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Achtzehntes Kapitel.

Nur kurze Frist erfreut dich der Genuß;
Bald kommt der Abschied von den Schätzen allen,
Die Thore springen auf, die Riegel fallen,
Und alles Ird'sche raubt des Todes Kuß.

Bryant.

Kapitän Doucie hatte sich nach seinem Schlafgemache zurück gezogen, und saß noch in Lektüre begriffen da, als ein leises Pochen an der Thüre den ernsten Gang seiner Gedanken störte. Auf das Herein, welches er nicht vermeiden konnte, ging die Thüre auf.

»Ich hoffe, Doucie, Ihr habt das Schreibepult, das ich unter Euren Effekten ließ, und um dessen willen ich Euch nach Quebec schrieb, nicht vergessen?« sagte der in's Zimmer tretende Paul.

Kapitän Doucie deutete auf den fraglichen Gegenstand, der unter dessen übrigem Gepäcke auf dem Boden lag.

»Ich danke Euch für Eure Güte,« versetzte Paul, das Pult unter seinen Arm nehmend und sich nach der Thüre zurückziehend. »Es enthält Papiere, die für mich von großer Wichtigkeit sind, nebst einigen weiteren, die, wie ich wohl mit Grund glaube, für Andere Bedeutung haben.«

»Haltet, Powis – noch ein Wort, eh' Ihr mich verlaßt. Ist Templemore de trop

»Durchaus nicht; ich achte ihn sehr, und es sollte mir leid thun, wenn er uns verließe.«

»Und doch kömmt es mir auffallend vor, daß ein Mann, wie er, unter diesen Bergen verbauern will, während man doch von ihm erwartet, er werde die Canades besuchen, um in England über den dortigen Stand der Dinge Bericht zu erstatten.«

»Ist Sir George wirklich mit einer derartigen Sendung betraut?« fragte Paul mit Teilnahme.

»Mit einer eigentlichen Sendung nicht, da dieß nicht nöthig war. Templemore ist reich und bedarf daher keiner Anstellung; aber man hofft und erwartet, er werde sich in den Provinzen umsehen und über die Sachlage der Regierung berichten. Man kann ihm freilich seine Nachlässigkeit nicht zum Vorwurf machen, aber dennoch wird sie Ueberraschung hervorrufen.«

»Gute Nacht, Doucie. Templemore zieht einen Wigwam Eurem ummauerten Quebec und die Eingeborenen den Kolonisten vor – voilà tout!«

Nach einer Minute pochte Paul an die Thüre von John Effinghams Zimmer, und wurde abermals zum Eintreten aufgefordert.

»Doucie hat meine Bitte nicht vergessen, und dieses Pult hier enthält die Papiere des armen Mr. Monday,« bemerkte er, das Pult auf einen Toilettentisch niedersetzend und in einem Tone sprechend, welcher zeigte, daß er erwartet worden war. »Wir haben in der That diese Pflicht schon allzu lang vernachlässigt, und es steht zu hoffen, daß aus der Zögerung Niemand ein Schaden oder Unrecht erwachsen sei.«

»Ist dieß das Paket?« fragte John Effingham, seine Hand ausstreckend, um einen Bündel mit Papieren, welche Paul aus dem Pulte genommen hatte, in Empfang zu nehmen. »Wir wollen die Siegel erbrechen und noch vor Schlafengehen nachsehen, was wir thun müssen.«

»Dieß sind meine eigenen Papiere, die für mich von großem Werthe sind,« entgegnete der junge Mann, sie einen Augenblick ernst betrachtend, ehe er sie auf den Toilettentisch niederlegte. »Hier ist Mr. Mondays Hinterlassenschaft.«

John Effingham nahm seinem jungen Freunde das Paket ab, rückte auf dem Tische die Lichter zurecht, setzte seine Brille auf und lud Paul ein, Platz zu nehmen. Die Gentlemen saßen sich gegenüber, und die Obliegenheiten des Siegelerbrechens und der ersten Einsichtnahme fiel natürlich dem älteren zu, der in Wahrheit allein damit betraut worden war.

»Hier ist Etwas von dem armen Monday selbst unterzeichnet, wahrscheinlich als allgemeines Certificat,« bemerkte John Effingham, welcher das Papier überlas und es sodann Paul einhändigte. Es war mit: »Allen, welchen daran gelegen,« überschrieben und lautete folgendermaßen:

»Ich, John Monday, erkläre und bekräftige hiemit, daß alle anliegende Briefe und Papiere ächt und authentisch sind. Jane Dowse, die Schreiberin und Empfängerin so vieler dieser Briefschaften, ist meine nunmehr verstorbene Mutter, die mit dem mehrgenannten Peter Dowse verheirathet war, und von ihm zu Handlungen verleitet wurde, welche sie, wie ich weiß, seitdem tief bereut hat. Als mir meine arme Mutter diese Papiere vertraute, überließ sie es mir, ganz nach Gutdünken darüber zu schalten, und ich habe sie geordnet, daß sie noch Gutes wirken möchten, im Fall ich plötzlich abberufen werde. Alles hängt von der Entdeckung ab, wer der sogenannte Bright wirklich ist, da ihn meine Mutter nie unter einem anderen Namen kannte. Sie wußte nur so viel, daß er ein Engländer war, und meinte, er stehe oder habe im Dienste der Familie eines Gentlemans gestanden.

