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»Du bist so weise, als du schön bist.«
Shakespeare.
Kapitän Truck erbat sich die Erlaubniß, den neuen Kohlenhälter beim Anzünden einer Cigarre proben zu dürfen, und Sir George Templemore benützte diese Gelegenheit, bei Seite Pierre zu fragen, ob es den Damen nicht angenehm sei, wenn er ihnen nachkomme. Nachdem ihm eine unumwundene Einladung zugekommen war, schlich er sich in aller Ruhe vom Tische weg und befand sich bald aus dem Bereiche der Speisezimmerdünste.
»Ihr werdet bei uns wohl das Rauchfaß und den Weihrauch vermissen,« sagte Eva lachend, als Sir George in das Besuchzimmer trat. »Vergeßt übrigens nicht, daß wir keine Staatskirche haben und es nicht wagen dürfen, uns mit den Ceremonien des Altars derartige Freiheiten herauszunehmen.«
»Ich denke, dieser Brauch wird bei uns nicht lange Bestand haben, obschon er nichts weniger als unangenehm ist. Ihr thut mir übrigens unrecht, wenn Ihr glaubt, ich sei blos dem Tabaksqualm des Speisezimmers entlaufen.«
»Nein, nein; wir begreifen vollkommen, daß Ihr auch mit dem Weihrauch der Schmeichelei umzugehen wißt, und wollen uns vorstellen, als ob bereits Alles gesagt sei, was für die Gelegenheit paßt. Ist nicht unser ehrlicher alter Kapitän ein wahres Kleinod in seiner Art?«
»Auf mein Wort, wenn Ihr mir gestattet, über Eures Vaters Gäste eine Aeußerung laut werden zu lassen, so glaube ich nicht, daß möglicherweise zwei Männer hätten zusammengebracht werden können, welche so vollkommene Gegensätze bildeten, wie Kapitän Truck und dieser Mr. Aristobulus Bragg. Der Letztere ist die außerordentlichste Person, mit der mich je mein gutes Glück zusammengeführt hat.«
»Ihr nennt ihn eine Person – Pierre aber sieht in ihm eine Personage; ich glaube übrigens, er selbst gibt es ganz dem Zufall anheim, ob er seine Tage in dem einen oder in dem andern Charakter verbringen soll. Vetter Jack versichert mich, obgleich dieser Mensch fast jeden Auftrag übernehme, den man ihm zuzuweisen für gut halte, würde er es doch nicht im Geringsten für eine Verletzung der Convenanzen halten, nach dem Thron im weißen Hause zu streben.«
»Doch zuverlässig ohne Hoffnung, ihn zu erringen.«
»Dafür kann ich nicht stehen; der Mann müßte jedenfalls noch eine sehr wesentliche Umwandlung erleiden und eine ziemlich radikale Verbesserung an sich vornehmen, ehe seinen Glücksverhältnissen ein solcher Klimax zustoßen könnte. Sobald Ihr aber die Ansprüche einer erblichen Gewalt fallen laßt, ist einem neuen Kapitel von Zufällen die Thüre geöffnet. Alexander von Rußland nannte sich un heureux accident, und sollte uns je das glückliche Loos bevorstehen, Mr. Bragg als Präsidenten begrüßen zu dürfen, so würden wir ihn wohl als un malheureux accident bezeichnen müssen. Ich glaube, hierin liegt der ganze Unterschied.«
»Euer Republikanismus ist nicht zu bewältigen, Miß Effingham, und ich werde den Versuch aufgeben, Euch zu heilsameren Grundsätzen zu bekehren, namentlich da ich finde, wie Ihr von den beiden Herren Effingham unterstützt werdet, die merkwürdigerweise im Grunde ihrer Herzen dem eigenen System zugethan zu sein scheinen, obschon sie an ihrer Heimath so viel zu tadeln wissen.«
»Ihr Tadel, Sir George Templemore, hat blos darin seinen Grund, weil sie es nicht für gut, ja sogar für unklug halten, über Mängel sich in Lobpreisungen zu ergehen, obschon sie zugleich wissen, daß man auf Erden Vollkommenheit vergeblich sucht; auch sind sie den heimathlichen Verhältnissen zugethan, weil sie aus ihren in anderen Ländern gesammelten Erfahrungen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß wir, ungeachtet so vieler unverholenen übeln Nachreden, wenigstens vergleichungsweise besser daran sind, als die meisten unserer Nachbarn.«
»Ich kann dir versichern,« sagte Grace, »daß viele von den Ansichten, welche namentlich Mr. John Effingham ausspricht, nicht eben unter die bei uns gangbaren gehören. Er tadelt fast Alles, was uns gefällt, und lobt das, was wir tadeln. Sogar mein lieber Onkel steht im Geruch, in dergleichen Dingen ein wenig irrgläubig zu sein.«
