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Cassio: Der große Zwiespalt zwischen Sturm und Wogen
Trennt' unser Nebenschiff – doch schau, ein Segel!
Othello.
Was auch der Erfolg der ferneren Nachfragen und Beobachtungen des Vicestatthalters in dieser Nacht gewesen sein mochte – so viel ist gewiß, daß derselbe vorderhand ein Geheimniß blieb. Beide, er und der Podesta, verweilten noch eine Stunde in dem unteren Theile der Stadt, beim Hafen und in dessen Nähe, und verfügten sich sodann Jeder in seine Wohnung zur Ruhe, während der Lugger auf dem nämlichen Flecke vor Anker blieb, wo er zuletzt dem Auge der Zuschauer erschienen war.
Auch eine zweite Zusammenkunft zwischen Raoul Yvard und Ghita – wenn nämlich überhaupt eine solche stattfand – mußte jedenfalls sehr geheim veranstaltet worden sein, denn kein menschliches Auge hatte etwas der Art wahrgenommen, weßhalb die Sache auch keinen Theil unserer Erzählung bilden kann.
Ein Sommermorgen am mittelländischen Meere ist eine jener balsamischen, besänftigenden Perioden des Tages, welche auf den Körper wie auf den Geist gleichermaßen ihren Einfluß ausüben. Die sanfte Beleuchtung, welche vor dem Erscheinen der Sonne am Firmamente emporzieht – die wechselnden Farben am Himmel selbst – die warme Glut der leuchtenden Sonne und die perlenklare, durchsichtige Luft, welche nur darum vorhanden zu sein scheint, um Liebe zu Gottes Schöpfungen in unserer Brust zu erwecken – dieß Alles ist auch an andern Orten zu finden, nicht aber jener bezaubernde Wechsel in dem Kolorit des Meeres, dessen klares Blau mit den tiefsten Tinten des Firmaments wetteifert, nicht das Klima, das den Beschauer ebensosehr entzückt als die Scenen, welche es verschönert, und nicht die Berge, deren Abhänge auch den leisesten Wechsel der Beleuchtung mit der ganzen Treue und Poesie der Natur reflektiren.
Ein solcher Morgen, wie der eben geschilderte, folgte auf die Nacht, mit der wir unsere Erzählung eröffneten, und mit ihm auch das wiedererwachte, geschäftige Treiben in Hafen und Stadt. Alle italienischen Landschaften zeichnen sich überhaupt durch einen Geist der Stille und Ruhe aus, wie er auf den geräuschvolleren, gewinnsüchtigen Schauplätzen des handeltreibenden Amerika's und fast aller nördlichen Völker Europa's nur wenig gekannt ist. Im ganzen Aeußeren, in den Formen des Lebens, selbst in den Geschäftsgewohnheiten herrscht ein gewisser Anstrich halberloschenen Adels in Gesinnungen und Sitten, der den Häfen, Waarenplätzen und Märkten der übrigen Theile der civilisirten Welt völlig abgeht; es ist gerade, wie wenn das Land wohl wüßte, wie lange es der eigentliche Herd menschlicher Gesittung gewesen – wie wenn es deßhalb als ungeziemend erachtete, nunmehr in seinen späteren Tagen alle Spuren seiner Geschichte und politischen Größe bei Seite zu setzen. Der Mensch scheint hier mit dem Klima im Bunde zu stehen, denn er begegnet den Sorgen des Lebens mit einer unbekümmerten far niente Miene, welche mit der träumerisch-schmachtenden Atmosphäre, die er einathmet, durchaus im Einklange steht.
Eben als der Tag heraufdämmerte, gab der Fall eines Holzblockes auf dem Verdecke des Irrwisches das erste Zeichen, daß irgend Jemand in dem Hafen oder dessen Nähe herumstöbere. Wenn am Borde dieses Fahrzeuges die Nacht über eine Wache aufgestellt gewesen war – was ohne Zweifel stattgefunden – so hatte sie sich jedenfalls so ruhig und geräuschlos verhalten, daß selbst die eifersüchtigen Augen, welche noch lange nach Mitternacht vom Ufer aus auf den Lugger geheftet gewesen waren, in Ungewißheit darüber erhalten wurden.
Jetzt aber kam Alles in Bewegung, und kaum waren fünf Minuten verflossen, seit jenes Scheit Holz den Händen des Kochs, der eben sein Küchenfeuer anzündete, entfallen war, als man auch schon am oberen Rande der Schanze gegen fünfzig bis sechzig Seemannshüte
und Mützen sich hin oder her bewegen sah. Drei Minuten später zeigten sich zwei Männer nahe bei den Klüshölzern: Beide schienen sich, mit übereinander geschlagenen Armen, zuerst nach der Klüse
Klüse – die Oeffnung, durch welche das Ankertau geht.
D. U. des Schiffes umzusehen, und dann einen allgemeinen Ueberblick über den Zustand des Hafens und die einzelnen Gegenstände rings am Ufer gewinnen zu wollen.
Die beiden Individuen, welche sich in der erwähnten Stellung sehen ließen, waren Ithuel Bolt und Raoul Yvard in eigener Person. Das Gespräch wurde französisch geführt, wobei Ersterer, ohne auch nur die mindeste Rücksicht auf die Grammatik zu nehmen, eine fürchterliche Aussprache entwickelte. Es ist jedoch nöthig, daß wir das, was gesprochen wurde, mit Beachtung der Eigenthümlichkeit der beiden Sprechenden, in unser einheimisches Idiom übertragen.
