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Als erste der Gefangenen erschien Kora, die ihren Arm um ihre Schwester Alice geschlungen hatte. Trotz der drohenden Gefahr machten die beiden Mädchen einen gefaßten Eindruck. Heyward war an ihre Seite getreten. Falkenauge stand etwas hinter ihnen. Nur Unkas fehlte. Als wieder Stille wurde, fragte einer der bejahrten Häuptlinge, die an der Seite Tamenunds saßen:
»Welcher von meinen Gefangenen ist die ›Lange Büchse‹?«
Weder Duncan noch der Kundschafter antworteten. Heyward sah sich um und erblickte dabei das finstere Gesicht Maguas. Sofort wußte er, daß die Einberufung der Versammlung ein Werk des Huronen war. Schon wollte er den Kundschafter warnen, da wurde wieder die gleiche Frage von dem alten Häuptling gestellt.
»Gebt uns Waffen!« sprach Heyward, ohne auf die Frage einzugehen.
»Was hat den weißen Mann in das Lager der Delawaren geführt?« fragte der Häuptling.
»Die Not! Ich kam, um Nahrung, Unterkunft und Freunde zu erbitten.«
»Das stimmt nicht! Die Wälder sind voll von Wild. Das Haupt eines Kriegers bedarf keines Obdaches. Die Delawaren sind die Feinde der Engländer. Geh! – Dein Mund hat gesprochen, aber dein Herz sagt nichts.«
Duncan schwieg verlegen. Die Augen aller Anwesenden, die bisher Duncan betrachtet hatten, richteten sich jetzt auf die aufrechte Gestalt des Kundschafters.
»Mein Bruder hat gesagt, eine Schlange sei in mein Lager gekrochen«, sprach der alte Häuptling zu Magua. »Wen meint Ihr damit?«
Der Hurone deutete auf den Kundschafter.
»Will ein weiser Delaware einem kläffenden Wolfe Glauben schenken?« rief Heyward, der versuchte, die Gefahr des Erkanntwerdens von dem Jäger abzuwenden. »Ein Hund lügt niemals! Wann aber hat man einen Wolf die Wahrheit sprechen hören?«
Die Augen Maguas blickten drohend. Nach einer kurzen Beratung sprach der alte Delaware zu Magua gewandt:
»Mein Bruder ist ein Lügner genannt worden! Seine Freunde sind darüber erzürnt. Sie wollen ihm zeigen, daß er die Wahrheit gesprochen hat. Gebt den Gefangenen Gewehre und laßt sie zeigen, wer der Mann ist, der die ›Lange Büchse‹ heißt.«
Die Gefangenen erhielten ihre Waffen mit dem Auftrag, nach dem Gefäß zu schießen, das etwa sechzig Schritte entfernt auf einem Baumstamm lag. Duncan lächelte innerlich über diesen ungleichen Wettkampf mit dem Kundschafter. Doch er war fest entschlossen, weiterhin die Delawaren über die Person des Kundschafters zu täuschen, um ihn vor einem ungewissen Schicksal zu bewahren. Er hob seine Büchse, zielte wiederholte Male und feuerte. Die Kugel zerfetzte wenige Zentimeter vor dem Gefäß das Holz. Ein allgemeiner Ruf des Beifalls zeigte, daß man mit dem Schuß zufrieden war. Falkenauge hatte teilnahmlos zugesehen. Da wurde er auf die Schultern geklopft und von einem Indianer gefragt:
»Kann das Blaßgesicht es besser machen?«
»Ja, Hurone!« rief der Kundschafter, ohne sich aber zum Schuß fertigzumachen. Dann nahm er ruhig sein Gewehr in die ausgestreckte rechte Hand und zielte auf Magua, der unbeweglich in der Menge stand. Dann ließ er plötzlich das Gewehr in die ausgestreckte linke Hand fallen. Durch die scheinbare Erschütterung ging der Schuß los, und die Kugel zerschmetterte das Gefäß, auf das anscheinend der Jäger gar nicht gezielt hatte.