John Monday

Das Datum bezog sich auf einige Jahre rückwärts – ein Beweis, daß Mr. Monday schon geraume Zeit geneigt gewesen war, den betreffenden Parteien Recht zu verschaffen, und sämmtliche Briefschaften sorgfältig aufbewahrt hatte. Letztere waren regelmäßig numerirt, eine Vorsorge, welche die Untersuchung der beiden Gentlemen wesentlich erleichterte. Die Originalbriefe waren als solche leicht zu erkennen, und die Abschriften in kräftiger, schöner, geschäftsmäßiger Kaufmannshand gehalten. Mit einem Worte, so weit es der Inhalt der verschiedenen Papiere zuließ, fehlte nichts, um das Ganze klar und verständlich zu machen.

John Effingham las bedächtig, obschon nicht laut, das Papier Nro. 1, und übergab es sodann seinem jungen Freunde mit der ruhigen Bemerkung:

»Wir haben hier das Machwerk eines schlauen Spitzbuben.«

Paul überblickte das Dokument, – einen Originalbrief mit »David Bright« unterzeichnet; die Ueberschrift lautete an »Mrs. Jane Dowse.« In dem ungemein listig gehaltenen Schreiben kamen viele Freundschaftsversicherungen vor; es war davon die Rede, daß der Verfasser die Verwandten der Frau in England, namentlich ihren ersten Mann kenne und von Herzen gerne ihr dienstlich sein wolle. Dabei fanden sich übrigens auch mehrere zweideutige Anspielungen auf gewisse Mittel vor, wie dieß geschehen sollte, und es wurden weitere Enthüllungen versprochen, sobald die auf der Adresse benannte Person eine Geneigtheit kund gebe, sich bei dem Unternehmen zu betheiligen. Der Brief war von altem Datum, in »Philadelphia« geschrieben und an eine gewisse Person in New-York adressirt.

»Dieß ist in der That ein feines Stückchen Büberei,« sagte Paul, sobald er das Papier niedergelegt hatte, »und so ziemlich in dem Geiste gehalten, in welchem der Teufel sprach, als er unsere gemeinsame Mutter versuchte. Ich glaube nicht, je ein schlagenderes Pröbchen von gemeiner schlauer Arglist gelesen zu haben.«

»Und nach dem, was wir bereits wissen, scheint es gelungen zu sein. In diesem Schreiben werdet Ihr finden, daß der Ehrenmann ein bischen weiter mit der Farbe herausgeht – aber nur ein bischen, obschon er augenscheinlich durch die Theilnahme und Neugierde ermuthigt wurde, welche die Frauensperson in dieser Abschrift der Antwort auf seinen ersten Brief an den Tag legt.«

Paul las die eben genannten Briefe, und legte sie sodann, in Erwartung des nächsten, der noch in Johns Händen war, bei Seite.

»Es scheint hier von der Geschichte einer ungesetzlichen Liebe und ihren unseligen Folgen die Rede zu sein,« sagte John Effingham in seiner ruhigen Weise, als er Paul die Antworten auf die Briefe Nro. 2 und Nro. 3 einhändigte. »Die Welt ist voll von solchen unglücklichen Abenteurern, und ich möchte in Folge einiger Winke, die Ihr in dieser sehr ehrenvollen und gewissenhaften Korrespondenz finden werdet, die betreffenden Personen für Engländer halten. Die schroffen, künstlichen, socialen und politischen Distinctionen machen vielleicht in Großbritannien derartige Winkelzüge weit häufiger, als in irgend einem Lande. Die Jugend ist die Zeit der Leidenschaften, und Mancher legt in der Gedankenlosigkeit dieser Periode den Grundstein zu bitterer Reue für sein ganzes späteres Leben.«

Als John die Augen aufrichtete und die Hand gegen seinen Gefährten ausstrecken wollte, bemerkte er, daß sich das frische Roth auf Pauls Wangen vertieft und eine hohe Glut über dessen ganzes Antlitz verbreitet hatte. Anfangs durchzuckte den alten Gentleman ein unangenehmer Argwohn, für den er sich alsbald im Innern selbst Vorwürfe machte, denn er hatte Eva und ihr künftiges Glück mit dem Charakter und dem Benehmen des Jünglings bereits in die engste Verbindung gebracht. Sobald jedoch Paul, der das Papier mit fester Hand entgegennahm und durch seine Gewaltanstrengung alle schmerzlichen Gefühle niederzukämpfen schien, mit ruhiger Würde, die Blätter zu lesen begann, war auch jede Spur des Mißtrauens wieder verwischt. John Effingham entsann sich jetzt, daß er Paul selbst einmal für die Frucht der herzlosen Unbesonnenheit, über die er eben den Stab gebrochen, gehalten hatte, und Mitleid trat augenblicklich an die Stelle des ersten Eindrucks. Dieses Gefühl nahm ihn dermaßen in Anspruch, daß er noch immer nicht an den nächsten Brief gekommen war, als Paul schon diejenigen, die ihm zum Durchlesen hingeboten worden, niederlegte.

