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II.

 

Jetzt erlaube ich dir, wieder Sosias zu seyn.

Dryden.

 

Wir müssen unsere beiden Abenteuerer schon ihren Weg durch das verfallene Gemäuer selbst suchen, und in den Einsturz drohenden Gewölben herumtappen lassen, um den Leser während der Zeit, wo sie dort sind, in die angenehmern Zimmer der Abtei zu versetzen, wo wir, wie er sich erinnern wird, den Kapitain Borroughcliffe in einer sehr unangenehmen Lage zurückließen.

Die Erde hatte bereits seitdem ihren Lauf um die Sonne vollendet, und ein günstiger Umstand den Kapitain frei gemacht. Wer die Sache nicht wußte, hätte nie geahnet, daß die Fourierschützen der Verdauung bei dem Manne, der jetzt an der gastfreundlichen Tafel des Obersten Howard saß, und mit so viel Gewandtheit die Kräfte seiner Kaumuskeln bei der Tafel geltend machte, vier volle Stunden verdammt gewesen seyen, am Degengefäße zu kauen. Sorglos und lächelnd saß Borroughcliffe da. Er hatte seinen gewöhnlichen Platz und spielte seine alte Rolle mit gewöhnlicher Kaltblütigkeit. Nur manchmal kam ein Lächeln zum Vorschein, und zeigte, daß das, was ihn beschäftigte, besonders spashaft seyn müsse.

Der junge Mann, welcher den Stuhl neben ihm inne hatte, trug eine dunkelblaue Matrosenjacke. Allein der weiße, feine Hemdenkragen stach gewaltig gegen das schwarze, seidene Halstuch ab, welches nachlässig um den Hals herumging. Das unbefangene Wesen desselben widersprach dem gemeinen Anzuge noch mehr; und der Leser wird gleich auf Griffith rathen. Der Gefangene achtete viel weniger auf's Essen, als sein Nachbar, und schien mehr der Mahlzeit Ehre anthun zu wollen, als daß er wirklich zulangte. Er wußte wohl, dies Letztere würde dem erröthenden Mädchen Kummer ersparen, das oben an der Tafel saß.

Das feurige Auge Katharinens ruhte, indeß sie selbst neben der sanften Alix Dunscombe saß, manchmal mit drolligem Ernst auf der steifen und geraden Gestalt des Kapitains Manuel, der ihr gegenüber sein Plätzchen hatte. Auch für Dillon war ein Stuhl da: allein natürlich stand er leer.

»Also,« nahm der Oberst ungestört und lustig das Wort in einer Art, daß man wohl sah, die Tafelfreude sey in stetem Zunehmen: »Also der Seehund ließ Euch nichts, als den Zügel kauen, der Eurer Rache Schranken setzte?«

»Ja, mein Degengefäß!« war des Kapitains Antwort. »Kameraden,« wendete er sich an die Gefangenen, »ich weiß nicht, wie Euer Congreß militairische Kühnheit belohnt. Allein wäre der brave Kerl in meiner Kompagnie, er müßte Korporal werden, ehe eine Woche verginge. Sporen zu tragen, würde ich ihm jedoch nicht anbieten: denn es scheint, als ob er sich nichts daraus machte.«

Griffith lächelte und verbeugte sich höflich, dem offenen Geständnisse des Engländers zu danken. Manuel aber erwiederte pedantisch:

»In Betracht, wie der Mann ist zugestutzt worden, hat er sich gut genug benommen. Freilich, ein regulär exercirter Soldat hätte nicht nur Gefangene gemacht, sondern die von seiner Partei auch befreit!«

»Ich verstehe, guter Kamerad;« rief Borroughcliffe lustig. »Ich verstehe! Eure Gedanken beziehen sich auf die Auswechselung! Wir wollen einschenken, und mit Erlaubniß der Damen auf baldige Ausgleichung der Rechte von beiden Parteien, den Status quo ante bellum trinken!«

