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Siebzehntes Kapitel

Sprecht wie sich's ziemt, Herr Secretarius:
Begegnet man uns so im Königsrathe!

König Heinrich VIII.

 

Als die Müssiggänger der Proserpina am nächsten Morgen auf dem Verdeck erschienen, stand das Schiff ungefähr eine Meile nordwärts von Capri: es war die Nacht über ziemlich scharf gegen die Nordseite des Golfes hingesteuert, und begann nun rund herum zu vieren, so daß es jetzt die entgegengesetzte Richtung verfolgte. Sobald das Morgenlicht zurückkehrte, hatte man Ausgucker auf die Masten gesendet, welche mit ihren Gläsern jeden Winkel und jede Schlucht des Golfes untersuchten, um sich zu überzeugen, ob an dieser malerischen, romantischen Küste keine Spur von dem Lugger zu entdecken wäre.

Die Ausdehnung dieses schönen Wasserbeckens ist so bedeutend, die einzelnen Gegenstände, die es umschließen, erscheinen so großartig und die Atmosphäre so rein, daß selbst die größten Schiffe in dieser Umgebung weniger als anderswo in's Auge fallen, und es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß der Irrwisch in der Nähe eines dieser Landungsplätze vor Anker gelegen und Wochen lang daselbst verweilt hätte, ohne daß die Flotte es bemerkte, wenn ihr nicht von Beobachtern an der Küste Nachrichten hierüber zugekommen wären.

Cuffe war der Letzte auf dem Verdeck; Schlag sechs Uhr erschien er auf dem Quarterdeck, wo er von den Anwesenden mit entblößtem Haupte begrüßt wurde. Er schaute sich um und wandte sich dann an Griffin, welcher für heute der wachhabende Offizier war.

»Ich sehe zwei Schiffe den Golf herabkommen, Mr. Griffin,« begann er; »vermuthlich noch keine Signale, Sir?«

»Gewiß nicht, Sir, sonst wären sie schon gemeldet worden. Die Fregatte muß die Terpsichore sein, und die Schaluppe erkenne ich an ihren neuen Bramsegeln – es ist die Ringeltaube. Die Fregatte rühmt sich, Kapitän Cuffe, der erste Schnellsegler innerhalb der Meerengen zu sein!«

»Ich will eine Monatsgage darauf wetten, der Few-Folly stellt sich mit ihr in eine Bolinie und macht seine zehn Knoten, bis sie ihrer neun zuwege bringt. Wenn ihm das mit der Proserpina gelingt, so wird's ihm mit Mistreß Terpsichore wenigstens auch nicht schwer werden. – Doch da kommt ein Signal von der Fregatte, Mr. Griffin; ein Hexenmeister zwar würde es kaum lesen können, so verkehrt haben sie ihren Gaul aufgezäumt. Nun, Quartiermeister – sagt einmal, was es ist.«

»Die Nummer der Terpsichore, Sir; auch das andere Schiff hat so eben die der Ringeltaube aufgesteckt.«

»So laßt auch unsere Ziffer sehen und stellt einen tüchtigen Ausgucker auf; unser Freund wird uns wohl sogleich noch etwas Anderes zu sagen haben.«

In wenigen Minuten gab die Terpsichore den Wunsch zu erkennen, mit der Proserpina eine Unterredung zu pflegen, worauf Cuffe sein großes Marssegel füllte und scharf in den Wind halte.

Eine Stunde später waren sich die drei Schiffe bis auf Anrufweite nahe gekommen, und jetzt setzten die beiden jüngeren Kommandanten ihre Langboote aus und kamen an Bord der Proserpina, um sich daselbst zu melden. Roller folgte in dem ersten Kutter, welchen die Fregatte eingenommen hatte.

Der Terpsichore hatte Sir Frederick Dashwood, einen jungen, munteren Baronet, zum Kommandanten; derselbe hatte das thätige Leben des Seemannes dem Müssiggange und sechstausend Pfund jährlicher Renten vorgezogen, und war dafür durch ein rasches Avancement belohnt worden, das ihm in dem jugendlichen Alter von zweiundzwanzig Jahren das Kommando einer schnellsegelnden Fregatte verliehen hatte.

Die Ringeltaube stand unter einem älteren Kommandanten, Namens Lyon. Dieser Mann zählte gerade sechzig Jahre; er hatte sich durch lange, eifrige Dienste bis zu seinem jetzigen Posten emporgearbeitet, und verdankte seine letzte Beförderung und das gegenwärtige Kommando dem zufälligen Umstande, daß er in der Schlacht am Kape St. Vincent erster Lieutenant gewesen war.

Beide Offiziere erschienen gleichzeitig auf dem Quarterdeck der Proserpina, wo sie von dem Kapitän und sämmtlichen versammelten Offizieren gebührendermaßen empfangen wurden.