»Dieß scheint in der That auf eine jener schmerzlichen Geschichten ungezügelter Leidenschaft mit ihren noch peinlicheren Folgen hinzudeuten,« sagte der Jüngling mit der Festigkeit eines Mannes, welcher nicht entfernt wähnt, daß man ihn mit einem so unangenehmen Ereigniß persönlich hatte in Verbindung bringen können. »Laßt uns fortmachen.«

John Effingham fühlte sich durch diese Zeichen der Unbesorgtheit ermuthigt, und las den nächsten Brief laut, so daß sie Beide gleichzeitig von dem Inhalt in Kenntniß gesetzt wurden. Die nächsten sechs oder acht Mittheilungen waren ziemlich unklar gehalten, mit Ausnahme der Thatsache, daß das Kind, welches den Gegenstand der ganzen Korrespondenz bildete, von Peter Dowse und seinem Weib in Empfang genommen und gegen eine beträchtliche Summe nebst der weiteren Verbindlichkeit zu Entrichtung einer jährlichen Zahlung als ein eigenes erzogen werden solle. Aus den Briefen schien noch ferner hervorzugehen, daß das Kind, welches unter der heuchlerischen Bezeichnung »Herzchen« öfters berührt wurde, wirklich Jane Dowse übergeben worden wäre und die Korrespondenz noch mehrere Jahre fortgedauert hatte. Die meisten der späteren Briefe bezogen sich auf die Zahlung eines Jahrgelds nebst kalten Erkundigungen nach dem »Herzchen« und so unbestimmten, allgemeinen Antworten, daß man zur Genüge daraus ersehen konnte, wie jenes Liebeswörtchen sehr unrecht angebracht war. Im Ganzen bestund das Packet aus etwa dreißig oder vierzig Briefen mit eben so vielen Antworten, und die verschiedenen Daten deuteten auf einen Zeitraum von fast zwölf Jahren.

Sie hatten sich mit diesen Papieren eine volle Stunde beschäftigt, und in demselben Augenblicke, als die Dorfuhr zwölf schlug, legte John Effingham seine Brille auf den Tisch.

»Bis jetzt,« bemerkte er, »haben wir wenig mehr erfahren, als daß man einem Kinde einen falschen Charakter beilegte. Für die Umstände haben wir keinen andern Schlüssel, als denjenigen, welchen uns die Namen der betreffenden Personen geben, die augenscheinlich unter dem großen Haufen verschwinden mußten; die Haupttriebfeder des Ganzen aber – so wird uns deutlich gesagt – muß unter einem falschen Namen aufgetreten sein. Sogar der arme Monday, obschon er wohl im Besitz vieler weiterer Zeugnisse war, die uns jetzt abgehen, kann den Grad der Ungerechtigkeit unmöglich gehörig erkannt haben, da er bei den Absichten, die er an den Tag legt, gewiß nicht diesen wichtigen Punkt im Dunkeln gelassen hätte.«

»Es scheint überhaupt eine äußerst verwickelte Geschichte zu sein,« entgegnete Paul, »und ich sehe nicht ein, was zuvörderst anzufangen wäre. Ihr scheint jedoch müde zu sein, und wir können daher füglich eine weitere Untersuchung auf eine andere Zeit verschieben.«

John Effingham pflichtete bei, und Paul brachte während der kurzen Unterredung, die nun folgte, sein Pult nebst dem Bündel der ihm selbst zugehörigen wichtigen Papiere nach dem Tisch. Es währte einige Zeit, bis er Alles wieder in dem früheren Schubfache untergebracht hatte.

»Die Förmlichkeiten mit den Siegeln, welche wir beobachteten, als uns der arme Monday dieses Packet gab, dürfen wohl als unnöthig erscheinen,« bemerkte er, während er noch immer mit Einpacken beschäftigt war, »und es wird wahrscheinlich zureichen, wenn ich mein Pult auf Eurem Zimmer lasse und den Schlüssel zu mir stecke.«

»Dieß kann man nicht wissen,« entgegnete John Effingham mit der größeren Vorsicht der Erfahrung und des Alters; »wir haben noch nicht alle Papiere gelesen und hier ist Siegelwachs und Licht; unsere Petschaften sind zur Hand, und wir brauchen nur eine Minute, so haben wir Alles wieder in der früheren Ordnung. Wenn dieß geschehen ist, so könnt Ihr das Pult hier lassen oder mitnehmen; ich stelle dieß ganz Eurem Belieben anheim.«

»Es mag immerhin hier bleiben; denn obschon es in der Regel viel enthält, was mir theuer und von der größten Wichtigkeit ist, so bietet sich doch vorderhand keine Gelegenheit, Gebrauch davon zu machen.«