»Ich kann unter Allen blos den Oesterreicher gewahren, der die Mühe eines Handstreichs verlohnte,« bemerkte Raoul ruhig, indem er von seinem Schiffe aus, das, wie man sich erinnern wird, ungefähr zweihundert Schritte außerhalb des Hafens lag – das Innere der Bai mit seinen Blicken musterte; »'s ist aber nur ein leichtes Fahrzeug, und würde uns kaum den Zeitverlust bezahlen, wenn wir es auch nach Toulon schicken wollten. Diese Felucken würden uns nur in Verlegenheit bringen, ohne bedeutenden Gewinn zu gewähren, und ihr Verlust würde die armen Teufel von Eigenthümern ruiniren und manche Familie in's Elend stürzen.«
»Nun, das ist einmal 'was ganz Neues bei einem Kaper!« äußerte Ithuel mit leichtem Naserümpfen: »Glück bleibt Glück in solchen Dingen, und Jeder muß nehmen, was der Krieg ihm eben zuführt. Ich wollte, Ihr hättet die Geschichte unserer Revolution gelesen, dann würdet Ihr einsehen, daß Freiheit und Gleichheit nicht zu erkämpfen ist, ohne daß es mit dem Glück und seinen Wechselfällen manchmal auf – manchmal niedergeht.«
»Der Oesterreicher möchte noch angehen,« fuhr Raoul fort, der den Bemerkungen seines Gefährten nur wenig Aufmerksamkeit schenkte, »wenn er nur einen oder zwei Striche tiefer im Wasser ginge; übrigens, E-tou-ell« – denn so klang der Name des Andern nach seiner Aussprache – »kann ich's nicht leiden, wenn die Eroberung einer Prise nicht auch mit etwas éclat in Angriff und Vertheidigung vor sich geht.«
»Ei,« meinte Ithuel, »meiner Ansicht nach sind die kürzesten Schlachten immer auch die profitabelsten und angenehmsten, und der ergötzlichste Sieg ist der, welcher am meisten Prisengeld abwirft. Dem mag übrigens sein, wie ihm wolle, so kümmere ich mich bei dieser Brigg wenig darum, was Ihr auch mit ihr beschließen mögt, da sie doch nur ein österreichisches Fahrzeug ist. Wär's ein Engländer, da wollte ich eigenhändig ein Boot bemannen, und ihn aus dem Hafen bugsiren, nur um das Vergnügen zu haben, den Burschen verbrennen zu können. – Englische Schiffe geben gar ein lustiges Feuer!«
»Das hieße fremdes Eigenthum und vielleicht gar Menschenblut höchst nutzlos vergeuden, und würde uns in keinem Falle Gutes bringen, Etouell.«
»Meinetwegen – den verdammten Engländern würde es aber Schaden verursachen, und das zählt nach meiner Rechnung auch für Etwas. Nelson nahm's mit dem Verbrennen eurer Schiffe am Nil nicht so übertrieben genau, Mr. Rule –«
» Tonnerre! warum kommst du nur immer mit diesem unglückseligen Nil? – Ist's nicht genug, daß wir geschlagen – entehrt – vernichtet worden sind – muß ein Freund uns auch noch ewig daran erinnern?«
»Ihr vergeßt, Mr. Rule, daß ich damals ein Feind war,« erwiederte Ithuel mit grimmigem Grinsen. »Wenn Ihr Euch die Mühe nehmen und meinen Rücken untersuchen wollt, so werdet Ihr noch die Spuren der Peitschenhiebe erkennen, die mir mein Kapitän dafür aufzählen ließ, daß ich ihm sagte, es sei wider meine Natur, gegen Republikaner zu kämpfen, da ich selbst von Geburt und Gesinnung ein Republikaner sei. Er erwiederte mir damals, er wolle erst einmal die Natur meines Felles untersuchen und sehen, wie es zu dem, was er meine Pflicht nannte, passen möge – und ich muß sagen, ich habe damals den Kürzeren gezogen, denn lieber wollte ich gleich einem Tiger gegen euch fechten, als daß ich mich zweimal an einem Tage peitschen ließ. Peitschenhiebe, auf einen wunden Rücken applicirt, sind ein fürchterliches Beweismittel!«
»Und jetzt ist die Stunde der Rache gekommen, pauvre Etouell; dießmal bist du auf der rechten Seite, und kannst Diejenigen, die du hassest, mit vollem Herzen und dem besten Gewissen bekämpfen!«
Ein langes, finsteres Schweigen folgte; Raoul wandte seine Blicke rückwärts und beobachtete die Bewegungen seiner Leute, welche das Verdeck rein wuschen, während Ithuel sich auf eines von den Klüshölzern niederließ und, das Kinn auf die Hand gestützt, gleich Miltons Teufel, in finsteres Brüten vertieft da saß, um über die rohe Mißhandlung nachzudenken, deren Opfer er einst gewesen war.
Es gibt so manche Menschen, die, wie das Sprüchwort sagt, kein Herz im Leibe haben; sie begehen Ungerechtigkeiten, ohne nur daran zu denken, und vertheidigen ihre Frevelthaten, ohne eine Spur von Gewissensbissen. Und doch hat wohl schwerlich jemals weder eine ganze Nation noch ein einzelnes Individuum ein Unrecht geduldet oder selbst verübt, das nicht früher oder später, in Folge jenes geheimnißvollen Rechtsgrundsatzes, der dem innersten Wesen der Dinge eingepflanzt ist – daß nämlich jede That ihre Früchte trägt, so gut wie das Samenkorn die Aehre und der Baum seinen Segen hervortreibt – auf den beleidigenden Theil zurückgefallen wäre: es ist dieß jene heilige Oberaufsicht, welche nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche – und zwar mit vollem Rechte, wenn wir bedenken, wer alle Grundsätze gebildet – die Vorsehung Gottes genannt wird. Darum möge jedes Volk, das in seinem Gesammtwillen Unrecht irgend einer Art auf systematische Weise ermuthigt, vor der Zukunft zittern, denn selbst wenn es der eigentlichen Strafe entginge, müßte doch die eigene Demoralisation eine unausbleibliche Folge seines Beginnens sein.
