vorsprung der Mauer, wo es einigermaßen gegen Wind und Regen geschützt war, warf dann seinen Mantelsack über die Schulter und gab durch lautes Pochen an die Thüre seinen Wunsch, eingelassen zu werden, zu erkennen. Bald darauf erschien ein alter Schwarzer, welcher, ohne es für nöthig zu halten, unter solchen Umständen seiner Herrschaft eine Meldung zu machen, bei dem Scheine des Kerzenlichtes, das er in der Hand hielt, einen prüfenden Blick auf den Bittsteller warf und sodann seinem Gesuche um Aufnahme willfahrte. Der Reisende wurde in ein sehr schönes Besuchszimmer gewiesen, in welchem ein Feuer brannte, um die Trübseligkeit eines Oststurmes und eines Octoberabends zu erheitern. Nachdem er seinen Mantelsack dem höflichen Dienstmanne übergeben hatte, wiederholte er seine Bitte mit aller Artigkeit gegen den alten Herrn, welcher sich zu seinem Empfange erhob, machte den drei Damen, welche sich am Nähetisch beschäftigten, seine Verbeugung, und fing an, die Ueberkleider, welche er während seines Rittes getragen hatte, abzulegen.

Als er das dichte Tuch, welches Hals und Kinn bedeckte, abnahm und den blauen Mantel und Ueberrock beseitigte, enthüllte er der beobachtenden Familie die hohe und ungemein anmuthige Gestalt eines Mannes, welcher ungefähr fünfzig Jahre zählen mochte. Seine Züge trugen den Ausdruck der Besonnenheit und Würde; seine Nase war gerade und näherte sich der griechischen Form; das graue Auge blickte ruhig, gedankenvoll und beinahe schwermüthig, während der Mund und die unteren Partieen des Gesichts auf einen festen und entschiedenen Charakter hindeuteten. Sein Reisekleid war einfach und ungeziert, doch so, wie es die höhern Classen seiner Landsleute zu tragen pflegten: auch war sein Haar in einer Weise verschnitten, daß er dadurch ein militärisches Aussehen erhielt, welches noch durch seine gerade und unverkennbar anmuthige Haltung gehoben wurde. Sein ganzes Aeußere war so ausdrucksvoll und entschieden das eines Mannes von Stande, daß, als er seine Ueberkleider abgelegt hatte, die Damen sich von ihren Sitzen erhoben, ihn zugleich mit dem Hausherrn auf's Neue bewillkommneten und die Begrüßungen erwiederten, die er ihnen wiederholt darbrachte.

Der Wirth war um einige Jahre älter, als der Reisende, und zeigte durch sein Benehmen, seinen Anzug und seine ganze Umgebung, daß er viel in der besten Gesellschaft gelebt hatte. Der Damenkreis bestand aus einem unverheiratheten Frauenzimmer in den Vierzigen und zwei Mädchen, welche kaum die Hälfte dieses Alters erreicht zu haben schienen. Die Blüthe der älteren dieser Frauenzimmer war verschwunden, obgleich die Augen und die schönen Haare ihren Zügen einen ungemein angenehmen Ausdruck gaben; auch lag in dem Benehmen der Dame eine Weichheit und Leutseligkeit, welche ihr einen Zauber verliehen, den viele jugendlichere Gesichter nicht besitzen. Die beiden Schwestern, denn als solche ließ ihre Aehnlichkeit die jüngern Frauenzimmer erkennen, prangten in dem Stolze der Jugend, und die Rosen ihrer Wangen – eine vorzugsweise Eigenthümlichkeit der Schönen in West-Chester – gaben ihren tiefblauen Augen jenen Glanz, den man so gerne beschaut, und der gewöhnlich Unschuld und innern Frieden bekundet. Das Aeußere dieser drei Mädchen zeigte viel von der weiblichen Zartheit, durch welche sich das schöne Geschlecht in dieser Gegend auszeichnet, und ihr Benehmen gab, wie das des Herrn, zu erkennen, daß sie den höhern Ständen des Lebens angehörten.