»In diesem Falle wird's wohl am besten sein, ich lege das Packet, an welchem wir gemeinsames Interesse nehmen, in einen Armoire oder in mein eigenes Schreibpult; Ihr könnt dann Euer Eigenthum unmittelbar unter Euren Augen behalten.«

»Dieß ist sehr unwesentlich, es müßte denn sein, daß Ihr dadurch belästigt würdet; denn ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich mich nicht glücklicher fühle, wenn ich das Pult nicht stets vor meinen Blicken habe, sofern ich nur überzeugt sein kann, daß der Inhalt sicher ist.«

Paul sagte dieß mit einem erzwungenen Lächeln, obschon in seinem Wesen und Gesicht sich eine Trauer ausdrückte, welche in hohem Grade die Theilnahme seines Gefährten weckte. Letzterer machte jedoch blos eine zustimmende Verbeugung, worauf das Packet in das Pult eingeschlossen und dieses schweigend in dem Armoire untergebracht wurde. Paul war nun im Begriffe, John Effingham gute Nacht zu wünschen, als dieser ihn bei der Hand ergriff und durch sanfte Gewalt veranlaßte, seinen Sitz wieder einzunehmen. Es folgte eine kurze, verlegene Pause, nach welcher der Letztere begann:

»Wir haben viel mit einander durchgemacht und uns gegenseitig in zureichend prüfenden Lagen gesehen, um Freunde sein zu können. Es würde mich schmerzen, wenn Ihr glauben solltet, daß mich bei dem Wunsche, mehr von Eurem Vertrauen zu besitzen, als Ihr vielleicht zu verleihen geneigt seid, eine ungebührliche Neugierde sporne, und ich zähle darauf, daß Ihr die Freiheit, die ich mir jetzt nehme, dem wahren Beweggrunde zuschreibt. Wir sind zwar im Alter verschieden, aber die aufrichtige, lebhafte Theilnahme, die ich für Eure Wohlfahrt fühle, sollte mir einiges Anrecht geben, nicht als ein ganz Fremder angesehen zu werden. Mein Interesse – ja, ich kann wohl sagen, meine Liebe für Euch – ist so eifersüchtig und wachsam gewesen, daß ich wohl bemerkte, wie Ihr Euch nicht ganz in der Stellung anderer Leute von Eurer Lebenslage befändet, und ich fühle mich überzeugt, daß Euch die Theilnahme, vielleicht auch der Rath eines Mannes, der so viel Jahre älter ist, als Ihr, nützlich werden könnte. Ihr habt mir bereits so viel von Euren persönlichen Verhältnissen mitgetheilt, daß ich mich berechtigt fühle, noch mehr Aufschluß von Euch zu verlangen.«

John Effingham sprach dieß in seiner mildesten und gewinnendsten Weise, denn wenn er wollte, waren nicht viele Menschen im Stande solche Ueberredungskraft in Stimme und Blick zu legen, als er. Pauls Züge drückten große Bewegung aus, und sein Gefährte sah deutlich, daß er tief, obschon nicht unangenehm, ergriffen war.

»Ich danke Euch, danke Euch aus dem Grunde meines Herzens, Sir, für Eure Theilnahme an meinem Wohl,« entgegnete Paul, »und wenn Ihr mir die einzelnen Punkte, über die Ihr Auskunft verlangt, namhaft machen wollt, so werde ich in nichts gegen Euch rückhaltig sein. Habt daher die Güte, mir Eure Fragen vorzulegen, Mr. Effingham, damit ich keine Dinge berühre, an denen Euch nichts gelegen ist.«

»Alles, was mit Eurem Glücke zusammenhängt, hat Interesse für mich. Eurer Mitwirkung verdanken wir es, daß nicht nur ich, sondern auch Diejenigen, welche meinem Herzen am nächsten stehen, einem Schicksal entgingen, welches schlimmer ist, als der Tod; und da ich selbst ein kinderloser Hagestolz bin, so habe ich schon mehr als einmal daran gedacht, ob ich nicht versuchen solle, Euch die natürlichen Freunde zu ersetzen, die Ihr, wie ich fürchte, verloren habt. Eure Eltern –«

»Sind beide todt,« versetzte Paul mit einem melancholischen Lächeln. »Ich habe sie nie gekannt und werde mit Freuden Euer großmüthiges Erbieten annehmen, wenn Ihr mir gestatten wollt, eine einzige Bedingung daran zu knüpfen.«

»Bittende dürfen nicht wählig sein,« entgegnete John Effingham, »und wenn Ihr mir gestatten wollt, dieses Interesse gegen Euch zu fühlen und gelegentlich mich eines Vertrauens zu erfreuen, wie das des Sohnes zum Vater ist, so werde ich nicht auf ungebührlichen Bedingungen bestehen. Nennt mir die Eurige.«

