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Neuntes Kapitel

In glüh'nder Mittagssonne hebt sich matt
Die spiegelglatte See; erstorben sind
Die Winde, die sie kaum in Schaum verkehrten.
Schwer rollt das Schiff dahin, die Segel flaggen
Unthätig an den Masten: Todtenstille
Herrscht rings, der schwächste Laut,
Der kleinste Gegenstand erregt die Neugier.

Richardson.

 

So endete der Verweis, den Kapitän Cuffe eigentlich hatte ertheilen wollen – wie so viele andere, bei denen sein Verstand und seine Gutmüthigkeit zuletzt immer wieder obgesiegt hatten. Der Hofmeister erhielt Befehl, unter anderen Gästen auch für Mr. Griffin ein Gedecke bereit zu halten; dann folgte der Kommandant der Fregatte seinem Lieutenant auf das Verdeck.

Hier fand er alle Offiziere des Schiffs versammelt, wie sie eben mit sehnsüchtigen Blicken nach dem Irrwisch hinüberschauten und sein graziöses Aeußere bewunderten, während er, blos von den beiden obenerwähnten Segeln geschaukelt, fast völlig unthätig auf der spiegelglatten See vor ihnen lag.

»Der Bursche ist wie ein Grashüpfer gebaut!« brummte Mr. Strand, der Bootsmann, der auf einer Reservestange des Mittelverdecks stand und über die Hängemattentücher nach dem Lugger hinüberschaute: »noch nie habe ich einen Tagdieb vor Augen gehabt, der so verdammt verführerisch ausgesehen hätte!«

Diese Bemerkung war eigentlich mehr Selbstgespräch, denn genau genommen, war Strand nicht berechtigt, die Quarterdecksoffiziere bei solchen Veranlassungen anzureden, obwohl mehrere derselben ganz nahe bei ihm standen; und um seine Untergebenen mit seinen Ideen zu erleuchten, dazu war er doch offenbar ein zu hoch gestellter Mann. Doch Kapitän Cuffe kam eben in diesem Augenblicke gegen die Fallreepstreppe, um sich selbst einmal nach dem Feinde umzusehen, und hörte, was gesprochen worden.

»Er gleicht eher einem Ausdemgrashüpfer, Strand,« bemerkte der Kapitän, denn er konnte ohne Anmaßung oder Erniedrigung ganz nach Belieben mit Jedem reden. »Wäre er im Hafen geblieben, dann hätten wir ihn im Gras getroffen und ihn tüchtig durchgeschottet!«

»Nun, Euer Gnaden, so wie's jetzt ist, können wir ihn auch einmal englisch durch britten, und das wird wohl ebenso natürlich sein und nicht weniger ausrichten, als wenn wir ihn auf schottisch bearbeiteten,« antwortete Strand, der als ein Londoner Stadtkind gegen alle anderen Provinzen des Reichs ein gewisses Gefühl des Hochmuths nährte, und dem das Wort ›durchschotten‹ in diesem Sinne wie griechisch klang, obwohl er recht gut wußte, was es zu bedeuten hat, wenn man einen Schotten an ein Tau knüpft – »wir werden allem Anschein nach den ganzen Morgen über Windstille haben und unsere Boote sind in der besten Ordnung; unsern jungen Herren wird gewiß nichts angenehmer sein, als eine kleine Ruderfahrt darin anzustellen.«

Strand war jetzt ein ergrauter Seemann, und diente nun schon mit Kapitän Cuffe seit der Zeit, da dieser noch als Midshipman auf dem Mars kommandirt hatte, wo der jetzige Bootsmann der Erste gewesen war. Er kannte besser als jeder andere auf der Proserpina den Schnitt von seines Kapitäns Klüver D. h. der Charakter seines Vorgesetzten.
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, und seine Andeutungen waren oft erfolgreicher, als die des ersten Lieutenants und der übrigen Offiziere.

Auch dießmal drehte sich sein Vorgesetzter um und schaute ihm aufmerksam in's Gesicht, wie wenn er von dem Winke, den ihm der Andere so indirekt vor Augen gelegt, betroffen worden wäre. Diese Bewegung blieb nicht unbeachtet; Winchester gab ein geheimes Zeichen, und die ganze Mannschaft brach in drei herzhafte ›Cheers‹ aus, wobei Strand, sobald er die Idee auffaßte, den Anfang machte.

Dieß war die einzige Art, wie die Mannschaft auf einem Kriegsschiffe dem Kommandirenden ihre Wünsche ausdrücken konnte, und ein Hurrah anzustimmen, war in der Marine jederzeit erlaubt, wenn die Mannschaft dadurch ihren Muth an den Tag legen wollte. – Cuffe ging mit nachdenklicher Miene weiter und verfügte sich abermals in seine Kajüte hinab; bald darauf kam ein Diener mit der Meldung auf das Verdeck, der Kapitän wünsche den ersten Lieutenant zu sprechen.

»Diese Bootsunternehmung am hellen Tage will mir nur halb gefallen, Winchester,« bemerkte der Kapitän und bedeutete dem Andern durch einen Wink, sich einen Stuhl zu nehmen. »Die geringste Ungeschicklichkeit kann Alles verderben, und dann wette ich zehn gegen eins, das Schiff muß wieder ein volles Jahr mit halber Bemannung segeln, bis man endlich soweit kommt, daß man von Kohlenschiffen und neutralen Fahrzeugen Matrosen pressen muß.«

»Wir hoffen aber, Sir, wenn die Proserpina einmal etwas unternimmt, soll von keiner Ungeschicklichkeit die Rede sein. Ein englisches Kriegsschiff wird unter zehn Fällen immer neunmal gewinnen, wenn es in seinen Booten einen kühnen Angriff gegen ein solches Raubschiff beginnt. Dieser Lugger ist überdieß so nieder, daß man, um auf sein Verdeck zu gelangen, recht gut von einem Kutter aus hinübersteigen kann, und dann könnt Ihr Euch ja ohne Zweifel denken, Sir, was Engländer in einem solchen Falle thun werden.«

»Ja, Winchester, wenn Ihr erst einmal auf seinem Deck seid, dann zweifle ich freilich keinen Augenblick an der Eroberung; aber eben dieses Verdeck zu ersteigen, möchte vielleicht nicht so leicht sein, als Ihr Euch einbildet. Von allen Seemanövern ist das Aussenden von Booten für einen Kapitän gewiß das unangenehmste. Selbst mitgehen kann er nicht, und wenn dann Etwas unglücklich ausfällt, so wird er sich's nimmermehr verzeihen. Etwas ganz Anderes ist es bei einem Kampfe, wo Jeder gleichen Antheil hat und Gut und Bös auf Alle vertheilt wird.«