»Guten Morgen, Cuffe,« begann Dashwood, dem Andern die Fingerspitzen darreichend, sobald der ceremonielle Theil des Empfanges vorüber war, wobei er Alles, was er auf dem Verdeck bemerkte, mit halb bewunderndem und halb kritisirendem Blicke musterte. »Wozu hat uns nur Nelson an diesem schönen Morgen hierhergeschickt und – ei! – seit wann habt Ihr denn diese messingenen Verzierungen an Eurem Gangspill?«

»Erst seit gestern, Sir Frederick; ein bischen übriges Geld – das ist Alles.«

»Hat Nelson sie schon gesehen? Ich glaube kaum – man sagt, er sei seit neuerer Zeit im Punkte der Zierrathen so wild wie ein Araber. Nebenbei gesagt, Cuffe – was ist das nur gestern Nachmittag für ein ungeschickter Streich gewesen!«

»Es war eine schlimme Geschichte, und als einer von den alten Agamemnons wollte ich einen ganzen Jahresrang darum geben, wenn sie gar nicht stattgefunden hätte.«

»Einen Jahresrang! das ist viel auf einmal! Ein Jahr würde mich ja wieder zurück und hart neben unseren alten Lyon hier zu Boden setzen. Ich wurde ja vor nicht ganz drei Jahren erst Lieutenant und könnte nicht einmal sechs Monate abgeben. Aber ihr alten Agamemnons macht von eurem kleinen Nel ein Wesen, als ob er ein hübsches Mädchen wäre; ist's nicht so, Lyon?«

»Es mag wohl sein, Sir Frederick,« erwiederte Lyon; »wenn Ihr aber am 14. Februar 1797 beim Kape St. Vincent als erster Lieutenant auf einem Zweidecker gedient hättet, würdet Ihr ebensoviel auf ihn gehalten haben. Damals waren wir im Ganzen blos fünfzehn Segel – d. h. Linienschiffe – der Wind wehte –«

»Ei, bleibt mir mit Eurer Schlacht vom Leibe, Lyon; ich habe das Alles wenigstens schon siebzehnmal gehört!«

»Nun, und wenn Ihr's auch so oft gehört habt, Sir Frederick,« versetzte Lyon – ein Schotte von Geburt – »so kommt auf jedes Lebensjahr blos ein Mal, wenn Ihr nämlich Eure Ammenzeit abrechnet. Wir sind aber nicht hierhergekommen, um Kapitän Cuffe über diese Einzelnheiten aufzuklären, sondern vielmehr auf ausdrücklichen Befehl des Contreadmirals – des kleinen Nell, wie Ihr ihn vermutlich getauft habt, Sir Frederick Dashwood?«

»Nein, nein – ihr alten Knaben vom Agamemnon habt ihm diesen Namen gegeben.«

»Ihr werdet mich gütigst entschuldigen, Sir,« unterbrach ihn Lyon in etwas schulmeisterlichem Tone, »aber mich habt Ihr ihn nie anders als ›Mylord‹ nennen gehört, seit Seine Majestät – Gott mög' Sie segnen! – außergnädigst geruht haben, ihn zum Range eines Peers zu erheben – nichts als ›Mylord‹ und der ›Contreadmiral‹, denn der Schiffsrang behält selbst auf einem Throne noch seine besonderen Privilegien. Glaubt Ihr nicht auch, Kapitän Cuffe, daß unser Lord, seit er zum Herzog von Bronte ernannt wurde, auch zu dem Titel ›Euer Gnaden‹ berechtigt ist? – Alle schottischen Herzoge werden also genannt, und ich sehe keinen Grund, warum der Contreadmiral dieses Recht nicht ebensogut als der Beste von ihnen genießen sollte.«

»Das dürft Ihr kecklich ihm allein überlassen,« gab Cuffe lachend zur Antwort: »Nell wird sich schon für sich selber umsehen, wie er's auch für den König thut. Doch sind die Herren vermuthlich nicht blos einer Spazierfahrt halber hieher gekommen – habe ich irgend eine Meldung zu vernehmen?«

»Ich bitte um Verzeihung, Kapitän Cuffe; ich habe wahrhaftig meinen Auftrag vergessen,« gab Dashwood zur Antwort. »Hier sind Ordres für Euch; wir Beide sind befehligt, Eure Weisungen zu erwarten. Der Lieutenant, der mir das Packet überbrachte, sagte, es würde einen Spion zu verhören und einen Lugger einzufangen geben. Hat man Euch nichts von der Sache gemeldet, Lyon?«

»Nein, Sir Frederick; ich selbst bin nicht neugierig, und so höre ich nur selten, was auf der Flotte vorgeht. Meine Ordre lautet, mich mit meinem Schiff bei Kapitän Cuffe zur Dienstleistung zu melden, was ich hiermit zu thun die Ehre habe.«

»Nun, ihr Herren, hier sind weitere Instructionen für euch. Zuerst ein Befehl, über Raoul Yvard, französischen Bürger, der Spionerie beschuldigt, und Ithuel Bolt, Matrosen u. s. w., der Desertion angeklagt, ein Kriegsgericht niederzusetzen, bestehend aus Kapitän Richard Cuffe von der Proserpina, als Präsidenten, und aus Kapitän Sir Frederick Dashwood, Baronet, von der Terpsichore u. s. w., u. s. w.; ferner Lyon, Winchester und Spriggs, Eurem ersten Lieutenant, Sir Frederick, als Mitgliedern. Hier ist Alles in Ordnung, ihr Herren, und da sind eure betreffenden Ordres.«

»Mein Gott, an so Etwas hab' ich nicht gedacht!« rief Lyon, der gegen diesen Theil des Offiziersdienstes großen Widerwillen hegte. »Ich hätte eher geglaubt, es handle sich um eine Parforcejagd auf einen Franzmann, zu welchem Zwecke der Contreadmiral, oder Mylord, oder Seine Gnaden – welchen Titel man ihm nun beilegen möge – für passend erachtet hätte, die drei besten Schnellsegler der Flotte zusammenzubringen.«