»Das will ich gerne glauben,« entgegnete Eva mit Ruhe, »denn diese Gentlemen sind, sofern der Geschmack in Frage kommt, mit besseren Dingen bekannt worden; wo sich's um das wirklich Gute handelt, können sie ihre Erfahrungen nicht so sehr zu Schanden machen, daß sie das preisen sollten, was ihrer Ueberzeugung nach nur beziehungsweise gut ist. Wenn du nur einen Augenblick nachdenken willst, Grace, so wirst du bemerken, daß die Leute nothwendig ihren eigenen Liebhabereien so lange den Vorzug geben, bis sie mit Besserem bekannt worden sind, und eben so nothwendig durch das Unangenehme in ihrer Umgebung auch unangenehm berührt werden, obschon es, als Folge eines politischen Systems, ihnen weit weniger peinlich sein mag, als die Nachtheile anderer Systeme, von denen sie keine Kenntniß haben. In dem einen Falle lieben sie das Beste, was sie besitzen, aus dem einfachen Grunde, weil es ihr Bestes ist, und aus gleichem Grunde mißfallen ihnen die schlimmeren Seiten. Wir hätscheln eine Liebhaberei naturgemäß, ohne uns auf Vergleichungen einzulassen, denn sie hört auf, Liebhaberei zu sein, sobald sich Mittel zur Vergleichung darbieten und etwas Besseres an ihre Stelle gesetzt werden kann; aber es liegt auch, fürchte ich, in der Natur des Menschen, sich über jede positive Unannehmlichkeit zu beschweren.«
»Eine Republik kömmt mir widerlich vor.«
» La republique est une horreur.«
Grace hielt eine Republik für widerlich, ohne irgend einen andern gesellschaftlichen Zustand zu kennen, weil sie manches Widerliche mit sich führt, und Mademoiselle Viefville nannte sie une horreur, weil in ihrem eigenen Lande während der ersten Kämpfe um die Freiheit die Guillotine waltete und eine Anarchie herrschte. Obschon Eva selten verständiger und nie mit mehr Mäßigung gesprochen hatte, als bei Aeußerung obiger Ansichten, kam es doch Sir George Templemore bei dieser Gelegenheit zweifelhaft vor, ob ihre Züge ganz jene ausgesuchte Schönheit und Zartheit besäßen, die er so sehr bewundert hatte, und als Grace in den gedachten nichtssagenden Ausruf ausbrach, wandte er den Blick ihrem süßen, seelenvollen Antlitze zu, das ihm, für den Augenblick wenigstens, als das lieblichere erschien.
Eva Effingham sollte noch erfahren, daß sie eben erst in die unduldsamste Gesellschaft – das Wort im gewöhnlichen Sinne genommen – getreten war, sofern nämlich Ansichten zur Sprache kamen, die man gewöhnlich in der Christenheit freisinnige nennt. Wir wollen damit nicht sagen, daß es in Amerika weniger, als in einem andern Lande gerathen sei, zu Gunsten der Menschenrechte eine edelmüthige Aeußerung fallen zu lassen, da in diesem Betracht die Gesetze und Institutionen nicht blos dem Buchstaben nach vorhanden sind; aber der Widerstand der Gebildeten gegen die Uebergriffe der Ungebildeten hat jene selten gerechte und nie philosophische Gefühlsaufregung hervorgerufen, die in Allem, was man im Allgemeinen die Welt nennt, ein stummes aber fast einstimmiges Hemmgewicht gegen die Einwirkung der Institutionen bildete. Wo es überhaupt durch die Umstände zulässig wird, kann man in Europa selten eine derartige Aeußerung aussprechen, ohne unter der Zuhörerschaft eine ziemlich allgemeine Sympathie zu finden; aber in dem Kreise, welchem Eva jetzt anheimgefallen war, wurde es fast als eine Verletzung der Schicklichkeit betrachtet, wenn man andeuten wollte, daß die Masse der Menschen Rechte besitze. Wir wünschen übrigens nicht, daß man hinter unsern Worten mehr suche, als wir sagen wollen, da wir durchaus nicht zweifeln, daß ein großer Theil auch der anders Gesinnten aus Gedankenlosigkeit oder aus dem von unserer Heldin angegebenen sehr natürlichen Grunde in die gleiche Klasse fällt; dennoch möchten wir unsere Ansicht dahin ausdrücken, daß die amerikanische Gesellschaft in ihrem Aeußern jedem Fremden und auch jedem Landeseingeborenen, der aus anderen Ländern zurückkehrt, also entgegentritt. Wir sprechen jetzt nicht von ihrem Geschmack, von ihrer Weisheit und von ihrer Sicherheit, sondern begnügen uns blos mit der Andeutung, daß Eva Grace's Ausruf sehr unangenehm empfand, und daß sie, ungleich dem Baronet, ihre Muhme nie für weniger schön gehalten hatte, als bei Gelegenheit des Unmuthanfluges, den ihr hübsches Gesichtchen für einen Moment angenommen hatte.