»Ganz richtig, Kapitän Cuffe; und doch ist dieß die einzige Möglichkeit, die wir Lieutenants vor uns haben, um auch außer der gewöhnlichen Carriere ein bischen vorwärts zu kommen. Ich habe mir sagen lassen, Sir, auch Ihr seid dadurch zum Kommando der Fregatte gelangt, daß Ihr im Anfange des Kriegs einige Küstenfahrer abschnittet.«

»Da seid Ihr allerdings recht berichtet, und eine verteufelt gefährliche Geschichte war's überdieß. Das Glück rettete uns allein, und das war Alles. Hätte eine der verdammten Kanonaden nur noch einmal gefeuert, so wäre Alles verloren gewesen; denn, zieht ihr nur ein klein wenig den Kürzeren, so geht's euch wie dem Wild bei einem batteau.« Kapitän Cuffe wollte eigentlich sagen – battue Treibjagen.
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; da er aber alle fremden Sprachen verachtete, so durfte man auch darauf zählen, daß er sie gewiß recht ungeschickt anwendete, wenn er sich ja einmal dazu herabließ, zu einem ausländischen, wenn auch noch so üblichen Ausdrucke seine Zuflucht zu nehmen. »Dieser Raoul Yvard versteht sich, wie ein wahrer, eingefleischter Teufel auf all' diese Enterersgeschichten, und soll letzten Winter bei einer solchen Affaire einem Quartiermeistersmate auf dem Theseus den Kopf mit einem Streiche abgeschlagen haben, als er jenem Schiffe eine schon gewonnene Prise wieder abjagte – es war vor dem Hafen von Alicante, wie Ihr vielleicht selbst wissen werdet.«

»Ich wette, der Quartiermeistersmate war ein recht dünnhalsiger Bursche, der besser zu Haus geblieben wäre, um den Mädchen, die aus der Kirche gehen, seine Kratzfüße vorzumachen. Ich möchte doch sehen, ob dieser Raoul Yvard oder jeder andere Franzmann, wer er auch sein mag, meinen Kopf ebenfalls mit einem Streiche wegputzte!«

»Nun, Winchester, um Euch die Wahrheit zu gestehen – ich möchte es nicht. Ihr seid ein recht braver Premier, und das ist ein Amt, wo Einer gewöhnlich seinen ganzen Kopf zur Hand haben muß, und ich bin keineswegs gewiß, ob Ihr noch einen übrig habt. Es sollte mich doch wundern, wenn man in jenem Hafen dort nicht eine Felucke oder so etwas, das größer als ein Boot wäre, zu miethen bekäme, womit wir diesem Burschen einen Streich spielen und unsern Zweck ebensogut erreichen könnten, wie wenn wir als leibhaftige Bulldoggen in unsern offenen Booten auf ihn losgingen.«

»Darüber ist gar kein Zweifel, Sir; Griffin sagt, es liege ein ganzes Dutzend Felucken im Hafen, von denen sich keine nur einen Schritt weit herauswage, seit man diesen Burschen da draußen kenne. Wenn nun einer von diesen längs der Küste hinzuschlüpfen suchte, so würde er vielleicht für den Lugger als Lockspeise dienen, und dann könnte man ihn herrlich einfangen.«

»Ich denke, jetzt hab' ich's, Winchester – merkt nur auf. Man hat uns noch nicht mit der Stadt verkehren sehen, und zum Glück haben wir den ganzen Morgen die französische Flagge wehen lassen. Unser Gallion ist überdieß der Küste zugewendet, und so können wir in wenigen Minuten so weit ostwärts treiben, daß der Lugger da, wo er jetzt liegt, unsern Rumpf, vielleicht auch die Obersegel nicht mehr sehen kann. Sobald dieß geschehen ist, setzt Ihr mit vierzig Halbpiken an's Land. Ihr nehmt dann eine Felucke, verlaßt den Hafen, und stehlt Euch so nahe als möglich längs der Klippen hin, wie wenn Ihr uns nicht recht trautet. Zu gehöriger Zeit werden wir in unsern Booten auf Euch Jagd machen; Ihr eilt, so rasch Ihr könnt, unter den Schutz des Luggers; er kommt dann zwischen zwei Feuer, und ich stehe dafür, Ihr bekommt diesen Meister Yvard am Ende doch noch gefangen.«

Winchester war ganz entzückt über diesen Plan, und noch waren keine fünf Minuten verflossen, als die Leute schon den Befehl erhielten, sich für die Expedition zu rüsten. Jetzt ward nur noch wegen der weiteren Anordnungen Berathungen gepflogen, und sobald die Fregatte dem Lugger durch das Vorgebirge verdeckt war, wurden die Boote der Verabredung gemäß abgeschickt.

Eine halbe Stunde später, als sich die Proserpina nach vollzogener Vierung dem Punkte näherte, wo der Lugger wieder sichtbar werden mußte, kehrten die Boote zurück und wurden alsbald eingenommen. Im nächsten Augenblicke standen sich die beiden Schiffe wieder gegenüber, und Alles schien sich an deren Borde noch in statu quo zu befinden.

Soweit war die Kriegslist allerdings recht geschickt durchgeführt. Dazu kam noch, daß die Batterien jetzt mit zehn oder zwölf Kanonen auf die Fregatte feuerten, wobei sie sich aber sorgfältig vor dem Treffen hüteten; die Proserpina, unter französischer Flagge, erwiederte das Feuer, gebrauchte aber die noch größere Vorsicht, die Kugeln vorher erst auszuziehen.

Dieß Alles hatte Winchester mit Andrea Barrofaldi so verabredet, um Raoul Yvard glauben zu machen, der würdige Vicestatthalter halte ihn noch immer für einen Engländer, wogegen die Fregatte in offener See für ein feindliches Schiff gelte. Ein leichter Südwind, der von acht bis neun Uhr anhielt, erlaubte der Fregatte noch etwas weiter in die See hinaus zu steuern, während sie scheinbar aus dem Bereiche der Gefahr zu kommen suchte.

