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Shakespeare.
Während der Vorfälle, die der Lootse in der Zeit seiner Landung erfuhr, war die Alacrity, unter dem Befehle des ersten Beischiffsführers von der Fregatte, Master Boltrope, längs der Küste hin- und hergesegelt, um die Gelandeten, nach Erreichung ihres Zwecks, wieder einnehmen zu können. Der Wind war gegen Abend aus Nordosten nach Süd gegangen, und lange zuvor, ehe die Nachtwache begann, befahl der alte besorgte Seemann, der, wie wir wissen, im Kriegsrathe Siehe den ersten Theil, S. 122 ff. so einen entschiedenen Widerwillen geäußert hatte, wenn er seine Person der brittischen Küste anvertrauen sollte, dem Steuermanne, dicht an der Küste zu halten. Sagte ihm das Senkblei, es sey nicht gerathen, zu verweilen; so ward eine andere Wendung gemacht, und auf solche Art brachte er geduldig, die Abenteuerer erwartend, seine Stunden hin.
Boltrope hatte seine Jugend als Kommendant verschiedener Kauffartheischiffe verlebt. Wie Viele seines Gleichen, hielt er den Mangel an aller feiner Sitte für den sichersten Beweis, daß man ein tüchtiger Seemann sey. Aus dem Grunde verachtete er auch die Artigkeit und den pünktlichen Dienst, die auf einem Kriegsschiffe herrschten. Seine Pflicht, auf die Vertheilung der Schiffsvorräthe nach allen ihren Zweigen zu achten, das Logbuch zu führen, das Tauwerk und die Segel täglich zu visitiren, brachten ihn so wenig mit den lustigen, jungen, sorglosen Offizieren in Berührung, daß man sagen konnte, er sey ein ganz eignes, von ihnen, den gebildeten Kameraden, verschiedenes Wesen. Wenn es sich fügte, daß er einmal aus dem gewöhnlichen Kreise heraustreten konnte, machte er es sich zum Gesetz, sich an solche von der Mannschaft anzuschließen, die in Gewohnheiten und Ansichten von ihm am Wenigsten verschieden waren.
Durch einen sonderbaren Zufall war der Kaplan der Fregatte, was den Umgang anbetraf, mit dem alten Seemann in ziemlich gleicher Lage.
Das ernste Bestreben, am Heile derer zu arbeiten, die bestimmt waren, den Tod auf dem weiten Meere zu finden, hatte ihn, einen unerfahrnen, beschränkten Geistlichen, bewogen, diese Stelle in der süßen Hoffnung anzunehmen, er möchte wohl das begünstigte Werkzeug zur Rettung von Vielen seyn, die in völliger Selbstvergessenheit dahin lebten. Unsere Erzählung und die dadurch angewiesenen Schranken erlauben uns nicht, die mancherlei Veranlassungen mitzutheilen, welche nicht blos alle seine geträumten Erfahrungen zu Nichte machten, sondern auch den armen Mann in einen Kampf mit sich selbst verwickelten, der eben so zweideutig als gefährlich war, falls er seine Ansprüche auf die dem Amte gebührenden Auszeichnungen fortwährend geltend machen wollte. Das Gefühl, er sey rückwärts gegangen, hatte den irdischen, wo nicht den geistlichen Stolz des Kapellans soweit gebracht, daß er die Gesellschaft des rohen Boltrope aufsuchte, der bei seinem Alter doch so manchmal einen Gedanken an die Ewigkeit hatte. Freilich ward er immer nach der eigenthümlichen Weise des Mannes geäußert. Vielleicht aber fanden sich Beide nicht recht an ihrem Platze. Vielleicht war sonst eine geheime Sympathie zwischen Beiden. Kurz, sie befanden sich zusammen allemal sehr wohl.
Während der Nacht, von welcher wir hier sprechen, hatte Boltrope den Kapellan eingeladen, doch mit an Bord der Alacrity zu gehn. »Da es an der Küste etwas zuzuschlagen gäbe;« setzte er in seiner groben Sprache hinzu, »so könnte der Kapellan doch etwas mit einem oder dem andern akuten Teufel zu thun haben.« Die sonderbare Einladung war vom Kapellan angenommen worden, um theils ein wenig Abwechselung in das Leben auf der Fregatte zu bringen, theils auch wohl dem innern Wunsche zu genügen, der Terra firma einmal so nahe als möglich zu seyn.