Herr Wharton, denn so hieß der Eigentümer dieser einsamen Besitzung, bot seinem Gaste ein Glas trefflichen Madeira's an, und nahm, ein zweites Glas in der Hand, wieder am Feuer Platz. Er schwieg einen Augenblick, als ob er sich mit sich selbst beriethe, wie weit seine Höflichkeit gehen dürfe; bald aber warf er einen prüfenden Blick auf den Fremden und begann mit der Frage:

»Auf wessen Gesundheit habe ich die Ehre zu trinken?«

Der Reisende hatte sich gleichfalls niedergelassen und blickte bei Herrn Whartons Anrede gerade gedankenvoll in's Feuer. Er wandte dann sein Auge langsam und mit dem Blicke gespannter Aufmerksamkeit auf seinen Wirth, und erwiederte, während ein schwaches Roth seine Züge überflog:

»Harper.«

»Herr Harper,« entgegnete der andere, mit der förmlichen Bestimmtheit jener Zeit; »ich habe die Ehre, auf Ihre Gesundheit zu trinken, und hoffe, daß Ihnen der Regen, welchem Sie ausgesetzt waren, keinen Nachtheil bringen wird.«

Herr Harper beantwortete diese Höflichkeit mit einer schweigenden Verbeugung, und versank bald wieder in das Nachsinnen, in welchem er gestört worden war, und für das der lange Ritt, welchen er an diesem Tag in Wind und Wetter gemacht hatte, als ein natürlicher Entschuldigungsgrund gelten mochte.

Die jungen Damen hatten ihre Sitze an dem Arbeitstische wieder eingenommen, während ihre Tante, Miß Jeanette Peyton, sich entfernte, um die nöthigen Vorkehrungen zu Befriedigung des Appetits ihres unerwarteten Gastes zu beaufsichtigen. Es herrschte eine kurze Stille, während welcher Herr Harper sich seiner nunmehrigen behaglichen Lage zu erfreuen schien; bald aber unterbrach sie Herr Wharton auf's Neue mit der Frage, ob vielleicht der Tabakrauch seinem Gefährten unangenehm sey, und als er eine verneinende Antwort erhielt, griff er sogleich wieder nach der Pfeife, welche er beim Eintritt des Reisenden bei Seite gelegt hatte.

Es war augenscheinlich, daß der Wirth ein Gespräch anzuknüpfen wünschte; doch zögerte er einige Male – sey es, daß er fürchtete, einen gefährlichen Boden zu betreten, oder weil er die wohl absichtliche Schweigsamkeit seines Gastes nicht stören wollte – bis er sich eine weitere Bemerkung erlaubte. Endlich ermuthigte ihn eine Bewegung von Seite Herrn Harpers, welcher seine Augen über die Gesellschaft im Zimmer gleiten ließ, fortzufahren.

»Ich finde es sehr schwer,« sagte Herr Wharton, indem er Anfangs vorsichtig die Gegenstände vermied, welche er zur Sprache bringen wollte – »mir die Sorte Tabak für meinen Abendzeitvertreib zu verschaffen, an welche ich gewöhnt bin.«

»Ich sollte denken, die Läden in Neu-York könnten den besten im Lande liefern,« erwiederte der Andere.

»Ei – freilich,« erwiederte der Wirth etwas zögernd, und erhob seine Augen zu Harpers Gesichte, ließ sie aber schnell wieder sinken, als er dem festen Blicke seines Gastes begegnete; »es mag wohl eine große Menge in der Stadt liegen, aber der Krieg hat jede, auch die unschuldigste Verbindung mit ihr zu gefährlich gemacht, als daß man wegen eines so unbedeutenden Artikels, wie der Tabak ist, eine solche zu unterhalten wagen sollte.«

Die Dose, aus welcher Herr Wharton eben seine Pfeife wieder gestopft hatte, lag offen in dem Bereich einiger Zolle von dem Ellenbogen des Fremden, der jetzt ein wenig von ihrem Inhalt nahm und ihn auf eine zwar ganz natürliche Weise, aber doch so, daß sein Gefährte dadurch in große Unruhe gerieth, auf der Zunge prüfte. Ohne sich jedoch darüber auszusprechen, daß er die Qualität vorzüglich finde, verlor er sich wieder, zur großen Beruhigung seines Wirthes, in sein früheres Nachsinnen. Herr Wharton wollte aber den Vortheil, welchen er errungen, nicht gerne aus der Hand lassen, und fuhr, indem er sich mehr als gewöhnlich zusammennahm, fort:

»Ich wünschte von ganzem Herzen, dieser unnatürliche Kampf wäre vorüber, daß wir doch wieder einmal in Friede und Liebe mit unsern Freunden und Verwandten zusammenkommen könnten.«

»Es wäre allerdings sehr zu wünschen,« sagte Harper mit Nachdruck, indem er seinen Blick wieder zu dem Gesichte seines Wirthes erhob.