Wir wollen übrigens nicht länger bei dem mürrischen Brüten unseres New-Hampshire Seemannes verweilen. Obgleich ohne Erziehung und in manchen Beziehungen auch ohne Grundsätze, hatte er dennoch einen klaren Begriff von jener Ungerechtigkeit, die schon so manche Tausende, und darunter auch ihn, betroffen hatte, und er würde in diesem Augenblicke selbst das Leben als ein wohlfeiles Opfer angesehen haben, wenn er sich vollgültige Rache dadurch hätte erkaufen können. Noch während er als Gefangener an Bord des englischen Schiffes war, auf welchem er Jahre lang eingekerkert gewesen, hatte er oft den verzweifelten Entschluß gefaßt, das Schiff in die Luft zu sprengen: hätte es ihm nicht an den Mitteln gefehlt – er wäre wahrlich, so geldgierig und selbstsüchtig er auch schien, ganz der Mann dazu gewesen, um einen so furchtbaren Plan auszuführen, der dem Leben Derer, die bei seiner Verletzung mitgeholfen und zugleich seinen eigenen Leiden ein Ende gemacht hätte. Noch niemals war jener Gegenstand in seinen Gedanken aufgetaucht, ohne dem Strome seiner Gedanken augenblicklich eine andere Richtung zu geben, und seine ganze Seele mit einer tiefen Bitterkeit, mit einem wüthenden Grimme zu erfüllen, der nur sehr peinlich zu ertragen war.
Endlich erhob er sich mit einem tiefen Seufzer von seinem Klüsholze, und wandte sich nach der Mündung der Bai, wie wenn er Raoul den Ausdruck seines Gesichts verbergen wollte. Kaum hatte er jedoch diese Bewegung ausgeführt, als er plötzlich auffuhr, indem ein lauter Ruf seinen Lippen entwischte, der seinen Gefährten augenblicklich nach derselben Richtung hinzog. Beide konnten bei dem zunehmenden Tageslicht einen Gegenstand auf der offenen See gewahren, der für Männer in ihrer Lage nicht anders als von hohem Interesse sein mußte.
Es wurde schon oben erwähnt, daß die tiefe Bai, an deren einer Seite die Stadt Porto Ferrajo liegt, gegen Norden gekehrt ist und gerade in der Richtung nach der Landspitze von Piombino ausmündet. Rechts von der Bai laufen die ausgezackten Höhen einige Meilen weit in die See hinaus, ehe sie den sogenannten Kanal bilden: links endet dieselbe mit dem niederen Hügel, auf welchem die Wohnung stand, welche – damals von Andrea Barrofaldi eingenommen – seitdem als der Wohnsitz eines Mannes berühmt wurde, der den Vicestatthalter an Größe so weit überragte.
Der Hafen lag am Fuße dieser Anhöhe, links von der Bai und seitwärts von der Stadt; daraus folgte natürlich, daß auch der Ankerplatz des Luggers sich in jenem Theile der Bai befinden mußte, so daß er in der Richtung des Hauptlandes und so weit das Auge reichte, die volle Aussicht beherrschte.
Die Breite des Kanals oder der Durchfahrt zwischen Elba und der Landspitze von Piombino mochte ungefähr sechs bis sieben Meilen betragen; nicht ganz eine volle Meile südwärts von dem nördlichen Vorgebirge der Insel liegt ein kleines, felsiges Inselchen, welches der Welt später als der Ort bekannt wurde, wo Napoleon zu einer Zeit, da er sein weites Reich zu den wenigen meerbegränzten Bergen der Nachbarschaft zusammengeschrumpft sah – bei der Besitznahme von Elba einen Korporalsposten aufstellte.
Raoul und Ithuel mußten nothwendigerweise die Größe und Lage dieses Inselchens kennen, denn sie hatten es an dem vorangegangenen Abend gesehen und sich dessen Lage wohl gemerkt: nur war ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß dasselbe von dem jetzigen Standpunkte des Irrwisches aus nicht sichtbar sein konnte.
Als sie heute Morgen, noch ehe das Tageslicht stark genug gewesen, um die Häuser auf der entgegengesetzten Seite der Bai deutlich erscheinen zu lassen, ihren Blick nach der See geworfen, hatten sie allerdings einen Gegenstand in jener Richtung bemerkt, denselben aber irriger Weise für den Felsen gehalten. Jetzt aber war es mittlerweile hell genug geworden, um erkennen zu lassen, daß der bemerkte Gegenstand etwas ganz Anderes war. Mit einem Worte, das, was Raoul und Ithuel für eine Insel gehalten, war nichts mehr und nichts weniger als ein – Schiff.
Der Fremde stand mit dem Gallion gegen Norden: seine Geschwindigkeit mochte übrigens trotz des leichten Südwindes kaum über einen Knoten in der Stunde betragen. Er hatte blos die drei Mars- und das Klüversegel entfaltet: seine großen Segel hingen aber bereits in den Gortingen
So heißen im Allgemeinen alle Taue, mit welchen die Segel festgebunden werden.
D. U.. Sein schwarzer Rumpf fing eben an, etwas deutlicher hervorzutreten, und man zählte längs der hellgelben Linie, welche die eine Seite begränzte, die dunkeln Stückpforten von dreizehn Kanonen, welche auch in der That mit Geschütz bespickt waren. Die Hängematten waren zwar noch nicht aufgestellt, und die Lagertücher hatten noch jenes leere, nachlässige Aussehen, wie es in der Regel bei Nacht auf einem Kriegsschiffe wahrzunehmen ist: gleichwohl konnte man erkennen, daß das Schiff ein Oberdeck nebst Quarterdeck und Vorkastellbatterien hatte, oder mit anderen Worten: daß es eine Fregatte war. Da sie den Hafen von Porto Ferrajo einige Minuten früher erblickt hatte, als man ihrer auf dem Irrwisch gewahr geworden war, so sah man vom Ende ihrer Gaffel
Eine besondere Art von Raaen am Fockmast.
D. U. einen Wimpel herab flattern: doch war der Wind nicht stark genug, um ihre Falten zu öffnen, so daß man die Nation hätte erkennen können, welcher der Fremde angehörte.