Als der Lootse und seine lärmende Mannschaft an's Land gegangen waren, blieben der Segelmeister und der Kapellan mit einem Unterbeischiffsführer und zehn oder zwölf Matrosen allein auf dem Kutter. Die ersten Stunden wurden von den würdigen Leutchen, die an der Spitze standen, in der kleinen Kajüte bei einer Kanne Grog verlebt. Das wohlschmeckende Getränk mundete um so angenehmer, da mancherlei streitige Gegenstände verhandelt wurden. Die Leser werden es sehr bedauern, daß wir jetzt gar nicht bei Laune sind, sie zu erzählen. Indessen der Wind erlaubte näher nach der Küste hinzusteuern. Der vorsichtige Hochbootsmann schob daher die Untersuchung bis zu einer andern gelegenen Zeit auf, und verpflanzte sich mit seiner Kanne gleichzeitig auf das Hinterkastell.
»Ja,« rief die honette Pechjacke, und setzte die hölzerne Kanne mit großer Selbstzufriedenheit neben sich auf's Verdeck hin, »ja, das ist Seemanns Labsal! – Wißt Ihr wohl, Pastor, daß da an Bord eines Schiffes, ich will es nicht nennen, aber es liegt drei Seemeilen im Ozean hinein und still, und hat das Marssegel, Vordertopsegel und Focksegel eingerefft, ja, daß da viel geschwazt wird, wie bei Leuten auf süßem Wasser? – Ich kann's sagen, daß ich's verstehe, wie Grog gemacht werden muß! – Zieht doch die Hißtaue vom Focksegel an, Ihr Jungens! – Der Grog wird Euern Augen Feuer geben, Pastor, daß sie nachher im Finstern wie ein Leuchtthurm glänzen. – Ihr wollt nicht trinken? Ach, dem Rum müßt Ihr keine Schande anthun! Er kommt aus englischen Magazinen!«
Ein tüchtiger Zug folgte der gehörigen Erläuterung.
»Ihr seyd fast wie unser erster Lieutnant, Pastor,« fuhr der Segelmeister fort, »der trinkt auch nichts, als, wie ich's nenne, die Elemente; das heißt, Wasser mit Luft gemischt!«
»Ja, Herr Griffith mag wohl als ein ersprießliches Exempel für das ganze Schiffsvolk aufgestellt werden!« erwiederte der Kapellan, das Gewissen mochte ihm wohl sagen, er selbst sey nicht auf dem rechten Wege geblieben.
»Ersprießliches Beispiel?« wiederholte Boltrope: »hört, laßt Euch 'n Mal dienen, würdiger Seelenhirte. Daß Ihr so eine luftige Diät ersprießlich nennt, kommt blos daher, weil ihr mit Salzwasser und Seenebel so wenig bekannt seyd! Indessen Herr Griffith ist ein tüchtiger Seemann, und wenn er nicht so viel auf Narrenspossen und Lumpereien hielte; so könnte er wohl in meinen Jahren ein recht ordentlicher Kamerad werden. Aber – seht Ihr, Pastor, jetzt hat er noch so viel Narrenspossen im Kopfe, was sie Disciplin auf den Kriegsschiffen nennen. Das versteht sich, alte Taue müssen in dünnere neue aufgedrechselt werden, und man muß hübsch nach den Hängematten sehen, oder auch 's Verdeck scheuern lassen. Aber, der und jener hole mich, Priester, wenn ich so einen Lärm – ei so haltet doch Backbord, ihr Seekälber! – wenn ich so viel Lärm machen höre, daß jeder zu derselben Zeit ein Hemd anzieht. Je, ob das nun in dieser oder in der andern Woche geschieht, zumal wenn schlecht Wetter ist! Ich bin manchmal ärgerlich, wenn ich nachsehen muß. Und ich denke, ich denke, es darf mir niemand was Böses nachsagen, es müßte denn seyn, daß ich meinen Tabak rechts kaue, statt links!«
»Ich habe selbst manchmal geglaubt, das sey ein bischen zu weit getrieben. Es ist auch für den Geist gar angreifend, besonders wenn der Körper von der Seekrankheit mitgenommen wird.«