»Das Wort Geld muß aus unserem Wörterbuche gestrichen bleiben, und an Eurem Testament darf keine Aenderung vorgenommen werden. Wie könntet Ihr, selbst wenn Ihr die ganze Welt durchsuchen wolltet, eine würdigere oder lieblichere Erbin finden, als Diejenige ist, welche Ihr bereits gewählt habt, und die Euch von der Vorsehung selbst gegeben wurde. In Vergleichung mit Euch bin ich nicht reich; indeß besitze ich ein anständiges Einkommen, und da ich wahrscheinlich nie heirathen werde, so ist für meine Bedürfnisse gesorgt.«

John Effingham war über diese Freimüthigkeit und über die geheime Sympathie, die zwischen ihnen längst bestanden hatte, mehr erfreut, als er ausdrücken mochte; er lächelte daher bei dieser Hindeutung, denn er hatte mit Eva's Vorwissen und unter völliger Billigung ihres Vaters seinem Testamente ein Codicill angefügt, in welchem er ihrem gemeinschaftlichen jungen Beschützer die Hälfte seines großen Vermögens übertrug.

»Wenn Ihr wollt, soll mein Testament unverändert bleiben,« antwortete er ausweichend; »diese Bedingung ist also beseitigt. Ich freue mich, aus Eurem eigenen Munde die Bestätigung dessen zu vernehmen, was ich mir aus Eurer Lebensweise und aus dem Hörensagen nicht anders dachte – daß Ihr nämlich unabhängig seid. Diese Thatsache allein schon stellt unsere gegenseitige Achtung fest und macht unsere Freundschaft, die, wenn sie auch noch nicht sicher begründet ist, doch einmal einen Anfang gemacht hat – gleicher und offener. Für einen Mann von Euren Jahren und Eurem Berufe habt Ihr viel von der Welt gesehen, Powis.«

»Dieß liegt schon an sich im Gefolge meines Berufes, obschon ich mit Euch einverstanden bin, Sir, daß der Seemann in der Regel die Welt nur in einem sehr beschränkten Kreise sieht. Es sind nun mehrere Jahre her, seit Umstände – ich möchte fast sagen, die gebieterische Weisung einer Person, der ich zu gehorchen mich verpflichtet halte, – mich veranlaßten, von meiner Laufbahn abzugehen, und ich habe dann meine Zeit fast blos mit Reisen ausgefüllt. Gewissen zufälligen Ursachen verdankte ich es, daß ich mich eines Zutritts zur europäischen Gesellschaft erfreuen durfte, wie er nur wenigen unserer Landsleute zu gut kömmt, und ich hoffe, daß dieser Vortheil nicht ganz an mir verloren ging. Ich reiste auf dem europäischen Festlande, als ich das Vergnügen hatte zum erstenmale mit Mr. und Miß Effingham zusammenzutreffen. Schon von Kindheit an war ich viel auswärts, und dieser Thatsache habe ich einige Gewandtheit in fremden Sprachen zu danken.«

»Dieß hat mir mein Vetter mitgetheilt. Die Frage über Euer Vaterland ist dadurch erledigt, daß Ihr Euch selbst für einen Amerikaner erklärt; aber dennoch finde ich, daß Ihr englische Verwandte habt. Kapitän Doucie ist, wie ich glaube, Euer Vetter?«

»Ja – wir sind Schwesterkinder, obschon unsere Freundschaft nicht immer so innig war, als man aus den Banden des Blutes wohl schließen sollte. Als ich mit Doucie auf der See zusammentraf, trug die Begegnung den Charakter einer Befangenheit und Kälte, der, wie ich fürchte, in Vereinigung mit meiner plötzlichen Rückkehr nach England bei den Zeugen des Vorgangs nicht die besten Eindrücke zu meinen Gunsten zurückließ.«

»Wir setzten Vertrauen in Euren Charakter,« erwiederte John Effingham mit einfacher Freimüthigkeit; »und obgleich die ersten Muthmaßungen bei Allen an Bord vielleicht nicht die angenehmsten waren, so überzeugte uns doch kurzes Nachdenken, daß wir keine Berechtigung zu schlimmem Argwohn hätten.«

»Doucie ist ein wackerer Mann – aufrichtig und hochherzig, wie es dem Matrosen ziemt. Ich hatte ihn zum letzten Mal auf dem Wahlplatz gesehen, wo wir uns als Feinde gegenüber standen, und dieser Umstand machte das unerwartete Wiedersehen befangen. Allerdings schmerzten unsere Wunden nicht länger, aber vielleicht fühlten wir Beide Scham und Reue darüber, daß sie je geschlagen worden waren.«

»Es mußte wohl ein sehr ernster Anlaß gewesen sein, der Schwesterkinder gegen einander bewaffnen konnte,« sagte John Effingham mit Ernst.