»Von ganzem Herzen!« stimmte der Oberst ein. »Cecilie und Miß Katharine wird auch bei diesem Toast mitnippen. Wollt Ihr nicht, schöne Mündel? Griffith, ich nehme Euern Vorschlag an. Er giebt nicht blos Euch die Freiheit wieder, sondern wird uns auch den Vetter Dillon zurückbringen. – Dillon hatte die Sache schön eingefädelt, Borroughcliffe; das Ding war herrlich angelegt. Aber das Glück hat sich dazwischen gelegt, und es ist immer noch für mich ein undurchdringliches, unerklärliches Geheimniß, wie er, bei so wenig Lärm, und ohne zu schreien, aus der Abtei weggeführt werden konnte.«

»Ehrn Christoph versteht zu schweigen, wie ein Weltweiser, und zu reden, wie ein Advokat!« erwiederte der Recrutenoffizier. »Er muß im Collegium gelernt haben, daß man manchmal die Dinge sub silentio abmacht. Ihr lacht, Miß Plowden, zu meinem Latein? Wißt, seitdem ich ein Bewohner von dem Kloster geworden bin, ist mein Bischen Gelehrsamkeit wunderbar aufgeregt. – Ihr lacht noch mehr? Ja, ich brauchte das Wort sub silentio, weil »Schweigen« eben keine Sache ist, die den Damen Freude macht!«

Katharine achtete nicht die kleine Bosheit, welche des Kapitains Miene zeigte. Sie ließ ihren Gedanken einen Augenblick freien Lauf, und lachte endlich, daß ihr schwarzes Auge von neuem Feuer glänzte. Cecilie bewies nicht den gesetzten Ernst, womit sie sonst die ausgelassene, nicht zeitgemäße Lustigkeit ihrer Base zurecht zu weisen suchte. Griffith wunderte sich. Er sah Eine nach der Andern an, und glaubte, selbst auf den sanften Zügen von Alix ein Lächeln unterdrückt zu finden. Katharinens lustige Laune ging endlich zu Ende. Mit unendlich komischer Laune erwiederte sie dem Soldaten:

»Ich dächte, ich hätte einmal von einem Maneuver auf den Schiffen gehört, das man, »ins Schlepptau nehmen,« nennt; doch muß ich den Vetter Griffith bitten, meinen Ausdruck zu verbessern.«

»Ihr hättet ihn nicht besser wählen können!« erwiederte der junge Seemann mit einem Blick, welcher den sich Bewußten das Blut in die Wange jagte. »Nicht besser, sag' ich, und wenn Ihr die Ausdrücke der Schiffer studiert hättet.«

»Zu dem Studieren gehört am Ende weniger Nachdenken, als Ihr vielleicht glaubt. Nun aber, wird das Ins-Schlepptau-nehmen, oft so ausgeführt, wie Kapitain Borroughcliffe sagt, daß es die Mönche thäten: sub silentio

»Pardon! schöne Dame!« rief der Kapitain ihr zu. »Wir wollen gegenseitig aufheben. Ihr vergebt mir mein Latein, und ich will meinen Verdacht fortschicken.«

»Verdacht? Dies Wort muß einem Mädchen Herausforderung seyn!«

»Ein Soldat darf eine Herausforderung nie verweigern. Nun, da muß ich doch schon gerade herausreden, und wenn alle Kirchenväter mit am Tische säßen. Also, ich vermuthe, daß Miß Plowden wohl im Stande wäre, uns die Art mitzutheilen, wie Christoph Dillon fortgekommen ist.«

Katharine sagte nichts. Aber ein zweites Lachen folgte, so lebhaft und anhaltend, als das erste.