»Ei ja, in den ersten vier Wochen, und so darum konntet ihr's gar nicht lassen, häßliche Gesichter zu schneiden. Ich weiß noch, ihr bekamt ein Donnerwetter vom Kapitain der Seesoldaten auf den Hals, weil Ihr so geschwind mit der Leichenpredigt fertig wurdet! Ihr saht einmal gar nicht aus, als ob ihr auf's Schiff gehörtet. So lange Ihr die verwünschten schwarzen, kurzen Hosen trugt, war nichts mit Euch! Wenn ich Euch so die Treppe vom Hinterdeck herauf kommen sah, dachte ich immer: Nun, wenn werden denn die Schienbeine unter dem schwarzen Mantel wegrutschen? Ein Mann sieht aus, wie der Teufel, Priester, wenn er in solchen Hosen auf dem Verdeck hinsegelt. Nun, der Schneider hat doch eingesehen, daß das nicht Seemannsart ist, und wir haben Eure Unterstützen in ein Paar lange Hosen gesteckt, daß ich manchmal Noth habe, Eure Beine von denen eines Bootsmanns zu unterscheiden.«
»Ich glaube, ich bin der Veränderung Dank schuldig, wenn würklich die Aehnlichkeit, deren Ihr erwähntet, Statt fand, als ich in der gewöhnlichen Kleidung meines Berufs ging.«
»Was ist Beruf!« entgegnete Boltrope, als er nach einem tüchtigen Zuge Athem schöpfte, »die Beine eines Mannes sind seine Beine, und der Oberkörper mag dienen, wozu er will. Ich habe gleich von Jugend auf einen Widerwillen gegen die kurzen Hosen gehabt, weil ich mir eingebildet habe, der Teufel trägt solche. Ihr wißt doch, Pastor, man hört wohl nicht leicht von Jemandem reden, ohne daß man sich gleich vorstellt, wie sein Schiff und Takelwerk beschaffen ist, und da ich mir doch eben nicht einbilden kann, daß der Satan nackend geht – Bleibt doch im Striche Ihr Jungens! Ihr kommt ja ganz aus dem Winde, verdammte Seehunde! – Also, ja wie ich sagte, da stellte ich mir immer vor, der Teufel trüge kurze Hosen und einen dreieckichten Hut. Da sind meine Lieutenants, die halten Sonntags die Musterung in dreieckigen Lampen, gerade wie die Soldatenoffiziere. Aber, seht Ihr, Pastor, lieber will ich meine Nase unter eine Nachtmütze, als so eine Lampe stecken.«
»Ich höre Ruderschlag!« rief der Kapellan, der die Vorstellung vom Vater alles Bösen viel lebendiger fand, als sie ihm die eigne Phantasie geschaffen hatte, und gern seine Schwäche durch ein anderes Gespräch bemänteln wollte. – »Ist es etwa eines unserer zurückkehrenden Boote?«
»Ei ja, ja, das wird's wohl seyn! Wenn ich's wäre, ich wäre längst landkrank geworden! Macht eine Wendung, Jungen's!«
Der Kutter gehorchte dem Steuerruder, faßte den vollen Wind und indem er erst einen Augenblick im Meere hinschoß, legte er sich dann mit dem Vorderkastell nach der Küste hin, bis er, als ein Segel nach dem andern das Gleichgewicht hielt, gänzlich still stand. Während dieses Manöver ausgeführt wurde, sahe man ein Boot aus der Finsterniß längs der Küste herauf, und als die Alacrity in Ruhe war, so nahe kommen, daß es angerufen werden konnte.
»Wer da!« donnerte Boltrope mit dem Sprachrohr, daß es, von seiner Lunge unterstützt, einen, dem Brüllen eines Ochsen nicht ungleichen Ton hervorbrachte.
»Hoha! Hoha! Wir sind's,« entgegnete eine klare Stimme, die über das Wasser stark genug herkam, um jede künstliche Unterstützung entbehrlich zu machen.
»Ah! da kommt einer von den Lieutenants! Ich kenne ihn an seinem klaren Hoha! Hoha! Pfeift einmal, Bootsmann! – Ach, da hör' ich auch Lärm am Steuerbord! Wer da?«
»Alacrity!« erwiederte eine andere Stimme, in einer andern Richtung.