So lange der eben erwähnte Südwind andauerte, hielt Raoul Yvard nicht für gerathen, weder mit Halsen noch Schoten zu steuern, wie man dieß mit einem Seemannsausdrucke nennt D. h. weder Back- noch Steuerbord abzuhalten.
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. Der Irrwisch blieb unveränderlich in seiner Richtung, und wenn man an irgend einem Punkte der Küste einen Kompaß auf ihn gerichtet hätte, so würde man gefunden haben, daß sein Kurs diese ganze Zeit über nicht um einen einzigen Grad von jener Linie abwich.

Während dessen war aber auch Winchester, von derselben Brise begünstigt, mit der Divina Providenza Auf deutsch: »göttliche Vorsehung«.
D. U.
– der Felucke, die er gemiethet hatte – aus dem Hafen ausgelaufen, und hatte das Vorgebirge, anscheinend unter dem Schutze der Kanonen, die dasselbe krönten, umsegelt, so daß er Schlag zehn Uhr, gerade in dem Augenblicke, da auf dem Lugger der Mann am Steuer abgelöst wurde, Raoul und seinen Gefährten zu Gesicht kam. Auf dem Verdeck der Felucke waren nur acht bis neun Mann sichtbar, alle in die Tracht der Italiener mit Mützen und gestreiften Leinwandhemden gekleidet; fünfunddreißig Mann waren im Kielraum versteckt.

So weit blieb Alles den Wünschen Kapitän Cuffe's und seiner Gefährten günstig. Die Fregatte war ungefähr eine Meile von dem Lugger und halb so weit von der Divina Providenza entfernt; die letztere lief ganz munter in die See hinaus, und kam nach und nach in eine solche Lage, daß es für die Proserpina ganz vernünftig und natürlich erschien, wenn sie ihre Boote zur Jagd gegen dieselben abschickte, während die Art und Weise, wie sie dem Lugger allmählig näher kam, nicht wohl Mißtrauen erregen oder im Geringsten absichtlich erscheinen konnte. Auch der Wind war mittlerweile wieder so schwach geworden, daß die Ausführung des Planes nur um so leichter wurde.

Man darf wohl nicht annehmen, daß alle diese Vorgänge von Raoul Yvard und dessen Gefährten unbeachtet gelassen wurden. Der junge Mann hatte allerdings unter dem Vorwande, es sei sicherer, den Feind am hellen Tage im Gesicht zu haben, seine Abfahrt muthwillig verzögert, während er doch recht gut wußte, daß er denselben in der Dunkelheit weit leichter täuschen konnte, und es ihm in der That nur darum zu thun war, das Vergnügen, seine Ghita am Bord zu haben, länger zu genießen; auch hatte er bereits an diesem Morgen an der Seite seiner Geliebten eine köstliche Stunde in der Kajüte zugebracht. Trotz dessen entging seinem scharfen Blick auch nicht die kleinste Bewegung der beiden Fahrzeuge, und er war jeden Augenblick bereit, einer drohenden Gefahr mit Wort und That zu begegnen.

Bei Ithuel dagegen war der Fall ganz anders. Ihm war die Proserpina der giftige Fluch seines Lebens, und selbst während er sein Frühstück verzehrte – was auf der Hielung des Bugspriets geschah, um desto besser beobachten zu können – ließ er die Fregatte selten länger als eine Minute aus den Augen, wenn sie nicht gerade, wie oben bemerkt wurde, auf kurze Zeit von dem Lande verdeckt war. Niemand auf dem Lugger war im Stande, zu sagen, ob man in Porto Ferrajo den wahren Charakter des Fahrzeuges erkannt habe oder nicht: aber der von Ithuel bemerkte Umstand, daß die blauen Lichter in dem Statthaltereigebäude selbst gebrannt hatten, machte es dem Letzteren wenigstens wahrscheinlich, daß sie entdeckt sein möchten, und gebot ihm größere Vorsicht, als er sonst wohl gezeigt haben würde. Doch war immer noch kein Grund vorhanden, um hinter der Felucke Schlimmes zu vermuthen; sie segelte mit einer Zuversicht längs des Ufers hin und dem Lugger entgegen, welche recht wohl den Glauben zuließ: sie zum wenigsten sehe den Irrwisch nicht für einen Feind an.

»Diese Felucke ist dasselbe Fahrzeug, das zunächst am Landungsplatze lag,« bemerkte Raoul ruhig; er war nämlich auf das Vorkastell gekommen, um sich mit Ithuel zu besprechen. »Sie nennt sich la Divina Providenza, und treibt Schmuggelhandel zwischen Livorno und Corsika; wahrscheinlich ist sie in diesem Augenblick nach letztgenannter Insel unterwegs. Es ist in der That ein kühner Schritt, unter solchen Umständen geradezu auf den Hafen loszusteuern!«

»Livorno ist ein Freihafen,« erwiederte Ithuel; »und so hat sie ja das Schmuggeln nicht nöthig.«

»Ja, frei für die Freunde, doch keineswegs für die Feinde des Landes. In diesem Sinne ist kein Hafen frei zu nennen, denn jedes Fahrzeug, das mit dem Feinde verkehrt, macht sich des Verrathes schuldig. Nur der Irrwisch macht hierin eine Ausnahme,« bemerkte Raoul lächelnd; » wir haben ein besonderes Privilegium, mon brave

»Mag sie nun nach Corsika oder Capraya gehen – jedenfalls wird sie heute keines von beiden erreichen, wenn der Wind nicht stärker wird. Ich kann nicht begreifen, warum der Mann überhaupt ausgelaufen ist, da doch der Wind kaum hinreicht, um ein Taschentuch aufzublähen.«

»Diese kleinen Felucken schlüpfen gleich unserem eigenen Lugger dahin, selbst wenn gar kein Wind vorhanden zu sein scheint. Vielleicht ist sie auch nach Bastia bestimmt, und in diesem Falle ist es wohl klug gehandelt, wenn sie die offene See noch vor Abend zu gewinnen sucht, wo dann der Westwind sich aufzumachen pflegt. Wenn sie noch eine oder zwei Meilen weiter nordwestlich steuert, so kann sie schnurgerade gegen Bastia aufbrechen, sobald die Siesta vorüber ist.«

»Aha, die gefräßigen Engländer sind schon hinter ihr her!« bemerkte Ithuel. »So etwas war zu erwarten; laßt sie nur einmal die Möglichkeit voraussehen, eine Guinea wegzuschnappen, und sie werden darauf aus sein, selbst wenn es gegen Gesetz oder Natur liefe! Seht nur – was haben sie jetzt wieder mit einer neapolitanischen Felucke zu schaffen, da doch England ein geschworener Freund von Neapel ist?«

Raoul gab keine Antwort, sondern beobachtete schweigend diese neue Bewegung. Der Leser wird sogleich errathen, daß Ithuels Bemerkung durch das Erscheinen der Boote hervorgerufen worden war: diese stießen, fünf an der Zahl, im nämlichen Augenblicke von der Fregatte ab und ruderten gerades Wegs auf die Felucke los.