» Peste!« rief Raoul Yvard, nachdem er den Fremden eine Minute lang schweigend gemustert hatte; »sollte der Herr da drüben zufällig ein Engländer sein, so würden wir einmal wieder hübsch in der Patsche sitzen. Was meinst du, Etouell – kannst du vielleicht etwas von seiner Flagge bemerken? – Deine Augen sind die besten auf dem Lugger.«
»Das wäre wohl für jedes Auge zu weit, wenn man's auf solche Entfernung, und zwar, noch ehe die Sonne am Himmel steht – erkennen wollte. In fünf Minuten haben wir das ›große Gestirn‹, wie's unser Pfarrer zu nennen pflegte.«
Ithuel war während des Sprechens von der Schanze herabgestiegen, um ein Fernrohr herbeizuholen. Bald kehrte er mit zwei solchen Instrumenten auf seinen alten Posten zurück: eines davon übergab er seinem Kommandanten, während er selbst das andere behielt. In der nächsten Minute hatten Beide ihre Gläser auf den Fremden gerichtet, den sie nun eine Zeitlang mit angestrengter Aufmerksamkeit und in tiefem Schweigen beobachteten.
» Pardie!« Wahrhaftig. rief Raoul, »das ist ja die dreifarbige Flagge, oder meine Augen müßten gegen mein eigenes Vaterland sehr untreu sein. Laß mich einmal sehen, Etouell – welches Schiff von zweiundvierzig und vierundvierzig Kanonen hält denn die Republik an dieser Küste?«
» Dieses nicht, Monsieur Yvard,« gab Ithuel mit gänzlich veränderter Miene und mit so auffallendem Nachdrucke zur Antwort, daß die Aufmerksamkeit seines Gefährten sich mit einem Male von der Fregatte abwendete und auf seine eigenen Gesichtszüge richtete; » das da gewiß nicht, Monsieur Capitaing. Ein Vogel vergißt nicht leicht das Käfig, worin er zwei Jahre lang eingeschlossen war: wenn das nicht die verdammte Proserpina ist, so müßte ich den Zuschnitt meines eigenen Klüvers vergessen haben!«
»Die Proserpina!« wiederholte Raoul, der mit den Abenteuern seines Schiffskameraden vertraut war, und seine Meinung auch ohne längeres Fragen begriff. »Wenn du nicht etwa falsch siehst, Etouell, so müßte der Irrwisch seine Laterne nächstens in Schatten stellen. Es ist aber nur ein Vierziger, wenn ich seine Stückpforten recht gezählt habe.«
»Ich kümmere mich nichts um Stückpforten oder Kanonen: es ist die Proserpina, und das einzige Leid, das ich ihr wünschen möchte, wäre, daß sie auf dem Grund des Oceans läge. Die
Proserpina, ein Sechsunddreißiger, Kapitän Cuff; der Name Kapitän Flog
Flog heißt Peitsche.
D. U. würde übrigens weit besser für ihn passen. Ja, die Proserpina, ein Sechsunddreißiger, Kapitän Cuff – der Himmel segne sie!«
»Pah!« – das Schiff da hat vierundvierzig Kanonen – ich sehe jetzt deutlich genug und kann sie zählen – zweiundzwanzig auf einer Seite.«
»Ja, ja, das ist genau ihre Größe – sie ist als Sechsunddreißiger gebohrt, und läuft auch so auf der Liste, zählt aber dennoch vierundvierzig Stücke: sechsundzwanzig lange Achtzehnpfünder in der unteren Reihe; zwölf Zweiunddreißigpfünder-Karronaden auf dem Quarterdeck; vier weitere Karronaden und zwei Drehbassen
So nennt man auf Schiffen die leichten Lärmkanonen.
D. U. auf dem Vorkastell. Sie würde Euren Irrwisch mit einer einzigen Breitseite total auslöschen, Monsieur Rule: denn was sind zehn Zwölfpfünder-Karronaden und siebenzig Mann, gegen eine solche Fregatte?«
»Ich bin nicht so wahnsinnig, Etouell, daß ich auch nur im Traum daran dächte, mich mit einer Streitmacht, wie du sie eben aufgezählt, gegen eine Fregatte oder selbst nur gegen eine schwere Kriegsschaluppe in einen Kampf einzulassen; doch lebe ich schon zu lange auf der See, um mich durch einen Schein von Gefahr beunruhigen zu lassen, ehe ich derselben ganz versichert bin. La Railleuse
Auf deutsch: »der Spottvogel«.
D. U. ist gerade ein Schiff, wie dieses.«
»Nehmt doch Vernunft an, Monsieur Rule,« versetzte Ithuel ernsthaft. »Die Railleuse würde so wenig als eine andere französische Fregatte vor einem feindlichen Hafen ihre Flagge aufhissen, denn das hieße ja seinen Plan nutzlos preisgeben. Ein englisches Schiff kann aber wohl eine französische Flagge zeigen, und die Proserpina wird ganz gewiß die Wimpel wechseln, wenn sie durch diesen Betrug voraussichtlich einen Vortheil davon trägt. Sie ist in Frankreich gebaut, hat französische Beine, mit oder ohne Stiefeln« – hier lachte Ithuel unwillkürlich, doch wurde seine Miene augenblicklich wieder ernsthaft – »und ich habe gehört, sie sei zu gleicher Zeit mit der Railleuse vom Stapel gelaufen. Das Alles bezöge sich auf ihre Größe und Bauart; sonst aber ist jede Wand und Stückpforte, ja jedes Segel in einer Weise auf meinem Rücken einregistrirt, daß kein Schwamm es jemals wieder rein waschen wird.«
»S-a-c-r-r-r-e!« murmelte Raoul zwischen den Zähnen. »Ist es wirklich ein Engländer, Etouell, so kann's ihm sehr leicht einfallen, hier herein zu kommen und auf halbe Kabellänge von uns vor Anker zu gehen. – Was hältst du davon, mon brave Americain?
»Daß das recht leicht passiren kann; nur vermöchte ich kaum einzusehen, was einen Kreuzer, wie diesen, an einen solchen Ort verlocken könnte. Es ist nicht Jedermann so neugierig wie der Irrwisch.«
»
Mais que diable allait-il faire dans cette galère?