»Alacrity! Da geht mein Kommando in die Pilze! Das heißt so viel, als hier kommt einer, der nun selbst kommandirt, wenn er an Bord ist! Ja, ja, 's ist Herr Griffith. Trotz dem, daß er gern Schuhschnallen und kurze Hosen trägt, bin ich doch froh, ihn aus den Händen der Engländer befreit zu sehn! – Ei, da kommen sie ja alle mit Einem Male! Da ist schon wieder ein Bursche! Der trabt, wie ein Fischerboot von der Windseite her. Wir wollen sehn, ob er schläft! Hehe, heda, Barke!«
»Flagge aufgehißt!« rief es aus dem kleinen Lichter, der dem Kutter, ohne gesehn worden zu seyn, dicht auf den Hals gekommen war.
»Flagge!« spottete Boltrope nach, und ließ verwundernd das Sprachrohr sinken. »Das ist ja ein Grobian von Lumpenboot. John Bull hätte nicht das Maul so voll genommen. Ich muß doch wissen, wer diese Sprache gegen eine Yankee's-Prise führt! – Barke! He! He!«
Dieser Zuruf ward in dem drohenden, kurzen Tone gegeben, welcher der angerufenen Mannschaft sagte, er sey ernstlich gemeint. Sie bewog die Ruderer, als sie dicht am Kutter waren, gleichzeitig anzuhalten, als fürchteten sie, es könne eine ernstlichere Mahnung auf dem Fuße folgen. Die Gestalt, welche im Hintertheil des Bootes saß, stand bei dem Zuruf auf, und sagte, als habe sie es sich überlegt, ganz ruhig:
»Nein, nein!«
»Nein, Nein und Flagge – das sind ganz verschiedene Dinge!« brummte Boltrope. »Wer ist denn der Dummkopf da unten?«
Er murmelte noch immer, höchst unzufrieden über den Mann, der nichts wußte, und so nahe kam. Endlich legte sich die Barke an, und der Lootse sprang aus dem Stern hervor auf das Verdeck der Prise.
»Ihr seyd's, Herr Lootse?« rief der Segelmeister, und hob eine Handlaterne in die Höhe, um ihm in's Gesicht zu schauen. Aber er wunderte sich nicht wenig, als er seinen stolzen, zornigen Blick gewahr ward. – »Ihr seyd's? Nun, ich hätte mehr Erfahrung bei einem Manne von Eurer Art gesucht, als daß Ihr mit solchen groben Redensarten gegen ein Kriegsfahrzeug kommen solltet. Das weiß jeder Schiffsjunge, daß wir keine Lappen von Schwalbenschwanz führen! Flagge! – Ihr hättet eine tüchtige Ladung auf die Jacke bekommen, wenn Soldaten am Bord waren!«
Der Lootse sah ihn verächtlich an, und ließ ihn stehen, um auf's Hinterdeck in den Stern mit stolzem Schweigen zu gehen, als würdige er ihn keiner Antwort. Boltrope sah ihm noch einen Augenblick halb spöttisch nach; allein das Anlegen des zuerst angerufenen Bootes, was sich als die Barke auswies, zog seine Aufmerksamkeit dahin. Barnstable hatte lange herumrudern müssen, den Kutter zu finden, und da er endlich der Meinung der Andern folgen mußte, kam er eben in keiner guten Stimmung an Bord. Oberst Howard und seine Nichte beobachteten die ganze Zeit hartnäckiges Stillschweigen. Jener war zu stolz, um zu reden, und diese wurde von dem offenbaren Unwillen des Onkels gepeinigt. Katharine freute sich wohl im Stillen, daß ihre Pläne so glücklich ausgeführt waren; aber schwieg doch gleich beiden, um den Schein zu retten. Barnstable hatte manchmal ein Wörtchen gewagt, aber keine andere Antwort erhalten, als nothwendig war, den Geliebten nicht geradezu zu beleidigen, und ihm doch durch ihr Benehmen kund zu thun, daß sie gern schweigen wollte. Als daher der Lieutnant den Damen in den Kutter hinaufgeholfen, und denselben Dienst dem Oberst Howard zu leisten gesucht hatte, der ihn indessen kalt ablehnte; war er ganz in der Laune, die auf Kriegsschiffen so gewöhnlich ist, wie bei andern Menschen, und wo sich Gelegenheit ergab, machte er ihr Luft.