»Wie ist das?« fragte der Oberst. »Mit Eurer Erlaubniß, diese Lustigkeit finde ich sehr seltsam. Ich denke doch, meinem Vetter wird nicht zu nahe getreten worden seyn? Herr Griffith, unsere Bedingung ist, daß eine Auswechselung Statt findet, wenn beide Parteien gegenseitig gut behandelt waren.«

»Wenn Herr Dillon über kein größeres Unglück zu klagen hat, als das Miß Plowden über ihn lacht; so hat er Ursache, sich glücklich zu preisen!«

»Ich weiß es nicht. Gott verhüte, daß ich vergäß, was ich meinen Gästen schuldig bin. Allein Ihr seyd als Feinde meines Königs hereingekommen –«

»Doch nicht als Feinde des Obersten Howard?« –

»Da kenne ich keinen Unterschied, Herr Griffith! König Georg oder Oberst Howard; – Oberst Howard oder König Georg! Unsere Gefühle, unsere Schätze, unsere Schicksale sind Eins, blos mit dem mächtigen Unterschiede, den die Vorsicht zwischen Fürsten und Volk setzte. Ich wünsche kein anderes Glück, als in meiner demüthigen Ferne Wohl und Wehe mit meinem Fürsten zu theilen.«

»Durch die Unbedachtsamkeit von uns Mädchen werdet Ihr nicht darum gebracht werden!« fiel Cecilie ein, und stand auf. »Doch hier kommt Jemand, der unsere Gedanken auf einen wichtigern Gegenstand lenkt, auf unsern Putz!«

Die Höflichkeit bestimmte den Obersten, seine Bemerkungen für eine andere Zeit zu sparen. Er ehrte und liebte seine Nichte. Katharine sprang in lustiger Eile auf, und flog zu ihrer Base, welche eben einem Kammermädchen Bescheid gab. Das letztere hatte gemeldet, es sey einer der wandernden Krämer angekommen, die in entferntern Theilen des Landes den regelmäßigen Markt ersetzen. Er sollte hereingeführt werden: denn die Tafel war so weit geendet, daß sein Dasein wenig störte, wohl aber Katharinens Zweck förderte, die gern die Harmonie wieder hergestellt wissen wollte. Ohne Anstand ward er eingelassen.

Sein kleiner Kasten enthielt hauptsächlich Essenzen, kleine weibliche Geräthschaften und dergleichen. Sie wurden gleich von Katharinen lustig auf dem Tisch ausgebreitet. Diese erklärte sich zur Beschützerin des wandernden Knaben, und appellirte lachend an die Freigebigkeit der Männer zu Gunsten ihres Schützlings.

»Ihr seht, theurer Vormund,« sagte sie erst zu diesem, »der Bursche muß ganz loyal seyn. Er hat hier wohlriechende Gläschen, die alle das Wappen von zwei Herzogen aus dem königlichen Hause tragen. Ihr erlaubt doch, eine Schachtel Räucherpulver für Euch wegzustellen? Ach, ja, ich seh' es Euch schon an. Und Ihr, Kapitain Borroughcliffe, da es scheint, als wolltet Ihr in Zukunft das Englische gegen das Lateinische vergessen; so kauft Euch hier das ABC-Buch. Ei, wie ist der hübsche Junge sortirt! Du mußt St. Ruth gleich im Auge gehabt haben, als Du einpacktest. Nicht wahr, Knabe?«

»Freilich, Mylady,« entgegnete der kleine Tabuletkrämer, und machte eine absichtlich linkische Verbeugung. »Ich hatte oft von den vornehmen Frauenzimmern gehört, die in der alten Abtei wohnen, und habe einige Meilen außer meinem Striche gemacht, um ihre Kundschaft zu bekommen.«

»Und Du sollst Dich nicht getäuscht haben! Base Howard, das ist ein Angriff auf Deine Börse; ich weiß nicht, ob selbst Miß Alix in den unruhigen Zeiten einer Contribution entgehen kann. Komm, Knabe, hilf mir! Was kannst Du denn besonders empfehlen, das den Damen gefallen wird?«

Der Bursche kam näher. Er störte Alles einen Augenblick durch, und schien ganz mit seinem Vortheil beschäftigt. Endlich, ohne die Hand zurück zu ziehn, sagte er, auf etwas zeigend:

»Dies da, Mylady!«

Katharine erschrak. Sie sah ihm scharf in's Auge, und dann blickte sie unruhig Einen nach dem Andern im Zimmer an. Das Herz klopfte ihr. Cecilie hatte ihren Zweck erreicht, und darum wieder schweigend ihren Sitz eingenommen. Alix hörte nur das, was Kapitain Manuel dem Obersten von manchen militairischen Gewohnheiten sagte. Griffith schien seiner Geliebten nachzuahmen. Er schwieg gleich ihr. Nur Katharine begegnete dem forschenden Blick von Borroughcliffe, und sah, daß er sie auf's Korn nehme. An weitere Beobachtung war nicht zu denken.

»Komm, Cecilie,« rief sie nach einer Pause, »wir müssen die Geduld der Männer nicht zu sehr auf's Spiel setzen. Erst behalten wir unsern Platz inne, nachdem schon zehn Minuten lang das Tischtuch weggenommen ist, und dann bringen wir gar noch Essenzen, Nadeln und Bänder mitten unter die Maderaflaschen hinein, und – soll ich noch sagen, unter die Cigarren, Oberst?«

»So lange wir das Vergnügen haben, Miß Plowden in unserer Mitte zu sehen, gewiß nicht!«

»Komm, Mühmchen, ich sehe, der Oberst wird außerordentlich höflich, und das ist ein untrügliches Zeichen, daß ihm unsere Gesellschaft Langeweile macht.«

Cecilie stand auf und ging nach der Thüre. Katharine wandte sich an den kleinen Krämer, und sagte:

»Du kannst mit in den großen Saal kommen, Kleiner: da wollen wir Dir abkaufen, ohne daß wir unser Geheimniß vom guten Geschmack verrathen!«

»Miß Plowden hat mein ABC-Buch vergessen!« machte jetzt Borroughcliffe bemerklich, und ging nach dem Orte, wo noch Alles in Unordnung lag. »Vielleicht kann ich im Kasten des kleinen Krämers finden, was für einen etwas erwachsenen Burschen noch besser paßt!«

Cecilie sah, wie er ihm den Kasten abnahm, und setzte sich wieder. Katharine mußte nothgedrungen ihrem Beispiele folgen, obschon ihre Unruhe deutlich zu merken war.

»Komm her, Bursche, und erkläre mir, wozu jedes Stück hier gut ist!« sagte der englische Kapitain. »Das hier ist Seife, und dies ein Federmesser. Das weiß ich. Aber welchen Namen hast Du denn dafür?«

»Dafür? Das ist – Band!« versetzte der Knabe mit einer Ungeduld, die wohl auf Rechnung dessen gesetzt werden konnte, daß sein Handel unterbrochen wurde.

»Und dies heißt?«

»Dies?« wiederholte er zaudernd, Anstand nehmend, halb ungeduldig, halb stotternd. »Dies?«

»Ach, komm!« unterbrach sie Katharine. »Das ist ein kleiner unartiger Mann, der Kapitain! Drei Mädchen vor Ungeduld sterben zu lassen, alle diese Raritäten zu besitzen, und den armen Knaben mit dem Fragen nach einer Tambourinnadel zu quälen!«

»Ich sollte wohl um Verzeihung bitten, daß ich so leicht zu beantwortende Fragen aufwerfe!« entgegnete Borroughcliffe. »Allein vielleicht hat er bei der nächsten etwas mehr Mühe!«

Damit nahm er etwas in die Hand, daß es Niemand, als der Bursche sehn konnte.

»Das Ding hat einen Namen! Wie heißt es?« rief er.

»Das heißt manchmal weißes Knopfholz!«

»Willst Du vielleicht sagen: eine Lüge, weiß wie die Sonne?«

»Lüge?« rief jener etwas aufgebracht. »Wie, eine Lüge?«

»Nun, eine ganz unschuldige? – Wie nennt Ihr denn das, Miß Dunscombe?«

»Wir in unsrer Gegend nennen es ein Knöpfelholz in der Regel;« war die Antwort dieser.