»Was Teufels wollte er aber auf jener Galeere?«
D. U. –
Bien; wir müssen das Wetter nun einmal nehmen, wie es kommt, zuweilen Sturm, und dann wieder Windstille. Da er seine eigene Flagge so offen zur Schau trägt, so laß uns das Kompliment erwiedern und auch die unsere aufhissen. Hinauf mit der Flagge dahinten!«
»Mit welcher, Monsieur?« fragte ein alter, ernst blickender Quartiermeister, dem dieses Amt oblag, und den man noch nie lachen gesehen hatte; »der Kapitän wird sich erinnern, daß wir unter der Flagge Jean Bulls im Hafen einliefen.«
» Bien – so hisset abermals Monsieur Jean Bulls Flagge auf. Wir müssen nun schon einmal die angenommene Maske mit aller Keckheit durchführen. Klappt die Halsen auf, Herr Lieutenant! stellt den Lugger nach vorn gerade über seinen Anker, und laßt Alles bereit halten, um unsere Taschentücher zu entfalten. Man kann nicht wissen, ob der Irrwisch nicht bald Gelegenheit bekommt, sein Gesicht abzutrocknen. – Aha, Etouell! jetzt können wir seine Breitseite ganz hübsch abzählen, denn er steuert nunmehr gegen Westen!«
Die beiden Seeleute erhoben ihre Gläser und erneuerten ihre Beobachtungen.
Ithuel hatte eine Eigenthümlichkeit an sich, welche ihren Mann nicht allein charakterisirte, sondern überhaupt unter den Amerikanern seines Standes so allgemein ist, daß man sie gewissermaßen eine Nationaleigenschaft nennen könnte. Unter gewöhnlichen Umständen war er gesprächig und selbst zum Plaudern geneigt: sobald aber Entschlossenheit und Thatkraft nöthig wurden, zeigte er sich nachdenklich, stumm und nicht ohne eine eigenthümliche, persönliche Würde.
Auch jetzt war er in dieser Stimmung, und wartete ruhig, bis Raoul das Gespräch eröffnen würde. Dieser aber schien ebensosehr, wie er, zum Schweigen aufgelegt, denn er verließ das Klüsholz, und flüchtete sich vor dem lästigen Geschäfte des Verdeckabwaschens, das jetzt eben Statt hatte, in seine Kajüte.
Die zwei nächsten Stunden brachten, mit Ausnahme der wiedererwachten, geräuschvollen Thätigkeit des Morgens, keine wesentliche Aenderung in dem früheren Stande der Dinge in und außer der Bai. Die Mannschaft des Irrwisches hatte nach eingenommenem Frühstücke Alles wieder am Borde des kleinen Fahrzeugs zurecht gestellt, und beobachtete jetzt ein mürrisches, aber aufmerksames Stillschweigen.
Unter anderen Dingen, welche Ithuel seine Schiffskameraden gelehrt hatte, war es ihm auch gelungen, sie davon zu überzeugen, daß sie nothwendig ihre geläufigen Zungen im Zaume halten müßten, wenn sie anders für Engländer gelten wollten. Hätte man freilich die Leute ihrer Meinung folgen lassen, so wäre auf dem kleinen Lugger in einer Stunde ganz gewiß mehr gesprochen worden, als auf dem größten englischen Linienschiffe in zweien: nun hatte man sie aber so gut über die den Engländern eigene Schweigsamkeit, ferner über die Gefahr belehrt, welche es für sie haben mußte, wenn sie sich jetzt ihrer eigenen Sprache bedienen wollten, daß sie nunmehr jenes unterscheidende Merkmal ihrer Feinde – ce grand talent pour le silence – eher noch übertrieben.
Es gewährte Ithuels Laune ein eigenes Vergnügen, und er lächelte jedesmal, so oft er ein Boot von der Küste herankommen sah und die Matrosen beobachtete, wie sie die Arme über einander kreuzten, und mit mürrischer, sauertöpfischer Miene einzeln auf dem Verdeck hin- und hergingen, als ob sie förmliche Menschenfeinde wären und jede Unterhaltung von sich wiesen.
Es langten auch im Laufe der oben erwähnten zwei Stunden einige derartige Besuche bei dem Lugger an; aber die Schildwache auf der Fallreepstreppe hatte bereits ihre Instruction, und wies unter dem Vorwande, daß sie kein Französisch verstehe, jeden Versuch, an Bord zu kommen, zurück, so oft man in jener Sprache um Erlaubniß dazu bat.
Raoul hatte unter seiner Bemannung vier Matrosen, welche die englische Sprache, wie er selbst, auf einem Gefangenenschiffe erlernt hatten: mit diesen beschloß er in seinem Boote an's Land zu gehen. Bis jetzt hatte er nämlich in dem Geschäfte, das ihn in seine gegenwärtige, verdrießliche Lage versetzt hatte, nur geringe Fortschritte gemacht, und er war keineswegs der Mann, der einen für ihn höchst wichtigen Plan nur so leichthin aufgegeben hätte. Gerade in der Klemme, in der er sich nunmehr befand, beschloß er, einen Versuch zu machen, ob er nicht eben aus seiner kritischen Stellung einigen Nutzen ziehen könnte.
Nachdem er also seinen Kaffee zu sich genommen und die nöthigen Befehle ertheilt hatte, wurde die besagte Bootsmannschaft zusammengerufen, und bald darauf verließ er den Lugger. Alles dieses geschah aber mit der größten Ruhe, als ob die Erscheinung des Fremden bei der Mannschaft des Irrwisches nicht die mindeste Besorgniß erregt hätte.
Das Boot ruderte kühn in den kleinen Hafen hinein; der Kapitän stieg an dem gewöhnlichen Landungsplatze an's Ufer. Seine Leute beeilten sich keineswegs mit der Rückkehr, sondern schlenderten in Erwartung ihres Kommandanten den Quai entlang, feilschten um Früchte, scherzten mit den Weibern, so weit ihr geringes Italienisch hiezu ausreichte, und stellten sich, als ob sie das Französisch, womit die alten Seehunde des Hafens sie begrüßten – diese waren nämlich alle mehr oder weniger mit jener Universalsprache bekannt – nur mit Mühe verständen. Ihr Kapitän hatte sie zuvor genugsam gewarnt, und ihnen bedeutet, daß man bereits Verdacht gegen sie hege – überdieß waren sie von früher noch gut in Uebung und wußten ihre Rollen trefflich zu spielen.