»Was ist das?« rief er. »Hier legen Boote mit Damen an, und Ihr habt die Raaen aufgezogen, daß die Taue gespannt sind, wie die Fidelbogen! Laßt doch oben los, Boltrope!«
»Ja, ja!« brummte dieser. »Laß los! Da würde das Schiff in vier Wochen nicht einen Knoten haben!«
Er ging verdrüßlich zu den Matrosen, und er gute Kapellan folgte ihm.
»Ich wollte lieber,« sagte Boltrope zu diesem, »der Lieutnant wär' mit einem Ochsen im Boote zurückgekommen, als mit den Unterrökken! Der liebe Gott weiß es am Besten, was aus dem Schiffe werden mag, Pastor. Bei den vielen dreieckichten Hüten und Epauletten, und solchen kurzen Hosen, wußte man schon ohnedieß nicht, was die Fregatte für ein Ding war. Nun, jetzt kommen gar die Weiber und ihr Plunder! Nun machen sie eine Arche Noah daraus! Ich wundere mich nur, daß sie nicht in einer Kutsche mit Sechsen, oder in einem Postwagen, angefahren kommen!«
Barnstable that es wohl, daß er seiner üblen Laune Luft machen konnte, indem er rasch und lebhaft eine Menge kleiner Anordnungen in einer Art traf, die wohl zeigte, welches Gewicht er darauf legte, von welchem Geiste sie ausgingen. Indessen dauerte dies nur wenige Minuten: denn da kam Griffith im größten Fahrzeuge der Fregatte, dem Tiger, welcher den zahlreichern Theil der zur Expedition verwendeten Mannschaft an Bord hatte. Boot an Boot folgte in gleicher Art schnell nach, und Alles wurde glücklich wiederum an Bord genommen.
Die kleine Kajüte der Alacrity ward dem Oberst Howard und seinen Mündeln mit ihren Dienerinnen eingeräumt. Die Boote wurden hinter in's Schlepptau genommen, und von ihrer Bedeckung geleitet. Griffith befahl, unter Segel zu gehn, und nach dem Ozean hinzuhalten. Länger als eine halbe Stunde verfolgte der Kutter diese Bahn, und durchschnitt die glänzende Wasserfläche, die langen, glatten Wellen sanft überwältigend, als fühle er die ungewohnte Bürde, die er zu tragen genöthigt wurde. Endlich ward er unter den Wind gebracht, und blieb ruhig liegen, bis der Tag anbrach, um dann zu sehen, wo die stolze Fregatte lag, von der er demüthiger Begleiter war. Mehr als hundert funfzig Menschen waren auf den engen Raum gebannt, und das Verdeck zeigte in der Düsterheit nur ein Gemälde, wo Kopf an Kopf gereiht schien.
Die Expedition war ja glücklich von Statten gegangen, und so gestattete dies lauten Scherz. Größere Lustigkeit tönte auf den stillen Gewässern unter den kühnen Seeleuten. Die erheiternde Kanne mit Grog ging von Hand zu Hand. Dort fluchte man, und hier verwünschten die aufgeregten Matrosen den Feind. Endlich ließ der Lärm allmählig nach. Viele stiegen in den Raum, ein Plätzchen für ihre müden Gliedmaßen zu suchen; während Andere über dem Raume ein Lied sangen, wie es der Seemann gern hören mochte. Eines folgte dem Andern. Endlich aber wich der Geist, welcher die Lieder eingab, der Müdigkeit. Bald war das Verdeck mit Menschen bedeckt, die alle unter freiem Himmel eingeschlafen waren, und während der Körper auf dem harten Boden lagerte, vielleicht von ganz andern Scenen ihrer eigenen Hemisphäre träumten. Das schwarze Auge Katharinens barg sich hinter den sinkenden Lidern, und selbst Cecilie, auf der Freundinn Schulter gelehnt, schlief sanft in Unschuld und Frieden. Boltrope suchte sich ein Plätzchen im Raume unter den Matrosen, und stieß einen, der am bequemsten gelagert war, statt seiner sich hinzustrecken, mit aller der Gleichgültigkeit weg, die ihm seit der Zeit eigen geworden war, wo man ihn eben so höflich behandelt hatte. So lag Kopf an Kopf auf den Planken, Kanonen, und was sonst als Kopfkissen diente; bis Griffith und Barnstable auf dem hintern Verdeck, beide in Schweigen versunken, allein auf- und abgingen.