»Ja, ein Knöpfelholz, ein weiß Knopfholz, das ist ein und dasselbe!« setzte der junge Krämer hinzu.

»Sieh’ einmal! Ich denke, für Dein Handwerk bist Du mit den Kunstausdrücken noch nicht genug zu Hause!« bemerkte Borroughcliffe mit Spott. »Ich habe Deines Gleichen in dem Alter noch nicht so unwissend gesehn. – Sag’ einmal, wie würdest Du denn das nennen? Und das? Und dies?«

Bei diesen Worten zog er aus den Taschen die verschiedenen Banden heraus, mittelst welchen der lange Tom seinen Gefangenen festzuhalten besorgt gewesen war.

»Das,« entgegnete rasch der Bursche, als wolle er seine Ehre retten, »ist Klafterschnure; dies da Raaband, und das sind aufgedrehte Taufäden.«

»Schön, schön! Du hast genug Kenntniß an den Tag gelegt, und mich überzeugt: Dein Handwerk verstehst Du ein Bischen, aber von diesen Artikeln weißt Du nichts. – Herr Griffith, kennt Ihr den Burschen?«

»Ich glaube wohl!« antwortete der junge Seemann, der das ganze Examen aufmerksam verfolgt hatte. – »Was für ein Abenteuer hat Euch hergebracht, Kadet Merry? Es wäre ja thöricht, noch länger hinter dem Berge zu halten!«

»Merry!« rief Cecilie Howard. »Merry! Bist Du es? Mein Vetter! Du? Du bist in die Hände Deiner Feinde gefallen? War es denn nicht genug, daß –«

Sie besann sich noch zeitig genug, den Nachsatz zu verschweigen, obschon Griffith's dankender Blick hinlänglich zeigte, daß sein Kopf denselben mit allen Ausdrücken, die seinem Herzen schmeichelten, ergänzt hatte.

»Was ist das wieder?« rief aber auch der Oberste. »Wie? Meine beiden Mündel umarmen einen Landstreicher, und ersticken einen Bettler mit Küssen? Ist das Verrätherei, Herr Griffith, oder was soll das außerordentliche Erscheinen des jungen Menschen sagen?«

»Ist's denn etwas Außerordentliches,« nahm nun auch Merry das Wort, und verzichtete auf das bisherige linkische Wesen, um mit dem gewandten, vertrauungsvollen Benehmen aufzutreten, das ihm sonst eigen war; »ist es denn außerordentlich, daß ein junger Mensch, wie ich, ohne Mutter und Schwester, etwas wagt, um die zwei weiblichen Verwandten zu besuchen, die er noch allein auf der Welt hat?«

»Warum denn die Verkleidung?« fuhr ihn der Oberst barsch an. »Wahrlich es war nicht nöthig, sich in die Wohnung des alten Georg Howard auf so abenteuerliche Weise, heimlich, einzuschleichen, obschon auch Deine zarten Jahre benutzt worden sind, Dich die Treue eines Unterthanen vergessen zu lassen. Herr Griffith – Herr Kapitain Manuel – Ihr müßt verzeihen, wenn ich meine Gefühle in meinen vier Mauern so ausspreche, daß sie Euch unangenehm seyn können. Die Sache hier verlangt runde Erklärung.«

»Die Gastfreundschaft des Obersten Howard kann nicht in Zweifel gezogen werden!« erwiederte der Kadet, »und eben so bekannt ist sein loyaler Sinn gegen Englands König!«

»Also, junger Mann! Und ich denke, das wird nicht ohne Grund gesagt!«

»Aber wäre es denn nur klug gewesen, mich den Händen eines Mannes anzuvertrauen, der am Ende glauben konnte, es sey ihm Pflicht, mich festzuhalten?«

»Das läßt sich gut hören, Kapitain Borroughcliffe!« wendete sich Howard an diesen: »und ich denke doch, der Bursche redet Wahrheit! Ja, jetzt wollt' ich, daß mein Vetter Christoph Dillon da wäre. Ich könnte da doch hören, ob es wohl als Hochverrath gedeutet werden könnte, wenn ich dem jungen Menschen unangetastet, unausgewechselt fortzugehn erlaube?«