So gelang es ihnen denn, während der Zeit, da sie Raoul zu erwarten hatten, alle Versuche, wodurch man sie verleiten wollte, sich selbst zu verrathen, glücklich zu vereiteln und den Charakter der Engländer auf's Täuschendste nachzuahmen. Zwei von den Vieren gingen mit gekreuzten Armen und sauertöpfischen Mienen schweigend auf dem Quai hin und her, und verschmähten sogar, den Lockungen des schönen Geschlechts Gehör zu geben, trotzdem, daß drei oder vier von den Mädchen durch Anbietung von Früchten und Blumen sich in ihr Vertrauen einzuschmeicheln suchten.
» Amico,« so redete Annunziata, eines der hübschesten Mädchen dieser Klasse in ganz Porto Ferrajo, den einen der Matrosen an – Vito Viti hatte sie nämlich ausdrücklich zu diesem Dienste bestimmt – »hier sind Feigen vom Festlande. Wollt Ihr vielleicht gefälligst einige davon kosten, damit Ihr bei Eurer Rückkehr nach England Euren Landsleuten auch erzählen könnt, wie wir armen Inselbewohner auf unserem Elba leben?«
»Schlechte Feige,« sprudelte Jaques, Raouls Oberbootsmann, an den diese Anrede gerichtet war, in gebrochenem Englisch, »besser zu Haus. Bekommen bessere in den Straßen von Portsmout!«
»Nun, Signore, Ihr braucht gerade nicht drein zu sehen, als ob sie Euch schaden oder Euch gar beißen würden. Ihr könnt sie immerhin essen und, mein Wort darauf, Ihr werdet sie eben so köstlich wie die Melonen von Napoli finden.«
»Keine Melonen – pah – als englische Melonen. Englische Melonen so viele wie pommes de terre – pah!«
»Ja, Signore, wie die Melonen von Napoli,« fuhr Annunziata fort, welche von den unfreundlichen Antworten, die sie erhielt, keine Sylbe verstand; »Signor Vito Viti, unser podestà, befahl mir, den fremden Herren Engländern, die in unserer Bai sind, diese Feigen anzubieten.«
» God dam!« erwiederte Jaques so barsch und kurz angebunden, daß er seine Absicht, des schönen Quälgeistes los zu werden, für den Augenblick wenigstens glücklich erreichte.
Wir müssen die Bootsmannschaft übrigens den wiederholten Versuchen der hübschen Verkäuferinnen auf so lange überlassen, bis sie endlich, wie später erzählt werden wird, von denselben erlöst wurden, um unserem Helden auf seinem Wege durch die Straßen der Stadt zu folgen.
Mochte er nun durch Instinkt geleitet werden, oder hatte er ein besonderes Ziel vor Augen – kurz, Raoul eilte rasch die Höhen hinan und bestieg das schon öfter erwähnte Vorgebirge. Im Vorübergehen sah er Aller Augen auf sich geheftet, denn das Mißtrauen war in dem jetzigen Augenblicke allgemein unter den Einwohnern verbreitet, und das plötzliche Erscheinen einer Fregatte, die sich mit französischer Flagge vor dem Hafen zeigte, hatte weit ernstere Besorgnisse hervorgerufen, als die bloße Ankunft eines so leichten Fahrzeuges, wie der Lugger, sonst hätte nach sich ziehen können.
Vito Viti hatte sich schon lange zuvor zu dem Vicestatthalter begeben, welcher sofort acht bis zehn der angesehensten Männer der Stadt – die beiden ältesten militärischen Würdenträger der Insel mit eingeschlossen – zu einer Berathung zusammenberufen hatte. Man wußte, daß die Batterien bemannt waren, und obwohl selbst der scharfsichtigste Politiker auf Elba wohl schwerlich hätte einen Grund angeben können, warum der Franzose einen so nutzlosen Angriff, wie den auf ihren besten Hafen, wagen sollte, so wurde dennoch ein solches Resultat nicht nur gefürchtet, sondern sogar mit ziemlicher Zuversicht als wahrscheinlich angenommen.
Kein Wunder also, wenn jedes Auge den Bewegungen des Fremden folgte, welcher mit raschen Schritten die schmalen Terrassen der steilen Straßen hinauf eilte; war es ja doch natürlich, daß unter solchen Umständen selbst die unbedeutendste Handlung von seiner Seite der ängstlichsten, eifersüchtigsten Beobachtung unterworfen wurde.
Die Höhen waren abermals mit Zuschauern jedes Alters, Standes und Geschlechts dicht besetzt. Wie gewöhnlich bildeten die Mäntel und fliegenden Gewänder der Frauen die Mehrheit unter der Menge; denn sobald die Neugierde in's Spiel kommt, darf man mit Sicherheit darauf rechnen, eine unverhältnißmäßige Anzahl des schönen Geschlechts versammelt zu sehen, da bei ihnen die Einbildungskraft den Verstand nur gar zu gerne überwältigt.
Auf einer Terrasse vor dem Palaste – wie man gewöhnlich die Wohnung des Statthalters nannte – stand die Gruppe der versammelten Häupter der Stadt; Alle bewachten mit der ernstesten Aufmerksamkeit die geringste Veränderung in dem Kurse des Schiffes, das nunmehr der Gegenstand allgemeiner Unruhe und Besorgniß geworden war. So emsig waren sie in der That mit der Beobachtung dieses gefürchteten Feindes beschäftigt, daß Raoul mit einem Male, den Hut in der Hand, vor Andrea Barrofaldi stand, und ihn mit einer Verbeugung begrüßte, ehe man nur eine Ahnung von seiner Annäherung gehabt hatte.