So lang war den jungen Männern die Morgenwache nie vorgekommen. Zorn und Stolz hatte ihnen die freie, freundliche Unterhaltung abgeschnitten, mit der sie so manches Mal die schleichenden Stunden des langen, und auch wohl verdrüßlichen Dienstes verkürzt hatten. Um das Unangenehme ihrer Lage zu vergrößern, suchten, um die Zeit, wo die ermüdeten Matrosen am festesten schliefen, Cecilie und Katharine von der engen, vollgestopften Kajüte gepeinigt, frische Luft auf dem Verdeck zu schöpfen. Sie lehnten sich an den Bordrand, und sprachen leise und abgebrochen mit einander. Eine Art innern Gefühls sagte ihnen Etwas von der peinlichen Lage, in welcher die Geliebten waren. Dies veranlaßte sie aber, jeden Blick, jeden Wink zu beachten, der als Aufmunterung des Einen auf Kosten des Andern gelten, und ihn näher zu kommen, veranlassen konnte.
Zwanzig Mal fühlte sich der ungeduldige Barnstable getrieben, die ängstliche Zurückhaltung aufzugeben und den Geliebten näher zu treten. Aber immer hielt ihn sein Gefühl, unrecht gehandelt zu haben, und die zur andern Natur gewordene Achtung ab, welche der niedere Offizier dem höhern Offizier schuldig ist. Auf der andern Seite zeigte auch Griffith nicht, daß er diese stille Nachgiebigkeit zu seinem Vortheil benutzen wolle. Er ging auf dem kleinen Hinterdeck fortwährend rascher auf und ab, als vorher, und warf gar manchen ungeduldigen Blick hinaus nach dem Theile des Himmels, wo die ersten Spuren des dämmernden Tages erwartet werden konnten. Endlich entschloß sich Katharine mit bereitwilliger Dreistigkeit, vielleicht nicht ohne geheime Neckerei, der Verlegenheit beider ein Ende zu machen. Sie redete den Geliebten ihrer Base zuerst an.
»Wie lange sind wir denn zu diesem engen Aufenthalte verurtheilt, Herr Griffith?« fragte sie. »Wahrhaftig, auf Euern Schiffen geht es so zwanglos zu, daß es wenigstens uns ganz neu ist. Wir sind daran gewöhnt, gern allein zu hausen.«
»So wie der Tag anbricht, und uns die Fregatte wahrnehmen läßt, werdet Ihr aus einem Fahrzeuge von hundert Tonnen auf eines von zwölf hundert gebracht!« erwiederte er artig. »Ist Euer Aufenthalt hier minder angenehm, als in den Mauern von St. Ruth; so vergeßt nicht, daß, wer auf dem Ozean lebt, sich's zum Verdienste anrechnet, die Genüsse des festen Landes zu verachten.«
»Zum Mindesten,« bemerkte das Mädchen mit holder Freundlichkeit, die sie erforderlichen Falls so gut anzunehmen wußte, »werden wir Alles, was uns hier geboten wird, von der Freiheit gewürzt, und von Seemanns Gastfreundschaft verschönert sehn! Mir, Cecilie, ist die Luft hier auf dem offenen Meere so erfrischend, so stärkend, als wehe sie uns aus unserm fernen Amerika entgegen.«
»Könnt Ihr auch nicht die Waffen führen, wie ein Patriot; wenigstens habt Ihr doch gleiche vaterländische Gesinnung!« rief Griffith lachend. »Diese frische Luft kommt, statt von Amerika's großen Ebenen, gerade aus Holland's Sümpfen her. – Gott sey Dank! Da kommt endlich die erste Spur vom Tage! Wenn die Strömung die Fregatte nicht zu weit nördlich geführt hat; so werden wir sie mit der Morgensonne zugleich sehn!«
Die erfreuliche Kunde zog die Blicke der schönen Mädchen nach Osten. Lange weidete sich ihr Auge an dem Schauspiele der über den Gewässern auftauchenden Sonne. Gegen Morgen hin hatte sich dickere Finsterniß über den Ozean gebreitet. Die Sterne funkelten gleich glänzenden Feuerkugeln. Jetzt zog ein blasser Streifen längs dem Horizont auf. Er wurde immer glänzender, mit jedem Augenblicke nahm er an Umfange zu. Endlich bemerkte man lange Wolkenzüge, wo vorher nur das düstere Gewölbe des Himmels auf dem dunkeln Wasser gelagert hatte. Wohl mochte man dies Licht mit einem Silberstreifen vergleichen. Bald aber färbte ihn ein rosenrother Schimmer, und schnell ging er in eine feurige Farbe über, bis endlich ein Gürtel von hellen Flammen das Wasser begränzte, und sich am Gewölke des Himmels mit dem Azurblau desselben vermischte, oder in perlenfarbigen Wölkchen verfloß, die in wunderlichen Nebelgestalten mit wechselndem Glanze um andere größere spielten.