»Ich höre seit der Ankunft unserer neuen Verbündeten von keinen besonders erfolgreichen Bewegungen,« sagte Herr Wharton, indem er die Asche aus seiner Pfeife klopfte, und dem Andern unter dem Vorwande, sich von seiner jüngsten Tochter eine Kohle geben, zu lassen, den Rücken kehrte.

»Es ist, glaube ich, noch nichts davon zur öffentlichen Kunde gekommen.«

»Glaubt man, daß wichtige Schritte geschehen werden?« fuhr Herr Wharton fort, der noch mit seiner Tochter beschäftigt war, aber in Erwartung einer Antwort unwillkührlich seine Verrichtung unterbrach.

»Hat man irgend Andeutungen über solche?«

»O, nichts Besonderes; aber es ist ganz natürlich, daß man von einer so gewaltigen Macht, wie die unter Rochambeau ist, irgend ein neues Unternehmen erwartet.«

Harper nickte zustimmend mit dem Kopfe, ohne etwas Weiteres auf diese Bemerkung zu entgegnen, indeß Herr Wharton, nachdem er seine Pfeife angezündet hatte, den Gegenstand wieder aufnahm.

»Sie scheinen im Süden thätiger zu seyn. Es hat das Ansehen, als ob Gates und Cornwallis dem Kriege dort ein Ende machen wollten.«

Harper's Stirne runzelte sich; ein tieferer Schatten von Schwermuth überflog sein Antlitz, und in seinem Auge leuchtete der Strahl eines vorübergehenden Feuers, welches die Tiefe seiner Gefühle verrieth. Der Blick der jüngern Schwester hatte aber kaum Zeit gehabt, diesen Ausdruck verwundernd wahrzunehmen, als er auch schon wieder verschwunden war, und der Fassung, welche die Züge des Fremden auszeichnete, wie auch jener ausdruckvollen Würde, welche augenscheinlich die Herrschaft des Geistes bezeichnet, wieder Raum gab.

Die ältere Schwester rückte einigemale auf ihrem Stuhle hin und her, ehe sie zu sprechen wagte, und begann dann in einem Tone, der nicht wenig triumphirend klang:

»General Gates ist mit dem Grafen weniger glücklich gewesen, als mit dem General Burgoyne.«

»Aber General Gates ist ein Engländer, Sara,« antwortete die jüngere Dame rasch; dann erröthete sie bis zur Stirne über ihre eigene Kühnheit, und durchwühlte hastig ihr Arbeitskörbchen, in der stillen Hoffnung, ihre Bemerkung sey unbeachtet geblieben.

Der Reisende hatte sein Auge von einer Schwester auf die andere gerichtet, als sie nach einander ihre Meinungen preisgaben, und ein fast unbemerkliches Zucken der Muskeln seines Mundes verrieth eine neue Erregung, als er die jüngere scherzend fragte:

»Darf ich mir die Frage erlauben, welche Folgerung sie aus diesem Umstande ziehen?«

Franciska erröthete noch höher, als sie so geradezu um ihre Meinung über einen Gegenstand angegangen wurde, den sie unvorsichtiger Weise in der Gegenwart eines Fremden berührt hatte. Da sie aber die Nothwendigkeit einer Antwort einsah, so erwiederte sie nach einigem Zögern nicht ohne Stottern:

»Nun – nun – mein Herr – meine Schwester und ich sind bisweilen verschiedener Meinung über die Tapferkeit der Engländer.« Ein vielsagendes Lächeln spielte um den Mund des unschuldigen Kindes, als sie schloß.

»In welcher Beziehung unterscheiden sich wohl Ihre Ansichten über diesen Gegenstand?« fuhr Harper fort, indem er ihrem lebendigen Blicke mit dem Lächeln einer fast väterlichen Zartheit entgegen kam.