Sir George Templemore hatte Takt genug, zu bemerken, daß in den Gefühlen der beiden jungen Mädchen eine kleine Mißstimmung stattgefunden, und gab dem Gespräch eine andere Wendung. Von Eva besorgte er keine Provinzial-Empfindlichkeit; aber ohne daran zu denken, welche Rolle Grace wahrscheinlich in einer derartigen Verhandlung spielen würde, brachte er – vielleicht ein wenig maladroitement – das Thema der New-Yorker Gesellschaft im Allgemeinen zur Sprache.
»Ich bin begierig, zu erfahren,« begann er, »ob es hier auch Sonderungen gibt, wie in London und Paris – ob ihr ein Faubourg Saint Germain, ein Chaussée d'Antin, ein Picadilly, Grosvenor- oder Russell-Square besitzt.«
»Ich muß Euch mit dieser Frage an Miß van Courtlandt verweisen,« versetzte Eva.
Grace blickte erröthend auf, denn es war für sie ein eben so neuer, als aufregender Umstand, von einem einsichtsvollen Fremden über einen derartigen Punkt befragt zu werden.
»Ich weiß nicht, ob ich die Anspielungen recht verstehe,« sagte sie, »obschon ich fürchte, Sir George will damit sagen, ob wir Auszeichnungen in unserer Gesellschaft haben.«
»Und warum fürchten, Miß van Courtlandt?«
»Weil es mir vorkommt, als fasse eine derartige Frage einen Zweifel gegen unsere Bildung in sich.«
»Es sind häufig mehr Auszeichnungen, als augenfällige Unterschiede vorhanden,« bemerkte Eva, »und sogar London und Paris können den Vorwurf einer solchen Thorheit nicht von sich abweisen. Wenn ich Sir George Templemore recht verstehe, so wünscht er zu wissen, ob wir die Achtbarkeit nach Straßen und den Rang nach Stadttheilen ermessen.«
»Dieß ist nicht ganz meine Meinung, Miß Effingham, sondern ich möchte vielmehr wissen, ob unter Denen, welche Anspruch auf feinere Bildung machen können, jene genauen Distinctionen statthaben, die man anderwärts findet – mit Einem Worte, ob ihr Exclusive und Elegants habt, oder ob ihr die Grundsätze der Gleichheit auch hier in Anwendung bringt.«
» Les femmes Américaines sont bien jolies!« rief Mademoiselle Viefville.
»Es ist unmöglich, daß sich in einer Stadt von 300,000 Seelen nicht Coterieen bilden sollten.«
»Ich meine nicht einmal dieß, sondern vielmehr, ob zwischen den Coterieen keine Unterscheidung stattfinde. Steht nicht in der öffentlichen Meinung und durch stillschweigende Uebereinkunft, wenn auch nicht durch positive Bestimmung, die eine über der andern?«
»Die Distinction, auf welche Sir George Templemore anspielt, ist allerdings zu treffen,« entgegnete Grace, mit mehr Muth fortfahrend, als sie fand, daß sich der Gegenstand ihrer Fassungskraft mehr und mehr enthüllte. »Die alten Familien z. B. halten insgesammt mehr zusammen, als die andern, obschon es sehr zu bedauern ist, daß es dabei nicht noch viel genauer genommen wird.«
»Die alten Familien?« rief Sir George Templemore mit so viel Nachdruck auf diesen Worten, als ein wohlerzogener Mann sich unter derartigen Umständen erlauben konnte.