Während das schöne Schauspiel von den Mädchen bewundert wurde, rief eine Stimme, gerade über ihnen, als käme sie vom Himmel herab:
»Ein Segel! Hohe! die Fregatte liegt gerade aus unter dem Winde!«
»Ja, ja! Du hast mit halboffenen Augen gewacht, Bursche!« rief Griffith hinauf. »Sonst hättest Du schon eher gemeldet! Schaut einmal ein wenig nördlich von Aufgang der Sonne an gerechnet und seht, ob ihr im Stande seid unsere treffliche Fregatte wahrzunehmen.«
Ein unwillkührlicher Freudenruf entschlüpfte ihren Lippen, als sie seinem Finger folgten, und zum Ersten Mal die Fregatte durch die wechselnden Farben der Morgenröthe erblickten. Die wogende äußerste Linie des ruhigen Ozeans stieg gegen die glänzenden Schranken des Himmels langsam auf und sank wieder herab. Dies konnte das Auge nicht beschäftigen, und so ruhete es begierig auf dem Bilde des allein anziehenden Schiffes. Langsam fuhr es auf den ruhigen Wellen blos mit einigen Unter- und kleinen Segeln dahin, welche es in der Richtung hielten. Aber die schlanken Masten und schweren Raaen traten in der Luft deutlich und dunkelschwarz hervor, während die kleinsten Taue des Seegelwerks von Stange zu Stange so zart und deutlich, wie in einem Gemählde hinliefen. Manchmal stieg das große Gebäude aus einer Welle hoch empor; es schien sich gegen den Himmel zu stützen, und seine Größe, sein Umfang sprang dann deutlich in die Augen. Aber bald war solcher Anblick dahin. Die Raaen neigten sich dann schnell wieder gegen die Fluthen, als wollten sie dem Schiffe in den Busen des Meeres folgen. Der Tag war vollkommen angebrochen. Keine Ferne, keine Morgenröthe vermochte mehr zu täuschen. Als die Sonne so eben in voller Pracht da stand, wurde das Schiff in allen Punkten sichtbar. Es lag ohngefähr eine halbe Stunde vom Kutter entfernt. Jede Stückpforte, jeder Mast war nun deutlich zu unterscheiden.
Beim ersten Zuruf: »Ein Segel!« war die Mannschaft der Alacrity durch die gellende Pfeife des Bootsmanns aus dem Schlafe geweckt worden. Noch weilten die bewundernden Blicke der Mädchen unverwandt auf dem schönen Schauspiel, wie der Morgen die Nacht am Himmel vor sich herjagte, als der Kutter bereits in Thätigkeit war, sich mit seiner Gefährtinn zu vereinen. Kaum einen Augenblick dauerte es, und das kleine Schiff war der Fregatte so nahe, daß die furchtsamen Mädchen darüber erschraken. Langsam strich er an der von dem Winde gesicherten Seite längs der Fregatte hin, und erlaubte die folgende Begrüßung zwischen dem Kommendanten der letztern und Griffith.
»Ich freue mich, Euch wieder zu sehen, Herr Griffith!« rief der Kapitain, der auf der Gallerie stand, und den Hut mit herzlicher Freude schwenkte. »Willkommen, Kapitain Manuel! willkommen, willkommen, ihr Kinder! Willkommen wie ein Lüftchen in der Seestille unter dem Aequator!«
Als indessen sein Auge längs dem Verdeck der Alacrity hinschaute, und auf die verlegen dastehenden Gestalten Katharinens und Ceciliens traf, überzog eine düstere Wolke des Mißvergnügens die freundlichen Züge.