»Sara glaubt, die Engländer seyen nie geschlagen worden, während ich in ihre Unüberwindlichkeit kein so großes Vertrauen setze.«

Der Reisende hörte ihr mit jener zufriedenen Nachsicht zu, mit welcher das kräftige Alter so gerne die Glut jugendlicher Unschuld betrachtet; aber, ohne etwas zu entgegnen, wandte er sich wieder gegen das Feuer und blickte eine Weile schweigend auf die glimmenden Kohlen.

Herr Wharton hatte sich vergebens bemüht, über die politischen Ansichten seines Gastes in's Klare zu kommen. Obgleich in dem Aeußern desselben nichts Zurückstoßendes lag, so forderte es doch auch nicht zur Mittheilung auf, sondern zeigte im Gegentheil eine augenfällige Zurückhaltung. Der Hausherr erhob sich daher, um den Fremden in ein anderes Zimmer zum Abendessen zu führen, ohne von ihm etwas, was irgend einen Aufschluß über seinen Charakter geben mochte, erfahren zu haben. Herr Harper bot Sara Warton den Arm, und sie traten mit einander in's Speisezimmer, während Franciska folgte, ohne zu wissen, ob sie nicht vielleicht die Gefühle des Gastes ihres Vaters verletzt habe.

Der Sturm begann außen mit aller Heftigkeit zu toben, und die Regengüsse, welche gegen die Wände des Gebäudes schlugen, weckten jenes stille Gefühl von Behaglichkeit, welches solche Töne in einem angenehmen warmen Zimmer hervorzubringen im Stande sind, als plötzlich ein lautes Pochen den treuen Schwarzen wieder an das Außenthor rief. Eine Minute später kehrte der Diener wieder zurück und theilte seinem Herrn mit, daß ein zweiter Reisender, vom Sturm überfallen, um Einlaß und um ein Obdach für die Nacht bitte.

Bei den ersten Tönen der ungeduldigen Aufforderung dieses neuen Bewerbers hatte Herr Wharton sich mit sichtlichem Mißbehagen von seinem Sitze erhoben, und während er die Blicke rasch von seinem Gaste zur Zimmerthüre gleiten ließ, schien er von dieser zweiten Störung etwas zu erwarten, was mit dem Fremden, der die erste veranlaßt hatte, in Verbindung stand. Er hatte kaum Zeit, dem Schwarzen leise den Auftrag zu geben, daß er den neuen Ankömmling hereinführen solle, als die Thüre hastig aufgerissen wurde, und der Fremde selbst ins Zimmer trat. Er hielt einen Augenblick an, als er Harpers ansichtig wurde, und wiederholte dann in mehr förmlicher Weise das Gesuch, welches er bereits dem Diener vorgetragen hatte. Herrn Wharton und seiner Familie kam dieser neue Besuch äußerst ungelegen; aber das Ungestüm des Wetters und das Ungewisse der Folgen, wenn man dem Fremden ein Obdach verweigerte, veranlasste den alten Herrn, wenn auch mit Widerwillen, der Bitte zu willfahren.

Miß Peyton ließ einige Schüsseln wieder aufstellen, und der durchnäßte Eindringling wurde eingeladen, sich die Reste des Mahles gefallen zu lassen, von welchem die übrige Gesellschaft sich eben erhoben hatte. Er legte den rauhen großen Ueberrock bei Seite, nahm sehr gefaßt den angebotenen Stuhl und machte sich ohne Umstände an die Befriedigung der Anforderungen seines Appetites, der nicht im mindesten ekel zu seyn schien. Bei jedem Bissen aber warf er einen unruhigen Blick auf Harper, welcher sein Auge spähend auf ihm ruhen ließ, und ihn dadurch in große Verlegenheit setzte. Endlich füllte sich der neue Ankömmling ein Glas mit Wein, nickte, ehe er trank, seinem Beobachter bedeutungsvoll zu und sagte nicht ohne einige Bitterkeit des Tones:

»Ich trinke auf unsere bessere Bekanntschaft, Herr! Ich glaube, es ist das erstemal, daß wir uns treffen, obgleich die Aufmerksamkeit, mit welcher Sie mich betrachten, mich das Gegentheil vermuthen läßt.«

Die Qualität des Weines schien nach seinem Geschmack zu seyn, denn als er das Glas wieder auf den Tisch stellte, schnalzte er mit den Lippen, daß es durch das ganze Zimmer tönte; dann nahm er die Flasche und hielt sie einen Augenblick schweigend gegen das Licht, um die Klarheit und das Feuer seiner Farbe zu betrachten.