»Ich wollte, wir hätten blos letztern Auftrag, Kapitän Lyon; so aber liegt uns die unerfreuliche Pflicht ob, einen Spion und einen Deserteur zu verhören und zu richten. Ihr werdet wieder auf eure Schiffe zurückkehren, Gentlemen, und uns nach einem Ankerplatze folgen. – Ich habe im Sinn, an der Küste von Capri einen einzigen Anker auszuwerfen, wo wir während der Windstille liegen bleiben und unsere Kriegsgerichte abhalten können. Bei beiden Betheiligten ist der Fall ziemlich klar, und wird uns also nicht lange aufhalten; wir können während der Zeit Ausgucker auf die Höhen stellen und Meer und Küste beobachten lassen. Bis dahin müssen wir scharf d'rauf lossegeln, um die Brise nicht zu verlieren. Ihr werdet so lange das Signal zu dem Kriegsgericht abwarten.«

Mit dieser Weisung verfügten sich die beiden Kommandanten auf ihre Boote, und die Proserpina füllte ihre Segel aufs Neue. Die drei Schiffe steuerten so rasch als möglich nach ihrem Bestimmungsorte: mit dem Schlage zwei Uhr gingen sie vor der Stadt oder dem Dorfe auf der Insel Capri vor Anker. Zehn Minuten später feuerte die Proserpina eine Kanone ab und zog die Flagge auf, welche die Niedersetzung eines Kriegsgerichts bedeutet.

Wir haben zwar nicht für nöthig gehalten, die näheren Details, wie sie das Gesetz für die bevorstehende Untersuchung verlangte, ausführlich aufzuzählen; gleichwohl wird sich der Leser denken, daß auch in dieser Beziehung nichts unterlassen wurde, indem die Raschheit des Verfahrens, theilweise zwar ein charakteristisches Merkmal von der Entschlossenheit des Admirals – ihren Grund hauptsächlich in dem Wunsche fand, die Anklagen gegen die Delinquenten als ein Mittel zu benützen, des eigentlichen Helden unserer Erzählung – des Irrwisches – habhaft zu werden.

Während eine mißverstandene, um nicht zu sagen abgeschmackte Philanthropie so manche alte Grundsätze umstößt, und unter anderen Ketzereien auch die Lehre predigt: »der Zweck der Strafe sei die Besserung des Verbrechers« – spricht sich eine durch die älteste Erfahrung bestätigte Wahrheit dahin aus, daß Nichts die Gerechtigkeit so furchtbar und darum auch so wirksam mache, als die Geschwindigkeit und Sicherheit ihrer Vollstreckung. Werden alle Erfordernisse beobachtet, so muß die rascheste Ausübung ihrer Functionen auch am wirksamsten zum Schutze der Gesellschaft beitragen, und diesem Endzwecke verdanken ja doch alle menschlichen Bestimmungen solcher Art ihre Entstehung.

So gehört es denn auch zu den großen Verdiensten der vielfach mißkannten englischen Gesetzgebung, daß sie nur selten dem Mörder oder Betrüger als Maske dienen wird, sondern, einmal in Gang gebracht, den Uebelthäter mit einer Sicherheit und Energie zur Sühne seiner Verbrechen zwingt, die bei der Gesammtheit auch gewiß den Eindruck zurücklassen, welchen Strafen überhaupt hervorzubringen bestimmt sind. Daß die Amerikaner wohl gethan haben, sich selbst von vielen ihrer anererbten Gesetze und Gebräuche loszumachen – ist ebenso gewiß, als daß jedes Zeitalter seine besonderen Interessen zu vertreten hat, da die Prinzipien heute vielleicht von Umständen beherrscht werden, welche mit denen einer früheren Zeit im Widerspruche stehen: gleichwohl wäre es gut, wenn man sich erinnerte, daß, wenn auch Veränderungen dem Geiste ebenso nöthig sind, als dem Körper die Uebung seiner Kraft – dennoch gewisse ewige Wahrheiten, gewisse Prinzipien des Rechts und der Klugheit vorhanden sind, denen man sich niemals ungestraft entschlagen darf.

Die Mitglieder des Kriegsgerichts versammelten sich in der Kajüte der Proserpina unter Beobachtung all' der Förmlichkeiten und äußeren Gebräuche, welche nothwendig sind, um einem Gerichte das nöthige Ansehen zu sichern. Die Offiziere erschienen in voller Uniform; der Eid wurde mit Feierlichkeit geleistet, die Tafel war mit Geschmack hergerichtet, und ein feierlicher, würdevoller Ernst war bei allen Vorkehrungen vorherrschend. Doch ließ man nur kurze Zeit ungenützt verstreichen, und der Offizier, welchem das Amt des Lord-Prevôt zugetheilt war, erhielt den Befehl, seine Gefangenen vorzuführen.

Im nämlichen Moment wurden Raoul Yvard und Ithuel Bolt in die Kajüte gebracht; Beide waren übrigens von verschiedenen Seiten des Schiffes gekommen und hatten keinen Augenblick mit einander verkehren dürfen.

Als die Gefangenen eingetreten waren, wurden sie dem Gerichtspersonale vorgeführt und ihnen die Anklagepunkte vorgelesen. Raoul hatte seine Bekanntschaft mit der englischen Sprache bereits zugegeben, und so bedurfte man also keines beeidigten Dolmetschers, so daß das Gerichtsverfahren seinen gewöhnlichen Gang nehmen konnte.

Da man den Franzmann zuerst vernehmen wollte, und Ithuel hierbei vielleicht als Zeuge erforderlich sein mochte, so wurde der Letztere wieder abgeführt, indem ein Kriegsgericht niemals gestattet, daß ein Zeuge die Angaben des andern vernehme. Hiefür hat man freilich in neuerer Zeit darin einen sinnreichen Ersatz gefunden, daß man bei Prozessen, deren Länge einen solchen Kunstgriff gestattet, Alles, was vorgeht, von Tag zu Tag in den Journalen bekannt macht.