»Ich gebe dieß zu; aber Kapitän Doucie war damals nicht geneigt, die Blutsfreundschaft anzuerkennen, und die Beleidigung entsprang aus einer Aufwallung über einige seiner Hindeutungen auf meine Geburt. Bei zwei Männern von militärischer Erziehung war der Ausgang kaum zu vermeiden. Doucie forderte und ich war damals nicht in der Stimmung, ihn zu schonen. Ein paar Fleischwunden waren zum Glück das ganze Ende des Streites. Ein Zwischenraum von drei Jahren hatte übrigens meinen Feind in den Stand gesetzt, zu entdecken, daß er mir Unrecht gethan und ich grundlos zum Streit gereizt worden sei, da wir im Gegentheil Ursache hätten, innige Freunde zu sein. Der edelmüthige Wunsch, mir eine passende Genugthuung anzubieten, bewog ihn zu Benützung der nächsten besten Gelegenheit, um nach Amerika zu kommen, und zu der Zeit, als er in Folge einer telegraphischen Mittheilung von London dem Montauk nachsetzen mußte, erwartete er stündlich den Befehl, nach unsern Meeren auszusegeln, die er ausdrücklich in der Absicht, mit mir zusammenzutreffen, zu besuchen wünschte. Ihr könnt daher selbst ermessen, wie erfreut er war, mich unerwarteterweise in dem Schiffe zu treffen, welches den Hauptgegenstand seiner Verfolgung barg, da er auf diese Weise so zu sagen zwei Vögel mit einem Steine traf.«

»Er hat Euch also nicht in mörderischer Absicht entführt?« fragte John Effingham lächelnd.

»Keineswegs. Wir hatten uns noch nicht zwei Stunden in seiner Kajüte befunden, als wir schon auf dem freundschaftlichsten Fuße zu einander standen. Wie es oft zu gehen pflegt, wo Abneigung und unvernünftige Vorurtheile geherrscht haben, verbannte eine nähere Bekanntschaft mit den gegenseitigen Charakteren und Motiven bald alle weiteren Hindernisse, und noch ehe wir England erreichten, bestand zwischen uns ein so warmes und offenes Verhältniß, wie man es zwischen Verwandten nur wünschen kann. Ihr wißt, Sir, daß unsere englischen Cousins ihre transatlantischen Vettern nicht oft mit wohlwollenden Blicken zu beurtheilen pflegen.«

»Dieß ist nur zu wahr,« versetzte John Effingham stolz, obschon seine Lippe zitterte, während er sprach, »und die Schuld liegt großentheils in jener elenden geistigen Knechtschaft, welche dieses Land nach sechzigjähriger nomineller Unabhängigkeit noch immer so sehr im Banne feindseliger ausländischer Meinungen hält. Es ist nothwendig, daß wir uns selbst achten, wenn uns auch Andere achten sollen.«

»Ich bin ganz mit Euch einverstanden, Sir. In meinem Falle veranlaßte jedoch die frühere Ungerechtigkeit meine Verwandten, mich vielleicht besser aufzunehmen, als sie wohl anderweitig geneigt gewesen wären. An Vermögen hatte ich nicht viel zu fordern, und da ich eine Frage, die vielleicht die Peerage der Doucies hätte beeinträchtigen können, nicht aufstören wollte, so war ich allenthalben gerne gesehen.«

»Eine Peerage? – So waren also Eure Eltern Engländer?«

»Ich glaube nicht; aber die Beziehung zwischen den beiden Ländern war so enge, daß es nicht überraschen kann, wenn ein derartiges Recht auch auf die Kolonien übergegangen wäre. Meine Großmutter mütterlicher Seits ererbte eine jener alten Baronien, welche in der Regel auf die Familienhäupter übergehen, und in Folge des Todes zweier Brüder kamen diese Rechte, welche von früheren Generationen nie geltend gemacht wurden, auf meine Mutter und meine Tante. Erstere starb angeblich ohne Leibeserben –«

»Ihr vergeßt Euch!«

»Ohne gesetzliche Leibeserben, hätte ich beifügen sollen,« entgegnete Paul, bis an die Schläfe erröthend. »Mrs. Doucie heirathete den jüngeren Sohn eines englischen Edelmannes, machte Anspruch auf den Rang und erhielt ihn. Meine Rechte auf die Peerage wurden in Anwartschaft gelassen, und diesem Umstande verdanke ich wahrscheinlich Einiges von der kleinen Opposition, die mir entgegentrat. Nach Doucies edelmüthigem Benehmen aber nahm ich keinen Anstand mehr, mich einem Gesuche an die Krone anzuschließen, daß die Anwartschaft zu Gunsten der im Besitz befindlichen Personen erledigt werde, und Lady Dunluce ist nun gesetzlich in ihren Ansprüchen bestätigt.«

»Es gibt viele junge Männer in unserem Lande, die mit mehr Zähigkeit an der Hoffnung einer brittischen Peerage festhalten würden.«

»Wohl möglich; aber meine Selbstverläugnung ist nicht sehr hoch anzuschlagen, da ich kaum hätte erwarten können, daß die englischen Minister den Rang einem Fremden verleihen würden, welcher keinen Anstand nahm, seine Grundsätze und Nationalgefühle öffentlich kund zu geben. Es wäre überflüssig, zu sagen, daß ich kein Verlangen nach dieser Peerage trug, denn ich bin als Amerikaner geboren und will als Amerikaner sterben; und ein Amerikaner, welcher mit derartigen Ansprüchen auch nur groß thut, kommt mir vor wie die Dohle unter den Pfauen. Je weniger darüber gesprochen wird, desto besser ist's.«