»Ja, die alten Familien,« wiederholte Eva mit der ganzen Kraft der Betonung, welche der Baronet Anstands halber unterdrückt hatte – »so alt wenigstens, als zwei Jahrhunderte sie machen können, und noch obendrein mit einem über diese Periode hinausreichenden Ursprung, so daß sie in dieser Hinsicht den alten Familien der übrigen Welt nicht nachstehen. Die Gentilität des Amerikaners ist in der That besser als gewöhnlich, da sie, abgesehen von ihrem eigenen Werthe, in der von Europa Wurzel faßt.«
»Ich bitte, mich nicht mißzuverstehen, Miß Effingham. Ich weiß wohl, daß Amerika in dieser Hinsicht sich mit allen andern civilisirten Ländern messen kann; nur nimmt es mich Wunder, daß es in einer Republik auch nur den Ausdruck ›alte Familie‹ gibt.«
»Dann müßt Ihr mir die Bemerkung erlauben, daß Eure Verwunderung nur in dem Umstande ihren Grund hat, weil Ihr den wahren Zustand des Landes nicht gehörig in's Auge faßtet. Es gibt allenthalben zwei große Quellen der Auszeichnung – Reichthum und Verdienst. Wenn nun ein Geschlecht von Amerikanern während mehrerer Generationen sich fortwährend stets entweder durch die eine oder die andere dieser beiden Ursachen bemerklich macht, warum sollte es nicht eben so gut Ansprüche haben, als eine alte Familie gezählt zu werden, wie die Europäer unter den gleichen Umständen? Eine republikanische Geschichte ist eben so gut Geschichte, wie eine monarchische und ihre historischen Namen sind zu gleicher Beachtung berechtigt; dieß räumt Ihr sogar euren europäischen Republiken ein, und doch wollt Ihr es den unsrigen absprechen?«
»Ich muß auf den Beweisen bestehen. Wenn wir diese Beschuldigung ohne Belege auf uns liegen lassen, Mademoiselle Viefville, so sehen wir uns zuletzt durch unsere eigene Nachlässigkeit geschlagen.«
» C'est une belle illustration, celle d'antiquité,« bemerkte die Gouvernante in entschiedenem Tone.
»Wohlan, wenn Ihr auf Beweisen besteht, was sagt Ihr gegen die Capponi – › sonnez vos trompettes, et je vais faire sonner mes cloches,‹ oder zu denen von Erlach, einer Familie, die fünf Jahrhunderte lang bei so vielen Kämpfen gegen Unterdrückung und Außenfeinde an der Spitze stand?«
»Alles Dieß ist sehr wahr,« entgegnete Sir George; »aber dennoch gestehe ich, daß wir die amerikanische Gesellschaft gewöhnlich nicht in dieser Weise zu betrachten pflegen.«
»Eine Abkunft von Washington mit einem Charakter und einer gesellschaftlichen Stellung, welche derselben entspricht, wäre außerdem auch nicht absolut gemein.«
»Wenn Ihr mir so scharf zusetzt, so muß ich Miß van Courtlandt um Beistand angehen.«
»In Betreff dieses Punktes wird Euch von daher wohl keine Unterstützung zufließen. Miß van Courtlandt hat selbst einen historischen Namen und wird einem ehrenhaften Stolze nichts vergeben, um eine der feindlichen Mächte aus der Klemme zu ziehen.«
»Wenn ich auch einräume, daß Zeit und Verdienst in gewissem Sinne die Familien Amerikas mit den europäischen in eine gleiche Lage versetzen müssen, so kann ich doch nicht einsehen, wie es sich mit euren Institutionen verträgt, daß ihr den nämlichen Nachdruck auf diese Umstände legt.«
»Hierin sind wir vollkommen mit Euch einverstanden, denn ich denke, der Amerikaner hat wohl den besten Grund, auf seine Familie stolz zu sein,« entgegnete Eva mit Ruhe.