»Wir wollen zuvörderst zu der Beeidigung des Signor Andrea Barrofaldi schreiten,« begann der Untersuchungsrichter, sobald die Präliminarien vorüber waren. »Hier ist eine katholische Bibel, Sir, und ich will Euch den Eid italienisch vorsprechen, wenn Ihr zuvor die Güte haben wollt, mich als Dolmetscher in Pflicht zu nehmen.«

Dieß geschah, und sofort wurde dem Vicestatthalter in aller Form der Eid abgenommen. Dann kamen einige Fragen an den Zeugen über Stand, Vaterland u. s. w., worauf man zu den wesentlicheren Punkten des Verhörs überging.

»Signor Vicestatthalter, ist Euch der Gefangene von Person bekannt?« fragte der Untersuchungsrichter.

» Si; ich hatte die Ehre, ihn in meinem Wohnhause auf der Insel Elba zu empfangen.«

»Unter welchem Namen und unter was für Umständen wurde er Euch bekannt, Signore?«

»Ei – er nannte sich Sir Smees, Capitano in Diensten des Königs von England.«

»Was für ein Schiff behauptete er zu befehligen?«

»Den Ving-y-Ving – einen Lugger, hinter welchem ich seitdem mit gutem Grunde den Feu-Follet, einen Kaper unter französischer Flagge, vermuthe. Monsieur war so gütig, unserer Stadt Porto Ferrajo in der Eigenschaft des Sir Smees zwei Besuche abzustatten.«

»Und Ihr wißt nunmehr, daß dieser hier Raoul Yvard, der erwähnte französische Kapersmann ist?«

»Wie? – wissen? – Ich weiß blos, daß man sagt, dieser sei der Signore Yvard, und der Ving-y-Ving sei der Feu-Follet.«

»›Man sagt‹ – ist nicht genügend, Signor Barrofaldi. Könnt Ihr es nicht vermöge Eurer eigenen Bekanntschaft behaupten?«

»Nein, Signore.«

Das Gerichtszimmer wurde sofort geräumt. Sobald es wieder eröffnet wurde, schickte man nach Vito Viti; derselbe wurde darauf beeidigt, wobei seine Aufmerksamkeit besonders auf das an dem Rücken des Buches angebrachte Kreuz gerichtet war.

»Habt Ihr den Gefangenen vor der heutigen Veranlassung jemals gesehen, Signor Vito Viti?« begann der Untersuchungsrichter, nachdem die einleitenden Fragen gestellt waren.

»Oefter, Signore, als ich mich gerne erinnern mag. Ich glaube kaum, daß zwei achtbare Magistratspersonen jemals ärger betrogen wurden, als der Vicestatthalter und meine Wenigkeit! Ja, Signori, selbst der Weise kann zuweilen einem neugeborenen Kinde ähnlich werden, wenn sich ein Nebel um seinen Verstand lagert.«

»Erzählt dem Gerichte die näheren Umstände, unter denen dieß geschah, Signor Podesta.«

»Nun, Signori, das Factum war etwa folgendes: Andrea Barrofaldi ist, wie ihr wißt, Vicestatthalter der Stadt Porto Ferrajo, und ich bin deren unwürdiger Podesta. Natürlich ist es unsere Pflicht, uns um Alles zu bekümmern, was das öffentliche Wohl betrifft, besonders aber um die Geschäfte und Absichten der Fremden, welche auf unserer Insel anlangen. So mag es denn drei Wochen oder etwas drüber sein, als ein Lugger oder eine Felucke gesehen wurde –«

»Welches von beiden war es – Lugger oder Felucke?« fragte der Richter, die Feder in der Hand, um die Antwort augenblicklich niederzuschreiben.

»Beides, Signore; eine Felucke und ein Lugger.«

»Ah, es waren also zwei: eine Felucke und ein Lugger.«

»Nein, Signore, sondern die Felucke war ein Lugger. Auch Tommaso Tonti wollte mich in diesem Punkte hinter's Licht führen, aber ich bin nicht umsonst so lange Jahre Podesta in einem Seehafen gewesen. Nein, Signori, es gibt alle möglichen Arten von Felucken – Schiff-Felucken, Brigg-Felucken und Lugger-Felucken.«

Als diese Antwort den Mitgliedern des Gerichts übersetzt wurde, entstand ein Lächeln an der Tafel, und Raoul Yvard brach in förmliches Lachen aus.

»Nun, Signor Podesta,« fuhr der Untersuchungsrichter fort, »der Gefangene kam also in einem Lugger nach Porto Ferrajo?«

»So sagt man, Signore. Ich sah ihn nicht wirklich am Bord des Schiffes: aber er behauptete, der Kommandant eines gewissen in Diensten des Königs von England stehenden Schiffes, mit Namen Ving-y-Ving, zu sein, und sagte, er selbst heiße Smees – si – il – Capitano oder Sir Smees.«

»Behauptete? – Wißt Ihr nicht gewiß, daß jener Lugger der Feu-Follet, ein berüchtigter französischer Kaper – war?«

»Jetzt weiß ich wohl, daß man das sagt, Signori; aber der Vicestatthalter und ich hielten ihn für den Ving-y-Ving.«

»Und wißt Ihr nicht – von Euch selbst nämlich, mein' ich – daß der Gefangene wirklich Raoul Yvard ist?«

» Corpo di Bacco! Wie sollte ich denn so Etwas wissen, Signor Giudeca-avvocato! Giudeca-avvocato ist nämlich gar nicht italienisch, und würde noch am ehesten »Judenadvokat« bedeuten.
D. U.
« rief Vito Viti, der den Titel des Verhörenden ( judge-advocate – Untersuchungsrichter) wörtlich übersetzte, so daß eine Art von Schiffs-Felucke daraus wurde – »woher sollte ich so etwas wissen! Ich pflege nie Gemeinschaft mit Kapern, wenn sie nicht anders nach unserer Insel kommen und sich den Titel ›Sir Smees‹ beilegen.«

Der Untersuchungsrichter und die Mitglieder des Kriegsgerichts sahen sich ernsthaft an. Keiner zweifelte im Geringsten, daß der Gefangene wirklich Raoul Yvard war; aber man mußte dieß erst gesetzlich beweisen, ehe man ihn verurtheilen konnte.