»Ich denke nicht, daß wir uns früher gesehen haben, mein Herr,« erwiederte Harper mit einem leichten Anflug von Lächeln, als er die Bewegungen des Andern beobachtete; dann wandte er sich, scheinbar befriedigt vom dem Ergebniß seiner Untersuchung, zu Sara Wharton, welche neben ihm saß, und warf nachläßig die Bemerkung hin: »Sie werden ohne Zweifel Ihren gegenwärtigen Aufenthalt sehr einsam finden, nachdem Sie die Annehmlichkeiten des Stadtlebens gekostet haben.«

»Ach, sehr,« versetzte Sara rasch. »Ich wünsche mit meinem Vater, daß dieser grausenvolle Krieg zu Ende wäre, um wieder einmal zu unsern Freunden zurückkehren zu können.«

»Und Sie, Miß Franciska, sehnen Sie sich auch so sehr nach dem Frieden, wie Ihre Schwester?«

»In mancher Hinsicht gewiß,« erwiederte das Mädchen, indem sie einen furchtsamen Blick auf den Frager warf; da sie aber in seinem Gesichte demselben Ausdrucke des Wohlwollens begegnete, wie früher, so fuhr sie mit leuchtendem Antlitz und einem sprechenden sinnigen Lächeln fort: »aber nicht auf Kosten der Rechte meiner Landsleute.«

»Rechte?« wiederholte ihre Schwester ungeduldig. »Wessen Rechte können gewichtiger seyn, als die eines Souveräns? und welche Pflicht ist klarer, als der Gehorsam gegen diejenigen, welche ein natürliches Recht zu befehlen haben?«

»Gewiß, keine,« sagte Franciska mit scherzender Heiterkeit, faßte zärtlich die Hand ihrer Schwester mit der ihrigen und fügte mit einem Lächeln gegen Harper bei:

»Ich habe Ihnen bereits bemerkt, daß meine Schwester andere politische Ansichten hat, als ich. Wir haben aber einen unparteiischen Schiedsrichter in unserem Vater, welcher seine Landsleute und die Engländer liebt, und daher bei keinen von beiden Partei nimmt.«

»Ja,« sagte Herr Wharton, indem er etwas beunruhigt zuerst den einen, dann den andern seiner Gäste anblickte; »ich habe nahe Freunde in beiden Armeen und fürchte den Sieg einer jeden, weil er die Quelle eines mich näher angehenden Unglücks werden kann.«

»Ich denke, Sie werden in dieser Hinsicht wenig von den Yankees zu befürchten haben,« unterbrach ihn der an dem Tische sitzende Gast, indem er sich wieder ein Glas aus der bewunderten Flasche füllte.

»Seine Majestät mag erfahrenere Truppen haben, als der Congreß,« erwiederte der Wirth ängstlich, »aber die Amerikaner haben sie mit einem ausgezeichneten Erfolg bekämpft.«

Harper achtete nicht auf die Bemerkungen der sprechenden Personen und erhob sich mit der Bitte, daß man ihm ein Schlafgemach anweisen möchte. Ein kleiner Bursche wurde beauftragt, ihn zu seinem Zimmer zu führen, und nachdem der Reisende der ganzen Gesellschaft höflich gute Nacht gewünscht hatte, zog er sich zurück. Als die Thüre sich hinter Harper schloß, entfielen Messer und Gabel den Händen des unwillkommenen Eindringlings; – er erhob sich langsam von seinem Sitze, näherte sich mit aufmerksamem Horchen der Thüre des Zimmers, öffnete sie, schien auf die Tritte des sich Entfernenden zu lauschen und schloß sie wieder unter großem Schrecken und Staunen der Anwesenden. Dann war in einem Augenblick die rothe Perücke, welche seine schwarzen Locken verbarg, das große Pflaster, welches sein halbes Gesicht der Beobachtung entzog und der gekrümmte Rücken, der ihn als einen Fünfziger erscheinen ließ, verschwunden.

»Mein Vater! mein theurer Vater!« rief der schöne junge Mann, »und ihr, meine lieben Schwestern, meine liebe Tante! – Sehe ich euch endlich wieder?«

»Gott segne dich, mein Heinrich, mein Sohn!« rief der erstaunte, hoch entzückte Vater, während die beiden Schwestern ihn umarmten und in Thränen zerflossen.