Der Eindruck, den dieser Schuß verursachte, war bei den Huronen verschieden. Einige von ihnen zollten solcher großen Geschicklichkeit freudigen Beifall. Die meisten glaubten aber nur an einen Zufallstreffer.
»Es war ein Zufall!« riefen viele Stimmen durcheinander. »Niemand kann so schießen, ohne zu zielen.«
Diese Aussprüche erbosten den Jäger.
»Zufall!« rief Falkenauge gereizt. »Gebt mir nochmals mein Gewehr. Ich werde euch zeigen, ob das ein Zufallstreffer war. Ihr seht dort an dem Baume eine Kürbisflasche hängen, Major. Versucht in die Schale hineinzutreffen.«
Duncan betrachtete aufmerksam das Gefäß, das an einem Lederriemen an dem Aste einer kleinen Fichte hing. Die Entfernung betrug über 125 Schritt. Heyward nahm die Büchse und zielte sorgfältig. Dann gab er Feuer. Drei junge Indianer, die bei dem Knalle aufgesprungen waren, verkündeten, die Kugel stecke dicht neben dem Ziel im Baume. Die Krieger erhoben ein Freudengeschrei über diese gute Leistung.
Der Kundschafter hatte unterdessen das Zündpulver aufgeschüttet und die Büchse gespannt. Dann nahm er seinen »Wildtöter« auf, zielte kurz und feuerte. Abermals sprangen die jungen Indianer auf. Doch bald verkündeten sie, daß keine Spuren der Kugel zu sehen wären.
»Geh!« sprach der alte Häuptling. »Du bist der Wolf in der Haut eines Hundes!«
»Narren!« entgegnete Falkenauge. »Wenn ihr die Kugel eines guten Schützen aus den Wäldern finden wollt, so müßt ihr sie in und nicht außerhalb des Zieles suchen.«
Die Indianer verstanden jetzt seine Worte, da er Delawarisch gesprochen hatte. Sie rissen die Kürbisflasche von dem Ast und hielten sie jubelnd in die Höhe. Auf dem Boden der Flasche befand sich ein Loch. Die Kugel war von oben eingedrungen und hatte aufs genaueste das Ziel getroffen.
Nach dieser Probe wußten alle, wer der bessere Schütze und wer die »Lange Büchse« war. Magua trat jetzt in die Mitte der Versammlung und erhob seine Stimme.
»Der große Geist, der die Menschen schuf, färbte sie auf verschiedene Weise«, rief der Hurone aus. »Die einen sind wie schwarze Farbe und träge wie der Bär. Andere schuf er mit blassen Gesichtern und ließ sie Krämer werden. Doch sie wurden Wölfe gegen ihre Sklaven! Er gab ihnen zweierlei Zungen, damit stopften sie die Ohren der Indianer. Ihr Herz riet ihnen, sich fremde Krieger zu nehmen, um damit ihre Schlachten auszukämpfen. Ihre Schlauheit läßt sie alle Schätze der Welt erraffen. Der große Geist gab ihnen genug, doch sie wollen alles haben. So sind die Bleichgesichter!«
Nach kurzer Pause fuhr Magua fort:
»Noch andere schuf Manitu. Ihre Hautfarbe ist glänzender und röter als die Sonne! Er gab ihnen das Land, wie er es geschaffen hatte. Bedeckt mit Bäumen und Wild. Die roten Männer waren zufrieden. Sie sahen die Berge. Wenn die Biber arbeiteten, lagen sie im Schatten und sahen ihnen zu. Die Winde kühlten sie im Sommer. Im Winter hielten Felle sie warm. Wenn sie untereinander kämpften, dann nur, um sich als Männer zu erproben. Sie waren tapfer, sie waren gerecht und sie waren glücklich.«
Magua bemerkte, daß die Worte bei seinen roten Zuhörern Eindruck hinterließen, da er das Unrecht schilderte, das den Indianern zugefügt worden war.