»Ihr gefallt Euch diesen Abend augenscheinlich in Paradoxen, Miß Effingham, denn ich fühle mich jetzt überzeugt, daß Ihr für die Behauptung dieses neuen Satzes kaum etwas Stichhaltiges aufbringen könnt.«
»Wenn ich meinen alten Verbündeten Mr. Powis hier hätte,« sagte Eva, mit ihrem kleinen Fuße unwillkürlich das Kamingitter berührend, während zugleich der Ton ihrer Stimme viel von der früheren scherzenden Lebhaftigkeit verlor, wo nicht gar wehmüthig wurde, »so würde ich ihn bitten, Euch die Sache zu erklären, denn er verstund sich ausgezeichnet gut auf derartige Erwiederungen; da er übrigens abwesend ist, so will ich mich selbst in dieser Obliegenheit versuchen. In Europa sind Aemter, Gewalt und folglich auch Auszeichnung erblich; in Amerika aber ist dieß nicht der Fall, denn hier hängt Alles von den Wahlen ab. Zuverlässig hat man nun weit mehr Grund, auf Vorfahren stolz zu sein, die ihre wichtige Stellung einem freien Wahlakte verdankten, als auf Ahnen, welche eine derartige Auszeichnung nur den Zufälligkeiten der Geburt, die sich eben so gut heureux als malheureux gestalten können, verdanken. Der einzige Unterschied zwischen England und Amerika, soweit die Familien in Frage kommen, besteht darin, daß ihr Denen auch positiven Rang ertheilt, welchen wir nur Bedeutsamkeit zugestehen. Unser Adel hat die öffentliche Meinung zur Grundlage, während der eurige an dem großen Siegel klebt. Und nun, nachdem ich die Thatsache bewiesen habe, daß es in Amerika Familien gibt, wollen wir dahin zurückkehren, von wo aus wir abgegangen sind, und die Frage verfolgen, in wie weit sie Einfluß auf die gewöhnliche Gesellschaft üben.«
»Zu diesem Ende werden wir uns wohl an Miß van Courtlandt wenden müssen.«
»Leider thun sie es weit weniger, als sie meiner Ansicht nach sollten,« versetzte Grace mit Wärme, »denn der Umstand, daß die Fremden so sehr um sich greifen, hat in dieser Hinsicht alle Gebühr völlig über den Haufen geworfen.«
»Und doch wage ich es, zu behaupten, daß eben diese Fremden Gutes wirken,« erwiederte Eva. »Viele von ihnen haben in ihrer Heimath eine achtbare Stellung eingenommen, und sollten als ein schätzenswerther Zuwachs für eine Gesellschaft betrachtet werden, die ihrer Natur nach tant soit peu provinziell sein muß.«
»Oh!« rief Grace, »ich kann Alles leiden, nur nicht die Hadschis!«
»Wen?« fragte Sir George gespannt. »Darf ich Euch um eine Erklärung bitten, Miß van Courtlandt?«
»Die Hadschis,« wiederholte Grace lachend, obschon sie zugleich bis über die Augen erröthete.
Der Baronet blickte von der einen jungen Dame auf die andere, und blickte dann fragend nach Mademoiselle Viefville hin. Letztere zuckte leicht mit der Achsel und schien selbst erwartend einer näheren Erläuterung entgegenzusehen.
»Die Hadschis sind eine Klasse, Sir George Templemore,« sagte Eva lachend, »zu welcher wir Beide, Ihr und ich, zu gehören die Ehre haben.«
»Nein, Sir George Templemore nicht,« unterbrach sie Grace mit einer Hast, welche sie augenblicklich bereute; »er ist kein Amerikaner.«
»Dann erfreue ich mich von allen Anwesenden allein dieses Vortheils. Man versteht darunter nicht eine Pilgerschaft nach Mekka, sondern eine Wanderung nach Paris, und der Pilger muß statt eines Mohamedaners ein Amerikaner sein.«
»Nein, Eva, du bist auch kein Hadschi.«
»Dann müssen sie eine Qualifikation besitzen, mit der ich bis jetzt noch nicht bekannt bin. Willst du unser Bedenken heben, Grace, und uns den eigentlichen Charakter des Thieres zu wissen thun?«
»Du bist zu lang ausgeblieben, um ein Hadschi zu sein; denn hiezu gehört, daß man blos angesteckt werde; die Krankheit darf nicht um sich greifen, und zur Heilung gelangen.«
»Ich danke Euch für diese Schilderung, Miß van Courtlandt,« entgegnete Eva in ihrer ruhigen Weise; »indeß hoffe ich, daß die Krankheit, obschon ich sie ganz durchgemacht habe, keine Pockennarben zurückließ.«
»Ich möchte wohl einen von diesen Hadschis sehen!« rief Sir George. »Sind sie beiderlei Geschlechts?«
Grace lachte und nickte mit dem Kopfe.