»Fragt doch den Kadet nach dem Kaziken!« entgegnete der Werbeoffizier, der, als er Merry's Verkleidung herausgebracht hatte, wieder ruhig bei der Flasche saß. »Vielleicht ist er gar ein Abgesandter, und hat Vollmacht, zu Gunsten Sr. Hoheit Unterhandlungen anzuknüpfen!«

»Was sagst Du, Vetter?« fragte der Oberst. »Weißt Du etwas von meinem Dillon?«

Aengstlich sahen Alle auf den jungen Menschen, und waren einige Augenblicke lang Zeugen, wie sich sein sorgenloses Aeußere plötzlich mit bleichem Schrecken überzog. Endlich theilte er mit kaum vernehmbarer Stimme Dillon's Schicksal mit:

»Er ist todt!«

»Todt?« wiederholte Alles im Zimmer.

»Ja, todt!« sagte Merry nochmals, und sah, wie blaß Alle um ihn herum standen.

Ein langes, grausendes Schweigen folgte dieser Nachricht. Erst Griffith unterbrach es:

»Erkläre doch, wie kam er um? Wo liegt sein Leichnam?«

»Er ist im Sande an der Küste verscharrt!« versetzte Merry, der wohl einsah, er könne zu viel verrathen, und dann auch den Verlust des Ariel kundthun, was folglich Barnstable's Freiheit gefährden mußte.

»Im Sande an der Küste!« wiederholte Jedermann im Zimmer.

»Ja! Aber wie er starb, kann ich nicht sagen!«

»Er ist ermordet worden!« jammerte Howard, der jetzt erst wieder der Sprache mächtig war. »Hinterlistig und bübisch und niederträchtig ermordet worden!«

»Er ist nicht ermordet worden!« versetzte der Kadet mit festem Tone; »auch traf ihn der Tod nicht unter Leuten, die den Namen eines Buben oder Niederträchtigen verdienen!«

»Sagtest Du nicht, todt sey er? Im Sande an der Küste sey mein Vetter begraben worden?«

»Beides ist wahr!«

»Und Du willst nicht Aufschluß geben, wie er starb? warum er so schimpflich eingescharrt wurde?«

»Er wurde auf meinen Befehl beerdigt, und wenn etwas Schimpfliches darauf haftet; so haben dies ihm seine eignen Handlungen zuwege gebracht. Was die Art anbetrifft, wie er starb; so kann und will ich nicht sprechen.«

»Sey ruhig, Vetter!« fiel Cecilie bittend ein. »Habe Achtung für meinen Onkel, und denke, wie sehr sein Herz an Herrn Dillon hing!«

Der Oberst hatte doch seine Fassung wieder so weit gewonnen, daß er ruhiger fortsprechen konnte.

»Herr Griffith,« sagte er, »ich will nicht vorschnell handeln. Begebt Euch mit Eurem Kameraden auf Euer Zimmer. Der Sohn meines Bruders Harry steht bei mir noch soweit in Achtung, daß ich glaube, sein Ehrenwort wird ihm heilig seyn. Geht; Ihr seyd ohne Wache!«

Die beiden Gefangenen entfernten sich mit einer tiefen Verbeugung gegen die Damen und ihren Wirth. Griffith aber verweilte doch noch einen Augenblick, um zu sagen:

»Ich vertraue den Jüngling hier Eurer Güte, Eurem Herzen, und bin überzeugt, Oberst, daß Ihr es nie vergeßt, sein Blut ist mit dem eines Mädchens vermischt, das Euch das Theuerste auf Erden bleibt!«

»Genug! genug! Lieutnant!« erwiederte der Alte, und winkte ihm, abzutreten. »Für Euch, Lady's, ist hier kein Aufenthalt mehr!« sagte er zu den Frauen.