Der treue alte Schwarze, welcher von Kindheit an in dem Hause seines Gebieters erzogen worden und, als geschehe es in höhnendem Widerspruch mit seiner niedrigen Lage, den Namen Cäsar erhalten hatte, war der einzige weitere Zeuge dieser unerwarteten Enthüllung von Herrn Whartons Sohne. Er ergriff die ausgestreckte Hand seines jungen Herrn, bedeckte sie mit heißen Küssen und entfernte sich. Der Knabe, welcher Harpern geleitet hatte, trat nicht wieder in's Zimmer, und als der Neger nach einer Weile zurückkehrte, stellte gerade der junge Capitän die Frage: »Aber wer ist dieser Harper? – Wäre er wohl im Stande, mich zu verrathen?«

»Nein – nein – nein – Massa Harry,« rief der Schwarze, indem er zuversichtlich den Kopf schüttelte; »ich haben gesehen – Massa Harper auf sein Knie – beten zu Gott – kein Mann, der beten zu Gott, sagen, daß ein guter Sohn kommen zu sehen alten Vater. – Schinder thun das – nicht Christ!«

Diese üble Meinung von den Schindern beschränkte sich nicht allein auf Meister Cäsar Thompson, wie er sich selbst nannte – oder Cäsar Wharton, unter welchem Namen er dem kleinen Kreise, welcher etwas von seinem Daseyn wußte, bekannt war. Politik und vielleicht auch die Noth hatte die amerikanischen Heerführer in der Nähe von Neu-York veranlaßt, sich zu Ermüdung des Feindes gewisser untergeordneten Agenten von sehr zweideutigem Charakter zu bedienen, welche nebenzu ihre eigenen niedrigeren Zwecke verfolgten. Es war kein Zeitpunkt, auf ermüdende Untersuchungen von Mißbräuchen irgend einer Art einzugehen, und Unterdrückung und Ungerechtigkeit waren die natürlichen Folgen des Besitzes einer militärischen Macht, welche durch keine bürgerliche Gewalt gezügelt wurde. So bildete sich denn allmählig eine Rotte, welche sich einzig damit abzugeben schien, ihren Mitbürgern den geringen Ueberschuß zeitlicher Güter, deren sie sich erfreuen mochten, unter dem Vorwande des Patriotismus und der Freiheitsliebe abzunehmen.

Gelegentlich fehlte es auch nicht, daß das kriegerische Ansehen derartige willkührliche Vertheilungen des Besitzthums erzwingen half, und ein unbedeutender militärischer Gewalthaber vermochte Handlungen der zügellosesten Raubgier und nicht selten der Mordlust – den Anschein von Gerechtigkeit zu verleihen.

Von Seite der Engländer wurde gleichfalls nichts versäumt, die Loyalität aus ihrem Schlummer zu wecken, da sich hier zu ihrer Anwendung ein so ergiebiger Boden darbot. Doch waren ihre Freibeuter regelmäßige Corps, welche in ihrem edeln Gewerbe mehr systematisch zu Werk gingen. Lange Erfahrung hatte ihre Führer die Wirksamkeit der Kräftevereinigung kennen gelehrt, und wenn anders die Sage ihrer Handlungsweise nicht Unrecht thut, so hat der Erfolg, solche Vorsicht nicht wenig gerechtfertigt. Die Corps hatten, – wie wir vermuthen, wegen ihrer bekannten Vorliebe für diese nützlichen Thiere –, den bezeichnenden Namen der ›Kühjungen‹ erhalten.

Cäsar dachte jedoch viel zu loyal, um Leute, welche in König Georg's des Dritten Dienst standen, mit den unregelmäßigen Kriegern zu verwechseln, von deren Ausschweifungen er so oft Zeuge gewesen war und gegen deren Raubsucht ihn nicht einmal seine Armuth und seine Leibeigenschaft zu schützen vermochte. Die Kühjungen erhielten daher nicht den ihnen gebührenden Antheil in seinem schwarzen Register, wenn er sagte, kein Christ, nur ein ›Schinder‹ wäre im Stande, ein zärtliches Kind zu verrathen, welches unter so großen Gefahren seinen Vater mit einem Besuche beehre.

 


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