»Wollt Ihr mir wohl Einen zeigen, wenn wir so glücklich sind, heute Abend mit einem Exemplar von dieser Sippschaft zusammenzutreffen?«
Abermaliges Lachen und Kopfnicken von Seiten Grace's.
»Da fällt mir eben ein, Grace,« sagte Eva nach einer kurzen Pause, »wir können Sir George Templemore den besten Begriff von den Sonderungen, die ihn so sehr interessiren, beibringen, wenn wir thun, was von unserer Seite eigentlich nur Pflicht ist, und ihn von der Gelegenheit Vortheil ziehen lassen. Mr. Hawker empfängt diesen Abend ohne Ceremonie; Mrs. Jarvis haben wir unsere Antworten noch nicht geschickt, und wir können recht gut auf eine halbe Stunde bei ihr ansprechen, um uns sodann noch in guter Zeit bei Mrs. Houstons Ball einzufinden.«
»Aber Eva, du kannst doch Sir George Templemore nicht in einem Hause einführen wollen, wie das von Mrs. Jarvis ist!«
»Ich will Sir George Templemore nirgends einführen, denn eure Hadschis haben über dergleichen Dinge ihre eigenen Ansichten; da uns aber Vetter Jack begleiten wird, so kann er uns recht wohl diesen hochwichtigen Gefallen erweisen. Auch stehe ich dafür, Mrs. Jarvis wird dieß nicht als allzugroße Freiheit betrachten.«
»Ich pflichte dir vollkommen bei; denn Mrs. Jared Jarvis wird nichts, was Mr. John Effingham thun kann, für mal apropos halten. Seine Stellung in der Gesellschaft ist zu wohl begründet und die ihrige zu zweifelhaft, als daß in dieser Hinsicht ein Anstand stattfinden könnte.«
»Dieß, seht Ihr, erledigt den Punkt der Coterieen,« bemerkte Eva gegen den Baronet. »Ueber Feststellung von Grundsätzen lassen sich wohl Bände schreiben; aber wenn Personen überall Alles thun können, was ihnen beliebt, so läßt sich wohl von ihnen behaupten, daß sie unter die privilegirten gehören.«
»Was das Faktum betrifft, so ist dieß ganz richtig, Miß Effingham; aber ich bin recht sehr begierig, den Grund zu erfahren.«
»Dergleichen Dinge werden sehr oft ganz und gar ohne Grund entschieden. Auch verlangt Ihr ein Bißchen zu viel, wenn Ihr in New-York Gründe haben wollt für eine Sache, die in London nicht einmal den Schein eines Grundes nöthig macht. Es reicht zu, daß Mrs. Jarvis entzückt sein wird, Euch ohne Einladung bei sich zu sehen, und daß Mrs. Houston es mindestens auffallend finden würde, wenn Ihr Euch gegen sie dieselbe Freiheit erlauben wolltet.«
»Daraus folgt wohl,« versetzte Sir George lächelnd, »daß von diesen beiden Damen Mrs. Jarvis die gastfreundlichere ist.«
»Aber was ist mit Kapitän Truck und Mr. Bragg anzufangen, Eva?« fragte Grace. » Sie können wir doch nicht zu Mrs. Hawker nehmen.«
»Aristobulus würde in der That in einem solchen Hause ein wenig am unrechten Platze sein; aber was den trefflichen, wackern, biedern alten Kapitän betrifft, so verdient er wohl, überall sich zu zeigen. Ich mache mir ein Vergnügen daraus, in selbsteigener Person ihn Mrs. Hawker vorzustellen.«
In einer kurzen Berathung zwischen den beiden Mädchen wurde ausgemacht, daß von den zwei ersten Besuchen gegen Mr. Bragg keine Erwähnung gethan, sondern Mr. Effingham gebeten werden sollte, ihn gehöriger Zeit zu dem Balle zu bringen. Die übrige Gesellschaft wollte in aller Stille die beiden andern Häuser besuchen, ohne überhaupt von ihrem Vorhaben zu sprechen. Sobald dieß bereinigt war, entfernte sich Eva und Grace, um sich anzukleiden; Sir George aber blieb in der Bibliothek, um sich inzwischen mit einem Buche zu unterhalten. Als bald nachher John Effingham erschien, nahm der Baronet die Unterhaltung über Distinction in der Gesellschaft wieder auf, dabei die Gedankenverwirrung an den Tag legend, welche gewöhnlich die europäische Betrachtungsweise den amerikanischen Zuständen gegenüber bezeichnet.