Um dem Leser die nun folgenden Ereignisse verständlicher zu machen, wird es nöthig sein, die gegenseitige Stellung der betheiligten Partien, die Stunde und den Stand des Wetters etwas genauer zu schildern.

Der Irrwisch hatte seit dem Augenblicke, da er seine Bratspillsegel zuerst überhalt hatte, seine Stellung nicht wesentlich geändert. Er lag immer noch eine volle Meile nordwestlich und im vollen Angesichte von Andrea Barrofaldi's Wohnung; südlich von ihm, und gerade in der Richtung seines Hintertheiles, lag die früher erwähnte tiefe Bai. In der Richtung des Steuers, so wie in der Zahl der Segel war keine Veränderung zu bemerken; letztere ruhten noch in den Geitauen; das erstere wurde nieder gehalten.

Die Fregatte hatte während der letzten Stunde ihr Gallion westwärts gestellt, und war eine ziemliche Strecke weit in dieser Richtung fortgesegelt: sie stand nun ungefähr zwei Meilen vom Land entfernt, und dem Lugger gerade so nahe, als dieser dem Vorgebirge war. Wegen des schwachen Windes hatte sie ihre großen Segel eingehißt, die oberen Segel aber waren alle entfaltet und dabei aufs Sorgfältigste gestellt und überwacht, um die labbere Kühle Mit einem Seemannsausdrucke nennt man ein solches Lüftchen eine »Katzenpfote«.
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, d. h. den schwachen Lufthauch, der die Bramsegel von Zeit zu Zeit auswärts schwellte, aufs Beste zu benützen. Im Ganzen mochte sie dem Lugger mit der Geschwindigkeit von einem Knoten auf die Stunde näher kommen.

Die Divina Providenza war gerade auf Kanonenschußweite von der Fregatte, von dem Lugger aber ungefähr eine Meile entfernt, als die Boote von der ersteren abstießen: doch hielt sie sich ganz nahe an's Land und stand etwa in gleicher Höhe mit der schon oft erwähnten Bai. Die Boote ruderten natürlich von dem Schiffe, das sie verlassen hatten, in gerader Linie gegen dasjenige, welches sie zu verfolgen bestimmt waren.

Es mochte jetzt ungefähr eilf Uhr Morgens sein – eine Tageszeit, wo das mittelländische Meer unter den vierundzwanzig Stunden der italienischen Zeitrechnung gewöhnlich glatt wie ein Spiegel und so ruhig ist, als ob es überhaupt gar nichts von Stürmen wüßte. Den Morgen über hatte sich zwar in der Luftströmung einige Unregelmäßigkeit gezeigt: die südliche Brise, im Allgemeinen schwach und häufig wechselnd, war noch schwächer und unbeständiger als gewöhnlich gewesen – doch war, wie wir gesehen haben, noch immer Wind genug vorhanden, um ein Schiff durch die Wogen zu treiben, und hätte sich Raoul so emsig wie die Mannschaft auf den beiden andern Fahrzeugen bewiesen, so hätte er in diesem Augenblicke jenseits der westlichen Spitze der Insel und weit außer dem Bereiche seines Feindes sein können. So aber hatte er sich damit begnügt, die beiden andern Fahrzeuge fortwährend zu beobachten, während diese ihm allmählig immer näher gerückt waren.

Es läßt sich nicht läugnen, die Kriegslist mit der Felucke war sehr wohl ersonnen, und es hatte allen Anschein, als ob sie vollkommen gelingen sollte. Hätte Ithuel die Fregatte – sein früheres Gefängniß, wie er sie mit Bitterkeit nannte – nicht so genau gekannt, so wäre die Mannschaft des Luggers wahrscheinlich von ihrem so scharfsinnig berechnenden Gegner übertölpelt worden, denn so, wie jetzt die Sachen standen, herrschte bereits ein großer Zwiespalt in den Ansichten der Betheiligten, und Raoul war nur zu sehr zu dem Glauben geneigt, sein amerikanischer Bundesgenosse irre sich in diesem Falle, und das Schiff vor ihm sei wirklich, wofür es sich ausgab, – ein Kreuzer seiner eigenen Republik.

Winchester auf der Divina Providenza und Griffin, der die Boote kommandirte, spielten Beide ihre Rollen aufs Trefflichste. Sie kannten den Charakter des verschmitzten, wohlerfahrnen Feindes, mit dem sie es zu thun hatten, zu gut, um auch nur die geringste Kleinigkeit in ihrem wohlersonnenen Plane zu vernachlässigen.

Statt auf den Lugger zuzueilen, schien die Felucke im Gegentheil geneigt, sobald die Jagd ihren Anfang genommen hatte, in die Bai einzulaufen, um dort unter dem Schutze einer kleinen Batterie, die ausdrücklich zu diesem Zwecke aufgepflanzt worden war, vor Anker zu gehen. Aber die Entfernung war so groß, daß dieser Versuch offenbar erfolglos gewesen wäre, und so drehte die Divina Providenza, nachdem sie einige Minuten in dieser Richtung fortgesteuert war, das Gallion vom Lande ab, und machte jede denkbare Anstrengung, um unter den Schutz des Luggers zu gelangen.

Dieß Alles geschah vor Raouls Angesicht, der das Glas fortwährend am Auge hatte und die leiseste Bewegung mit eifersüchtigem Argwohn beobachtete. Winchester war, zum Glück für seine Aufgabe, ein Mann von dunkler Gesichtsfarbe, mittlerer Statur und starkem Backenbart, wie man dieß nach langer Kreuzfahrt häufig auf Kriegsschiffen antreffen wird, und glich in seiner rothen phrygischen Mütze, dem gestreiften Hemd und den weißen Leinenhosen einem Italiener so genau, als man nur immer wünschen konnte. Auch die Matrosen, die sich am Bord der Felucke zeigten, waren besonders zu diesem Zwecke ausgelesen worden; mehrere von ihnen waren wirklich Ausländer und an den Küsten des mittelländischen Meeres geboren, wie denn überhaupt die Mannschaft auf einem englischen oder amerikanischen Kriegsschiffe fast die Hälfte aller seefahrenden Nationen der Erde zu repräsentiren pflegte.