»Das Kind lass' ich nicht,« rief Katharine, »solange eine solche schreckliche Beschuldigung gegen dasselbe obwaltet. Macht mit uns, was Ihr wollt, Oberst: denn ich denke, dazu habt Ihr die Macht. Aber sein Schicksal ist das meinige.«

»Ei, ich wette, hier liegt ein Mißverständniß zum Grunde!« sprach Borroughcliffe dazwischen; und trat in die Mitte der unruhigen Gruppe. »Mit Gelassenheit und Mäßigung läßt sich, wie ich hoffe, Alles auflösen. Hört, junger Mann, Ihr habt die Waffen geführt. So jung Ihr auch seyd, wissen müßt Ihr doch, was es heißt, sich in der Gewalt seiner Feinde zu finden?«

»Das weiß ich nicht;« versetzte Merry stolz. »Ich bin zum ersten Mal Gefangener.«

»Ich meine, in Hinsicht unserer Rechte über Euer Leben und Tod?«

»Ihr könnt mich in einen Kerker werfen oder, da ich verkleidet in die Abtei gekommen bin, am Galgen aufknüpfen lassen!«

»Und in Euern Jahren ist Euch dies Geschick so gleichgültig?«

»Untersteht es Euch, Kapitain Borroughcliffe!« schrie Katharine, und schlang unwillkührlich den Arm um den Knaben, als wollte sie ihn gegen jeden Angriff schützen. »Doch Ihr würdet Euch schämen, mit kaltem Blute an so eine blutige Rache zu denken, Oberst Howard!«

»Wenn wir den Kadet examiniren könnten,« raunte der Kapitain Howarden in's Ohr, »wo die Leidenschaft, die in den Lady's spricht, nicht aufgeregt würde; so dürften wir wohl wichtige Dinge erfahren.«

»Miß Howard, und Miß Plowden,« sagte der Veteran in einer Art, die durch langen Umgang seine Mündel Achtung gelehrt hatte, »Euer junger Vetter ist in keiner Behausung von Wilden, und Ihr könnt ihn ruhig meiner Hut überlassen. Ich bedaure, daß Miß Alix solange stehen mußte, doch auf dem Sopha in Deinem Zimmer, Cecilie, wird sie sich schon erholen können!«

Cecilie und Katharine ließen sich von ihrem artigen, aber festen Vormund, an die Thüre geleiten, wo er ihnen einen tiefen Bückling mit aller der Höflichkeit machte, die ihm zweite Gewohnheit schien, wenn er etwas aufgebracht war.

»Ihr scheint Eure Gefahr zu kennen,« fing Borroughcliffe wieder an, als die Thüre sich zugethan hatte. »Ich setze also voraus, daß Ihr auch einseht, was der Dienst einem Manne in meinem Verhältniß vorschreibt.«

»Thut Eure Pflicht!« entgegnete Merry. »Ihr seyd einem Könige Verantwortung schuldig, und ich habe ein Vaterland.«

»Das habe auch ich,« fuhr der Kapitain ruhig fort, ohne sich von dem kecken Benehmen des jungen Menschen stören zu lassen, worin dieser glänzen zu wollen schien. »Indessen es steht in meiner Macht, nachsichtig, selbst mitleidig zu seyn, wenn der Vortheil des Fürsten, den Ihr nanntet, gefördert wird. – Ihr kommt nicht allein, dies Abenteuer zu bestehn?«

»Hätte ich mehr Begleiter gehabt, Kapitain Borroughcliffe würde solche Fragen, statt an mich zu thun, jetzt selbst beantworten müssen!«

»Wohl mir, daß Eure Begleitung so schwach war. Indessen der Schooner der Rebellen, der Ariel, hätte Euch wohl eine gehörige Bedeckung geben können, und ich muß annehmen, Eure Freunde sind nicht gar zu weit von hier versteckt!«