»Was ist das? ihr Herren!« rief er hinab. »Die Fregatte des Congresses ist weder ein Ballsaal, noch eine Kirche, um Weiber auf dieselbe mitzubringen!«
»Ja, ja,« summte Boltrope dem Kapellan, seinem guten Freunde, ins Ohr, »nun hat der Alte seinen Besansmast gekappt, und nun wird ein Donnerwetter kommen: denn dazu braucht er soviel Zeit, wie ein Ostindienfahrer, der mit den Passatwinden ins Vorgebirge fährt, das heißt, allemal sechs Monate; wenn aber so eine Zeitlang Windstille bei ihm gewesen ist, dann könnt ihr sicher darauf rechnen, daß nun der Orcan in voller Wuth ausbricht. – Wir wollen einmal hören, was der erste Lieutenant für die Unterröckchen sagen kann?«
Die Morgenröthe konnte unmöglich so glänzen, als Griffith's zarte Wange bei des Kapitains Zuruf im ersten Augenblicke brannte. Er kämpfte mit dem Verdruß in seiner Brust. Endlich antwortete er mit bitterm Nachdrucke:
»Herr Gray wollte, daß wir diese Gefangenen mitnähmen!«
»Herr Gray?« wiederholte der Kapitain in einem Tone, der statt der vorigen Unzufriedenheit vollkommene Billigung aussprach. »Nur näher, Herr Griffith! haltet gleichen Strich mit uns! Ich will gleich die Treppe in Ordnung bringen lassen, unsere Gäste zu empfangen!«
Boltrope hörte mit Staunen, wie schnell der Kommendant seinen Ton umstimmte. Er schüttelte mehr als Ein Mal den Kopf, gleich einem Mann, der tiefer als die Nachbarn das Geheimniß durchschauete. – Nur gar zu gern hätte er es ergründet.
»Hört, Pastor,« sagte er dann, »ich denke, wenn Ihr einen Kalender in der Faust hättet, da dächtet Ihr, Ihr könntet sagen, wo morgen der Wind herkommt! Aber hol' mich der und jener, Priester, wenn sich nicht Leute geirrt haben, die besser rechnen konnten, wie Ihr! Weil – einem Süßwassermann – er ist ein guter Seemann, der Lootse, das muß ich ihm nachsagen! – kurz, weil's dem Lootsen zu sagen beliebt: ›bringt einmal die Weiber mit hin!‹ so muß das Schiff mit Weibsbildern vollgestopft werden, daß ein Mann nur den halben Tag hinbringen muß, blos Bücklinge zu machen. – Nun, denkt daran, was ich Euch sage, Pastor, die Narrensposse kostet dem Congreß eine Jahreslöhnung, wie sie ein tüchtiger Seemann bekommt, und das blos in Tau und Segelwerk, um Sonnenschirme daraus zu machen, ohne was drauf und drunter gehn wird, um die Segel einzuziehn, daß die Weiberchen nicht erschrecken, wenn der Wind geht!«
Boltrope ward jetzt kommandirt, den Kutter manöuvriren zu lassen, und der Geistliche hatte demnach keine Gelegenheit, dem rohen Gefährten seine abweichende Meinung kund zu thun. Die Liebenswürdigkeit der beiden Mädchen hatte nämlich nicht verfehlt, den vollkommensten Eindruck auf Alle im Kutter zu machen, die nicht gegen das weibliche Geschlecht ganz unempfindlich waren.
Während dessen hatte sich die Alacrity mit dem Vordertheil an die Fregatte gelegt. Die lange Reihe von Böten, die in der Nacht am Schlepptau gefolgt waren, legte an der Seite an und füllte sich. Ungezügeltes Jauchzen und lauter Jubel tobten unter den Matrosen, welche den engen Aufenthalt am Bord der Prise mit dem gewohnten Fleckchen auf der Fregatte vertauschten. Die Zügel der Mannszucht waren für einen Augenblick nachgelassen. Lautes Lachen hallte von Boot zu Boot wieder, als eines hinter dem andern hinruderte. Rohe Scherze, grobe Späße und derbe Flüche wanderten von Mund zu Mund. Doch allmählig legte sich der Lärm. Der Oberst Howard und seine Mündel wurden minder eilig und mit gehörigem Anstande übergesetzt.
Kapitain Munson hatte eine geheime Unterredung mit dem Lootsen und Griffith. Er empfing die unerwarteten Gäste mit edler Gastfreundschaft, und offen ausgesprochener Artigkeit. Zuvorkommend räumte er ihnen zwei kleine Kajüten ein, und bat sie, mit ihm selbst die Bequemlichkeit der großen in jeder Art zu theilen.