»Wenn der große Geist seinen roten Kindern verschiedene Sprachen gab«, fuhr er fort, »so nur deshalb, damit sie alle Tiere verstehen konnten. Die einen wies er auf die Schneeberge. Die anderen nach dem Untergang der Sonne. Einige in die Länder um die großen Wasser. Seinen auserwählten Kindern gab er die sandigen Küsten des Salzsees. Kennen meine Brüder den Namen dieses Volkes?«
»Es waren die Lenapen!« riefen viele Stimmen durcheinander.
»Ja, es waren die Lenapen!« erwiderte Magua ehrfurchtsvoll. »Es waren die großen Stämme der Lenapen! Doch warum sollte ich, ein Hurone aus den Wäldern, einem weisen Volke seine eigene Geschichte erzählen? Warum es erinnern an die erlittene Schmach, an seine Größe, seine Taten, seinen Ruhm, sein Glück, seine Niederlagen, seine Toten und sein Elend? Ist keiner unter ihnen, der das alles mitangesehen hat, der weiß, daß ich die Wahrheit rede? Ich bin am Ende. Meine Zunge ist stumm! Mein Herz ist schwer!«
Nachdem der Hurone seine Rede beendet hatte, wandten sich alle Augen dem ehrwürdigen Patriarchen zu. Bis jetzt hatte er noch kein Wort gesprochen. Aufmerksam hatte Tamenund der Rede zugehört. Jetzt erhob er sich von seinem Sitz und sprach:
»Wer ruft die Kinder der Lenapen? Wer spricht von Zeiten, die vergangen sind? Warum werden die Delawaren an Dinge erinnert, die verloren sind? Dankt lieber Manitu für das, was geblieben ist!«
»Ein Hurone tat es«, sprach Magua, »ein Freund von Tamenund.«
»Ein Freund!« wiederholte der Weise. »Sind die Mingos Herren der Erde? Was führt den Huronen zu uns?«
»Gerechtigkeit! Seine Gefangenen halten sich bei seinen Brüdern auf. Er fordert sein Eigentum!«
Tamenund wandte sein Haupt gegen einen der Alten, die bei ihm saßen. Dann betrachtete er aufmerksam Magua und sprach:
»Gerechtigkeit ist das Gesetz des großen Manitu. Meine Kinder mögen dem Fremden zu essen geben. Dann Hurone, nimm was dein ist.«
Nach diesem Urteilsspruch setzte sich der Patriarch und schloß erschöpft die Augen. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als einige Krieger hinter Heyward und den Kundschafter traten und ihre Arme und Beine mit Riemen fesselten. Magua warf einen Blick des Triumphes auf die Versammlung. Dann schritt er zu Kora, um von ihr Besitz zu ergreifen. Doch Kora entwand sich seinem Zugriff, stürzte zu den Füßen Tamenunds und rief:
»Ehrwürdiger Delaware! An deine Weisheit und Macht wenden wir uns um Gnade.«
Langsam öffneten sich die Augen des alten Mannes. Dann ließ er lange seine Blicke auf Kora ruhen.
»Wer bist du?« fragte er mit matter Stimme.
»Ein Weib von dem verhaßten weißen Geschlecht. Ich will nicht mit diesem falschen Huronen gehen und sein Weib werden! Bist du nicht Tamenund, der große Vater und weise Richter dieses Volkes?«
»Ich bin Tamenund, der viele Tage erlebt hat.«
»So ist es«, sprach Kora mit fester Stimme. »Aber warum läßt du nicht auch uns Bleichgesichtern Gerechtigkeit widerfahren? Noch ist einer von deinem eigenen Volk da, den du noch nicht gehört hast. Laß ihn rufen, eh du den Huronen fortgehen läßt.«
Als Tamenund zweifelnd um sich blickte, sprach einer seiner Begleiter:
»Es ist eine Schlange – eine Rothaut im Solde der Engländer, Wir wollen ihn für die Martern behalten.«
»Laßt ihn kommen!« sprach der Weise.