Auch die entsprechende Verwirrung und Unruhe war unter dem Leuten zu bemerken: sobald die Jagd lebhaft zu werden anfing, liefen sie hin und her, und machten alle nöthigen Anstrengungen, wiewohl ohne Ordnung und Uebereinstimmung. Als der Wind endlich fast ganz aufhörte, sah man sie zwei Ruder einsetzen und tüchtig drauf los arbeiten, indem sie – was auch in Wirklichkeit der Fall war – sehr begierig zu sein schienen, dem Lugger so nahe als möglich zu kommen.

» Peste!« rief Raoul; »das scheint ja Alles mit rechten Dingen zuzugehen. Wenn die Fregatte am Ende doch französisch wäre! Die Mannschaft in den Booten sieht ja gerade aus wie meine tapfern Landsleute!«

»Lauter ächte John Bulls,« versicherte Ithuel mit Bestimmtheit; »das Schiff ist kein anderes als die boshafte Proser pein« – denn so pflegte der Newhampshirer sein früheres Gefängniß zu nennen. – »Was ihre französischen Hüte und die Art ihres Ruderns betrifft, so ist dieß nichts als reine Verstellung. Laßt nur einmal eine Sechspfünderkugel unter sie hineinfliegen, und Ihr sollt sogleich sehen, wie sie ihre französische Miene ablegen und die englischen Manieren wieder annehmen.«

»Das werde ich wohl bleiben lassen – wir könnten ja einen Freund verletzen. – Was haben denn die auf der Felucke jetzt im Sinn?«

»Ei seht nur – sie haben ja gar eine kleine Kanone – richtig, 's ist eine kleine Zwölfpfünder-Karronade, da unter ihrem Persenning Getheertes Segeltuch, womit Luken und sonstige Oeffnungen vor dem Eindringen des Regens verschlossen werden.
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vor dem Fockmast – sie klariren sie eben, um sie loszubrennen. – Nun, nun, wir werden schon etwas zu thun bekommen, noch ehe eine Woche vergeht!«

» Bien, – es ist wirklich so, wie du sagst – und voilà, sie zielen damit auf die Boote!«

Kaum hatte er dieß gesprochen, als man die Felucke fast ganz in Rauch eingehüllt sah – dann folgte der Knall der Kanone. Man sah die Kugel über das Wasser hintanzen, allerdings so weit von dem vordersten Boote entfernt, daß dieses keinen Schaden nahm, doch immer noch nahe genug, um den Schuß für ein ungeschicktes Artilleriestückchen halten zu können.

Dieses vorderste Boot war das Langboot der Proserpina und führte eine ähnliche Karronade vorne auf seinem Ueberlauf Auch falsches Verdeck genannt – eine Art von Verdeck auf großen Booten.
D. U.
: kaum war daher eine halbe Minute verstrichen, als der Schuß von dem Boote aus erwiedert wurde. So sicher waren die Kanoniere und so geschickt wurden die Rollen in dem Komplote gespielt, daß die Kugel zischend in gerader Linie gegen die Felucke hinfuhr, und in der Mitte zwischen dem Maste und dem Pieck Der Pieck vertritt bei manchen Segeln die Stelle der Toppenants, d. h. derjenigen Taue, mittelst welcher die Segel horizontal gestellt oder gegen den Horizont geneigt – getoppt – werden.
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des Segels in die Raa einschlug, so daß das Stück an der Falle herabrollte.

»Ei du himmlische Güte!« rief Ithuel; »das nenne ich einmal den Kontrakt bei Dollars und Cents Der Cent ist eine nordamerikanische Münze = 1/100??? Dollar.
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eingehalten! Kapitän Rule, die schießen ja bei ihrer Jagd besser, als wenn's ihnen wirklicher Ernst wäre!«

»Das steht aber doch wahrlich ernstlich genug aus!« meinte Raoul. »Man wird doch seinem Freunde die Hauptraa nicht leicht absichtlich wegschießen.«

Sobald die Mannschaft auf den Booten das Ende der Raa niederfallen sah, hörte sie auf zu rudern und brach in ein dreimaliges, herzhaftes Hurrah aus: Griffin, der aufrecht im Hintertheil des Langboots stand, hatte ihnen das Signal dazu gegeben.

»Pah!« rief Raoul; »das sind englische John Bulls, ohne einen Schatten von Zweifel. Wer hörte jemals die Männer der Republik so taktmäßig in ein Geschrei ausbrechen, gerade wie lauter italienische Puppen, wenn man sie am Drahte zieht. Ja, ja, Messieurs les Anglais, ihr habt durch eure höllischen Kehlen das Geheimniß verrathen; jetzt paßt nur auf, wie wir euch die Geschichte auserzählen werden!«

Ithuel rieb sich die Hände vor Freude, innerlich vergnügt, daß sich Raoul nun nicht länger täuschen ließ, obwohl zwischen der Felucke und dem Langboot ein lebhaftes Feuer unterhalten wurde, so daß man den Kampf bona fide für einen sehr ernstlichen nehmen konnte.

Diese ganze Zeit über arbeiteten die Ruder der Felucke; doch kamen die Boote mit jedem Augenblicke näher, da sie immer zwei Schritte machten, bis das Schiff einen einzigen zurücklegte. Die Divina Providenza mochte jetzt noch ungefähr dreihundert Schritte von dem Lugger, das Langboot aber, das vorderste unter den Verfolgern, eben so weit von dem Stern der Felucke entfernt sein. In zehn Minuten mußten die scheinbaren Kämpfer an einander gerathen.

Jetzt ließ Raoul auf dem Irrwisch die Ruder einsetzen und bemannen. Zu gleicher Zeit wurden seine Kanonen – Zwölfpfünderkarronaden – losgekettet und gerichtet. Er führte davon auf jeder Seite viere, und vorne auf dem Vorderkastell zwei Sechspfünder, welche ebenfalls in Bereitschaft gesetzt wurden. Nachdem dieß Alles fertig war, senkten sich die zwölf Ruder wie in gemeinsamem Instinkt in's Wasser, und der Lugger schoß mit einem mächtigen Rucke vorwärts. In demselben Augenblicke wurde sein Klüver- und Bratspillsegel aufgegeit.