»Ihr könnt von Glück sagen, daß Ihr den Journalen entgangen seid, denn diese würden Euch höchst wahrscheinlich durchleuchtet und mit einem Male zum Rang eines Herzogs erhoben haben.«

»Statt dessen hatte ich keine andere Stellung, als die des Hundes am Troge. Wenn es meine Tante glücklich macht, sich Lady Dunluce nennen zu lassen – ei, meinetwegen, so soll sie dieses Vorrecht haben, und succedirt ihr eines Tages Doucie, so wird England einen trefflichen Peer haben. Voilà tout. Ihr seid der einzige Landsmann, Sir, mit dem ich je über diesen Punkt gesprochen habe, und ich hoffe, Ihr werdet die Sache für Euch behalten.«

»Wie, soll ich nicht einmal in meiner eigenen Familie davon sprechen? Ich bin nicht der einzige aufrichtige – der einzige warme Freund, den Ihr in diesem Hause habt.«

»In dieser Hinsicht überlasse ich es Euch, ganz nach Eurem Gutdünken zu handeln, mein theurer Sir. Fühlt etwa Mr. Effingham zureichendes Interesse an meinem Geschicke, daß er wünschen könnte, das zu hören, was ich Euch mittheilte, so bedarf es keiner thörichten Geheimthuerei; oder – oder wenn Mademoiselle Viefville –«

»Oder Nanny Sidley, oder Anette,« unterbrach ihn John Effingham mit einem freundlichen Lächeln. »Na, überlaßt dieß mir; aber ehe wir uns für heute trennen, möchte ich mich noch wegen eines andern Umstands über alle Zweifel erheben, obschon das bereits von Euch Berührte mich die Antwort voraussehen läßt.«

»Ich verstehe Euch, Sir, und will Euch über diesen Punkt nicht im Ungewissen lassen. Wenn es für einen Mann von Selbstgefühl eine Empfindung geben kann, die ihn schmerzlicher berühren muß, als alle übrigen, so liegt diese gewiß in dem Mißtrauen gegen die Reinheit seiner Mutter. Gott sei Dank, die meinige war über allen Vorwurf erhaben, und dieß ist auch auf's Klarste erwiesen, da ich sonst keinen rechtlichen Anspruch an die Peerage gehabt hätte.«

»Oder an Euer Vermögen,« fügte John Effingham bei und athmete tief auf, gleich einem Manne, dem plötzlich ein unangenehmer Argwohn vom Herzen genommen ist.

»Mein Vermögen verdanke ich nicht meinen Eltern, sondern einer jener edelmüthigen Gefühlsäußerungen oder Launen, wenn Ihr so wollt, welche bisweilen Leute veranlassen, solche, die ihnen dem Blute nach fremd sind, an Kindesstatt anzunehmen. Mein Pflegvater adoptirte mich, nahm mich mit auf Reisen, brachte mich in früher Jugend in die Marine und hinterließ mir zuletzt all' sein Besitzthum. Da er ein Hagestolz ohne nahe Verwandtschaft war, welcher sein Vermögen nur der eigenen Thätigkeit verdankt hatte, so brauchte ich kein Bedenken zu tragen, die mir so freigebig hinterlassene Gabe anzunehmen; es war jedoch die Bedingung daran geknüpft, daß ich mich aus dem Dienste zurückziehen, fünf Jahre auf Reisen gehen und dann in die Heimath zurückkehren sollte, um mich daselbst zu verehlichen. An die Erfüllung ist allerdings keine thörichte Verwirkungs-Klausel geknüpft, obschon mir diese Richtung im Allgemeinen auf's dringendste von einem Mann an's Herz gelegt wurde, welcher durch so viel Jahre hindurch zeigte, daß er mein wahrer Freund war.«

»Ich beneide ihn um die Gelegenheit, deren er sich erfreute, Euch dienen zu können und hoffe, er würde Euren Nationalstolz gebilligt haben, denn dieser lag doch wohl der Uneigennützigkeit, welche Ihr bei Anlaß der Peerage kund gabet, zu Grunde.«

»Ich vermuthe dieß selbst auch, obschon er nie etwas von meiner Berechtigung wußte, denn sie erwuchs mir erst aus dem Tode der beiden Lords, welche vor meiner Tante starben. Mein Pflegvater war in jeder Beziehung ein Mann und in nichts mehr, als in einem ehrenwerthen Nationalstolze. Während er im Ausland sich aufhielt, wurde ihm ein Orden angeboten; aber er wies ihn mit Würde zurück, weil er der Ansicht war, kein amerikanischer Gentleman könne Auszeichnungen annehmen, die sein Vaterland verschmähe. Seine einzige Antwort auf die ihm zugedachte Ehre war ein achtungsvoller Dank, welchen er jedenfalls der Regierung, die ihn auszeichnen zu müssen glaubte, für das Kompliment schuldig war.«