Diese plötzliche, unangemeldete Ankunft erregte allgemeines Erstaunen und keine kleine Verwirrung unter der Gruppe; einer oder zwei aus der Versammlung wendeten ihre Blicke instinktartig bei Seite, als ob sie die Schamröthe verbergen wollten, welche dieß unerwartete Auftreten eben desselben Mannes, von dem sie eine Minute früher in so verdächtigen Ausdrücken gesprochen, auf ihren Wangen hervorgerufen hatte.
» Bon giorno, Signor Vicestatthalter,« begann Raoul in seiner munteren, feinen und höflichen Weise, während seine Mienen jedes andere Gefühl, nur nicht das der Furcht und des Schuldbewußtseins zu verrathen schienen: »wir haben heute einen schönen Morgen hier am Lande, und da draußen in der See, wie es scheint, eine hübsche Fregatte der französischen Republik.«
»Wir sprachen eben, als Ihr ankamt, von diesem Schiffe, Signor Smees,« gab Andrea zur Antwort. »Was kann nach Eurer Ansicht einen Franzosen veranlassen, auf so bedrohliche Weise vor unserer Stadt zu erscheinen?«
» Cospetto! da könntet Ihr mich ebensogut fragen, Signore, was wohl diese Republikaner veranlaßt habe, noch tausend andere Dinge zu thun, die sie nichts angehen. Warum haben sie Ludwig XVI. enthauptet? Warum euer halbes Italien überwältigt? Warum Egypten erobert und die Oesterreicher über die Donau zurückgetrieben?«
»Nichts davon zu sagen, daß sie sich von Nelsoni bei Abukir vernichten ließen,« setzte Vito Viti grinsend hinzu.
»Ganz richtig, Signore; ja, Nelson, mein tapferer Landsmann, hat sie an der Mündung des Nils tüchtig zu Paaren getrieben. Ich hielt es nicht für passend, mit dem englischen Ruhme zu prahlen, obwohl sich dieser Fall allerdings recht gut hier anführen läßt. Wir haben auf dem Ving and Ving einige Matrosen, welche jener glorreichen Schlacht anwohnten, besonders unseren Segelmeister, Etouell Bolt, der zufällig von der Fregatte, auf welcher er eigentlich diente, auf Nelsons eigenes Schiff beordert worden war, um an dem Ruhme jener denkwürdigen Schlacht gleichsam seinen besonderen Antheil zu nehmen.«
»Ich habe den Herrn gesehen,« bemerkte Andrea Barrofaldi – » è un Americano?«
»Ein Amerikaner!« rief Raoul, trotz seiner angenommenen Gleichgültigkeit doch etwas betroffen; »nun ja, ich glaube, Bolt wurde in Amerika – nämlich im englischen Amerika geboren, und das ist, wie Ihr wißt, Signore, fast ebensogut, als ob er in England geboren worden wäre. Wir betrachten die Yankee's nicht anders als einen Theil unseres eigenen Volkes, und nehmen sie jeder Zeit sehr gerne in unsere Dienste.«
»So hat uns wenigstens Signor Ituello glauben lassen: er scheint ein großer Verehrer der englischen Nation zu sein.«
Raoul wurde unruhig, denn von Allem, was in dem Weinhause vorgegangen, wußte er keine Sylbe, und doch glaubte er in des Vicestatthalters Miene einen Ausdruck von Spott zu entdecken.
»Allerdings, Signore,« gab er gleichwohl mit unerschütterter Standhaftigkeit zur Antwort; »allerdings, Signore, die Amerikaner achten England hoch, und haben auch alle Ursache dazu, wenn man bedenkt, was diese große Nation Alles für sie gethan hat. – Ich bin übrigens in der Absicht gekommen, Signor Vicestatthalter, Euch für den Fall, daß dieser Franzmann wirklich Schlimmes beabsichtigen sollte, die Dienste meines Luggers anzubieten. Er ist freilich nur klein und unser Geschütz ziemlich leicht; nichtsdestoweniger könnten wir der Fregatte die Kajütenfenster einschießen, währen Ihr selbst von diesen Höhen aus ihr noch weit größeren Schaden zufügen könntet. Ich hoffe, wenn's zwischen Euch und den Republikanern zu Schlägen kommen sollte, werdet Ihr dem Ving and Ving eine ehrenvolle Stelle anweisen.«
»Und welchen besonderen Dienst möchtet Ihr am liebsten auf Euch nehmen, Signore,« fragte der Vicestatthalter mit vorsichtiger Höflichkeit; »wir sind keine Seeleute und müssen also die Wahl Euch selbst überlassen. Der Obrist hier erwartet, daß es zum Feuern kommen werde, und hat deßhalb seine Artilleristen bereits an ihre Kanonen gestellt.«
»Porto Ferrajo ist wegen seiner Kriegsbereitschaft unter den Seeleuten des mittelländischen Meeres berühmt, und sollte sich der Franzmann in den Bereich Eurer Kugeln heranwagen, so erwarte ich, ihn schneller entmastet zu sehen, als wenn er sich in einem Dock befände. Was den kleinen Ving and Ving betrifft, so wird es meiner Meinung nach wohl am besten sein, wenn wir, während die Fregatte mit Euren Batterien beschäftigt ist, längs der Ostküste der Bai hinsteuern, bis wir endlich in die offene See gelangen und das Bettelvolk zwischen zwei Feuer bringen. Dieß ist derselbe Kunstgriff, welchen Nelson bei Abukir ausführte, Signor Podesta, da Ihr doch jene Schlacht so sehr zu bewundern scheint.«
»In der That ein Manöver, das eines Nachfolgers Nelsoni's würdig erschiene, Signore,« bemerkte der Obrist, »wenn nur das Kaliber Eurer Kanonen größer wäre. Ihr werdet Euch doch nicht mit kurzen Zwölfpfündigen in den Bereich ihrer langen Achtzehnpfünder wagen wollen, selbst wenn die ersteren von Engländern und letztere nur von Franzosen bedient würden?«
»Wer weiß: am Nil ging auch eine unserer Fünfzigpfündigen dem Orient, einem Dreidecker, dwarsab durch die Klüsen, und that ihm keinen kleinen Schaden, denn das Admiralschiff flog bald darauf in die Luft. Die Seeschlachten, Herr Obrist, werden nach ganz anderen Grundsätzen entschieden, als Eure Landgefechte.«
»Das muß in der That der Fall sein,« gab der Soldat zur Antwort. »Doch was hat die Bewegung dort draußen zu bedeuten? – Als Seemann müßt Ihr im Stande sein, uns dieß zu erklären, Capitano.«
Diese Wendung zog Aller Augen nach der Fregatte, die in der That einige Bewegungen machte, welche wichtige Veränderungen anzudeuten schienen. Da diese Evolutionen mit den Begebenheiten unserer Erzählung in innigem Zusammenhange stehen, so wird wohl nöthig sein, sie dem Leser vor Augen zu führen, damit er den ganzen Gang derselben um so besser verstehen möge.