Eine einzige Minute genügte, um Winchester zu belehren, wie hoffnungslos eine Verfolgung mit der Felucke, oder selbst mit den Booten ausfallen müßte, wenn der Lugger einen Versuch machen sollte, auf diese Art zu entkommen, da seine starke Bemannung ihn mittelst der Ruder ganz leicht mit drei bis vierthalb Knoten Geschwindigkeit durch's Wasser treiben konnte.

Uebrigens schien die Flucht nicht in des Luggers Plane zu liegen, denn sein Gallion war der Divina Providenza zugewendet, und es hatte den Anschein, als ob er, durch die Kriegslist der Engländer getäuscht, der Gefangennehmung der Felucke zuvorkommen und sie als Freund in Schutz nehmen wolle.

Raoul verstand aber seine Sache weit besser, als man nach diesem Scheinmanöver vermuthen könnte. Den Lugger brachte er in eine Linie mit der Divina Providenza und den Booten, weil er erstlich in dieser Stellung voraussichtlich am wenigsten von dem Feuer der letzteren zu leiden hatte, denn er wußte jetzt recht gut, daß alle ihre Kugeln absichtlich so hoch gingen, um keinen Schaden anzurichten – dann wollte er auch die beiden feindlichen Partien in die Schußlinie seiner eigenen Kanonen bringen.

Mittlerweile wurden auf der Felucke wie auf den Booten nicht nur die Karronadensalven fortgesetzt, sondern auf beiden Seiten begann nun auch ein lebhaftes Musketenfeuer. Die Providenza stand jetzt nur noch hundert Schritte von dem Irrwisch entfernt und wurde, wenigstens dem Anscheine nach, von ihren Gegnern sehr heftig bedrängt. Da auch keine Spur von Wind vorhanden war (das leichte Lüftchen, das bisher noch geweht, war von der Erschütterung des Kanonendonners förmlich erdrückt worden), so hatte sich die See in kurzer Zeit mit Rauch bedeckt, und auf der Felucke besonders war der Pulverdampf auf den Decks und um die Spieren stärker als gewöhnlich, denn ihr Kommandant ließ absichtlich zu diesem Zweck auf den verschiedenen Theilen des Schiffes bedeutende Quantitäten Pulvers losbrennen. Auch bemerkte Ithuel, trotz dieser Rauchwolke, daß die Bemannung der Divina Providenza mitten in der Verwirrung des Kampfes an Zahl eher zu- als abnahm, denn bald wurden vier Ruder an ihrem Borde eingesetzt, jedes mit drei Matrosen bemannt, und überdieß sah man auf Augenblicke noch zwanzig Andere in dem Pulverdampfe hin- und herrennen, und hörte sie in einer Sprache rufen, die eigentlich italienisch sein sollte, in Ithuels geübten Ohren aber weit mehr wie verdorbenes Englisch klang.

Die Felucke war keine fünfzig Schritte mehr entfernt, als dieses Geschrei am lautesten ertönte. Die Entscheidung war nun ganz nahe. Die lauten Hurrah's von den Booten auf der entgegengesetzten Seite verkündeten das rasche Annähern Griffins und seiner Genossen: die Büge der Divina Providenza waren in einer Art blinder Hast so in eine Linie mit dem Irrwisch gebracht worden, daß sie dwarsab von seinen Klüsen mit ihm zusammentreffen mußte.

» Mes enfants,« rief jetzt Raoul, » soyez calmes – Feuer!«

Die ganze Ladung der fünf Kanonen brach – ein furchtbarer Kartätschenhagel – mitten in den Rauch, der über der Divina Providenza hing – das Aechzen, das diesem Donner folgte, verkündete dessen Wirkung.

Ernstes, verwundertes Schweigen herrschte einen Augenblick lang auf Seiten der Engländer: dann aber erhob sich ihr männlicher Schlachtruf zum Zeichen, daß sie, auf Alles gefaßt, selbst dem Schlimmsten Trotz zu bieten entschlossen seien. Gleich darauf sah man die Boote um die Büge und das Hintertheil der Felucke herumkommen, und allen Ernstes auf ihren wahren Feind losstürzen, während ihre beiden Karronaden, dießmal in tödtlicher Absicht geladen und gezielt, das Feuer erwiederten. – Doch jetzt war's zu spät, um sich noch einen Erfolg versprechen zu können.

Als Griffin mit dem Langboot aus dem Pulverdampf, der die Divina Providenza verhüllte, heraustrat, sah er den Lugger alle seine Segel entfalten, welche sofort von einem ersterbenden Hauche des Südwindes gefüllt wurden. So leicht war der Irrwisch, daß wohl kaum jemals eine Ente dem Vogelsteller rascher entschlüpfte, als das kleine Fahrzeug aus dem Rauche hervorschoß und seine Verfolger alsbald mehrere hundert Schritte hinter sich ließ.

Da der Wind allem Anschein nach noch einige Zeit andauern konnte, so daß seine Mannschaft unter dem Feuer der Franzosen der größten Gefahr ausgesetzt war, so ertheilte Winchester den Booten augenblicklich den Befehl, die Verfolgung einzustellen und sich um die Felucke zu sammeln. Widerstrebend gehorchte man dem Befehle, und so hatten beide Theile einen Augenblick zur Ueberlegung.

Der Irrwisch hatte keinen Schaden genommen, der der Rede werth gewesen wäre: die Engländer dagegen zählten nicht weniger als zwölf Todte und Verwundete. Unter den Letzteren war Winchester selbst, und da er sah, daß jeder fernere Vortheil, der noch erkämpft werden mochte, vornehmlich seinen Untergebenen zu gut kommen mußte, so machte ihn seine Wunde um so abgeneigter, einen Kampf fortzusetzen, der auch so schon beinahe hoffnungslos war.

Anders dagegen gestaltete sich die Sache bei Raoul Yvard. Da er bemerkte, daß die Fregatte so gut wie er selbst die Brise benützte und sich in der Richtung der Kämpfenden hinstahl, so beschloß er, für die Kühnheit des feindlichen Versuchs volle Rache zu nehmen und dann erst die weitere Fahrt anzutreten.