Cuffe wurde nun befragt, ob der Gefangene seine Identität nicht zugestanden habe; aber Keiner konnte behaupten, daß er dieß ausdrücklich gethan hätte, wenn auch seine Worte es so ziemlich errathen ließen. – Mit einem Worte, die Justiz befand sich so ziemlich in dem, bei ehrlicher Amtsübung keineswegs ungewöhnlichen Dilemma: daß sie nämlich nicht im Stande war, ein Factum zu beweisen, dessen Richtigkeit Niemand bezweifelte.

Endlich erinnerte sich Cuffe Ghita's und Ithuels; er schrieb ihre Namen auf ein Stückchen Papier, das er dem Untersuchungsrichter zuschob. Letzterer nickte mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß er die Meinung des Präsidenten verstehe: dann verkündete er dem Gefangenen, daß ihm erlaubt sei, Gegenfragen an den Zeugen zu richten, wenn er dieß für wünschenswerth halte.

Raoul erkannte seine Lage vollkommen. Er war zwar keineswegs in der gewöhnlichen Absicht eines Spions in den Golf von Neapel eingedrungen, sah aber dennoch wohl ein, wie sehr er sich selbst compromittirt hatte, und konnte sich leicht denken, wie bereitwillig seine Feinde ihn in's Verderben stürzen würden, sobald sie die gesetzlichen Mittel dazu finden könnten. Ebenso begriff er die Verlegenheit, worin sich seine Feinde aus Mangel an Beweisen versetzt sahen, und so beschloß er, diesen Umstand so gut als möglich zu seinem Vortheile zu nützen.

Bis auf diesen Augenblick war ihm der Gedanke, seine eigene Identität abzuleugnen, noch nicht in den Sinn gekommen; als er jetzt aber, wie er glaubte, eine Thür zur Flucht offen sah, war es nicht mehr als natürlich, daß er sich diesen Umstand zu Nutze zu machen suchte. So wandte er sich also an den Podesta, indem er seine Fragen gleichfalls englisch stellte, um sie, gleich der ganzen bisherigen Untersuchung, denselben Proceß der Verdolmetschung durchmachen zu lassen.

»Ihr sagt, Signor Podesta, Ihr habet mich in der Stadt Porto Ferrajo und auf der Insel Elba gesehen?«

» Si – in welcher Stadt ich die Ehre habe, eine der höchsten Stellen zu bekleiden.«

»Ihr sagt, ich habe mich für den Kommandanten eines in Diensten des Königs von England stehenden Schiffes – einer Felucke mit Namen Ving and Ving – ausgegeben?«

» Si – Ving-y-Ving – für den Kommandant jener Fellucke.«

»Ich meinte, Ihr hättet gesagt, Mr. Podesta,« fiel Lyon ein, »das Fahrzeug, sei ein Lugger gewesen?«

»Ein Felucken-Lugger, Signor Capitano – nicht mehr, noch weniger als das, auf meine Ehre.«

»Und alle diese angesehenen Offiziere wissen doch wohl,« bemerkte Raoul ironisch, »daß ein Felucken-Lugger und ein Lugger, wie der Feu-Follet einer sein soll – zwei sehr verschiedene Dinge sind. Zudem, Signore, habt Ihr mich wohl niemals sagen hören, daß ich ein Franzose sei!«

» Non – so einfältig seid Ihr nicht gewesen, dieß einem Manne einzugestehen, dem schon der Name der Franzosen so verhaßt ist. Cospetto! Wenn alle Unterthanen meines Großherzogs seine Feinde ebensosehr verabscheuten wie ich – er wäre wahrlich der mächtigste Fürst in ganz Italien!«

»Ohne Zweifel, Signore; und jetzt erlaubt mir zu fragen, ob Ihr für jene Felucke einen andern Namen, als den des Ving and Ving von mir gehört habt? Hab' ich sie jemals Feu-Follet genannt?«

» Non – immer nur Ving-y-Ving, niemals anders; aber –«

»Ich bitte um Verzeihung, Signore; habt aber nur die Güte, meine Fragen zu beantworten. Ich nannte die Felucke den Ving and Ving; mich selbst aber den Kapitän Smeet – ist dem nicht so?«

» Si – Ving-y-Ving und Capitano Smees – Sir Smees, einen Signore aus einer berühmten Familie dieses Namens, wenn ich mich recht erinnere.«

Raoul lächelte, denn er wußte recht gut, daß diese Behauptung vornehmlich aus der Selbsttäuschung der beiden Italiener selbst hervorging, da das Wenige, was er über diesen Punkt gesprochen, mehr durch ihre Andeutungen, als durch seine eigene Absicht weiter ausgesponnen worden war. Doch hielt er nicht für klug, dem Podesta zu widersprechen, der bis jetzt nichts bezeugt hatte, was ihn selbst zum Verbrecher stempeln konnte.