Die Entfernung der Fregatte von der Stadt mochte jetzt etwa fünf englische Meilen betragen. Strömung war keine vorhanden, und da im mittelländischen Meere weder Ebbe noch Flut vorkommt, so wäre das Schiff wahrscheinlich den ganzen Morgen vollkommen unthätig auf der Stelle geblieben, wenn sich nicht von Süden her ein leichtes Lüftchen erhoben hätte. Mit diesem Luftzuge nun war die Fregatte ein paar Meilen westwärts gesteuert, bis sie das Gouvernementsgebäude gerade vor sich hatte. Dabei hatte sie sich demselben in schiefer Richtung genähert – ein Umstand, der gerade die meiste Besorgnis erregte.
Mit der Sonne hatte sich auch der Wind erhoben; die Marssegel des Fremden füllten sich wenige Minuten, bevor der Obrist in den obenerwähnten Ausruf ausbrach, und die Fregatte begann mit einer Geschwindigkeit von vier bis fünf Knoten in einer Stunde durch das Wasser heranzuziehen. Sobald die Mannschaft bemerkte, daß sie ihres Schiffes vollkommen Herr waren, änderten sie augenblicklich den Kurs, als ob sie blos auf diesen Moment gewartet hätten, und setzten alle Segel bei. Die Ruderpinne steuerbord gewendet, kam das Schiff scharf in den Wind; sein Gallion schaute gerade gegen das Vorgebirge, die Halsen wurden an Bord gehalt und die leichteren Obersegel losgelassen, so daß sie lustig im Winde flatterten.
Fast in demselben Augenblicke – denn Alles schien am Borde des Fremden gleichzeitig und fast instinktartig zu geschehen – wurde die französische Flagge eingehißt; eine andere trat an ihre Stelle und eine Kanone wurde – zum Zeichen der Freundschaft – leewärts abgefeuert. Sobald diese zweite Flagge sich in dem Luftstrome ausbreitete, entdeckten die Ferngläser das weiße Feld und das St. Georgskreuz der edlen, alten Nationalflagge von England.
Ein Ausruf des Staunens und der Freude entschlüpfte den Zuschauern auf dem Vorgebirge, als sie ihre Besorgnisse und Zweifel auf eine so dramatische Weise gehoben sahen. Keiner dachte in diesem glücklichen Augenblicke an Raoul, dem übrigens das Ganze – den einzigen Umstand ausgenommen, daß der Fremde jetzt offenbar die Absicht, in die Bai einzulaufen, zeigte – durchaus nichts Neues war.
Da der Irrwisch von der offenen See aus vollkommen sichtbar war, so vermuthete er immer noch, das kriegerische Aussehen seines Schiffes könnte der eigentliche Grund sein, warum die Fregatte ihren Kurs so plötzlich geändert habe. Obwohl er übrigens in einem für Frankreich feindlichen Hafen lag, so war immer noch die Möglichkeit vorhanden, vielleicht ohne eine allzu genaue und gefährliche Untersuchung zu entwischen.
»Signor Smees, ich wünsche Euch zu dem Besuche Eures Landsmannes Glück,« rief Andrea Barrofaldi, der, schon von Natur friedfertig und nichts weniger als kriegerisch gesinnt, sich in der nunmehrigen Aussicht auf einen ruhigen Tag allzu glücklich fühlte, um in dem jetzigen Augenblicke noch Mißtrauen zu hegen. »Ich werde in meinem Berichte nach Florenz der muthvollen Bereitwilligkeit, womit Ihr Euch bei dieser wichtigen Veranlassung zu unserem Beistande angeboten, mit allen gebührenden Ehren gedenken.«
»Ihr braucht Euch eben keine Mühe zu machen, Herr Vicestatthalter, um meiner geringen Dienste willen,« erwiederte Raoul, indem er sich selbst kaum die Mühe gab, das Lächeln zu verbergen, das um seinen hübschen Mund spielte. »Denkt lieber an die Dienste dieser tapferen Herren hier, die gewiß herzlich bedauern, daß ihnen eine Gelegenheit, sich auszuzeichnen, verloren gegangen. – Doch da kommen Signale, welche wohl uns angehen müssen – ich hoffe, meine dummen Bursche werden im Stande sein, sie trotz meiner Abwesenheit zu beantworten.«
Es war vielleicht ein Glück für den Irrwisch, daß sein Kommandant in dem Augenblicke, da der Fremde – die Proserpina – sich als das nämliche Schiff zu erkennen gab, das Ithuel so wohl kannte – nicht am Bord war. Der Betrug, der jetzt gespielt werden mußte, hatte an dem New-Hampshirer-Manne einen weit geschickteren Vermittler, als Raoul selbst gewesen wäre.
Ithuel antwortete rasch: was? – das wußte er selbst nicht; doch gebrauchte er die Vorsicht, die Flaggen, die er zeigte, so unter einander zu bringen, daß man sie auf der Fregatte unmöglich erkennen konnte, während sie gleichwohl ohne alle Furcht und im besten Glauben aufgehißt worden zu sein schienen.