»Sein Feind ist ihm auf den Fersen, Herr Kapitain!« rapportirte der Korporal Drill, der, ohne bemerkt zu werden, eingetreten war. »Hier ist ein Bursche, der uns meldet, er sey in der alten Ruine aufgegriffen, und seiner Waaren und Kleider beraubt worden. Nach der Beschreibung muß das der Dieb seyn!«

Borroughcliffe winkte dem Burschen, der entfernt stand, vorzutreten, und dieser gehorchte mit aller Eile, welche das erlittene Unrecht bewirken konnte. Seine Erzählung war bald beendet, und lief im Wesentlichen auf Folgendes hinaus:

Er war von einem Manne, und einem (dem gegenwärtigen) Knaben, als er seinen Kram ordnete, um ihn den Damen in der Abtei vorzulegen, angepackt, und außer den Kleidungsstücken, die zur Verwandlung dienen konnten, seines Kastens beraubt worden. Der Mann hatte ihn dann in ein Gemach des alten Thurmes gesteckt, um seiner versichert zu seyn. Allein der Mann stieg oft in die Höhe, um die Gegend zu beschauen, und er benutzte die Unachtsamkeit, um zu fliehen. Er forderte nun sein Eigenthum zurück, und Strafe für diesen Angriff.

Merry hörte den schreienden, hitzigen Erzähler mit Verachtung an, und ehe der beleidigte Krämerbursche zu Ende war, hatte er sich schon der angeeigneten Kleidungsstücke entledigt, die er ihm mit Hohn zuwarf.

»Wir sind belagert, mein würdiger Freund, blokirt und umzingelt!« rief Borroughcliffe, als der Fremde schwieg. »Hier liegt ein Plan verborgen, der uns unsere Lorbeeren entreißen soll; ja, und unsere Belohnungen! Höre, Drill, sie haben es aber mit alten Soldaten zu thun, und wir wollen die Sache schon in's Klare bringen! Man möchte gern die Infanterie zu Schanden machen; Du verstehst mich. Die Dragoner haben nicht eingehauen! Geh, Drill, ich sehe, Du wirst immer klüger. Nimm den Kadet mit! Vergiß nicht, er ist von Familie. Aber verwahr’ ihn gut. Daß er ja alles bekommt, was er braucht!«

Borroughcliffe bückte sich tief, indeß Merry stolz mit dem Kopfe nickend dem Korporal folgte. Schon sah er sich für einen Märtyrer der amerikanischen Freiheit an.

»Der Bursche hat Feuer!« sagte der Kapitain. »Wenn er erst alt genug ist, einen Bart zu bekommen, wird er Haare auf den Zähnen haben! Ich freue mich, mein würdiger Freund, daß der wandernde Jude gekommen ist, um den kleinen armen Teufel aus der Verlegenheit zu ziehn. Ich mag nicht gerne mit so einem muthigen Spring-Ins-Feld zu thun haben. Ich sah es gleich auf den ersten Augenblick, daß er öfter eine Kanone angegukt, als durch ein Nadelöhr gesehn hat!«

»Aber sie haben meinen Vetter gemordet! den loyalen, gelehrten, scharfsinnigen Christoph!« klagte Howard.

»Haben sie ihn gemordet; so werden sie dafür Rechenschaft geben müssen!« beruhigte ihn der Kapitain, und setzte sich wieder mit einer Kaltblütigkeit an den Tisch, die für seine Unparteilichkeit am besten Zeugniß gab. »Erst müssen wir die Umstände wissen, ehe wir rasch einschreiten.«

Der Oberst Howard ergab sich in eine so vernünftige Ansicht, und nahm ebenfalls wieder seinen Platz ein, als der Kapitain den Krämerburschen auf's Neue examinirte.

Was er herausfragte, wollen wir zu einer andern Zeit mittheilen. Hier blos, die Neugier zu befriedigen, soviel, daß der Kapitain genug erfuhr, um überzeugt zu seyn, es sey auf einen ernsthaften Angriff gegen die Abtei angesehn; daß er aber auch genug zu wissen glaubte, um jede Gefahr abwenden zu können.


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