»Wenn ein junger Mann die Eitelkeit besitzt, für adelig gelten zu wollen,« gab Raoul ruhig zur Antwort, »so mag dieß allerdings beweisen, daß er ein Thor – nicht aber, daß er ein Spion ist. Ihr hörtet mich, wie Ihr sagt, mich selbst niemals für einen Franzosen ausgeben; im Gegentheil, habt Ihr nicht von mir vernommen, daß ich aus Guernsey gebürtig sei?«

» Si – der Signore sagte, die Familie der Smees stamme von jener Insel – wie der Vicestatthalter sie nennt; ich für meinen Theil gestehe, daß ich noch nie von einer solchen Insel gehört habe. Da ist Sicilia, Sardegna, Elba, Caprea, Ischia, Irlanda, Inghilterra England., Scozia Schottland., Malta, Capraya, Pianosa, Gorgona und Amerika, mit einigen weiteren im Osten; von einer Insel Guernsey habe ich aber noch niemals etwas vernommen! Si, Signore; wir auf unserer Insel Elba sind einfache – und ich hoffe, bescheidene Leute; aber nichtsdestoweniger wissen wir doch auch etwas von der übrigen Welt. Wenn Ihr aber solche Dinge scharfsinnig abgehandelt hören wollt, dann werdet Ihr wohl thun, den Vicestatthalter auf eine halbe Stunde hereinzurufen, und ihn zu bitten, daß er Euch die Schleußen seiner Gelehrsamkeit öffne. San Antonio! – ich glaube kaum, daß Italien seines Gleichen hat – besonders was die Inseln betrifft!«

»Gut,« fuhr Raoul fort; »und jetzt sagt diesen Offizieren, Signor Podesta, ob Ihr bei Eurem Eide behaupten könnt, daß ich mit jener Felucke, Ving and Ving genannt, überhaupt nur etwas zu schaffen hatte.«

»Nein, Signore – höchstens nach Eurer eigenen Aussage. Ihr trugt dieselbe englische Uniform wie diese Offiziere hier, und sagtet, Ihr seiet der Kommandant des Ving-y-Ving. Da wir gerade von Inseln sprechen, Signori – ich habe vorhin Palmavola und Ponza vergessen; an beiden kamen wir während unserer Reise von Elba auf diesem Schiffe vorüber.«

»Gut – wenn sich's um einen Eid handelt, ist's immer gut, genau zu sein. Somit, Signor Podesta, stellt sich als Resultat Eurer Zeugenaussage heraus, daß Ihr nicht wißt, ob jene Felucke, deren Ihr erwähnt, der Feu-Follet gewesen, ebensowenig, ob ich überhaupt ein Franzose, und noch viel weniger, ob ich Raoul Yvard sei; ferner bezeugt Ihr, daß ich Euch gesagt habe, ich sei aus Guernsey gebürtig und heiße Jaques Smeet – ist's nicht so?«

» Si – Ihr sagtet, Euer Name sei Giac Smees, sagtet aber nicht, Ihr seiet Raoul Yvard. Aber, Signore, ich sah Euch Eure Kanonen auf die Boote dieser Fregatte abfeuern, während die französische Flagge von Eurem Schifft wehte, und das ist doch, so viel wir zu Porto Ferrajo von diesen Dingen verstehen, das Zeichen eines Feindes?«

Raoul fühlte, daß dieß ein gefährlicher Schlag war; gleichwohl ermangelte derselbe noch der verknüpfenden Kettenglieder, um ein gültiges Zeugniß abzugeben.

»Aber Ihr sahet wenigstens nicht, daß ich es that? – Ihr wollt sagen, Ihr habet den Ving and Ving mit den Booten der Fregatte im Kampfe begriffen gesehen?«

» Si – das war es – Ihr sagtet mir aber, Ihr seiet der Kommandant des Bing-y-Bing.«

»Laßt uns einander verstehen,« fiel der Untersuchungsrichter ein; »ist es die Absicht des Gefangenen, in Abrede zu ziehen, daß er Franzose und ein Feind von uns ist?«

»Es ist meine Absicht, Sir, Alles, was nicht bewiesen wird, in Abrede zu ziehen.«

»Euer Accent aber – Euer Englisch – ja Euer ganzes Aeußere zeigt, daß Ihr ein Franzose seid.«

»Verzeiht mir, Sir. Es gibt heutiges Tags manche Nationen, welche französisch sprechen und doch keine Franzosen sind. Längs der ganzen nördlichen Gränze von Frankreich wird auch von Ausländern französisch gesprochen – Savoyen, Genf und Wallis, selbst die Engländer haben, außer zu Guernsey und Jersey, auch in den beiden Canada's französische Unterthanen. Ihr werdet einen Mann nicht deßhalb hängen wollen, weil sein Accent nicht der von London ist?«

»Wir möchten Euch Gerechtigkeit widerfahren lassen, Gefangener,« bemerkte Cuffe, »und Ihr sollt jeden Zweifel, der zu Euren Gunsten spricht, als Entschuldigung für Euch benützen dürfen. Doch möchte es gut sein, Euch kund zu thun, wie unser Verdacht, daß Ihr ein Franzmann und Raoul Yvard seiet – sehr stark ist, und wenn Ihr uns von dem Gegentheil überzeugen könnt, so werdet Ihr wohl thun, wenn Ihr's durch ein direktes Zeugniß beweiset.«

»Wie kann das ehrenwerthe Kriegsgericht nur erwarten, daß so Etwas geschehen sollte? Ich wurde gestern Nacht in einem Boote aufgegriffen, und werde heute Morgen eben so summarisch wie der arme Caraccioli vernommen. Gebt mir Zeit, meine Zeugen herbeizuschaffen, und ich will beweisen, wer und was ich bin.«

Raoul sprach ruhig und mit der Miene eines Mannes, der von seiner Unschuld überzeugt ist, so daß seine Worte eines leichten Eindruckes auf die Richter nicht verfehlten, wie denn eine Appellation an die unerschütterlichen Grundsätze des Rechts selten ohne Wirkung bleiben wird.