Demgemäß begann der Lugger durch den Wind zu wenden, und fuhr an der Luvseite der Felucke vorüber, indem er beim Vorübersegeln ein nahes, mörderisches Feuer auf dieselbe richtete. Anfangs wurde dieses Feuer erwiedert; bald aber hörte aller Widerstand auf, und als der Irrwisch eine Strecke weit luvwärts an seinem Gegner vorbei war, sah man, wie die Engländer ihre Felucke bis auf den letzten Mann verließen, indem sie auch ihre Verwundeten mit sich nahmen. Die Boote ruderten mitten durch den Pulverdampf der Bai entgegen, so daß ihre Richtung der des Luggers gerade entgegengesetzt war.

Es wäre für die Franzosen ein Leichtes gewesen, die Flüchtlinge einzuholen, sie in den Grund zu bohren oder bis auf den letzten Mann gefangen zu nehmen; aber in Raoul Yvards Charakter war ein Zug edler Ritterlichkeit vorherrschend, und er erklärte, daß er seinen Vortheil nicht weiter verfolgen werde, da der Feind seine Kriegslist so gut ersonnen und mit so viel Kühnheit durchgeführt habe. Vielleicht mochte zu diesem Entschlusse wohl auch der Umstand beigetragen haben, daß Ghita auf dem Verdeck erschienen war und ihn um Mitleid angefleht hatte; wenigstens durfte von diesem Augenblicke an kein Schuß mehr gegen den Feind abgefeuert werden.

Statt also seinen Vortheil weiter zu verfolgen, zog der Lugger seine Hintersegel ein, und vierte rund auf der Stelle, so daß er leewärts von der Felucke in den Wind kam; dann setzte er wieder sein Bratspillsegel ein, und luvte so nahe an seiner Prise – wie man die Felucke wohl nennen konnte – vorüber, daß die beiden Schiffe, ohne übrigens nach einem bekannten Seemannsausdrucke ein Ei zu zerbrechen, ganz dicht neben einander zu liegen kamen. Ein einziges Tau befestigte die Felucke an den Lugger, und Raoul stieg mit Ithuel und einigen Anderen an Bord des Fahrzeugs.

Die Decke der Divina Providenza trieften von Blut, und ganze Hände voll Schrot und Kartätschenkörner steckten in den Masten, Spieren und in den übrigen Theilen des Schiffes. Im Kielraume fand man drei Leichname untergebracht: von Lebenden wurde aber nichts an Bord getroffen. Eine Theerpfanne war bei der Hand; diese wurde unter die große Luke gestellt, alle Brennmaterialien, deren man habhaft werden konnte, darin aufgeschichtet und Alles sofort angezündet. So rasch griffen die Flammen bei der herrschenden Trockenheit um sich, daß Raoul, als er mit seinem Schiffe wieder abstieß, beinahe bedauerte, dieselben der Vorsicht halber nicht etwas später angezündet zu haben; da jedoch der Südwind anhielt, so gelang es ihm, seinen Lugger noch zeitig genug in sichere Entfernung zu bringen, noch ehe der Brand bis zu dem Takelwerke der Felucke emporgeschlagen und ihre Segel ergriffen hatte.

Zehn Minuten waren darüber hingegangen; die Boote waren während dieser Zeit außer Schußweite und gegen das Land hin gerudert, die Fregatte dagegen hatte sich von Südosten her wohl so weit genähert, daß ihre Kanonen den Lugger beinahe erreichen konnten. Raoul ließ jetzt alle Segel auf dem Lugger einsetzen, so daß er die brennende Prise bald hinter sich hatte; dann steuerte er gegen die westliche Landspitze von Elba, und trotz des leichten Lüftchens war sein Lauf, wie gewöhnlich, so rasch, daß er immer drei Schritte machte, bis die Fregatte deren zwei zurücklegte.

Uebrigens war die Stunde einem Anhalten der Brise keineswegs günstig, und zehn Minuten später würden selbst die schärfsten Sinne nicht im Stande gewesen sein, auch nur den leisesten Lufthauch auf der Oberfläche der See zu entdecken. Ein solches Aufflackern der Lampe – das letzte vor dem Erlöschen – war ganz gewöhnlich, und Raoul wußte jetzt gewiß, daß vor dem Eintritte des Westwindes kein weiterer Luftzug an diesem Tage zu verspüren sein würde.

Demgemäß ließ er alle Segel einhissen; ein Zeltüberhang wurde über dem Verdecke ausgebreitet, und die Mannschaft erhielt Erlaubniß, sich's bequem zu machen. Auch die Fregatte schien dafür zu halten, daß jetzt für die Schiffe so gut wie für die Menschen der Augenblick der Siesta gekommen sei, denn Bram- und Oberbramsegel wurden alsbald beschlagen, Klüver und Brodwinner aufgegeit und die großen Segel eingehißt, so daß die ganze Maschine in Kurzem so regungslos dalag, als ob sie auf einer Klippe aufgefahren wäre. Beide Schiffe waren kaum etwas über Kanonenschußweite von einander entfernt, und unter anderen Umständen würde das größere wohl für passend erachtet haben, das kleinere mittelst der Boote anzugreifen; doch die so eben ertheilte Lection war den Franzosen ein genügendes Unterpfand gegen jede Erneuerung eines solchen Versuches, und sie erwiesen der Tapferkeit ihres Nachbars kaum die Anerkennung, denselben noch ferner zu bewachen.

Eine halbe Stunde später kam Winchester auf das Schiff zurück: er selbst hatte eine Verwundung am Bein davongetragen, seine Mannschaft war entmuthigt und erschöpft, und man fand jetzt, daß die ganze Unternehmung sieben braven Leuten das Leben gekostet und fünfzehn weitere für den Augenblick dienstunfähig gemacht hatte.

Sobald Kapitän Cuffe bemerkt hatte, wie der Lugger mit ausgebreiteten Segeln und in der schönsten Verfassung gegen die Felucke und die Boote agirte, so wußte er auch, daß seine Kriegslist verunglückt war. Als er die Boote nach dem Lande rudern sah, war er überzeugt, daß sie Schaden gelitten haben mußten, und machte sich auf einen ernstlichen – doch immer noch nicht auf einen Verlust gefaßt, der einen so bedeutenden Theil der ausgeschickten Mannschaft umfaßte. Winchester mochte er aus Schonung nicht befragen, so lange seine Wunde verbunden wurde: dafür aber ließ er Griffin in seine Kajüte berufen, sobald die Boote eingenommen und aufgestaut waren.