»Ich beneide fast diesen Mann,« sagte John Effingham mit Wärme. »Daß er Euch schätzen lernte, Powis, war ein Beweis seines Verstandes. Indeß scheint es, daß er ebensogut sich selbst, sein Land und die Menschennatur zu würdigen wußte.«

»Und doch machte er nur wenig aus sich. Er verbrachte viele Jahre in einer unserer größeren Städte und schien nicht über das gewöhnliche Volk hervorzuragen; ja, er fand nicht einmal halb so viel Beachtung, als einer der dortigen regsamen Mäckler oder Krämer.«

»Dieß nimmt mich nicht Wunder, denn die Klasse der wenigen Auserlesenen ist überall zu klein, als daß sie sich an irgend einem Orte in sonderlicher Anzahl finden könnten – geschweige denn unter einer so zerstreuten Bevölkerung, wie die von Amerika ist. Der Mäckler versteht sich natürlich nur auf seines Gleichen, wie etwa der Hund auf den Hund oder der Wolf auf den Wolf. Am allerwenigsten darf übrigens die von Euch erwähnte männliche Ehrenhaftigkeit unter einem Volke, das in den Männerrock gekrochen ist, ehe es noch die Kinderschuhe zertreten hat, auf Anerkennung zählen. Ich bin älter als Ihr, mein lieber Paul,« dieß war das erste Mal, daß John Effingham sich dieser traulichen Bezeichnung bediente, und sie klang gar angenehm in dem Ohr des jungen Mannes – »ich bin älter als Ihr, mein lieber Paul, und erlaube mir daher, Euch auf eine wichtige Thatsache aufmerksam zu machen, die wohl im Stande ist, Euch für die Folge manchen Verdruß zu ersparen. Unter den meisten Nationen gibt es eine gewisse Höhe, nach der aufzublicken sich die Leute wenigstens den Anschein geben; man erhebt Handlungen und würdigt sie scheinbar nur um ihres Verdienstes willen. In Amerika weiß man hievon nicht viel, denn hier wird der Mensch nicht um seiner selbst willen, sondern nur aus Parteizwecken oder National-Eitelkeit gepriesen. In einem Lande, wo sich, vor allen anderen, politische Meinungen am freiesten sollten entfalten können, wird eben diese Freiheit am meisten verfolgt, und der Gemeinschaftssinn der Nation veranlaßt Jeden zu dem Wahne, er habe ein Anrecht an ihren ganzen Ruhm. England zeigt gleichfalls viel von dieser Schwäche und Ungerechtigkeit, die, wie zu fürchten steht, nur eine faule Frucht der Freiheit ist; denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Heiligkeit des freien Gedankens in denjenigen Ländern, wo er am wenigsten Wirksamkeit übt, am meisten geschätzt wird. Wir verlachen stets die Regierungen, welche den Gedanken fesseln; und doch kenne ich keine Nation, unter welcher eine freiere Aeußerung so sicher Verfolgung und Feindseligkeit nach sich zieht, als die unsrige, obschon ihr durch das Gesetz die Berechtigung dazu unabweislich verliehen ist.«

»Dieß rührt von der Allgewalt der öffentlichen Meinung her, und man kömmt sich wegen Verschiedenheiten der Ansichten in die Haare, eben weil nur die öffentliche Meinung herrscht; denn das Ringen nach Gewalt ist überall gleich. Um übrigens wieder auf meinen Pflegvater zurückzukommen – er war ein Mann, der gerne für sich selbst dachte und handelte; dabei hielt er sich von dem Journal- und Zeitungsdasein, das die meisten Amerikaner wenigstens im moralischen Sinne verleben, so fern wie möglich.«

»Ja wohl ist es ein Journal- und Zeitungsdasein!« versetzte John Effingham, über Pauls Ausdruck lächelnd. »Wer nur durch solche Mittel zu leben weiß, ist eben so schlimm daran, wie jene Engländer, welche sich ihre Vorstellungen von der Gesellschaft nach Novellen, aus den Federn von Männern und Weibern, welche nie Zutritt dazu hatten, oder nach den Berichten des Hof-Journals bilden. Ich danke Euch aufrichtig für dieses Vertrauen, Mr. Powis; was mich betrifft, so habe ich Euch nicht aus eitler Neugierde darum gebeten, und Ihr werdet finden, daß kein Mißbrauch davon geschehen soll. Nächster Tage wollen wir wieder unsere Siegel erbrechen und die Geschichte des unglücklichen Monday weiter verfolgen, obschon die Enthüllungen derselben vorderhand nicht sehr verheißungsvoll sind.«

Die Gentlemen drückten sich herzlich die Hände, und Paul entfernte sich, während ihm sein Begleiter leuchtete. An der Thüre seines Gemaches angelangt, wandte sich der junge Mann noch einmal um und bemerkte, daß ihm John Effingham mit den Blicken folgte. Letzterer wiederholte seinen Gutnachtwunsch mit jenem gewinnenden Lächeln, das sein Antlitz so schön machte, worauf sich Beide zur Ruhe begaben.


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