Nichtsdestoweniger konnte, besonders bei den Offizieren der Proserpina, weder über den Charakter des Luggers, noch über den des Gefangenen irgend ein Zweifel mehr obwalten, und unter solchen Umständen das Gericht auch nicht wohl geneigt sein, einen Feind, der ihnen so Vieles zu Leid gethan hatte, entschlüpfen zu lassen. Seine Appellation machte sie blos vorsichtiger und entschlossener, sich selbst vor jeder Klage über rechtswidriges Verfahren zu decken.

»Habt Ihr dem Zeugen noch weitere Fragen vorzulegen, Gefangener?« fragte der Präsident des Gerichtes.

»Für jetzt keine, Sir. Wenn's den Herren gefällig ist, wollen wir weiter fortfahren.«

»Man rufe Ithuel Bolt,« befahl der Untersuchungsrichter, indem er den Namen des neuen Zeugen aus einer vor ihm liegenden Liste ablas.

Raoul fuhr zusammen; denn der Gedanke, daß der Amerikaner in solcher Eigenschaft vorgeführt werden könnte, war ihm noch nicht in den Sinn gekommen.

Eine Minute nachher erschien Ithuel, wurde beeidigt, und nahm seinen Platz an dem unteren Ende der Tafel ein.

»Euer Name ist Ithuel Bolt?« fragte der Untersuchungsrichter, seine Feder parat haltend, um die Antwort aufzuzeichnen.

»So sagen sie hier am Bord,« gab der Zeuge ruhig zur Antwort, »obwohl ich meines Theils auf eine solche Frage keine Antwort zu ertheilen habe.«

»Läugnet Ihr etwa Euren Namen, Sir?«

»Ich läugne Nichts – brauche aber auch Nichts zu sagen, und habe mit diesem Verhör und dem ganzen Schiffe nicht das Geringste zu schaffen.«

Raoul athmete leichter, denn um die Wahrheit zu sagen, hatte er kein großes Vertrauen in Ithuels Standhaftigkeit oder Uneigennützigkeit, und fürchtete, er möchte durch das Versprechen eigenen Pardons gegen ihn erkauft sein.

»Ihr werdet Euch erinnern, daß Ihr einen Eid geleistet habt, und wegen Widerspenstigkeit oder Verschweigens einer Antwort bestraft werden könnt.«

»Ich habe einige allgemeine Begriffe vom Recht,« gab Ithuel zur Antwort, und fuhr dabei mit der Hand über seinen Zopf, um sich zu überzeugen, daß er in Ordnung war, »denn in Ameriky legen wir uns Alle ein wenig auf dieses Studium. Ich selbst advocirte einige Mal als junger Mann, doch nur vor einem Friedensrichter. – Wir hielten gewöhnlich darauf, daß ein Zeuge nicht gegen sich selbst zu sprechen nöthig habe.«

»So geschieht es also blos, um Euch nicht selbst zu beschuldigen, daß Ihr so unbestimmte Antworten ertheilt?«

»Ich muß die Beantwortung dieser Frage ablehnen,« antwortete Ithuel mit würdevoller Miene.

»Zeuge, ist Euch die Person dieses Gefangenen bekannt?«

»Auch hierauf muß ich die Antwort schuldig bleiben.«

»Wißt Ihr überhaupt Etwas von einem gewissen Raoul Yvard?«

»Und was ist's, wenn dieß etwa der Fall wäre? Ich bin ein geborener Amerikaner, und habe das Recht, in fremden Ländern Bekanntschaften anzuknüpfen, so oft ich dieß meinem Vortheil oder meinem Gefühl angemessen finde.«

»Habt Ihr niemals an Bord von Seiner Majestät Schiffen gedient?«

»Welcher Majestät? – Es gibt, so viel ich weiß, in Ameriky keine andere Majestät, als die Majestät des Himmels.«

»Vergeßt nicht, daß Eure Antworten alle aufgezeichnet werden, und bei irgend einer Gelegenheit gegen Euch sprechen könnten.«

»Gesetzlich nicht: ein Zeuge darf nicht zu Antworten veranlaßt werden, die gegen ihn selber sprechen.«

»Allerdings nicht dazu veranlaßt werden; doch kann er's auch aus freien Stücken thun

»Dann ist es Pflicht des Gerichts, ihn zur Vorsicht zu ermahnen: ich habe das oft und zu wiederholten Malen in Ameriky gehört.«

»Habt Ihr jemals ein Schiff mit Namen › Feu-Follet oder Irrwisch‹ gesehen?«

»Wie soll nur ein Seemann alle die Schiffe herzählen können, denen er auf dem weiten Oceane begegnet?«

»Habt Ihr jemals unter der französischen Flagge gedient?«

»Ich lehne es durchaus ab, in meine Privatangelegenheiten einzugehen. Ich bin frei, und also steht's mir auch frei, wem ich dienen will.«

»Es ist zwecklos, diesem Zeugen noch fernere Fragen vorzulegen,« bemerkte Cuffe ruhig. »Der Mann ist auf diesem Schiffe wohl bekannt, und sein eigenes Verhör wird höchst wahrscheinlich alsbald stattfinden, so wie das jetzige zu Ende ist.«

Der Untersuchungsrichter gab seine Zustimmung, und Ithuel erhielt die Erlaubniß, sich zu entfernen, indem man seine Halsstarrigkeit mit jener Gleichgültigkeit behandelte, welche der Mächtige dem Schwachen gegenüber in der Regel an den Tag legt.