»Nun, Mr. Griffin, eine verdammt hübsche Patsche das, in die Ihr mich mit Eurem Wunsche, in unseren Booten nach solchen Luggern und Raoul Yvards auszuziehen – geführt habt! Was wird der Admiral sagen, wenn er vernimmt, daß wir einer Morgenbelustigung halber zweiundzwanzig Mann auf den Schragen gelegt und noch obendrein eine Felucke zu bezahlen haben?«

»In der That, Kapitän Cuffe, wir thaten unser Bestes; aber ebensogut hätte man versuchen können, den Vesuv mit Schneeballen auszulöschen, als dem Kartätschenhagel dieses höllischen Luggers zu widerstehen! Ich glaube nicht, daß eine einzige Raa auf der Felucke übrig blieb, die nicht gepfeffert worden wäre. Unsere Leute haben sich noch nie besser gehalten, und bis zu dem Augenblicke, da wir unser letztes Hurrah anstimmten, hoffte ich so sicher auf die Eroberung des Irrwisches wie auf meine eigene Beförderung.«

»Ei zum Teufel, man braucht ihn wahrhaftig nicht mehr den kleinen Schelmen zu nennen, denn Erzspitzbube ist ein bessrer Name für ihn Hier steht im Original ein Wortspiel, das sich nicht vollständig wiedergeben läßt. Der Kapitän spricht nämlich das französische Wort Feu-Follet, wie der »Irrwisch« abwechselnd genannt wird, ganz so wie das englische Few-Folly, und setzt im Gegensatz zu diesem Grand-Folly, was wir annähernd durch »kleiner und großer Schelm« gegeben haben.
D. U.
. Wozu in aller Welt habt Ihr denn ein Hurrah aufgeschlagen, Sir? Habt Ihr jemals in Eurem Leben einen Franzosen gekannt, der dieß gethan hätte? Eben dieses Hurrahrufen war der Grund, warum Ihr erkannt wurdet, noch ehe Ihr Zeit hattet, mit ihm handgemein zu werden. Ihr hättet – › vive la république‹ – rufen sollen, denn so machen's jene Bursche alle Mal, sobald wir mit ihnen zum Kampfe kommen. Ein ächtes englisches Hurrah würde ja einem Franzmann die Kehle sprengen!«

»Ich glaube allerdings, Sir, daß wir hierin einen Mißgriff begingen; ich war aber noch nie bei einer Action, wo wir nicht unser Hurrah angestimmt hätten, und als der Kampf endlich warm wurde – oder wenigstens warm zu werden schien – da habe ich mich allerdings ein bischen vergessen. Wir hätten aber den Lugger trotz all' Dem erobert, Sir, wenn nicht ein Umstand eingetreten wäre.«

»Und der wäre? – Nun? – Ihr wißt, Mr. Griffin, ich muß irgend einen plausibeln Grund haben, den ich dem Admiral berichten kann. Um keinen Preis darf in den Zeitungen ausgeplaudert werden, daß wir durch unser eigenes Hallohschreien diese Schlappe erhielten.«

»Ich wollte nur so viel sagen, Kapitän Cuffe: hätte der Lugger seine erste Salve nicht in dem Augenblick gegeben, da er's that, so daß wir noch Zeit gehabt hätten, uns seinen Kanonenkugeln zu entziehen – so wären wir ganz gewiß über ihn hergefallen, noch ehe er zum zweiten Male geladen hätte, und trotz der Brise, die ihn so sehr begünstigte, wäre er dann unser gewesen. Auf dem Langboot wurden gleich Anfangs drei Mann verwundet; dieß machte auch schon einigen Unterschied, und brachte im entscheidendsten Moment eben so viele Ruder zum Krebsen. Bei solchen Unternehmungen hängt Alles vom Zufall ab, wie Ihr wißt, Sir, und das war gerade unser Unglück bei der Sache.«

»Hum! – Ich kann aber doch Nelson nicht sagen – ›Alles ging ganz gut, Mylord, bis plötzlich auf dem Langboot drei Mann mit ihren Rudern zu krebsen D. h. unthätig werden. anfingen, was dann das Boot wieder rückwärts brachte.‹ – Nein, nein, das paßt nun und nimmermehr für eine Zeitung. – Laßt 'mal sehen, Griffin; bei all' Dem machte sich der Lugger doch vor euch auf die Flucht – ihr hättet ihn erobert, wenn er nicht davongesegelt und süd- und westwärts in einer Bolinie zu euch gestanden wäre.«

»Ja, Sir, das that er allerdings. Wäre er nicht, wie Ihr gesagt, davongesegelt – Nichts hätte uns abgehalten, an seinen Bord zu gelangen.«

»Nun gut also – er lief davon. Der Wind sprang um – der Feind segelte ab – jeder Versuch, an Bord zu gelangen, unmöglich. Brave Bursche! schrieen und feuerten aus Leibeskräften. Im Ganzen doch kein so schlimmer Bericht! Was machen wir aber mit der verdammten Felucke? Ihr seht, sie ist bis auf den Wasserspiegel abgebrannt und muß in wenigen Minuten untersinken.«

»Ganz richtig, Kapitän Cuffe; so lange wir aber darauf waren, hat kein Franzmann ihren Bord betreten.«

»Ja, ja, ich sehe jetzt schon, wie's war – alle Matrosen wurden zur Verfolgung auf die Boote geworfen, da die Felucke selbst zu schwerfällig war, und jeder Versuch, sie mit dem Lugger zusammenzubringen, erfolglos blieb. – Er ist übrigens doch ein verteufelter Bursche – dieser Nelson und Bronte; ich wollte lieber den Donner von zehntausend Stürmen um mich brüllen hören, als einen seiner stürmischen Briefe in die Tasche bekommen. – Nun, ich glaube jetzt die Geschichte zu kennen, und werde euer Aller auf eine Weise erwähnen, wie ihr's werth seid. Es war ein tapferes Stückchen, obwohl es mißglückte. Ihr hättet den Sieg verdient, was auch immer seinen Verlust verursacht haben mag.«

Damit hatte Kapitän Cuffe die Wahrheit allerdings besser getroffen, als mit vielem Andern, was er noch bei dieser Veranlassung hören ließ.


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