Gleichwohl war noch immer kein gesetzlicher Beweis zur Ueberführung des Gefangenen vorhanden. Niemand zweifelte an seiner Schuld, und es lagen die dringendsten Gründe – nur keine unumstößliche Gewißheit – zu dem Verdachte vor, daß er den Lugger kommandirte, der vor Kurzem gegen die Boote desselben Schiffes gefochten hatte, auf welchem jetzt das Kriegsgericht versammelt war. Aber Vermuthungen waren trotz dem Allen kein klarer Beweis, wie das Gesetz ihn forderte, und Caraccioli's neuliche Hinrichtung hatte so viel zu sprechen gegeben, daß Niemand so leicht ein Verdammungsmittel ausgesprochen hätte, ohne sich genügend darüber rechtfertigen zu können. Die Sachen standen in der That höchst bedenklich, und der Gerichtshof ließ das Zimmer abermals zum Zwecke einer Berathung räumen.

In der geheimen Verhandlung, welche jetzt folgte, faßte Cuffe alle einzelnen Umstände – die Art, wie Raoul erkannt worden, nebst der Wahrscheinlichkeit – ja sogar moralischen Gewißheit seiner Schuld auf's Neue zusammen. Zu gleicher Zeit mußte er aber auch gestehen, daß er keinen direkten Beweis dafür besitze, ob der Lugger, auf den er Jagd gemacht, überhaupt ein Franzose, und noch weniger, ob er der Feu-Follet gewesen. Er hatte zwar eine französische Flagge geführt; doch war auch vorher die englische Flagge bei ihm bemerkt worden, und die Proserpina hatte dasselbe gethan. Der Lugger hatte allerdings unter der dreifarbigen Flagge gefochten, was als ein starker Beweis gegen ihn gelten konnte: doch war die Sache auch hiedurch noch immer nicht erwiesen, denn die Umstände konnten eine Täuschung selbst bis auf den letzten Moment rechtfertigen, und er gab zu, daß die Fregatte gegen die Stadt-Batterien zum Schein unter derselben Flagge gefeuert hatte.

Man mußte sich gestehen, daß die Sache höchst verwickelt sei, und trotzdem, daß keiner der Richter an Raouls Identität zweifelte, fürchteten doch Alle, daß man zu einem Aufschube der Untersuchung genöthigt sein würde, da es an den gehörigen Beweisen fehlte, um in der Sache sogleich zu entscheiden, und dadurch zugleich, wie man hoffte, ein Mittel zu gewinnen, sich in Besitz des Luggers zu setzen.

Sobald Cuffe diese Punkte alle reiflich besprochen und die Mitglieder des Gerichts zu seiner eigenen Ansicht über den wahren Stand der Sache gebracht hatte, gab er eine weitere Andeutung, wie er noch immer den gewünschten Beweis herzustellen hoffe. Nachdem man einige Minuten über diesen Punkt Berathung gepflogen, wurden die Thüren abermals geöffnet, und das Gericht erklärte seine Sitzung wieder für öffentlich, wie zuvor.

»Ein junges Frauenzimmer, das unter dem Namen Ghita bekannt ist, soll zunächst herbeigebracht werden,« begann der Untersuchungsrichter, seine Notizen zu Rathe ziehend.

Raoul erschrak, und ein Schatten tiefer Bestürzung zog über sein Gesicht; doch bald war er wieder gefaßt und scheinbar unerschüttert.

Ghita war mit ihrem Oheim aus dem Staatszimmer der Kajüte entfernt und in das untere Stockwerk geführt worden, um die jedesmaligen Gerichtsverhandlungen vollkommen geheim zu halten: so dauerte es also mehrere Minuten, bis sie aufgefordert werden konnte.

Als diese Zwischenzeit vorüber war, ging die Thüre auf, und das Mädchen trat in's Zimmer. Sie warf einen Blick zärtlicher Bekümmerniß auf Raoul: doch die Neuheit ihrer Lage und das Furchtbare eines Eidschwurs, der für ein Wesen von so zarter Gewissenhaftigkeit und von so gar keiner Erfahrung doppelt ergreifend sein mußte – lenkte ihre Aufmerksamkeit bald ausschließlich auf die Scene, welche sie unmittelbar vor Augen hatte.

Der Untersuchungsrichter erklärte ihr das Wesen des Eides, den man von ihr verlangte, und ließ ihn dann in seine Hände ablegen.

Wäre Ghita weniger überrascht gewesen, oder hätte sie auch nur im Geringsten die Folgen vorhersehen können, so würde keine menschliche Macht sie bewogen haben, sich zu dem Eidschwure herzugeben. Doch von all' der Gefahr wußte sie nichts, und so unterwarf sie sich geduldig dem gestellten Ansinnen, küßte voll Andacht das Kreuz, und wollte sogar niederknieen, während sie die feierliche Betheurung nachsprach.

Für den Gefangenen war dieß ein höchst peinlicher Anblick, da er die Folgen deutlich vor Augen hatte. Doch so tief war seine Ehrfurcht vor Ghita's Herzensreinheit und frommem Wesen, daß er weder durch einen Blick noch durch eine Geberde versuchen mochte, jene heilige Wahrheitsliebe, welche, wie er wohl wußte, die eigentliche Grundlage ihres Charakters bildete – zu erschüttern.

So legte sie also ihren Eid ab, ohne daß irgend Etwas vorgefallen wäre, das ihre Gefühle beunruhigt oder ihr einen Begriff davon gegeben hätte, was wohl das traurige Resultat dieser Handlung sein würde.


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